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Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen

2018, In: Göcke, B. P., and Meier-Hamidi, F. (eds.), Designobjekt Mensch, pp. 81-93, Herder

81 Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen Mark Coeckelbergh 1. Einleitung Über den Transhumanismus, eine technologische und intellektuelle Bewegung, deren Ziel die Weiterentwicklung der Menschen und der menschlichen Existenz durch Verwendung fortschrittlicher Technologien ist, wird zurzeit regelmäßig im Kontext der Versprechungen und Gefahren neu aufkommender Technologien1 diskutiert. Der Begriff „Transhumanismus“ schließt zahlreiche unterschiedliche Ausrichtungen und Ansätze ein, angefangen beispielweise bei solchen, die sich an die Naturwissenschaften anlehnen, bis hin zu denen, die von der europäischen Philosophie inspiriert sind.2 Einige Transhumanisten setzen sich auch mit der Beziehung zwischen Transhumanismus und Religion auseinander. Während sich einige Autoren um Distanz zur Religion bemühen, erkennen andere, wie Hughes, die Kompatibilität religiöser und transhumanistischer Auffassungen an und verbinden den Transhumanismus mit älteren kulturellen Bestrebungen zur Transformation der menschlichen Existenz.3 Diese Abhandlung befasst sich nicht unmittelbar und nicht hauptsächlich mit der Frage „Ist Transhumanismus religiös?“, sondern will vielmehr untersuchen, inwieweit der Transhumanismus in Beziehung zu anderen oder ähnlichen Vorstellungen in unserer von religiösen Anschauungen geprägten Kultur steht. Letztlich ist es als Technikphilosoph mein 1 Meine Definition basiert auf https://en.wikipedia.org/wiki/Transhumanism, allerdings verkürzt und geringfügig angepasst, um die „technologische“ Bewegung einzubeziehen. 2 Z. B. S. Sorgner, Nietzsche, the Overhuman, and Transhumanism, in: Journal of Evolution & Technology 20 (2009) 29 – 42, der sich an Nietzsche anlehnt. 3 J. J. Hughes, The Compatibility of Religious and Transhumanist Views of Metaphysics, Suffering, Virtue and Transcendence in an Enhanced Future, in: Global Spiral 8 (2007), ieet.org/archive/20070326 -Hughes-ASU-H+Religion.pdf; J. J. Hughes, The Politics of Transhumanism and the Techno-Millenial Imagination, 1626 –2030, in: Zygon: Journal of Religion & Science 47 (2012) 757–776. 82 Mark Coeckelbergh Ziel, die Technologie besser zu verstehen. Ich habe zu diesem Zweck schon früher an dem Thema „Technologie und Spiritualität“ gearbeitet4 und setze meine Untersuchungen hier fort. Zuerst umreiße ich in kurzer Form die Diskussion über Technologie und Religion. Dann gehe ich auf die Bedeutung der Transzendenz und Immanenz für die Technologie ein. Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen stehen die transhumanistischen Vorstellungen von Technologie – insbesondere die Vorstellung des Uploading – und die Vorstellung des Cyborgs. Da der Transhumanismus nicht nur eine intellektuelle Bewegung ist, sondern auch die Entwicklung neuer Technologien beeinflusst, wie zum Beispiel im Silicon Valley, ist es wichtig, darüber zu sprechen, wenn wir die zeitgenössische Technologie und ihr Verhältnis zur Religion verstehen wollen. 2. Technologie und Religion: Ein komplexes Verhältnis Die Diskussion über Technologie und Religion ist ein heikles Thema und man bewegt sich dort wie auf einem Minenfeld. Einige Philosophen nehmen eine starke Spannung zwischen Wissenschaft und Religion wahr oder tragen selbst dazu bei. Dennett zum Beispiel versucht, Religion und Wissenschaft auseinanderzuhalten.5 In Anlehnung an Max Webers Behauptung über die Entzauberung der Welt6 wird meist davon ausgegangen, dass in der Neuzeit ein Wandel von einem religiösen zu einem wissenschaftlichen Verständnis der Welt stattgefunden hat. Es ist jedoch äußerst fragwürdig, ob dieses Verständnis der Neuzeit, einschließlich der modernen Technologie, angebracht ist. Zum Verständnis von zeitgenössischer Technologie und Bewegungen wie dem Transhumanismus trägt es sicherlich nicht ausreichend bei. Als erstes wurde und muss die Säkularisierungsthese in Frage gestellt werden. Szerszynski zufolge fand die Säkularisierung nie statt. Er schrieb, dass das moderne Säkulare, einschließlich Wissenschaft und Technologie, 4 M. Coeckelbergh, The Spirit in the Network. Models for Spirituality in a Technological Culture, in: Zygon: Journal of Religion & Science 45 (2010) 957– 978; M. Coeckelbergh, Pervasion of What? Techno-Human Ecologies and their Ubiquitous Spirits, in: AI & Society 28 (2013) 55– 63. 