Albert Grunwedel
Albert Grunwedel
Albert Grunwedel
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2 In einer Zeit, in der Berlin zur Weltstadt wurde, war Albert Grün-
wedel maßgeblich beteiligt am Aufbau der außereuropäischen
kenntnisreiche aber auch ungewöhnliche Abhandlungen und
Denkansätze. Ein akribischer Wissenschaftler, Künstler und Auto-
Museumssammlungen und der Erweiterung des europäischen didakt, ein Museumsmann und Reisender, ein Familienvater und
Wissens um ferne Kulturen. Seine Pionierleistungen auf dem Einzelgänger – viele Facetten kennzeichnen diesen ungewöhn-
Gebiet der zentralasiatischen Archäologie, der indischen Kunstge- lichen Mann, dem die Berliner Wissenschaft und das Museum für
schichte und der Buddhismuskunde werden ergänzt durch viele Asiatische Kunst, Berlin viel zu verdanken hat.1
Albert Grünwedel –
Ein Leben für 2
Jugend und Familie
die Wissenschaft Albert Grünwedel wurde am 31. Juli 1856 in München als Carl Grünwedel arbeitete hart, und sein Sohn, der sah, wie
ältestes von vier Kindern des Kunstmalers Joseph Carl Grün- schwer es war, die Familie mit der Kunst zu ernähren, lernte es,
wedel (1815 -1895) und seiner Frau Fanny (Franziska), Tochter sich selbst bis an die Grenze des Erträglichen zu belasten.
des Hofballetttänzers C. La Roche, geboren. Carl Grünwedel Albert Grünwedel besuchte das Maximiliansgymnasium in
stammte aus Pappenheim in Franken und blieb diesem Ort und München. Nach dem Abitur im Sommer 1875 studierte er dort
Caren Dreyer
der gräflichen Familie, die ihm das Studium an der Akademie klassische Philologie und Archäologie.3 Schon in den ersten
ermöglicht hatte, sein Leben lang treu verbunden.Von hier aus Semestern wandte er sich jedoch zunehmend den Indienstudien
wurde er auch immer wieder mit Aufträgen versorgt und die zu und hörte Sanskrit und Pali bei Ernst Trumpp (1828 –1885)
Gräfin Antonie zu Pappenheim übernahm sogar die Patenschaft und vor allem Ernst Kuhn (1846 –1920). Bei letzterem schloss
für seinen Erstgeborenen Albert. er am 25. Juni 1881 sein Studium mit einer Doktorarbeit über
Seit früher Jugend sah Albert Grünwedel, wie sein Vater einen buddhistischen Text ab.4 Ernst Kuhn war für Grünwedel
Wandgemälde, Wappen sowie Dekorationen für Mobiliar und zeitlebens ein Vorbild und eine Vaterfigur, der er in offenherziger
Porzellan entwarf und ausführte. Er wuchs mit der antiken Verehrung Briefe schrieb,ebenso wie Kuhn sich seinerseits bis
Mythologie und Bildkunst auf, die dem Zeitgeschmack entspre- zu seinem Tod bemühte, seinem Schüler die Wege zu ebnen und
chend in der Kunst verwandt wurden, und lernte das schnelle ihm mit Rat zur Seite zu stehen.5
Erfassen visueller Zusammenhänge und ihre zeichnerische Als Mitglied der Gesellschaft für Anthropologie Ethnologie
Umsetzung. und Urgeschichte war Kuhn an den Gesprächen zur Gründung
Bis über die Schulzeit hinaus begleitete er seinen Vater zu des Museums für Völkerkunde in Berlin 1873 beteiligt und ver-
Kunden und ging ihm bei dessen Arbeiten zur Hand. Einer mittelte Grünwedel dort nach dessen Examen die Anstellung als
der wichtigsten Auftraggeber für Carl Grünwedel war König wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, sodass dieser am 28. November
Ludwig II., für den er z.B. auf Schloss Linderhof malte. 1881 nach Berlin übersiedelte.6
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dessen Zustimmung zu dieser Unternehmung zu nutzen, als erreichten, dass Friedrich Krupp und James Simon je 10.000 den Vettern Berezofskij verdichteten, mochte Grünwedel nicht Sammlung lamaistischer Kunst mit eigenen Augen kennen.
seine Gegner bereits die Beschuldigung illegaler Machenschaf- Mark spendeten und das Ethnologische Hilfskomitee 6.000 auf seine führende Rolle in der Turfan-Forschung verzichten. Er Daraus entstand in den nächsten Monaten ein umfangreicher
ten mit Ausländern erhoben. Mark beisteuerte.30 Georg Huth wollte selbst mitreisen und stimmte daher widerwillig der Entsendung von Albert von Le Sammlungs-Katalog in russischer Sprache und nachfolgend auf
Grünwedels Engagement für das Projekt einer deutschen anschließend noch eine eigene, ebenfalls von James Simon Coq und Theodor Bartus zu, denen er so schnell wie möglich Deutsch ein Handbuch zum Lamaismus.51 Grünwedel war im-
Ost-Turkistan Expedition wurde von seinen Kollegen, den geförderte Sprachexpedition ins Pamir-Gebiet unternehmen. folgen wollte.47 mer wieder begeistert von den freundlichen Kollegen und den
Sprachwissenschaftlern Georg Huth und F. W. K. Müller, unter- Der Termin für die Abreise musste mehrfach verschoben wer- Hatte es große Mühe gekostet, das Geld für die erste Ex- reichen Arbeitsmöglichkeiten in St.Petersburg. Besonders für
stützt, die vor allem auf Handschriftenfunde hofften. Als Förde- den. Aurel Stein hatte geraten, den Sommer mit seinen hohen pedition zusammen zu bekommen, so war das Finanzielle jetzt seine tibetologischen Interessen fand er hier reiches Material
rungszusagen aus öffentlichen Mitteln bis auf eine Beteiligung Temperaturen in Ost-Turkistan zu meiden. 31 Und dann ließ es kein Problem mehr, nachdem der Kaiser sich mit 32.000 Mark und gebildete Gesprächspartner.
