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was ist Kullst? von vr. Paul Johannes Ree. — Aphorismen von Franz von Lenbach.
denn sie ist, um Schillers treffende Worte zu gebrauchen, „eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit
der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen". Aus dem Scheine kommt
die Kunst nicht heraus, aber dieser muß ein solcher sein, daß er der unmittelbare Ausdruck eines höheren Seins
ist, an dessen Realität wir glauben. — Ideal und Leben müssen sich voll und ganz durchdringen. Diese Durch-
dringung fehlt unserer Zeit. Auch sie, die eng an die Materie gebunden ist, und von dieser ihre Vorschrift
empfängt, hat ihre Ideale, aber sie erfüllen nicht das Leben, bilden in diesem keine reale Macht. Man duldet
sie mehr, als daß man sich ihrer Führung anvertraute. Man folgt der Neigung und gehorcht der Pflicht, aber
es fehlt unserer Zeit die große Hoffnungsfreudigkeit, die nur dem erhabenen Gefühle entspringt, daß alles, was
geschieht, einem höheren Zwecke dient. Deshalb vermögen auch die Dramen eines Gerhart Hauptmann, in
denen der Zeitgeist mit elementarer Gewalt zu uns redet, trotz ihrer geradezu wunderbaren Natürlichkeit, trotz
ihrer an Rembrandt gemahnenden Kraft und trotz der aus ihren dunklen Tiefen hervorblitzeuden sittlichen Idee
nicht in dem Maße ästhetisch zu befriedigen wie die Shakespeareschen und Schillerschen Tragödien. Sie er-
schüttern und durchmürben uns bis ins innerste Mark hinein, aber es fehlt ihnen jene Tragik, welche die
Menschen erhebt, wenn sie den Menschen zermalmt. Er ist der Uhde unter den Dichtern und hat mit seinem
Hannele gezeigt, wie die furchtbare Trostlosigkeit, mit der er uns ans seinen Webern entläßt, zu überwinden
ist. Nur gilt es den mystischen Nebel, der über dieser Darstellung lagert, zu zerstreuen, auf daß die hinter
diesem scheinende Sonne durchbreche und Licht und Wärme in die kalte und öde Wirklichkeit trage. Natürlich
darf der Dichter wie das Glück und die Freude, so auch den Jammer und das Elend des Lebens schildern,
aber er darf dabei nie vergessen, daß wie in der Natur so auch im Menschenleben Regen und Sonnenschein
wechseln, daß das Unglück gewöhnlich die Frucht der Schuld ist, und daß, wo die Schuld gesühnt ist, die
Schicksalsstürme aufhören zu tosen, und ein neuer Frühling anhebt. Ans dem sumpfigen Boden eines ein-
seitigen Pessimismus vermag die Kunst ebensowenig zu gedeihen wie in der dünnen Höhenluft eines ober-
flächlichen Optimismus.
Erst wenn statt des heute herrschenden Zweifels und der Gleichgültigkeit der Glaube an die Realität
des Idealen die Zeit durchdringt, können wir hoffen, daß unsere so energisch ringende und kraftvoll aufstrebende
Kunst zu voller Schönheitsgestaltung gelangt. Dann wird der Realismus da sein, der nicht mit dem Natura-
lismus zusammenfällt, und am allerwenigsten die na-
turalistische Darstellung des Häßlichen ist, sondern der
vielmehr stets das Kennzeichen der echten Kunst ge-
wesen ist.
Mit lodernder Fackel erleuchtet die Kunst die
Bahn, aber das Ziel erreicht sie nur, wenn ein von
großen Gedanken und Hoffnungen bewegtes Geschlecht
sie trägt. „Wo die Menschen am glücklichsten waren",
heißt es in Heinses Ardinghello, „da war auch die
Kunst am größten, das ist das Geheimnis ihrer Ge-
schichte in wenig Worten."
Am Kamin, von Karl Herxfer.
Nphorismen.
von Franz von Lenbach.
wenn dcr Zauber des Geheimnisvollen zerrissen wird, so
geht cs oft in der Kunst, wie bei dem Bildnisse von Sais.
Das Schöne übt nur auf Hochgesinnte seine Anziehungs-
kraft aus; das Schreckliche, Grauenvolle auf den niedriger Be-
gabten. Lin überfahrenes Kind, das in seinem Blute daliegt,
zieht, ganz abgesehen vom Mitgefühl, die Schaulust dcr vorüber-
gehenden auf sich, während dieselben eine Venus von Milos
oder einen Apollo vom Belvedere ganz unbeachtet lassen würden.
»
Kunst und Natur fließen ineinander über. Mancher
glaubt, die Natur betrachtend, ein Kunstwerk zu sehen, und
bei einem Kunstwerk die leibhaftige Natur vor sich zu haben.
