tät Poznań. Ihre Forschungsschwerpunkte sind
der Kunst, Fotograie und Film sowie literarische
Form anzusprechen, die es den Praktikern erlaubt, Modellbildungen und Resultate
wohnenden Möglichkeiten didaktischer Applizierbarkeit erwogen und Fragen nach
Ü e setzu gsk itik
Modelle, Perspektiven, Didaktik
UNIWERSYTET IM. ADAMA MICKIEWICZA W POZNANIU
BEATE SOMMERFELD
Ü e setzu gsk itik
Modelle, Perspektiven, Didaktik
POZNAŃ
6
Recenzent: prof. dr hab. Julian Maliszewski
© Beate Sommerfeld 2016
This edition © Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu,
Wydawnictwo Naukowe UAM, Pozna 2016
Publikacja dofinansowana przez Rektora Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza w Poznaniu
oraz Wydział Neofilologii UAM
Wydano na podstawie maszynopisu gwarantowanego
Projekt okładki: Ewa Wąsowska
Łamanie komputerowe: Eugeniusz Strykowski
ISBN 978-83-232-3112-7
WYDAWNICTWO NAUKOWE UNIWERSYTETU IM. ADAMA MICKIEWICZA W POZNANIU
UL. FREDRY 10, 61-701 POZNA
www.press.amu.edu.pl
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Wydanie I. Ark. wyd. 7,75. Ark. druk. 8,625
DRUK I OPRAWA: UNI-DRUK, LUBO , UL. PRZEMYSŁOWA 13
I halts e zei h is
EINLEITUNG UND PROBLEMAUFRISS ........................................................................................
9
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK .........................................................
13
Das Konzept der translatorischen Äquivalenz und seine Erweiterungen ...............
Der texttypologische Ansatz von Katharina Reiß .......................................................
Pragmatische Ansätze der Übersetzungskritik – Wittgenstein und die Folgen ......
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House .................................................
Covert and overt translation .....................................................................................
Heidrun Gerzymisch-Arbogast – von der „Auffälligkeit“ zur Aspektmatrix .........
Das Konzept übersetzerischen Handelns von Justa Holz-Mänttäri und seine
Auswirkungen .................................................................................................................
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann .........................................................
Die Rolle des Modell-Lesers ......................................................................................
Die Scenes-and-frames-Semantik .............................................................................
Die hermeneutischen Ansätze – Radegundis Stolze ...................................................
Kognitive Zugänge ..........................................................................................................
Der Ansatz von Sigrid Kupsch-Losereit .......................................................................
Antoine Bermans Konzept des Übersetzungsprojekts ................................................
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies .........................................................
Cees Koster, Lance Hewson .......................................................................................
Semiotische Zugänge ......................................................................................................
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2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK – NEUE
HERAUSFORDERUNGEN ...........................................................................................................
89
Audiovisuelle Übersetzung ............................................................................................
Audiodeskription .............................................................................................................
97
102
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK ............................................................
111
BIBLIOGRAFIE ...........................................................................................................................
126
6
„Eine Theorie des Übersetzens muss sich an ihrer
Theorie der Übersetzungskritik und allgemein an ihrer
Theorie der Bewertung von Übersetzungs- und
Dolmetschleistungen messen lassen. Allzu weit sind
wir bei diesen Fragen noch nicht gekommen.“
(Ammann 1990, 211).
8
Ei leitu g u d P o le auf iss
Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, einen Beitrag zur Lösung eines
Problems zu leisten, mit dem sich die Translationswissenschaft und insbesondere ihre Teildisziplin, die Übersetzungskritik, sich bereits seit längerem
beschäftigt, und zwar der Frage nach einem zuverlässigen Maßstab für die
sachgerechte Bewertung übersetzerischer Leistungen. Der stetig anwachsende Bestand an einschlägigen Untersuchungen lässt es angeraten erscheinen, den Stand der Forschung von Zeit zu Zeit kritisch zu hinterfragen und
eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dies soll in den folgenden Ausführungen
versucht werden.
Eine theoretisch fundierte Übersetzungskritik begann sich in den 70er
Jahren nach einer Phase weitgehend unreflektierter Kritik von Übersetzungen allmählich innerhalb der Übersetzungswissenschaft herauszubilden
(vgl. Kaindl 1998, 373). Das Verdienst, als erste die Funktionen und Zielsetzungen der sich etablierenden Übersetzungskritik formuliert zu haben, gebührt Katharina Reiß (1971, 7):
– Verbessern der Qualität von Übersetzungen in unserer Gesellschaft,
– Wecken des Verlangens nach besseren Übersetzungen in der Öffentlichkeit und
– Schärfen des Sprachbewusstseins und Erweiterung des sprachlichen
und außersprachlichen
Horizonts (v.a. in der Übersetzerausbildung).
Von diesen Zielen scheinen wir jedoch immer noch weit entfernt zu sein:
„Ähnlich weitverbreitet wie die Auffassung, Übersetzen könne jeder,
weil er es seit der Schule schon immer getan habe, ist auch die Sicherheit,
jeder könnte sich zur Qualität einer Übersetzung äußern. Und so wie es
schwierig ist, jemanden davon zu überzeugen, dass der Terminus
„Übersetzen“ zwar für eine bestimmte Tätigkeit in der Schule verwendet
10
Einleitung und Problemaufriss
wurde (und wird), er sich aber weder auf diese eine Art der Tätigkeit beschränken lassen muss noch über die Jahrhunderte hindurch immer
Gleiches bezeichnet hat, so schwierig scheint es für viele, zu verstehen,
dass auch die Kritik an einer Übersetzung auf anderer Basis als der reinen Intuition und persönlicher Vorliebe beruhen kann.“ (Ammann 1993,
433)
Trotz zunehmender Professionalisierung der Übersetzungskritik gilt
immer noch der Befund von Albrecht (1998, 231), dass die von der Übersetzungswissenschaft entwickelten Kriterien zur Übersetzungsevaluation von
den Literaturkritikern offenkundig nicht zur Kenntnis genommen werden.
Stattdessen bewerten die Kritiker oft nur sehr global „Sprache und Stil“ der
Übersetzung (Kuhn 199ń, 73), wobei die Bewältigung der Übersetzung an
den subjektiven Qualitätsmaßstäben des Literaturkritikers gemessen wird
und eigene Vorstellungen vom Übersetzen gegen die des Übersetzers ausgetauscht werden, ohne zu erklären, warum die eigenen Maximen dem Original besser gerecht werden (vgl. Reinart 2014, 21). Deshalb kann es vorkommen, dass die Übersetzung desselben Textes aufgrund der Subjektivität der
Bewertungskriterien sowohl positiv als auch negativ ausfallen kann (vgl.
Kuhn 1996, 71-73). Breuner (1986, 42) wagt den Befund, die feuilletonistische
Kritik gehe häufig über das Niveau von Zeitungskritiken nicht hinaus.
Die Beurteilung von übersetzerischen Leistungen ist auch deswegen
nach wie vor ein aktuelles Thema, weil die seit Jahrzehnten angestellten
Bemühungen um eine objektive Bewertung translatorischer Qualität immer
wieder an den divergierenden Auffassungen darüber scheitert, worin diese
eigentlich bestehen soll (vgl. Thome 2012, 309). Zur Feststellung der Qualität
einer Übersetzung bedarf es eines tertium comparationis, in Gestalt semantischer, sprachlicher oder formaler oder auch funktionaler Kategorien als Vergleichsgrößen, mittels deren sich ermitteln lässt, in welchem Maße der als
qualitatives Ziel gesetzte Bezugspunkt erreicht worden ist.
Was also von einer fundierten Translatkritik erwartet werden darf, ist
das Aufstellen klarer Kriterien und das Transparentmachen der eigenen
Wertmaßstäbe. Dies wird von der Übersetzungskritik seit langem eingefordert: „Die notwendige Subjektivität (der Übersetzungskritik, B.S.) findet ihre
Relativierung durch ein Vorgehen, das auf der Grundlage bestimmter theoretischer Prämissen durchgeführt und methodisch begründet wird. Die
Prämissen sind bei jeder Kritik anzugeben.“ (Ammann 1990, 213)
Um die angebotenen Übersetzungslösungen in einem Zieltext „nicht rein
subjektiv, sondern argumentativ und intersubjektiv nachvollziehbar“ bewerten zu können – wie es bereits Reiß (1989, 72) fordert – muss also zunächst
Einleitung und Problemaufriss
11
ein übersetzungstheoretischer Rahmen abgesteckt werden (vgl. Ammann
1990, 213f; House 1997, 1f). Die wichtigsten translationswissenschaftlichen
Ansätze und die daraus entwickelten Modelle für die Übersetzungskritik
sollen im Folgenden dargestellt und diskutiert werden. Dabei werden die
bestehenden Modelle einer kritischen Revision unterzogen, gerade auch im
Hinblick auf den sich gerade in neuerer Zeit anbahnenden Wandel der
Übersetzungslandschaft, die die Translatkritik vor neue Herausforderungen
stellt.
Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, ein in Forschung, beruflicher
Praxis und Lehre gleichermaßen applizierbares Instrumentarium zur Bewertung von Übersetzungsleistungen zu entwickeln. In diesem Zusammenhang
muss auf die vermittelnde Rolle verwiesen werden, die der Übersetzungskritik zwischen Translationstheorie und Übersetzungspraxis zukommt. Mit
ihr ist ein Anspruch verbunden, an dem sich die einzelnen Modelle messen
lassen müssen. Hönig (1998, 378) formuliert das Postulat, „das Thema Evaluierung in einer Form (anzusprechen), die es den Praktikern erlaubt, Modellbildungen und Resultate auf ihre Arbeit zu beziehen“. Die wissenschaftliche
Übersetzungskritik muss sich daher die Frage gefallen lassen, wieviel von
dem, was in den vergangenen Jahrzehnten erarbeitet wurde, in der Praxis
ankommt. Von der anderen Seite scheint die übersetzerische Praxis Anforderungen an die Translatkritik zu stellen, die die Theorie weiterhin übersieht. Es muss also gefragt werden, in wieweit das in der Übersetzungskritik
entwickelte Instrumentarium auf die konkrete Praxis anwendbar ist, oder ob
nicht vielmehr ein theoretischer Überbau entwickelt wurde, der in der konkreten Arbeit am Text nur wenig hilfreich ist. Stößt die Übersetzungstheorie
an ihre Grenzen, wenn beim Übersetzen pragmatische Entscheidungen getroffen werden müssen? Im Hintergrund der kritischen Revision der übersetzungskritischen Modelle steht daher die Frage, in wieweit sie in der sich
derzeit darbietenden Übersetzungslandschaft geeignet sind, die Qualität von
übersetzerischen Leistungen zu verbessern.
Die Qualität von Übersetzungen wird zuallererst mittels übersetzungsdidaktischer Anstrengungen innerhalb der universitären Lehre gesteigert.
Auch hier ist die Übersetzungskritik gefordert. Deshalb sollen die den einzelnen Modellen innewohnenden Möglichkeiten didaktischer Applizierbarkeit erwogen und die Frage nach ihrem Stellenwert in der universitären Lehre gestellt werden. Es geht dabei nicht so sehr um fertige Modelle oder
didaktische Entwürfe, vielmehr sollen – von übersetzungskritischen Modellen ausgehend – Anregungen zu ihrer didaktischen Umsetzbarkeit formuliert werden.
12
Einleitung und Problemaufriss
1
Modelle u d A sätze
de Ü e setzu gsk itik
Das Ko zept de t a slato is he Ä ui ale z
und seine Erweiterungen
Das Äquivalenz-Konzept ist der Bezugspunkt, mittels dessen die translationswissenschaftliche Forschung einen Zugang zum Problemfeld der Übersetzungsqualität sucht. Der Begriff der Äquivalenz wurde in den Ń0-er Jahren
zuerst von Casagrande (1954, 338) und Nida (1959, 11ff) in translatorischem
Zusammenhang verwendet. Äquivalenz bezeichnet allgemein die zwischen
Vorlage und zielsprachlichem Text bestehende Beziehung (vgl. House 1997, 24;
2004c, 709), eine zwischen ihnen gegebene größere oder geringere Übereinstimmung, die von Identität bis zu Abweichung reichen kann. Der Äquivalenzgrad wird in seinem Vorkommen am konkreten Original und seiner Übersetzung als Repräsentanten zweier unterschiedlicher Sprachsysteme ermittelt.
Daraus ergibt sich, dass die frühen Untersuchungen primär linguistisch
ausgerichtet sind. Sie weisen eine systemlinguistische Orientierung auf
und suchen die zwischen ausgangs- und zielsprachlichen Einheiten bestehenden Relationen zu erfassen. Die so geprägte sprachenpaarorientierte
deskriptive Übersetzungswissenschaft bestimmte über lange Zeit hinweg
die Diskussion um die Übersetzungsbewertung. Sie lief – wie Neubert (2004,
336ff) kritisch ausführt – auf das Sammeln von korrespondierenden Elementen und Äquivalenzrelationen hinaus und stellte somit eine Fortführung
kontrastlinguistischer Überlegungen dar.
Die Favorisierung des Äquivalenzparadigmas zeugt vom Optimismus
hinsichtlich der Möglichkeit, Übersetzungsleistungen objektiv bewerten zu
können, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschte, als das linguistische Paradigma in der Übersetzungsforschung seine Blütezeit erlebte:
14
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
„In the scientific and technological athmosphere of the early and midtwentieth century, there was for a time a feeling that linguistic theory
had provided a ‚scientific‘ basis for grounding translation in a way that
should eliminate subjective evaluations of ‚accuracy‘ and transfer meaning.“ (Fawcett / Munday 2009, 139).
So steht das Bestreben nach größtmöglicher Objektivierung der Übersetzungskritik im Zusammenhang mit der Ausklammerung des Problemfaktors Subjektivität bei der Evaluierung von Übersetzungsleistungen, vor deren Gefahren bereits Nida (1974, 1054) warnte. Bis heute wird seitens der
Übersetzungswissenschaft immer wieder angeraten, eine intuitive Herangehensweise an das Translat möglichst zu vermeiden (vgl. Eyckmans 2009, 75f;
Lee-Jahnke 2001, 206).
Das bekannteste Äquivalenz-Modell stammt von Werner Koller (1992,
38ff). Es werden drei Arbeitsschritte vorgesehen: Textkritik, Übersetzungsvergleich und Übersetzungsbewertung. Im Rahmen der Textkritik wird zunächst der Ausgangstext auf seine funktionalen, inhaltlichen, sprachlich-stilistischen, formal-ästhetischen und pragmatischen Merkmale hin untersucht.
Die Analyseergebnisse sind Basis für eine Hierarchie von Äquivalenzanforderungen, die als denotative, konnotative, textnormative, pragmantische
und formal-ästhetische definiert weren. Zugleich sind sie Ausgangspunkt
für den Textvergleich in Bezug auf die lexikalisch-semantischen, syntaktischen und textuellen Faktoren. Die Ergebnisse der Analyse fließen in die
abschließende Bewertung ein, deren Skalierung von adäquat bis nicht adäquat reicht. Wenn Koller allerdings in Bezug auf die von ihm veranschlagte
formal-ästhetische Äquivalenz vorsichtig von „Gleichwertigkeit“ als von
„Gleichheit“ spricht, ist dies als Hinweis auf die Grenzen seines ÄquivalenzModells für literarische Texte zu werten.
Wenn auch der epistemologische Nutzen einer objektiven Bewertbarkeit
auf der Hand liegt, ist somit zu fragen, in wieweit das Äquivalenzkriterium
für die Evaluation der Übersetzung literarischer Texte als ausreichend angesehen werden kann. Das Äquivalenz-Modell induziert eine weitgehend
punktuelle Herangehensweise an den Text (vgl. Sommerfeld 2015), der
Übersetzungsvergleich kann allerdings nur dann seine Aufgaben objektiv
und angemessen erfüllen, wenn er einen holistischen Blick auf die Texte
wirft und sich nicht nur auf die punktuelle Analyse ausgewählter Problemstellen konzentriert (vgl. Albrecht 2004, 172), denn besonders beim übersetzerischen Umgang mit Stilphänomenen, soziolektalen Markierungen oder
anderen Sprachvarietäten oder auch sprachspielerischen Elementen kommt
Das Ko zept de t a slato is he Ä ui ale z u d sei e E
eite u ge
15
häufig die Strategie der Kompensation bestimmter ästhetischer Merkmale
an anderen Stellen zum Tragen.
So wurde das Äquivalenz-Konzept denn auch im Zuge der Translationswissenschaft Stück um Stück relativiert bzw. eingeschränkt oder entkräftet. Während Koller (1992) von der Möglichkeit der Umkodierung sprachlicher Zeichen ausgeht, sprechen Reiß/ Vermeer (1984) von der Übertragung
des „Informationsangebots“ einer Ausgangssprache in ein „Informationsangebot in der Zielsprache. Baker (1992, 5f) verwendet den Begriff der Äquivalenz im Rahmen ihres translationsdidaktisch, d.h. auf die Vermittlung von
übersetzungsrelevantem, sprachwissenschaftlich-kontrastlinguistisch ausgerichteten Ansatzes aus einer praktischen Perspektive: „(…) the term equivalence is adopted in this book fort he sake of convenience – because most
translators are used to it rather than because it has any theoretical status“.
Dazwischen ist der Ansatz von Nida (1964) anzusiedeln, der Äquivalenz
als Reproduktion einer Botschaft in das „closest natural equivalent“ der
Zielsprache auffasst. Nida will so der systemlinguistischen Erstarrung der
Übersetzungswissenschaft entgegenwirken: „no translation in a receptor
language can be the exact equivalent oft he model in the source language“
(Nida 1959, 13). Sein Konzept einer dynamischen Äquivalenz trägt den unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten in Ausgangs- und Zielkultur
Rechung, die eine flexible Handhabung der Äquivalenzanforderung erforderlich machen, um ein natürlich klingendes Translat zu erstellen: „A translation of dynamic equivalence aims at complete naturalness of expression,
and tries to relate the receptor to modes of behaviour relevant within the
context of his own culture“ (Nida 19ń4, 1Ń9). Damit rückt der Übersetzungsvorgang bereits bei Nida als ein kommunikativer Akt in den Blick.
Catford (1965, 27) spricht von dem äquivalenten „Ersatz“ eines Textmaterials von einer Sprache in die andere und bringt den Terminus der textuellen Äquivalenz ins Spiel, die er von formalen Korrespondenzen unterscheidet. Textuelle Äquivalenz sieht er als gegeben an, wenn ausgangs- und
zielsprachliche Texteinheiten in den jeweils gleichen situativen Kontexten
die gleiche semantische Funktion ausüben (ebd., 3ń). Indem die kommunikative und situative Bedingtheit in den Blick genommen wird, soll der
Formalismus des Äquivalenz-Konzept überwunden werden.
Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zum Konzept der kommunikativen Äquivalenz, wie es von den Vertretern der sog. Leipziger Schule entwickelt wurde, das sowohl sprachliche und textspezifische, als auch soziolinguistische und psychologische Faktoren umgreift (Kade 1980, 85ff).
Erklärtes Ziel ist es, den im A-Text enthaltenen kommunikativen Wert an
16
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
den zieltextlichen Rezipienten weiterzutragen. So sieht Kade (1968, 9) Äquivalenz als erzielt an, wenn „der für den kommuniaktiven Erfolg relevante
gemeinsame Durchschnitt von Effekten bei L1-Empfängern und Effekten bei
L2-Empfängern erreicht wird“.
Trotz seiner Beschränkungen bildet das Äquivalenz-Konzept in seinen
Ausdifferenzierungen die methodologische Basis weiterer übersetzungskritischer Modelle, insbesondere der integrativen Ansätze, die für Sach- und
literarische Texte gleichermaßen entwickelt wurden.
De te tt pologis he A satz o Katha i a Reiß
Der Ansatz von Reiß geht den bereits von Nida und Catford beschrittenen
Weg weiter, indem sie mit ihrer übersetzungsrelevanten Texttypologie der
situativen bzw. kommunikativen Einbettung von Texten Rechnung trägt.
In ihrer Studie Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik (1971) legt
sie den ersten systematischen Grundstein zu einer fundierten Übersetzungskritik. Ausgangspunkt für ihren übersetzungskritischen Ansatz, der in
Deutschland besonders richtungsweisend wurde (vgl. Nord 1996; Lauscher
2000), ist eine übersetzungsrelevante Texttypologie. Neben den sprachlichen
Merkmalen berücksichtigt Reiß auch die textexternen Determinanten (Situations-, Sach-, Zeit-, Orts- und Empfängerbezug), die die „sprachliche Gestaltung“ von Original und wie Übersetzung entscheidend beeinflussen
(Reiß 1971, ń9ff), so dass sie „in ihrer Auswirkung auf semantischer, lexikalischer, grammatischer und stilistischer Ebene berücksichtigt werden müssen“
(ebd., 56).
Für Reiß gilt zwar als Bewertungsmaßstab die Äquivalenz – es gilt die
Maxime: „Keine Kritik ohne Vergleich mit dem Original“ (Reiß 1971, 17),
das Novum liegt darin, dass Reiß – wie im Anschluss Wills (1974, 1977) oder
Newmark (1988, 1991) – aus den inhaltlichen und sprachlich- stilistischen
Merkmalen der Vorlage den Maßstab für die Bewertung deren zielsprachlicher Wiedergabe gewinnen. Äquivalenz ist demnach erzielt, wenn im Translat die charakteristischen Gegebenheiten des Ausgangstextes respektiert
werden. Das von Reiß entwickelte übersetzungskritische Modell beginnt
demnach mit einem holistischen Blick auf das Textganze.
Im Rahmen ihres Modells erarbeitet Reiß somit drei Kategorien der
Übersetzungskritik, in Bezug auf welche eine Äquivalenz erzielt werden soll:
– die literarische (übersetzungsrelevante Texttypologie),
– die sprachliche (innersprachliche Instruktionen) und
– die pragmatische (außersprachliche Determinanten),
wobei die Reihenfolge der drei Kategorien das Aufeinanderfolgen der
Arbeitsschritte vorgibt. Eine Übersetzungskritik ist somit nur als schgerecht
zu beurteilen, „wenn ihre Kriterien den Kategorien des Texttyps und der
18
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
textimmanenten innersprachlichen Instruktionen und der außersprachlichen
Determinanten entnommen sind“ (1971, 11Ń).
Die übersetzungsrelevante Texttypologie differenziert Texte nach ihrer
jeweils in ihnen dominierenden kommunikativen Funktion. Sie geht dabei
von Karl Bühlers (1934, 1978) Unterscheidung der drei Hauptfunktionen der
Sprache aus: der Darstellung, des Ausdrucks und des Appells. Die von Reiß
veranschlagten Typen sind
– der inhaltsbetonte Texttypus,
– der appellative (operative) Texttypus,
– der expressive (formbetonte) Texttypus.
Wird der Texttyp ermittelt, so bietet dies die Grundlage „die Methode
des Übersetzens und die Rangfolge des in der Zielsprache (ZS) zu Bewahrenden“ (ebd., 34) festzulegen. Die erste der von Reiß veranschlagten Kategorien der Übersetzungskritik ist somit die Anpassung der übersetzerischen
Methode sowie der Hierarchie der Invarianzforderungen an den zu übersetzenden Texttyp: bei inhaltsbetonten Texten ist in erster Linie die Bewahrung der informativen Elemente geboten, bei formbetonten, expressiven
Texten sollte vor allem die Analogie der Form gewahrt bleiben und bei
appellbetonten Texten ist es besonders wichtig, beim Übersetzungsvorgang
auf den außersprachlichen Effekt zu achten, auf den der Text abzielt (ebd.,
52f). Außer diesen Texttypen bestimmt Reiß noch einen weiteren, den multimedialen, auf den im weiteren Teil der Arbeit eingegangen wird.
Wenn der Kritiker mit der Ermittlung des Äquivalenzgrades die literarische Fundierung seines Urteils abgeschlossen hat, kann er zur sprachlichen
Kategorie übergehen und als zweite übersetzungskritische Kategorie die
„innersprachlichen Instruktionen“ überprüfen (ebd., 54). Damit sind
die semantischen, lexikalischen, grammatischen und stilistischen Merkmale
des Ausgangstexts sowie ihre Wahrung im Zieltext gemeint: „In bezug auf
diese innersprachlichen Instruktionen untersucht nun der Kritiker bei den
semantischen Elementen die Äquivalenz, bei den lexikalischen die Adäquatheit, bei den grammatikalischen die Korrektheit und bei den stilistischen die Korrespondenz“ (ebd., 68f).
Die beiden Kategorien sind jedoch nicht isoliert zu betrachten: aus der
Ermittlung des Texttyps ergeben sich Hinweise darauf, in welcher Abfolge
und Gewichtung die innersprachlichen Instruktionen beachtet werden sollten (vgl. ebd., 69). Aus ihrer Missachtung ergeben sich im Bereich der Semantik beispielsweise die „Verkennung von Polysemien oder Homonymien,
mangelnde Deckungsgleichheit zwischen ausgangs- und zielsprachlichen
Übersetzungseinheiten, Falschinterpretationen und eigenmächtige Änderungen am Original“ (ebd., 58). Die lexikalische Ebene betrifft Probleme wie
De te tt pologis he A satz o Katha i a Reiß
19
die entsprechende Abstufung von Fachsprachlichkeit, Homonymie, Metaphern u.s.w. Im Bereich der grammatikalischen Instruktionen wird die übersetzerische Wiedergabe grammatischer Strukturen im Hinblick auf die semantisch und stilistisch relevanten Aspekte untersucht. Zu den stilistischen
Faktoren gehören Faktoren wie der Personal- oder Epochenstil, Stilmischungen, Stilbrüche u.ä.
Die dritte von Reiß etablierte Kategorie der Übersetzungskritik umfasst
die pragmatische Ebene der zu übersetzenden Texte. Zu den außersprachlichen Determinanten, die auf die sprachliche Gestaltung des Translats Einfluss haben, gehört zunächst der engere Situationsbezug (beispielsweise im
Rahmen einer Romanhandlung). Eine adäquate Übersetzung kann nur zustande kommen, wenn sich der Übersetzer in die Situation der sprechenden
Figuren hineinversetzt (vgl. ebd., 72). Neben dem Situationsbezug ist dem
Sachbezug (die für eine Übersetzung notwendige Sachkenntnis) sowie dem
Zeitbezug und Ortsbezug eines Textes in ihren Auswirkungen für die Übersetzung Rechnung zu tragen. Mit letzterem meint Reiß vor allem die Kulturspezifik. Ebenfalls in die Kategorie der außersprachlichen Bedingungen fällt
der Empfängerbezug eines Textes, die Sprecherabhängigkeit (d.h. die außersprachlichen Faktoren, die die Sprechweise von Autor und seinen Figuren
bzw. Erzählinstanzen beeinflussen) sowie die affektiven Implikationen, die
über die Sprache vermittelt werden.
Das Modell von Katharina Reiß besticht zunächst durch seine Einfachheit und Übersichtlichkeit, indem bei der Übersetzungsevaluation von der
Möglichkeit der Zuordnung des Textes zu einigen wenigen Texttypen ausgegangen wird. Gerade durch diese Grobmaschigkeit des von Reiß als übersetzungsrelevant veranschlagten Texttypenrasters macht sich das Modell
aber auch angreifbar. So werden wichtige Textfunktionen im Modell von
Reiß außer Acht gelassen, wie z.B. die phatische Funktion, die sich auf die
Art und Weise bezieht, wie im Text der Kontakt zwischen Sender und Empfänger gestaltet ist (vgl. dazu Nord 2011, 185ff). Auch in literarischen Texten
vollzieht sich ein Kontakt zwischen Sender (Autor bzw. Erzählerfunktion)
und Rezipienten, der in der Übersetzung berücksichtigt werden muss und
mit den von Reiß postulierten Texttypen nicht zu greifen ist (vgl. KupschLosereit 1991, 80f).
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Grundannahmen, auf denen Reiß’
Typologie basiert. Reiß geht davon aus, dass in jedem Text eine der drei
Grundfunktionen von Sprache vorherrschend ist. Gerade dies kann aber
bezweifelt werden. So vertritt bereits Friedmar Apel (1983, 9) die Auffassung, dass „kaum ein Text denkbar ist, für den der Primat des Inhalts gegenüber der Form ausschließlich gilt“. Nord (1991, 24) geht vom Normalfall
20
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
aus, dass nahezu jeder Text mehrere Funktionen zugleich erfüllt, weshalb sie
Übersetzungsevaluationen, die auf Texttypologien beruhen, ablehnt.
Gerade der Einwand von Nord zeigt, aus welcher Richtung das texttypologische Modell der Übersetzungskritik meist kritisiert wird. Indem
Reiß davon ausgeht, dass den zu übersetzenden Texten jeweils eine Basisfunktion immanent ist, verkennt sie, dass der Übersetzung ja erst im Übersetzungsprozess eine Funktion zugeschrieben wird, eine Grundüberzeugung, auf der die funktionsorientierte Schule des übersetzerischen
Handelns basiert. Dies wird deutlich, wenn sie zwar neben den genannten
Kategorien eine weitere, von ihr so genannte funktionale Kategorie der
Bewertung von Übersetzungsleistungen aufführt. Diese beinhaltet zwar
eine Veränderung der Zieltextfunktion gegenüber der Funktion des Ausgangstextes, stellt jedoch – im Gegensatz zu Vermeers scopos keine wirkliche vom Übersetzer zu wählende Option dar, sondern vielmehr eine
Nichteinhaltung der Übersetzungsvorgabe (vgl. Reiß 1971, 93ff). Mit ihrem
in den 70-er Jahren erstellten Modell lässt sich die Praxis modernen Übersetzens nicht mehr greifen, in der Übersetzungsaufträge ja zunehmend
häufig auf dem Erstellen von Resümees oder Inhaltsangaben, Rohübersetzungen, Popularisierungen, Adaptationen und Bearbeitungen beruhen
(vgl. Schreiber 2006, 388), bei denen sich die Funktion vom Ausgangstext
zum Translat verschiebt.
Dies wird von Prunč (2003, 27) hervorgehoben:
„Zusammenfassungen, Auszüge, Texterweiterungen, freies Nach- und
Neuvertexten von anderssprachigem Informationsmaterial für verschiedene Zielgruppen, kulturelle Anpassung von Werbetexten und Webseiten gehören immer häufiger zu den selbstverständlichen Tätigkeitsfeldern aktiver TranslatorInnen“.
Solche funktionsvarianten Übersetzungen klammert Reiß aus ihren
Überlegungen aus (Reinart 2014, 48f). Ihr texttypologischer Ansatz orientiert sich am Ausgangstext und nicht am Zieltext. Aber auch, wenn man
dies in Rechnung stellt, können weitere Einwände formuliert werden,
denn das grobe Raster der zur Disposition gestellten Texttypen verstellt
den Blick auf die Komplexität des Ausgangstexts und kann ganz gewiss
nicht eine genauere übersetzungsrelevante Textanalyse ersetzen. Gerade
im Hinblick auf literarische Texte betont Jörn Albrecht: „Übersetzungskritik kann nur in Abhängigkeit von Textanalyse betrieben werden“ (Albrecht
1998, 232).
P ag atis he A sätze de Ü e setzu gsk itik – Wittgenstein und die Folgen
21
Prag atis he A sätze de Ü e setzu gsk itik –
Wittgenstein und die Folgen
Mit ihrer Öffnung für die kommunikativen bzw. funktionalen Implikationen
bereiten Nida (1964), Catford (1965) und auch der texttypologische Ansatz
von Reiß (1971) die Erweiterung des Äquivalenzkonzepts um die pragmatische Perspektive vor, die dann beispielsweis in das Äquivalenz-Modell von
Werner Koller aufgenommen wurde, der neben der denotativen, konnotativen, textnormativen und formal-ästhetischen auch von einer pragmatischen
Äquivalenz spricht (Koller 1992, 214ff).1
Die Definition von Pragmatik besagt: Der Gebrauch entscheidet über den
Referenten des Zeichens, oder anders: Die Gebrauchsbedingungen sind Teil
der Bedeutung (Albrecht 2009, 33). Damit ist das Terrain vorbereitet für
die Sprechakttheorie, einen der Bereiche der linguistischen Pragmatik. Von
der linguistischen Pragmatik her gedacht bedeutet dies: Es muss das berücksichtigt werden, was zu einer Äußerung hinzukommt: Sprechsituation,
Hintergrundwissen, also der Kontext in einem allgemeinen Sinn (Albrecht
2005, 216).2
Mit der Hervorhebung der pragmatischen Ebene der Übersetzung geht
das Hintanstellen der für Äquivalenz bis dahin geltende semantischen Relation zwischen Vorlage und Übersetzung – ja, bei entsprechender Verabsolutierung – des Originals überhaupt einher. Dieses wird von dem mit Jäger
(197Ń) einsetzenden und von Forschern wie Hönig/ Kussmaul (1982), Reiß/
Vermeer (1984) und Kussmaul (199Ń) weitergeführten funktionalistischen
bzw. handlungstheoretischen Ansatz in der Translationswissenschaft als
zweitrangig betrachtet, da hier der kommunikative Zweck der Übersetzung
das Hauptkriterium für deren Bewertung angesehen wird. Nur die Funktion
________________
Jäger (19ń8, 38; 197Ń, 87) spricht von funktioneller Äquivalenz.
Vgl. dazu die von Catford (19ńŃ, 34) eingeführte Unterscheidung von „co-text“ und
„context“.
1
2
22
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
unter Berücksichtigung der besonderen Kommunikationssituation bestimmt
die übersetzerischen Entscheidungen.
Wittgenstein legte seinen Begriff von Sprache anhand zahlreicher selbstformulierter Sprechsituationen dar, und bezeichnete es als die Hauptaufgabe der Sprachphilosophie, die „Alltagssprache und ihre Regeln zu untersuchen“ (Wittgenstein 1984, §§ 122-132). Wenn man sprachliche Ausdrücke
auf ihre konkreten Verwendungen hin untersucht, dann muss man diese
Verwendung auch als Teil ihrer Bedeutung ansehen. Die Bedeutung eines
Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ (ebd., § 43) Wittgenstein fasst den
Zusammenhang zwischen Sprechen und Handeln unter den Begriff des
„Sprachspiels“: „Ich werde auch das Ganze der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ‚Sprachspiel‘ nennen.“ (Ebd., § 7) Das
Sprachspiel wird also als ein Komplex verstanden, in dem Sprechen und
Handeln wechselseitig aufeinander bezogen sind. „Worte sind auch Taten“
(1984, § 546).
Verstehen heißt also für Wittgenstein, den Gebrauch eines Ausdrucks über
die Grenzen der verschiedenen Sprachspiele hinweg zu kennen, in denen er
vorkommt. Seinen Gebrauch kennen heißt, über die Fähigkeit zu verfügen, die
Regeln für die Verwendung des Ausdrucks in diesen verschiedenen Sprachspielen zu befolgen. Eine Regel zu befolgen bedeutet zudem, die Praxis der
Regelbefolgung selbst zu verstehen. Verwirrungen entstehen aus dem Missbrauch der Sprache oder aus Missverständnissen über ihre Natur. Mit einer
falschen Auffassung der Arbeitsweise der Sprache laufen wir Gefahr, in Verwirrung zu geraten. Wir verwenden irrtümlich einen Ausdruck ohne Rücksicht auf den Kontext, in dem er normalerweise seine Aufgabe erfüllt.
Regelbefolgung ist kein innerer Prozess, in dem so etwas wie ein Kalkül
begriffen wird, der etwa objektive Richtigkeitsstandards vorgeben würde,
sie wird vielmehr als eine Praxis begriffen, die in die Gebräuche und Übereinstimmungen innerhalb einer Gemeinschaft eingebunden ist. Damit ist das
Verstehen als Regelbefolgung eine öffentliche, keine private Angelegenheit.
Möglich sind Regeln nur, weil sie auf Übereinstimmung gründen, eine Regel
korrekt zu befolgen heißt, sich an die vorgegebenen Praktiken der Gemeinschaft zu halten.
Kurz gesagt, ist die Sprache Teil des Gewebes einer umfassenden Lebensform. Unter der Lebensform versteht Wittgenstein den zugrundeliegenden
Konsens in sprachlichem und nichtsprachlichem Verhalten, in Annahmen,
Praktiken, Traditionen und natürlichen Neigungen, die Menschen als soziale
Wesen miteinander teilen. Damit ist die Lebensform der Bezugsrahmen, in
dem wir uns zu bewegen lernen, wenn wir die Sprache unserer Gemeinschaft
erlernen, diese Sprache zu lernen heißt somit, die Einstellungen, Überzeugun-
P ag atis he A sätze de Ü e setzu gsk itik – Wittgenstein und die Folgen
23
gen und Praktiken lernen, mit denen diese Sprache untrennbar verbunden ist
und von welcher her ihre Ausdrücke erst Sinn bekommen.
Der Begriff der Lebensform ist eng mit der wesentlich öffentlichen Natur
der Sprache nach Wittgenstein verknüpft. In den Philosophischen Untersuchungen (§ 243-363) behandelt Wittgenstein die Frage der Möglichkeit von
Privatsprachen als Sprachen, die ein einzelner Mensch konstruieren könnte,
mittels derer er sich mit sich selbst über sein prinzipiell für andere unzugängliches Innenleben und seine Empfindungen unterhalten könnte (ebd.,
§ 356). Gegen diese Konzeption einer logisch privaten Sprache wendet sich
Wittgenstein in den erwähnten Punkten der Philosophischen Untersuchungen:
Das Verstehen einer Sprache bedeutet, die Fähigkeit zu besitzen, die Regeln
ihrer Verwendung zu befolgen, eine private Befolgung einer Regel kann es
aber nicht geben. Wenn man davon ausgeht, dass das Sprechen einer Sprache die Teilhabe an einer Lebensform ist, dann heißt dies, dazu erzogen zu
werden, und eine solche Erziehung muss ganz offensichtlich in einer Öffentlichkeit vor sich gehen, denn sonst wäre sie gerade keine Erziehung
zur Teilhabe an der Lebensform, die der Sprache erst Bedeutung verleiht
(vgl. ebd., § 244, § 2Ń7, § 283)
Das Konzept der Sprachspiele aus der Spätphilosophie Wittgensteins
bildet die Grundlage der Sprechakttheorie. Deren Relevanz für die Übersetzungsforschung wurde bereits erwiesen (vgl. Albrecht 2006, 214ff). Das
Konzept erweist sich für die übersetzungskritische Betrachtung als fruchtbar, weil es zumindest für einen Teil der Sprachverwendungen erklärt, warum an der Sprachoberfläche korrekt übertragene sprachliche Einheiten von
zielsprachlichen Empfängern nicht unbedingt in der intendierten Weise verstanden werden. Die Einzelsprachen unterscheiden sich oft darin, welche
Sprechakte in welcher Kommunikationssituation bevorzugt verwendet werden. Da aber ein Sprechakt nur dann die intendierte kommunikative Funktion erfüllen kann, wenn die Regeln für seine Ausführung bekannt sind,
kommt es beim Nichterkennen der Regeln zu einem „Bedeutungskurzschluss“, denn das Gemeinte kann nicht erschlossen werden. Sprechakte
stellen also deshalb für den Übersetzer eine besondere Herausforderung dar,
weil „der Indikator der illokutionären Rolle einzelsprachlich spezifisch kodiert wird und somit für den unerfahrenen Übersetzer nicht unmittelbar zu
erkennen ist“ (Albrecht 200Ń, 21ń). Für die Übersetzungskritik bedeutet dies,
dass überprüft werden muss, ob der Übersetzer die Informationen, die sich
ihm an der Textoberfläche darbieten, von der Bedeutung, die ihnen im Text
zukommt, zu unterscheiden imstande ist, und ob er in der Zielsprache
adressatengerechte Vertextungsmittel findet.