5 D. C. Dennett, Breaking the Spell. Religion as a Natural Phenomenon, New York 2006. 6 M. Weber, Science as Vocation, From Max Weber: Essays in Sociology. Hrsg. und Übers. H. H. Gerth und C. Wright Mills, New York 1946, 129 –156. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 83 ein unverkennbares Produkt der Religionsgeschichte des Westens ist.7 In der Neuzeit gibt es offenbar noch Raum für religiöse Erfahrung und für Magie und Spiritualität, also keine (völlige) Entzauberung der Welt. Tatsächlich gibt es unterschiedliche Arten von Verzauberung und Wiederverzauberung in der Technologie und aufgrund der Technologie. Unsere Nutzung von Informationstechnologien wie dem Internet8 und von androiden Robotern9 und unser Austausch darüber hat immer noch etwas Magisches. Erst kürzlich habe ich dargelegt, dass unsere Verwendung von zeitgenössischer Informationstechnologie immer noch sehr romantisch ist, einschließlich der romantischen Sehnsucht nach Magie und Spiritualität.10 In der romantischen Wissenschaft und Literatur des 19. Jahrhunderts entdecken wir ein ausgeprägtes Interesse vom Überschreiten der Grenze vom Tod zum Leben, von toter Materie zum lebendigen Geist. Die Romantiker strebten ebenfalls oft nach Transzendenz. Wenn es demnach keine (völlige) Säkularisierung gibt, dann müssen wir Technologie als untrennbar mit Religion und Spiritualität verbunden verstehen. Dieser Zusammenhang ist somit wesentlich komplexer als Autoren wie Dennett nahelegen und in Bezug auf den Transhumanismus und seine Verknüpfungen mit den monotheistischen Religionen kann er daher durchaus gedanklich wie folgt gefasst werden: Technologie und Visionen über Technologie wie der Transhumanismus haben mit dem zu tun, was Tillich „äußerstes Anliegen“ (ultimate concern) nannte: die direkte Beschäftigung der Technologie mit Themen wie Endlichkeit und Tod, und in diesem Sinne ist Hefner recht zu geben, wenn er sagt, dass die Technologie „beinahe explizit religiös wird“.11 Und vielleicht wird die Technologie dadurch zu dem, was sie schon immer war, da sie immer mit der menschlichen Kultur in all ihren Facetten, einschließlich spiritueller, religiöser und (anderer) äußerster Anliegen, verflochten war. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Transhumanismus sich mit der (Un)Sterblichkeit befasst. 7 B. Szerszynski, Rethinking the Secular. Science Technology and Religion Today, in: Zygon: Journal of Religion and Science 40 (2005) 813 – 822, 814. Und Hefner zufolge ist es sogar Teil der Naturgeschichte, der Entstehung des Universums. 8 W. A. Stahl, Venerating the Black Box: Magic in Media Discourse on Technology, in: Science, Technology, & Human Values 20 (1995) 234 –258. 9 L. Bailey, The Enchantments of Technology, Chicago 2005. 10 M. Coeckelbergh, New Romantic Cyborgs. Romanticism, Information Technology, and the End of the Machine, Cambridge, Mass. 2017. 11 P. Hefner, Technology and Human Becoming, in: Zygon: Journal of Religion and Science 37 (2002) 655 – 665, 659. 