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F. Grops, Der "fake" aus dem Ofen - Definition, Funktion und Wert assyrischer Quarzkeramik, in: P. Hahn, C. Trümpler, M. Großkinsky (Hrsg.), Faszination der Dinge - Werte weltweit in Archäologie und Ethnologie. Ausstellungskatalog Frankfurt (Petersberg 2018) 74-83.

2018

| 75 | Femke Grops Der »fake« aus Dem Ofen – DefinitiOn, funktiOn unD Wert assyrischer Quarzkeramik Quarzkeramik ist ein bisher wenig erforschtes Material ein beliebtes Material für die Herstellung von Schmuck, des Alten Orients, das größtenteils aus zerriebenem Siegeln, Figuren und Gefäßen sowie zur Verkleidung Quarz besteht und zusätzlich glasiert wurde. Sie steht von Möbeln und Architektur. damit in enger Verbindung zur komplexen Glasherstellung. Gerade im Assyrien (dem heutigen Nordirak) der Quarzkeramik in enger Verbindung: Beide imitierten letzten beiden vorchristlichen Jahrtausende ist Quarz im Alten Orient das bunte, glänzende Aussehen von karte des alten Orients, erstellt von Alexander Pruß femke Grops. Foto: Julian Gerchow Auch funktional stehen Glas und glasierte | 76 | steinbestimmungsbuch, tontafel mit keilschrift, Mittelassyrisch, 1400 – 1000 v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k | 77 | Edel- und Halbedelsteinen, wie beispielsweise von achat), oder das Aussehen wird verglichen mit bekann- rotem Karneol. Deutlich geht diese Imitation aus den ten Wetterphänomenen oder Beobachtungen aus assyrischen Texten hervor, in denen zwei Bezeich- Flora und Fauna, beispielsweise »er ist wie eine Regen- nungen für ein und denselben Stein, wie zum Beispiel den blauen Lapislazuli (uqnu- ), Verwendung finden: wolke« (Chalzedon) oder »er ist wie die Flügel einer uqnu- šadî und uqnu- ku- ri. Während der Zusatz šadî mungsbuch« stand dem āšipu auch ein Nachschlage- die Herkunft des Lapislazuli »vom Berge« und somit dessen Echtheit bezeugt, meint der Zusatz ku- ri das werk über Heilpflanzen zur Verfügung. ähnlich blaue, aber glasige Imitat »aus dem Ofen«. Edelsteine (Lapislazuli, Karneol, Achate) nicht in der Die Menschen wertschätzten die Steine nicht Libelle« (Brekzie). Neben einem solchen »Steinbestim- Da die meisten Steine und gerade die beliebten Natur Mesopotamiens vorkommen, mussten diese aus nur wegen ihrer Schönheit als Schmuck, vielmehr fernen Ländern (z. B. dem heutigen Afghanistan oder glaubte man daran, dass ihnen magische Kräfte dem Indus-Tal) aufwändig importiert werden. Deshalb innewohnen: So wirkten Steine im Alten Orient auch konnten sich nicht viele Menschen den Luxus und die als Schutz- und Heilmittel und gehörten mit dieser schützende und heilende Magie der Steine leisten. Da Eigenschaft, neben Heilpflanzen, zum gängigen Reper- für die Arbeit des āšipu jedoch Farbe und Muster ent- toire des Beschwörungspriesters (āšipu). Dessen scheidende Kriterien bei der Bestimmung der Steine Aufgabe war es, Omen zu deuten, Weissagungen zu und ihrer Wirkungen waren, konnten sie auch durch machen und gute Dämonen zu beschwören, um böse imitierte, gleich aussehende Steine »aus dem Ofen« zu vertreiben. Im Rahmen oft tagelang andauernder ersetzt werden, ohne dass sie ihre Wirkung einbüßten. Rituale fertigte der āšipu heilende Tränke und Die magische Funktion von Steinen überträgt sich Salben und schützende Amulettsteinketten an. Er somit auf das Steinimitat aus glasierter Quarzkeramik. stellte ganze Gebäude, Menschen und ihre Vorhaben Spannend und zentral für das Projekt ist deshalb unter den Schutz der Götter, von denen man glaubte, die Frage nach dem antiken Wert von glasierter Quarz- dass diese die schönen Steine ganz besonders keramik – als einem künstlichen Material, welches ein schätzten. Damit waren sie auch für die Arbeit des