24
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Der Übersetzer muss die Sprachspiele der jeweiligen Sprachgemeinschaften beherrschen. Verstehen heißt im Übersetzungsprozess, die Gebrauchsarten zu verstehen. Falsches Übersetzen wäre demnach, irrtümlich
einen Ausdruck ohne Rücksicht auf den Kontext zu verwenden, in dem er
normalerweise seine Aufgabe erfüllt. Er muss sich aber auch über die Natur
der Sprache im Klaren sein, die in der Regelbefolgung von Sprachspielen
besteht. Fehlübersetzungen oder Missverständnisse beim Übersetzen entstehen demnach aus dem Missbrauch der Sprache oder aus Missverständnissen
über die Natur der Sprache.
Das Konzept der Lebensform bezeichnet die Grundschwierigkeit des
Übersetzens. Übersetzende sind wie alle Mitglieder einer Gemeinschaft in
die Lebensform hineinverwachsen, sie können sie nicht transzendieren. „Die
Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ – so pointiert Wittgenstein diesen Sachverhalt. Diese Schwierigkeit, eine Meta-Position gegenüber den Sprachspielen einzunehmen, betrifft natürlich auch den Übersetzungskritiker.
Wittgensteins Sprachphilosophie erweist ihre Fruchtbarkeit für die
Übersetzungswissenschaft und Übersetzungskritik insbesondere, wenn man
seine in den Philosophischen Untersuchungen angestellten Überlegungen zur
Möglichkeit von „Privatsprachen“ ergänzend heranzieht. Dann gewinnt
man ein Beschreibungsmodell für die grenzüberschreitende Dynamik literarischer Texte. Gerade literarische Texte bewegen sich im Spannungsfeld
von Privatsprache und öffentlich geregeltem Sprachgebrauch. Sie sind einerseits durch idiosynkratische Abweichungen von den in einer Sprachgemeinschaft etablierten pragmatischen Regeln für den Sprachgebrauch gekennzeichnet, anderseits blieben sie diesen jedoch verhaftet – andernfalls wären
sie unverständlich. Dieser Balanceakt muss vom Übersetzer erkannt und
entsprechend in der Übersetzung nachvollzogen werden.
Das Konzeptwerkzeug Spiel (Stolze 2015, 92) liefert damit ein Modell
menschlichen Handelns, soweit dessen dynamische Struktur durch menschliche Interaktion entsteht, diese aber auch zugleich beherrscht und verändert. Alle Spiele beruhen auf regelhaften Strukturen, doch diese unterliegen
durch die Interaktion mit anderen Spielern einem beständigen Wandel. Die
dynamischen Strukturen von Spielen liefern uns ein Modell für die beständige Überschreitung von Sprachregeln und –normen, wie es in der literarischen Übersetzung geschieht, gleicht doch, wie Stolze (ebd., 93) schreibt,
„die Beweglichkeit der Regeln der Sprachspiele jenen durchlässigen Strukturen und Wertesystemen von Kulturen, und hier finden wir ein Modell,
das die Interaktion zwischen Kulturen zu erklären hilft“. In einem verwand-
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
25
ten Sinne kann Paepcke (1981, 121) vom „Übersetzen zwischen Regel und
Spiel“ schreiben.
Damit verweist uns ein Rückblick auf Wittgensteins Sprachphilosophie
nicht nur auf die kommunikative Verfasstheit von Sprachhandeln, sondern
auch auf die Dynamik von Regel und Regelüberschreitung, die literarische
Texte auszeichnet.
26
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
Eine Verbindung von pragmatischen und linguistischen Parametern versucht sas übersetzungskritische Modell von House, das sie sechs Jahre nach
dem texttypologischen Ansatz von Reiß entwickelte (A Model for Translation
Quality Assessment, House 1977) und später ausbaute (Translation Quality
Assessment: A Model Revisited, House 1997). House’s Ansatz ist wie das Reißsche Modell im Wesentlichen auf den Ausgangstext hin orientiert. House
gewichtet im Unterschied zu Reiß stärker den pragmatischen Aspekt des
Übersetzens, indem sie die situativen Faktoren der Kommunikation und die
Einbettung eines Textes in eine bestimmte Kultur integriert, wobei sie jedoch
die von Reiß angenommene Gleichsetzung von Sprachfunktion und Textfunktion bzw. Texttyp (vgl. House 1997, 36) kritisiert. Den linguistisch ausgerichteten Teil ihres translationsevaluativen Ansatzes ergänzt sie durch
Anregungen und Erkenntnisse aus der Sprechakttheorie bzw. Diskursanalyse, aus denen sie die für sie zentralen Dimensionen des Sprachverwenders
und der Sprachverwendung herleitet.
In einer pragmalinguistischen Analyse des Ausgangstextes soll ein Diskursprofil erstellt werden, das Grundlage der Bewertung der Übersetzungsleistung ist. Sprache bzw. Text werden dabei in drei übersetzungs- und
übersetzungskritisch relevante Bereiche unterteilt: Register, Genre und individuelle Textfunktion (vgl. ebd., 108). Alle drei Bereiche werden im
Rahmen der Textpragmatik bestimmt. Das Register bezieht sich darauf,
inwiefern der situative Kontext auf die sprachliche Realisierung Einfluss
nimmt und fokussiert damit den Handlungszusammenhang, in dem der
Ausgangstext entsteht (vgl. ebd., 105). House unterteilt das Register in drei
Unterkategorien „field“, „tenor“ und „mode“:
– field meint die inhaltlich-thematische Ausrichtung des Textes mit seinem jeweiligen Fachlichkeitsgrad,
– tenor meint die situativen Faktoren der Kommunikationsteilnehmer,
das emotionale Verhältnis zwischen Autor und Adressat, die zeitliche,
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
27
geographische und soziale Situation des Senders sowie seine Einstellung zum Thema und seine kommunikative Intention,
– mode meint das Kommunikationsmedium in seinen Manifestationen
Mündlichkeit/ Schriftlichkeit, Involviertheit/ Informationsorientiertheit, Explizitheit/ Situationsabhängigkeit, Abstraktheit/ Konkretheit,
sowie die Anzahl der Kommunikationsteilnehmer (monologisch vs.
dialogisch). Dabei werden einfache Realisierungsformen (wenn ein
geschriebener Text gelesen werden soll) von komplexen Darbietungskonstellationen unterschieden (wenn beispielsweise ein geschriebener
Text zur mündlichen Präsentation gedacht ist).
Diese drei Subkategorien des field sollen auf mehreren Ebenen (lexikalischer, syntaktischer, textueller) analysiert werden.
Neben dem Register unterscheidet House als weitere Kategorie der
Übersetzungskritik das genre, womit die Zugehörigkeit zu einer Textsorte
gemeint ist. Definition: „genre is a socially established category characterized in terms of occurence of source and a communicative purpose or any
combination of these“ (ebd., 107). Die beiden Kategorien Register und Textsorte ergeben gemeinsam die von House so genannte individuelle Textfunktion, die wiederum in Anlehnung an Halliday (1973; vgl. Atayan 2010, 16ff)
in eine referenzielle, inhaltsbezogene und eine interpersonelle, beim Leser
Reaktionen hervorrufende Funktion unterteilt wird (House 1997, 35).
Wie das Modell von Reiß ist auch das von House entwickelte integrativ
und umfasst sowohl Sachtexte als auch die Literaturübersetzung. Es werden
entgegen den in der Literaturwissenschaft etablierten Begrifflichkeit übergreifenden Kategorien wie des Texttyps (Reiß) oder Genre (House) entwickelt. Dies erscheint berechtigt, da zugleich auch andere mediale Formen
wie der Film in diesen Kategorien mit aufgehoben sind. So ist ja in der
Filmwissenschaft herausgebildete Aufgliederung in Subgattungen nicht
unbedingt mit der literaturwissenschaftlichen deckungsgleich.
Bei der Ü-Bewertung sollen folgende Schritte eingehalten werden:
– Analyse des A-Textes und Ermittlung seiner Funktion
– Vergleich von A- und Z-Text
– Feststellung der Qualität.
Nach dem Durchführen der pragmalinguistischen Analyse des A-Textes
sollen in einem Beim zweiten Schritt die Nichtübereinstimmungen (mismatches) zielsprachlicher Lösungen mit der Art der von ihr auf textanalytischem
Wege in der Vorlage als maßgeblich ermittelten inhaltlichen, sprachlichen
und interpersonalen Kategorien herausgefiltert werden. Diese werden als
covertly erroneous errors gekennzeichnet und von den offensichtlichen fehlerhaften Entscheidungen des Übersetzers unterschieden, die overtly erroneous
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
28
errors, unter die beispielsweise denotative Abweichungen oder Verstöße
gegen das zielsprachliche System gefasst werden. Eine Unterscheidung, die
einleuchtend erscheint und nochmals auf die übergeordnete Rolle des scopos in der Übersetzungskritik abhebt.
Kritisch anzumerken ist, dass das Modell recht komplex ausfällt, die einzelnen von House eingeführten Kategorien jedoch sehr grobmaschig sind. In
diesem Sinne ist die Kritik von Frank (1986, 339) zu verstehen:
„While developing an overwhelmingly complex analytical machinery,
House has lost sight of the inner differenciations of a literary work. Treating as she does a work as a linguistic field, she fails to notice such literary features as changes in the narrator’s perspective, differenciation
between narrator’s and character’s utterances, forms of structural irony,
or the interplay of different styles.“
Die hier formulierte Kritik zielt allerdings auf alle integrativen übersetzungskritischen Modelle. Die Schwierigkeit, gemeinsame Parameter für
Fachübersetzen und literarische Texte zu entwickeln, führt auch der Integrative Approach von Snell-Hornby (1994, 16ff) vor Augen, der mittels der Zwischenkategorie gemeinsprachliches Übersetzen die methodologische Kluft von
Fach- und literarischer Übersetzung überwinden will.
Positiv zu bewerten ist mit Sicherheit die in etwa gleiche Gewichtung
von linguistischen und pragmatischen Parametern, wobei House auf Halliday (1973) zurückgreift, der einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf
die moderne Übersetzungspragmatik ausübte und später – wie noch zu zeigen ist – auch in den semiotischen Ansätzen fruchtbar gemacht wird.
Covert and overt translation
Besonders innovativ ist die von House eingeführte Unterscheidung von
„overt translation“ und „covert translation“ (House 1997, 111-115), die den
Typ der Übersetzung bestimmen hilft, der wiederum einen Bezugsrahmen
dafür bietet, welche Bereiche und Kategorien in der Übersetzung äquivalent
gehalten werden sollen. Die verdeckte Übersetzung charakterisiert sich
dadurch, dass sie nicht als Übersetzung erkennbar wird und in der Zielkultur den Status eines Originals erhält. Man könnte diesen Übersetzungstyp
damit in etwa mit der von Lévy (1969, 31f) postulierten „illusionistischen“
Übersetzung vergleichen:
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
29
„Der illusionistische Übersetzer verbirgt sich hinter dem Original, das er
gleichsam ohne Mittler dem Leser mit dem Ziel vorlegt, bei ihm eine
übersetzerische Illusion zu wecken, die Illusion nämlich, dass er die Vorlage lese. In allen Fällen handelt es sich um eine Illusion, die sich auf ein
Einvernehmen mit dem Leser oder mit dem Zuschauer stützt. Der Theaterbesucher weiß, dass das, was er auf der Bühne sieht, nicht die Wirklichkeit ist, er verlangt jedoch, dass es wie die Wirklichkeit aussehen soll;
der Romanleser weiß, dass er eine gedachte Geschichte liest, aber er fordert, dass der Roman sich an die Regeln der Wahrscheinlichkeit hält.
So weiß auch der Leser einer Übersetzung, dass er nicht das Original
liest, aber er verlangt, dass die Übersetzung die Qualität des Originals
beibehalte.“
Damit dies funktionieren kann, müssen beim Typus der verdeckten Übersetzung häufig „kulturelle Filter“ (House 1997, 115) eingebaut werden, damit aber bedarf es einer „interkulturellen pragmatischen Analyse“ (ebd., 31):
„Verdeckte Übersetzungen unterscheiden sich in ihren Strukturen, inhaltlichen Gewichtungen und in ihrer Berücksichtigung der Erwartungsnormen der Adressaten vom Original, weil im Zuge der kulturellen
Filterung die Verwendung lexikogrammatischer und textueller Mittel
verändert wird, um den Vertextungskonventionen und kommunikativen
Präferenzen der Zielsprache(nkultur) gerecht zu werden“ (House 2002).
Eine „verdeckte Übersetzung“ kreiert damit ausschließlich ihre eigene
Diskurswelt im Kontext der Zielsprache. Im Falle der „covert translation“
muss daher der Bereich eingegrenzt werden, in dem die ansonsten von
House als Grundlagenkriterium veranschlagte Äquivalenzforderung noch
gilt. Das Erreichen von Äquivalenz ist hier nur im Bereich des genre und der
Textfunktion möglich, wohingegen auf der Ebene des register und der language/ text häufig Änderungen erfolgen müssen.
„Für die Übersetzung eines Textes als Covert Translation kommen demgegenüber alle Texte in Frage, die an keine bestimmte Kultur, an kein
spezifisches historisches (…) Ereignis gebunden sind. Hier kann und
muss die Funktion des Ausgangstextes erhalten bleiben. Für die Erstellung verdeckter Übersetzungen muss nun (…) der Einsatz eines „kulturellen Filters“ erwogen werden, wozu es (…) interkultureller pragmatischer Analyse bedarf.“ (House 1997, 31, Hervorhebung im Original, B.S.)
30
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Die der anti-illusionistischen bzw. verfremdenden Übersetzungsstrategie
entsprachende overt translation gibt sich hingegen als Übersetzung zu erkennen. Das Original ist erkennbar in der Ausgangskultur verwurzelt, womit es
unmöglich wird, die ursprüngliche individuelle Textfunktion zu erhalten.
Der Ausgangstext dient nur noch dazu, „Zugang zu der Funktion zu ermöglichen, welche der Originaltext in seinem Bezugsrahmen und seiner Diskurswelt hat / gehabt hat“ (House 2002a, 106). Während also bei der covert
translation die Funktion des Ausgangstextes mit den Mitteln der Zielkultur
auch im Zieltext erreicht: der „cultural filter“, d.h. die Perspektive, das Wissen und die Konventionen der Zielkultur werden berücksichtigt (vgl. House
1997, 29ff), erlaubt es die overt translation dem Leser, die Funktion des Ausgangstextes in seinem ursprünglichen Kontext zu erkennen.
„Overt Translation soll angewendet werden in Fällen, in denen der Ausgangstext wesentlich an die ausgangssprachliche Kultur gebunden ist,
sei es durch den Status des Textautors oder des Textes als historischem
Dokument oder literarisch-ästhetischem Kunstwerk. Der Übersetzer
kann dann nicht ambitioniert sein, ein zweites Original zu schaffen. (…)
Die Adressaten des Translationstextes werden in solchen Fällen nicht direkt angesprochen, d.h. die Funktion des Ausgangstextes kann nicht
adäquat erhalten bleiben.“ (ebd., 31)
In der covert translation können Sprachebene und Register äquivalent
sein, der Kontext jedoch nicht, denn die Übersetzung muss stets auf den
Originaltext bezogen bleiben. Bei einer overt translation dagegen, die häufig
als eine Art Neuschaffung oder Rekonstruktion eines Originals betrachtet
wird, können Sprache und Register sich ändern, damit die Funktion erhalten
bleibt bzw. in der Zielkultur kommuniziert wird (vgl. ebd., 112ff). In Bezug
auf alle anderen Bereiche gilt jedoch bei diesem Übersetzungstyp die Äquivalenzforderung als Bewertungsmaßstab der Übersetzung. Dieses Verhältnis muss bei der abschließenden Bewertung der Übersetzung berücksichtigt
werden.
Mit der Gegenüberstellung von „overt“ und „covert translation“ knüpft
House an Schleiermachers verfremdende bzw. einbürgernde Übersetzung
an (1997, 161, 163, 166; 2001, 249f). Das Konzept overt translation scheint besser als die älteren Termini der verfremdenden bzw. anti-illusionistischen
Übersetzung (Levý 1969) auf Strategien anwendbar, die dem Übersetzer
einen weitgehend autonomen Status gegenüber dem Original zugestehen
und damit der vielbeschworenen „Unsichtbarkeit“ des Übersetzers (Venuti
1995) entgegenwirken. Dies trifft nicht nur auf diskurskritische Ausprägun-
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
31
gen übersetzerischer Praxis zu wie z. B. der gender translation (Flotow 1997;
Hagemann 2004) oder queer translation wie auch postkolonialer Ausrichtungen in der Übersetzung, sondern auch auf Konzepte postmodernen Übersetzens.
Gerade die postmoderne Übersetzung setzt sich in ihrer Eigenständigkeit gegenüber dem Original ins Recht (Preda 2001, 69) und pocht auf die
Möglichkeit kreativen Leistungen des Übersetzers. Aus einer ironischen
Haltung gegenüber dem Original – ja gegenüber der Idee des Originals –
heraus verfolgt sie eine Poetik des Recycling und des Zitats. Als eine Form
des „Zitierens“, die ihren eigenen Zitatcharakter ausstellt, definiert bereits
Balcerzan (1998, 174ff) die Übersetzung, und Hermans (2007, 7ń) begreift
postmoderne Übersetzungspraxis als „direct speech contaminated by indirect speech, an impure mix of direct and indirect discourse“, als „echoic
translation“. In ihrer intertextuellen Ausrichtung nimmt sie eine Metaposition gegenüber dem Original ein (bereits bei Popowič 1973, 107-126) und
öffnet dieses für multiple Lesarten. Dabei bringen postmoderne Übersetzungskonzepte nicht nur ihr Misstrauen gegenüber essentieller Bedeutung
ins Spiel, sondern verabschieden die Idee von Übersetzung als einer Repräsentation des Originals und lassen sie nur noch als Aushandlungszone von
Differenzen gelten. Die Spannung zwischen Original und Übersetzung –
auf der sämtliche übersetzungskritische Modelle beruhen – wird damit in
den allumfassenden Intertext hinein aufgelöst.
Übersetzungsstrategien, die solchermaßen die Hierarchien von Original
und Translat umstoßen, mit den Relationen von Signifikat und Signifikant
jonglieren und selbstreflexiv auf ihren eigenen Status verweisen, sind mit
den in der Übersetzungskritik etablierten Modellen nur schwer zu greifen.
Die Gegenüberstellung von covert und overt translation gibt hier zumindest
erste Anhaltspunkte zu einer angemessenen Bewertung und ist inzwischen
angesichts einer zunehmend relativierenden, ironischen und autoreferentiellen Übersetzungspoetik weitergedacht worden. So wurde für translatorische
Verfahren, die die grundsätzlich allem Übersetzen eigene Heterogenität als
solche sichtbar hält, anstatt sie zu verschleiern, in neuerer Zeit der Begriff
der „hybriden Übersetzung“ ins Spiel gebracht (Bohnenkamp 2004, 9-26).
Die von den Prämissen der Postmoderne bestimmte Übersetzungspraxis
scheint einen Paradigmenwechsel in der Übersetzungskritik zu erfordern,
wie er am hellsichtigsten in den semiotischen Ansätzen angedacht wurde,
die von einer allumfassenden Semiose ausgehen, in die sowohl Übersetzer
als auch Kritiker involviert sind. Sie sollen an späterer Stelle besprochen
werden.
32
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Ein weiterer Gewinn des Modells scheint mir darin zu liegen, dass es
seine eigenen Grenzen im Blick behält und damit die Reflexion über die generellen Möglichkeiten von (objektiver) Übersetzungskritik anstößt. House
verweist insbesondere auf die Selbsttransparenz von Übersetzungskritik,
die sich ihrer eigenen Normen bewusst sein muss:
„My approach to translation quality assessment is thus not ‘absolutely
evaluative’. (…) In the type of detailed comparison and evaluation of
source and translation texts provided for in the model, the evaluator is
not put in a position to give easy judgments of ‘good’ or ‘bad’ in translation. Rather, the model prepares the ground for the analysis of a large
number of evaluation cases that would, in any individual case, not be totally predictable, however. This is so because, in the last analysis, any
evaluation depends on a large variety of factors which condition social
evaluation judgments. (…) I consider the concept of ‘quality’ in translation problematical if it is meant to refer to value judgments alone. It is
problematical especially if one does not know anything about, or does
not take in account (…), the ideals and ideas about translation quality the
translator, reviewer, or researcher entertains. It is difficult to pass a ‘final
judgment’ of the quality of a translation that fulfil the demands of objectivity” (House 1997, 118 f. ).
Um die Veränderlichkeit und historische und kulturelle Geprägtheit inbesondere der literarischen Normen und dessen, was Literatur zu leisten
vermag zu integrieren, hat der linguistisch-pragmatische Ansatz von House
keine Instrumente entwickelt. Dies ist die Domäne der Deskriptive Translation
Studies, auf die an späterer Stelle eingegangen wird.
Das pragma-linguistische Modell von Juliane House
33
Heidrun Gerzymisch-Arbogast –
o de „Auffälligkeit“ zu Aspekt at i
Die vor allem in Deutschland unter Einbeziehung sowohl linguistischer als
auch funktionaler Perspektiven geführte Äquivalenzdiskussion wird von
Gerzymisch-Arbogast (1994, 1997) fortgesetzt. Auch in ihrem übersetzungskritischen Konzept werden die Analyseparameter jeweils in Abhängigkeit
vom Einzeltext und seiner Übersetzung bestimmt. Als Ausgangspunkt gilt
der Zieltext, der „wie ein Original“ (ebd., 148) gelesen wird, wobei auffällige
Stellen inhaltlicher oder formeller Art ermittelt werden. Diese Auswahl
hängt von der Fähigkeit des Lesers ab, Besonderheiten des Textes zu erkennen. Da der Kritiker somit eine stichprobenartigen Auswahl trifft, ist diese
explizit anzugeben.
Aus den gewählten Stellen werden nun übergeordnete „Aspekte“ wie
die Erzählerperspektive, der Thema-Rhema-Gliederung, Realisierung der
Referenz oder Metaphernwiedergabe entwickelt. Die so entstehende „Aspektmatrix“ bildet die Grundlage des systematischen Vergleichs von Ausgangs- und Zieltext und stellt die Basis für die Übersetzungsevaluation dar
(ebd., 148ff). Es wird geprüft, ob die Auffälligkeiten mit dem Original übereinstimmen oder ob sie vom Übersetzer stammen. Im nächsten Schritt
werden Aspekte ermittelt, die sich daraus ergeben, dass „Unauffälligkeiten“
im Original „unauffällig“ übersetzt werden. Sie werden durch einen Blick
auf das Textganze, seiner künstlerischen und sprachlichen Gestaltung
erkennbar.
Voraussetzungen einer sachlichen Bewertung sind:
– Explizites Angeben der bewerteten Textstelle(n)
– Formulieren klarer, einheitlicher Kriterien (Aspekte) zur Begutachtung,
– Offenlegen der Prädikate, nach denen die Übersetzung beurteilt wurde
(ebd., 150).
Gerzymisch-Arbogast bezeichnet ihre Translatkritik auch deshalb als
„sachlich“ (ebd., 148), weil kein Pauschalurteil gefällt, sondern nur die Um-
34
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
setzung einzelner Aspekte bewertet wird. Da keine Übersetzung in der Lage
sei, in sämtlichen Aspekten ideal auszufallen, müsste vom Übersetzer erwartet werden, offenzulegen, auf welche er sich jeweils konzentriert habe (beispielsweise in einem Vorwort oder Kommentar). Tue er das nicht, bestehe
die Aufgabe der Übersetzungskritik darin, dies nachzuholen und aufzudecken, welche Aspekte er vorrangig im Zieltext gestalten wollte und von welchen er abstrahiert hat (ebd., 150).
Den Orientierungsrahmen für die Bewertung hat damit im Modell von
Gerzymisch-Arbogast der Übersetzer selbst zu liefern, denn dessen Präferenzen
zeigen erst, welche Stellen für den Kritiker relevant sind. Eine kritische Bewertung, die an einer (irrelevanten) Stelle ansetzt, an der der Übersetzer bewusst
beschlossen hat, zu abstrahieren, wäre unsachgemäß. Man hat ein wenig den
Eindruck, dass hier die Rollen umgekehrt werden und vor allem der Kritiker
und seine Fähigkeiten einer Bewertung unterliegen. Dies mag daher rühren,
dass das Modell auch im Hinblick auf die Übersetzungsdidaktik entwickelt
wurde und daher auf einen Lerneffekt beim Analysierenden selbst abzielt.
Neben dieser ASPEKTRA-Methode wird die Verfahrensweise REALTRA
(1997, 2001) entwickelt, bei der insbesondere Kohärenzerscheinungen (etwa
Thema/Rhema-Muster oder Isotopien) im Sinne miteinander vernetzter
Relationen in einem Text als wesentliche Parameter für die Ermittlung der
translatorischen Äquivalenzen in den Blick genommen und optisch dargestellt worden (vgl. Sommerfeld 2015, 35ff). Die in Original und Zieltext erfassten und miteinander konfrontierten Kriterien ermöglichen einen differenzierten Einblick in die unterschiedliche Wahrung der angenommenen
Parameter im Zieltext und vermitteln einen nachvollziehbaren Eindruck in
die Qualität des Translats. Dabei werden kultur- oder auch funktionsbedingte Varianten oder Anpassungen als notwendig angesehen.
Beide in ihrer Ausrichtung auf Textkohärenz semantisch ausgerichtete
Modelle, die von den Mikrostrukturen ausgehend, sich konzentrisch zu
einer Gesamtbewertung „hocharbeiten“, bestechen durch die Übersichtlichkeit der Parameter und akribische Ausgefeiltheit. Gerade die Feindifferenzierung der Kohärenzerscheinungen erscheint allein schon für die Textanalyse von hohem epistemologischen Wert. Ins Hintertreffen tritt gegenüber
den textinternen Faktoren die Berücksichtigung textexterner Parameter – die
die Arbeit des Übersetzers bestimmenden Bedingungen und seine Zielsetzung finden nur spärlich Erwähnung (Gerzymisch-Arbogast 1994, 150),
womit pragmatische oder funktionalistische Gesichtspunkte nur ansatzweise mit in die Bewertung einfließen.
Das Ko zept ü e setze is he Handelns von Justa
Holz-Mä ttä i u d sei e Aus i ku ge
Es soll an dieser Stelle auf die Arbeiten von Holz-Mänttäri (1984, 198ń) verwiesen werden, ohne die der Paradigmenwechsel in der Übersetzungswissenschaft und Übersetzungskritik hin zu handlungsorientierten Ansätzen
nicht denkbar gewesen wäre. Sie ist eine der ersten, die die bis dato etablierten Grenzen der Übersetzungswissenschaft überwinden will, indem Übersetzung in eine allgemeine Handlungstheorie eingebettet wird (vgl. Behr
2012, 87). Insofern ist die Arbeit wegweisend und hat in nicht unbeträchtlichem Maße zu einer Aufweichung der bis dahin stark linguistisch ausgerichteten Übersetzungstheorie (und -kritik) beigetragen.
Die Studie hält wichtige Ansatzpunkte für die Übersetzungskritik bereit,
auch wenn deren Grundlagen zunächst ausgehebelt werden. Indem die Erkenntnisse der Systemtheorie fruchtbar gemacht werden, rückt der Übersetzungsprozess als äußerst komponentenreiches und komplexes Gefüge ins
Licht, der sich daher auch einfacher und eindeutiger Bewertung entziehen
muss (vgl. Stolze 2001, 200). Die gängigen Wertmaßstäbe wie Objektivität
und Messbarkeit können somit nicht an die Übersetzung herangetragen
werden.
Zu den den Translationsprozess mitbestimmenden Faktoren gehören:
– die konkrete Kommunikationssituation, die von den Beteiligten und
deren Verständnis der eigenen Rolle sowie der Rolle der anderen (z.B.
des Übersetzers) bestimmt wird,
– Fragen nach dem skopos des Translats,
– Fragen nach Auftraggeber und Zielrezipient,
– Fragen nach den translatorischen Kriterien, z.B. mögliche Vorgaben
des Verlags oder Rezipientenerwartungen.
In diesen translatorischen Handlungsrahmen fallen unter anderem
Handlungen, welche im Vorfeld des Übersetzens stattfinden:
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
36
a) die Produktspezifikation mit Angaben zum Zweck des Produktes, zum
Rezipienten, zur Situation, zum Layout, zur Korrektur und zur Lieferfrist;
b) die Segmentierung, d.h. die Aufschlüsselung des Sachverhaltes und
der verschiedenen Handlungsrollen anhand von „Segmentierfragen“;
c) die Recherche, bei der auf zusätzliches Material zurückgegriffen wird,
um einerseits den (lückenhaften) Wissensstand des Translators und
seiner Kooperanten zu erweitern und um andererseits die (unzureichende) Produktspezifikation zu vervollständigen; und als abschließende Vorhandlung
d) das Evaluieren, bei dem die durch Segmentierung abgespaltenen
Elemente weiter analysiert werden (Holz-Mänttäri 1984, 97ff u. 114f).
„Im Rahmengefüge translatorischen Handelns werden mit den Segmentierfragen alle Handlungsrollen erfragt und erfasst: Wer bestellt den
Text? Wer erstellt den Ausgangstext? Wer rezipiert den Zieltext? Wann,
wo, unter welchen Umständen und zu welchem Zweck wird der Zieltext
vorgetragen? usw. Auf dieselbe Weise werden die Sachverhalte in Texten (Translationsbeitrags-, Ausgangs-, Ziel-, Recherchiertexte) erfragt
und erfasst: Die Fragen WER (TUT) WAS?, WEM (GESCHIEHT) WAS?,
WAS (EREIGNET SICH)?, WAS (IST)? usw. ergeben die Grundaussage
des Textes, WOZU, WIE usw. ergeben die Ergänzung dazu, also z.B. die
Strategien.“ (ebd., 99)
Die Auffassung des Translationsprozesses als eines komplexen und aspektreichen Handlungsgefüges bringt einen Blick auf den Translator mit
sich, der zu einem Kooperationspartner und gleichberechtigten Experten
avanciert. Der Übersetzer wird als Teil einer arbeitsteiligen Gesellschaft verstanden. Holz-Mänttäri beleuchtet die Rahmenbedingungen, das komplexe
Handlungsgefüge, in dem er in der Praxis agiert. Dies beinhaltet nicht nur
eine Aufwertung des Übersetzers, sondern bedeutet auch, dass der Übersetzer für sein Produkt verantwortlich ist und seine Arbeit und alle getroffenen
Entscheidungen jeder Zeit rechtfertigen können muss (vgl. Ortner 2003).
Die Arbeiten von Holz-Mantääri haben Eingang in die Skopos-Theorie
gefunden (Reiß/ Vermeer 1984; Vermeer 1990; Nord 2011; Schippel 2006,
2008; Nord, zuletzt 2011, vgl. Risku 1998), die Übersetzen als einem Zweck
untergeordnetes Sprachhandeln konzeptualisert und auf die Loyalität (Nord
2011, 29ff) gegenüber dem Auftraggeber verpflichtet.3 In jüngerer Zeit wird
________________
3 Vermeer (1990) bezeichnet die Skopos-Theorie als eine Teiltheorie der Theorie translatorischen Handelns.
Das Ko zept ü e setze is he Ha del s o Justa Holz-Mä ttä i u d sei e Aus i ku ge
37
das Konzept unter dem Label der Translationskultur weiterentwickelt
(Schippel 2008; Prunč1997, 2000, 2008; Krysztofiak 2010) und folgendermaßen definiert:
„Unter Translationskultur sei das historisch gewachsene Subsystem einer Kultur verstanden, das sich auf das Handlungsfeld Translation bezieht und das aus einem Set von gesellschaftlich etablierten, gesteuerten
und steuerbaren Normen, Konventionen, Erwartungshaltungen und
Wertvorstellungen aller in dieser Kultur aktuell oder potentiell an Translationsprozessen beteiligten Handlungspartner besteht.“ (Prunč 1997, 107).
Auch hier wird von einer partnerschaftlichen Beziehung von Übersetzer
und Übersetzungskritiker ausgegangen, Prunč (2008, 30) spricht von einer
„grundsätzlichen, jedoch durch das Kriterium der Kompetenz zu differenzierenden demokratischen Gleichberechtigung aller Handlungspartner“.
Nur wenn das von Prunč geforderte Kriterium der Kooperativität erfüllt ist,
können beide Seiten – Kritiker und Übersetzer – in den Prozess der Qualitätssteigerung von Übersetzungen eingebunden werden.4 Die Übersetzungskultur als einer der Faktoren, die auf die Übersetzungsentwürfe einzelner Übersetzer Einfluss nehmen, als der Übersetzung zugrunde gelegte
Vorstellung vom Übersetzen, wird alternativ (oder zumindest ergänzend)
zum Normbegriff ins Spiel gebracht.
Besonders groß scheint mir die Tragweite des Konzepts für das Selbstverständnis des Kritikers selbst zu sein, ermöglicht es ihm doch eine Distanznahme und eine Relativieren der vorgenommenen Evaluierungen, denen jeweils Prämissen zugrunde liegen, die kritisch mitzureflektieren sind.
Die Handlungsform der Translationskultur stellt die Übersetzungskritik
damit in einen übergreifenden Rahmen, innerhalb dessen die Bedingtheit
und kulturelle Verfasstheit von Übersetzungsnormen diskutiert werden
können. Aufgrund seiner konzeptuellen Offenheit birgt der Begriff der
Translationskultur das Potenzial in sich, eine Art Metakritik der Übersetzung anzuregen (vgl. Reinart 2014, 398f).
________________
4 Wills (1977, 287) fordert darüber hinaus die Möglichkeit, Rückfragen an den Kritiker zu
stellen.
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
Ohne diesen handlungstheoretischen Unterbau wäre das übersetzungskritische Modell von Amman (1990) nicht denkbar gewesen. Den theoretischen
Rahmen, von dem das Modell ausgeht, bilden die Skopostheorie und die
Theorie des translatorischen Handelns, die eine Fokussierung der zielsprachlichen Seite des Übersetzungsprozesses nach sich ziehen, wie bereits Reiß und
Vermeer (1984, 113) postulieren: „Zu beurteilen ist einmal (und in den meisten
Fällen wahrscheinlich in erster Linie) das Translat per se. In zweiter Linie ist
ein Translat als Translation eines AT zu beurteilen.“ Das Translat wird dabei
als eigenständiger Text rezipiert (vgl. Ammann 1990, 21Ń), der „als gleichberechtigt neben dem Ausgangstext“ (ebd., 219) steht. Eng verbunden ist das
Konzept mit dem von Nord herausgestellten Qualitätskriterium der Loyalität,
zu der ein Übersetzer gegenüber seinen Handlungspartnern (einschließlich
des Ausgangstextautors) verpflichtet ist. Ammann stellt also den funktionalen Aspekt der Übersetzung ins Zentrum ihrer Überlegungen und begreift
Translation als eine kommunikative Handlung, für deren erfolgreiche Realisierung der scopos grundlegend ist (vgl. Nord 2006, 15f).
Aufgabe der Übersetzungskritik ist es festzustellen, welcher skopos dem
Translat zugrunde liegt und ob die verfolgte Übersetzungsstrategie diesem
gerecht wird: „Es gilt aufzuzeigen, wie Skopos und gewählte Strategie zusammenhängen. Dann gibt es keine ‚schlimmen‘ Fehler, sonder nur Texte,
die dem zugrundeliegenden Skopos nicht gerecht werden, oder Texte, deren
Funktion in einem gegebenen System kritisiert werden kann.“ (Ammann
1993, 440f)
„Es wird im Allgemeinen postuliert, es sei möglich ausgangstextuelle
Merkmale auch in einer anderen Umgebung beizubehalten, ohne dass
sie sich durch die neue kulturelle Einbettung veränderten. Es wird nicht
berücksichtigt, dass die einzelnen Merkmale in einem größeren Zusammenhang stehen – Z.B. zusammen das Merkmal ‚Literarizität‘ ergeben -,
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
39
dass dies jedoch in einer anderen Kultur nicht mehr stimmen muss. Und
das kann dann auch heißen, dass das, was als ‚Besonderheit‘ eines bestimmten Texts ausgemacht wurde, in einer anderen kulturellen Umgebung (z.B. einer anderen literarischen Tradition) nicht als ‚Besonderheit‘
erkannt werden kann“ (Ammann 1990, 219).
Ammann untersucht also nicht die Vergleichbarkeit beider Texte, sondern die Wirkung auf deren jeweilige Rezipientengruppe:
„Der Bezugspunkt selbst kann nicht im Text (Ausgangstext oder Translat) liegen. ‚Treue‘, ‚Nähe‘ oder ‚Ferne‘ können als mögliche Relationen
zwischen (mindestens) zwei Texten gesetzt werden, verständlich werden
sie jedoch nur in Relation zu einem übergeordneten Skopos. Z.B.: Die
Funktion eines Translats sei die Vorstellung eines fremdkulturellen literarischen Werks. Von dieser Bestimmung aus lassen sich jetzt, gleichsam
als Verfeinerung dieser Bestimmung, die Relation zwischen Ausgangstext und Translat ausarbeiten.“ (ebd., 214)
Der Terminus „Übersetzungskritik“ ist für den so entfalteten komplexen
Zugriff auf das Translat eigentlich zu eng geworden. Dem begegnet Ammann, indem sie zwischen einer „allgemeine(n) Kritik des translatorischen
Handelns (als Prozess)“ und einer „allgemeine(n) Translatkritik (als Produktkritik)“ unterscheidet (Ammann 1993, 434).
Die Kritik des jeweiligen translatorischen Handelns lehnt sich an HolzMänttäri an und betrifft die Kommunikationssituation, den skopos des Translats, Auftraggeber und Zielrezipient, translatorische Kriterien wie Vorgaben
des Verlags oder Rezipientenerwartungen (vgl. ebd., 439). Um Ammanns
Konzept der „Produkt- oder Translatkritik“ nachvollziehen zu können,
muss ihr Textverständnis berücksichtigt werden. In Anlehnung an Ammann
/ Vermeer versteht sie unter Text „(…) jede als situationelle Einheit aufgefaßte Äußerung (verbal oder nonverbal, schriftlich oder nicht), der ein
Rezipient Bedeutung zumißt“ (Ammann/Vermeer 1991, 251). Dieselbe Situationsgebundenheit betrifft nun auch die übersetzerischen Bewertungskriterien. Jedes Bewertungskriterium gehört einem bestimmten System an und
darf nicht isoliert davon betrachtet werden. Soll zum Beispiel die „Äquivalenz der Semantik“ oder die „Korrespondenz im Stil“ zwischen Ausgangsund Zieltext bewertet werden, so verweisen diese beiden Bewertungskriterien auf das Ausgangstextsystem. Wird die „Adäquatheit der Lexik“ und die
„Korrektheit der Grammatik“ untersucht, so beziehen sich diese auf das
zielkulturelle System. Wie die einzelnen Bewertungskriterien zusammen-
40
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
spielen, ist abhängig vom skopos des Originals und des Translats. In einer
Translatkritik sollte das spezifische Gewicht der Funktion auf den verschiedenen Ebenen deutlich gemacht werden. (Ammann 1993, 439) Abhängig von
der Funktion des Zieltextes wird entschieden, welche Bewertungskriterien
für das zielkulturelle System relevant sind.
