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Femke Grops
Der »fake« aus Dem Ofen – DefinitiOn, funktiOn
unD Wert assyrischer Quarzkeramik
Quarzkeramik ist ein bisher wenig erforschtes Material
ein beliebtes Material für die Herstellung von Schmuck,
des Alten Orients, das größtenteils aus zerriebenem
Siegeln, Figuren und Gefäßen sowie zur Verkleidung
Quarz besteht und zusätzlich glasiert wurde. Sie steht
von Möbeln und Architektur.
damit in enger Verbindung zur komplexen Glasherstellung. Gerade im Assyrien (dem heutigen Nordirak) der
Quarzkeramik in enger Verbindung: Beide imitierten
letzten beiden vorchristlichen Jahrtausende ist Quarz
im Alten Orient das bunte, glänzende Aussehen von
karte des alten Orients, erstellt von Alexander Pruß
femke Grops. Foto: Julian Gerchow
Auch funktional stehen Glas und glasierte
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steinbestimmungsbuch, tontafel mit keilschrift, Mittelassyrisch, 1400 – 1000 v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen
zu Berlin
D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k
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Edel- und Halbedelsteinen, wie beispielsweise von
achat), oder das Aussehen wird verglichen mit bekann-
rotem Karneol. Deutlich geht diese Imitation aus den
ten Wetterphänomenen oder Beobachtungen aus
assyrischen Texten hervor, in denen zwei Bezeich-
Flora und Fauna, beispielsweise »er ist wie eine Regen-
nungen für ein und denselben Stein, wie zum Beispiel
den blauen Lapislazuli (uqnu- ), Verwendung finden:
wolke« (Chalzedon) oder »er ist wie die Flügel einer
uqnu- šadî und uqnu- ku- ri. Während der Zusatz šadî
mungsbuch« stand dem āšipu auch ein Nachschlage-
die Herkunft des Lapislazuli »vom Berge« und somit
dessen Echtheit bezeugt, meint der Zusatz ku- ri das
werk über Heilpflanzen zur Verfügung.
ähnlich blaue, aber glasige Imitat »aus dem Ofen«.
Edelsteine (Lapislazuli, Karneol, Achate) nicht in der
Die Menschen wertschätzten die Steine nicht
Libelle« (Brekzie). Neben einem solchen »Steinbestim-
Da die meisten Steine und gerade die beliebten
Natur Mesopotamiens vorkommen, mussten diese aus
nur wegen ihrer Schönheit als Schmuck, vielmehr
fernen Ländern (z. B. dem heutigen Afghanistan oder
glaubte man daran, dass ihnen magische Kräfte
dem Indus-Tal) aufwändig importiert werden. Deshalb
innewohnen: So wirkten Steine im Alten Orient auch
konnten sich nicht viele Menschen den Luxus und die
als Schutz- und Heilmittel und gehörten mit dieser
schützende und heilende Magie der Steine leisten. Da
Eigenschaft, neben Heilpflanzen, zum gängigen Reper-
für die Arbeit des āšipu jedoch Farbe und Muster ent-
toire des Beschwörungspriesters (āšipu). Dessen
scheidende Kriterien bei der Bestimmung der Steine
Aufgabe war es, Omen zu deuten, Weissagungen zu
und ihrer Wirkungen waren, konnten sie auch durch
machen und gute Dämonen zu beschwören, um böse
imitierte, gleich aussehende Steine »aus dem Ofen«
zu vertreiben. Im Rahmen oft tagelang andauernder
ersetzt werden, ohne dass sie ihre Wirkung einbüßten.
Rituale fertigte der āšipu heilende Tränke und
Die magische Funktion von Steinen überträgt sich
Salben und schützende Amulettsteinketten an. Er
somit auf das Steinimitat aus glasierter Quarzkeramik.
stellte ganze Gebäude, Menschen und ihre Vorhaben
Spannend und zentral für das Projekt ist deshalb
unter den Schutz der Götter, von denen man glaubte,
die Frage nach dem antiken Wert von glasierter Quarz-
dass diese die schönen Steine ganz besonders
keramik – als einem künstlichen Material, welches ein
schätzten. Damit waren sie auch für die Arbeit des
natürliches, aufgrund seiner Seltenheit wesentlich
āšipu unverzichtbar.