84 Mark Coeckelbergh Darüber hinaus hat es den Anschein, als würde die Technologie hinsichtlich dieser äußersten Anliegen etwas versprechen, was auch mehrere Religionen tun: Transzendenz. Noble behauptet, der Grund, warum unsere Kultur eine solche Obsession für die Technologie entwickelt hat, liegt darin, dass die Technologie die Transzendenz der Sterblichkeit verspreche.12 Insbesondere der Transhumanismus befasst sich häufig mit der Sterblichkeit, das heißt mit dem Versuch, mit technologischen Mitteln Unsterblichkeit zu erlangen. Mind-Uploading – ein hypothetischer Prozess, bei dem mentale Inhalte auf ein externes Medium übertragen werden – ist der Versuch, uns von körperlichen Einschränkungen zu befreien und kann als eine Art von Transzendenz verstanden werden (siehe auch weiter unten). Aber auch unsere Flucht in virtuelle Welten ist wohl eine Art von Transzendenz, genauso wie der Versuch, Maschinen (Roboter, Sprecheinrichtungen) „lebendig“ werden zu lassen, als ein von Transzendenz inspiriertes Projekt betrachtet werden kann, da die Maschine dazu gebracht werden soll, bestimmte Anliegen zu übermitteln. Allem Anschein nach übernehmen Transhumanisten auch eine Denkweise, die man nicht selten in (den monotheistischen) Religionen findet: das apokalyptische Denken. Die Vorstellung zum Beispiel, dass wir uns auf eine sogenannte Singularität zubewegen, steht offensichtlich ganz und gar in dieser Tradition. Kurzweil behauptet, dass wir als Folge der Beschleunigung der Informationstechnologie irgendwann (die Singularität) den biologischen Zustand überschreiten und Cyborgs werden und/oder uns selbst hochladen und in einer ewigen virtuellen Welt leben werden.13 3. Transzendenz und Technologie: Transhumanistisches Mind-Uploading Bisher habe ich das Wort „Transzendenz“ verwendet, ohne es zu definieren. Was bedeutet es? Allgemein gesprochen beinhaltet „Transzendenz“ die Vorstellung, über Grenzen zu gehen. Das kann bedeuten, die Grenzen der Erfahrung, des Verständnisses, der materiellen Welt, der physischen Welt, der menschlichen Welt und des Menschen selbst zu überschreiten usw. Es ist daher wichtig zu definieren, wer oder was transzendiert wird. 12 D. F. Noble, The Religion of Technology. The Divinity of Man and the Spirit of Invention (A Borzoi book), New York 1997. 13 R. Kurzweil, The Singularity is Near. When Humans Transcend Biology, New York 2005. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 85 In den monotheistischen Religionen wird Gott als ein die menschliche und physische Welt überschreitender Gott aufgefasst. Anstatt die Welt zu durchdringen (Immanenz), sieht man ihn jenseits davon. Während Transzendenz und Immanenz sich nicht zwangsläufig gegenseitig ausschließen (der katholische Glaube bejaht z. B. sowohl die Transzendenz als auch die Immanenz von Gott), werden sie oft als Gegensätze aufgefasst. Auf dem Gebiet der Technologie ist eindeutig erkennbar, wie die transhumanistische Vorstellung des Hochladens – in Schriften wie denen von Kurzweil und auf dem Gebiet der Science-Fiction, beispielsweise in dem Film Transcendence – mit dem Konzept der Transzendenz verknüpft ist. Menschen beabsichtigen mit dem Mind-Uploading die Grenzen der physisch-materiellen Welt zu überschreiten, und in die digitale Welt oder Informationswelt vorzudringen. Man könnte es auch als Überschreiten der Grenzen der biologischen Existenz oder der Grenzen der Sterblichkeit umdeuten. In seinem in englischer Sprache erschienenen Buch „The Singularity is near“ fasst Kurzweil zusammen – man beachte, dass er explizit die Bezeichnung „transzendieren“ verwendet –, „dass die Singularität ein Zeitalter ist, in dem unsere Intelligenz zunehmend nicht biologisch sein wird und trillionenfach leistungsfähiger als heute. Sie stelle den Anbruch einer neuen Zivilisation dar, die uns ermöglichen wird, unsere biologischen Einschränkungen zu transzendieren und unsere Kreativität zu steigern. In dieser neuen Welt würde es keinen klaren Unterschied zwischen Mensch und Maschine, zwischen realer Wirklichkeit und virtueller Wirklichkeit geben. Wir würden imstande sein, verschiedene Körper und nach Belieben eine Reihe von Charakteren zu übernehmen. Praktisch gesehen würden sich Altern und Krankheit ins Gegenteil verkehren; es würde keine Umweltverschmutzung mehr geben; das Problem des Hungers und der Armut auf der Welt wäre gelöst. Die Nanotechnologie würde eine Erzeugung nahezu aller physischen Produkte unter Verwendung kostengünstiger Informationsprozesse ermöglichen und letztlich jeden Tod in ein lösbares Problem verwandeln.