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Hermann Zvi Guttmann und sein Entwurf für den Neubau der Synagoge Hohe Weide

Alexandra Klei

Quellenbeschreibung

Mutmaßlich ab 1956 wurden die Planungen der 1945 neu gegründeten jüdischen Gemeinde Hamburgs für den Neubau einer Synagoge mit Gemeindezentrum an der Hohen Weide konkret. Um einen Architekten und einen Entwurf zu finden, veranstaltete die Gemeinde einen Wettbewerb. Bei dem hier gezeigten Plan handelt es sich um den Beitrag, den der Frankfurter Architekt Hermann Zvi Guttmann einreichte. Zu sehen ist ein über einem Sockel errichteter Rundbau in einer perspektivischen Zeichnung. Im Unterbau sollten mutmaßlich die Räume des Gemeindezentrums untergebracht werden, der Synagogenraum ist als eigenständiger Baukörper auf dieses Geschoss gesetzt. Dass es sich um unterschiedliche Nutzungen handelt, ist in den Fassaden deutlich abzulesen: Während im unteren Bereich der über mehrere Stufen erreichbare Eingang betont ist und die Fassade trotz eines horizontalen Fensterbandes geschlossen wirkt, wird der Bereich der Synagoge durch schmale vertikale Lamellen gegliedert. Zwischen sie sind die Fenster gesetzt. So entsteht ein offen wirkender Baukörper, der nach außen keinen Bereich besonders betont. Gekrönt wird der Bau von einer flachen Kuppel. Guttmann situierte den Solitär in einer parkähnlichen Anlage. Im Archiv des Architekten existieren weitere Pläne, die Varianten seines Entwurfs für diese Wettbewerbsaufgabe zeigen, darunter eine Zeichnung, bei der eine meterhoch aufragende, sich zu ihrem Scheitelpunkt verjüngende Parabel eine sich über einen ovalen Grundriss erhebende Synagoge überspannt.
  • Alexandra Klei