natürliches, aufgrund seiner Seltenheit wesentlich āšipu unverzichtbar. wertvolleres Material optisch nachahmt und dessen Um die vielen Steine mit ihren unterschiedlichen magische Funktion übernimmt. Stehen sich hier wirk- Farben und Musterungen erkennen und auseinander- lich Original und Imitat als gleichwertige Äquivalente halten zu können, wurde dem altorientalischen gegenüber? Oder handelt es sich bei Quarzkeramik Beschwörungspriester mit der Liste abnu šikinšu um einen billigen »fake«? ein Nachschlagewerk an die Hand gegeben: Die zweisprachige assyrisch-sumerische Liste ist in Keilschrift Verlorener Glanz auf Tontafeln festgehalten und beschreibt oder ver- Die Bedeutung von Quarzkeramik liegt demnach in der gleicht das Aussehen verschiedener Steine, um deren steinähnlichen Optik, also in deren Funktion als Träger Bestimmung zu erleichtern. Entweder folgt vor der von Glasuren. Deshalb ist die Herstellung von Quarzke- Nennung des Namens eine kurze Beschreibung von ramik untrennbar verbunden mit der komplexen Glas- Farbe und Muster, wie zum Beispiel »er ist weiß und technologie – denn bei einer Glasur handelt es sich um schwarz gestreift« (gemeint ist vermutlich Band- nichts anderes als eine dünne Schicht Glas. Techno- | 78 | Oxydisches kupfererz zum färben von Glas und Glasuren, Guido Sengle, Kassel Möchte man nun ein Quarzkeramikobjekt herstellen, zerreibt und mischt man den Quarz zunächst mit Wasser und Alkalien aus Pflanzenaschen oder alkalihaltigen Mineralien wie Trona. Beim anschließenden Brand im Ofen schmelzen die zerriebenen Quarzkörner dank der Alkalien zwar, jedoch nicht vollständig, wie es bei Glas der Fall ist. Stattdessen »verbacken« sie aneinander und bilden damit ein poröses, aber stabiles Gerüst. Nach dem Brand ist das Objekt weiß und wegen der Porosität wasserdurchlässig, weshalb es zusätzlich glasiert wird. Die Farben erhalten die Glasuren durch beigefügte Metalloxide wie Eisen- oder Kupferoxid. Für die Antike sind drei nachgewiesene Glasurverfahren bekannt: die Selbstglasur, die Zementation und das Applikationsverfahren. Mit den beiden zuerst genannten Methoden besitzt Quarzkeramik zwei technologische Vorteile gegenüber der schwierirohstoffe für Quarzkeramik: Quarz, trona, salzpflanzen, Guido Sengle, Kassel ger zu glasierenden Tonkeramik, da beide nur mit Quarz als Basis möglich sind und gleichzeitig eine Produktion von Objekten in großen Mengen erlauben. Gerade die Selbstglasur ermöglicht es, bei der richti- logisch ist Quarz ein idealer Träger für Glas, da beide gen Vorbereitung der Rohmasse, Quarzkeramik in Materialien sich aus den gleichen Bestandteilen einem einzigen Arbeitsschritt und Brennvorgang zu zusammensetzen und damit besonders gut aneinan- glasieren, bei dem dann wie »von selbst« eine dünne derhaften: Quarz und Alkalien, wie Natrium, Calcium Schicht Glas auf der Figur entsteht. Ähnliche Vorteile oder Kalium. Letztere werden benötigt, um die bietet die Zementation: Die ungebrannte Figur wird in Schmelztemperatur des Quarzes zu senken. einer Brennkapsel in einem Entwicklerpulver aus zer- D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k | 79 | zementationsverfahren zum Glasieren von Quarzkeramik, Experiment von Guido Sengle, Kassel, 1999 riebenem Quarz, Alkalien aus Pflanzenaschen und der Figur schmelzen und zu Glas werden lassen. Das in Kupferoxid sozusagen »einzementiert«, bis diese voll- der Pflanzenasche enthaltene Chlor breitet sich eben- ständig bedeckt ist. Bei einem mehrstündigen Brand falls gasförmig aus, verbindet sich mit dem im Pulver von 900 – 1100°C entstehen im Pulver alkalische enthaltenen Kupferoxid und transportiert dieses zur Dämpfe, die den zerriebenen Quarz an der Oberfläche Oberfläche der Figur, die dadurch