“14 Die Ambition ist demzufolge nichts weniger als die Erreichung von Unsterblichkeit. Diese Art von Transzendenz mag sich von (anderen) religiösen Ideen hinsichtlich der Mittel (Technologie) und der präzisen Definition unterscheiden, das allgemeine Ziel von Transzendenz und Unsterblichkeit hingegen ist ein sehr ähnliches, wenn nicht dasselbe. Die 14 R. Kurzweil, The Singularity is Near (s. Anm. 13), Buchzusammenfassung über seine Zielsetzung auf dem Buchumschlag, kursiv von Coeckelbergh. 86 Mark Coeckelbergh transhumanistische Vision strebt hier unmittelbar nach Transzendenz. Mind-Uploading ist folglich eine Methode, einen transzendenten Zustand zu erlangen. In ähnlicher Weise können das Internet und die virtuelle Realität Mittel sein, Unsterblichkeit zu erlangen. In den 1990ern entdeckte man beispielsweise mit dem Internet eine neue riesige Plattform (Cyberspace), durch die man, wie wir wissen, die Grenzen der Welt überschreiten kann. Dies alles ist vergleichbar mit der Sehnsucht nach Unsterblichkeit und Transzendenz in den monotheistischen Religionen. Die Vorstellung des Mind-Uploading erinnert ebenfalls an Platonismus, Neoplatonismus und Gnostizismus, die alle nach der Transzendenz der Seele aus einem unwirklichen und unerwünschten Körper strebten. Transzendenz ist demgemäß eine Flucht aus dem Gefängnis des Körpers und ganz allgemein gesagt, aus dem Gefängnis der (materiellen) Welt. Zu diesem Zweck kann die Technologie verwendet werden. Aber selbst wenn man nicht an diese „ausgefallenen“ Ideen denkt, spielt die Technologie häufig eine transzendierende Rolle. Arendt zufolge können wir zum Beispiel mithilfe der Mathematik, der Wissenschaft und technologischer Instrumente unseren Wunsch realisieren, die Welt zu verlassen.15 Die modernen Technologien scheinen häufig dasselbe Ziel zu haben, wenn uns beispielsweise das Internet, Computerspiele und unser Gebrauch von Smartphones von unserer unmittelbaren Umgebung entfremden, um das Hier und Jetzt zu durchschreiten. Hinzu kommt, dass aus einem erweiterten Blickwinkel sogar Sprache als ein Werkzeug dienen kann, sich zu distanzieren und abzuheben, über die unmittelbare Gegenwart und das Naheliegende hinauszuwachsen. Vor allem Sprache in Form von Schreiben und Texten (was auch Techniken sind), wurde oftmals wegen dieses entfremdenden Effekts kritisiert (im Gegensatz zur gesprochenen Kultur). Und die Philosophie, als eine durch Technologien wie Sprache, Schreiben, Textverarbeitungsprogramme, Computer usw. ausgeübte Disziplin, ist ebenfalls mit einem grenzüberschreitenden Apparat zu vergleichen. Manche halten diese Transzendenz und „Entfremdung“ für erstrebenswert, für andere ist sie hochproblematisch. Dies ist ein Thema für sich, das eine ausführlichere Behandlung verdient. Für den Zweck dieser Abhandlung will ich mich zunächst darauf beschränken, folgende Position einzunehmen: Ich habe für diejenigen Verständnis, die denken, dass zumindest etwas an dieser Distanz und Entfremdung, bezogen auf Trans15 H. Arendt, The Human Condition, Chicago 1958. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 87 zendenz, aber auch im Allgemeinen, falsch ist. Ich werde nicht auf alle Gründe eingehen, warum daran etwas falsch ist, aber dies könnte einer davon sein: Wenn wir von der Annahme ausgehen, dass wir Beziehungswesen sind, dann können diese Distanzen und diese Transzendenz durchaus problematisch sein, da sie uns von dem entfremden, zu dem wir in Beziehung stehen, oder zumindest die Beziehungsorientierung des Menschen leugnen. Angesichts des Entfremdungs-und Distanzproblems (die von der Welt distanzierten Menschen, der von der menschlichen Welt distanzierte Gott, die von der Natur distanzierten Menschen usw.) kann man daher anregen, sich stattdessen der Immanenz zuzuwenden. Was bedeutet Immanenz und was bedeutet eine immanente Technologie? Im Folgenden werde ich die Beziehung zwischen Immanenz und Technologie näher beleuchten. 