Auch im Rahmen der Produktkritik plädiert Ammann (1990, 212) für eine eindeutige zieltextorientierte Methode der Translatkritik und gliedert den
übersetzungskritischen Prozess in fünf Phasen:
1) Als erster Schritt wird die Funktion des Translats festgestellt. Dabei
wird, entsprechend der Skopostheorie, eine Funktionsänderung zwischen Ausgangs- und Zieltext nicht ausgeschlossen (vgl. ebd., 212).
Wenn der skopos einen Funktionswechsel vorsieht, kann nicht mehr
Äquivalenz zum Ausgangstext gefordert werden, sondern Adäquatheit hinsichtlich des skopos. Treue zur Ausgangsoberfläche lässt unter
Umständen aufgrund der Veränderung der zielkulturellen Situation
einen mit dem Ausgangstext nicht mehr zu vergleichenden Text entstehen (ebd., 216).
Ammann plädiert daher dafür, das Translat als eigenständigen
Text zu rezipieren (ebd., 215f). Es gehe nicht darum Fehler aufzuzeigen, die sich aus einem Vergleich der Oberflächenstrukturen der Texte ergeben. Es gelte aufzuzeigen, wie skopos und gewählte Strategie
zusammenhängen (vgl. Ammann 1993, 440). Dann gebe es keine „Fehler“ oder falsche Übersetzungen, sondern nur Texte, die dem zugrundeliegenden skopos nicht gerecht werden, oder Texte, deren Funktion
in einem gegebenen System kritisiert wird.
2) Im zweiten Schritt soll die intratextuelle Translatkohärenz überprüft
werden. Diese bezieht sich auf die Kohärenz innerhalb des Translats,
aus der Sicht des Rezipienten. Ist der Sinn in sich kohärent/verständlich? Ist die Form kohärent? Und sind Sinn und Form miteinander
kohärent? Im Sinne der Scopos-Theorie ist damit das Textverständnis
aus einer bestimmten Situation heraus angesprochen: „Eine Nachricht
gilt als ‚verstanden‘, wenn sie vom Rezipienten als in sich hinreichend
kohärent und als hinreichend kohärent mit seiner (Rezipienten-) Situation interpretiert werden kann bzw. wird.“ (Reiß/ Vermeer 1984,
109) Verstehen bedeutet in diesem Zusammenhang: etwas in die eigene Situation, in das eigene Vorwissen, einordnen zu können (vgl.
Reiß/ Vermeer 1991 109). Bei der praktischen Anwendung des Modells von Margret Ammann wird die Kohärenz des Textes mithilfe
des Konzeptes der Scenes-and-Frames-Semantik überprüft.
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
41
3) Nachdem das Translat (als eigenständiger und ein dem Original
gleichwertiger) Text für sich untersucht wurde, geht man zum Ausgangstext über. Es gilt als dritten Schritt der Übersetzungskritik die
Funktion des Ausgangstextes festzustellen (vgl. Ammann 1990, 212).
Bei literarischen Texten lässt sich die Funktion aus verschiedenen Aspekten herausarbeiten. Einerseits anhand des intendierten Zielpublikums. Für wen hat der Autor die Geschichte geschrieben? Welche
Zielgruppe hatte er im Auge? Andererseits baut der Verlag, in dem
das Werk erscheint, Erwartungen beim Leser auf.
4) Wenn die Funktion des Ausgangstextes festgestellt wurde, geht man,
wie beim Translat, zur Überprüfung der intratextuellen Kohärenz
des A-Textes über (vgl. ebd., 212). Hier wird überprüft, ob der Text in
sich stimmig ist und ob Sinn und Form eine Einheit bilden.
5) Als fünfter und letzter Schritt wird das Translat dem Ausgangstext
gegenübergestellt und untersucht, inwieweit die beiden Texte intertextuell kohärent sind. Erst an dieser Stelle wird das Translat als
Translation eines Ausgangstextes beurteilt. „Zuerst muss ein Translat
als Text in sich verständlich (‚stimmig‘) sein; erst ein verstehbarer Text
kann auf seine Entstehungsbedingungen hin untersucht werden.“
(Reiß/ Vermeer 1991 114) Inwieweit intertextuelle Kohärenz besteht,
hängt davon ab, wie der Ausgangstext vom Translator verstanden
wurde und welcher skopos dem Translat zugrunde liegt. Ein Grund
dafür, warum Inkohärenzen zwischen Ausgangstext und Translat
entstehen, ist z.B. das unterschiedliche Vorwissen der Ausgangs- und
Zielkultur (vgl. ebd., 112). Der Translator rezipiert und interpretiert
den Ausgangstext üblicherweise aus der Sicht der Zielkultur. Wenn er
etwas Kulturspezifisches, aufgrund fehlender oder mangelhafter kultureller und sprachlicher Kompetenz, falsch deutet, kommt es zu intertextueller Inkohärenz zwischen Ausgangstext und Translat.
Sehr weit gefasst ist der Terminus der Kohärenz: Darunter wird sowohl
die innere Stimmigkeit des Inhalts oder Sinns, als auch die Stimmigkeit der
Form sowie die Stimmigkeit zwischen Inhalt bzw. Sinn und Form verstanden. Dem Einwand, dass das Form- und Sinnprinzip eines Textes ja auch
gerade auf Inkohärenzen und Brüchen beruhen kann, begegnet Ammann,
indem sie den Begriff Kohärenz auch auf intendierte Inkohärenz ausweitet
(vgl. Ammann1990, 212). Damit versucht sie der inhärenten Offenheit literarischer Texte gerecht zu werden, für deren Übersetzungsbewertung das
Modell vorrangig gedacht ist. Indem jedoch eine Bewertungskategorie eingeführt wird, die sich gleich wieder selbst aushebelt, erweist sich das Ungenügen der zugrunde gelegten Kriterien.
42
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Die Rolle des Modell-Lesers
In allen Analysephasen wird in Ammanns skoposorientiertem, funktionalistischem Ansatz der Instanz des Adressaten eine wichtige Rolle eingeräumt.
Sowohl die intra- und intertextuellen Relationen als auch die Translatfunktion kann nur über den Adressatenbezug ermittelt werden. Den Adressaten beschreibt sie als denjenigen, „der aufgrund einer Lesestrategie zu
einem bestimmten Textverständnis kommt.“ (Ebd., 225)5 Eine den Rezipienten-Blick in den Text projizierende Lektüre hilft dabei, alle Textmerkmale zu
fokussieren, die eine bestimmte Lesart suggerieren oder ein bestimmtes Lektüremuster entwerfen. Amman gibt dafür das Beispiel an, dass ein Roman
als spannende Unterhaltungsliteratur gelesen werden kann oder aber als
Kenntnisquelle über das Leben in einer bestimmten Epoche (vgl. ebd., 223).
Als Ausgangspunkt jeden translatorischen Handelns bestimmt Ammann
(1990, 209) somit den Rezipienten: „Ohne Rezipient sind Funktion und intraund intertextuelle Relationen nicht feststellbar. Ein Text realisiert sich erst in
der Rezeption.“ (ebd., 217) Um die Texterfassung beim Lektürevorgang genauer zu fokussieren, bedient sich Ammann des Konzeptes des sogenannten
„Modell-Lesers“ von Eco (1985): „(E)inen Text hervorbringen, bedeutet, eine
Strategie zu verfolgen, in der die vorhergesehenen Züge eines Anderen miteinbezogen werden“ (Eco 1987, ńŃf). Zu diesen „vorhergesehenen“ Zügen
werden unter anderem das Vorwissen des Lesers, seine Lesestrategien, Vorlieben und an den Text herangetragenen Erwartungen gezählt.
Der Modell-Leser ist somit jener Leser, der aufgrund einer Lesestrategie
zu einem bestimmten Textverständnis kommt. Diese Betonung der Rolle des
Lesers für die Textkonstitution tritt in Ammanns funktionalistischem Ansatz
so deutlich wie in keinem anderen Modell der Übersetzungskritik in den
Fokus der Überlegungen. Durch diese Einbeziehung rezeptionsästhetischer
Erwägungen in die Übersetzungskritik werden nicht nur die Originale, sondern auch das Translat vor dem Hintergrund der historisch-sozialen Situation betrachtet, in der sie entstanden bzw. rezipiert werden. Wenn Ammann
herausstellt, dass Rezeption (und Interpretation) von Literatur auch von den
literarischen Traditionen einer Kultur bestimmt sind und „kulturspezifisch,
diachronisch und synchronisch unterschiedlich sind“ (Ammann 1990, 224),
so greift sie damit Anregungen aus dem polysystemischen Ansatz der
Descriptive Translation Studies auf (vgl. ebd., 221). Rezeption wird damit als
dynamischer Prozess veranschlagt: „Unterschiedliche Rezeptionsbedingun________________
5 In Isers hermeneutischem Ansatz, wie er in Der Akt des Lesens (1976) entwickelt wurde,
würden wir dementsprechend vom „impliziten Leser“ ausgehen.
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
43
gen sind beim translatorischen Handeln – auch bei der Übersetzung literarischer Texte – mitzuberücksichtigen.“ (ebd., 220)
Die starke Fokussierung auf den Zieltext und die textkonstitutive Rolle
des „Modell-Lesers“ wirft allerdings die Frage auf, ob es auch unzulässige
Interpretationen eines Ausgangstextes geben kann. Gerade im Einklang mit
den Prämissen der Skopos-Theorie müsste davon ausgegangen werden,
dass die Dominante jeglicher Übersetzung deren Zweck ist, und ist somit
gezwungen, sämtliche der Übersetzung vorausgehenden Texterfassungsstrategien als gleichermaßen legitim anzusehen wären. Dem begegnet Ammann, indem sie die Textinterpretation konsequent an den Text rückbindet.
Wie ein Text interpretiert wird, sei nicht frei wählbar, denn der Text gibt
selbst immer gewisse Interpretationsmöglichkeiten vor und zweitens gibt es
bestehende Traditionen der Interpretation (vgl. ebd., 224). Wenn der Leser
also „‚konsequent‘ jene Merkmale beachtet, die es ihm erlauben, den Roman
als spannende Unterhaltungsliteratur zu lesen, dann ergibt sich daraus ein
Muster, oder, wenn man will, ein Modell.“ (ebd., 223)
Der Translator muss mit diesen Interpretationsgrenzen arbeiten, er müsse sich auch überlegen, wie er mit den Leerstellen im Text umgeht. Ein
Werk besteht ja nicht nur aus Wörtern, sondern auch aus einem Teil des
„Nicht-Gesagten“ (Eco 1987, 62), des Verschwiegenen oder Implizierten, das
erst vom Leser ergänzt werden muss. Zu diesem Zweck bedarf es bei einem
Text – entschiedener als bei jeder anderen Nachricht – der aktiven und bewußt kooperativen Schritte des Lesers. Der Übersetzer muss sich also überlegen, welche Unbestimmtheitsstellen er offen lässt und wie wo er der „interpretativen Mitarbeit“ (Ammann 1990, 224) des Modell-Lesers nachhelfen
will. Stolze (2003, 144) spricht von einer hermeneutischen Warte aus über
das Phänomen, dass Translatoren dieses Implizite, gerne ausfüllen und das
Implizite funktional explizitieren und damit die Bedeutungsfülle des Textes
einschränken.
Die Scenes-and-frames-Semantik
Um das Text-Verständnis des Modell-Lesers interpersonell nachvollziehbar
zu machen, greift Ammann auf den Scenes-and-Frames-Ansatz zurück, der
ursprünglich von Charles J. Fillmore (1977) entwickelt wurde. Fillmore’s
Konzept basiert auf der Annahme, dass jeder Mensch die Bedeutung eines
Wortes aus dem Gesamtzusammenhang einer Situation erfährt und erlernt.
Von dieser Situation ausgehend, lernt er zu abstrahieren und die Wortbedeutung auf neue Situationen anzuwenden. Dazu führt er folgendes Beispiel an:
44
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
„A child might first associate the word pencil, for example, with the experience of himself sitting in a particular room with his mother drawing
circles; later on he becomes able to identify and label isolable parts of
such an experience.” (Fillmore 1977, 62)
Der Frame, als linguistische Kodierung, wäre in diesem Beispiel also
„pencil“, und die Scene jene Szene, die sich bei dem Kind aufbaut, wenn es
das Wort hört.
In der Definition von Fillmore umfasst die Bezeichnung scene
„not only visual scenes but familiar kinds of interpersonal transactions,
standard scenarios, familiar layouts, institutional structures, enactive experiences, body image; and, in general, any kind of coherent segment,
large or small, of human beliefs, actions, experiences, of imaginings.“
(Fillmore 1977, 3)
Frame bezieht sich auf „any system of linguistic choices (the easiest cases
being collections of words, but also including choices of grammatical rules
or grammatical categories – that can get associated with prototypical instances of scenes.“ (ebd., 63)
Eine scene ist also eine Art „Bild von Welt“ im Kopf eines Rezipienten,
das frame der bereitstehende Ausdruck dafür. Scenes und frames aktivieren
einander gegenseitig und in unterschiedlicher Komplexität, eine bestimmte
sprachliche Form ruft eine szenische Assoziation hervor, diese wiederum
aktiviert andere Formen bzw. erweckt neue Assoziationen. Scenes und frames
können sich also wechselseitig evozieren, d-h. ein frame kann eine bestimmte
scene auslösen, ein mentales Bild dagegen kann mit einem bestimmten
sprachlichen Ausdruck verbunden werden. Während die frames statisch
sind, stellen die Scenes dynamische Szenen im Sinne eines (typischen)
Ablaufs einer Kommunikationssituation dar. Die vom Sprecher aktualisierte sprachliche Auswahl aktiviert bestimmte Vorstellungen beim Rezipienten,
im weiteren Verstehensverlauf fügen diese sich zu größeren Komplexen
zusammen, wobei Leerstellen ausgefüllt werden, Perspektiven festgelegt
werden, der Leser ist also in einem Interpretationsprozess aktiv und stützt
sich dabei auf sein Weltwissen. Mithilfe der Kategorien scenes und frames
können also gezielt Textwelten aufgebaut werden, wobei nicht die außertextliche Welt den Bezugsrahmen darstellt, sondern die imaginationssteuernde Potenzialität literarischer Texte im Zentrum steht.
Fillmore‘s Konzept wurde von Mia Vannerem und Mary Snell-Hornby
(1986, 182-198, 1988, 79ff) und weiter von Hans J. Vermeer/ Heidrun Witte
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
45
(1990) und Vermeer (1992), Stolze (1992, 116-121), Hönig (1998), Kussmaul
(2000, 114ff) aufgegriffen und für die Translationswissenschaft fruchtbar
gemacht. Vermeer und Witte (1990, Ń1) verstehen unter „scenes“ „die sich im
Kopf eines Menschen aufbauende (…) mehr oder minder komplexe Vorstellung aufgrund von Wahrnehmungen“, wohingegen „frame“ als „jegliches
wahrnehmbares Phänomen (Vorkommen), das als informationshaltig aufgefasst wird“ (Vermeer / Witte 1990, ńń) aufgefasst wird. „Scenes“ und „frames“ werden dabei nicht nur auf der inhaltlichen Ebene, also textuell, sondern auch auf der formbetonten Ebene, also metatextuell aufgebaut (vgl.
Ammann 1990, 226).
Mithilfe der Scenes-and-Frames-Semantik kann der Vorgang des Übersetzens umfassend als kognitiver Vorgang erklärt werden. Beim Verstehen
von Text A geht der Übersetzer von einem vorgegebenen frame aus, nämlich
dem Text und seinen linguistischen Komponenten. Dieser Text nun wurde
von einem Autor erstellt, der dabei von seinem eigenen Erfahrungshintergrund, seinem Repertoire an z.T. prototypischen Szenen ausging. Der Gesamt-frame des Textes (und alle größeren und kleineren frames innerhalb des
Textes) lösen kognitive scenes in der Vorstellung des Lesers aus (Vannerem/
Snell-Hornby 1986, 189). Ob die vom Autor gewählten frames nun adäquat
und verständlich für die Vermittlung seiner Intention sind, hängt nicht nur
von der Sprachkompetenz des Lesers, sondern auch von der des Autors ab.
Dem Übersetzer, der gleichzeitig auch Leser und Kommunikationsteilnehmer ist, kommt die Aufgabe zu, ausgehend von seinem eigenen Erfahrungshintergrund und den aus dem Text erfassten scenes die passenden Frames in
der Zielsprache zu suchen, welche wiederum die gewünschten Szenen bei
den Zieltextempfängern hervorrufen sollen (vgl. ebd., 190f). „Nach dem
Scenes-and-frames-Ansatz ist die Übersetzung also ein schöpferischer Prozeß,
der sich innerhalb eines Synthese-zentrums abspielt, dem Denken des
Übersetzers.“ (ebd., 192)
Die Scenes-and-Frames-Semantik findet in Ammanns Modell ihre Anwendung, wenn es um die Feststellung der intratextuellen Kohärenz des
Translats sowie des Ausgangstexts und die intertextuelle Kohärenz zwischen Translat und Ausgangstext geht. Im Zieltext muss eine der szenischen
Struktur der Vorlage entsprechende Stimmigkeit der erzeugten Vorstellungsbilder erzielt werden. Es wird ein Leser postuliert, der die einzelnen
scenes aufbaut und sie nach der Lektüre des Buches in seinem Kopf zu einer
Gesamtszene zusammenfügt. Die Übersetzungskritik ist somit ein Vergleich
von zwei Lesestrategien, der des Translators und der des Zieltextrezipienten
(vgl. Ammann 1990, 226).
46
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Für die Übersetzungskritik bietet die Scenes-and-frames-Semantik insofern Anhaltspunkte, weil frames im Zielbereich auch divergierende scenes
evozieren können (diese entsprechen dann den sog. „falschen Freunden“ im
Bereich der Semantik) (vgl. Vermeer/ Witte 1990, 71; Vermeer 1992). Es besteht die Gefahr, dass beim Übersetzer, als Nicht-Muttersprachler, nicht dieselben Vorstellungen aktiviert werden wie vielleicht bei einem Muttersprachler, denn die von einem frame aktivierten scenes hängen eng mit der
Soziokultur des betreffenden Sprachbenutzers zusammen (vgl. Vannerem/Snell-Hornby 1986, 190). Da der Übersetzer gleichzeitig auch Rezipient
ist, kann es außerdem zu einer zu subjektiven Textinterpretation kommen.
Dem kann nur durch ständige Rücksprache mit dem Text vorgebeugt werden, d.h. die scenes dürfen sich nicht verselbständigen.
Als wichtiger Faktor muss in die Evaluation ergänzend der Scopos aufgenommen werden, der mitbestimmend ist für die richtige Wahl der sprachlichen Rahmen und der damit evozierten Bilder (vgl. Snell-Hornby 1994):
soll etwa in der Übersetzung eher die ausgangskulturelle Vorstellung dem
Zieltext-Rezipienten nahe gebracht werden, oder durch eine zielkulturelle
scene ersetzt werden? Vom Übersetzer müsste also erwartet werden, ob er in
der Lage ist, entsprechend dem Übersetzungsauftrag die frames auszuwählen.
Während Ammann vor allem die kohärenzbildende Dimension der
Scenes-and-frames-Semantik herausstellt, heben andere Forscher das imaginationsbildende Potenzial der evozierten Szenen hervor. So machen Vannerem/ Snell-Hornby (198ń) den Ansatz fruchtbar, um „kreative Vorgänge der
zielsprachlichen Neugestaltung“ zu erklären (ebd., 184; ähnlich Kußmaul
1994, 1995). Stolze betont die Unterspezifiziertheit (Stolze 2015, 184) der
evozierten Szenen, die Leerstellen ausbilden, welche im Translat nicht aufgefüllt werden müssen, indem beispielsweise die Situation in allen Einzelheiten ausbuchstabiert wird. Verlangt wird vom Übersetzer also ein sorgfältiges Abwägen des Grades der Expliziertheit des Translats, um das
imaginative, „szenische“ Potenzial des Textes nicht zu schmälern.
Abschließend kann festgestellt werden, dass Ammanns übersetzungskritisches Modell wohl die meisten Ansatzpunkte für die Bewertung der
Übersetzung literarischer Texte bietet. Einer weiteren Präzisierung bedarf
allerdings das Kriterium der Stimmigkeit, das nicht auf jedes ästhetische
Werkkonzept anwendbar ist. Zudem muss sich das Modell den kritischen
Fragen stellen, die immer wieder bezüglich der Applizierbarkeit der
Skopos-Theorie auf literarische Übersetzungen gestellt werden.
Von den Kritikern wird besonders eingewendet, dass nicht jede Handlung eine bestimmte Intention habe und insbesondere literarisches Überset-
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
47
zen völlig zweckfrei sei (vgl. Nord 1997, 109ff), Vermeer (1996, 17) dagegen
erklärt, dass diese Kritik für „intentional“ im Sinne von „consciously doing
some-thing“ zuträfe, im Sinne von „goal-oriented“, also zweckgerichtet,
aber nicht. Sicherlich ist – auf einer textontologischen Ebene abgehandelt –
der literarische Text ein Eigenwert und keinem Zweck untergeordnet, als
kommunikatives Faktum richtet sich jeder Text jedoch an mehr oder weniger explizit gemachte Adressaten (ganz abgesehen von den Verlagsinteressen, die sehr wohl den Texten eine gewisse Funktionalität zuschreiben).
Sowohl Nord als auch Vermeer betonen, dass dies nicht möglich sei; jeder Textproduzent, Autor oder Translator hätte „a vague or fuzzy notion of
whom they are addressing or at least a rather clear notion of whom they are
not addressing” (Nord 1997, 111). Vermeer drückt es folgendermaßen aus:
„Es gibt keine Textproduktion-zur-Verwendung ohne bewußte oder unbewußte Vorstellung von potentiellen Lesern. Auch der Romanautor stellt sich
Leute seines Schlages vor, der Groschenromanautor eben – auftragsgemäß –
das Lieschen Müller des gängigen Clichés. Aber das ist dann eben eine Vorstellung; der Rezipient existiert in der Erwartung und Einschätzung des
Produzenten.“ (Vermeer 1986. 43) Andererseits öffnen funktionalistisch ausgerichtete Modelle die Augen dafür, dass es weder ein allgemeingültiges
Übersetzungsideal noch die ideale Übersetzung eines bestimmten Textes
geben kann. Dazu vermerkt Coseriu (1994, 47):
„Ein allgemeingültiges Übersetzungsideal ist eine contradictio in adiecto,
denn eine allgemeingültige optimale Invarianz für das Übersetzen kann
es ebensowenig geben, wie es ein allgemeingültiges Optimum für das
Sprechen überhaupt gibt. (…) Auch die ‘beste Übersetzung’ schlechthin
für einen bestimmten Text gibt es aus demselben Grund nicht: Es gibt
nur die beste Übersetzung dieses Textes für bestimmte Adressaten, zu
einem bestimmten Zweck und in einer bestimmten geschichtlichen Situation”. (Hervorhebungen im Original, B.S.)
Die funktionale Äquivalenz einer Übersetzung ist nicht ein für alle Male
gegeben, sondern muss innerhalb eines variablen Feldes von Faktoren immer wieder neu ausgehandelt werden. Besonders ergiebig sind funktionalistische Ansätze daher im Falle von Neuübersetzungen, da man hierbei zum
einen den neu formulierten skopos und zum anderen eine Auseinandersetzung mit früheren Übersetzungen berücksichtigen muss.
Kritisch angemerkt wurde zu funktionalen Translationstheorien immer
wieder die Überbetonung funktionsvarianter Übersetzungsaufträge. Albrecht
(1998, 2Ń9) stellt die Anwendbarkeit der Skopostheorie, insbesondere für
48
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
literarische Übersetzungen, aus diesem Grund in Frage: „Man hat bei der
Lektüre skopostheoretischer Arbeiten den Eindruck, als werde Funktionskonstanz zwischen Ausgangs- und Zieltext eher als Ausnahme denn als
Regel gesehen. Damit läßt sich meines Erachtens eine Übersetzung nicht
mehr von einer Bearbeitung unterscheiden.“ Nord (1997, 120) erwidert, dass
Funktionskonstanz zwischen dem Ausgangtext und Zieltext nicht immer
erforderlich bzw. erwünscht sei. Die „Charakteristika des Originals“ sind
auch bei einer Übersetzung mit Funktionswechsel vorhanden, wenn auch
nur als „simulierendes Informationsangebot“ (Reiß/ Vermeer 1991, 80).
Schwerwiegender erscheint der Vorwurf der Beliebigkeit, der häufig mit
einer Überbetonung der Translatfunktion einhergeht. So schreibt Prunč
(2003 178): „Aus dem Prinzip der freien Definierbarkeit des Skopos ergibt
sich die logische Notwendigkeit, grundsätzlich die Herstellung jeder beliebigen Beziehung zwischen AT und ZT zuzulassen und das Produkt einer
solchen Transformationshandlung als Translat zu bezeichnen.“ Am gravierendsten scheint mir folgender Problempunkt zu sein: Bei einem funktionsorientierten Vergleich von Ausgangstext und Zieltext wird außer Acht gelassen, dass in Ausgangs- und Zielsprache die jeweilige Translatfunktion u.U.
mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln realisiert wird und die im
AS-Text ermittelten Besonderheiten nicht umstandslos im ZS-Text reproduziert werden können. Der eigentliche neuralgische Punkt beim Übersetzen
wird somit in der vergleichenden Textanalyse ausgeblendet.
Besonders problematisch ist wie bei allen funktionalistisch ausgerichteten Modellen der Begriff der Translatfunktion selbst, der gewiss im Hinblick auf Gebrauchstexte ergiebig sein kann, in Bezug auf literarische Texte
jedoch immer ein wenig vage bleiben muss. Dies erweist sich in Ammanns
Modell, wenn sie beispielsweise die Funktion eines Textes als „literarischer
Text“ angibt (vgl. Ammann 1990, 244). Wenn der „Funktionalität“ einer
Übersetzung bereits Genüge getan ist, wenn aus einer literarischen Vorlage
in der Übersetzung wiederum einen literarischen Text entstehen zu lassen,
so stellt dieses Kriterium keine ausreichenden Parameter für eine graduierbare Evaluierung von Übersetzungsleistungen bereit. Einer solchen Aufweichung des Skopos-Begriffs kann durch die Etablierung einer Skopostypologie
entegegengewirkt werden, wie sie etwa von Prunč (1997) vorgeschlagen
wird.
Ergiebiger und der Spezifik literarischer Texte angemessener scheinen
die in das Modell integrierten rezeptionstheoretischen Erwägungen: Ausgehend von Reiß/ Vermeer (1984) werden Texte von Ammann als Informationsangebote begriffen, deren Textsinn erst situativ, d.h. in der (übersetzerischen) Rezeption realisiert wird. Nicht der übergeordnete Skopos, sondern
Der funktionale Ansatz von Margaret Ammann
49
die rezeptionssteuernden Merkmale des Textes rücken so in den Fokus.
Damit wird Übersetzungskritk zum einen am Text überprüfbar, und zum
anderen tritt der kommunikative Aspekt übersetzerischen Handelns in
den Vordergrund, der sich an den Verstehensprozessen des Rezipienten
ausrichtet.
Die he
e eutis he A sätze – Radegundis Stolze
Die Verstehensprozesse des Lesers stehen im Zentrum der hermeneutischen
Ansätze, die das Verstehen als Grundvoraussetzung des Übersetzens begreifen: „Grundlage des Übersetzens ist das Verstehen“, schreibt Stolze
(1986, 134), und bereits für Klöpfer (19ń7, ń0) ist „Übersetzen nicht vom Verstehen zu trennen.“ Verstehen wird im Sinne der modernen Hermeneutik
als Prozess konzeptualisiert, in dem sich die Wahrheit eines Textes dem
informierten, aber unvoreingenommenen Leser erschließt, und impliziert
damit eine Haltung der Offenheit.
Vor allem der Übersetzer wird also im hermeneutischen Modell zu einem verstehenden Leser des Ausgangstextes Daher wird von Paepcke
(1986b, 106) die Forderung erhoben, der Übersetzer und sein je spezifisches
Textverstehen müssten im Mittelpunkt der Übersetzungstheorie stehen. Für
Stolze (2008, 206) bedeutet Translation:
„Eine übersetzende Person ist konfrontiert mit einem schriftlichen Text
in einer Sprache, den sie zunächst verstehen muss, um ihn dann in einer
anderen Sprache möglichst vollständig wieder zu präsentieren. So ist
Translation ein kognitiver Vorgang, bei dem eine Textmitteilung zu einer
mentalen Repräsentation führt, welche dann in zielsprachliche Sprachform übergeht.“
Das adäquate Verstehen eines Textes resultiert in einer kognitiven Repräsentation einer Mitteilung im Translator. Deren Ausformulieren im Zieltext geschieht durch ein emphatisches Identifizieren mit dem Text, um dann
so zu formulieren, als ob es sein eigener Text wäre. Aufgabe der Übersetzung ist es damit, den Geist des Textes zu verstehen, den Rhythmus zu erkennen, die Melodie zu erspüren und in der eigenen Sprache wiederzugeben. Das „Einfühlungsvermögen ist die unhintergehbare Voraussetzung
des Verstehens.“ (Kohlmayer/ Pöckl 2004, 23) Aufgrund der beim Überset-
Die he
e eutis he A sätze – Radegundis Stolze
51
zen aktivierten Intuition wird die Übersetzung zur Kunst. So sehen bereits
Friedrich und Schadewaldt in der literarischen Übersetzung ein Zusammenspiel von Kunst und Hermeneutik (vgl. Schadewaldt 1966/67, 851). Bei
Friedrich gewinnt die Literaturübersetzung den Status einer literarischen
Gattung und heißt nun Übersetzungskunst (vgl. Friedrich 19ńŃ, Ń). Der hermeneutische Prozess des Verstehens soll im Übersetzen eine Sprache finden,
„die im Ringen mit dem Sprachdämon des Originals und nach dessen Maßgabe im deutschen Wortlaut neu errichtet wird.“ (Schadewaldt 19ń3, ń09).
Es liegt auf der Hand, dass ein so verstandener subjektzentrierter Übersetzungsbegriff den Subjektivitätsfaktor nicht ausklammern kann. Entscheidend für das Verstehen ist der jeweilige Horizont, aus dem ein Phänomen betrachtet wird. Da dieser veränderlich und variabel ist (Stolze
beschreibt diesen Sachverhalt als Multiperspektivität), ist, kann auch Verstehen als Prozess nie abgeschlossen sein. Schon für Paepcke (198ńb, 109) ist
Übersetzen ein „formal … unabgeschlossener Prozess“, und Friedrich (19ńŃ,
10) schreibt von einem „tastend approximative(n) Übersetzen“. Unterschiedliche individuelle Deutungen oder Auslegungen eines Textes sind ja möglich, weil zu unterschiedlichen Zeiten jeweils andere Sinnbezüge ins Licht
treten, die später übersehen oder nicht mehr verstanden werden. Jeder Leseakt ist eine der möglichen Konkretisierungen, deren Gesamtzahl unbegrenzt
ist, und die immer wieder neue kaleidoskop-artige Schüttungen von Sinn,
Abschattungen (Husserl) der Bedeutung eines Textes hervorbringen. Für
Klöpfer ist das Übersetzen demgemäß eine „Weiterführung des Erkentnisprozesses und des ins Offene führenden Deutungsversuchs von Dichtung“
(vgl. Salevsky 2002, 400).
Für den Übersetzer kommt es nun darauf an, den eigenen subjektiven
Horizont aufzubrechen und lernend in fremde Horizonte, z.B. andere Kulturen einzutreten. Dies geschieht im Erweitern der Grenzen des eigenen
Wissens (vgl. Stolze 2016). Indem durch Kenntnisgewinn der eigene Horizont aufgebaut ist, ist Verstehen als „Horizontverschmelzung“ (Gadamer
19ń0, 289) als Verschmelzung des Lesenden mit dem Text möglich. Dem im
Verstehen aktiven Leser tritt der Text mit seinem unerschöpflichen, „überschüssigen Bedeutungspotential“ (Stolze 2003, 1ń1) entgegen. Indem die
hermeneutische Sicht auf den Text darauf abhebt, das bereits Bekannte
durch das Neue aus dem Text verstandene zu potenzieren, setzt sie sich von
der kognitivistischen Übersetzungswissenschaft ab, wo der Verstehensprozess darauf abzielt, „Unbekanntes auf Bekanntes zu reduzieren“ (Wills 1988,
113). Im hermeneutischen Zirkel miteinander verbunden, entfaltet der Text
seine Bedeutungsvielfalt in dem Maße, wie der Leser sein Verständnis vom
im Text dargebotenen steigert. Aufgabe der Übersetzungskritik ist es, die
52
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
individuelle Weise nachzuvollziehen, in der sich der Übersetzer den fremden Text aneignet (vgl. Stolze 2001, 276f).
Auch die hermeneutischen Ansätze der Übersetzungskritik überschreiten damit die Bindung an Äquivalenznormen. Die Forderung nach Äquivalenz wird abgelöst durch die Kategorie der Stimmigkeit (vgl. Stolze 1992,
72; Stolze 2001, 247) von Ausgangstext und Translat. Damit wird der Blick
des Kritikers fortgelenkt von den einzelnen Textstellen, in deren direktem
Vergleich das Verhältnis der Stimmigkeit nur bedingt nachweisbar ist.
Vielmehr rückt die Wirklichkeit hinter den Texten in den Fokus, die aufgrund der divergenten kulturellen Normerwartungen und sprachlichen
Asymmetrien jeweils unterschiedlich gestaltet werden muss. Entscheidend
ist die Wirkung des Textganzen, und die Kritik kann sich nur darauf beziehen, ob sie trotz der Asymmetrie einzelner Textstrukturen in Vorlage und
Translat erzielt wurde (Stolze 2001, 247). Auch eine Hierarchisierung der
Übersetzerentscheidungen wird damit hinfällig, denn der Blick aufs Ganze,
in dem die einzelnen Textelemente verknüpft sind und von dem her sie gedacht werden müssen, erlaubt eine Unterteilung in wichtige und weniger
wichtige Aspekte nicht.
Hermeneutisches Denken impliziert somit einen holistischen Blick auf
den Text. Problematisch sind die etwas vage gefassten Kategorien der Stimmigkeit und der Wirkung (vgl. House 1998, 197). Deshalb betont Stolze die
Wichtigkeit der Rückbindung von Textverstehen an die textlinguistische
Basis. Übersetzen erfordere „die Fähigkeit zu raschem, ganzheitlich-synthetischem, überblicksartigem Erfassen von Zusammenhängen und Situationen, dessen Ergebnisse jederzeit auf ihre Genauigkeit und Adäquatheit
hin überprüft und geändert werden können“ (Stolze 1992, 27). Das originär
intuitive Verstehen müsse stets wieder an den Text rückgekoppelt werden,
um Texttreue in der Übersetzung zu gewährleisten und sollte daher in Analyse und Bewertung als wichtiger Faktor in Rechnung gestellt werden.
Das Verstehen eines Textes als Vorbereiten für das Übersetzen wird in
vier Aspekte gegliedert, die sie als die „translatorischen Kategorien des Verstehens“ (Stolze 2003a, 7Ńf) festlegt:
– Kontext
(Land, Kulturgemeinschaft, zeitliche Einordnung, Hrsg., Autor, Vermittlungsart, Genre, Historie, Quelle, Medientechnik)
– Diskursfeld (Diakultur)
(Textsorte, gesellschaftlicher Ort, Intention des Autors, Milieu, Ideologie,
Domänenspezifik, Kommunikationsrelation)
Die he
e eutis he A sätze – Radegundis Stolze
53
– Begrifflichkeit (Semantik)
(Überschriften, Wortnetze, Schlüsselwörter, kulturspezifische Assoziationen, Metaphorik, thematische Längsachsen, Wiederholungen, Realienbezeichnungen, Namen, Terminologie, Begriffsbildung)
– Aussagemodus (Stil)
(Sprecherperspektive, Satzsubjekte, Verbzeiten, Fokussierung, Sprachregister, Deixis, Idiolekt, Ironie, Intertextualität, Zitate Reimgestalt,
Sprachrhythmus, Lautmalereien, Satzkonstruktion, Sprechakte, Formeln,
Textbausteine, Passiv, Verweis auf Abbildungen, Fußnoten)
Der wichtigste Ertrag der hermeneutischen Ansätze der Übersetzungskritik scheint in ihren Grundvoraussetzungen zu liegen, dass vor allem literarische Texte vielfältig interpretierbar sind und eine dynamische Einheit
bilden, die nur subjektiv und nicht über ein Regelwerk zu erfassen ist. So
schreibt Paepcke (198ń, Ńń) vom Übersetzen als einem „Interpretationsvorgang zwischen zwei Sprachen“. Schon Gadamer (1963, 342) schreibt über die
Unhintergehbarkeit der Interpretation im Übersetzungsprozess:
„Vorverständnis, Sinnerwartung und damit allerhand Umstände, die
nicht im Text als solchem liegen, spielen ihre Rolle für die Auffassung
des Textes. Das wird vollends deutlich, wenn es sich um die Übersetzung aus fremden Sprachen handelt. (…) Da ist die Beherrschung der
fremden Sprache bloße Vorbedingung. (…) Jede Übersetzung, selbst die
sogenannte wörtliche Wiedergabe, ist eine Art der Interpretation.“
Dieses dynamische, interpretative Zeichenverständnis will Stolze (1982,
103) durch linguistische Textanalyse mit hermeneutischem Verstehen vermitteln:
„Durch den Verzicht auf einen statischen Zeichenbegriff zugunsten eines
dynamischen ist es dennoch möglich, die oft betonte Unvereinbarkeit
zwischen linguistischer Textanalyse und hermeneutischem Verstehen in
dialektischen Sinnbezügen wenn nicht aufzugeben, so doch zu lockern.
Die Textanalyse besteht dann in der nachträglichen kontrollierenden
Rechtfertigung des bereits Verstandenen, und insofern ist sie keinesweg
willkürlich und kann keineswegs zu beliebigen Ergebnissen gelangen.“
Mit der Kategorie der „Übersummativität“ literarischer Texte geht Stolze aber über die Grenzen der Textlinguistik hinaus: Der Bedeutungsüberschuss eines Textes erklärt sich daraus, dass das Ganze immer mehr ist als
54
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
die Summe seiner Teile. Mit Schleiermachers „Zirkel des Verstehens“ wird
Verstehen modelliert als: „die Einheit des Ganzes aus den einzelnen Teilen
und den Wert der einzelnen Teile aus der Einheit des Ganzen verstehen“
(Schleiermacher 1938, 187). Die Kategorie der Übersummativität wird in
Wolfgang Isers (2013) Emergenz-Konzept noch einmal virulent. Das von
Iser an Texten der klassischen Moderne beobachtete Umspringen der Einzelelemente in ein qualitativ neues Ganzes kann gewinnbringend für die
Übersetzungskritik fruchtbar gemacht werden (vgl. Sommerfeld 2016).