Synagogen als Bauaufgabe in der Bundesrepublik


In der gesamten Bundesrepublik wurden Synagogen als Bauaufgaben zunehmend ab Mitte der 1950er-Jahre wieder relevant. Die Gemeinden hatten ab Mitte 1945 provisorisch eingerichtete Beträume genutzt. Dies bedeutete nicht nur geringe Kapazitäten an Sitzplätzen an hohen Feiertagen, sondern behinderte oftmals auch die Herausbildung einer gemeindlichen und religiösen Infrastruktur, die den Bedürfnissen der jungen Gemeinden und ihrer Mitglieder hätte entsprechen können. Zudem zeigte sich, dass Juden und Jüdinnen trotz ihres ursprünglichen Wunsches, Deutschland zu verlassen, aus unterschiedlichen Gründen begonnen hatten, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen. Damit etablierten sich die in vielen Städten gegründeten kleinen Gemeinden, die nun ein Interesse an eigenen, ihren Nutzungsansprüchen entsprechenden Bauten hatten. Auf ihre ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichteten Vorgängerbauten hatten sie nach 1945 in den allermeisten Fällen nicht mehr zurückgreifen können. Die Synagogen waren zerstört oder, sofern sie noch erhalten waren, dauerhaft umgenutzt worden.
Der erste Neubau einer Synagoge entstand 1951/52 in Stuttgart nach Plänen von Ernst Guggenheimer und wurde auf den Fundamenten des 1938 zerstörten Vorgängerbaus errichtet. Eine derartige Beziehung zur eigenen Geschichte blieb in der jungen Bundesrepublik eine Ausnahme. In der Regel verhinderten städtische Behörden und jahrelange Auseinandersetzungen um Entschädigungen und Rückerstattungen, dass die Gemeinden auf ihre vormals zentral gelegenen Grundstücke zugreifen konnten. Auch in Hamburg wurde der Neubau ohne räumliche Beziehung zur Geschichte der Gemeinde vor 1933 errichtet. Vielerorts entstanden die neuen Komplexe abseits der städtischen Zentren und blieben damit den Blicken der Öffentlichkeit entzogen. Sie mussten zudem Raum für alle Bedürfnisse des Gemeindelebens bieten. Jüdische Institutionen siedelten sich nicht mehr an unterschiedlichen Orten im städtischen Raum an, wie dies vor 1933 der Fall gewesen war, sondern nutzten die neu entstandenen Zentren für all ihre Aufgaben. Ausnahmen bildeten lediglich einige jüdische Altenheime und Friedhofsbauten.
In einigen Fällen, so zum Beispiel in Düsseldorf, Hannover und Osnabrück wurden an die Synagogenkomplexe zudem Wohnungen angesiedelt. Diese sollten den Gemeindemitgliedern in einer Zeit zur Verfügung gestellt werden, in der Wohnraum infolge der Bombardierungen deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs nach wie vor knapp bemessen oder ausgesprochen schlecht war. Juden und Jüdinnen waren zudem bei der Vergabe oft benachteiligt oder wollten nicht inmitten von deutschen Nichtjuden leben. Schließlich wollten die Gemeinden so sicherstellen, genügend Männer für einen Minjan zu haben.
In den 1950er-Jahren entstanden acht und in den 1960er-Jahren zehn Synagogenneubauten in der Bundesrepublik. Der Schwerpunkt lag dabei auf den späten 1950er- und den frühen 1960er-Jahren. Für die 1970er-Jahre sind schließlich noch zwei Neubauten feststellbar. Der 1960 eingeweihte Neubau in Hamburg fällt somit in eine Hochphase des Nachkriegssynagogenbaus. Die Mehrzahl der Gebäude wurde von nichtjüdischen Architekten geplant. Häufig widmeten sie sich einmalig einer solchen Bauaufgabe. Neben Hermann Zvi Guttmann, der sechs Synagogen errichtete, gehörten zu den herausragenden Synagogenarchitekten Helmut Goldschmidt (vier Neubauten) und Karl Gerle. Letzterer war wiederum nichtjüdisch und plante insgesamt vier Gebäude in Norddeutschland.
Nichtöffentliche Wettbewerbe für Synagogenbauten auszuschreiben, geschah mehrfach. So war Hermann Zvi Guttmann eingeladen, Beiträge für eine geplante Synagoge mit Gemeindezentrum in Essen (Wettbewerb vermutlich 1955 oder 1956, eingeweiht 1959) und für das angedachte Gemeindezentrum in der Fasanenstraße in Berlin (Wettbewerb 1957) einzureichen, konnte sich in beiden Fällen aber nicht durchsetzen. Beide Aufträge wurden an das nichtjüdische Architekturbüro von Dieter Knoblauch und Heinz Heise vergeben. In Hamburg hatten sich am 8. Juli 1945 zwölf Überlebende getroffen und „einen vorläufigen Arbeitsausschuss und eine Kultuskommission“ Ina Lorenz, Jüdische Gemeinde (1945–1989), in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Göttingen 2006, S. 135–138, hier S. 135. gebildet. Rund 80 Überlebende hatten zu dieser Zeit Interesse, wieder eine Gemeinde zu gründen. Sie wollten damit vor allem eine organisatorische, religionsgesetzliche und materielle Unterstützung gewährleisten. Am 18. September 1945 konstituierten sie sich als Einheitsgemeinde mit einem gemäßigt orthodoxen Ritus aus 72 Personen. Im März 1947 hatte die Gemeinde bereits 1.268, 1952 1.044 und 1960 dann 1.369 Mitglieder, von denen etwa die Hälfte älter als 56 Jahre alt war. In den nächsten drei Jahrzehnten blieben die Mitgliederzahlen stabil zwischen 1.350 und 1.400. Die Gemeinde gehörte damit nach Berlin, München und Frankfurt zu den größten Gemeinden in der Bundesrepublik. Zwischen 1945 und der Einweihung des Synagogenneubaus 1960 nutzte sie erhaltene Beträume im ehemaligen Oppenheimer Stift an der Kielortallee sowie im Altenheim in der Sedanstraße.