4. Immanenz und Technologie: Verletzbare Cyborgs und allgegenwärtige Geister Am Ende des vorangegangenen Abschnitts zeigte ich eine Wahlmöglichkeit auf. Aber es stellt sich nicht nur die Frage nach einer „Präferenz“, als gäbe es eine einfache Entscheidung zwischen Transzendenz und Immanenz. Die Bemühungen, Transzendenz zu erlangen, können nicht nur Nachteile haben (das Distanzproblem zum Beispiel), sie scheitern auch in vielen Fällen – zumindest in gewissem Maße. Wir wollen vielleicht unseren menschlichen Zustand transzendieren, aber größtenteils gelingt es uns nicht. Wir werden mit der Technologie auch nicht unsterblich. Wir werden nicht unverletzbar. Wir können unserem irdischen Zustand nicht entkommen. Wir bleiben verletzbar, trotz unserer technologischen Bemühungen, weniger verletzbar zu werden. In meiner Studie über Enhancement und Verletzbarkeit habe ich aufgezeigt, dass in dem Maße, wie wir kontinuierlich neue Technologien zur Bewältigung von Risiken erfinden und verwenden, diese ständig neue Risiken und Verletzbarkeiten hervorrufen: anstatt weniger verletzbar zu werden, verändert sich die existentielle menschliche Verletzbarkeit lediglich; es stellt sich also die Frage, welche Technologien und Verletzbarkeiten wir wollen.16 Unser existenzieller Zustand ist, dass wir ständig einer Gefahr ausgesetzt sind. Auch wenn wir zu transhumanen Wesen werden, 16 M. Coeckelbergh, Human Being @ Risk. Enhancement, Technology and the Evaluation of Vulnerability Transformations, Dordrecht 2013. 88 Mark Coeckelbergh würde sich daran sicherlich nichts ändern. Wir sind verletzbare Cyborgs und werden es auch in Zukunft bleiben17 – wenn auch auf neue Weise aufgrund der Transformation durch neue Technologien. Aus dem Blickwinkel der Religion und Spiritualität betrachtet hat diese Akzeptanz unseres existenziellen Zustandes mehr mit Immanenz als mit Transzendenz zu tun. Innerhalb einer immanenten Spiritualität befinden sich Geist, Seele, Gott/Götter usw. in dieser Welt und nicht außerhalb davon. Menschen müssen ihre religiöse und menschliche Bestimmung (sofern sie eine haben) in dieser Welt finden und nicht jenseits davon. Dies ist eine Religion und eine Spiritualität, die die Grenzen menschlicher Erfahrungen akzeptiert und innerhalb dieser Grenzen vorkommt. Es spielt sich in dieser Welt ab, nicht in einer anderen. So gesehen ist es sinnlos, Transzendenz erlangen zu wollen; wir sollten lieber unseren religiösen Wert und Sinn im Hier und Jetzt suchen und unseren irdischen und körperlichen Zustand akzeptieren, wenn nicht sogar mit Freuden annehmen. Unsere Technologien wie das Internet (der Dinge), Smartphones usw. sollten dann nicht als Transzendenzmaschinen verstanden und verwendet werden, sondern als Technologien und Medien, die innerhalb einer menschlich-materiellen-spirituellen Ordnung, einer Ökologie oder eines Netzwerkes immanent sind. Aus immanenter Sicht gibt es eine Vielfalt von Wesen und es gibt Raum für Zusammenschlüsse, Hybride und Grenzen, die nicht klar sind und die nicht so klar zu sein brauchen. Denken Sie an die sogenannten „heidnischen“ alten Naturreligionen, in denen es eine Vielfalt von Göttern und andere (kaum) übernatürliche Wesenheiten gab, die nicht so weit von der Welt der Menschen entfernt waren wie der transzendente monotheistische Gott und in denen Raum für Kontakt, Einmischung, Beziehungen und Durcheinander vorhanden war. Wenn wir überhaupt eine Religion oder Spiritualität für dieses hochtechnologische Zeitalter brauchen (obwohl alle Zeitalter technologisch waren), dann ist angesichts der Probleme mit Transzendenz eine solche immanente Spiritualität angemessener. Diese Spiritualität steht nicht notwendigerweise im Gegensatz zu Technologien und Medien, sondern kann sie integrieren. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass eine „ubiquitäre“, „allgegenwärtige“ Art von Spiritualität im Einklang mit dem Verstehen zeitgenössischer weit verbreiteter und ubiquitärer Tech17 M. Coeckelbergh, Vulnerable Cyborgs. Learning to Live with our Dragons, in: Journal of Evolution and Technology 22 (2011) 1– 9. