DIMENSIONEN
DER HUMANTRANSLATION
DIMENSIONS
OF HUMAN TRANSLATION
DIMENSIONEN
DER HUMANTRANSLATION
DIMENSIONS
OF HUMAN TRANSLATION
Larisa Cercel, Marco Agnetta, Tinka Reichmann (Hrsg.)
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© ZETA BOOKS, 2022
Zeta Books, Bucharest
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ISBN 978-606-697-116-4 (paperback)
ISBN 978-606-697-117-1 (electronic)
TABLE OF
CONTENTS
Zum Übersetzen aus anthropozentrischer Perspektive
Larisa Cercel, Marco Agnetta, Tinka Reichmann . . . . . . . . . . .7
On translating from an anthropocentric perspective
Larisa Cercel, Marco Agnetta, Tinka Reichmann . . . . . . . . . .15
Zur Verantwortung des Kommunikators im Spannungsfeld
von Hermeneutik und Kreativität
Alberto Gil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .21
Hermeneutik und Kreativität christlicher traditio
im Kontext des Religionsunterrichts
Christian Hild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43
Humane Dimensionen des Übersetzungsprozesses
Radegundis Stolze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .65
Translation and/as/or creativity
Brian O’Keeffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87
Zum hermeneutischen Potential von Fachsprache und
zu seiner Relevanz für die Übersetzung
– am Beispiel der Medizin
Ursula Wienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .129
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TABLE OF CONTENTS
Zwischen Fürsorge und Neutralität. Die Bedeutung
des Angstkonzepts Sören Kierkegaards für die Praxis
der Behördendolmetscher*innen
Béatrice Costa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .155
Performative Übersetzungen – Skizze eines Arbeitsfeldes
Johannes Kandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .173
On syntactic shifts in the translation of music-bound texts,
illustrated by the example of recitative translation
Marco Agnetta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .185
Translating Across the Human/Nonhuman Divide:
Towards a Sustainable Theory of Translation, or
a Translational Theory of Sustainability
Douglas Robinson. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .227
Zum Übersetzen
aus anthropozentrischer Perspektive
Larisa Cercel (Leipzig/Rom),
Marco Agnetta (Innsbruck),
Tinka Reichmann (Leipzig)
Die Beiträge in diesem Band stellen Ergebnisse von interdisziplinären Arbeiten des Forschungszentrums Hermeneutik und
Kreativität (https://hermeneutik-und-kreativitaet.de/) dar. Das
2012 von Prof. Dr. Alberto Gil an der Universität des Saarlandes gegründete Zentrum verlegte seinen Sitz 2019 an das
Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der
Universität Leipzig. In dieser Publikation finden sich Aufsätze
von Forschenden, die sich seit der Gründung des Zentrums
einbringen, wie von dem „Gründungsvater“ Alberto Gil, aber
auch von neuen Interessierten an dem Austausch an der Schnittstelle von Kommunikation, Humantranslation, Hermeneutik,
Performanz und Kreativität. Auch in Zeiten des Anstiegs der
maschinellen Übersetzung bleiben humane Verstehensprozesse,
Kommunikationsdimensionen und Kreativität wichtige Dimensionen der Translation.
Die humanbedingten Voraussetzungen der Translation
liegen bereits seit geraumer Zeit im Blickfeld der Forschung.
Nach einigen frühen indikativen Vorstößen (vgl. Robinson
1991, Venuti 1995, Berman 1995) zur Beschäftigung mit dem
Übersetzer als Instanz der Translation wurde in einer Reihe von
folgenreichen Aufsätzen (vgl. Hu 2004, Froeliger 2005, Chesterman 2009, Pym 2009) ein wissenschaftliches Programm – die
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LARISA CERCEL, MARCo AGNETTA, TINKA REICHMANN
Hinwendung zum Translator – formuliert. „Study translators,
then texts” (Pym 2009: 30) lautete die plakative Aufforderung,
die der bislang hauptsächlich textzentrierten Fachdisziplin der
Übersetzungswissenschaft einen neuen Fokus (vgl. Cercel 2015)
und damit verbunden eine ausgesprochen anthropozentrische
Perspektive einbrachte. Das neu entstandene Forschungsfeld
entwickelte sich rapide insbesondere in geschichtlicher, kognitionswissenschaftlicher und soziologischer Hinsicht. Gegenwärtig
gelten die Translator Studies als oberbegriff für eine vielseitige
Forschung, die ihren Fokus „primarily on people rather than
texts, translators rather than translations” (Chesterman 2021:
241) richtet.