Entwurf und Realisierung


Bei den Synagogenbauten, die errichtet wurden, handelt es sich in der überwiegenden Zahl um schlichte und zurückgenommene Bauten, die zudem oft nur durch einige ausgesuchte Zeichen wie Davidsterne oder hebräische Inschriften auf ihre Funktion hinwiesen. Die Synagogen hoben sich dabei durch ihre äußere Form und die Gestaltung der Fassaden von den Gemeindezentren ab, die in der Formsprache von Bürobauten der Nachkriegsmoderne errichtet wurden. Dabei gehen die Gestaltungen nicht allein auf die Wünsche der Gemeinden zurück; vielmehr lassen sich zahlreiche Hinweise finden, dass städtische Behörden hier intern massiven Einfluss auf Erscheinungsbild und Architektursprache nahmen. Aufsehenerregende Lösungen, wie sie den Synagogenbau nach 1990 in Deutschland prägen, sucht man für diese Jahrzehnte vergebens. Der Plan von Hermann Zvi Guttmann für die Synagoge in Hamburg verweist darauf – ebenso wie sein Beitrag für die Synagoge in Essen –, woran ihm für den Synagogenbau der Nachkriegszeit gelegen war: Ein derart leichtes und filigran wirkendes Gebäude zu entwickeln, wie es in dem Plan zu sehen ist, entsprach den allgemeinen Prinzipien einer architekturmodernen Sprache dieser Jahre, war aber bisher nicht für Synagogen angewendet worden.
Guttmann stand zu diesem Zeitpunkt am Anfang seiner Karriere, erst fünf Jahre zuvor hatte er sein Architekturstudium in München beenden können. 1956 eröffnete die erste von ihm entworfene Synagoge in Offenbach, parallel war er bereits in die Planungen für einen Synagogenneubau in Düsseldorf involviert. In beiden Fälle war er direkt beauftragt worden. Er machte mit diesen Neubauten nicht nur seine ersten Erfahrungen mit großen Projekten, sondern besonders in Düsseldorf auch mit den Begrenzungen, die den Bauherren von Seiten der deutschen Behörden und Politik auferlegt wurden. Ein Wettbewerb wie in Hamburg war so für ihn die Möglichkeit, eigenständigere Lösungen zu entwickeln und als Vorschläge einzureichen – die Bauaufgabe freier zu denken, als es unter Umständen in direkten Verhandlungen mit Auftraggebern möglich war. Zudem dürfte er seine Teilnahme auch mit der Hoffnung verbunden haben, der Jury neue architektonische Ansätze zu vermitteln.
Mit Guttmanns Beiträgen sollte innerhalb der Architekturmoderne ein eigener, unverwechselbarer Beitrag geleistet werden und zwar sowohl hinsichtlich seiner Formsprache als auch für den Synagogenbau selbst. Dass Guttmann diese Wettbewerbsbeiträge zu Beginn seines Wirkens entwarf, verweist auch darauf, welche Perspektiven er in seiner Laufbahn und in seiner Architektursprache entwickeln wollte und womit er Erfolg zu haben hoffte. Guttmann wollte den Synagogenbau nach 1945 in der äußeren Form neu und mit Blick auf die Architekturmoderne entwickeln. Und er sah die Neubauten dabei offensichtlich als selbstbewusste, auffällige Baukörper im wiederaufgebauten städtischen Raum; eine Position, die er auch den jungen Gemeinden zugestehen wollte. Betrachtet man im Vergleich die realisierten Synagogen innerhalb dieser Epoche, gibt es kein Gebäude, das eine derartige Radikalität, Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit erkennen lässt. Der Plan als Quelle verweist nicht nur auf die Vorgeschichte des Entstehungskontexts des Gebäudes selbst und die gestalterische Form und Aussage, die Guttmann in ihm anlegte. Er ist auch eines der wenigen Zeichen für die unterschiedlichen Standpunkte und Architekturauffassungen, die in der Auseinandersetzung um die Aufgabe Synagogenbau in der Nachkriegsmoderne hervortraten. Durchsetzen konnte sich Guttmann mit seinen Vorstellungen nicht. Gewonnen haben den Wettbewerb die Architekten Franz May und Karl Heinz Wrongel mit einem unauffälligen und konventionellen Gebäude, der ihr einziger Synagogenbau blieb. Er wurde 1960 eingeweiht und ist heute im originalen Zustand erhalten. Bei dem schlichten und geschlossen wirkenden Komplex erhebt sich die Synagoge als Zentralbau über einem fünfeckigen Grundriss. Die abweisend wirkenden Fassaden sind das Gegenteil dessen, was Guttmann in seinem Wettbewerbsbeitrag andachte. Hier hätte die großflächige Fensterfläche der Synagoge nicht nur Offenheit suggeriert, sondern auch den Bau als zeitgemäß innerhalb der Architekturepoche markiert. Andere Wettbewerbsbeiträge für den Neubau in Hamburg konnten bisher nicht recherchiert werden, ebenso wenig wie Quellen, die den Entscheidungsprozess der Jury wiedergeben.