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 89 nologien steht, vorausgesetzt wir fangen an, die Beziehungsorientiertheit des Menschen und den ökologischen Aspekt der menschlich-technologischen Beziehungen zu sehen.18 Diese Spiritualität steht auch im Einklang mit östlichen nicht-dualistischen und anthropologischen Sichtweisen des Werdens. Technologie ist hier kein externes Instrument, das verwendet wird, um in Distanz zur Erde zu gehen und sich vom irdischen und körperlichen menschlichen Zustand zu lösen; Technologie ist vielmehr mit unserem irdischen und verkörperten Leben verwoben, ein Teil dessen, was wir sind und was wir tun. Sie gehört zu unserem relationalen Sein und Werden, sie bestimmt uns. Spiritualität und Religion sind nicht als von der Technologie oder von dem menschlichen verkörperten und irdischen Zustand getrennt zu verstehen, sondern als mit dieser menschlichtechnologisch-irdischen Realität verbunden und darin gegenwärtig. Der Geist an sich ist folglich allgegenwärtig, so allgegenwärtig wie die Natur, die Technologien und die menschliche Kultur. Die Seele lässt sich nicht in einer transzendenten Realität außerhalb dieser Welt finden; wenn sie überhaupt irgendwo ist, ist sie in der Welt. Die Technologie an sich muss so verstanden werden, dass sie diese Grenzen überschreitet. Soziale Medien sind zum Beispiel weder nur menschlich noch nur technologisch, sondern beides zugleich, und sie sind weder nur spirituell noch nur materiell, sondern beides zugleich. Bei dieser Auffassung stellt sich nicht das Problem der Entzauberung, das dann mittels Wiederverzauberungstechnologien oder Transzendenzmaschinen gelöst werden muss, die uns so schnell und effektiv wie möglich aus dieser Welt nehmen. Es bedarf keiner Magie oder Flucht, denn Magie ist bereits vorhanden, und es gibt weder die Möglichkeit noch den Wunsch zu entkommen. Im Kontext der immanenten religiösen Erfahrung ergibt das Konzept einer transzendenten, jenseitigen Realität nicht einmal Sinn. Spirituelles Wachstum und religiöser Wandel sind eine Frage von Wachstum und Wandel innerhalb dieser Welt und zwar als irdische und verkörperte, natürliche und soziale Wesen. Solches Wachstum erfordert keine Transzendenzmaschinen, sondern das Bemühen, in Beziehungen und erneuerten Verbindungen besser zu werden (religare), womöglich unter Einbeziehung der unterschiedlichsten Artefakte, Technologien und Medien. Diese Auffassung ist mit der zurzeit aufkommenden posthumanistischen Technologiephilosophie kompatibel, die Technologie als wesentli18 Coeckelbergh, Pervasion of What? (s. Anm. 4). 90 Mark Coeckelbergh chen Aspekt für das, was uns ausmacht, begreift und Wissenschaft und Kultur (einschließlich Religion) nicht als Gegensätze, sondern als tief miteinander verbunden versteht. Im Rahmen des Posthumanismus wird die Zusammenführung von Mensch und Maschine erforscht und nicht selten mit Enthusiasmus vertreten; in der Tat wird die Gestalt des Cyborgs gefeiert19, aber dies in einer Weise, die nicht nach Transzendenz strebt. Die Bezeichnung „Cyborg“ kann für Visionen wie das Hochladen stehen, Visionen, die das Menschliche übertreffen wollen, indem sie über das Physische und Materielle hinausgehen (siehe wieder Kurzweil), Cyborg kann aber auch für Visionen eines „Jenseits“ stehen, in denen Erde und Körper anerkannt werden, Visionen, die eine Einheit von Seele und Geist mit der physisch-materiellen Welt, dem Menschlichen und dem Technologischen enthalten. Der posthumane Zustand – wenn diese Bezeichnung angemessen ist – kann über den Menschen in dem Sinne hinausgehen, dass wir in einem solchen Zustand nicht mehr dieselben Menschen wären wie heute. Dabei handelt es sich aber nicht notwendigerweise um ein „Überschreiten“ im Sinne der Transzendenz. Im Gegensatz zum Transhumanismus, dessen Visionen meist stark zur Transzendenz tendieren, gibt es im Posthumanismus zahlreiche Strömungen, die sich für immanentes Denken und eventuell sogar immanente Spiritualität öffnen. 