Mit der Zentralität des Übersetzers teilt die gegenwärtige
Translationsforschung eine Grundansicht der Hermeneutik.
Bereits in den 1970er Jahren resümierte Fritz Paepcke in
knappen und einfachen Worten den Beitrag der Übersetzungshermeneutik und ihren tragenden Grund: „Dieser Ansatz will
nichts anderes sagen, als dass zum Sprechen und Übersetzen
das Beteiligtsein des Menschen gehört“ (Paepcke 1978: 89). So
plädierte die hermeneutische Übersetzungsforschung bereits früh
und nicht unpolemisch für eine alternative Schwerpunktsetzung,
die den Übersetzer in ein neues Licht rückte. Gegenläufig zu
früheren Modellen, die durch die ausschließliche Betrachtung
der objekte der Translation – originale und Translate – den
Blick auf den Translator als das Subjekt der Translation „verstellt”
(Stolze 1992: 18) haben, wurde ein dezidiert anthropozentrischer Standpunkt vertreten: „Uns scheint jedoch gerade hier der
wesentliche Ansatzpunkt für eine Übersetzungstheorie zu liegen”
(ebd.: 18). So setzte sich die Übersetzungshermeneutik für eine
humanorientierte Übersetzungstheorie ein, in der der Übersetzer bei der Vermittlung einer fremdsprachlichen Mitteilung
als Haupthandelnder fungiert. Die besondere Aufmerksamkeit
für den Translator und die humanbedingten Voraussetzungen
der Translation gilt als ein principium specificationis des hermeneutischen Konzepts (vgl. Cercel 2013: 361).
Zum Übersetzen aus anthropozentrischer Perspektive
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Die nachfolgend versammelten Aufsätze gehen größtenteils
auf Vorträge zurück, die am 21. Februar 2020 im Rahmen
des 1. Leipziger Kolloquiums zu Hermeneutik und Kreativität
am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie
gehalten wurden. Es handelt sich hierbei um Beiträge, die sich
der Humantranslation aus etlichen Perspektiven annehmen und
durch den Fokus auf Grundaspekte bzw. Kernbegriffe der Translation – Verantwortung, Kreativität, Verstehen, Interpretieren,
Fürsorge – an der Schnittstelle zwischen Translator Studies und
Translationshermeneutik zu verorten sind.
Der erste thematische Block setzt sich mit der Verantwortung des Übersetzers auseinander. In seinem Grundsatzreferat
widmet sich Alberto GIL in eingehender Weise der Verantwortung des Kommunikators – und der Translator ist ein eminenter
Vermittler zwischen fremdsprachlichen Welten und Kulturen
– als der conditio sine qua non und dem tragenden Grund für
jede gelingende menschliche Interaktion. Beleuchtet wird dieser
Grundbegriff in seinen zwei wesentlichen Dimensionen – als
verantwortliche Handlung und als verantwortliche Haltung
des Kommunikators der zu übermittelnden Botschaft gegenüber. Dieser Gedanke ist der Grundtenor auch im Beitrag von
Christian HILD, der der Vermittlung der christlichen traditio
im Kontext des Religionsunterrichts nachgeht. Wegen der
zunehmenden Säkularisierung der heutigen Welt, die religiöse
Begrifflichkeiten für Jugendliche weitgehend als eine Fremdsprache erscheinen lassen, ist die Weitergabe theologischer
Inhalte als Übersetzung im weiteren Sinne zu verstehen, in
deren Mittelpunkt die „theologische Verantwortung gegenüber
dem original“ (S. 59), der biblischen Botschaft, steht. Auf den
konkreten Akt der Translation blickt Radegundis SToLZE, die
eine umfassende systematische Beschreibung der Handlung von
Translatoren als verantwortliche Vermittler vorlegt. Sie definiert
die Translation als „soziale Dienstleitung“ (S. 66) zum Zweck der
Kommunikation. Damit diese gelingt, sind persönliche Qualitäten und spezifische Kompetenzen des Translators unabdingbar.