Grundsätzlich bedenklich an hermeneutischen Ansätzen ist die Vernachlässigung der Zieltextproduktion, bleibt doch das Textverstehen der einzige
Gradmesser für die Qualität der Übersetzung (Siever 2010, 123). Auf den
Punkt gebracht wird dies bereits von Paepcke (198ń, 92): „Das Verstehen des
Textes ist das oberste Kriterium für das Übersetzen und die Bewertung einer
Übersetzung. (…).“ Für Stolze wird die Produktion des Zieltextes nicht als
Konstruktionsprozess konzeptualisiert, sondern als „allmähliche(s) Finden
von Formulierungen“ (201Ń, 134) Aufgrund des grundsätzlich solipsistischen Standpunkts sind hermeneutische Methoden nur schwer objektivierbar und operationalisierbar und in übersetzungskritische Überlegungen zu
überführen. Trotzdem ist hermeneutisches Denken in übersetzungskritische
Ansätze eingeflossen, wie die folgenden Kapitel erweisen werden.
Kog iti e Zugä ge
Um das Übersetzen als Verstehensprozess in den Blick zu nehmen, ist es
nötig, sich in angrenzende Disziplinen wie Psychologie, Neurowissenschaft
oder Kognitionswissenschaft zu begeben. Hilfreich ist die kognitive Psychologie, in der „die menschliche Kognition als ein System mentaler Strukturen
und Prozesse angesehen und im Rahmen von Modellen beschrieben (wird),
welche die Komplexität mentaler Aktivitäten berücksichtigt“ (Schwarz 1992,
12) oder auch wahrnehmungstheoretische Ansätze wie der von Risku (1998,
111-138). Einen Überblick über die Herausbildung der kognitionswissenschaftlichen Paradigmen und ihren Einfluss auf die Translationwissenschaft,
die von der Informationsverarbeitung über den Konnektionismus bis zur
sog. situativen Kognition reichen, gibt Risku (1998).
Aus einer solchen interdisziplinären Perspektive wird ersichtlich, dass
der Leser bzw. Übersetzer eine aktive Instanz ist, die textgeleitete Verarbeitungsschritte vollzieht. So leitet sich für die Kognitionspsychologie Verstehen aus dem Ineinandergreifen von Prozessen Top-down-Prozessen und
Bottom-up- ab, wobei letztere sich auf die Verarbeitung der vom Text gelieferten Informationen beziehen und erstere Verstehensmechanismen beschreiben, in denen der Leser sein verinnerlichtes, im Gedächtnis gespeichertes Wissen aktiviert und an den Text heranträgt (vgl. Hörmann 1980,
25-28). Damit wird Verstehen zu einem „schöpferischen, konstruktiven
Vorgang“ (ebd., 2ń).6 Hörmann (1981) erhellt den Vorgang des Verstehens,
indem er Hypothesenbildungen, Plausibilitätsprüfungen im Verlauf der
Textrezeption sowie Inferenzieren, d.h. das Schließen von bereits Bekanntem
auf Unbekanntes ins Spiel bringt. Damit ist die Abkehr von der Vorstellung
verbunden, Verstehen sei ein linear ablaufender, stringenter Prozess, der vom
Text gesteuert wird, vielmehr tritt es als zirkelförmiger Vorgang hervor, der
________________
6 Ähnlich nimmt Coseriu (1994, 37f) an, dass Textverstehen durch das Korrelieren von
sprachlichem Gehalt und nichtsprachliches Wissen zustande kommt.
56
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
mit dem Zugriff auf die eigenen Bewusstseinsgehalte verbunden ist (vgl.
Reinart 2014, 137f). Diese Erkenntnisse sind auf die Translationsforschung
übertragen worden. So schreibt Kautz (2000, ń3), „dass jeder Schritt vorwärts
gleichzeitig mit einem Blick zurück verbunden wird, dass jede neue Erkenntnis im Laufe des Analyse- und Verstehensprozesses gleichzeitig auch zurückwirkt auf vorherige Erkenntnisse, die dadurch bestätigt oder aber korrigiert werden“. Um die gewonnenen Erkenntnisse jedoch für die Analyse der
Verstehensprozesse in konkreten Einzeltexten (und damit für die Übersetzungskritik) operationalisierbar zu machen, ist das Wissen über Verstehensprozesse jedoch bislang noch zu rudimentär. Zudem laufen neben den kognitiv gesteuerten auch unbewusste, assoziative Prozesse ab, die nur schwer
zugänglich sind, gerade aber bei literarischen Texten besonders wichtig sind.
Die Versuche, die dem Übersetzungsprozess zugrunde liegenden mentalen Zustände und Prozesse ans Licht zu bringen (z.B. Lörscher 1991), erhellen zwar die Mechanismen, die bei übersetzerischen Entscheidungsprozessen zum Tragen kommen, eine umfassende Theorie der Bewusstseinsinhalte
steht aber noch aus (vgl. Wills 1988). Daher wäre es verfehlt, die Translationswissenschaft auf eine bestimmte Kognitionstheorie zu verpflichten, dazu
sind die Möglichkeiten einer Integrierung von Sprachwissenschaft, Kommunikationstheorie und Psychologie noch zu wenig erschlossen. So ist es
natürlich reizvoll, nach Anschlüssen zwischen Kreativitätsforschung (Kandel 2012) und Übersetzungswissenschaft zu suchen, da damit jedoch die bei
der Übersetzung ablaufenden Prozesse nur zum Teil abgedeckt werden
können, wird dies wohl noch eine Weile Zukunftsmusik bleiben müssen.
Am weitesten gediehen ist bei den Einblicken in die black box des Übersetzers das Scenes-and-frames-Konzept, dass zudem den pragmatischkommunikativen Aspekt von Verstehensprozessen berücksichtigt. So weist
Kußmaul (2007, 33) darauf hin, dass das Textverstehen für den Übersetzer
„nie so unverbindlich bleiben (kann), wie dies bei einem normalen Leser
(oder Hörer) möglich ist“, da der Rezeptionsvorgang immer mit Hinblick
auf den Leser der Übersetzung verläuft, und Präsuppositionen vorgenommen werden müssen, d.h. eventuelle Reaktionsweise der Adressaten vorauszukalkulieren sind.
Die daraus ableitbaren Forderungen an den Übersetzer sind also mehrere:
– ein möglichst genaues und umfassendes Verständnis des Textes,
– eine pragmatische Treffsicherheit in Bezug auf Adressatenwissen und –
reaktion,
– und schließlich eine Reformulierungsarbeit, die dasselbe Verständnis
beim Rezipienten sicherstellt.
Kog iti e Zugä ge
57
Der Gewinn kognitiver Zugänge ist eine Sensibilisierung für die nichtsprachlichen Faktoren beim Verständnis eines Textes sowie dafür, dass das
Übersetzen keinen rein sprachlichen Vorgang darstellt, sondern dem Aktivieren von Wissen und Erfahrungen und der Konstruktion von Konzepten
verbunden ist. Diese Einsichten sind in der kognitiven Grammatik von Fouconnier (1994) sowie der Theorie der Re-Konzeptualisierung von Langacker
(2008) verarbeitet worden. Fouconnier geht von der Grundannahme aus,
dass die Interaktion zwischen Sprache und Wirklichkeit nicht unmittelbar
abläuft, sondern durch die Konstruktion mentaler Räume, die wiederum in
Prozessen begrifflicher Integrierung zum Tragen kommen. Die Übersetzung
kann ebenfalls als ein sich aus mehreren Zyklen von Re-Konzeptualisierungen der Originalbotschaft bestehender Prozess aufgefasst werden, im Zuge
deren das im Geist des Übersetzers konstruierte mentale Bild in die Zielsprache übertragen wird, wobei bei jeder Re-Konzeptualisierung die Elemente von Ausgangs- und Zielsprache miteinander und mit den Bewusstseinsinhalten der Sprachnutzer integriert werden.
Mit der Hinwendung zu kognitiven Ansätzen ist nicht nur ein Schwenk
von der produktorientierten hin zur prozessorientierten Übersetzungsforschung vollzogen (Siever 2010, 173), mit der „Übersetzen als komplexer
mentaler Prozess erkannt (wird), in dem der Translator sich verstehend
einen AT zu eigen macht“ (Kupsch-Losereit 1999, 158), sondern auch das
Konstruktivitätsprinzip angenommen, wonach Textverstehen eine konstruktive Leistung ist, die als kreatives Erstellen von Sinn auf der Basis der kongitiven Verarbeitung der materialen Textgestalt durch den jeweiligen Rezipienten zu begreifen ist.
Damit ergeben sich für die Übersetzungskritik, zweierlei Probleme. Zum
einen ist, wenn Textverstehen ein rezipientenabhängiger Prozess ist, der über
individuelle Sinnkonstruktionen zu einem subjektiven Textverständnis
führt, die Überprüfung der Angemessenheit des individuellen Textverständnisses anhand objektiver Kriterien nicht mehr möglich. Die Schwierigkeiten
in der Operationalisierbarkeit sind somit ähnlich gelagert wie im Falle hermeneutischer Ansätze. Zum anderen hängt der Übersetzungsprozess, besonders
wenn man sich kognitionspsychologische Grundannahmen zu eigen macht,
von einer Vielzahl von Faktoren ab, die für die jeweilige Kommunikationssituation wesentlich sind, neben der sprachlichen Ebene gehören zu ihnen das
Wissen des Übersetzers, sein psychischer und emotionaler Zustand, seine
persönlichen Präferenzen, Intentionen u.s.w. Daraus folgt wiederum, dass
Erkenntnisse und Erfahrungen innerhalb eines und desselben sprachlichen
Kodes auf unterschiedliche Art und Weise verbalisiert werden können, wobei
58
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
je nach situativem Kontext auch subjektive Entscheidungen des Übersetzers
zum Tragen kommen, die sich aber kaum systematisieren lassen.
Noch problematischer ist es, „einen Zusammenhang von Textverstehen
und übersetzerischen Entscheidungen“ (Kupsch-Losereit 1996, 217) zu unterstellen, wie es die kognitionsorientierten Ansätze tun. Dem begegnet
Wills (1988), indem er ein „Informationsverarbeitungsmodell“ (ebd., 42)
entwirft und den Übersetzungsvorgang als wissensbasierten Textverarbeitungsprozess (Wills 2005) konzeptualisert. Die solcherart eröffneten Einblicke in die beim Übersetzen zum Tragen kommenden Mechanismen haben
allerdings deskriptiven Wert und sind wie alle prozessorientierten Ansätze
nur schwer für übersetzungskritische Modellbildung fruchtbar zu machen.
Der Ansatz von Sigrid Kupsch-Losereit
Dem Zusammenhang von Textverstehen und übersetzerischen Entscheidungen gilt das Hauptinteresse von Kupsch-Losereit (1996, 217). Sie steht
insofern den hermeneutischen Ansätzen nahe, die sie im Laufe der Zeit um
Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft erweitert und in eine funktionalistische Theorie integriert.
Verstehen ist für Kupsch-Losereit (1993, 205) aber nicht das Dekodieren
einer „semantischen Struktur“, sondern ein „Prozess der Sinnkonstruktion“.
Wenn Übersetzen als Sinngebungsprozess konzeptualisiert wird, so wird
damit die hermeneutische Vorstellung verabschiedet, nach der der AT ein
„statischer, finiter und sinnkonsistenter Text“ ist (Kupsch-Losereit 1996, 226)
und die hermeneutische Frage nach dem Textverstehen als einem Auffinden
oder Auslegen von Sinn durch die kognitivistische Frage nach der Konstruktion von Sinn als Ergebnis von kognitiven Interpretationsprozessen
abgelöst. Der Übersetzer ist damit gehalten, „eine Sinnkonstruktion zu leisten, die er im ZT geformt, renoviert und transformiert weiterträgt.“ (ebd.,
222). Der Übersetzer „reproduziert, rekonstruiert und modifiziert in kognitiven Verarbeitungsprozessen den AT, bevor er den ZT imaginiert und
formuliert“ (ebd., 227). Mit diesem zweiphasigen Prozess, bei dem „Sinnkonstruktion in der Verstehensphase und Sinngebung in der Übersetzungsphase“ untrennbar verbunden sind (Kupsch-Losereit 1993, 215), avanciert
der Übersetzungsprozess zu einer kreativen, strategischen Leistung eines
Translators (Kupsch-Losereit 1999, 158), ist somit nicht mehr – wie in der
Hermeneutik üblich – als eine textgeleitete, sondern eine schemageleitete
Operation aufzufassen (ebd., 169).
Zu der kognitivistischen kommt die funktionalistische Perspektive –
Kupsch-Losereit (199ń, 217) begreift Übersetzen als Sprachhandeln, das
dazu dient, die „Verständigung zu ermöglichen zwischen Menschen mit
verschiedener Sprache und Kultur“, wobei Kommunkation als intentionale,
60
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
situationsbedingte, intra- bzw. interlinguale und intra- bzw. interkulturelle
Interaktion (ebd., 79) sehr weit gefasst wird.
Mit der Konzeptualisierung des Übersetzungsvorgangs als hochkomplexe kommunikative Interaktion rücken auch die interagierenden Partner
verstärkt in den Fokus:
„Die kommunikative Interaktion wird noch komplexer, wenn man den
sozialen Aspekt der Partner berücksichtigt: ihre Kompetenz, Sozialisation, emotionale Regungen, Interessen, ihr status- und rollenspezifisches
Verhalten etc., die je nach Gesellschaft und Kulturraum stärker
oder schwächer bei der sprachlichen Formulierung miterfasst werden.
Die verstehende Anerkennung der anderen/fremden Identität ist der
Schlüssel zu Verständigungsprozessen ganz allgemein, da sie erst die geteilten Situations-, Handlungs- und Sprachmuster ermöglicht.“ (KupschLosereit 1991, 78)
Kupsch-Losereit entwickelt die differenzierteste Aufstellung der Dispositionen der Kommunikationspartner, die auf die angewandte Übersetzungswissenschaft im Bereich der Übersetzungskritik zu beziehen sind:
– Die Kommunikationspartner: Sender/Empfänger bzw. Sprecher/Hörer
– Deren Beziehung als Interaktionspartner untereinander: bekannt, anonym, Status (Laien, Experten, Kinder), Rollenverständnis etc.
– Soziale Eingebundenheit: Status, Rolle, Bildung etc.
– Historische und gesellschaftliche Bedürfnisse, Wertungen, erworbene
Praktiken, handlungsrelevante Unweltinterpretation und –orientierung etc.
– Abhängigkeiten und Praktiken sprachlicher und nichtsprachlicher
Kommunikation, z.B. gleichrangige Sprachvarianten, Registerverwendung etc.
– Kulturspezifisches Vorverstehen und eingeschätztes kulturelles Hintergrundwissen etc.
– Antizipierende Erwartungen und Einschätzungen, Rezeptionsgewohnheiten etc.
– Annahmen über Wissen, Erfahrung, Erleben des Adressaten
– Aktuelle Disposition etc.
– Kommunikationssituation
– Nichtverbaler Handlungsrahmen, aktuelle Umstände, Ort und Zeit der
Textabfassung
– Gemeinsamer Wahrnehmungsraum
– Angenommenes gemeinsames Bezugssystem von Erfahrungen
Der Ansatz von Sigrid Kupsch-Losereit
61
– Voraussetzungssituation: historische und geographische Sachverhalte
– Soziokultureller Bezugsrahmen, wozu v.a. gehören: Gebrauchsnormen,
Wertesysteme, Konventionen Traditionen, regelgeleitetes alltägliches
und ritualisiertes Verhalten, Institutionen etc.
– Intention und Wirkungsabsicht
– Die Mitteilungsabsicht trifft Entscheidungen über Diskurstypen (literarisch/wissenschaftlich etc.), Redetypen (narrative/expositorische etc.),
welche die Texterzeugung direkt beeinflussen
– Zielvorstellungen und Wirkungsabsicht, deren Realisierung in der
thematischen Tiefenstruktur, z.B. in Illokutionen, erfolgt (vgl. ebd., 80f).
Geht man von diesen Prämissen aus, so ist es einleuchtend, dass in der
Bewertung von Übersetzungen zunächst vor allem funktionale bzw. kommunikativ ausgerichtete Kriterien zugrunde gelegt werden.
So sind denn auch von den Bewertungsparametern, mittels deren
Kupsch-Losereit versucht, „allgemeine, für alle Bereiche gültige Parameter
der Bewertung aufzustellen, die für die Qualität einer Übersetzung entscheidend sind“ (Kupsch-Losereit 2008, 201), vier kommunikativ ausgerichtet, und vier weitere sprachlich.
Die kommunikativ ausgerichteten Kriterien sind:
– Funktionsgerechtigkeit,
– kulturspezifische Texterwartungen,
– Textsorte und Gebrauchsnormen,
– Zielmedium bzw. Medienabhängigkeit,
zu den sprachlichen Parametern gehören:
– Textkohärenz,
– Textdynamik,
– Kontextwechsel,
– sprachliche Konventionen (Kupsch-Losereit 2007, 333ff).
Das Kriterium der Funktionsgerechtigkeit ist vor dem Hintergrund des
vorformulierten Übersetzungsauftrags sowie unter Berücksichtigung der
Rezipientenerwartungen zu betrachten. Bei den kulturspezifische Texterwartungen, Textsorten und Gebrauchsnormen gilt in Bezug auf literarische
Texte primär, den kreativen Umgang zu untersuchen, die Entwicklung von
originellen, unverwechselbaren Formen, Genres, Sprachen und Ausdrucksweisen, die mitunter auch bewusste Regelverstöße und Fehler implizieren.
Mit Zielmedium und Medienabhängigkeit sind die Bedingungen und
Konventionen des jeweiligen Mediums gemeint, in dem der Text dem Rezipienten entgegentritt.
Textkohärenz und Textdynamik sind traditionelle linguistische Kategorien, mit denen die Mikrostruktur des Textes charakterisiert werden kann,
62
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
die aber von den kulturspezifischen Texterwartungen gesteuert werden. In
Bezug auf die sprachliche Konvention wird literarischen Texten das Recht
auf einen kreativen Umgang mit den Sprachnormen zugestanden. Mit dem
Kriterium des Kontextwechsels trägt Kupsch-Losereit der doppelten kontextuellen Bindung von Original und Übersetzung Rechnung (vgl. auch
Salevsky 2002, 390) und begreift sie als die Aufgabe, „die Intentionszuschreibung des ursprünglichen Kontextes zu vernachlässigen – da dieser für
die aufnehmende Kultur meist irrelevant ist – und durch einen Kontextwechsel neue sinnstiftende Relationen herzustellen“ (Kupsch-Losereit
2008, 208). Die Übersetzung erweist sich für Kupsch-Losereit somit als komplexer Aushandlungsprozess von individuellen sozialen und kulturellen
Verankerungen von Wissens- und Erfahrungsbeständen. Dem Übersetzer
kommt die Aufgabe zu, die etwaige Kluft zwischen den Intentionen des
Autors und der – vom situativen Kontext und den Erwartungshaltungen
geprägten – Informationsaufnahme zu überbrücken (vgl. Kupsch-Losereit
1991, 77ff).
Aus den von Kupsch-Losereit veranschlagten Evaluierungskriterien
ergibt sich eine pragmatisch erweiterte Erfassung von Übersetzungsfehlern,
wie sie bereits bei Reiß und Nord zu finden ist (Kupsch-Losereit 1986,
12-1ń). Verstöße werden in einer nach Schwere und Bedenklichkeit hierarchisierten Folge von Verletzungen konzeptualisiert, und zwar solchen der
Funktion des Translats, der Kohärenz des Zieltextes, mit dem Ausgangstext
und innerhalb des Zieltextes, der Textsorte bzw. Textform, der sprachlichen
Konventionen sowie der kultur- bzw. situationsspezifischen Bedingungen.
Textexterne, pragmatische Gesichtspunkte erfahren somit eine ähnlich starke Gewichtung wie textinterne Faktoren.
Der Ansatz von Kupsch-Losereit gehört mit Sicherheit zu den komplexesten Modellen der Übersetzungsevaluierung. Die Verbindung der hermeneutischen, kognitivistischen und funktionalen Perspektive lässt ein einleuchtendes Regelwerk für die Bewertung literarischer Übersetzungen
entstehen, da hier prozessorientierte mit produktorientierten Ansätzen intergriert werden, die sich generell leichter übersetzungskritisch operationalisieren lassen. Vor allem aber kommt in den von ihr veranschlagten Parametern die Tiefenstruktur literarischer Texte mit der sinnstiftenden Dimension
der Übersetzung zusammen. Indem der Übersetzungsprozess einen Verhandlungsspielraum zu neuer Sinnkonstitution eröffnet (vgl. KupschLosereit 2012), kommt der Sinn der Übersetzung zum Tragen, „Realität auf
einen neuen Sinn hin (zu) überschreiten“ (Kupsch-Losereit 2008, 210).
A toi e Be
a s Ko zept des Ü e setzu gsp ojekts
Das Konzept des Übersetzungsprojekts, wie es von Antoine Berman (199Ń)
entwickelt wurde, vermittelt die hermeneutische Perspektive mit einer Fokussierung des Zieltextes. Bermans übersetzungskritische Überlegungen
wurden von Irène Kuhn der deutschen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Begriff des Übersetzungsprojekts fußt im Wesentlichen auf den Überlegungen Paul Ricoeurs und Hans Robert Jauß. Die Übersetzungskritik soll
die „Wahrheit“ (vérité) einer Übersetzung hervortreten lassen, dazu ist der
Horizont, aus dem sie erwachsen ist, ebenso zu ermitteln wie das Projekt des
Übersetzers und dessen Position (vgl. Berman 199Ń, 13-14). Aber Bermans
Bezugsrahmen ist nicht die unendliche Sinnfülle des literarischen Textes,
sondern die jeweils gewählte Lesart des Übersetzers: Er nennt sie sein Übersetzungsprojekt, aus dem sich die für die jeweilige Übersetzung festgelegten
Invarianten ergeben. Berman richtet seinen Blick also auf den Übersetzer,
fragt nach dessen Horizont und Position, Übersetzen wird als ganzheitlicher Verstehensprozess konzeptualisiert, der das gesamte Umfeld eines
Textes miteinbezieht. Vor dem Vergleich von Original und Übersetzung
steht die Darstellung des literarischen Umfelds beider Werke und genaue
Einzelanalysen. Mit ihrer Hilfe soll dann nicht der „Übersetzungsprozess“
wie ein deterministischer Ablauf hergeleitet, sondern die Entscheidungen
des Übersetzers als handelndes Subjekt mit seinen Freiheiten und Beschränkungen herausgearbeitet und so seine Autonomie gestärkt werden.
Ziel der Kritik ist es zunächst, die Wesensmerkmale einer Übersetzung
als eines eigenständigen Werks in der Zielsprache herauszustellen. Grundlegendes Kriterium ist die Stimmigkeit, die ja auch in anderen übersetzungskritischen Modellen eine wichtige Rolle spielt (in den neohermeneutischen Ansätzen, bei Stolze oder Ammann). Diese nimmt zunächst die
intratextuelle Translatkohärenz ins Visier, um erst anschließend nach der
intertextuellen Kohärenz von Translat und Vorlage zu fragen. Auch bei
Berman steht das Kriterium der Stimmigkeit damit in einem Spannungsver-
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1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
hältnis zur „Achtung vor dem Original“, die er als ethische Verantwortung
konzeptualisiert. Berman optiert für ein close reading des Zieltextes, bevor
der Ausgangstext einer Betrachtung unterzogen wird. Auf diese Weise soll
der kompulsive Textvergleich vermieden werden und festgestellt werden,
ob die Übersetzung an sich – losgelöst von der Vorlage – gewissen Standards genügt. Der Zieltext soll damit als eigener Text in den Blick treten
(vgl. ebd., 65). Problematisch ist das von Berman angesetzte Kriterium der
Stimmigkeit. Auch bei Berman stellt sich die Frage nach der Bewertung von
intendiert unstimmigen, heterogenen Texten. Wenn der Zieltext im Fokus
der Kritik steht, sind in erster Linie die sprachlichen und ästhetischen
Normen der Zielkultur der Bezugsrahmen für die Übersetzungskritik. Innovative Entscheidungen des Übersetzers werden damit tendenziell als die
Stimmigkeit des Translats störende Faktoren negativ bewertet.
Es stellt sich nunmehr generell die Frage, ob eher den ausgangstextorientierten oder den zieltextorientierten Modellen der Übersetzungskritik der
Vorzug gegeben werden soll. Orientiert sich die Kritik einseitig am Ausgangstext, ist damit eine tendenziell negative Bewertung verbunden, die vor
allem die Mängel der Übersetzung im Verhältnis zur Vorlage herausstellt,
wird jedoch der Zieltext in den Fokus gestellt, wird das Original im Extremfall bis zur Irrelevanz herabgewertet. Eine solche Ansicht wird in Toury’s
Formel festgeschrieben: „translations are facts of one system only: the target
system“ (Toury 198Ń, 19). Eine Verabsolutierung des Zieltexts in der Bewertung scheint jedoch problematisch, denn die „Entthronung“ des Ausgangstextes (vgl. Zybatov 2009, 258) bedingt das Aufheben der Grundspannung
zwischen Vorlage und Translat, in der sich die Übersetzungskritik bewegt
und aus der sie sich speist. Die Übersetzung muss in ihrem doppelten Status
ernst genommen werden: Sie ist eine Repräsentation des Originals und erscheint unter dem Namen dessen Autors, und führt zugleich ein eigenes,
autonomes Leben in einem neuen sprachlichen und kulturellen Umfeld.
Problematisch erscheint das in Bermans Modell der Übersetzungskritik
zugrunde gelegte Übersetzungsprojekt (vgl. Berman 199Ń, 74f). Es kann
nämlich nicht zwingend angenommen werden, dass der Übersetzer in seinen Entscheidungen und grundlegenden Strategien in völliger Unabhängigkeit agiert, vielmehr wird das Konzept einer Übersetzung oftmals nicht vom
Übersetzer eigenverantwortlich erarbeitet, sondern muss mit den Vorlagen
des Verlags abgeglichen werden. Die Autonomie des Übersetzers, die in
Bermans Modell betont wird, kann somit schon aufgrund übersetzungsexterner Faktoren nicht vorausgesetzt werden.
Es stellt sich zudem die Frage, ob von der Prämisse ausgegangen werden
kann, dass jeder Übersetzer einem klaren und fest umrissenen Konzept folgt.
A toi e Be
a s Ko zept des Ü e setzu gsp ojekts
65
So verweist Krysztofiak (2011, 82-142) zwar auf die Möglichkeit der Gestaltung individueller Qualitätsparameter der literarischen Übersetzung auf der
Grundlage der Äußerungen von Übersetzern selbst, lässt dies jedoch nur
unter der Einschränkung gelten, dass nicht alle Übersetzer in der Lage –
oder willens – sind, das eigene Übersetzungskonzept zu formulieren (vgl.
ebd., 161).
Ungeklärt bleibt in Bermans übersetzungskritischem Modell, wie das
Übersetzungsprojekt eruiert werden soll. Soll man die – etwa in Paratexten
wie dem Vorwort bzw. Nachwort niedergelegten – Erläuterungen und Deklarationen des Übersetzers als Ausgangspunkt nehmen und aus ihnen
ableiten, dass sie an jeder Stelle des Textes konsequent umgesetzt wurden?
Die Frage ist zentral, denn die Annahmen des Kritikers über die Existenz
bzw. Nichtexistenz eines Übersetzungsprojekts haben weitgehende Auswirkungen auf die Vorgehensweise bei der Bewertung.
Geht man von der Existenz eines solchen Projekts aus, so kann weiter
angenommen werden, dass das Translat in relativ hohem Grade eine interne
Konsistenz aufweist. In diesem Falle würde es ausreichen, eine geringe Anzahl von Textpassagen herauszugreifen, an denen die der Übersetzung zugrunde liegenden Strategien exemplifiziert werden können. Wenn jedoch
nichts dafür spricht, dass der Übersetzer nach einem klaren Konzept gearbeitet hat, wird das Herausgreifen einzelner Passagen zur Analyse selbst zu
einem Interpretationsakt. Damit ist eine grundlegende Frage nicht beantwortet: Wie kann die Makro-Struktur der Übersetzung über die Analyse
auf der Mikro-Ebene eruiert werden? Ein Grund dafür, dass dieses Problem
wohl gesehen, aber nicht gelöst wurde, scheint zu sein, dass dem Kritiker
angeraten wird, zur Ermittlung der grundlegenden Strategien auf Para- oder
Peritexte zurückzugreifen.
Damit kommen wir zu einem fundamentalenen Problem der Übersetzungsevaluierung: dem Auspendeln des übersetzungskritischen Blicks zwischen der punktuellen Analyse einzelner „Problemstellen“ auf der Mikroebene und dem holistischen Blick auf das Textganze. Nur der Fokus auf
das Ganze des Textes lässt das ästhetische Werkkonzept hervortreten und
macht beispielsweise Parameter wie den Stil erkennbar. Und in Bezug auf
das Translat macht nur ein ganzheitlicher Blick (vgl. Albrecht 2004, 172)
ersichtlich, inwieweit die Strategie der Kompensation Anwendung fand, die
bei nur schwer zu realisierenden Textmerkmalen – wie sprachspielerische
Elemente oder ein besonders kreativer Umgang mit der sprachlichen und
ästhetischen Norm im Individualstil des Autors – häufig zum Tragen
kommt.
66
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Auch Albrecht (1990, 33ff) plädiert für ein translationsevaluatives Konzept, das sich bewusst auf eine vom Kritiker getroffene Auswahl relevanter
Kriterien beschränkt, und bringt dabei die Intuition des Evaluators im Umgang mit Texten und Textmodellen in Anschlag. Solche Ansätze müssen sich
natürlich die Frage gefallen lassen, wie denn eine solche Festlegung dieser
jeweils als für die Qualität wesentlich postulierten Merkmale zustande
kommt. Dem Vorwurf der Willkür sucht Albrecht zu begegnen, indem er
die Invarianzforderungen sehr komplex angeht und neben der Invarianz des
Inhalts auch dem pragmatischen Bereich zur Geltung bringt und einen evtl.
Übersetzungsauftrag und Translatfunktion berücksichtigt (vgl. ebd., 71ff).
Zum anderen bindet er die Invarianzforderungen an die Entscheidungen
des Übersetzers zurück und bezieht dessen Übersetzungsprojekt in die Bewertung ein. Als Parameter dessen, was nach der Meinung des Übersetzers
invariant zu halten ist, nennt er Inhalt, Stil und Wirkung auf den Empfänger
(ebd., 75f).
Aufgabe der Übersetzungskritik ist es also zunächst einmal, die übersetzerische Makrostrategie zu bestimmen und die Invarianzkriterien zu
ermitteln, die der Übersetzer sich auferlegt, um diese in die Bewertung zu
integrieren. So argumentiert Albrecht, wenn er für eine zweiphasige Übersetzungskritik plädiert, in der zunächst die Übersetzungsmaximen eruiert
werden, um in einem zweiten Schritt deren Umsetzung kritisch zu überprüfen (ebd., 7Ń). Eine angemessene Übersetzungskritik sollte also immer
zunächst versuchen zu rekonstruieren, welche Strategie der Übersetzer verfolgt hat und dann erst prüfen, ob die konkret angewendete Übersetzungstechnik dem angestrebten Ziel entspricht oder nicht. Mit anderen Worten:
Die Wahl der Strategie und deren Ausführung sind in getrennten Schritten
zu untersuchen. So kann der Kritiker die Hierarchie der Invarianzforderungen für angreifbar halten, und dennoch befinden, dass sie gut umgesetzt
wurden, oder aber mit der Strategie konform gehen, aber Kritik an ihrer
Realisierung üben. Die Verlagerung der Kritik auf zwei Phasen bedeutet
immerhin einen Zuwachs an Objektivität und Nachvollziehbarkeit.
Mit dem Konzept des Übersetzungsprojekts, wie es in die hermeneutischen Ansätze integriert oder von Albrecht formuliert wurde, wird dem
Übersetzer ein weitgehend autonomer Status zugestanden, wird er mit seinen Entscheidungen ernstgenommen und damit seiner „Unsichtbarkeit“
(Venuti 1995) entgegengewirkt. Er wird zum Partner in einem translatorischen (und translatkritischen) Handlungsprozess (Holz-Mänttäri 1984). Den
Übersetzer an seinen eigenen Ansprüchen zu messen, bedeutet nicht nur,
dass er als Partner im kritischen Prozess ernstgenommen wird, es bringt
auch ein gutes Stück weit ein Abrücken von der normativen Ausrichtung
A toi e Be
a s Ko zept des Ü e setzu gsp ojekts
67
von Übersetzungskritik überhaupt mit sich. Damit stellt sich die Frage, ob
eine Kritik, die die Angemessenheit der gewählten Strategie nach dem
Grundsatz „anything goes“ gar nicht mehr stellt, sich nicht selbst aushebelt.
Dem Übersetzer also in der Übersetzungskritik die Interpretationsfreiheit
zu geben kann nur funktionieren, wenn die gewählten Interpretationen immer wieder am Text überprüft werden.
Mit der Forderung, das gesamte Umfeld sowohl von AT als auch ZT zu
untersuchen, greift Berman bereits Anregungen aus der Historisch-Deskriptiven Übersetzungswissenschaft, die im Folgenden dargestellt werden sollen.
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
Mit den Descriptive Translation Studies, die sich traditionell nicht mit der Bewertung, sondern der Beschreibung von Übersetzungen beschäftigen, hat
sich parallel, aber in Abgrenzung zu den linguistischen Ansätzen ein Paradigmenwechsel vollzogen. Bei der Etablierung einer dezidiert historischdeskriptiven Übersetzungsforschung ging es weniger um eine Theorie der
Übersetzung, als vielmehr um die Erforschung der Rezeption von literarischen Übersetzungen.
Es haben sich im Wesentlichen zwei Ansätze herausgebildet: der systemtheoretische, zieltextorientierte, wie er von Forscherteams in Belgien und
den Niederlanden vertreten wird, und der transferorientierte Ansatz des
Göttinger Sonderforschungsbereichs „Die literarische Übersetzung“ (198Ń1996). Die Beschreibende Übersetzungswissenschaft versucht neben den
linguistisch orientierten und den hermeneutischen, literaturwissenschaftlich
angelegten Ansätzen einen dritten Weg einzuschlagen. Sie stehen den funktionalistischen Ansätzen insofern recht nahe, als sie die Wertigkeit einer
Übersetzung zuallererst an ihrer Funktion bzw. ihrem Status in der Zielkultur bemisst, wohingegen das Original in den Hintergrund der Betrachtung
rückt. Allerdings steht hier anders als beim Pragmatismus der SkoposTheorie im Zentrum die Funktion der Übersetzung in der Zielkultur. Ziel
ist es, einen theoretischen Rahmen zu erarbeiten, um „to historizise actual
translated texts and see the temporal nature of certain aesthetic presuppositions which influence the progress of translation“ (Gentzler 1993, 107).
Grundlegend für den systemtheoretischen Ansatz war das von EvenZohar (1978) entwickelte Theorem des Polysystems, in dem Werke in
ihren besonderen Merkmalen nur im Zusammenhang mit dem Stellenwert
begreifen, den sie innerhalb des Systems besitzen, also über ihre „Differenzqualität“. Der polysystemische Ansatz sieht die Literatur in einer gegebenen Kultur als ein Polysystem an, in dem Genres, Schulen und Strömungen miteinander und aufeinander wirken und sich in unaufhörlichem
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
69
Wandel befinden (vgl. van den Broeck 1985, 122ff; vgl. Heilbron/ Sapiro
2007; Hermans 1999).
Er wird von Toury (1980) um seinen Normbegriff erweitert, den er auf
die nicht-obligatorischen Abweichungen vom A-Text bezieht. Toury unterscheidet drei Normenkomplexe, die dem Übersetzer Handlungsspielraum
eröffnen und Abweichungen begründen können:
– Die preliminary norms, die in der Zielkultur vorherrschen und so den
Übersetzungsbegriff determinieren
– Die initial norms, worunter die Norm der Adäquatheit gegenüber dem
A-Text und die Norm der Akzeptabilität in der Z-Kultur verstanden
wird
– Die operational norms, die konkreten, nicht durch Systemreferenzen
gesteuerten übersetzerischen Entscheidungen.
Übersetzungen definieren sich gerade dadurch, dass sie die Norm der
Akzeptabilität verletzen, indem sie fremde Strukturelemente in der Zielsprache bewahren (vgl. Lorenz 1996, 567). In der konkreten Übersetzungsanalyse wird denn auch Adäquatheit nicht in Bezug auf die Eigenschaften
des A-Textes bestimmt, sondern über die Abweichungen des Zieltextes von
seiner Umgebung. Erst vor diesem Hintergrund wird der A-Text in den
Blick genommen, um so die Differenzqualität des Zieltextes als vom A-Text
verursacht zu bestimmen (ebd.).
Der Göttinger Ansatz versteht sich als transferorientiert, es geht hier um
die Übersetzung als einen Text, der zwischen den Sprachen, Literaturen und
Kulturen vermittelt. Auch Frank und die Arbeitsgruppe im Göttinger Sonderforschungskreis setzten sich damit weniger die Übersetzungskritik zum
Ziel, als die Erarbeitung einer Kulturgeschichte der literarischen Übersetzung. Sie unterschieden zwischen einer externen und einer internen Geschichte der Literaturübersetzung, erstere nimmt die Umstände und Institutionen in den Blick, die auf die literarische Übersetzung Einfluss nehmen
und konzentriert sich auf die Übersetzer. Die zweitere betrachtet die Texte
selbst und nimmt die im Zuge der Übersetzung zustande kommenden Modifikationen und Differenzen ins Visier:
„the texts themselves, with work, author, period and styles, with the
modifications and deviations that the works have undergone in translational transfer, and hence with the resultant differences that exist
between the potential for imaginative experience which the source text
offers to its readers and which the translations offer to theirs.“ (Hermans
1999, 9)
70
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Der Fokus des Göttinger Sonderforschungskreises liegt damit zum einen
auf den die Übersetzungen determinierenden Bedingungen in der Zielsprache und – kultur, und zum anderen auf den Möglichkeiten deren Bereicherung durch die von den Übersetzungen aktivierten Interpretationen des
Ausgangstexts: „… a literay translation incorporates the translator’s interpretation oft he work he has translated and, in turn, invites new acts of understanding under the new conditions oft he target language, literature and
culture – conditions that are, of course, subject to historical change“ (Frank
et al. 1986a, 323).
Die in der kritischen Analyse konstatierten Abweichungen werden somit nicht als Fehler qualifiziert, sondern als Einblicke in Aspekte des Ausgangstexts, die ohne diese unerreichbar blieben. Auch Toury (1995, 84) lehnt
jede schon vorab negative Bewertung von shifts ab: „totally negative kind of
reasoning required by any search for shifts, which (…) would encompass all
that a translation could have had in common with ist source but does not“
(Hervorhebungen des Autors, B.S.).