5. Schlussfolgerung: Transzendenz, Immanenz und die Grenzen von Erfahrung und Wissen In dieser Abhandlung habe ich mich mit Technologie und Transhumanismus vor dem Hintergrund der Vorstellungen über Transzendenz und Immanenz befasst. Abweichend zu den von den Transhumanisten vorgeschlagenen Transzendenzmaschinen (und wir verwenden ja heute bereits einige dieser Maschinen), habe ich die Möglichkeit einer immanenteren Sichtweise hervorgehoben und verteidigt: eine immanente Sichtweise von Menschen, Technologie und Spiritualität, in der beispielsweise soziale Medien oder intelligente Geräte als integrierter Bestandteil 19 Denken Sie zum Beispiel an die Abfassungen, die auf D. Haraway, A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-feminism in the late Twentieth Century, 1991, in: D. Bell/B. M. Kennedy (Hrsg.), The Cybercultures Reader, London 2000, 291–324 folgten. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 91 einer Lebenswelt und einer Ökologie, die zugleich materiell und spirituell, leiblich und gefühlvoll ist, verstanden werden müssen. Gleichwohl sollten zumindest die folgenden Abstufungen vorgenommen werden. Erstens gibt es, wie bereits angemerkt, eine Religion mit dem Ziel, Immanenz und Transzendenz zu verbinden (und vielleicht gibt es noch mehr solcher Religionen). Das führt zu der Frage, ob die in dieser Abhandlung dargestellten Meinungen wirklich so inkompatibel sind, wie ich manchmal dargelegt habe. Ich bleibe der Möglichkeit gegenüber aufgeschlossen, dass eine Kombination, eine Synthese in Bezug auf Religion und Spiritualität möglich ist, aber auch in Bezug auf das Verstehen von Technologien und Medien. Bisher habe ich allerdings vor allem starke Spannungen beobachtet, einerseits zwischen Transzendenz suchenden transhumanistischen Visionen und andererseits zwischen den Humanismus oder Posthumanismus verteidigenden Anti-Transhumanisten, die stärker zur Immanenz tendieren. Es wäre interessant, sich eingehender damit zu befassen, wie im Bereich des Nachdenkens über Technologie eine Synthese aus Transzendenz-orientierten und Immanenz-orientierten Meinungen aussehen würde, aber ich habe noch keine gefunden. Zweitens, unter Berücksichtigung des vorherigen Punktes bezüglich einer Synthese: während ich hier eine immanentere Ansicht vertrete, muss die Sehnsucht nach Transzendenz, die im Verlauf eines Großteils unserer Kulturgeschichte ein sehr menschlicher Wunsch und eine Hoffnung war und ist, anerkannt werden. Vielleicht ist es sogar ein typisch menschlicher Wunsch und eine menschliche Hoffnung oder Teil der conditio humana. Pascal schrieb in seinen Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets: „l’homme passe infiniment l’homme“ – Der Mensch übersteigt unendlich den Menschen.20 Cottingham spricht in diesem Kontext von den transzendenten Trieben und der Rastlosigkeit des menschlichen Geistes.21 Wir können auch über die Worte von Pico della Mirandola in seiner Rede über die Würde des Menschen nachdenken: Du, ohne Grenze oder Schranke, darfst die Grenzen oder Schranken deiner Natur für dich selber wählen.22 So gesehen sind wir immer trans20 B. Pascal, Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets (1670), http://www. ub.uni-freiburg.de/referate/04/pascal/pensees.pdf (abgerufen am: 05.10.2017). 21 J. Cottingham, Human Nature and the Transcendent, in: C. Sandis/M. J. Cain (Hrsg.), Human Nature (Royal Institute of Philosophy supplement 70), Cambridge 2012, 233 –254. 22 G. P. della Mirandola, Oration on the Dignity of Man (1496). Trans. Richard Hooker (Absätze 1–7), http://richard-hooker.com/sites/worldcultures/REN/ORATION.HTM. 92 Mark Coeckelbergh human oder Transhumanisten gewesen. Allerdings kann die Transzendenz auch eine Beschäftigung relativ jüngeren Datums mit Verbindung zum Monotheismus sein, dem in der westlichen (griechischen) Kultur sowie der Moderne gehuldigt wird. Trotzdem wäre es unklug, die Transzendenz zu ignorieren, und man muss auf jeden Fall zugeben, dass Menschen Erfahrungen mit Transzendenz haben und hatten. Zu diesen Erfahrungen gehören sehr wahrscheinlich auch Transzendenzerfahrungen