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LARISA CERCEL, MARCo AGNETTA, TINKA REICHMANN
Die übersetzende Person hat laut R. Stolze im Mittelpunkt der
Betrachtung zu stehen, und zwar mit ihrem Geist und – so eine
Hauptthese ihres Beitrags – auch mit ihrem Körper.
Die Beiträge der zweiten thematischen Gruppierung rücken
weitere wesentliche Aspekte und Begriffe in den Vordergrund,
die die Humantranslation auszeichnen. Die Kreativität ist der
Dreh- und Angelpunkt des Beitrags von Brian o’KEEFFE, der
in genuiner Reflexion der Frage nachgeht, wie die weit verbreitete Annahme, Übersetzer seien kreativ und ihre Übersetzungen
Schöpfungen, überhaupt zu verstehen ist und was ihre weiteren
epistemischen Implikationen sind. Eindrucksvoll erörtert wird
dabei unter Einbezug philosophischer, psychologischer und
psychoanalytischer Erkenntnisse die damit eng verbundene,
fundamentale Frage der originalität von Translatoren und
von Translaten. Die Interpretation – ein weiteres Attribut der
Humantranslation par excellence – steht im Fokus des Beitrags
von Ursula WIENEN. Anders als eine geläufige Vorstellung,
Fachsprachen seien durchgehend normiert (und somit für
maschinelles Übersetzen eher als andere Sprachvarietäten qualifiziert), sieht die Autorin hingegen darin ein „hermeneutisches
Potenzial“ (S. 130), das den Zugriff und die Verstehens- bzw.
Interpretationsleistung des Humanübersetzers erforderlich
macht. Durch aussagekräftige Exempel aus der Fachsprache der
Medizin unterstützt U. Wienen überzeugend die These, dass
auch Fachsprachen in verschiedenen Kontexten – hier Literatur
und Werbung – ein Spektrum an Interpretationen zulassen, die
ihrerseits die vermittelte Botschaft beeinflussen und das Markenzeichen des Übersetzers tragen. Des Humantranslators bedarf
es ebenfalls in hochsensitiven Kontexten wie Asylanhörungen.
Béatrice CoSTA plädiert eindringlich für Fürsorge als humane
Herangehensweise des Dolmetschers an eine solche von starken
Emotionen, vordergründig von Angst gekennzeichnete Situation.
Feingefühl ist seitens des Dolmetschers unentbehrlich, um die
schwierige Balance zwischen Vertrauensbildung und notwendiger
professioneller Neutralität, zwischen Einfühlungsvermögen und
Zum Übersetzen aus anthropozentrischer Perspektive
11
Distanziertheit in derartigen lebensentscheidenden Kontexten zu
finden und somit verantwortlich zwischen Behörden und Asylsuchenden zu vermitteln.
Die Beiträge des letzten Themenkomplexes gehen in
verschiedener Hinsicht über die Grenzen herkömmlichen
(Text-)Übersetzens hinaus. Mit dem Begriff der „performativen Übersetzungen“ (S. 174) benennt und erkundet Johannes
KANDLER solche Transformationsprozesse (bspw. Tanztheater
und kirchliche Prozessionen), in denen der menschliche Körper
als translatorisch-performatives Medium bzw. „mediales Relais“
(ebd.) dient. Vor dem Hintergrund eines erweiterten, über
die Sprachzeichen hinausgehenden Textbegriffs fokussiert der
Beitrag das Phänomen der symbolischen Handlungen (symbolic
actions), die sich epistemisch als besonders profitabel erweisen,
um den hochkomplexen Wechselbeziehungen zwischen einer
Vorlage und ihrem Performer nachzuspüren. Von der Verknüpfung mehrerer (verbaler wie nonverbaler) Ausdrucksformen und
ihrer Reorganisation im Übersetzungsprozess handelt auch der
Beitrag von Marco AGNETTA. Indem er die Herausforderungen und Potenziale der Librettoübersetzung in den Fokus
seiner Analyse rückt, zeigt er auf, wie komplex das Bündel an
Kompetenzen sein kann, das der Translator in bestimmten
Fällen aufweisen muss und das maschinellen Übersetzungssystemen – bis heute zumindest – abgeht. Im Besonderen geht
es bei M. Agnetta darum, welche syntaktischen Strategien den
Übersetzern musikgebundener Texte zur Verfügung stehen und
welche Konsequenzen diese Entscheidungen für das Eigenleben der Derivate haben. Ausgehend von einem fiktionalen
(literarisch-filmischen) Kontext, der von den übersetzerischen
Interaktionen zwischen Menschen und Außerirdischen handelt,
reflektiert Douglas RoBINSoN eindrucksvoll über die – nur
als Handlung von Humanübersetzern denkbare – „nachhaltige
Übersetzung“ (sustaining translation) und die „Übersetzung der
Nachhaltigkeit“ (translating sustainability) – der Kultur und
der Umwelt – auf der Erde.