wertvolleres Material optisch nachahmt und dessen
Um die vielen Steine mit ihren unterschiedlichen
magische Funktion übernimmt. Stehen sich hier wirk-
Farben und Musterungen erkennen und auseinander-
lich Original und Imitat als gleichwertige Äquivalente
halten zu können, wurde dem altorientalischen
gegenüber? Oder handelt es sich bei Quarzkeramik
Beschwörungspriester mit der Liste abnu šikinšu
um einen billigen »fake«?
ein Nachschlagewerk an die Hand gegeben: Die zweisprachige assyrisch-sumerische Liste ist in Keilschrift
Verlorener Glanz
auf Tontafeln festgehalten und beschreibt oder ver-
Die Bedeutung von Quarzkeramik liegt demnach in der
gleicht das Aussehen verschiedener Steine, um deren
steinähnlichen Optik, also in deren Funktion als Träger
Bestimmung zu erleichtern. Entweder folgt vor der
von Glasuren. Deshalb ist die Herstellung von Quarzke-
Nennung des Namens eine kurze Beschreibung von
ramik untrennbar verbunden mit der komplexen Glas-
Farbe und Muster, wie zum Beispiel »er ist weiß und
technologie – denn bei einer Glasur handelt es sich um
schwarz gestreift« (gemeint ist vermutlich Band-
nichts anderes als eine dünne Schicht Glas. Techno-
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Oxydisches kupfererz zum färben von Glas und Glasuren,
Guido Sengle, Kassel
Möchte man nun ein Quarzkeramikobjekt herstellen, zerreibt und mischt man den Quarz zunächst
mit Wasser und Alkalien aus Pflanzenaschen oder
alkalihaltigen Mineralien wie Trona. Beim anschließenden Brand im Ofen schmelzen die zerriebenen Quarzkörner dank der Alkalien zwar, jedoch nicht vollständig,
wie es bei Glas der Fall ist. Stattdessen »verbacken«
sie aneinander und bilden damit ein poröses, aber stabiles Gerüst. Nach dem Brand ist das Objekt weiß und
wegen der Porosität wasserdurchlässig, weshalb es
zusätzlich glasiert wird. Die Farben erhalten die Glasuren durch beigefügte Metalloxide wie Eisen- oder
Kupferoxid. Für die Antike sind drei nachgewiesene
Glasurverfahren bekannt: die Selbstglasur, die Zementation und das Applikationsverfahren. Mit den beiden
zuerst genannten Methoden besitzt Quarzkeramik
zwei technologische Vorteile gegenüber der schwierirohstoffe für Quarzkeramik: Quarz, trona, salzpflanzen, Guido
Sengle, Kassel
ger zu glasierenden Tonkeramik, da beide nur mit
Quarz als Basis möglich sind und gleichzeitig eine
Produktion von Objekten in großen Mengen erlauben.
Gerade die Selbstglasur ermöglicht es, bei der richti-
logisch ist Quarz ein idealer Träger für Glas, da beide
gen Vorbereitung der Rohmasse, Quarzkeramik in
Materialien sich aus den gleichen Bestandteilen
einem einzigen Arbeitsschritt und Brennvorgang zu
zusammensetzen und damit besonders gut aneinan-
glasieren, bei dem dann wie »von selbst« eine dünne
derhaften: Quarz und Alkalien, wie Natrium, Calcium
Schicht Glas auf der Figur entsteht. Ähnliche Vorteile
oder Kalium. Letztere werden benötigt, um die
bietet die Zementation: Die ungebrannte Figur wird in
Schmelztemperatur des Quarzes zu senken.
einer Brennkapsel in einem Entwicklerpulver aus zer-
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zementationsverfahren zum Glasieren von Quarzkeramik, Experiment von Guido Sengle, Kassel, 1999
riebenem Quarz, Alkalien aus Pflanzenaschen und
der Figur schmelzen und zu Glas werden lassen. Das in
Kupferoxid sozusagen »einzementiert«, bis diese voll-
der Pflanzenasche enthaltene Chlor breitet sich eben-
ständig bedeckt ist. Bei einem mehrstündigen Brand
falls gasförmig aus, verbindet sich mit dem im Pulver
von 900 – 1100°C entstehen im Pulver alkalische
enthaltenen Kupferoxid und transportiert dieses zur
Dämpfe, die den zerriebenen Quarz an der Oberfläche
Oberfläche der Figur, die dadurch ohne weiteres Zutun
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eine blaue Glasur erhält. An dieser Stelle trennen sich
trockenen Ägypten, in dem sich antike Quarzkeramik
Figur und Pulver um Zehntelmillimeter voneinander,
außerordentlich gut erhalten hat, ist der gebirgige
sodass sich das Ergebnis anschließend aus dem
Nordirak, das Kerngebiet Assyriens, mit seinen
Pulver herausklopfen lässt.