Die Übersetzung tritt damit als Resultat eines Kompromisses, ein Ausbalancieren von Normen in den Blick:
„one might describe a literary translation as the result of a compromise
which a translator has found between „demands“ originating in four
norm areas: the source text as understood by the translator, the source literature, language, and culture as implicated in the text, the state of
translation culture (which includes concepts of translation, previous
translations oft he same and of other texts, etc.), and the target side (for
instance in the form of publisher’s policies, local theater conventions,
censorship, etc).“ (Frank 1986, 12)
Übersetzungskritik soll also das Verhältnis von AT und ZT erfahrbar
machen und die vielfältigen Spannungen zwischen Vorlage und Übersetzung offenlegen – das Übersetzungsprodukt ist insofern zu bewerten, als es
das Verhältnis von AT und ZT widerspiegelt (vgl. Apel 1983, 35). Trotz
ihrer deskriptiven Ausrichtung gingen auch von den DTS wichtige Impulse
für die Evaluierung von Übersetzungsleistungen aus.
Allerdings hat lediglich van den Broeck (1985) versucht, einen polysystemischen übersetzungskritischen Ansatz zu entwickeln, welcher einen
strukturellen Übersetzungsvergleich sowie die anschließende Übersetzungsbewertung umfasst. Das von van den Broeck entwickelte Modell ist
äquivalenzorientiert. Es sieht eine komparatistische Analyse von Ausgangsund Zieltext vor, die sich auf die Texteme bezieht, also die Textelemente, die
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
71
eine textuelle Funktion besitzen und deren Äquivalenz bestimmt wird (Broeck 198Ń, Ń8). Umfasst „phonetic, lexical, and syntactical components, languages varieties, figures of rhetoric, narrative and poetic struktures, elements
of text convention (text sequences, punkctuation, italicizing, etc.) thematic
elements and so on“ (ebd.).
Die Bestimmung der Äquivalenzen zwischen Ausgangs- und Zieltext
wird stets in den größeren Zusammenhang des jeweiligen Polysystems der
Ausgangs- bzw. Zielkultur gestellt. So ist es denn auch nicht in erster Linie
die kritische Bewertung einer Übersetzungsleistung, auf die van den Broecks
Modell abzielt, sondern die Erhellung der den übersetzerischen Entscheidungen und Strategien zugrundeliegenden Produktions- bzw. Rezeptionsnormen. Damit rückt es die sozialen und kulturellen Hintergründe der
übersetzerischen Entscheidungen in den Blick. Shifts (sofern sie nicht durch
die Sprachsystemunterschiede erzwungen sind) und Differenzen werden
im Einklang mit den Prämissen der DTS als kreative Interpretationen des
A-Textes aufgefasst, die potenziell die Zielkultur bereichern.
Auch hier handelt es sich um ein dreistufiges Modell. Van den Broeck geht
dabei von einer komparativen Analyse von AT und ZT aus, auf deren Grundlage eine evaluative und kritische Beurteilung der Übersetzung erfolgt.
E r s t e S t u f e:
Hypothetische Rekonstruktion der textuell-internen Relationen und
Funktionen des AT (= adequat translation, tertium comparationis für Vergleich mit ZT).
Hier werden Texteme, Elemente mit textuellen Funktionen identifiziert.
Es findet ein Vergleich der ZT-Elemente mit den Textemen des AT statt.
Hierbei sind shifts zu beachten, bei denen zwischen den durch die sprachlichen und kulturellen Regeln der Zielsprache erzwungenen obligatorischen
Transformationen (shifts) und den optionalen, die aus der Entscheidung des
Übersetzers resultieren, unterschieden wird.
Daran schließt sich die Beschreibung der Unterschiede zwischen AT und
ZT auf der Grundlage der Texteme an. Diese Beschreibung muss aber in den
größeren Zusammenhang des jeweiligen Polysystems der Ausgangs- und
Zielkultur eingebettet sein.
Z w e i t e S t u f e:
An die Analyse schließt sich die Auswertung der Ergebnisse an. Dabei
sind die Normen des Übersetzers, die Übersetzungsmethode und die Übersetzungsstrategien besonders zu beachten.
72
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
D r i t t e S t u f e:
Diese ist die Bewertung der Übersetzung (vgl. ebd., 54-62)
Trotz einer beindruckenden Anzahl von extensiven Fallstudien hat der
Göttinger Sonderforschungsbereich „as a whole did not develop a coherent
theoretical or methodological framework, preferring instead to devote their
energy to extensive and detailed case studies“ (Hermans 1999, 1Ń3). Auch
angesichts einer Fülle von greifbaren Analyseegebnissen konnte keine generellere Applizierbarkeit oder übersetzungskritische Modelle entwickelt werden.
Auch Tourys (1995) Auffassung und Typologie der Normen, die entgegen dem allgemeinen Verständnis keine Beurteilungsmaßstäbe sind, sondern gerade den Untersuchungsgegenstand bilden, vermochte keine übersetzungskritische Methodologie auszubilden. Diese ist allerdings auch nicht
das Ziel der Descriptive Translation Studies.
Trotzdem hat die deskriptive Translationswissenschaft den Blick auf die
Übersetzung unwiderruflich erweitert und auch die Übersetzungskritik auf
einen neuen Weg gebracht. So können Apel/ Kopetzki (2003, 65) neben der
Aufgabe, Aufschlüsse über die Übersetzungsmethoden, Verfahren und Strategien sowie über Kommentare des Übersetzers (soweit vorhanden) zu seinen translatorischen Prinzipien und Entscheidungen liefern, von drei Mindestanforderungen an die Übersetzungskritik ausgehen:
– eine Charakterisierung des Ausgangstextes im Zusammenhang der
Literatur der Ausgangssprache;
– eine Charakterisierung der Übersetzung als Text im Zusammenhang
der Zielsprache;
– leserorientierte Informationen darüber, unter welcher Rezeptionseinstellung die Übersetzung als Text aufgefasst werden sollte.
Beidseitige genaue Kontextualisierungen erlauben es, die vielfältigen
Spannungen zwischen AT und ZT offenzulegen. Diese Fokussierung des
Dazwischen der Texte steckt zugleich den Rahmen für die Ü-Kritik ab, die
das Produkt nur insofern bewertet, als es das Verhältnis von AT und ZT
widerspiegelt – und dabei stets die Differenzqualität beider Texte in Relation
zu den sprachlichen, kulturellen und ästhetischen Normen im Blick behält.
Das größte Verdienst der DTS scheint es zu sein, bewusst zu machen,
dass man als Kritiker nicht im luftleeren Raum agiert, sondern in seinen
Wertmaßstäben von den Normen der eigenen Kultur bestimmt wird.
So schreibt Hermans (1991, 1ń3): „(…) we could say that ‘translational
norms’ are the social reality of concepts of translational correctness; this
social reality secures the coordination concerning form and use of translational means in socio-cultural community. (…) correctness notions are culturally determinded; they are culture-bound“.
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
73
Die Forscher der DTS plädieren für eine selbstreflexive, auch sich selbst
gegenüber kritische Übersetzungskritik, die die eigenen Wertmaßstäbe hinterfragt, und begegnen so der Versuchung, die eigenen Normen denjenigen
der Übersetzer einfach überzustülpen. Vielmehr müssen die Normen des
Kritikers miteinbezogen und mit den Normen (oder besser dem Normengeflecht) verrechnet werden, innerhalb deren der Übersetzer agiert: „Only if the
reviewer recognizes the initial norm adopted by the translator, will his critical
account have any objective value.“ (Broeck 1985, 61) Die Grundvorstellungen und Normen, die in Bezug auf das Übersetzen gelten, müssen somit als
Variablen in den Prozess der Übersetzungskritik einbezogen werden.
Angesichts der zunehmenden Migrationsbewegungen erscheint allerdings die systemtheoretische Ausrichtung der Deskriptiven Übersetzungsforschung auf die einzelnen Nationalliteraturen etwas überholt. Die Texte
von Autoren mit Migrationshintergrund sind nicht einmal mehr mit den
Kategorien der Multi- bzw. Interkulturalität zu greifen, vielleicht noch am
ehesten als Transkulturalität beschreibbar (vgl. Heilbron/ Sapiro 2007, 94).
Die Bewertung von Übersetzungen solcher hybriden Texte macht einen neuen methodologischen Zugriff erforderlich.
Cees Koster, Lance Hewson
Innerhalb der DTS verdient der Utrechter Übersetzungswissenschaftler Cees
Koster eine gesonderte Besprechung. Ausgehend vom Differenz-Theorem
der Deskriptiven Übersetzungswissenschaft folgt er der Grundannahme,
dass Übersetzen als ein Akt der Interpretation aufgefasst werden kann und
untersucht „the way in which one can describe a target text in its status as an
interpretation of a corresponding source text“ (Koster 2000, 17). Der Ansatz
Kosters gehört damit im weiteren Sinne zu den hermeneutischen. Er geht
von einem holistischen Verstehen (top-down-Verstehen) des Ausgangstextes
aus: „Koster is critical of the rigid, bottom-up charakter of the procedure (he
prefers the metaphore of the hermeneutic circle)“ (Hewson 2011, 8).
Aus dieser Sichtweise erfolgt die Notwendigkeit der Änderung der übersetzungskritischen Terminologie. So schlägt Koster (2000, 121f) vor, den implizit normativ geprägten Begriff der Abweichung (vgl. Toury 1995) und des
shifts (Catford 19ńŃ) durch den der Änderung („change“) zu ersetzen. Gerade
der Terminus shift suggeriert ja, dass es eine richtige Übersetzung gäbe, von
der der Übersetzer abirre, die rezeptionsästhetische oder konstruktivistische
Perspektive bejaht hingegen, dass jeder Leseakt (auch der der Übersetzers)
andere Bedeutungen hervorbringt bzw. eine neue Konkretisierung des Textes
(Mukařowský 19ńń, 19ń7) darstellt, mögen die Differenzen auch minimal sein.
74
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Die Übersetzung kann somit als die Interpretation des Ausgangstexts
durch den Übersetzers betrachtet werden, zugleich aber auch als ein eigener
Text, der seinerseits neue Interpretationen durch weitere Leser initiiert. Der
Kritiker hat es also mit einem Zieltext zu tun, der seine eigene Dynamik in
der Zielkultur entwickelt, zugleich aber den Ausgangstext mit dem darin
angelegten Interpretationspotenzial repräsentiert. Somit müssen die interpretativen Potenziale beider Texte miteinander verglichen werden. Übersetzungskritik kann damit als das Auffinden der durch beide Texte initiierten
Interpretationen konzeptualisiert werden.
Anders als in den ausgangstext-orientierten Ansätzen nimmt die Kritik
aber in einer Analyse des Zieltexts ihren Ausgang. Dazu ist es zunächst
notwendig, preliminary data zum Text zu sammeln, bevor die eigentliche
kritische Arbeit einsetzt. Diese schließen ein:
– Informationen zu den Paratexten der Übersetzung,
– die Art der Publikation,
– die Person des Übersetzers und seine bislang übersetzten (oder als Autor verfassten) Texte
– historisch-bibliografische Informationen zum A-Text.
Der Z-Text kann nicht isoliert betrachtet werden, der A-Text muss als ein
Bezugsrahmen für die Beschreibung der Z-Textelemente herangezogen
werden, um das bedeutungsbildende Potenzial der Vorlage ins Spiel zu
bringen (Koster 2000, 126).
Anschließend wird die „Textwelt“ des Z-Texts rekonstruiert, indem ein
„semantisch-pragmatisches Gerüst“ erstellt wird. Dazu werden Deixis,
Personen, und die Relationen der Elemente der Textwelt, die raumteitliche
Lokalisierung, die wichtigsten Prozesse, Handlungen und Geschehnisse
analysiert. Dieses Gerüst wird dann mit dem A-Text konfrontiert und dient
zu einer komparatistischen Analyse, wobei traditionelle Parameter wie
Lexik, Prosodie, Rhetorik und Intertextualität untersucht werden.
Zu Kosters Ansatz kann einiges kritisch angemerkt werden: Die von ihm
geforderte Etablierung des „pragmatisch-semantischen Gerüsts“, das als
Bezugsrahmen der kontrastiven Analyse dienen soll, ist bereits ein verdeckter interpretativer Akt, und das auf diesem Wege etablierte Konstrukt ist
eine selektive Paraphrase, die auf der subjektiven Auswahl der Parameter
seitens des Kritikers beruht. Z.B.: die Kategorie der wichtigsten Figuren und
Objekte (vgl. ebd., 171) setzt eine Hierarchisierung voraus, die notwendigerweise ein Konstrukt des Übersetzers sein muss und auf einer persönlichen Interpretation beruht. Für Frank wie für Koster ist allerdings eine
Übersetzungsanalyse ohne Interpretation undenkbar, es ist „hard to see how
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
75
any meaningful target text – source text comparison is possible without somehow taking into account the question of interpretation“ (Koster 2002, 29).
Es kann mit Koster hinsichtlich der Unhintergehbarkeit von Interpretation
eine Parallele gezogen werden zwischen Übersetzer und Kritiker (er nennt
ihn, um die im Terminus impliziten negativen Konnotationen zu vermeiden
und seine Distanz zu präskriptiven Modellen zu markieren, den „describer“
(ebd., 29): „the describer is in competition with the translator precisely because she also performs a translational interpretation“ (ebd., 29). Der Übersetzer
kann nicht allen Interpretationspfaden nachgehen, ist gezwungen, im Rahmen
eines Selektionsvorgangs manche von ihnen auszuschließen und damit das
Bedeutungsangebot des Ausgangstexts zu reduzieren, indem andere Bedeutungsebenen wiederum aktiviert werden (vgl. Levý 1981). Dabei ist zu bedenken, dass der Übersetzer nicht mit einer bereits fertigen Interpretation an den
Text herangeht, die dann von anderen Lesern im Text entdeckt wird. Vielmehr gibt der Text selbst Anlass zu einer Vielzahl von möglichen Interpretationen, die dem Plausibilitätsgrad nach skalierbar sind.
Aufgrund des breit angelegten Bedeutungsspektrums literarischer Texte
kann nicht eine Interpretation den Anspruch erheben, als die einzig wahre
zu gelten. Für den Übersetzungskritiker bedeutet dies, dass nicht ein interpretativer Akt vonnöten ist, der den „wahren“ Bedeutungsgehalt von Ausgang- oder Zieltext identifiziert, sondern immer auch alle anderen, ebenfalls
möglichen und schlüssigen Übersetzungen und damit von ihnen angestoßenen Interpretationen berücksichtigt werden müssen, um vor diesem Hintergrund die Interpretationsleistung des Übersetzers bewerten zu können. Die
Position des Kritikers könnte also komplexer nicht sein.
Im Herausstellen der interpretativen Arbeit des Übersetzers (und Übersetzungskritikers) baut Hewsons (2011) Ansatz im Wesentlichen auf Koster
auf. Ziel ist es, „to examine ways in which a literary text maybe explored as
a translation, not primarily to judge it, but to understand where the text
stands in relation to its original by examining the interpretative potential
that results from the translational choices that have been made.“ (ebd., 1).
Die Sicht des Übersetzungsvorgangs als einer Interpretation der Vorlage
zieht eine Abkehr von der normativen Ausrichtung der Übersetzungskritik
nach sich und begreift Übersetzungskritik als ein Nachvollziehen der interpretativen Arbeit des Übersetzers.
Hewsons Ansatz sieht sechs Stufen der Übersetzungskritik vor (vgl.
ebd., 24f): Ähnlich wie die Vertreter der Descriptive Translation Studies, Koster oder Berman optiert Hewson für eine sorgfältige Zusammenstellung von
Ausgangsinformationen zu Vorlage und Übersetzung innerhalb des jeweiligen literarischen Systems:
76
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
1. Das Sammeln von Basisinformationen über den Ausgangstext (die
Editionsgeschichte, Informationen über den Autor oder die Autorin,
und ihrer bisherigen Werke).
2. Die Berücksichtigung einzelner Parameter des Zieltexts (wurde der
Text zum ersten Mal übersetzt oder existieren bereits frühere Übersetzungen, wurde der Text in andere Sprachen übersetzt, und wenn ja,
welche Rezeption hat er erfahren, handelt es sich um die Bearbeitung
einer bereits existenten Übersetzung, wie wurde diese rezipiert)
3. Informationen über den Übersetzer (sprachlicher und kultureller Hintergrund, andere Übersetzungen oder eigene literarische Werke)
4. Para- oder Peri-Texte zu Ausgangs- und Zieltext, die Einfluss auf die
Interpretation nehmen können (Titelseiten, Illustrationen, Vor- oder
Nachworte, Klappentext, Anmerkungen der Übersetzer)
5. Das Heranziehen eines eventuell bereits existierenden kritischen
Apparates, um den Interpretationsrahmen abzustecken und den
„Ort“ von Ausgangstext und Übersetzung in der jeweiligen Kultur zu
ermitteln (dazu gehören neben literaturwissenschaftlichen Arbeiten
auch Rezensionen von Vorlage und Übersetzung). Handelt es sich um
einen neuen Text, der noch nicht zum Literaturkanon gehört, obliegt
es dem Kritiker, das Interpretationspotenzial ohne die Hilfe des literaturkritischen Diskurses zu ermitteln.
6. Als letzten Vorbereitungsschritt schlägt Hewson eine Sichtung der
Makrostruktur beider Texte vor (wie sind die Texte gegliedert, welche
Struktur haben Kapitel und kleinere Texteinheiten).
Nach dieser Vorarbeit wird zur Etablierung des textanalytischen Rahmens (critical framework) übergegangen (ebd., 26f), der Ausgangstext wird in
einem interpretativen Rahmen platziert, der zu einer Orientierung für die
Analyse auf der Ebene der Mikrostruktur dient. Hier sollen zum einen
die wichtigsten stilistischen Merkmale ermittelt werden, und zum anderen die
im Text angelegten Interpretationsmöglichkeiten ermittelt werden. Der Ausgangstext wird also auf sein „interpretatorisches Potenzial“ hin abgeklopft
und dabei die Stellen herausgefiltert, die eine Interpretation herausfordern.
Es soll dabei nicht eine letztgültige Interpretation des Textes festgelegt
werden, sondern die Textelemente identifiziert werden, die ein besonderes
interpretatives Potenzial besitzen, deren Behandlung durch den Übersetzer
also in besonderer Weise relevant erscheint. Werden diese Elemente vom
Übersetzer in irgendeiner Weise modifiziert, überprüft der Kritiker, ob und
in welcher Richtung divergierende Interpretationen ausgelöst werden. Am
Ende steht mithin nicht eine Bewertung der Interpretation, die in der Über-
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
77
setzung zu Wort kommt, vielmehr sollen die Modifikationen des im Text
angelegten interpretativen Potenzials ermittelt werden (ebd., 7).
Um sein Konzept gegen subjektive Willkür abzusichern und die Bewertung nicht ausschließlich auf die Interpretation des Kritikers zu stützen,
nimmt Hewson zum einen deskriptive Ansätze hinzu, indem er ein sorgfältiges Sammeln von preliminary data fordert und nimmt zum anderen Interpretationen in seinen textanalytischen Rahmen auf, die sich bereits in der
Forschung etabliert haben, wobei auf andere veröffentlichte Texte und sonstige Interpretationshinweise zurückgegriffen wird.
In den Ansätzen von Koster und Hewson wird besonders deutlich, wie
weitgehend die DTS die Ersetzung des äquivalenz-bzw. funktionale Paradigmas durch das Interpretationsparadigma in die Wege leiten. Sowohl
Übersetzer als auch Übersetzungskritiker werden jedoch nicht als eigentlich
Interpretierende einbezogen, ihnen wird vielmehr eine Metaposition im
Verhältnis zu den möglichen Interpretationen eines Textes zugeschrieben,
die teils aus bereits bestehenden Interpretationsansätzen bezogen, teils vom
Kritiker selbst eruiert werden. Ob damit der Problemfaktor der Subjektivität
von Übersetzungskritik (Bittner 2014) ausgeklammert werden kann, steht
allerdings zu fragen, ist doch bereits die Auswahl der Elemente mit besonders großer interpretatorischer Reichweite ein interpretatorischer, interessensgeleiteter Akt.
Wenn Hewson die stilistischen Merkmale als übersetzungsrelevant
betrachtet, insofern sie eine interpretationssteuernde Funktion besitzen,
fällt der Übersetzungskritik, zu die Frage zu beantworten, welche Auswirkungen die stilistische Ausprägung des Translats auf die Lesart des Textes,
seine Interpretation mit sich bringt (vgl. Hewson 2011, 19). Es bleibt jedoch
unklar, in welches Verhältnis Stil und Interpretation zueinander gesetzt
werden.7 Obwohl nachvollziehbar ist, dass, wenn etwas durch eine von der
Norm abweichende, besondere Art und Weise ausgedrückt wird, dies durch
eine singuläre und partikulare Sichtweise motiviert ist, steht zu fragen, ob
ein so umrissener Stilbegriff für die Übersetzungskritik operationalisierbar
gemacht werden kann.
Es ist kein Zufall, dass gerade die Deskriptive Übersetzungswissenschaft
sich besonders eingehend mit Stilfragen beschäftigt, kann doch am persönlichen Stil eines Autors das Spannungsverhältnis zwischen den in einer Kultur geltenden ästhetischen Normen und eigenem Ausdruckswillen festgemacht werden. Die DTS definieren Stil demgemäß als Abweichung von
geltenden sprachliche und ästhetischen Normen, seine Wahrung in der
________________
7 Zum Problembereich Stil und Bedeutung vgl. die weiterführende Arbeit von Boase-Beier
(2006).
78
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Übersetzung wird im Spannungsfeld von Adäquatheit und Akzeptabilität
verortet (vgl. Greiner 2004). Der Übersetzer steht in einem komplexen Normengeflecht, muss den Stil vor den sprachlichen und ästhetischen Normen
der Ausgangskultur betrachten und mit den Normen der Zielkultur abgleichen. In diese Konstellation tritt der Übersetzer mit seinem eigenen Individualstil.
Innerhalb der Deskriptive Translation Studies ist von Schultze (2008) der
Begriff der Individualästhetik eingeführt worden. Als „Beobachtungsort“
der Übersetzungsanalyse kommt ihm vor allem eine rein deskriptive Wertigkeit zu, übersetzungskritische Implikationen kommen ihm nur im Sinne
des Postulats zu, den individuellen Stil eines Autors zu wahren. Gerade
aber, weil Stil individuell geprägt ist, müssten die Kriterien für jeden Autor
einzeln neu bestimmt werden. Aus einer so konzeptualisierten Individualästhetik können demnach nur schwer kategorisierbare Kriterien für die Übersetzungskritik abgeleitet werden.
Gerade in ihrer Bereitschaft, sich mit der Stilproblematik auseinanderzusetzen, erweisen die DTS noch einmal die Ratlosigkeit der Übersetzungskritik angesichts der Ungreifbarkeit von Stilphänomenen. Dabei muss in der
Übersetzungskritik der Stilfrage eine herausragende Bedeutung eingeräumt
werden. Der Status der Vorlage als Sprachkunstwerk impliziert, dass die
formal-ästhetischen Qualitäten gleichrangig neben den Inhalt treten. Da die
sprachliche Form in literarischen Texten stets auch Eigenwert besitzt, erscheint die Auseinandersetzung mit den individuellen Präferenzen eines
Autors, der Art und Weise, wie er mit den Vorlieben seiner Leserschaft
spielt, unabdingbar. Dies wird in neueren Arbeiten durchaus gesehen. So
unterstreicht Boase-Beier (2006, 114) die Bedeutung von Stilfaktoren für die
Literaturübersetzung, für ihn ist diese „the translation of style because it is
the style of a text which allows the text to function as literature“. Baker
(2000, 245) gibt eine recht weit gefasste Definition von Stil im Kontext der
Literaturübersetzung:
„In terms of translation, rather then original writing, the notion of style
might include the (literary) translator’s choice of the type of material to
translate (…) and his or her consistent use of specific strategies, including the use of prefaces or afterwords, footnotes, glossing in the body of
the text, etc. More crucially a study of a translator’s style must focus on
the manner of expression that is typical of a translator, rather than
simply insistances of open invention. It must attempt to capture the
translator’s characteristic use of language, his or her individual profile of
linguistic habits, compared to other translators.“
Der Beitrag der Descriptive Translation Studies
79
Baker ist es weniger um übersetzungskritische Problemstellungen zu
tun, sie nimmt die Frage der Ermittlung des Individualstils von Übersetzern
in den Blick. Ihr Artikel liefert jedoch eine Reihe von interessanten Einsichten in die oftmals unbewusst gewählten sprachlichen Besonderheiten, sie
fokussiert „quite subtle, unobtrusive linguistic habits which are largely
beyond the conscious control oft he writer and wich we, as receivers, register
most subliminally“ (Baker 2000, 24ń). Mit der Frage, welche vom Übersetzer
gewählten Lösungen bewusst oder unbewusst gewählt werden, bewegen
wir uns freilich auf dem Gebiet des Spekulativen, sie kann damit auch nicht
Gegenstand der Übersetzungskritik sein.
Die Objektivierbarkeit bei der Etablierung der Stilmerkmale eines Autors oder Textes versuchen die linguistischen Ansätze wie der von Leech/
Short (1981) durch Quantifizierung zu gewährleisten. Zunächst wird die
Frequenz bestimmter Stilmerkmale ermittelt, um auf dieser Grundlage das
stilistische Profil des Textes zu erstellen. Wenn wir allerdings mit den Hermeneutikern davon ausgehen, dass ein (nicht nur literarischer) Text immer
mehr ist als die Summe seiner Elemente, ist dieses Verfahren keine ausreichende Grundlage für die Erarbeitung von Bewertungsparametern mit Blick
auf die Literaturübersetzung.
Die Unwägbarkeiten in der Beurteilung von Stil und interpretativen Zugriffen auf literarische Texte werden in den semiotischen Ansätze ins Zentrum gestellt, indem die Unhintergehbarkeit von Interpretation an der interpretativen Grundstruktur von Zeichen festgemacht wird. Damit ist die
Abkehr sowohl vom Äquivalenzparadigma als auch vom funktionalen Paradigma in der Übersetzungskritik endgültig vollzogen.
Se iotis he Zugä ge
Um die ganze Tragweite dieses Paradigmenwechsels ermessen zu können,
muss zunächst auf die Vorläufer der historisch-deskriptiven und semiotischen Ansätze in der Translationswissenschaft zurückgeblickt werden, unter
denen dem in den 30er Jahren von Mukařowský (19ńń, 1967) begründete
semiotische Strukturalismus der Prager Schule eine besondere Rolle zukommt. Maßgeblich für die hier nachgezeichneten Entwicklungen ist die
Postulierung der sich im Bewusstsein des rezipierenden Subjekts vollziehenden Konkretisationen eines Werkes. Diese Gedanken werden von Levý
(19ń9) in den Zusammenhang der Übersetzung gestellt und weitergeführt.
Grundlegend ist auch für ihn der Gedanke, dass ein Kunstwerk erst dann
realisiert wird und als Kunstwerk wirken kann, wenn es gelesen wird. Auch
der Übersetzer wird zunächst als Leser des Kunstwerks verstanden, Levý
(ebd., 32) fokussiert also nicht die Erhaltung des Werks an sich, sondern „die
Wahrung seines Wertes für den Aufnehmenden“. Von anderen Lesern unterscheidet sich der Übersetzer dadurch, dass er eine Konzeption des Werkes erarbeiten und diese für andere Leser in Sprache fassen muss.
Im dreistufigen Rezeptionsmodell der Übersetzung, die sich daraus
ergibt, stellt der Akt des Lesens damit die dritte subjektive Transformation
des Textes dar. Levýs Modell stellt sich wie folgt dar:
– Die Umgestaltung (Konkretisierung) der Wirklichkeit durch den Autor
in seinem Werk,
– die Auffassung des Übersetzers vom Original und ihr Niederschlag in
der Übersetzung,
– die Konkretisierung des Lesers bei der Lektüre der Übersetzung.
Das im Sinne verallgemeinbarer übersetzungskritischer Modelle Innovative von Levýs Ansatz liegt in der Betonung der interpretativen Freiheit des
Übersetzers, die darauf beruht, dass er eine neue Sicht auf das Werk eröffnen kann, indem er einen bestimmten Aspekt betonen oder enthüllen kann
(Levý 1969, 53). Wenn er eine anti-illusionistische Übersetzungsstrategie
Se iotis he Zugä ge
81
wählt, ist er gefordert, seinen Interpretationsstandpunkt mit Blick auf den
Leser zu bestimmen, er kann dann: „von der übersetzerischen Illusion
abschweifen, indem er seinen Beobachtungsstandpunkt enthüllt, nicht ein
Originalwerk vortäuscht, sondern es kommentiert, bzw, indem er den Leser
mit persönlichen und aktuellen Anspielungen ‚anspricht‘“ (ebd., 32). Daraus
ergibt sich die positive Bewertung der von ihm vorgenommenen shifts.
Levýs Konzept einer das Original durch kreative Abweichungen weiterführenden Übersetzung, die auf die aufnehmende Kultur abstrahlt, ist besonders von den DTS rezipiert worden.
Für die Übersetzungskritik ergeben sich aus Levýs konstruktistischen
Prämissen weitgehende Implikationen. Bei Levý avanciert die literarische
Übersetzung zu einer eigenen Kunstgattung, die zwischen der reproduzierenden und der schöpferischen Kunst angesiedelt ist, wobei das schöpferische Moment darin besteht, die die im einzelnen Werk latent angelegten
ästhetischen und ideellen Werte zu aktivieren. Der Übersetzer ist also gehalten, das jeweilige ästhetische Werkkonzept zu berücksichtigen, womit
sich seine Leistung objektivier Bewertung entzieht. Statt universeller Kriterien, mit denen in Bezug auf literarische Texte oft weder wissenschaftliche
Objektivität noch Vergleichbarkeit erzielt werden kann, optiert Levý für
individuelle, an die Poetik des einzelnen Texts angepasste Beurteilungsmaßstäbe.
Die Einsicht in den konstruktiven Charakter von Rezeption und Übersetzung sind seit langem im übersetzungswissenschaftlichen Diskurs präsent. Schon von Reiß stammt das Diktum: „Jede Übersetzung ist notwendigerweise auch Interpretation“ (Reiß 1971, 107, Hervorhebung im Original,
B.S.), denn der Ausgangstext muss über Wahrnehmung, Identifikations- und
Sinnzuschreibungsprozesse erschlossen werden (Siever 2010, 262). Wenn der
Interpretationsvorgang ein definitorisches Element des Übersetzens ist (vgl.
auch Schreiber 1993, 43), ist damit der Weg zu einer semiotischen Herangehensweise an die Übersetzung geebnet, insbesonder der Peirce’schen Semiotik, die die Notwendigkeit der Interpretation in der Natur des Zeichens
selbst verankert sieht.
Eine Rezeption semiotischer Konzepte ist in der Translationswissenschaft seit späten 70-er Jahren zu verzeichnen (vgl. Wilss 1980, 7-9). In dieser
Zeit etablierte sich die Semiotik in den als Metawissenschaft und ist in der
Philologie inzwischen zu einer Art Leitwissenschaft geworden (vgl. Albrecht
2005, 33). In der Übersetzungswissenschaft wurd sie als „die Gesamtheit
aller Wissenschaften, die Vorgange untersuchen, an denen Zeichenprozesse
beteiligt sind“ (Posner 1977, 4f), fruchtbar gemacht. Bereits Otto Kade (1973,
184) hatte die Übersetzungswissenschaft als „linguo-semiotische Disziplin“
82
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
in den Blick genommen und damit den Zeichenwissenschaften zugeschlagen.8 Der in den 30er Jahren von Mukařowský (19ńń) begründete semiotische Strukturalismus der Prager Schule sowie die semiotische Schule von
Tartu und Moskau (vgl. Grzybek 1989) haben in den Descriptive Translation
Studies (Toury 1994) ihren Niederschlag gefunden. Bassnett hat 1980 (13) die
Übersetzungswissenschaft der Semiotik zugeordnet. Eine fundierte semiotisch orientierte Übersetzungstheorie, die auf der Semiotik von Peirce
basiert, wurde von Gorlée (1994, 1998, 2004, 2012, 2015) vorgelegt. Im deutschen Sprachraum wurde der semiotische Ansatz insbesondere von Wills
(1977, 1980, 1981), Prunč (1988), Nöth (2000) und Siever (2010) aufgegriffen
und weiterentwickelt (vgl. Kohlmayer 1997; Stecconi 2000, 2007; Stolze 2003,
2015; Černý 2012, 2013)9, in Polen von Balcerzan (zuletzt 2013). Heute kann
mit Fug und Recht von einer Semiotisierung der Übersetzungswissenschaft gesprochen werden (vgl. Siever 2010, 25ff).
Grundlage des Eingang semiotischen Denkens in die Translationswissenschaft ist die Auffassung, dass jedes Zeichen eine dynamische Relation
zwischen einem materiellen Zeichen (Repräsentamen), einem Objekt und
einem Interpretans bildet (vgl. Peirce 1955, 99). Wird ein Zeichen durch ein
anderes dargestellt, wird es zum Interpretanten des ersten Zeichens, ein
prinzipiell unabschließbarer Vorgang der Semiose. Das Zeichen wird damit
als ein „Denkelement“ aufgefasst, „das vermittelt, indem es mental repräsentiert“ (Stolze 201Ń, 148), es steht für ein Objekt, „aber das, was im Geist
erzeugt wird – also der Interpretant – ist zugleich eine Deutung der Idee, die
der Interpretant aus dem Objekt herleitet.“ (Černý 2012, 243) Menschliches
Denken wird somit in der Semiotik als Zeichenprozess verstanden, in dessen
Zuge ein Zeichen mit Sinngebung angereichert wird und dadurch erst zu
seiner vollen Entfaltung gelangt (vgl. Prunč 2003, 123). Damit aber stellt sich
– folgt man Peirce – das Denken als ein permanenter Übersetzungsvorgang
dar, der sich in triadischen Schritten vollzieht und nie zuende gebracht werden kann.
In der basalen Einsicht in die interpretatorische Grundstruktur des Zeichens ergeben sich Berührungspunkte von Semiotik und Translationswissenschaft. Der Bezugsrahmen für den semiotischen Zugriff auf die Übersetzung ist der interpretatorische Abstand von Interpretant und dem Zeichen,
das er substituiert. Im semiotischen Konzept von Translation werden Original und Übersetzung beide als komplexe Zeichen verstanden, die der Inter________________
8 Nöth (2000, 323) fasst Sprach- und Übersetzungswissenschaft als Schwesterdisziplinen
auf, als deren Grundlagenwissenschaft die Semiotik fungiert.
9 Zum Problembereich Semiotik und Übersetzen vgl. auch Albrecht 200Ń, 173ff.
Se iotis he Zugä ge
83
pretation offenstehen und dabei in die Semiose der jeweiligen Kultur integriert sind. Die prinzipielle Unabschließbarkeit der Bedeutungsbildung
greift also auf die Übersetzung über, die ebenfalls als offener und dynamischer Prozess gedacht wird. So verstanden, beruht auch die Übersetzung auf
einer infiniten Bedeutungsbildung, „in deren Verlauf Verstehen und Übersetzen emergieren.“ (Siever 2010, 2ńŃ) Bereits Eco (198Ń, 13) schreibt: „Die
Peircesche Idee der Semiose ist die Idee eines unendlichen Interpretationsprozesses“ (vgl. ebenfalls Eco 2006a, 272; 1998). Prunč (1998; 2003, 124) fasst
die Übersetzung als ein „Wachsen der Zeichen durch Semiose und deren
kreative Neuinterpretation in jedem Akt der Translation“ auf.
Von dieser Warte aus ist das semiotische Konzept an übersetzungstheoretische Überlegungen anschließbar – im Grunde sind beide Begriffe sogar
miteinander identisch, ist doch der Interpretant bereits bei Peirce „a fully
semiotic translation“ (Gorlée 2004a, Ń8), womit er einen sehr weiten Begriff
von Übersetzung ins Spiel bringt. Gorlée (ebd., 59) entwickelt, um den Übersetzungsprozess zu bezeichnen, den Begriff der „semiotranslation“. Mit
diesem Terminus soll herausgestellt werden, dass die Peirce‘sche Auffassung der Semiose einerseits ein Paradigma für die (Zeichen-)Übersetzung
bereitstellt und andrerseits die Übersetzung den Vorgang der Semiose veranschaulicht.
Für die Übersetzungskritik hat der semiotische Zugriff dreierlei Folgen,
die wiederum auseinander herzuleiten sind:
1) er zieht eine grundlegend andere Auffassung von der Relation zwischen Ausgangstext und Zieltext nach sich, die nicht mehr nach
Äquivalenzen sucht, sondern nach interpretatorisch relevanten Differenzen zwischen Original und Translat,
2) die Übersetzungskritik selbst kann als Fortführung der interpretatorischen Bedeutungsbildung (der Semiose) aufgefasst werden
3) der semiotische Ansatz bedingt ein Hinausgreifen der Übersetzungskritik über reine Textgebilde.
Ersteres beinhaltet weitreichende Implikationen für den Bewertungsrahmen der Übersetzungskritik, zielt sie doch nicht auf ein fertiges Produkt,
sondern auf eine Arretierung der unendlichen Semiose. Zum anderen ergibt
sich daraus ein grundlegend anderes Verständnis von Kritik und Bewertung, denn indem er auf der interpretativen Grundstruktur der Zeichen aufbaut, erzwingt der semiotische Ansatz in der Übersetzungskritik eine
Abkehr vom Äquivalenzparadigma.10 Der semiotische Ansatz wird ge________________
10 Zwar verwendet Gorlée den Begriff Äquivalenz, allerdings in einem sehr umfassenden
Sinne (vgl. Gorlée 2004a, Ń4).
84
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
nutzt, um auf einem interpretativen Raum abzuheben, der sich zwischen
Original und Zieltext auftut: „In the process of metaphorical translation, the
proposed equivalence between original and likeness does not stay the same.
The replicas are semioticized and resemioticized in time and space – whatever remains is but an alogical shade of fidelity“ (Gorlée 2012, 219). Damit
kommt es bei der Translation auf das Wachsen der Zeichen durch Semiose
und deren kreative Neuinterpretation in jedem Akt der Translation an, nicht
aber auf die Herstellung von Äquivalenzbeziehungen zwischen Ausgangs
und Zieltext. Die im Translat enthaltenen Informationen werden nicht in
ihrer Äquivalenz, sondern ihrer Differenz zum Ausgangstext bestimmt und
bewertet, damit werden Äquivalenzen nicht nur dynamisiert, sondern als
Bewertungsrahmen von konstruktiven, d.h. interpretativen Differenzen
abgelöst.
Die für die Übersetzung grundlegende Differenz wird als „temporal,
spatial and communicative displacement“ bestimmt (Gorlée 2004a, ń0). Die
zeitliche Differenz rührt daher, dass die Übersetzung immer zeitlich nach
dem Ausgangstext entsteht, die Sprachdifferenz entsteht dadurch, dass eine
andere Sprache verwendet wird, und die Kontextualisierungsdifferenz bezeichnet das Faktum, dass der Zieltext sich in einer anderen Kultur und zu
einem anderen Zeitpunkt an einen anderen Adressaten wendet (vgl. Siever
2010, 263). In dieser Forderung schlägt die Übersetzungskritik einen Bogen
zu der von Jakobson formulierten Einsicht, das sprachliche Grundproblem
sei „equivalence in difference“ (Frawley 1984a, 1ń9).