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LARISA CERCEL, MARCo AGNETTA, TINKA REICHMANN
In Ergänzung zu den im Rahmen der Translator Studies durchgeführten geschichtlichen, kognitionswissenschaftlichen und
soziologischen Untersuchungen über den Translator bringt
der vorliegende Band eine nicht ausschließlich, jedoch dezidiert hermeneutische Perspektive in die Diskussion über die
Bedeutung, ja, Unentbehrlichkeit des Humantranslators ein.
Die hier offerierten Beiträge zielen pointiert auf solche Aspekte
der Translation – als verantwortliches, kreatives, interpretatives,
fürsorgliches, nachhaltiges Handeln – ab, die nur als Leistung
des Menschen denkbar sind. Zwischen der Translationshermeneutik und den Translator Studies zeichnen sich dadurch
wichtige Berührungspunkte sowohl in der Perspektive als
auch im Programm ab. Beides fasst Andrew Chesterman, der
Namensgeber der Forschungsrichtung, trefflich zusammen:
„the key function of translator studies may be its resistance
to the threat of the dehumanization of translation services
[...] If translator studies can contribute towards preserving and
developing the key human elements of translation, where they
are essential, that would be a respectable contribution indeed.
And we may gradually understand more of what it means for
human beings to translate” (Chesterman 2021: 244). Für diesen
Leitgedanken setzt sich auch das Forschungszentrum Hermeneutik und Kreativität ein.
Quellenverzeichnis
Berman, Antoine (1995): Pour une critique des traductions: John Donne.
Paris: Gallimard.
Cercel, Larisa (2013): Übersetzungshermeneutik. Historische und systematische Grundlegung. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag.
Cercel, Larisa (2015): „Der Übersetzer im Fokus der Übersetzungswissenschaft”. In: Gil, Alberto / Kirstein, Robert [Hrsg.]: Wissenstransfer und Translation. Zur Breite und Tiefe des Übersetzungsbegriffs.
St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag. S. 115–141.
Zum Übersetzen aus anthropozentrischer Perspektive
13
Chesterman, Andrew (2009): „The Name and Nature of Translator
Studies”. In: Hermes – Journal of Language and Communication
Studies 42. S. 13–22.
Chesterman, Andrew (2021): „Translator Studies”. In: Gambier, Yves /
Doorslaer, Luc van [Hrsg.]: Handbook of Translation Studies. Bd. 5.
Amsterdam: John Benjamins. S. 241–245.
Froeliger, Nicolas (2005): „Placer le traducteur au cœur de la traductologie”. In: Meta. Journal des traducteurs 50/4. o. S. (auf CD-Rom).
Hu, Gengshen (2004): „Translator-centredness”. In: Perspectives: Studies
in Translatology 12/2. S. 106–117.
Paepcke, Fritz (1978/1986): „Übersetzen als hermeneutischer Entwurf”.
In: Ders.: Im Übersetzen leben. Hrsg. von Klaus Berger und HansMichael Speier. Tübingen: Gunter Narr. S. 86–101.
Pym, Anthony (2009): „Humanizing Translation History”. In: Hermes
– Journal of Language and Communication Studies 42. S. 23–48.
Robinson, Douglas (1991): The Translator’s Turn. London: The Johns
Hopkins University Press.
Stolze, Radegundis (1992): Hermeneutisches Übersetzen. Linguistische
Kategorien des Verstehens und Formulierens beim Übersetzen. Tübingen: Narr.
Venuti, Lawrence (1995): The Translator’s Invisibility. A History of Translation. London: Routledge.