mit Technologien und Medien und deren Gebrauch. Es bedarf noch weitergehender Arbeiten zu dem Phänomen von Transzendenz und Immanenz in Bezug auf Technologie. Abschließend ist es wichtig, Transzendenz in dem Sinne anzuerkennen, dass wir die bleibende Begrenztheit unserer (menschlichen) Erfahrung und unseres Wissens eingestehen. Wir können zum Beispiel von den Romantikern des frühen 19. Jahrhunderts wie Novalis, aber auch von den Mystikern der Antike lernen, dass wir sehr vieles nicht wissen und vielleicht nie wissen werden. Die Transzendenz kommt hier der Dunkelheit gleich, oder möglicherweise einem Abgrund oder einem Mysterium. Insofern müssen diese Grenzen des menschlichen Wissens beim Nachdenken über Technologie auch eingestanden werden. Weder die auf die Transzendenz ausgerichteten Denker noch die auf die Immanenz ausgerichteten Denker sollten mit der Annahme durchkommen, dass das letzte Wort über den Menschen, die Technologie und das „Jenseits“ bereits gesprochen ist. Bescheidenheit ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine bedeutende erkenntnistheoretische Tugend in der Philosophie und außerhalb davon. Literatur H. Arendt, The Human Condition, Chicago 1958. L. Bailey, The Enchantments of Technology, Chicago 2005. M. Coeckelbergh, The Spirit in the Network. Models for Spirituality in a Technological Culture, in: Zygon: Journal of Religion & Science 45 (2010) 957– 978. M. Coeckelbergh, Vulnerable Cyborgs. Learning to Live with our Dragons, in: Journal of Evolution and Technology 22 (2011) 1– 9. M. Coeckelbergh, Human Being @ Risk. Enhancement, Technology and the Evaluation of Vulnerability Transformations, Dordrecht 2013. M. Coeckelbergh, Pervasion of What? Techno-Human Ecologies and their Ubiquitous Spirits, in: AI & Society 28 (2013) 55 – 63. M. Coeckelbergh, New Romantic Cyborgs. Romanticism, Information Technology, and the End of the Machine, Cambridge, Mass. 2017. J. Cottingham, Human Nature and the Transcendent, in: C. Sandis/M. J. Cain (Hrsg.), Human Nature (Royal Institute of Philosophy supplement 70), Cambridge 2012, 233 –254. Transzendenzmaschinen: Der Transhumanismus und seine (technisch-)religiösen Quellen 93 G. P. della Mirandola, Oration on the Dignity of Man (1496). Trans. Richard Hooker (Absätze 1–7), http://richard-hooker.com/sites/worldcultures/REN/ORATION.HTM D. C. Dennett, Breaking the Spell. Religion as a Natural Phenomenon, New York 2006. D. Haraway, A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-feminism in the late Twentieth Century, 1991, in: D. Bell/B. M. Kennedy (Hrsg.), The Cybercultures Reader, London 2000, 291–324. P. Hefner, Technology and Human Becoming, in: Zygon: Journal of Religion and Science 37 (2002) 655 – 665. J. J. Hughes, The Compatibility of Religious and Transhumanist Views of Metaphysics, Suffering, Virtue and Transcendence in an Enhanced Future, in: Global Spiral 8 (2007),: ieet.org/archive/20070326 -Hughes-ASU-H+Religion.pdf. J. J. Hughes, The Politics of Transhumanism and the Techno-Millenial Imagination, 1626 –2030, in: Zygon: Journal of Religion & Science 47 (2012) 757–776. R. Kurzweil, The Singularity is Near. When Humans Transcend Biology, New York 2005. D. F. Noble, The Religion of Technology. The Divinity of Man and the Spirit of Invention (A Borzoi book), New York 1997. B. Pascal, Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets (1670), http://www. ub.uni-freiburg.de/referate/04/pascal/pensees.pdf (abgerufen am: 05.10.2017). S. Sorgner, Nietzsche, the Overhuman, and Transhumanism, in: Journal of Evolution & Technology 20 (2009) 29 – 42. W. A. Stahl, Venerating the Black Box: Magic in Media Discourse on Technology, in: Science, Technology, & Human Values 20 (1995) 234 –258. B. Szerszynski, Rethinking the Secular. Science Technology and Religion Today, in: Zygon: Journal of Religion and Science 40 (2005) 813 – 822. M. Weber, Science as Vocation, in: Ders., From Max Weber: Essays in Sociology. Hrsg. und Übers. H. H. Gerth und C. Wright Mills, New York 1946, 129 –156.