Die Idee einer unheilbaren Differenz ist nun freilich im Nachdenken
über Übersetzung nichts Neues. Sie kommt bereits in Schlegels Theorem der
„unendlichen Annäherung“ zum Tragen und wird dort sowhl interlingual
als auch intralingual aufgefasst. Der Rezipient einer Aussage – so Schlegel –
kann sich der Identität der von ihm interpretierten Bedeutung mit der vom
Sprecher gemeinten Bedeutung nie ganz sicher sein, sondern bleibt darauf
angewiesen, sich in seinen fortlaufenden Interpretationen der sprecherseitig
intendierten Bedeutung anzunähern (vgl. Siever 2010, 27Ńf). Von Derrida
(1967) wurde diese Position bekanntlich zur These der unendlichen Sinnverschiebung radikalisiert. Während der dekonstruktivistische Ansatz von Derrida und de Man letztlich im Postulat der Unübersetzbarkeit mündet (vgl.
Zima 1994), da die Wörter aufgrund der den Wortbedeutungen inhärenten
Ambivalenz nie auf einen Sinn fixiert werden können (vgl. Stolze 2001, 36),
liegt dem semiotischen Ansatz die Annahme der prinzipiellen Übersetzbarkeit von Zeichen zugrunde. Diese wird auch von Gorlée veranschlagt und im
Diktum festgeschrieben: „the translatibility comes first“ (Gorlée 1994, 1Ń3).
Se iotis he Zugä ge
85
Die semiotische Sicht auf die Übersetzung verabschiedet das Konzept
von Kritik als einem auf ein fertiges Proodukt gerichtetes Handeln, sondern
versucht sie in ihrer Vorläufigkeit zu erfassen, die mit der Unabgeschlossenheit der Übersetzung korrespondiert. Gerade aufgrund der angenommenen
allumfassenden Semiose, in der die einzelnen Texte nur vorläufige Arretierungen darstellen, sind semiotische Ansätze für die Übersetzungskritik nur
schwer operationalisierbar.
Wenn jede Übersetzung als Etappe des Semiose-Prozesses aufgefasst
werden kann, impliziert der semiotische Ansatz überdies auch die Idee eines
Fortschritts, den jede Neuübersetzung gegenüber bereits vorhandenen
Übersetzungen darstellt: „a translation is never finished and can always be
improved upon“ (Gorlée 2004a, Ń9). Gorlées Ansatz stellt damit den kreativen, innovativen Aspekt von Übersetzungen heraus. Insofern ist der terminologische und epistemologische Kurzschluss von Semiose und Übersetzung problematisch, da es nicht immer der Fall ist, dass neue Übersetzungen
zweifelhafte, missverständliche oder falsche Übersetzungslösungen ablösen.
Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass schwer zu präzisieren ist,
wann eine Übersetzung im Sinne des semiotischen Ansatzes als gelungen zu
bewerten ist. Gorlée (1994, 14) ordnet Übersetzungen als semiotisch äquivalent ein, wenn ihre interpretatorische Analyse weitgehend kongruent ist und
nur eine Semiose zulässt. Dieses Bewertungskriterium ist allerdings etwas
unscharf und gibt vielen Unwägbarkeiten Raum.
Folgenschwer für übersetzungskritisches Denken scheinen mir weitere
Implikationen des semiotischen Ansatzes zu sein: Indem Zeichen als „Denkelemente“ (Stolze 201Ń, 148) aufgefasst werden, die nicht nur vermitteln,
sondern den Gegenstand auch mental repräsentieren, wird nicht nur Bedeutungsbildung dynamisiert, vielmehr wird im Übersetzungsprozess auch die
Grenze zwischen Text und Metatext (Popowič 197Ń, 30ff) verflüssigt. Dieses
Schwenken auf die Metaebene, in dem der Übersetzer seine interpretative
Freiheit nutzt, um von der übersetzerischen Illusion abzuschweifen und
seinen Beobachtungsstandpunkt zu enthüllen oder das Originalwerk zu
kommentieren, wurde bereits von Levý (19ń9, 32, Ń3) als anti-illusionistische
und House (1997) als offene Übersetzung benannt. Tymoczko (2007, 33f)
und Balcerzan (1998, 174f, 179) ordnen das Kommentieren und Zitieren der
Vorlage, das seinen eigenen Zitatcharakter ausstellt, der modernen und
postmodernen Übersetzung zu (vgl. Preda 2001, 7Ń). Wenn also Gorlée
(201Ń) von der „glassy essence of intersemiosis“ schreibt, mit der es der
Übersetzungskritiker angesichts dieser relativierenden, ironischen, autoreferentiellen Übersetzungspraxis mit ihrer intertextuellen Abundanz und
86
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
proliferierenden Bedeutung zu tun bekommt, so kennzeichnet sie ein Phänomen, das schon Steiner (1975, 253) umriss: als Übersetzung „of imitation,
recreation, variation, interpretative parallel. It covers a large, diffuse area, extending from transpositions of the original into a more accesible idiom all the
way tot he freest, perhaps only allusive orparodistiv echoes …“. Wie Steiner –
aber von ihrer semiotischen Warte her – schreibt sie es dem ontologischen
Status von Übersetzungen zu. Gerade postmoderne Übersetzungskonzepte
greifen sowohl essentielle Bedeutung als auch den ontologischen Status von
Übersetzung an, indem sie Übersetzung nur noch als Aushandlungszone von
Differenzen, nicht aber als Repräsentation des Originals gelten lassen (vgl.
Gorlée 2004, ń0). Die Grundspannung von Original und Übersetzung, aus der
sich die Übersetzungskritik speist, wird damit in den allumspannenden Intertext hinein aufgelöst. Damit vollziehen die semiotischen Ansätze einen Paradigmenwechsel in der Übersetzungskritik, der insbesondere durch die von
der Postmoderne kontaminierte Übersetzungspraxis erzwungen wird.
Zweiteres hat Auswirkungen für das Selbstverständnis der Übersetzungskritik und die daraus ableitbare Relation zwischen Kritiker und dem
zu bewertenden Translat. Der semiotische Ansatz erlaubt es, beide in einem
begrifflichen Rahmen zu integrieren – Übersetzung und Übersetzungskritik
werden als Miteinander und Ineinander von prinzipiell unabschließbaren
Interpretationsprozessen aufgefasst. Indem beide als in den Prozess der
Semiose eingebunden verstanden werden, stehen Übersetzung und Kritik
einander nicht mehr in Opposition gegenüber, sondern werden auseinander
entfaltet. Insofern ist in den semiotischen Ansätzen ein partnerschaftliches
Verständnis von Übersetzungskritik angelegt.
Die Kehrseite ist jedoch, dass beide – Übersetzer und Kritiker – in denselben Prozess der Bedeutungsbildung involviert sind – es gibt also für die Evaluierung sozusagen keine Außenposition – Übersetzer und Kritiker agieren beide
im offenen Raum der Bedeutungen, der „glassy essence of intersemiosis“
(Gorlée 201Ń). Von daher erklärt sich Gorlées (2012) Affinität zu Wittgenstein
(1984, 67) – auch für den Semiotiker sind die Grenzen der Sprache (als Sprachspiel) die Grenzen der Welt.
Weitreichende Konsequenzen für das Selbstverständnis der Translationswissenschaft und die Translatkritk hat dritteres, die Ausweitung des
Gegenstandsbereichs, die sich aus den Prämissen der Semiotik ergibt. Hier
bietet Jakobsons (1959/66) Trias von intralingualer, interlingualer und intersemiotischer Übersetzung einen ersten theoretischen Rahmen. Als intersemiotische Übersetzung fasst Jakobson Medienwechsel wie beispielsweise
die Umsetzung eines Textes in einen Film. Sie nimmt visionär die Einsicht
Se iotis he Zugä ge
87
voraus, dass ein umfassender Translationsbegriff nicht auf wort- (oder text)basierte Transferprozesse bezogen werden kann, sondern auch andere Zeichensysteme miteinbezieht. Toury (1986) erweitert Jakobsons Typologie
und unterscheidet zwei Translationstypen: die intrasemiotische und die
intersemiotische. Die intersemiotische Translation heißt Translation aus
einer Sprache in eine Nichtsprache (language to non language), die intrasemiotische Übersetzung wird unterteilt in intersystemische, d.h. interlinguale und intrasystemische Translation, d.h. intralinguale Translation (Hochsprache, Dialekt). Obwohl Tourys Konzept für viele intersemiotische und
intersystemische Translationen weiter ausgearbeitet werden kann, grenzt
seine Definition der Translation „Translating is a series of operations
whereby one semiotic entity is transformed into, and replaced by, another
entity, pertaining to another (sub-)code or semiotic system“ (Toury 1986,
1112), polysemiotische Texte aus.
Intersemiotische Übersetzungen sind mit dem äquivalenztheoretischen
Paradigma nicht zu greifen, denn für die Linguistik stellt beispielsweise der
Film und seine bildbasierte Filmsprache keine Sprache im eigentlichen Sinne
dar. Die Semiotik hingegen stellt textbasierte und bildbasiere „Sprachen“ als
gleichwertige Zeichensysteme einander gegenüber. Daher ist die semiotisch
orientierte Translationstheorie, die intersemiotische Übersetzungen in denselben begrifflichen Rahmen stellt wie den Sprachentransfer, der einzige
übersetzungstheoretische Ansatz, der den Herausforderungen der neuen
Medienrealität gerecht zu werden vermag. Gerade in den angesprochenen
Bereichen werden semiotische Ansätze daher gerne aufgegriffen.
Der semiotische Ansatz beschränkt sich damit nicht auf Übersetzungsprozesse zwischen natürlichen Sprachen. Darüber, dass das linguistische
Paradigma den modernen Übersetzungsproblemen nicht mehr angemessen
ist, besteht in der Translationswissenschaft – auch von linguistischer Seite –
weitgehend Konsens. So schreibt beispielsweise Albrecht (1998, 6), die Forschung habe „längst eingesehen, dass Übersetzen weit mehr als ein rein
sprachlicher Vorgang ist und dass folglich die Sprachwissenschaft nur zum
Teil für die Lösung der theoretischen und praktischen Probleme der Übersetzung zuständig sein kann.“
Die Semiotisierung der Übersetzungswissenschaft als umfassende Translationwissenschaft bringt daher eine beträchtliche Ausweitung des Übersetzungsbegriffs mit sich. Der Übersetzungsvorgang wird als Relation zwischen Zeichen verstanden, es werden weder Wörter, Sätze noch Texte
übersetzt, sondern Zeichen unterschiedlicher Komplexitätsstufen und verschiedener Zeichensysteme. Auf die Gefahr einer Entgrenzung des Gegen-
1. MODELLE UND ANSÄTZE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
88
standsbereichs der Übersetzungswissenschaft weist Erich Prunč (2001, 30ń)
hin und plädiert für eine Eingrenzung des Translationsbegriffs auf rein
sprachlichen Transfer.11 Eine solche Selbstbescheidung nimmt es allerdings
in Kauf, dass Bereiche wie die medial gebundene Formen des Übersetzens
wie die Synchronisation oder Untertitelung von Filmen oder beispielsweise
das die Audiodeskription oder das Gebärdendolmetschen, das sich durch
den Transfer von natürlich-sprachlichen Zeichen und Gestenrepertoire auszeichnet, aus dem Gegenstandsbereich des Übersetzens herausfallen. Insgesamt gesehen, wird mit einer solchen Eingrenzung die gegenwärtige Tendenz verleugnet, dass im Übersetzeralltag nicht mehr nur sprachbasierte,
sondern zunehmend auch multimediale Texte übersetzt werden (vgl.
Kohlmayer/ Pöckl 2004).
________________
11
Vgl. ebenfalls Prunč (1998, 200ń, 122-125).
2
Die Aus eitu g
des Gege sta ds e ei hs
de Ü e setzu gsk itik –
eue He ausfo de u ge
Die Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Übersetzungskritik durch
neue mediale und ästhetische Formen und Praktiken stellt die Übersetzungswissenschaft vor nicht unbeträchtliche neue Herausforderungen.
Bedenken wir, dass wir „Zeugen einer Revolution (sind), die auf einer Vorherrschaft des Auges über das Ohr dringt“, auf einer zunehmenden Dominanz der Bilder über Texte beruht (Flusser 1987, 29; 1997). Nach Flusser
(1987, 141) drängen die digitalen Bildercodes der neuen Medien nicht nur
Texte und Buchstaben als solche, sondern auch „das sich aufs Alphabeth
stützende Denken“ zurück. Dieser Befund muss in Bezug auf die Übersetzungswissenschaft ernst genommen werden, impliziert er doch durch die
Bilderflut bedingte neue Weisen der Bedeutungskonstituierung: Texte werden in Bilder „übersetzt“, von Bildern durchdrungen, interagieren mit
ihnen, es entstehen hybride Botschaften, die nicht über die Texte allein decodiert werden können.
Es erscheint offensichtlich, dass das Problem mit der Einführung des audiomedialen Texttyps durch Reiß (1971) nicht fassbar und schon gar nicht
für die Übersetzungskritik operationalisierbar gemacht werden konnte. Der
von Reiß eingeführte (und danach wieder zurückgezogene) Typus, der Medium und Modus in eins setzte, stiftete mehr Verwirrung, als bei der Entwicklung von Parametern hilfreich zu sein (vgl. Reinart 2014). Allerdings
bezog sich Reiß’ Modell auf ganz andere mediale Gegebenheiten und eine
im Verhältnis zu heute völlig andere Übersetzungslandschaft.
Heute gewinnt im Zuge der modernen Medienentwicklung der Aspekt
der Medialität stark an Bedeutung. Die Entwicklung neuer Technologien
wirken sich in Form, Inhalt, Struktur und Medialität auf die Übersetzungsformen aus: Die moderne Translationswissenschaft hat es zunehmend mit
Formen zu tun, in denen sich mehrere Zeichensysteme, Darbietungsweisen
90
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
(Modi) und Medien überlagern und miteinander interagieren. Beispiele für
multimedial überlagerte Formen der Übersetzung mit einer starken Technologiekomponente sind die Lokalisierung oder Übersetzung von nichtlinearen Hypertexten und Web- oder Internetseiten, die Hörfilmerstellung
für Blinde oder Sehbehinderte, das „Re-Voicing“ von Live-Untertitelungen
oder die Anpassung von Video-Games an die zielkulturellen Erfordernisse
und Gegebenheiten. Semiotischen Grenzüberschreitungen begegnen wir im
Film, in Museen und Ausstellungen, und zunehmend auch im Theater. Die
Übersetzung für Theater und Oper sowie die Kinderliteratur sind hier noch
die traditionellsten Formen, verkomplizieren sich allerdings durch neue
mediale Gegebenheiten: Übertitelung und Audiodeskription fürs Theater,
Verfilmung von Kinderliteratur, die dann wiederum zur Grundlage neuer
Buchausgaben mit neuen, dem Film entnommenen Illustrationen werden,
der relativ neue Bereich der Comicübersetzung sowie das Übersetzen von
Internetgames, Übersetzen von Netzliteratur – dies sind nur einige Beispiele
für mediale und modale Mischformen.
Formen der Translation, die in ihrer mündlichen und schriftlichen Form
vermischt und medial überlagert sind, stellen eine besondere Herausforderung an die Übersetzung (und damit auch die Übersetzungskritk) dar
(vgl. Gerzymisch-Arbogast 200Ń). Mit der herkömmlichen, auf Jakobsons
(1959/ńń) Übersetzungstrias ist die Berufspraxis heutiger Übersetzer kaum
mehr zu greifen, in der sich diese klassischen Grenzziehungen verwischen
und eine eindeutige Zuordnung von Translationsaufgaben nach intra-, interlingualen bzw. intersemiotischen Kategorien nicht mehr möglich ist.
„Eindimensionale Translationsszenarien (...) konvergieren heute zu mehrdimensionalen Kommunikationsszenarien mit multilingualen, multimedialen, multimodalen und polysemiotischen Aspekten, deren Bewältigung
neben einem entsprechenden Problembewusstsein und Differenzierungsvermögen überaus komplexe, interdisziplinäre Qualifikationen im sprachlichen und technischen Bereich erfordern.“ (Gerzymisch-Arbogast 2005, 23).
Mit der zunehmend diskutierten Medialität der Texte steht die Auflösung des Textbegriffs in engem Zusammenhang, die in besonderer Weise in
Hypertexte, interaktiven Texten, wie der Netzliteratur zum Tragen kommt
(vgl. Prunč 2000, 3-74), in denen auch die Autorfunktion an Bedeutung abnimmt. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Übersetzungskritik
zur Folge, die bislang kaum abzusehen sind.
Es ergibt sich somit das Bild einer zerklüfteten, heterogenen Translationslandschaft, die sich kaum mit einer verallgemeinerbaren Methodologie
Die Ausweitung des Gege sta ds e ei hs de Ü e setzu gsk itik – neue Herausforderungen
91
erfassen lässt. Auf diese durch die moderne Technik induzierten Veränderung der medialen Dimension von Artefakten richtet sich die Übersetzungswissenschaft nur langsam ein. Zunehmend werden aber die neuen
Herausforderungen erkannt, die sich daraus für die Translationswissenschaft und Übersetzungskritik ergeben.
Konsens besteht hinsichtlich der Erfordernis, an einer gemeinsamen
konzeptuellen Grundlage zu arbeiten (vgl. Gambier 1996, 2). Dabei setzt sich
die Auffassung durch, dass der sich derzeit vollziehenden Öffnung der
Berufs- und Tätigkeitsfelder des Übersetzens mit einem weiten Translationsbegriff begegnet werden muss. Dieser muss jedoch – wenn er einen
applizierbaren Bezugsrahmen für die Evaluierung von Übersetzungsleistungen liefern soll – klar umrissen sein.
Von Gerzymisch-Arbogast (2009) wird für hybride Übersetzungsformen
der Begriff der „Multidimensionalität“ ins Spiel gebracht, der den semiotischen (auf Zeichensysteme bezogenen) und den medialen Aspekt integriert.
Translation bezeichnet also eine Handlung:
„bei der das in einem Medium 1 verfasste Original (des geäußerten Anliegens des Sprechers/Hörers) über ein Medium 2 oder mehrere andere
Medien in ein anderes Zeichensystem 2 oder mehrere Zeichensysteme
übertragen wird. Wesentlich ist dabei, dass ein Anliegen oder Interesse
in geäußerter Form vorliegt, dass der Transfer zweckgebunden erfolgt
und einen Medien- und Zeichensystemwechsel implizieren kann.“
(Gerzymisch-Arbogast 2005, 25)
Ähnlich die Definition von Mudersbach (1985, nach: ebd.):
Eine Übersetzung hat das Ziel,
das Anliegen eines Sprechers/Schreibers,
das mithilfe des Zeichensystems 1
im Medium 1 formuliert wurde
für einen Hörer bzw. Leser
untereinem bestimmten Zweck
mithilfe eines Zeichensystems 2
im Medium 2
verstehbar zu machen.
Diese Definitionen erlauben eine Integrierung von semiotischen (als Zeichensystemwechsel, auch die Kombination von sprachlichen und visuellen
bzw. akustischen Zeichen) und medialen (Medienwechsel bzw. Medienkombination), und berücksichtigen dabei die Translatfunktion.
92
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Ob sich die multidimensionale Übersetzung als eine eigenständige Disziplin entwickeln wird, oder ihren Platz in der Übersetzungswissenschaft
finden wird, ist derzeit noch ungewiss. Die Erschwernisse weit angelegter
Forschungen sind im interdisziplinären Charakter der Untersuchungsgegenstände begründet, da auch Studien aus dem Bereich der Medienwissenschaft, Literatur-und Kulturwissenschaft, Linguistik, Soziologie, Psychologie
einbezogen werden müssen. Forschungsbedarf besteht bereits hinsichtlich
der Ausleuchtung des Grenzbereichs von Übersetzung und Adaptierung –
hier sind die Grenzziehungen aufgrund der polysemiotischen Natur der
Untersuchungsgegenstände und der nötigen vorgenommenen Änderungen
bei ihrer Übertragung diffus. Bis zur Aufstellung von zufriedenstellenden
Evaluierungsmodellen scheint es ein weiter Weg zu sein: So betont Zybatow
(2009, 202): „Es gibt bis jetzt keinerlei Qualitätskataloge oder Normen für die
multimediale Translation“.
Im Bestreben, ein generalisierbares systematisches Beschreibungs- und
Analyseinstrumentarium für die Untersuchung multimodaler Texte und
ihrer Übersetzungen zu entwickeln, sind jedoch in Einzelbereichen Teilergebnisse zu verzeichnen. So setzt sich in der Translationswissenschaft allgemein
die Forderung nach einer sorgsamen Beachtung bildlicher, oder typografischvisueller Bestandteile multimedialer Werke durch (vgl. Oittinen 1900, 1993,
1998, 2000, 200ń, 94; O’Sullivan 2006, 113; Thome 2005, 2012, 195ff). So erprobt
etwa Kaindl (2004) einen semiotischen Zugriff auf multimediale Formen wie
Comic und Oper, Thome (200Ń, 2012) plädiert für einen semiotisch erweiterten
interlingualen Textvergleich in der Bewertung der Übersetzungen von Kinderliteratur. Dass es sich hierbei um eine relativ neue Tendenz handelt, belegt
der Rückblick auf House (1997, 125), die noch die (sowohl translatorische als
auch translatologische) Unerheblichkeit des Bildmaterials konstatiert.
Vom Übersetzer ist also zu erwarten, im Einklang mit den verbalvisuellen Relationen der Vorlage zu arbeiten, und für die Translatkritik
ergibt sich die Forderung, nicht nur die Transformation von Texten in Bilder begrifflich zu erfassen und systematisch zu behandeln (Siever 2010, 344),
sondern auch das Zusammenwirken von Text und Bild (die häufigste Medienkombination) in übersetzungstheoretische Überlegungen einzubeziehen. In der Forschung sind diese bereits recht gut aufbereitet: Wort-BildFiguren können rhetorisch beschrieben werden oder im Hinblick auf die
Wechselbeziehungen des ikonischen und symbolischen Codes (vgl. Kloepfer
1976, 41-47). Diese Klassifizierungsversuche (vgl. zusammenfassend Kaindl
2004, 258ff) operieren allerdings auf einem recht hohen Abstraktionsniveau
und scheinen für die übersetzungskritische Analyse nur allgemeine Anhaltspunkte zu bieten.
Die Ausweitung des Gege sta ds e ei hs de Ü e setzu gsk itik – neue Herausforderungen
93
Operationalisierbarer ist die von Riedemann (1988, 255-258) vorgestellte
funktionale Typologisierung des Wort-Bild-Zusammenhangs:
Er unterscheidet
– visuell-verbale Kompatibilität (Informationen von Sprache und Bild
sind miteinander vereinbar)
– visuell-verbale Kongruenz (Informationen sind weitgehend deckungsgleich)
– visuell-verbale Inkompatibilität (Informationen sind unvereinbar)
– visuell-verbale Inkongruenz (Informationen auf beiden Ebenen sind
zwar nicht deckungsgleich, stehen aber auch in keinem Spannungsverhältnis).
Dieses Raster stellt einen guten Ausgangspunkt für die Analyse dar, ist
aber etwas zu grobmaschig und lässt wichtige Aspekte außer Acht, zum
einen die Dominanzbildung zwischen Bild und Text, und zum anderen die
wechselseitige Funktionsübernahme, wobei der sprachliche Textteil etwa
durch Typografie die Semantik visualiert oder der bildliche Teil von ikonische in symbolische Zusammenhänge überführt wird. Allerdings sind gerade die wechselseitigen Determinierungen (gegenseitige Eingrenzung oder
Ambiguisierung, Ironisierung u.ä.) zu vielfältig, um exhaustiv darstellbar
zu sein.
Der kurze Überblick macht deutlich, wie schwierig es ist, die Formen
und Arten der Verbindungsmöglichkeiten und die dabei ablaufenden Zeichenprozesse in einem für die Übersetzungskritik relevanten und operationalisierbaren Kategorienkatalog zu erfassen. Als zusätzliche Schwierigkeit
kommt hinzu, dass die Klassifizierung auch auf narrative Text-BildFormationen (Theaterstück, Oper, Comic, Kinderliteratur) applizierbar sein
muss. Kaindl (2004, 2Ń9f) entwickelt deshalb für den Comic folgender übersetzungsrelevanter Klassifikation von „narrativ-funktionalen“ Text-BildRelationen:
– visuell-verbale Parallelität
– visuell-verbale Bestätigung
– visuell-verbale Ergänzung
– visuell-verbale Fokussierung
– visuell-verbaler Widerspruch
– visuell-verbale Identität.
Thome (2012, 195) spricht noch expliziter vom „narrativen Muster“, das
von Text und Bild gemeinsam konstituiert wird.
Ein schlüssiges Beschreibungsmodell für die Analyse bildlicher und
sprachlicher Präsentationsweisen und ihrer Verbindungen stellen Kress/
Van Leeuwen (1996, 2006) bereit. Das in Grammar of Visual Design Inventar
94
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
zeichentheoretischer Charakteristika bezieht nicht nur mediensemiotische
Ansätze ein, sondern auch den sozialen Kontext, wie er beispielsweise in der
Sprachverwendung im konkreten Austausch von Sprecher bzw. Schreiber
und Hörer bzw. Leser zum Tragen kommt (Kress/ van Leeuwen 2006,
114ff). Damit wird der wichtige Aspekt der Leistungsfähigkeit von Bildmaterial in der kommunikativen Interaktion sowie der für sie gültigen Konventionen hinzugenommen. Das Modell fußt auf der von Halliday (1978) getroffenen Unterscheidung von drei sprachlichen Funktionen, die sie als
darstellend-repräsentativ, kommunikativ-interaktional und textuell beschreiben (Kress/van Leeuwen 2006, 41f).
Beim darstellend-repräsentativen Funktionstyp wird zwischen einer narrativen (die Verbindungen der Elemente sind als prozesshafte Ereignisse
beschreibbar) und einer konzeptuellen Variante (bestehend aus statischen,
zeitlosen Elementen) differenziert. Die interaktive Funktion bezeichnet die
Fähigkeit zur Kommunikation, Ausdruck und Verständnis von Einstellungen und Empfindungen, sowohl von Autor und Rezipient, als auch der
visuell bzw. textuell dargestellten Akteure (vgl. ebd., 114f). Zwischen ersteren etablieren sich beim Rezipieren direkte oder indirekte Relationen, die als
„demand“ oder „offer“ gekennzeichnet werden (ebd., 118f). Die textuelle
Funktion bezieht sich auf die Organisation der dargestellten Figuren und
der Prozesse, an denen sie teilnehmen. Sodass sie eine in sich kohärente
Komposition bilden (ebd., 175ff).
Das Konzept kann aus mehreren Gründen als hilfreich für Beschreibung
multimodaler Texte gelten: zum einen trägt es den Wechselwirkungen von
lingual-symbolischen Codes und ikonischen Zeichen Rechnung, die beide
sowohl statisch als auch dynamisch organisiert sein können, zum anderen
bezieht es die pragmatisch-funktionalen Konstellationen mit ein, die beispielsweise im Falle der Kinderliteratur konstitutiv für die Rezeption ist. Die
Situation des Vorlesens für die jüngere, des Lesens nicht mächtige Rezipientengruppe bedingt nicht nur den „mode“ der mündlichen Darbietung und
bringt somit die Notwendigkeit der Erzeugung „fingierter Mündlichkeit“
(Koch/ Österreicher 198Ń, 1990) in der Figurenrede mit sich, sondern wird
darüber hinaus durch die Text-Bild-Relationen modelliert. Das Vorlesen legt
sich als eine Art Meta-Funktion um das mediale Gefüge des multimedialen
Textes, erzwingt explizite Text-Bild-Verweise, erzeugt Spannungen, die mal
vom Bild, dann wieder vom Text aufgelöst werden. In diesen performativen
Subtext passt sich das Umschlagen der Seiten genauso ein wie – oftmals auf
das Bild bezogene – Sprechakte wie Fragen, Aufmerksamkeitsfokussierungen
oder an den kindlichen Rezipienten gerichtete Handlungsanweisungen. Diese
Konstellativität der Rezeption ist in der Übersetzung zu berücksichtigen.
Die Ausweitung des Gege sta ds e ei hs de Ü e setzu gsk itik – neue Herausforderungen
95
Dieses Erzählen in Text und Bild (Oittinen 2006) stellt aber nicht das einzige – wenn auch aus übersetzungskritischer Sicht weitaus interessanteste –
Problemfeld der Übersetzung von Kinderliteratur und Comics dar. Hinzu
kommt die Notwendigkeit des cultural filtering, dessen Schwierigkeit durch
das Text-Bild-Gefüge potenziert wird. Einen weiteren Problemkomplex stellen die in Rechnung zu stellenden Normen der Zielkultur dar, wobei zu den
sprachlichen und ästhetischen sittliche und ethische Normen im Sinne einer
political correctness hinzutreten, die wiederum in präskriptive Vorstellungen
(als Metanormen) davon eingebettet sind, was Kinderliteratur zu leisten hat
– ob ihr eine edukative (auch im Sinne einer subversiven Erziehung wie
häufig in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur) oder unterhaltende
Funktion zukommt.
Die wahrscheinlich am wenigsten konkretisierbare Bewertungskategorie
für die Übersetzung von Kinderliteratur ist die Anpassung der verbalen
Ebene an den Stil der Zeichnungen, die meines Wissens in der übersetzungswissenschaftlichen oder übersetzungskritischen Literatur überhaupt
keine Erwähnung findet. Dies zeugt m.E. davon, dass wohl die Illustrationen, nicht aber) der Illustrator eines Kinderbuchs als gleichberechtigter
Akteur wahrgenommen wird, der seine eigene Strategie verfolgt und Stillage des Textes (einen ironischen, munteren oder „gefühligen“, archaisierenden Grundton) entscheidend mitgestaltet. Es sei an dieser Stelle erlaubt,
das Beispiel von Enzensbergers (201Ń) Neuübersetzung des Kleinen Prinzen
von Antoine de St. Exupéry zu erwähnen, deren burschikoser, forciert moderner und forscher, subversiver Grundton nicht recht zu den zarten, anspielungsreichen Zeichnungen des Autors passen will. Der Neuübersetzung
von Sloterdijk (2015) sind Zeichnungen des Comic-Zeichners Nicolas Mahler
beigefügt, die in ihrem reduzierten Charakter sehr gut dem Abstraktheitsgrad des Textes entsprechen (vgl. Sommerfeld 2016a, im Druck).
Thome verfolgt in der übersetzungskritischen Analyse von Kinderliteratur einen semiotischen Ansatz. Eine adäquate Untersuchung illustrierter
Kinderbücher erfordert eine umfassende Perspektive, die verbale und nonverbale Komponenten – einschließlich Farbe und Typografie (vgl. Thome
2012, 190) – als gleichwertig betrachtet. Semiotisch ausgedrückt werden sie
als Zusammenspiel linear-sequenzieller symbolischer und ganzheitlichsimulataner ikonischer Zeichen verstanden, die sich wie in allen multimodalen Texten „je nach den ihnen zugedachten Leistungen zu einer stets ganz
besonderen Darstellungsform verknüpfen, bei der sich im Idealfall linguale
und piktoriale Anteile stützen oder einander ergänzen und so zu einem kohärenten Gesamtkommunikat verschmelzen“ (Thome 200Ń, 1f). In semiotisch erweiterten interlingualen Textvergleichen führt sie vor, dass das in
96
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
der Vorlage bestehende Verhältnis von Bild und Text gestört wird, wenn es
zur Wahl mit der nonverbalen Darstellung nicht konformer Benennungen
kommt, was wiederum irritierende Verletzungen des ausgangstextuell
vorgegebenen narrativen Musters zur Folge hat. Solcherlei übersetzerische
Verstöße sind aus semiotischer Sicht besonders gut greifbar (vgl. Thome
2012, 195).
Thome (ebd., 211) regt dazu an, die Erfahrungen mit Kinderbuchübersetzungen für die angemessene Wiedergabe auch anderer als SprachBildverbindungen angelegter Textformen zu nutzen und diese gleichfalls
einer fundierten Qualitätsbeurteilung anhand auch semiotischer Kriterien zu
unterziehen. Daraus ergibt sich die Forderung, über den in der Übersetzungskritik erarbeiteten Katalog der durch die Gegenüberstellung von
Ausgangs- und Zieltext gewonnenen pragmatischen und sprachlichen
Äquivalentindikatoren hinaus auch zeichentheoretische Gesichtspunkte in
die Bewertung einzubeziehen.
Audiovisuelle Ü e setzu g
Während insgesamt hinsichtlich der Übersetzung multimedialer und multimodaler Texte Theoriebedarf besteht, ist die Übersetzung von Filmen ein
bereits recht gut erschlossenes Forschungsfeld (Gambier 1996, 2001; Reinart
2009, 2014. 261ff; Pisarksa/ Tomaszkiewicz 1998, Korycinska-Wegner 2008,
2011, 2012). Bereits bei anderen Formen der audiovisuellen Übersetzung wie
beispielsweise der Übertitelung im Theater sieht die Forschungslage weit
dürftiger aus (vgl. Bunk 2014, 231; Griesel 2007, 9).
Dies mag verständlich sein, geht man davon aus, dass vor allem die
Untertitelung im Film in der Übersetzungspraxis verbreiteter ist als andere
Formen. Hier ist in den vergangenen Jahren ein immer größerer Markt entstanden, auch in Deutschland, und dies, obwohl Deutschland generell eher
der Synchronisationsländern zugeordnet wird (vgl. Vögel 1977, 121).
Ein eigener, sich dynamisch entwickelnder Bereich der audiovisuellen
Übersetzung ist die Untertitelung von Filmen für Gehörgeschädigte oder –
lose (vgl. Reinart 2009, 152). Diese Art von Untertitelung wird nicht nur bei
der interlingualen Übersetzung benötigt, sondern auch bei einheimischen
Produktionen und sind speziell auf die Bedürfnisse dieser Gruppe abgestimmt. So müssen neben Dialogen auch Geräusche verschriftet werden und
die Sprecher (z.B. durch unterschiedliche Farben für die Akteure) kennlich
gemacht werden. Als Versprachlichung nicht-sprachlicher Kodes sind ist die
Untertitelung für Gehörlose daher als eine Form der intersemiotischen
Übersetzung einzustufen. Bei der interlingualen Untertitelung hingegen tritt
die Darbietungsform (der Wechsel von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit) in
den Fokus, der von House (1997) als „mode“ in ihr übersetzungskritisches
Modell einbezogen wird. Der Wechsel des Modus liegt allerdings nicht in
demselben Maße vor, wenn dem Übersetzer ein Dialogbuch vorliegt, das
dem Konzept nach als gesprochensprachlich angelegt ist.
Hurt/ Widler (1998, 2ń1) definieren Untertitel als „die gekürzte Übersetzung eines Filmdialoges, die synchron mit dem entsprechenden Teil des
98
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Originals auf dem Bildschirm bzw. auf der Leinwand zu sehen ist“. Mit dieser Definition werden bereits die wichtigsten Anforderungen an die Untertitelung umrissen:
– Kürze bzw. Kompaktheit,
– Synchronität,
– Gesprochensprachlichkeit bzw. Mündlichkeit.
Wird eine Untertitelung bewertet, so wird zumeist die Erfüllung dieser
zunächst durch die medialen Dispositive des Films bedingten Kriterien
zugrundegelegt.
Die Notwendigkeit der Reduktion ergibt sich daraus, dass beim Erstellen von Untertiteln eine Transposition von gesprochener in geschriebene
Sprache erfolgt, in der Regel aber Gehörtes schneller verstanden als Verschriftetes gelesen werden kann. Zudem können im Orignal Bild und akustisches Signal gleichzeitig verarbeitet werden, während die graphischen
Informationen der Untertitel und die visuellen Informationen des Bildgeschehens über den gleichen Kanal verarbeitet werden und somit zeitversetzt
rezipiert werden. Daher ist die Linearität der Wahrnehmung entscheidend
für die Anforderungen an die Textlänge (vgl. Reinart 2009, 153). In Rechnung gestellt werden muss also die Fremdbestimmtheit der Rezeption,
denn der Zuschauer kann das Lesetempo – anders als beim Buch – nicht
selbst regeln. Zu der zeitlichen Restriktion kommt die Notwendigkeit der
flächenrestriktiven Übersetzung, denn auf dem Bildschirm steht nur ein
begrenzter Platz für den Untertitel zur Verfügung. Die Synchronisation
zwischen Bildgeschehen und Text ist eine Grundanforderung an eine gelungene Untertitelung, da ein größerer zeitlicher Abstand es unmöglich
macht zu erkennen, welchem Sprecher ein Dialogpart zuzuordnen ist.
Der Notwendigkeit von Kürzungen und Kondensierungen fallen oftmals
gerade die Eigenarten gesprochener Sprache zum Opfer, indem insbesondere Abtönungspartikeln weggelassen werden, sodass nur der semantische
Kern der Äußerungen erhalten bleibt. Gerade in einer partikelreichen Sprache wie dem Deutschen hat dies fatale Folgen für die Schaffung der Illusion
gesprochener Sprache. Damit geraten oftmals die filmtechnisch bedingten
Restriktionen in einen Widerspruch zu dem Kriterium der Gesprochensprachlichkeit.
Es ist deutlich geworden, dass das Erzielen von inhaltlicher Invarianz
bzw. konnotativer Äquivalenz besonders stark mit den pragmatischen
Bedingtheiten der audiovisuellen Übersetzung verknüpft ist. Daher wird
die Kritik in dieser Art der Übersetzung weitgehend an den technischen
Aspekten festgemacht. Es erscheint zwar gerechtfertigt, diesen in der Bewertung bei technisch bestimmten Übersetzungsarten wie der Filmübersetzung
Audio isuelle Ü e setzu g
99
einen hohen Stellenwert einzuräumen. Die Translatkritik sollte sich allerdings keineswegs darauf beschränken.
Die ausschließliche Fokussierung auf den wahrnehmungsorientierten,
pragmatischen Aspekt der Filmübersetzung verstellt den Blick darauf, dass
nicht alle übersetzerischen Entscheidungen durch die technischen Bedingtheiten des Filmmediums diktiert sind. Wie bei allen Ausprägungen der interlingualen Übersetzung hat der Übersetzer die Möglichkeit fakultativer
shifts, also qualitative Veränderungen am Ausgangstext vorzunehmen, indem er Kernaussagen nicht nur (medienbedingt) semantisch verdichtet,
sondern auch abschwächt, eliminiert oder in anderer Form bewusst modifiziert. Hier ist der Übersetzungskritiker zum einen gefordert, zwischen den
durch den Modalitätswechsel bedingten Verschiebungen und bewussten
stilistischen Eingriffen des Übersetzers zu differenzieren, und zum anderen
dazu aufgerufen, Position zu beziehen und seinen Bewertungsmaßstab offenzulegen. Nicht nur in der Wortwahl, sondern auch der Selektion bestimmter Elemente kommen interpretative Eingriffe in die Vorlage zum
Tragen, die in der Bewertung entsprechend gewichtet werden müssen.
