EDOUARD MANET, PFIRSICHE
EIN BESUCH BEI MANET
VON
GEORGES JEANNIOT
DEUTSCH VON MARGARETE MAUTHNER
Tm Januar 1882 kam ich wiederum nach Paris.
Mein erster Besuch galt Manet. Ich fand ihn
vor seiner Staffelei, an dem Bild „Bar in den Folies-
Bergere" malend. Das Modell, ein hübsches Mäd-
chen, stand hinter einem Tisch, auf dem sich
Flaschen und allerlei Lebensmittel befanden. Manet
erkannte mich sogleich, streckte mir die Hand
entgegen und sagte: „Entschuldigen Sie, es ist ab-
scheulich, aber ich muß sitzen bleiben. Setzen Sie
sich, bitte."
Ich nahm einen Stuhl und setzte mich hinter
ihn, so daß ich ihm bei der Arbeit zusehen konnte.
Obwohl Manet nach dem Modell malte, kopierte
er nicht etwa die Natur: jetzt erst wurden mir
seine grandiosen Vereinfachungen klar. Der Kopf
des Mädchens trat plastisch hervor, ohne daß die
Modellierung durch die Mittel erreicht wurde, wie
sie die Natur ihm lieferte. Alles war mehr zu-
sammengedrängt, die Töne waren heller, die Far-
ben lebhafter, die Mannigfaltigkeit der Valeurs war
mehr untergeordnet und die Gesamtwirkung war
eine seltsam zarte und blonde Harmonie. Ein Be-
sucher trat herein, es war mein Jugendfreund, der
Doktor Albert Robin. Im Gespräch wurde Chaplin
erwähnt. „Wissen Sie, dieser Chaplin hat viel Ta-
lent", sagte Manet, während er mit sorgfältigen
kleinen Pinselstrichen das Goldpapier einer Cham-
pagnerflasche malte. „Viel Talent," wiederholte er,
„er versteht sich auf das Lächeln der Frauen, und
das will was heißen. Ja, ja, ich weiß, viele be-
haupten, daß seine Malerei zu glatt ist, das stimmt
aber nicht, und außerdem sind seine Sachen in der
Farbe gut komponiert."
Es kamen noch andere Besucher und Manet
hörte auf zu arbeiten. Er setzte sich auf den Di-
van rechts an der Wand, und erst jetzt sah ich,
wie sehr ihn die Krankheit mitgenommen hatte.
Beim Gehen stützte er sich auf einen Stock und
ein Zittern schien ihn dabei zu befallen. Trotz-
dem bewahrte er seine heitere Laune und sprach
von seiner baldigen Genesung. Ich besuchte ihn
während meines dortigen Aufenthalts ein zweites
Mal und hatte Gelegenheit, wiederum manche
Ideen über Kunst von ihm zu hören. „Die Prä-
gnanz des Ausdruckes ist in der Malerei eine
Notwendigkeit und eine Eleganz. Die Knapp-
heit regt zum Nachdenken an, Weitschweifigkeit
bewirkt Langeweile. Man muß sich immer nach
der Seite der Vereinfachung hin entwickeln, immer
die große Helligkeit und den großen Schatten im
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EIN BESUCH BEI MANET
VON
GEORGES JEANNIOT
DEUTSCH VON MARGARETE MAUTHNER
Tm Januar 1882 kam ich wiederum nach Paris.
Mein erster Besuch galt Manet. Ich fand ihn
vor seiner Staffelei, an dem Bild „Bar in den Folies-
Bergere" malend. Das Modell, ein hübsches Mäd-
chen, stand hinter einem Tisch, auf dem sich
Flaschen und allerlei Lebensmittel befanden. Manet
erkannte mich sogleich, streckte mir die Hand
entgegen und sagte: „Entschuldigen Sie, es ist ab-
scheulich, aber ich muß sitzen bleiben. Setzen Sie
sich, bitte."
Ich nahm einen Stuhl und setzte mich hinter
ihn, so daß ich ihm bei der Arbeit zusehen konnte.
Obwohl Manet nach dem Modell malte, kopierte
er nicht etwa die Natur: jetzt erst wurden mir
seine grandiosen Vereinfachungen klar. Der Kopf
des Mädchens trat plastisch hervor, ohne daß die
Modellierung durch die Mittel erreicht wurde, wie
sie die Natur ihm lieferte. Alles war mehr zu-
sammengedrängt, die Töne waren heller, die Far-
ben lebhafter, die Mannigfaltigkeit der Valeurs war
mehr untergeordnet und die Gesamtwirkung war
eine seltsam zarte und blonde Harmonie. Ein Be-
sucher trat herein, es war mein Jugendfreund, der
Doktor Albert Robin. Im Gespräch wurde Chaplin
erwähnt. „Wissen Sie, dieser Chaplin hat viel Ta-
lent", sagte Manet, während er mit sorgfältigen
kleinen Pinselstrichen das Goldpapier einer Cham-
pagnerflasche malte. „Viel Talent," wiederholte er,
„er versteht sich auf das Lächeln der Frauen, und
das will was heißen. Ja, ja, ich weiß, viele be-
haupten, daß seine Malerei zu glatt ist, das stimmt
aber nicht, und außerdem sind seine Sachen in der
Farbe gut komponiert."
Es kamen noch andere Besucher und Manet
hörte auf zu arbeiten. Er setzte sich auf den Di-
van rechts an der Wand, und erst jetzt sah ich,
wie sehr ihn die Krankheit mitgenommen hatte.
Beim Gehen stützte er sich auf einen Stock und
ein Zittern schien ihn dabei zu befallen. Trotz-
dem bewahrte er seine heitere Laune und sprach
von seiner baldigen Genesung. Ich besuchte ihn
während meines dortigen Aufenthalts ein zweites
Mal und hatte Gelegenheit, wiederum manche
Ideen über Kunst von ihm zu hören. „Die Prä-
gnanz des Ausdruckes ist in der Malerei eine
Notwendigkeit und eine Eleganz. Die Knapp-
heit regt zum Nachdenken an, Weitschweifigkeit
bewirkt Langeweile. Man muß sich immer nach
der Seite der Vereinfachung hin entwickeln, immer
die große Helligkeit und den großen Schatten im
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