ohne weiteres Zutun | 80 | eine blaue Glasur erhält. An dieser Stelle trennen sich trockenen Ägypten, in dem sich antike Quarzkeramik Figur und Pulver um Zehntelmillimeter voneinander, außerordentlich gut erhalten hat, ist der gebirgige sodass sich das Ergebnis anschließend aus dem Nordirak, das Kerngebiet Assyriens, mit seinen Pulver herausklopfen lässt. Schnee- und Regenfällen wesentlich feuchter. Dadurch Das heutige Aussehen der assyrischen glasier- reichern sich die Böden mit Huminstoffen an, die in ten Quarzkeramik lässt jedoch kaum noch etwas vom Form von Salzen und Säuren mit den Glasuren der einstigen Glanz und den ursprünglich leuchtenden Quarzkeramik chemisch reagieren und diese angreifen Farben der Objekte erahnen. Erklären lässt sich dies oder gar zersetzen. Je nach Lagerung und Alter sind mit dem Verlust der Glasuren und den Erhaltungs- vorderasiatische Quarzkeramik-Objekte also ihrer Gla- bedingungen für Glas und glasige Materialien in den suren entweder gänzlich beraubt oder aber, wo sich Böden des Vorderen Orients: Im Gegensatz zum noch Glasurreste finden lassen, sind diese verfärbt materialtafel von Guido sengle Die farben der kieselkeramik, 1999 D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k | 81 | oder gar entfärbt. Was bleibt, ist ein instabiler grauer halb ihre Gunst für deren Leben und Vorhaben – auch Kern, der einst die Glasur trug, nun frei liegt und eben- jenen, die dabei auf Steinimitate zurückgriffen. Um falls zerfällt. Um trotz der Erhaltungszustände der den schönen, blauen Stein mit seinen oft goldähn- Objekte eine Vorstellung der einstigen Farbintensität lichen, funkelnden Pyrit-Einschlüssen imitieren zu und -vielfalt zu bekommen, hat der Keramiker Guido können, ist das älteste künstlich hergestellte Pigment Sengle antike Farbglasuren mit Metalloxiden auf Ägyptisch-Blau hervorragend geeignet. Es handelt sich Quarzkeramik und in Gläsern nachvollzogen und das dabei um eine Quarzkeramik, die auch als Färbemittel Spektrum der Resultate in einem Farbkreis dargestellt. verwendet und weiterverarbeitet wurde und erstmalig im Ägypten des 3. Jahrtausends v. Chr. belegt ist. Da »so kostbar wie der Lapislazuli möge mein Leben Ägyptisch-Blau bereits vollständig blau durchgefärbt vor Dir sein!« – Der fall Blau ist und beim Brand feine Kristalle bildet, die im tiefen Gerade die Farbe Blau erfreut sich noch heute im Blau der Keramik ähnlich den Sternen am Nachthim- Orient einer großen Beliebtheit. Möglicherweise hängt mel glänzen, wurde es nicht zusätzlich glasiert, wie dies damit zusammen, dass sie in der freien Natur nur modern hergestelltes Ägyptisch-Blau veranschaulicht. selten vorkommt. Was wir jedoch deutlich als blau Durch die mehrfache Verarbeitung von Ägyptisch-Blau wahrnehmen und unzertrennlich mit der Farbe verbin- ließ sich ein großes Spektrum unterschiedlicher Nuan- den, sind der Himmel und das Meer, das Oben und cen der beliebten Farbe erreichen. So verwundert es Unten, die für uns sichtbaren Grenzen unserer Welt. nicht, dass die Farbe Blau die häufigste Farbe der Glä- Auch erscheinen Berge in großer Entfernung als blaue ser und Glasuren von Quarzkeramik ist. Formen am Horizont. Im Alten Orient vermuteten die Menschen hinter diesen Grenzen den Sitz der über Billiger »fake« oder Luxusgut? alles und jeden wachenden Götter, von denen man Vor dem Hintergrund der Funktion von Quarzkeramik deshalb sagte, dass diese den blauen Lapislazuli als künstliches, aber magisch wirksames Steinimitat besonders schätzten. Sogar das Aussehen der men- ist die Frage nach dem antiken Wert des Materials schenähnlichen Götter stellte man sich mit blauen umso interessanter. Einerseits, da es ein wegen der Haaren und Bärten aus glänzendem Lapislazuli