Die Kunst soll, um einen ähnlichen Eindruck hervor-
zubringen, die Natur iu vertiefter Weise widcrsxiegeln. Sie
erhöht die Schönheit der Natur, übermittelt sie dem Auge, das
sie zum Gehirn weiterleitet. Deshalb ist die Wirkung der Kunst
oft intensiver als die dcr Natur.
was ist Kullst? von vr. Paul Johannes Ree. — Aphorismen von Franz von Lenbach.
denn sie ist, um Schillers treffende Worte zu gebrauchen, „eine Tochter der Freiheit, und von der Notwendigkeit
der Geister, nicht von der Notdurft der Materie will sie ihre Vorschrift empfangen". Aus dem Scheine kommt
die Kunst nicht heraus, aber dieser muß ein solcher sein, daß er der unmittelbare Ausdruck eines höheren Seins
ist, an dessen Realität wir glauben. — Ideal und Leben müssen sich voll und ganz durchdringen. Diese Durch-
dringung fehlt unserer Zeit. Auch sie, die eng an die Materie gebunden ist, und von dieser ihre Vorschrift
empfängt, hat ihre Ideale, aber sie erfüllen nicht das Leben, bilden in diesem keine reale Macht. Man duldet
sie mehr, als daß man sich ihrer Führung anvertraute. Man folgt der Neigung und gehorcht der Pflicht, aber
es fehlt unserer Zeit die große Hoffnungsfreudigkeit, die nur dem erhabenen Gefühle entspringt, daß alles, was
geschieht, einem höheren Zwecke dient. Deshalb vermögen auch die Dramen eines Gerhart Hauptmann, in
denen der Zeitgeist mit elementarer Gewalt zu uns redet, trotz ihrer geradezu wunderbaren Natürlichkeit, trotz
ihrer an Rembrandt gemahnenden Kraft und trotz der aus ihren dunklen Tiefen hervorblitzeuden sittlichen Idee
nicht in dem Maße ästhetisch zu befriedigen wie die Shakespeareschen und Schillerschen Tragödien. Sie er-
schüttern und durchmürben uns bis ins innerste Mark hinein, aber es fehlt ihnen jene Tragik, welche die
Menschen erhebt, wenn sie den Menschen zermalmt. Er ist der Uhde unter den Dichtern und hat mit seinem
Hannele gezeigt, wie die furchtbare Trostlosigkeit, mit der er uns ans seinen Webern entläßt, zu überwinden
ist. Nur gilt es den mystischen Nebel, der über dieser Darstellung lagert, zu zerstreuen, auf daß die hinter
diesem scheinende Sonne durchbreche und Licht und Wärme in die kalte und öde Wirklichkeit trage. Natürlich
darf der Dichter wie das Glück und die Freude, so auch den Jammer und das Elend des Lebens schildern,
aber er darf dabei nie vergessen, daß wie in der Natur so auch im Menschenleben Regen und Sonnenschein
wechseln, daß das Unglück gewöhnlich die Frucht der Schuld ist, und daß, wo die Schuld gesühnt ist, die
Schicksalsstürme aufhören zu tosen, und ein neuer Frühling anhebt. Ans dem sumpfigen Boden eines ein-
seitigen Pessimismus vermag die Kunst ebensowenig zu gedeihen wie in der dünnen Höhenluft eines ober-
flächlichen Optimismus.
Erst wenn statt des heute herrschenden Zweifels und der Gleichgültigkeit der Glaube an die Realität
des Idealen die Zeit durchdringt, können wir hoffen, daß unsere so energisch ringende und kraftvoll aufstrebende
Kunst zu voller Schönheitsgestaltung gelangt. Dann wird der Realismus da sein, der nicht mit dem Natura-
lismus zusammenfällt, und am allerwenigsten die na-
turalistische Darstellung des Häßlichen ist, sondern der
vielmehr stets das Kennzeichen der echten Kunst ge-
wesen ist.
Mit lodernder Fackel erleuchtet die Kunst die
Bahn, aber das Ziel erreicht sie nur, wenn ein von
großen Gedanken und Hoffnungen bewegtes Geschlecht
sie trägt. „Wo die Menschen am glücklichsten waren",
heißt es in Heinses Ardinghello, „da war auch die
Kunst am größten, das ist das Geheimnis ihrer Ge-
schichte in wenig Worten."
Am Kamin, von Karl Herxfer.
Nphorismen.
von Franz von Lenbach.
wenn dcr Zauber des Geheimnisvollen zerrissen wird, so
geht cs oft in der Kunst, wie bei dem Bildnisse von Sais.
Das Schöne übt nur auf Hochgesinnte seine Anziehungs-
kraft aus; das Schreckliche, Grauenvolle auf den niedriger Be-
gabten. Lin überfahrenes Kind, das in seinem Blute daliegt,
zieht, ganz abgesehen vom Mitgefühl, die Schaulust dcr vorüber-
gehenden auf sich, während dieselben eine Venus von Milos
oder einen Apollo vom Belvedere ganz unbeachtet lassen würden.
»
Kunst und Natur fließen ineinander über. Mancher
glaubt, die Natur betrachtend, ein Kunstwerk zu sehen, und
bei einem Kunstwerk die leibhaftige Natur vor sich zu haben.
Die Kunst soll, um einen ähnlichen Eindruck hervor-
zubringen, die Natur iu vertiefter Weise widcrsxiegeln. Sie
erhöht die Schönheit der Natur, übermittelt sie dem Auge, das
sie zum Gehirn weiterleitet. Deshalb ist die Wirkung der Kunst
oft intensiver als die dcr Natur.