Schnee- und Regenfällen wesentlich feuchter. Dadurch
Das heutige Aussehen der assyrischen glasier-
reichern sich die Böden mit Huminstoffen an, die in
ten Quarzkeramik lässt jedoch kaum noch etwas vom
Form von Salzen und Säuren mit den Glasuren der
einstigen Glanz und den ursprünglich leuchtenden
Quarzkeramik chemisch reagieren und diese angreifen
Farben der Objekte erahnen. Erklären lässt sich dies
oder gar zersetzen. Je nach Lagerung und Alter sind
mit dem Verlust der Glasuren und den Erhaltungs-
vorderasiatische Quarzkeramik-Objekte also ihrer Gla-
bedingungen für Glas und glasige Materialien in den
suren entweder gänzlich beraubt oder aber, wo sich
Böden des Vorderen Orients: Im Gegensatz zum
noch Glasurreste finden lassen, sind diese verfärbt
materialtafel von Guido sengle Die farben der kieselkeramik, 1999
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oder gar entfärbt. Was bleibt, ist ein instabiler grauer
halb ihre Gunst für deren Leben und Vorhaben – auch
Kern, der einst die Glasur trug, nun frei liegt und eben-
jenen, die dabei auf Steinimitate zurückgriffen. Um
falls zerfällt. Um trotz der Erhaltungszustände der
den schönen, blauen Stein mit seinen oft goldähn-
Objekte eine Vorstellung der einstigen Farbintensität
lichen, funkelnden Pyrit-Einschlüssen imitieren zu
und -vielfalt zu bekommen, hat der Keramiker Guido
können, ist das älteste künstlich hergestellte Pigment
Sengle antike Farbglasuren mit Metalloxiden auf
Ägyptisch-Blau hervorragend geeignet. Es handelt sich
Quarzkeramik und in Gläsern nachvollzogen und das
dabei um eine Quarzkeramik, die auch als Färbemittel
Spektrum der Resultate in einem Farbkreis dargestellt.
verwendet und weiterverarbeitet wurde und erstmalig
im Ägypten des 3. Jahrtausends v. Chr. belegt ist. Da
»so kostbar wie der Lapislazuli möge mein Leben
Ägyptisch-Blau bereits vollständig blau durchgefärbt
vor Dir sein!« – Der fall Blau
ist und beim Brand feine Kristalle bildet, die im tiefen
Gerade die Farbe Blau erfreut sich noch heute im
Blau der Keramik ähnlich den Sternen am Nachthim-
Orient einer großen Beliebtheit. Möglicherweise hängt
mel glänzen, wurde es nicht zusätzlich glasiert, wie
dies damit zusammen, dass sie in der freien Natur nur
modern hergestelltes Ägyptisch-Blau veranschaulicht.
selten vorkommt. Was wir jedoch deutlich als blau
Durch die mehrfache Verarbeitung von Ägyptisch-Blau
wahrnehmen und unzertrennlich mit der Farbe verbin-
ließ sich ein großes Spektrum unterschiedlicher Nuan-
den, sind der Himmel und das Meer, das Oben und
cen der beliebten Farbe erreichen. So verwundert es
Unten, die für uns sichtbaren Grenzen unserer Welt.
nicht, dass die Farbe Blau die häufigste Farbe der Glä-
Auch erscheinen Berge in großer Entfernung als blaue
ser und Glasuren von Quarzkeramik ist.