Hermann Zvi Guttmann als jüdischer Architekt in Deutschland


Hermann Zvi Guttmann war einer von insgesamt nur drei jüdischen Architekten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Westdeutschland erfolgreich tätig werden konnten. Grundsätzlich wurde das Baugeschehen des Wiederaufbaus in den Städten von den Architekten dominiert, die auch in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Karrieren mehr oder weniger prominent fortsetzten. Anders als Ernst Guggenheimer (Stuttgart) und Helmut Goldschmidt (Köln) konnte Guttmann sein Studium erst Anfang der 1950er-Jahre in München beenden. Die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik hatte er in der Sowjetunion überleben können. Anschließend wartete er mehrere Jahre in einem Camp für Displaced Persons (DPs) im bayrischen Pocking auf seine Ausreise nach Palästina / Israel. So konnte er zu Beginn seines Wirkens auch nicht auf ein (potentielles) Netzwerk von (nichtjüdischen) Auftraggebern zurückgreifen. Er blieb Zeit seines Lebens ausschließlich für jüdische Bauherren tätig. Für sie errichtete er Synagogen und Gemeindehäuser in Offenbach (1956 Diese und die folgenden Zahlen geben jeweils das Jahr der Eröffnung an und treffen somit keine Aussage zu den weitaus längeren Entstehungs- und Bauzeiten.), Düsseldorf (1958), Hannover (1963), Osnabrück (1969), Würzburg (1970) und Frankfurt am Main (1977), das Jüdische Mahnmal auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau (1967), Trauerhallen für die Jüdischen Friedhöfe in Hannover (1960) und Augsburg (1961), sowie Mikwaot, Altenheime und Jugendzentren.
Daneben entwarf er für private Auftraggeber Wohn- und Geschäftshäuser vor allem in der Region Frankfurt am Main, aber auch in Berlin. In Hamburg wurde er zweifach für die Gemeinde tätig: Er plante und baute zwischen 1956 und 1958 das Jüdische Altenheim in der Schäferkampsallee 27 und beaufsichtigte den Einbau einer Mikwe im neuen Gemeindezentrum.

Auswahlbibliografie


Werner Durth, Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970, München 1992.
Alexandra Klei, Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi Guttmann, Berlin 2017.
Ina Lorenz, Jüdische Gemeinde (1945–1989), in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das Jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Göttingen 2006, S. 135–138.
Ulrich Knufinke, Liste der nach 1945 errichteten Synagogen und Betsäle in Deutschland.
Hans Lamm, Synagogenbau gestern und heute, in: Baumeister 63 (1966) 1, S. 53–59.
Gavriel D. Rosenfeld: Building After Auschwitz. Jewish Architecture and the Memory of the Holocaust. New Haven 2011.

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Zur Autorin

Alexandra Klei studierte Architektur und promovierte am Lehrstuhl Theorie der Architektur an der BTU Cottbus über das Verhältnis von Architektur und Gedächtnis am Beispiel der KZ Gedenkstätten Buchenwald und Neuengamme. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg und arbeitet in einem DFG-Forschungsprojekt zum 'Jüdischen Bauen' nach 1945. Zudem forscht sie zur Re-Konstruktion der White City Tel Aviv, zu Erinnerungsorten, den Architekturen der Nachkriegsmoderne sowie zu (Post-)Holocaust Landscapes. Für ihre Publikation Jüdisches Bauen in Nachkriegsdeutschland. Der Architekt Hermann Zvi Guttmann (Berlin: Neofelis Verlag 2017) erhielt sie im Dezember 2016 den Rosl und Paul Arnsberg-Preis. Alexandra Klei gehört der Fachredaktion Theorie und Geschichte des Antisemitismus/der Shoah bei Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung an und ist zudem Kuratorin und Redakteurin für den werkraum bild und sinn e.V.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Alexandra Klei, Hermann Zvi Guttmann und sein Entwurf für den Neubau der Synagoge Hohe Weide, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 30.01.2018. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-231.de.v1> [05.12.2024].

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