vor, Seltenheit der Steine wertvolles und prestigeträch- wovon die orientalischen Texte berichten. Passend zu tiges Material imitiert. Andererseits, da mit dem künst- diesen Beschreibungen wurden die Götterstatuen in lichen Imitat die Originale, die seltenen und magischen den Tempeln mit blauen Gewändern sowie Bart- und Steine, massenproduzierbar werden und somit einer Haarlocken aus Lapislazuli und seinen Imitaten aus- breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden gestattet. Deutlich wird diese göttliche Vorliebe auch können. Jedoch ist gerade die eingeschränkte Zugäng- durch eine Gottesanrufung in einem Ritual, das gegen lichkeit einer Ware ein Marker für Prestige und Luxus böse Hexerei helfen soll: »So kostbar wie der Lapisla- (ähnlich dem modernen Sammeln von Kunst, bei dem zuli möge mein Leben vor Dir sein, es möge mir Erbar- die Beschaffung von Kunstwerken nur für wenige men zuteilwerden!«. Den Menschen, die den Göttern Menschen möglich und finanziell erschwinglich ist). Geschenke aus dem blauen Stein in ihre Tempel brach- Die Rohstoffe für Quarzkeramik sind im Gegensatz zu ten, die Lapislazuliamulette trugen oder sich mit blau den Steinen keineswegs aufwändig zu beschaffen und glasierten Rosetten schmückten, schenkten sie des- teuer, sondern begegnen in der Natur in großen Men- | 82 | Locken aus Lapislazuli mit Bronzenägeln, Assur, Irak, Neuassyrisch, um 1000 v. Chr., Gewandfragment aus Äyptisch-Blau-Quarzkera- Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin mik, Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin haar- oder Bartschopf aus Äyptisch- Locke aus Äyptisch-Blau-Quarzkeramik, Assur, Locke aus Äyptisch-Blau-Quarzkeramik, Blau-Quarzkeramik, Assur, Irak, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahr- Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu tausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Berlin Staatliche Museen zu Berlin Staatliche Museen zu Berlin rosetten aus Quarzkeramik, Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin D e r » fa k e« au s D e m O f e n – D e f i n i t i O n , f u n k t i O n u n D W e r t as sy r i s c h e r Q ua r z k e r a m i k | 83 | moderne anfertigung des Pigments Ägyptisch-Blau von Guido sengle, Kassel, 1999 somit fester Teil des assyrischen Lebens und Alltages ist. Auch für uns Archäologen bietet Quarzkeramik deshalb einen hohen Nutzwert, da es eine antike, Brocken des Pigments Äyptisch-Blau, Assur, Irak, Neuassyrisch, 1. Hälfte 1. Jahrtausend v. Chr., Vorderasiatisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin kognitive Glaubenswelt spiegelt, die sonst nur sehr schwer materiell zu erfassen ist. titel der Dissertation: gen. Bisher nahmen Archäologen deshalb an, dass es Assyrische Quarzkeramik sich bei dem Material um einen »billigen« Steinersatz handeln müsse. Aber was ist mit dem magischen Wert Archäologie und Kulturgeschichte des Vorderen von Quarzkeramik als Steinimitat, der diesem geringen Orients, Prof. Dr. Dirk Wicke Materialwert gegenübersteht? Erhält das Material durch seine schützende und heilende Wirkung nicht einen hohen Nutzwert und damit eine große Bedeutung für den antiken Menschen? Schnell wird deutlich, dass im Fall von Quarzkeramik nicht von einem einzigen Wert gesprochen werden kann, sondern von mindestens fünf verschiedenen gesprochen werden muss: Material-, Produktions-, Prestige-, Nutz- und Magiewert. Betrachtet man die beschriebene Glaubenswelt der Assyrer und erkennt die Bedrohungen, die es in deren Vorstellungswelt durch Dämonen und zornige Götter gibt, ist das Schutzbedürfnis nachvollziehbar und elementar. Damit wird der magische Wert der Quarzkeramik deutlich und, dass diese ein materieller Ausdruck der assyrischen Glaubenswelt und