Formen am Horizont. Im Alten Orient vermuteten die
Menschen hinter diesen Grenzen den Sitz der über
Billiger »fake« oder Luxusgut?
alles und jeden wachenden Götter, von denen man
Vor dem Hintergrund der Funktion von Quarzkeramik
deshalb sagte, dass diese den blauen Lapislazuli
als künstliches, aber magisch wirksames Steinimitat
besonders schätzten. Sogar das Aussehen der men-
ist die Frage nach dem antiken Wert des Materials
schenähnlichen Götter stellte man sich mit blauen
umso interessanter. Einerseits, da es ein wegen der
Haaren und Bärten aus glänzendem Lapislazuli vor,
Seltenheit der Steine wertvolles und prestigeträch-
wovon die orientalischen Texte berichten. Passend zu
tiges Material imitiert. Andererseits, da mit dem künst-
diesen Beschreibungen wurden die Götterstatuen in
lichen Imitat die Originale, die seltenen und magischen
den Tempeln mit blauen Gewändern sowie Bart- und
Steine, massenproduzierbar werden und somit einer
Haarlocken aus Lapislazuli und seinen Imitaten aus-
breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden
gestattet. Deutlich wird diese göttliche Vorliebe auch
können. Jedoch ist gerade die eingeschränkte Zugäng-
durch eine Gottesanrufung in einem Ritual, das gegen
lichkeit einer Ware ein Marker für Prestige und Luxus
böse Hexerei helfen soll: »So kostbar wie der Lapisla-
(ähnlich dem modernen Sammeln von Kunst, bei dem
zuli möge mein Leben vor Dir sein, es möge mir Erbar-
die Beschaffung von Kunstwerken nur für wenige
men zuteilwerden!«. Den Menschen, die den Göttern
Menschen möglich und finanziell erschwinglich ist).
Geschenke aus dem blauen Stein in ihre Tempel brach-
Die Rohstoffe für Quarzkeramik sind im Gegensatz zu
ten, die Lapislazuliamulette trugen oder sich mit blau
den Steinen keineswegs aufwändig zu beschaffen und
glasierten Rosetten schmückten, schenkten sie des-
teuer, sondern begegnen in der Natur in großen Men-
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Locken aus Lapislazuli mit Bronzenägeln, Assur, Irak, Neuassyrisch, um 1000 v. Chr.,
Gewandfragment aus Äyptisch-Blau-Quarzkera-
Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
mik, Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum,
Staatliche Museen zu Berlin
haar- oder Bartschopf aus Äyptisch-
Locke aus Äyptisch-Blau-Quarzkeramik, Assur,
Locke aus Äyptisch-Blau-Quarzkeramik,
Blau-Quarzkeramik, Assur, Irak,
Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr.,
Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahr-
Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend
Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu
tausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum,
v. Chr., Vorderasiatisches Museum,
Berlin
Staatliche Museen zu Berlin
Staatliche Museen zu Berlin
rosetten aus Quarzkeramik, Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k
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moderne anfertigung des Pigments Ägyptisch-Blau von Guido
sengle, Kassel, 1999
somit fester Teil des assyrischen Lebens und Alltages
ist. Auch für uns Archäologen bietet Quarzkeramik
deshalb einen hohen Nutzwert, da es eine antike,
Brocken des Pigments Äyptisch-Blau, Assur, Irak, Neuassyrisch,
1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche
Museen zu Berlin
kognitive Glaubenswelt spiegelt, die sonst nur sehr
schwer materiell zu erfassen ist.
titel der Dissertation:
gen. Bisher nahmen Archäologen deshalb an, dass es
Assyrische Quarzkeramik
sich bei dem Material um einen »billigen« Steinersatz
handeln müsse. Aber was ist mit dem magischen Wert
Archäologie und Kulturgeschichte des Vorderen
von Quarzkeramik als Steinimitat, der diesem geringen
Orients, Prof. Dr. Dirk Wicke
Materialwert gegenübersteht? Erhält das Material
durch seine schützende und heilende Wirkung nicht
einen hohen Nutzwert und damit eine große Bedeutung für den antiken Menschen? Schnell wird deutlich,
dass im Fall von Quarzkeramik nicht von einem einzigen Wert gesprochen werden kann, sondern von
mindestens fünf verschiedenen gesprochen werden
muss: Material-, Produktions-, Prestige-, Nutz- und
Magiewert. Betrachtet man die beschriebene Glaubenswelt der Assyrer und erkennt die Bedrohungen,
die es in deren Vorstellungswelt durch Dämonen und
zornige Götter gibt, ist das Schutzbedürfnis nachvollziehbar und elementar. Damit wird der magische Wert
der Quarzkeramik deutlich und, dass diese ein materieller Ausdruck der assyrischen Glaubenswelt und