Um aus der Position der Übersetzungskritik heraus zu entscheiden, ob
solche Veränderungen in der audiovisuellen Übersetzung zulässig oder wünschenswert sind, ist der Rückgriff auf die von House (1997, 2002) in die Übersetzungskritik eingebrachte Gegenüberstellung von covert und overt translation hilfreich. Während die Synchronisation eine substituierende Methode der
Übersetzung darstellt, die das Original gleichsam „verschwinden“ lässt, handelt es sich bei der Untertitelung um ein additives Verfahren, bei dem das
Original unangetastet neben der Übersetzung stehen bleibt (vgl. Reinart 2014,
2ń7). Betrachten wir die Untertitelung als „offene“ Übersetzung, so schafft dies
Bewertungsspielraum für eigenwillige, nicht unbedingt durch das Medium
diktierte Entscheidungen und Strategien des Übersetzers, denn die Qualifizierung als overt translation gesteht dem Untertiteler Freiraum für eigenverantwortliche Eingriffe in die Vorlage zu, die auf der Makroebene Rückschlüsse
auf seine Einstellung gegenüber der Vorlage oder auch seinen bewussten
Umgang mit den (filmästhetischen) Normen der Zielkultur zulassen.
Das Zugestehen optionaler shifts steht allerdings den heute praktizierten,
recht restriktiven Anweisungen gegenüber, die in der Praxis in den Style
Sheets der Untertitelungsfirmen den Untertitelern an die Hand gegeben
werden. Hier werden sie beispielsweise explizit dazu aufgefordert, Schimpfoder Fäkalwörter, ordinär wirkende Redewendungen zu vermeiden und
durch Euphemismen zu ersetzen (vgl. ebd., 27ńf). Begründet wird dies damit, dass deren Wirkung in der gschriebenen Sprache eine andere sei als in
der gesprochenen. Dies ist allerdings ein Übersetzungsproblem, mit dem wir
100
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
es nicht nur in der audiovisuellen Übersetzung zu tun haben, vielmehr muss
der Verschiebung der Wirkungsintensität beim Transfer von als gesprochen
konzeptualisierter Sprache ins Schriftmedium bei der Übersetzung zahlreicher (literarischer) Texte Rechnung getragen werden (vgl. Sommerfeld
2015, 111).
In vielen Aspekten deckt sich die audiovisuelle Übersetzung somit mit
der Übersetzung literarischer Texte im allgemeinen. Daher können bereits
bestehende Konzepte aufgegriffen und um die technische Komponente erweitert werden. Hier ist die konzeptuelle Mündlichkeit zu nennen, wie sie
im Ansatz von Koch/ Österreicher (1985, 1990; vgl. Sommerfeld 2015, 106ff)
entwickelt wird. Auch im Film gehört die betonte Oralität in der Sprache der
handelnden Personen zu den künstlerischen Mitteln, um einen Dialog
authentisch wirken zu lassen. Der übersetzerische Umgang mit Sprachvarietäten, darunte Soziolekte, als Stilmittel mit ästhetischer Funktion ist ebenfalls für alle Arten der literarischen Übersetzung ein relevantes Bewertungskriterium.
Entscheidend für eine gelungene Untertitelung ist, in wieweit der Übersetzer der Multisemiozität der Filmvorlage Rechnung trägt. Zum einen ist
diese ein wichtiger Faktor bei den Entscheidungen des Übersetzers darüber,
welche verbalen Informationen entfallen können, da sie über den visuellen
oder akustischen (Musik, Geräusche) Kanal vermittelt werden. Dies ist jedoch nur einer der Aspekte gelungener Übersetzung innerhalb des multimodalen Felds, wie es das Filmkunstwerk entfaltet. Der Übersetzungskritiker muss dem Umstand Rechnung tragen, dass im Film die Sinnkonstitution
nicht allein auf der Basis der Textübersetzung erfolgt.
Reinart (2014, 279f) zählt die folgenden Elemente und Faktoren auf:
– die weiterhin hörbare Stimme der Protagonisten im Film,
– die Artikulation, Tonhöhe, Prosodie der Äußerungen,
– die Filmmusik,
– die Geräuschkulisse,
– andere auditive Merkmale wir zu- oder abnehmende Lautstärke,
– Kameraführung, die das Auge des Betrachters lenkt und so ein Gegenstück zur Deixis im Text bildet,
– Das Bildgeschehen mit Auftreten, Mimik und Gestik der Schauspieler.
Das Zusammenspiel dieser Zeichensysteme hat zur Folge, dass das Kriterium der Kohärenz in der Filmübersetzung nicht allein auf Textebene
erzielt werden muss, sondern nonverbale oder parasprachliche Elemente
zusammenwirken. Der multisemiotische Charakter des Films beeinflusst
damit die übersetzerischen Entscheidungen auf mikro- und makrotextueller
Ebene.
Audio isuelle Ü e setzu g
101
In der beständigen Interaktion der Zeichensysteme bildet sich der Stil
des jeweiligen Filmkunstwerks heraus. Genauso wie eine fundierte Übersetzungskritik literarischer Texte sich auf literaturwissenschaftliche Kenntnisse,
muss der Kritiker in der audiovisuellen Übersetzung in der Filmästhetik
sattelfest sein, um entsprechend werten zu können, welches Element der
Filmsprache welche Wirkung entfaltet. Der Film wirkt als Ganzes, und jedes
Elemente muss im Einklang mit dem Filmganzen übersetzt werden. Neben
semiotischen Ansätzen können deshalb auch hermeneutische zu relevanten
Resultaten führen (vgl. KoryciĦska-Wegner 2008, 2011, 2012).
Es soll im Folgenden deshalb ein vierstufiges Modell zur Bewertung von
Untertiteln zur Disposition gestellt werden, wobei zu jeder der Bewertungsstufen Leitfragen gestellt werden:
1. Tut die Übersetzung den medienspezifischen Anforderungen an die
Rezeption Genüge? (Einblendezeit, Anpassung des Textumfangs der
Untertitel an die Lesegeschwindigkeit des Publikums)
2. Ist eine inhaltsgetreue Übersetzung erzielt worden? (Beschränken sich
die Komprimierungen auf das erforderliche Maß?)
3. In wieweit ist es gelungen, natürlich klingende Dialoge zu schaffen?
4. Wie geht der Übersetzer Entscheidungen mit dem multisemiotischen
Charakter des Filmkunstwerks um? (Trifft er die richtigen Entscheidungen zu Kürzungen oder Auslassungen, die durch das Bild- oder
Tongeschehen kompensiert werden? Übersetzt er im Einklag mit dem
Bild oder der akustischen Ebene des Films? Mit den filmästhetischen
Mitteln?)
Audiodeskription
Bei der Audiodeskription liegt ein Wechsel des semiotischen Systems vor,
indem für Sehbehinderte nicht zugängliche optische Informationen –
bei Filmen und Theaterstücken also Handlung, Aussehen der Personen,
Gesichtsausdruck, Ausstattung und Kostüme – zusammengefasst verbalisiert und in die Dialogpausen eingeblendet werden, ohne dabei wichtige
Ton- und Musikpassagen zu übersprechen.
Diese Form der intersemiotischen Übersetzung hat sich in der Praxis
zunehmend etabliert, trotzdem muss zuweilen immer noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, um der Audiodeskription innerhalb der Translationswissenschaft den ihr gebührenden Platz einzuräumen. Forschungsbedarf
besteht auch im Bereich der Audiodeskription von Werken der bildenden
Kunst, einer Form der intersemiotischen Übersetzung, die in der Praxis zunehmend Anwendung findet, sich in der Forschung allerdings noch nicht als
eigener Problembereich etabliert hat. Die Audiodeskription von Kunstwerken, die für Museen erarbeiteten und übersetzten Audio-Guides sowohl für
Sehende als auch Sehbehinderte stellen auch für die Übersetzungskritik ein
Terrain bereit, das bislang noch wenig beschritten wurde. Derzeit wird an in
der Audiodeskription von Filmen an der Entwicklung von europäischen
Richtlinien für Hörfilme gearbeitet. Ein Katalog von Evaluierungskriterien
wurde bislang nicht erstellt. Insgesamt ist die Übersetzungskritik in der Bewertung der Übersetzungsleistungen oft hilflos. Dies wird dadurch verstärkt, dass es in diesen Betätigungsfeldern oft an Professionalisierung mangelt – ein Umstand, der wiederum auf ein fehlendes Problembewusstsein
für diese Bereiche und damit auf den mangelnden theoretischen Unterbau
verweist.
Ein Problem ist auch, dass das kritische Feedback seitens der Rezipienten
fehlt, die weit weniger als sensorisch nicht Eingeschränkte in Internetforen
aktiv werden. Das Feuilleton nimmt sich nur in Ausnahmefällen der Audiodeskription (und dann auch nur bei Filmen) an, sodass fast der gesamte kri-
Audiodeskription
103
tische Response wegbricht, der die Qualitätssicherung immer wieder anstößt. Audiodeskriptoren beklagen oft, dass sie nicht wissen, wie ihre Arbeit
von den Rezipienten angenommen wird. Es wird zwar – zumindest ist dies
in Deutschland Standard – mit Blinden zusammengearbeitet, die zwar im
Deskriptionsprozess wichtige Rückmeldungen über die Verständlichkeit und
Kohärenz der Beschreibungen geben, und auch die Redakteursposten bei
den Rundfunkanstalten sind zum Teil mit Blinden oder Sehbehinderten besetzt, diese treten damit dann allerdings aus der Position eines Kritikers heraus und werden zu Akteuren im Produktions, sprich: (Translations-)prozess.
Die Übersetzungskritik ist in der Audiodeskription somit bislang – wie ich
aus Gesprächen mit Audiodeskriptoren der Deutschen Vereinigung der
Filmbeschreiber Hörfilm e.V. erfahren habe – praktisch nicht existent.
Vonnöten ist eine engere Verzahnung von Theorie und Praxis. Hier sind
Workshops und Fachseminare sinnvoll, wie das Seminar „Obraz słowem
malowany” (Bilder mit Worten gemalt), das vom 4.–6. Mai 2016 im Institut
für Germanischen Philologie der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan
stattfand. Im Dialog von Praxis und Theorie und länder- und sprachenübergreifend arbeiteten deutsche und polnische Audiodeskriptoren und Translationswissenschaftler gemeinsam an der Erarbeitung von Qualitätsstandards.
Auch in der Audiodeskriptionsforschung ist eine starke Konzentration
auf medientechnische und pragmatische Aspekte zu verzeichnen, womit
sich Vergleichspunkte insbesondere mit der Untertitelung von Filmen ergeben. In Bezug auf die räumlichen und zeitlichen Restriktionen ist die Audiodeskription der Untertitelung in etwa vergleichbar, denn da die auditive
Vermittelung der visuellen Informationen in die Dialogpausen eingepasst
werden muss, ergibt sich eine medientechnisch bedingte Notwendigkeit der
Informationsselektion bzw. -kondensierung (vgl. Benecke 2014). Der Notwendigkeit der Selektion, Kürzung und Kondensierung steht die durch den
Medienwechsel bedingte Erfordernis der Informationsanreicherung und
Explizitierung gegenüber. Zwischen diesen beiden Polen muss der Filmbeschreiber – ähnlich wie der Untertiteler – abwägen.
Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Krierien für die Kondensierung bzw. Selektion von Informationen. Während bei der Untertitelung
Auslassungen in jedem Moment durch die nonverbalen Elemente des Filmganzen aufgewogen werden können, besteht bei der Audiodeskription das
Problem der Auswahl relevanter Information zum Aufbau eines notwendigen kontinuierlichen Textzusammenhangs bei den Rezipienten, die wohl
akustische, aber nicht visuell dargebotene Informationen aufnehmen können. Daraus folgt, dass bei der Audiodeskription die Selektion der Informationen nach Kohärenzgesichtspunkten vor sich gehen muss. Wie bei allen
104
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Arten der audioviesuellen Übersetzung muss das Kriterium der Kohärenz
nicht allein auf Textebene erzielt werden, vielmehr spielen nonverbale (Geräusche, Musik) oder parasprachliche Elemente bzw. Faktoren (Tonhöhe
oder Intonation, Lautstärke, Prosodie) zusammen. Aus der Multisemiotizität des Filmmediums ergibt sich die Forderung nach der Stimmigkeit des
eingesprochenen Textes mit den übrigen semiotischen Systemen.
Zu den pragmantischen Faktoren der Filmbeschreibung gehört dazu in
ganz besonderem Maße die Präsupposition in Bezug auf Erfahrung und
Wissen der Rezipienten – dazu gehören neben dem Aussehen von Personen
und Gegenständen auch Vorstellungen von Raum, Entferung und Perspektive, die bei Blinden und Sehbehinderten oft nur rudimentär vorhanden
sind. So muss einem von Geburt an Blinden die Deixis oder die Perspektive
anders beschrieben werden als einem Menschen, der über das Wissen verfügt, dass Menschen aus der Ferne betrachtet, „kleiner“ werden. Um auf der
pragmatischen Ebene adäquat zu sein, muss die Audiodeskription also um
ein Vielfaches mehr an Kontext liefern. Beschreibungen oder Vergleiche
laufen oft am Rezipienten vorbei, wenn sie nicht mit dessen internen Bilderund Vorstellungsfundus übereinstimmen. Das Problem wird bei der Audiodeskription für Geburtsblinde oder blinde Kinder besonders virulent.
Die Kontextualisierung von Wahrnehmungsinhalten muss jedoch nicht
nur in Bezug auf ein allgemeines „Weltwissens“ erfolgen, sondern auch im
Hinblick auf das Formenrepertoire des Films und dessen spezifische Art zu
erzählen (vgl. Kargl 2006). Wenn in der Audiodeskription das Visuelle lediglich sprachlich „abgebildet“ wird, ohne zugleich im Rahmen der Sprache
des Films zu „übersetzen“, bleiben die pragmatischen Erfordernisse auf der
Strecke. Wenn beispielsweise die Kamera einen Menschen von oben erfasst,
so muss der Rezipient verstehen, dass dies ein kleiner Mensch ist. Ein gravierendes Problem für den Filmbeschreiber ist es zu entscheiden, welche
von diesen oftmals subtilen, implizit mitgelieferten Informationen explizit
zu machen sind. Soll z.B. ein Kameraschwenk in den Himmel als metaphysischer Handlungsbezug namhaft gemacht werden? In der Filmbeschreibung
potenziert sich damit ein Problem, das der literarischen Übersetzung insgesamt inhärent ist: die Frage des Ausbuchstabierens impliziter Bezüge und
Botschaften. Letztendlich ist damit auch hier die Frage angesprochen,
in wieweit dem Übersetzer das Recht auf die Interpretation der Vorlage
zukommt.
Bei der Audiodeskription stellt sich in ganz besonderer Weise das Problem der Subjektivität des Translators, das bereits in der Auswahl der deskribierten Elemente zum Tragen kommt: Gerade wenn eine Filmszene eine
Vielzahl von Informationen beinhaltet, ist bereits die Selektion der Einzelin-
Audiodeskription
105
formationen ein Akt subjektiver Interpretation, denn jeder Betrachter wird
wahrscheinlich etwas anderes als auffällig und wesentlich wahrnehmen. Die
Frage der Subjektivität betrifft nicht zuletzt das Recht des Audiodeskriptors,
subjektiv gefärbte Ausdrücke zu wählen, die der filmischen Szenerie mehr
Plastizität verleihen. Das Primat der Anschaulichkeit lässt sich aus den
pragmatischen Gegebenheiten der Audiodeskription ableiten. In der Wahl
der Formulierungen sollte das Potenzial des Vor-Augen-Stellens der Sprache
so weit als möglich ausgereizt werden, um beim Rezipienten entsprechende
Vorstellungsbilder entstehen zu lassen. Andererseits aber beinhalten stark
konnotierte Benennungen partikulare Bewertungen des Beschreibers und
greifen so der Interpretation seitens der Rezipienten vor bzw. engen sie ein.
Die bisher geltenden Guidelines für Audiodeskriptoren optieren für eine
weitgehend neutrale Sprachverwendung. Einen Hinweis bietet bereits die
Berufsbezeichnung. Als „Filmbeschreiber“ sollte er an der Oberfläche des
filmischen Bildes bleiben, beschreiben bzw. erzählen, was über den visuellen
Kanal vermittelt werden soll. Der Audiodeskriptor sollte sich von Selbstverständnis und Tätigkeitsprofil her der Interpretation oder auch nur des
Kommentierens enthalten. Semiotisch ausgedrückt: Der Audiodeskriptor
liefert die Zeichen, die Interpretation wird den Rezipienten überlassen. Natürlich ist dies eine problembehaftete Vorstellung, die viele Fragen offen lässt.
Gerade die Peirce’sche Semiotik lehrt uns, dass jedem Zeichen bereits eine
interpretative Struktur inhärent ist. Auch für die Audiodeskription gilt daher
die von Reiß (1971, 107) formulierte Einsicht: „Jede Übersetzung ist notwendigerweise auch Interpretation“. Die Forderung, auf interpretative Eingriffe in
die Vorlage zu verzichten, zeugt somit von einem sehr verflachten Verständnis des Translationsprozesses und ist mit Hinblick auf moderne translatologische Erkenntnisse nicht haltbar. Weiterführender wäre das von Gorlée
(1994, 14) ins Spiel gebrachte Qualitätskriterium, die interpretatorische Analyse solle weitgehend kongruent sein und nur eine Semiose zulassen. Mit Levý
(19ń9, Ń1) kann dann vom Übersetzer gefordert werden, seinen Interpretationsstandpunkt mit Blick auf den Rezipienten zu bestimmen und die eigene,
individuelle Lesart und Relevantsetzung sowohl für die Rezipienten als auch
den Kritiker transparent und intersubjektiv nachvollziehbar zu machen.
Translatologische Ansätze können allerdings nur unter der Voraussetzung
fruchtbar gemacht werden, dass die Audiodeskription in aller gebotenen Konsequenz als Form der Übersetzung in den Fokus der Forschung tritt, was m.E.
bisher nicht der Fall ist. In einen gemeinsamen translationsanalytischen und
methodologischen Bezugsrahmen mit der Literaturübersetzung kann die Audiodeskription nur dann gesetzt werden, wenn die Vorlage (der Film) als Kunstwerk in den Blick genommen wird. Die Forschung konzentriert sich bislang auf
106
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
die technischen und pragmatischen Aspekte (vgl. beispielsweise Reinart 2014),
filmästhetische Aspekte bleiben weitgehend ausgeblendet. Ähnlich wie in der
Übersetzungsanalyse literarischer Texte literaturwissenschaftliche Kenntnisse vonnöten sind, sind zumindest Ansätze aus der Filmästhetik und Geschichte der Kinematographie Voraussetzung einer angemessenen Bewertung von Filmbeschreibungen (vielversprechende Ansätze bei KorycinskaWegner, 2016). Die „Sprache“ des Films (Kargl 2006) muss verstanden werden, um die Problemstellungen nicht aufs rein Technische zu reduzieren.
Folgende Kriterien der Bewertung können in der Audiodeskription von
Filmen veranschlagt werden:
– Erfolgt die sprachliche Umsetzung unter den für die Audiodeskription
geltenden zeitlichen Restriktionen? Wurden die Beschreibungen so
eingeblendet, dass die akustischen Wahrnehmungsmöglichkeiten der
Rezipienten nicht überfordert werden?
– Wurde der multisemiotische Charakter des Films angemessen berücksichtigt, indem z.B. visuelle Informationen weggelassen wurden, die
durch identifizierbare Geräusche kompensiert werden?
– Ermöglicht die Selektion der Einzelinformationen es, dem Filmgeschehen zu folgen und als ein kohärentes Ganzes zu rekonstruieren?
– Genügen die sprachlichen Formulierungen den Kriterien der Anschaulichkeit? Sind sie in der Lage, beim Rezipienten prägnante Vorstellungsbilder zu evozieren?
– Wurde dem Weltwissen der Rezipienten und ihrer Kenntnis filmästhetischer Mittel in angemessener Weise Rechnung getragen?
– Sind die Formulierungen so gewählt, dass eigene Interpretationen
nicht unnötig eingeengt werden? Wurde ein angemessener Grad an
Explizitheit erreicht?
– Ist die eigene Interpretation und die Relevantsetzung nachvollziehbar,
d.h. ist Transparenz im Sinne intersubjektiver Nachvollziehbarkeit erreicht worden?
Es stellt sich nunmehr die Frage, ob für Translationsarten mit einer
starken technologischen Komponente ein eigenes übersetzungskritisches
Modell entwickelt werden sollte oder Kategorien aus bereits etablierten Ansätzen der Übersetzungskritik übertragen werden können. Wie gezeigt werden konnte, müssen pragmatische Aspekte in der Untertitelung oder der
Audiodeskription stärker gewichtet werden als in anderen Formen der
Übersetzung. Hier würde zumindest das pragma-linguistische Modell von
House wertvolle Ansatzpunkte bieten. Das gleiche gilt für kognitivistische
Ansätze – auf die kognitive Komplexivität im Rezeptionsprozess von Filmbeschreibungen verweist Fix (2005, 11) und stellt insbesondere die Sche-
Audiodeskription
107
mabildung und Kompensationsproblematik bei Blinden sowie die Verknüpfungsproblemtaik von visuellem und auditiven Kanal heraus. Beneckes Beschreibungsmodell ADEM (2014) basiert auf dem Kommunikationsmodell
von Bühler (1934) und den von Gerzymisch-Arbogast entwickelten Methoden ASPEKTRA (1994) und REALTRA (1997, 2001). Zudem wird das Konzept der „Multidimensionalität“ (Gerzymisch-Arbogast 2009) herangezogen. Wenn also Kohärenzerscheinungen (etwa Thema/Rhema-Muster oder
Isotopien) im Sinne miteinander vernetzter Relationen in den Blick genommen werden, so werden dabei der (inter)semiotische und mediale Aspekt
integriert. Wie die Modelle von Gerzymisch-Arbogast zeichnet sich Beneckes klar strukturiertes Beschreibungsmodell dadurch aus, dass er sich hervorragend für die didaktische Arbeit eignet. Der evaluative Aspekt bleibt im
Hintergrund, es wurde eher aus der Perspektive eines Praktikers als Kritikers entworfen.
Die hermeneutisch orientierte Übersetzungswissenschaft hat sich bislang nur zögerlich mit dem medialen Aspekt der Übersetzung auseinandergesetzt. Gerade der Evaluierungsparameter der Stimmigkeit kann jedoch
für die Bewertung multimedialer Texte fruchtbar gemacht werden, muss
allerdings für diese Formen der Übersetzung neu konzeptualisiert werden.
Die Ansätze von Stolze, die Multiperspektivität und Übersummativität herausstellen, lassen sich besonders gut auf multimediale Formen beziehen
(vgl. KoryciĦska-Wegner 2008).
Vielversprechend ist die kognitive Translationswissenschaft, z.B. die
Fruchtbarmachung der Scenes-and-frames-Semantik wie sie in Ammanns
übersetzungskritisches Modell einbezogen wird. Bisher wurde die Scenesand-frames-Semantik nicht für die übersetzungstheoretische Erfassung und
Bewertung der Übersetzung multimodaler und multimedialer Texte herangezogen, obwohl sie interessante Ansatzpunkte bietet. Sie betreffen nicht
nur die implizite Bildlichkeit von Sprache, d.h. ihre Potenzialität, Vorstellungsbilder zu evozieren, wie sie in der kognitiven Literaturwissenschaft
untersucht werden, sondern auch die im Scenes-and-frames-Konzept veranschlagten, über die Sprache hinausgehenden Möglichkeiten der Repräsentation von Vorstellungsbildern (vgl. Kadrić/ Kaindl/ Cooke 2012, 89):
„Unter „scene“ kann man dabei das mentale Bild verstehen, das im Kopf
des Rezipienten auf Grund einer Wahrnehmung entsteht. Eine solche
Wahrnehmung kann durch verbale Elemente ausgelöst werden – durch
ein Wort, einen Satz, einen Text, aber auch durch nonverbale Mittel, z.B. ein
Musikstück, einen Geruch etc. (…) Mit „frame“ ist gewissermaßen der
Rahmen für unsere Vorstellungen gemeint. Es ist der kommunikative
108
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Ausdruck für eine „scene“. Sprache (…) ist dabei nur eines der möglichen
Kommunikationsmittel, auch eine Geste, ein Klang etc. kann ein „frame“
sein. „Frames“ können somit alle wahrnehmbaren Phänomene sein, die
von einem Rezipienten als informationshaltig interpretiert werden.“
Nicht nur die sprachlichen Formen, sondern auch die nonverbalen Elemente können als Frames konzeptualisiert werden, die sich zu den Scenes
(prototypischen Vorstellungsbildern, die beim Rezipienten evoziert werden)
stimmig verhalten müssen. Genauer gesagt: die zielsprachlichen Frames
müssten vom Übersetzer so gewählt werden, dass sie nicht mit den in den
non-verbalen Textelementen evozierten Scenes kollidieren, sondern in ein
Verhältnis der Stimmigkeit treten. Bewertungskriterium wäre also hier die
von Ammann (1990) entworfene Kategorie der Kohärenz. Es müssen Rahmen gefunden werden, die die entsprechenden Szenen wachrufen, semantische Längsachsen ausgebildet und Isotopieebenen geschaffen werden, um
auf der holistischen Ebene das Verknüpfen der Einzel-scenes zu Gesamtszenen zu ermöglichen. Das Scenes-and-frames-Konzept scheint somit bestens
geeignet, das komplexe Ineinandergreifen von Texten und anderen Medien
in künstlerischen Artefakten zu greifen. Scenes-and-frames birgt damit ein
hohes Potential für die Übersetzungskritik, dessen theoriebildenden Implikationen noch nicht ausgeschöpft wurde, und stellt Grundlagen für die
Übersetzungsevaluation multimedialer Gebilde bereit.
Die Scenes-and-frames-Semantik bietet darüber hinaus Anschlussmöglichkeiten an die Intermedialitätsforschung. Ein wichtiges Desiderat wäre
eine konzeptuelle Zusammenführung von Translationswissenschaft und
diesem sich seit nunmehr als zwei Dekaden dynamisch entwickelnden Forschungsfeld. Die Intermedialitätsforschung hat ein breit angelegtes Instrumentarium gerade auch zur Erforschung von Text-Bild-Bezügen erarbeitet
(vgl. zusammenfassend Zemanek 2012), das für die übersetzungswissenschaftlichen Fragestellungen und die Entwicklung übersetzungskritischer
Ansätze fruchtbar gemacht werden könnte.
Die in der Intermedialitätsforschung erarbeiteten Beschreibungsparameter
und dort angestellten funktionalen Überlegungen können gewinnbringend in
die Übersetzungskritk einbezogen werden. Sprache, Musik und Bild treten
nicht nur als Systeme von bedeutungstragenden Zeichen in eine Interaktion,
sondern nehmen auch als Medien mit den jeweils eigenen Dispositiven aufeinander Bezug. Oftmals überlagern sich die intermedialen Bezüge: So nimmt
der Comic in vielen seiner Ausprägungen auf die Filmästhetik Bezug. Einen
umfassenden Kriterienkatalog zu erarbeiten, stellt sich aufgrund der schier
unendlichen Vielfalt der denkbaren Medienkombinationen und intermedialen
Audiodeskription
109
Konfigurationen als schwierig, wenn nicht unausführbar dar. Anzusetzen
wäre vielmehr beim Begriff des Mediums und der Medienleistung. Eine
Übersetzung wäre also beispielsweise dann als gelungen einzustufen, wenn
gemäß den medialen Dispositiven übersetzt wird, wenn also erkannt wird,
was Text, Bild oder Musik zu leisten imstande sind. Im konkreten Fall wäre zu
untersuchen, wie die dem jeweiligen Medium eigenen Möglichkeiten der Repräsentation, Deixis, Perspektivierung, Bewusstseinswiedergabe u.s.w ins
Spiel gebracht werden, oder wie das jeweilige Medium thematisiert wird. Wie
macht der Text z.B. als sprachliches Medium auf sich aufmerksam? Stellt er
seine klanglichen Qualitäten aus oder seine Linearität in Frage (beispielsweise durch bewusst eingesetzte Konstellativität)? Analysieren könnte man, wie
die Medien miteinander verzahnt, Medienleistungen amalgamiert oder gegeneinander ausgespielt werden. Herbei käme Subdisziplinen wie der Synästhesieforschung (Rieger 2008) eine Schlüsselrolle zu.12 Hierüber hinaus
stellt sich die Frage, ob den Medienrelationen eine kompetitive Dimension
verliehen (Stichwort Paragone-Diskurs) wird – wenn ja: welche Hierarchien
werden aufgestellt? Während die Intertextualitätsforschung sowohl auf textanalytischer als auch textontologischer Ebene recht gut in die Translationsforschung integriert ist (vgl. Sommerfeld 2015, 160ff), ist hier einiges an Grundlagenforschung nachzuholen. Gerade in Bezug auf die Präzisierung der
Analyseparameter hätte die Intermedialitätsforschung der Translatkritik einiges zu bieten. Aber auch die Erzählforschung ist gefordert, sind doch Opern,
Comics, Theater, Kinderliteratur Formen „polyphonen“ Erzählens (Bachtin).
Gerade in der Audiodeskription von Kunstwerken wird deutlich, dass
eine Zusammenführung mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen vonnöten
sind, um diese bei der Audiodeskription ablaufenden Übersetzungsprozesse
in ihrer Komplexität zu erfassen (zu einem Problemaufriss vgl. Kęsicka
2016). Neben semiotischen, kommunikationstheoretischen und und kognitiven Zugängen wäre hier die Bildwissenschaft zu nennen. Zudem wäre eine
Annäherung an die Literaturwissenschaft wünschenswert. Die in der Literatur etablierte Tradition der Ekphrasis beispielsweise könnte ein deskriptives Instrumentarium liefern, wenn auch selbstverständlich die pragmatische
Konstellation eine grundlegend andere ist – ist die Ekphrasis doch an Sehende gerichtet, während der Audiodeskriptor für Menschen arbeitet, die
sensorisch zumindest stark eingeschränkt sind. Aber Berührungspunkte gibt
es doch: in der Ekphrasis wird das Bild als abwesendes gedacht, sie ist daher
in ihrem Impuls kompensativ, und versucht das nicht präsente Bild durch
Sprache zu substituieren, wobei das Potenzial der Sprache, etwas vor Augen
________________
12 Zu einer Fruchtbarmachung der intermodalen Kategorie des Rhythmus (Lommel 2008)
in der Übersetzungskritik vgl. Sommerfeld (2014).
110
2. DIE AUSWEITUNG DES GEGENSTANDSBEREICHS DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
zu stellen, ausgereizt wird. In den klassischen Formen der Bildbeschreibung
soll im Medium der Sprache eine Evidenz erzielt werden, dabei ist gerade
das kompetitive Moment, die mediale Konkurrenz zum Bild, der treibende
Faktor (in den modernen bzw. postmodernen Ekphrasen verhält es sich natürlich nicht mehr so einfach, hier wird gerade die Anschaulichkeit von Text
– und Bild – durchkreuzt).
Um den sich stetig wandelnden Gegebenheiten der medialen Landschaft
Genüge zu tun und neuen Herausforderungen an Übersetzung und Übersetzungskritik gerecht zu werden, scheint es somit unabdingbar, sich über
die Grenzen der etablierten Wissenschaftsdsziplinen hinauszubewegen.
Dem kommt der seit Anbeginn transdisziplinäre Charakter der Translationswissenschaft entgegen. Mit der hermeneutischen und Deskriptiven
Translationswissenschaft wie auch in den semiotischen Ansätzen sind die
Prämissen bereitgestellt, um dem Übersetzer das Recht auf eigene Sichtweisen und Interpretationen, Entscheidungen und Übersetzungsprojekte zuzugestehen. Damit sind die Grundlagen geschaffen, den Übersetzer in den
Prozess der Translatkritik einzubeziehen, wie es die Theorie translatorischen
Handelns und das Konzept der Translationskultur einfordert.
Zunehmend sind es die Übersetzer selbst, die die vielbeschworene Unsichtbarkeit des Übersetzers (Venuti 199Ń) durchbrechen, indem sie selbst
das Wort ergreifen und ihre Arbeit kommentieren und reflektieren. Damit
wird nicht nur dem Übersetzungsfach zur Geltung verholfen, sondern auch
der Schritt von der Theorie zur Praxis (bzw. von der Praxis zur Theorie)
getan – die Übersetzer werden zur Schaltstelle, an der die akademische
Übersetzungskritik mit der Übersetzungspraxis vermittelt wird. So hat Esther Kinsky, Übersetzerin aus dem Russischen, Polnischen und Englischen,
mit Fremdsprechen. Gedanken zum Übersetzen (2013) einen Essay vorgelegt, in
dem sie – ausgehend von der eigenen Übersetzungspraxis – einen Blick auf
übersetzungstheoretische Konzepte wirft. Der Essay wird dabei als Diskursivierungsform von Übersetzungstheorie erprobt. Als subjektiv-reflexive
Form bietet er den Raum, die eigenen Erfahrungen mit dem Übersetzen mit
übersetzungstheoretischen Positionen zu vermitteln und abzugleichen, und
stellt die Form bereit, in der Kinsky ihr Programm des Übersetzens nicht nur
reflektiert, sondern in Form figurativ inszenierter Gedankenspiele ebenso
diskutiert wie literarisch umsetzt – die übersetzerischen Problemfelder werden in einer suchenden Textbewegung weniger in Begrifflichkeit aufgelöst
als in suggestive Bilder übersetzt. Kinskys Essay führt damit exemplarisch
die Option einer Theoriebildung von „unten“ vor, und tut in dieser Weise
dem Wunsch einer engeren Anbindung der Theorie an die Praxis Genüge,
wie sie von der Übersetzungskritik geleistet werden soll.
3
Didaktis he Aspekte
de Ü e setzu gsk itik
Die Qualitätssteigerung von Übersetzungen wird zuallererst mittels der
Übersetzungsdidaktik innerhalb der universitären Lehre gesteigert. Dem
Literaturübersetzen wird indes an deutschen (und polnischen) Übersetzerausbildungsstätten ein geringer Stellenwert zugemessen, so dass man sich
des Eindrucks nicht erwehren kann, das Übersetzen literarischer Texte werde als etwas Irrelevantes betrachtet, mit dem man sich nicht weiter abgeben
müsste.
Werfen wir einen Blick in die einschlägige Literatur: Im Handbuch Didaktik des Übersetzens und Dolmetschens von Ulrich Kautz (2000) finden das Literaturübersetzen praktisch nur ein einziges Mal Erwähnung, wenn der
Verfasser schreibt, es sei ihm nicht einsichtig, warum zum einen das
Literaturübersetzen als nicht didaktisch vermittelbar gelte, und zum zweiten, warum für das Übersetzen literarischer Texte andere didaktische Maximen gelten sollten als für Fachtexte (ebd., 7Ń). Weiterhin wird der Spezifik
des literarischen Übersetzens kein Raum eingeräumt.
Folgenden Argumente scheinen dahinterzustehen:
– Verglichen mit dem Übersetzen von Fachtexten mache das Literaturübersetzen nur einen verschwindend geringen Anteil am Auftragsaufkommen aus,
– Vom Literaturübersetzen könne deshalb niemand leben, und man wolle keine falschen Hoffnungen nähren bzw. Vorstellungen wecken,
– Literarisches Übersetzen lasse sich nicht beibringen (vgl. Pöckl 200Ń,
159f).
Gerade die letztgenannte These wird, obwohl nur selten explizit formuliert, häufig zum Hemmschuh bei den Versuchen der Didaktisierung des
Literaturübersetzens. Es wird stillschweigend angenommen, die Fähigkeit
zum Übersetzen, ja zum Verstehen und Bestimmen der besonderen Regula-
112
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
ritäten, die sich in literarischen Texten niederschlagen und deren spezifischer Wirkung sei einfach ein angeborenes Geschick. So merkt Pöckl (ebd.,
1ń4) an, die „poetische Kompetenz“ (Bierwisch 1965, 50f) sei ein nur schwer
operationalisierbares Lehrziel. Das geringe Prestige, das dem Literaturübersetzen an akademischen Bildungsstätten zuteil wurde, hängt also vermutlich
auch damit zusammen, dass ein methodologisch durchdachtes didaktisches
Konzept bislang aussteht.
Als 1988 an der philologischen Fakultät der Universität Düsseldorf der
Studiengangs Literaturübersetzung eingerichtet wurde, sprach der Iniziator
Fritz Nies (1989, 24) bei den Gründungsfeierlichkeiten den fundamentalen
Zweifel an der Lehrbarkeit von Literaturübersetzen an, dieser entbinde jedoch nicht von der Notwendigkeit einer qualifizierten Berufsausbildung für
Literaturübersetzer:
„Begnadete Übersetzer lassen sich so wenig vermittels von Ausbildungsgängen herstellen wie begnadete Schauspieler, Dirigenten oder
Pianisten. Doch ebenso unbestritten ist für solche künstlerisch-reproduzierenden Berufe, daß ihnen die gezielte Ausbildung an Akademie oder
Musikhochschule meist ausgesprochen gut bekommt. Was sogar Gebäudereinigern und Waldarbeitern fraglos konzediert wird, darf also nicht
einzig Literaturübersetzern vorenthalten bleiben: eine geregelte und
überprüfbare Ausbildung.“
Seit dieser Zeit ist einiges getan worden, aber immer noch bietet die Forschungslage in der Didaktisierung des Literaturübersetzens ein heterogenes
Bild (Thome 2012). Auch neuere übersetzungsdidaktische Konzepte (vgl.
Wills 1996, Fleischmann/Kutz/Schmitt 1997) erwecken den Eindruck des
Fragmentarischen.
Bereits recht früh wurde der Nutzen der Übersetzungskritik in der Ausbildung angehender Übersetzer erkannt. Schon Katharina Reiß (1971, 7f)
betont den hohen Stellenwert, welcher der Übersetzungskritik im Rahmen
der Übersetzerausbildung gebührt. Indem ihr die Aufgabe zugewiesen
wird, das Sprachbewusstsein zu schärfen und den sprachlichen und nichtsprachlichen Horizont zu erweitern, kommt ihr eine breit verstandene didaktische Funktion zu, die weit über die sprachliche Ausbildung hinausreicht und in die kulturellen Dimensionen der Übersetzerausbildung zielt.
So behauptet die Translatkritik in der Übersetzungsdidaktik seit Jahrzehnten
einen wichtigen Platz und gilt als effiziente Art und Weise der Übersetzerausbildung (vgl. Reinart 2014, 367ff).
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
113
In der Praxis ist immer noch die Tendenz vorherrschend, die Übersetzungsdidaktik an universitären Einrichtungen als Fehlerbewertung handzuhaben. Didaktische Überlegungen verknüpfen sich demzufolge mit der
Frage der Übersetzungsfehler und deren Gewichtung. Hönig (1995, 131)
bezeichnet die Fehlerbewertung, ein zentrales Feld der Übersetzungskritik,
als „das wichtigste didaktische Konzept bei der Vermittlung übersetzerischer Kompetenz“ überhaupt (vgl. auch Nord 2006, 24). Noch Thome (2012,
319, Ń4ń) plädiert dafür, die Kategorie des Übersetzungsfehlers nicht der
Fremdsprachendidaktik zu überlassen und erachtet die genaue Bestimmung
von Fehlleistungen als einer unverzichtbare Bedingung für die translatologische Festlegung dessen, was die Qualität von Übersetzungen letztlich
ausmacht. Wie in der akademischen Übersetzungskritik steht bei der Erarbeitung von Korrektur-Richtlinien das Ziel der Objektivierbarkeit im
Raum – je ausdifferenzierter das Bewertungssystem von Übersetzungsfehlern, desto weniger angreifbar verspricht die Evaluierung zu sein, womit
natürlich die Frage der Quantifizierbarkeit von Fehlern im Raume steht.
Eine (von vielen möglichen) Fehlergraduierungen könnte etwa folgendermaßen aussehen:
– Rechtschreibfehler als ½,
– Grammatikfehler als 1,
– Idiomatikfehler als 1,
– Semantik, bzw. Sinnfehler als 2 Fehler.
Eine solche direkte Zuordnung von Fehlertyp und Gewichtung ist natürlich verführerisch. Es scheint jedoch problematisch, bestimmte linguistisch
beschreibbare Fehlerarten mit einem Quantifizierungsschema zu gewichten,
denn so wird beispielsweise nicht die Tragweite eines Fehlers bemessen,
und die kann u.U. bei einem Rechtschreibfehler genauso erheblich sein wie
einem Idiomatikfehler. Kussmaul (1986, 1995, 127-148, 2007, 171) schlägt
daher eine Fehlergraduierung nach dem Prinzip der Reichweite vor. Mit der
Reichweite von Übersetzungsfehlern ist die textuelle Dimension angesprochen, die mit einer stets nur punktuell verfahrenden Fehleranalyse nicht zu
greifen ist.
Ein weiterer Problempunkt betrifft die Frage, was eigentlich einen Übersetzungsfehler ausmacht und ob sprachlich-textuelle Fehlerbestimmungen
ausreichend sind. Von Reiß (1971) und Nord wurde bekanntlich die Einbeziehung des pragmatisch-funktionalen Aspekts in die Fehlerbestimmung
angebahnt. Der in Nords Studie Textanalyse und Übersetzen (1988, 2009) erarbeitete Ansatz wurde für die Übersetzungsdidaktik entwickelt, und nähert
sich der Frage nach der Evaluierung von Übersetzungsleistungen auf diesem Wege an. Zentral ist für Nords evaluativen Ansatz eine Didaktisierung
114
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
des systematischen Umgangs mit der Textvorlage. Der Maßstab für die
Übersetzungsbeurteilung wird aus der übersetzerischen Beachtung der unter Berücksichtigung textinterner wie auch textexterner Faktoren erarbeiteten Charakteristika der Vorlage hergeleitet. Im Einklang mit der Skopostheorie von Reiß/Vermeer (1984) bildet der Auftrag den Bezugspunkt für die
Bewertung einer Übersetzungsleistung. Damit avanciert für Nord zum
obersten Bewertungskriterium die „Loyalität“ gegenüber dem Übersetzungsauftrag (Nord 2011, 29ff). Übersetzungsfehler definiert Nord als „jede
Nicht-Erfüllung des Übersetzungsauftrags“ (Nord 2006, 17).
Übersetzungsleistungen können also nur in Bezug auf ein vorgegebenes
funktionales Übersetzungsziel sachgerecht eingeschätzt werden (Nord 1994,
366). Folglich stehen in ihrer Fehler-Hierarchisierung pragmatische Verstöße
im Zusammenhang mit Textfunktion und Kulturspezifik, Sender, Empfänger, Ort, Zeit und Medium an erster Stelle. Erst im Anschluss werden die
textinternen Fehlerfaktoren in der Nicht-Einhaltung zielsprachlicher
Gebrauchsnormen bezüglich Inhalt, Syntax, Lexik und suprasegmantaler
Segmente (Nord 2006, 18ff, 2009, 182-193, 2010, 178-182) festgelegt. Ihre
Staffelung der Übersetzungsfehler ist am Grundsatz ausgerichtet: „Pragmatische Funktionalität ist (…) in der Ausbildungsphase höher zu bewerten
als sprachlicher Perfektionismus, auch wenn natürlich das letzte Ziel die
Kohärenz sprachlicher und pragmatischer Ziele sein sollte“ (200ń, 27, vgl.
2011, 229ff).
Es ergibt sich folgende Hierarchisierung:
– Pragmatische Übersetzungsfehler (PÜF)
– Kulturelle Übersetzungsfehler (KÜF)
– Sprachliche Übersetzungsfehler (SÜF),
Diese lassen sich noch in Fehlerklassen und ggf. in Fehlersorten untergliedern (vgl. Nord 2006, 385-386).13
Vom funktionalen Ansatz aus gedacht, lassen sich Fehler also nicht
punktuell, ohne Rücksicht auf das Textganze und die ihm zugeschriebene
Funktion bestimmen. Daher steht auch bei Nord am Anfang der Übersetzungsbewertung eine übersetzungsrelevante Textanalyse, die nach dem
Qualitätskriterium der Loyalität ausgerichtet ist. Damit realisiert Nords Vorschlag einer übersetzungsrelevanten Textanalyse die Einbeziehung der
Translatfunktion: „Gerade weil es die Aufgabe der übersetzungsrelevanten
Textanalyse ist, die übersetzungsrelevanten von den –irrelevanten Textdaten
________________
13 Außerdem sei auf Hönig (1998) sowie auf das Kapitel „Übersetzungsbewertung“ in
Kautz (2000, 277-286) verwiesen.
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
115
zu trennen, muss die Textanalyse eine Definition der Funktion des ZS-Textes
vorausgehen. Relevanz kann immer nur in Bezug auf eine definierte Funktion bewiesen werden.“ (Hönig 1994, 232)
In dem von Nord entwickelten Textanalysemodell soll der Ausgangstext
nach den folgenden Fragen analysiert werden:
– Wer übermittelt
– wozu
– wem
– über welches Medium
– wo
– wann
– warum einen Text mit welcher Funktion?
– worüber sagt er
– was
– (was nicht)
– in welcher Reihenfolge
– unter Einsatz welcher nonverbalen Elemente
– in welchen Worten
– in was für Sätzen
– in welchem Ton?
– Mit welcher Wirkung? (Nord 1998b, 41)
Mit diesem Fragenkatalog wandelt Nord die sog. „Laswell-Formel“
(Laswell 1948) für die Anforderungen der übersetzungsrelevanten Textanalyse ab. Die Analyse des Ausgangstexts vermittelt Nord mit der funktionalistischen Perspektive, indem sie – ebenfalls auf der Grundlage der „Laswell-Formel“ – den Übersetzungsauftrag und die Erwartungen an den
Zieltext in einem Soll-Profil für den Zieltext zu erfassen sucht, wobei dieser
Schritt der Erstellung des Ist-Profils zeitlich vorauszugehen hat. Die entsprechende Formel für den Zieltext lautet:
„Wer soll wozu wem wann wo und warum einen Text mit welcher
Funktion übermitteln? Worüber soll er was (was nicht) in welcher Reihenfolge unter Einsatz welcher nonverbalen Mittel in welchen Worten in
was für Sätzen in welchem Ton mit welcher Wirkung sagen?“ (Nord
1998, 351)
Ein Vergleich zwischen dem Ist-Zustand (dem Ausgangstext) und dem
Soll-Zustand (dem Zieltext) ermöglicht es, die Problemstellen in der Übersetzung herauszufiltern (ebd.). Erst nach dem Durchlaufen dieser Schritte
erfolgt der eigentliche Übersetzungsvorgang.
116
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Für Nord (1998) erfolgt aufgrund der durch ihre Nähe zur SkoposTheorie (Reiß/ Vermeer 1984) motivierten der Zieltextfunktion zugeschriebenen Vorrangigkeit die Einschätzung der Äquivalenz zwischen Original
und Übersetzung vom Resultat des Übersetzungsvorgangs her. Ausgangspunkt der Bewertung ist dementsprechend der Zieltext, auf den die auf die
textinternen und textexternen Faktoren ausgerichteten Kriterien des von ihr
entwickelten Analyseverfahrens angelegt werden. Die umgekehrte Reihenfolge der Analyse, also vom Ausgangstext zum Zieltext, lässt Nord allerdings gelten, sofern der Übersetzer seine Strategien mitgeteilt hat und diese
nicht erst erschlossen werden müssen.
Mit der Fokussierung des Zieltextes aus einer funktionalen Perspektive
wendet sich Nord von der bislang vorherrschenden Tendenz in der Übersetzungskritik ab, als Ausgangspunkt der Analyse den Ausgangstext in den
Blick zu nehmen. So schreibt beispielsweise Reiß zwar (1971, 23), dass „die
Beurteilung einer Übersetzung allein aufgrund des zielsprachlichen Textes
unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchaus sinnvoll sein kann“, insgesamt stellt für sie die auf den Ausgangstext ausgerichtete Übersetzungskritik „den eigentlichen ausschlaggebenden Weg zur Beurteilung einer
Übersetzung“ (ebd., 23) dar.
Problematisch am Analysemodell von Nord ist zum einen der beträchtlichen Aufwand, der zum Erkenntnisertrag in einer Schieflage steht (Stolze
1992, 90). Auch Hönig (1994, 233) bemängelt, die Textanalyse könne nur
dann eine Arbeitserleichterung beim Übersetzen darstellen, wenn sie nicht
„mehr Zeit beansprucht, als der Übersetzer für die Übersetzung zur Verfügung hat.“ Zweckdienlich ist die von Nord vorgeschlagene Analyse wohl
vor allem in der Übersetzungsdidaktik (für die das Modell ja auch ursprünglich konzipiert wurde), weniger im Berufsalltag von Übersetzern. Kritisch
anzumerken ist auch die Vermischung von textexternen mit textinternen
Faktoren – dies ist allerdings eine Schwierigkeit, die bei funktionalistischen
Ansätzen immer gegeben ist.
Mit der von Nord vorgeschlagenen Umkehrung des Analyseverfahrens,
indem zuerst das Soll-Profil erstellt wird und erst danach die Analyse des
Ausgangstext vorgenommen wird, profiliert sich ihr Modell gegenüber der
ausgangstextverhafteten Texttypologie als funktionalistisch. Wie jedoch die
Erstellung des Soll-Profils vonstatten gehen soll, ohne vorher den Ausgangstext analysiert zu haben, bleibt unklar (vgl. Stolze 2003, 202). Die Vorteile
einer genauen übersetzungsrelevanten Textanalyse liegen allerdings ebenfalls auf der Hand: zum einen erlaubt sie einen gezielten Zugriff auf im konkreten Text erscheinende Übersetzungsprobleme, zum andern berücksichtigt Nords Ansatz funktionsvariante Übersetzungsaufträge. Neben der
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
117
Einbeziehung textexterner Faktoren liegt ein nicht zu vernachlässigender
Vorteil von Nords Ansatz in seiner didaktischen Umsetzbarkeit. Im Grunde
wird die Übersetzungskritik als umgekehrter Übersetzungsprozess betrachtet.
Die Wichtigkeit der übersetzungsrelevanten Textanalyse hebt auch
Thome (2012, 388f) hervor und fordert eine Analyse des Originals im Hinblick auf seine inhaltlich-sprachlichen, kommunikativ-pragmatischen und
funktionalen Eigenschaften.
Das von Thome vorgeschlagenes Modell sieht folgende Parameter vor:
A. Inhaltlich-sprachlicher Bereich
1. Textuelle Mittel
1.1 Kohärenzmittel
1.1.1 Thema-Rhema-Verteilung
1.1.2 Isotopien
1.2 Kohäsionsmittel
1.2.1 Anaphern
1.2.2 Kataphern
1.2.3 Konnektoren
1.2.4 Proformen
1.2.5 Rekurrenzen
2. Syntaktische Mittel
2.1 Gestalt der Sätze (einfach bzw. komplex)
2.2 Art der Gliedsätze
2.3 Form der Syntagmen
3. Lexikalische Mittel
3.1 Fachvokabular
3.2 Wertende, ästhetische, ironische, vertrauliche u.ä. Elemente
4. Stilistische Mittel
4.1 Rekurrente sprachliche Muster
4.2 Formen der klassischen Rhetorik (Bilder, Hyperbeln, Metaphern, Parallelismen u.ä.)
B. Kommunikativ-pragmatischer Bereich
1. Autor-Einstellung zum Sachverhalt
2. Beziehung Autor – Leser
3. Beziehung Autor – Handlungsbeteiligte im Text
(In allen 3 Punkten zu belegen durch textuelle, syntaktische, lexikalische, stilistische Mittel)
C. Textfunktion
(Appell, Darstellung, Information, Wertung)
Das Analysemodell berücksichtigt damit ebenfalls nicht nur eine Analyse auf der Makroebene, sondern auch funktionale Aspekte.
118
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Um die Scopos-Theorie in der Übersetzungsdidaktik fruchtbar zu machen, können neben der übersetzungsrelevanten Textanalyse weitere Didaktisierungsmethoden realisiert werden. Möglich ist, den Studierenden zum
jeweiligen Text ein Übersetzungsauftrag zu erteilen. Um zu überprüfen,
ob die angefertigten Übersetzungen auf der pragmatischen bzw. funktionalen Ebene stimmig sind, könnten die folgenden methodologischen Schritte
realisiert werden:
– Vergeben des Übersetzungsauftrags mit Hinblick auf eine bestimmte
Rezipientengruppe (z.B. Übersetzen Sie den Text für Kinder, für eine
fachlich vorgebildete Adressatengruppe, ausgangskulturell interessierte Leser, für den mündlichen Vortrag, eine bestimmte Verlagsserie
u.ä.),
– Festlegen der Invarianzhierarchien,
– Formulierung der Übersetzungsstrategien,
– Ausführen der Übersetzung,
– Erproben des Translats an der jeweiligen Zielgruppe,
– Evaluierungsgespräch innerhalb der Studierendengruppe.
Ideal wäre eine kulturell gemischte Studierendengruppe: Ob die Übersetzungen „funktionieren“, könnte hier gleich am Adressaten aus der jeweiligen Zielkultur überprüft werden. Auf diese Art und Weise wird den Auszubildenden ersichtlich gemacht, dass erst mit der Rezeption des Translats
der Übersetzungsvorgang abgeschlossen ist. Für den Übersetzungsdidaktiker bietet das Vorgeben eines bestimmten, funktionalen Übersetzungsziels
die Möglichkeit, festzulegen, „was in einer bestimmten Kontrollsituation als
„Übersetzungsfehler“ gewertet werden soll und was nicht“ (Nord 200ń, 17).
Damit ist aber ein weiterer Aspekt einer sich an Übersetzungsfehlern
ausrichtenden Evaluierung noch nicht angesprochen. Naturgemäß sind der
Bezugsrahmen für Fehlerbestimmung die Normen der Zielsprache. Vor dem
Hintergrund übersetzungskritischer Überlagungen muss aber fraglich erscheinen, ob eine Fehlerbestimmung nach den zielsprachlichen Normen
oder der Äquivalenz ausreichend für die Evaluierung literarischer Übersetzungen sind, selbst wenn pragmatische oder funktionale Aspekte berücksichtigt werden, oder ob nicht vielmehr eine Verabsolutierung der zielsprachlichen Normen am Ziel der Übersetzerausbildung vorbeiführt.
Vielmehr soll den Studierenden die Freiheit gelassen werden, Übersetzungen zu erstellen, bei denen es durch den Einfluss einer fremden Sprache
und Kultur auch zu Abweichungen von der zielsprachlichen Norm kommen
kann, wie die Historisch-deskriptive Übersetzungswissenschaft herausstellt,
die untersucht, wie übersetzte Literatur zu dem sich in jeder Sprache vollziehenden Sprachwandel beitragen kann, denn generell wandelt sich die
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
119
Sprache unter dem Einfluss der gegen sie gerichteten Verstöße. Zu ihnen
gehören innovative Stilelemente, Normverstöße gegen das sprachliche Regelsystem, die mit der Zeit in das Arsenal des Normalen eingehen und zur
allseits akzeptierten sprachlichen und ästhetischen Norm werden (vgl.
Zybatov 2009, 2ń4). Wenn der Übersetzer die Besonderheiten, den persönlichen Stil und die Normverstöße eines Autors von vorneherein einebnet und
an die Normen der Zielsprache anpasst, beraubt er die Zielsprache und –
kultur dieser Entwicklungsmöglichkeit. Es ist also anzuraten, bei den Studierenden das Bewusstsein für den sprachlich-kulturellen Transfer zu
schärfen, den Übersetzungen nolens volens ausmachen.
Eine übersetzungsrelevante Textanalyse wie die von Christiane Nord
vorgeschlagene könnte also durchaus als Grundlage dienen, sollte aber um
literaturwissenschaftliche und literaturhistorische Aspekte erweitert werden. Dazu müsste beispielsweise danach gefragt werden, in welchem Verhältnis der Text zu den in der Ausgangssprache und – kultur geltenden
Normen steht, inwiefern er innovativ ist. Didaktisches Ziel wäre also die
Vermittlung von Überlegungen zum Kontext literarischer Übersetzungen,
wie sie in der Historisch-beschreibenden Translationwissenschaft angestellt
werden.
In der Übersetzungsdidaktik könnte überdies mit dem Konzept der
verdeckten bzw. offenen Übersetzung aus dem übersetzungskritischen
Modell von House (2007, 14) gearbeitet werden. Diese schärft bei den Studierenden das Bewusstsein dafür, dass sich nicht jede Übersetzung automatisch an dem Anspruch messen will, als verdeckte Übersetzung ihren eigenen Status als Übersetzung zu verleugnen und so gestaltet zu sein, dass sie
sich nahtlos in die Zielsprache und – kultur einpasst. Eine offene Übersetzung, die sich als solche zu erkennen gibt, bewahrt den Übersetzer vor dem
Opportunismus gegenüber den in der Zielsprache existierenden Normen
und lässt ihn zu einem echten Sprachschöpfer werden, indem er aufgrund
eines umfassenden Verständnisses des Ausgangstexts mit seinen Eigentümlichkeiten einen adäquaten poetischen Text schafft. Den Studierenden sollte
man das Recht geben, innovativ zu werden. Zu überlegen wäre, wie Zybatov (2009, 2ńŃ) vorschlägt, nicht nur den Übersetzungsunterricht nicht von
einer eingehenden literaturwissenschaftlichen und -historischen Ausbildung
abzukoppeln, sondern auch mit Unterricht in kreativem Schreiben zu verbinden. Dass eine solche Herangehensweise an die Übersetzungsdidaktik
nicht mit einer Übersetzungsevaluierung konform geht, die auf dem Auflisten von Fehlern beruht, versteht sich von selbst. Sie zielt vielmehr darauf,
offensichtliche sprachliche Mängel von kreativen Eigenleistungen zu unterscheiden.
120
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Der Übersetzungsunterricht sollte die Studierenden dafür sensibilisieren,
dass das Spezifikum literarischer Texte darin besteht, dass er für viele Interpretationen offen ist. Eingeübt werden muss also zunächst die Einschätzung
des interpretatorischen Potenzials der zu übersetzenden Texte und das Identifizieren der Stellen, an denen der Text zur Interpretation einlädt. Die Aufgabe des Übersetzers beruht darauf, die gleichen bzw. ähnliche Interpretationen beim Zieltext-Leser zu ermöglichen. Es geht also nicht darum, eine
einzige Interpretation auszubuchstabieren, sondern die semantische und
strukturelle Offenheit des Textes soweit wie möglich zu erhalten, um die
interpretatorische Offfenheit der Texte nicht zu schmälern.
Zugleich geht es darum, die Unhintergehbarkeit von Interpretation im
Laufe des Übersetzungsprozesses zu akzeptieren. Die Studierenden sollten
dazu ermutigt werden, den eigenen Interpretationsstandpunkt zu formulieren. Auch dem angehenden Übersetzer sollte das Recht nicht vorenthalten
werden, sich als solcher zu erkennen zu geben und mit seiner Lesart des
Textes ins Spiel zu bringen. Der Unsichtbarkeit des Übersetzers (Venuti
1995) kann so bereits in der Übersetzerausbildung entgegengewirkt werden.
Dies bedeutet allerdings nicht, jede Interpretation nach dem Grundsatz des
„anything goes“ unbefragt zu akzeptieren. Vielmehr müssen eigene Lesarten am Text für Dritte (Bewertende, Mitstudierende) nachvollziehbar gemacht werden. Es muss demnach fraglich erscheinen, ob eine objektive Evaluierung von studentischen Übersetzungsleistungen für literarische Texte
möglich, ja erstrebenswert ist. Die Bewertung erfolgt vielmehr als Aushandlungsprozess über denkbare Interpretationen und Übersetzungslösungen.
Hierbei ist ein holistischer Blick aufs Textganze hilfreich, wie er von den
hermeneutischen Ansätzen ins Feld geführt wird. Dabei werden Bottom-up-Prozesse aktiviert und mit Top-down-Prozessen ausbalanciert, eigenes gespeichertes Wissen abgerufen und mit den zu übersetzenden Texten abgeglichen (vgl. Hörmann 1980, 2Ń-28). Indem textgenaues Verstehen eingeübt
wird, kann der hermeneutische Ansatz in der Übersetzungsdidaktik gewinnbringend eingesetzt werden, auch wenn er keine übersetzungskritischen Modelle bereitstellt (vgl. Stolze 2015). In einem an die Hermeneutik
angelehnten Unterrichtsmodell würde die Rolle des Didaktikers darauf beruhen, die Studierenden beim Monitoring der eigenen Verstehensprozesse
anzuleiten. Dabei können Hypothesenbildungen, Plausibilitätsprüfungen im
Verlauf der Textrezeption sowie Inferenzieren, d.h. das Schließen von bereits Bekanntem auf Unbekanntes thematisiert werden (vgl. Hörmann 1981).
Eingeübt wird so Textverstehen als zirkelförmiger Vorgang, der mit dem
Zugriff auf die eigenen Bewusstseinsgehalte verbunden ist Dabei sollten
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
121
die eigenen Wissensgrenzen thematisiert und sukzessive erweitert werden
(vgl. Stolze, 2016; Wills 2005).
Während der hermeneutische Ansatz dabei hilft, die eigenen Verstehensprozesse zu strukturieren, bieten die kognitiven Ansätze insofern wertvolle Anhaltspunkte für die Übersetzungskritik im didaktischen Rahmen,
als sie die Studierenden bei den Prozessen der Deverbalisierung und Reformulierung begleiten. Hierbei kommen die von Hönig (1990) entwickelten
Protokolle lauten Denkens als methodologische Instrumente in Frage.
Bereits recht gut in die Übersetzerausbildung integriert ist die Scenesand-Frames-Semantik (vgl. Kußmaul 2007, 141ff), mit deren Hilfe das für
angemessene Übersetzungslösungen notwendige Deverbalisieren eingeübt
und an konkreten Stellen im Text verifiziert werden kann. Dabei wird der
pragmatisch-kommunikative Aspekt von Verstehensprozessen berücksichtigt, da der Rezeptionsvorgang immer mit Hinblick auf den Leser der Übersetzung verläuft, und Präsuppositionen über das Wissen und die kulturell
geprägten Vorstellungshintergründe der Rezipienten vorgenommen werden müssen. Dadurch lässt der didaktische Einsatz der Scenes-and-framesSemantik die Studierenden ein Bewusstsein vom eigenen Status als Sprachund Kulturmittler gewinnen und fördert zudem kreative Übersetzungseinfälle. Dabei ist darauf zu achten, sich nicht in weitschweifigen Diskussionen
über einzelne Vorstellungsbilder zu verlieren, sondern ihrem Verknüpfen zu
Gesamtscenes Rechnung zu tragen. Das Verhaftet-Sein an einzelnen Textstellen, das einen Schwachpunkt von Kußmauls didaktischem Konzepts
ausmacht (198ń, 2007, 171), scheint daher zu rühren, dass die von Kußmaul
vorgeschlagene Evaluierung auf der Fehleranalyse basiert. Zwar sieht sie
auch Bonus-Punkte für innovative Lösungen vor, die von der Summe der
Fehler abgezogen werden, um auf diese Weise auch kreative Lösungen zu
quantifizieren – um die Studierenden jedoch in Hinsicht auf den Gesamttext
kreativ werden zu lassen, ist es nötig, sie zunächst von der „Fehler-Leine“
zu lassen.
Während Übersetzungsanfänger ihre kognitiven Strukturen erweitern,
gehen die Lernenden im Laufe der Ausbildung zur bewussten Anwendung
kognitiver Strategien über, sie machen sich bewusst, dass Übersetzen mit
der Konstruktion von Konzepten verbunden ist, und lernen die im Text
auffindbaren mentalen Bilder von den eigenen zu differenzieren und in den
Kontext der aufnehmenden Kultur einzubetten (vgl. Kupsch-Losereit 1991,
77ff). Erst dann kann die Übersetzung als ein Aushandlungsprozess von
Wissens- und Erfahrungsbeständen begriffen – und gehandhabt – werden.
Um die Eigenständigkeit und Kreativität der Auszubildenden zu fördern, erscheint es mir sinnvoll, die Studenten dazu zu ermutigen, eigene
122
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
Übersetzungsprojekte zu formulieren. Nach der Ausformulierung des Projekts müsste ein Gespräch darüber erfolgen, ob die vom Übersetzer gewählte
Hierarchie der Invarianten dem Ausgangstext gerecht wird. Der Evaluierungsprozess sollte in Form von Diskussionen über die Folgen der getroffenen übersetzerischen Entscheidungen ablaufen. Verhalten sie sich zum
Übersetzungsprojekt stimmig? Wie beeinflussen sie die Interpretation des
Ausgangstextes? An welchen Stellen der Übersetzung wird Vieldeutigkeit
eingeebnet und das interpretatorische Potenzial des Textes eingeschränkt?
Indem sie dazu angehalten werden, eigene Übersetzungsprojekte abzustecken, kann die Autonomie der angehenden Übersetzer gestärkt und die
Übersetzerausbildung zum Teil einer partnerschaftlich orientierten Übersetzungskultur werden.
Damit sind wir beim nächsten Aspekt der Übersetzungsevaluierung angelangt, und zwar ihren Rahmenbedingungen. Hierzu bietet die Kritik
translatorischen Handelns, wie sie von Holz-Männtäri (1984) angebahnt
wurde, wichtige Ansatzpunkte. Hier ist zuallererst die Transparenz der
Korrektur zu nennen, die bereits von Nord (1998a) gefordert wird und vor
allem das Offenlegen der Bewertungskriterien meint, sodass die Bewertung
für die Studierenden nachvollziehbar wird. Dies ist ein Maßstab, an dem sich
– wie aus den vorherigen Kapiteln hervorgegangen ist – Übersetzungskritik in
all ihren Ausprägungen messen lassen muss. Auch in der Übersetzerausbildung gilt, was Ammann (1990, 213) für die Translatkritk fordert – das Aufstellen klarer Kriterien und das Transparentmachen der eigenen Wertmaßstäbe:
„Die notwendige Subjektivität (der Übersetzungskritik, B.S.) findet ihre Relativierung durch ein Vorgehen, das auf der Grundlage bestimmter theoretischer Prämissen durchgeführt und methodisch begründet wird. Die Prämissen sind bei jeder Kritik anzugeben.“ Kurz gesagt: In der Übersetzerausbildung sollte der Didaktiker zum Übersetzungskritiker werden.
Schon in der Ausbildung können die Maximen der Kritik translatorischen Handelns umgesetzt werden, indem Studierende durch flexible und
demokratische Bewertung an eine partnerschaftlich ausgerichtete Translationskultur herangeführt werden. Kooperatives Vorgehen ist also gefragt,
indem Übersetzer und Bewertender sich gemeinsam in den Dienst einer
Qualitätsmaximierung stellen. So sollte die Übersetzungsevaluierung nicht
von der Warte des allwissenden Kritikers (Lehrenden) aus geübt werden,
sondern im Gespräch. Das Verfahren extensiver Analysearbeit in der Gruppe kann langwierig sein, bietet jedoch bedeutende Vorteile. Die Studierenden erleben sich als Teil eines Handlungsgefüges, in dem sie für ihr Produkt
einstehen und ihre Arbeit und alle getroffenen Entscheidungen jederzeit
rechtfertigen können müssen (vgl. Ortner 2003). Geübt werden kann und
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
123
muss somit zweierlei: das adäquate Formulieren von Kritik ebenso wie der
souveräne Umgang mit Kritik an eigenen Übersetzungen.
Eine der Methoden, um translatorisches Handeln transparent werden
zu lassen, ist das Anfertigen kommentierter Übersetzungen (vgl. Reinart
2014, 23). Hierdurch können die Studierenden das Bewusstsein für die eigenen translatorischen Entscheidungen schärfen, Strategien explizit machen
und in ihren Konsequenzen überdenken. Mittels extensiven Besprechens der
gewählten Lösungsoptionen finder eine Verschiebung von der produktorientieren auf die prozessorientierte Translatkritik statt (vgl. Ammann 1993).
Beide von Ammann veranschlagten Herangehensweisen müssten dann in
einer abschließenden Bewertung zusammengebracht werden.
Wenn die von den Studierenden angefertigten Übersetzungen kommentiert, korrigiert und analysiert werden, so sollte dies stets im Hinblick auf
ihre Implikationen für zukünftige Übersetzungsaufträge geschehen (vgl.
Reinart 2014, 3ń8). Es geht in der Übersetzungsdidaktik darum, ein „Konzept zur Bewältigung translatorischer Standardsituationen“ (Prunč 1997,
105) zu entwickeln, die dann auf andere Übersetzungssituationen übertragen werden können. In diesem Zusammenhang schreibt Nord (2001, 1): „An
einem Text, der im Unterrricht oder im Selbststudium übersetzt wird, interessiert nicht das Individuelle dieses speziellen Textes, sondern vielmehr das
Allgemeine, das Verallgemeinerbare“.
Indem sie dazu anleiten, strategische Entscheidungen und Lösungsmöglichkeiten zu begründen, kommt somit auch den Lehrenden an universitären
Einrichtungen eine wichtige Rolle bei der Etablierung einer fundierten Übersetzungskritik zu, die das Methodenbewusstsein und die Autonomie der
Studierenden stärkt und sie mit den Voraussetzungen ausstattet, als Übersetzer professionell und selbstbewusst agieren zu können. Vorrangiges Bestreben
der Translatkritk ist somit auch in der Übersetzerausbildung nicht nur, die
Qualität von Übersetzungen zu verbessern, sondern sie auch nachweisbar zu
machen und damit bis in den Berufsalltag hinein „die Qualitätsstandards
einer begründet guten Übersetzung“ (Hönig 1997, 197) zu vermitteln.
Zu einer Kompetenzsteigerung in diesem Sinne können auch bereits bestehende Literaturübersetzungen nutzbar gemacht – und damit Übersetzungskritik im engeren Sinne betrieben werden – unter der Voraussetzung,
dass dabei einem klaren Konzept gefolgt wird. Eine Möglichkeit zur
schrittweisen Erlangung übersetzungskritischer Kompetenz im didaktischen
Rahmen ist eine Übersetzungsanalyse, in der zunächst einzelne Problembereiche der literarischen Übersetzung fokussiert werden. Hierbei werden
zunächst die im Ausgangstext zum Tragen kommenden Problemfelder für
die Übersetzung identifiziert, um dann deren Bewältigung im Translat zu
124
3. DIDAKTISCHE ASPEKTE DER ÜBERSETZUNGSKRITIK
analysieren. Ist es der idiosynkratrische Stil des Autors, die kulturelle Einbettung des Textes, die Erzeugung von Mündlichkeit, das feingewobene
Netz der Isotopien, die eigenwillige Metaphorik oder die intertextuellen
Bezüge zu anderen Texten? Ein solches Einüben der Bewertung von Übersetzungen, die sich an einzelnen Übersetzungsproblemen orientiert, bringt
natürlich einen großen Arbeitsaufwand mit sich. Hilfreich sind entsprechende Unterrichtswerke mit didaktisierten Übersetzungsanalysen.
Ein problemorientiertes Lehrwerk zur Bewertung von literarischen
Übersetzungen erschien unter dem Titel Problemfelder der literarischen Übersetzungsanalyse. Ein Lehr- und Übungsbuch für Studierende und Lehrende der
Translationswissenschaft (Sommerfeld 2015). In didaktisch durchdachten
Arbeitsschritten und Übungen wird Hilfestellung beim Einstieg in die eigenständige literarische Übersetzungsanalyse geleistet. Indem in den einzelnen
Unterrichtseinheiten jeweils ein Problemfeld der literarischen Übersetzungsanalyse fokussiert wird, sollen die Studierenden zu einer problembewussten Praxis der Übersetzungskritik angeleitet und dazu angeregt werden, literarische Texte auf die Probleme hin zu scannen, die sie für den
Übersetzer bereithalten. Dadurch sollen die Studierenden dazu in die Lage
versetzt werden, ähnlich gelagerte Übersetzungsprobleme auch in anderen
Texten zu identifizieren – vom übersetzungsdidaktischen Standpunkt interessiert an den Texten also „nicht das Individuelle dieses speziellen Textes,
sondern vielmehr das Allgemeine, das Verallgemeinerbare“ (Nord 2001, 1).
Ausgangspunkt der praktisch vorgeführten Analysen ist jeweils ein
Problemaufriss innerhalb der Gesamtproblematik der literarischen Übersetzung. Dabei werden literatur-, sprach- und translationswissenschaftliche
Konzepte dargelegt und problematisiert. In einem weiteren Schritt werden
die Möglichkeiten des übersetzerischen Umgangs mit dem vorskizzierten
Problem dargelegt. Aus der Erörterung der Verfahren und Strategien und
den Konsequenzen der jeweiligen Lösungen für das Endprodukt werden
Kriterien zu ihrer Bewertung entwickelt. Anhand konkreter Fallbeispiele
aus literarischen Texten und ihrer Übersetzung wird in einer vergleichenden
und übersetzungsrelevanten Analyse aufgezeigt, wie einzelne Übersetzer
das jeweilige Problem zu lösen versuchten, und eine Bewertung der übersetzerischen Leistung versucht. Die Analyse vollzieht damit die grundlegenden
Schritte der Übersetzungskritik nach: vom Definieren einer translatorischen
Problemstellung, über die Bewusstmachung der möglichen Strategien
und Verfahren bei der Lösung des Problems, bis hin zur Bewertung der
Adäquatheit der gewählten Lösungen.
An die Fallbeispiele schließen sich Übungstexte zur literarischen Übersetzungsanalyse an. Hier werden markante Textbeispiele zusammengestellt,
Didaktis he Aspekte de Ü e setzu gsk itik
125
in denen das jeweils im Zentrum stehende Problemfeld zum Tragen kommt.
Kurze Einführungen in den jeweiligen Text kontextualisieren den gewählten
Textausschnitt im Gesamttext gegebenfalls Oeuvres, liefern Informationen
zu AutorIn und ÜbersetzerIn, preliminary data zu Veröffentlichung, Rezeption u.ä. und machen auf zentrale sprachliche und ästhetische Merkmale
aufmerksam. Hilfsfragen zur Übersetzungsanalyse leiten hier noch einmal
gezielt bei der analytischen Arbeit an. Zugleich mit dem Fokus auf mikrotextuelle Übersetzungslösungen wird der Blicks aufs Textganze und die
Übersetzungstrategien auf der Makroebene eingeübt. Jedes Kapitel wird mit
einem Verzeichnis weiterführender Literatur zum jeweiligen Problemfeld
der literarischen Übersetzungsanalyse abgerundet, das zur vertiefenden
Beschäftigung mit den angerissenen Problemfeldern oder auch praktischen
Umsetzung – etwa in einer Diplomarbeit – der im Laufe der Arbeit mit dem
Lehrwerk gewonnenen Erkenntnisse anregen soll. Das Unterrichtswerk versteht sich damit als Anleitung zum problem- und methodenbewussten Umgang mit literarischen Übersetzungen, die die Studierenden zu einer eigenverantwortlichen und fundierten Übersetzungskritik befähigt.
Als Fazit ergibt sich aus den oben angestellten Überlegungen die Erfordernis, Querverbindungen zwischen Translatkritik und Übersetzungsdidaktik herzustellen. Es ist zwar richtig, dass die Übersetzungsbewertung als
zusammenfassendes Fazit der Übersetzungskritik, in dem die relevantesten
Vor- und Nachteile zu nennen sind und eine abschließende Beurteilung des
Translats durch den Übersetzungskritiker auf Grund nach den zuvor dargelegten und begründeten Kriterien erfolgt, von didaktischen Evaluierungsansätzen zu unterscheiden ist, bei denen dieser Begriff hauptsächlich als ein
Mittel zur Beurteilung der translatorischen Leistung von angehenden Übersetzern während der Ausbildung gilt (Nord 2009, 189-193, 2011, 267-280).
Die in der wissenschaftlichen Übersetzungskritik entwickelten Ansätze
und Modelle lassen sich jedoch in vielen Punkten für die Übersetzungsdidaktik fruchtbar machen. Innerhalb der akademischen Lehre sollte also die
translatologischen Theorie durchaus ihren Platz finden. Vor allem das
Vermitteln übersetzungskritischer Konzepte und Modelle kann die Übersetzungsdidaktik sinnvoll ergänzen, die traditionellerweise schwerpunktmäßig
im Bemühen um eine Steigerung translatorischer Kompetenz mittels praktischer Übungen bestanden hat (Hönig/ Kussmaul 1996; Nord 1988; Thome
2012, 369). Nur indem übersetzungstheoretische Überlegungen in die Übersetzerausbildung integriert werden, kann Sorge getragen werden, dass
translatologisches Wissen nicht nur in der beruflichen Praxis „ankommt“,
sondern auch in der Übersetzerausbildung, wo in allererster Linie über die
Qualität (zukünftiger) Übersetzungen entschieden wird.
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Univ.-Prof. Beate Sommerfeld ist Leiterin des
Lehrstuhls für Komparatistik und Theorie der literarischen Übersetzung im Institut für Germanische Philologie der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań. Ihre Forschungsschwerpunkte sind
deutschsprachige, französische und polnische
Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, intermediale Bezüge zwischen Literatur und bildender Kunst, Fotograie und Film sowie literarische
Übersetzung.
Im vorliegenden Band werden die wichtigsten translationswissenschaftlichen Ansätze und die daraus entwickelten Modelle für die Übersetzungskritik dargestellt
und einer kritischen Revision unterzogen. Dabei wird dem Wandel Rechnung getragen, der sich derzeit in der Übersetzungslandschaft anbahnt und die Translatkritik
vor neue Herausforderungen stellt. Ziel ist es, das Thema Evaluierung in einer
Form anzusprechen, die es den Praktikern erlaubt, Modellbildungen und Resultate
auf ihre Arbeit zu beziehen, um so die Qualität von übersetzerischen Leistungen
zu verbessern. Übersetzungsqualität wird zuallererst mittels übersetzungsdidaktischer Anstrengungen gesteigert. Deshalb werden die den einzelnen Modellen innewohnenden Möglichkeiten didaktischer Applizierbarkeit erwogen und Fragen nach
ihrem Stellenwert in der universitären Lehre aufgeworfen.