von 10.000 Mark aus dem Etat des Museums für Völkerkunde die fortgeschrittene Schwangerschaft Marie Grünwedels ratsam aus seinem Dispositionsfonds beteiligt hatte.48 Um Schwierig- Während Albert von Le Coq und der Techniker Theodor
selbst ausblieben, bemühten sie sich um private Gönner. Sie erscheinen, bis nach der Geburt des Kindes zu warten.32 keiten mit der bevorstehenden russischen Expedition zu ver- Bartus in Khocho und Bezeklik nach seinen Hinweisen Bauten
meiden, wurde Grünwedel vom Kulturministerium und der nach Handschriften durchsuchten, sah Grünwedel in Berlin
Museumsdirektion nach St. Petersburg entsandt.49 Dort stimmte dem avisierten und immer wieder verschobenen Besuch des
er mit dem Akademikern F. W. Radloff und M. M. Berezofskij Kaiserpaars entgegen. Dafür waren einige Turfan-Exponate in
die Explorationsgebiete ab und erneuerte alte Freundschaf- einem Saal des Museums für Völkerkunde aufgebaut worden.
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ten.50 Bei E.E. Ukhtomskijj lernte er jetzt dessen umfangreiche Am 1. Februar 1905 um 9 Uhr morgens war es dann so weit
Die erste Turfan Expedition
Die erste Expedition begann am 11. August 1902 und führte hatte. Petrovskij erzählte viel von seinen Reisen im Lande. In
mit Bahn, Schiff und schließlich Pferdefuhrwerken über St. Pe- Grünwedels Nachlass befinden sich zwei Hefte mit später auf-
tersburg nach Semipalatinsk dann weiter nach Kulja, Urumchi geschriebenen Geschichten, von denen er einige von Petrov-
und Turfan, wo an verschiedenen Grabungsstätten drei Monate skij gehört haben will.36 Nach 14 Tagen Aufenthalt, die der
gearbeitet wurde. Anschließend folgte der einmonatige Besuch Verpackung der Objekte und dem Versand der Kisten gewidmet
der Kucha-Oase. Neben Grünwedel selbst waren Georg Huth waren, ging es mit Kamelen bis zum Terek-Pass, um diesen
und als Techniker der ehemalige Seemann Theodor Bartus mit selbst mit Yaks zu überqueren. In Osch bestiegen sie danach die
dabei. Das Geld war knapp und Grünwedel wurde später nicht russische Post nach Andijan, dem damaligen Beginn der Trans-
müde zu bedauern, dass er so viele viel versprechende Spuren Kaspischen Bahn. Während Georg Huth sich für seine eigenen
nicht verfolgen konnte.34 Forschungen verabschiedete, setzen Grünwedel und Bartus ihre
Unterwegs vermittelten russische Konsuln ihnen Obdach Reise mit dem Zug fort. Die Spedition der Kisten aber erfolg-
und halfen bei der Logistik der Unternehmung.35 Im Juni te per Flusstransport, um sie möglichst erschütterungsfrei nach
1903 besuchte Grünwedel den russischen General-Konsul F. Berlin zu bringen.37 Am 6. Juli 1903 meldeten sich Grünwedel
N. Petrovskij in Kashgar, dessen Sammlung zentralasiatischer und Bartus im Museum zum Dienst zurück 38 und einige Mona-
Altertümer er schon durch Sergej Oldenburg kennen gelernt te später am 23.11. trafen auch die letzten Kisten in Berlin ein.39
Im Turfan-Fieber
Die ungeheure wissenschaftliche Aufmerksamkeit, die die Er- er sich der Vorbereitung der Publikation der archäologischen
gebnisse dieser ersten Expedition erregten, führte schon bald zur Befunde widmen und mehrere Artikel mit Reiseberichten ver-
Planung einer neuen Unternehmung durch das 1903 gegründe- fassen konnte.43 Auch beendete er ein Manuskript zur Kunst
te »Deutsche Lokalkomitee zur Erforschung Zentral- und Ost- im alten Indien in der »Allgemeinen Geschichte der Bildenden
asiens« unter dem Indologen Richard Pischel. Sogar der Finanz- Künste« und einen Aufsatz zu dem siamesischen Trai-P’um-
minister war jetzt bereit, eine große Summe zur Verfügung zu Manuskript mit Darstellungen aus dem Leben des Buddha.44
stellen um damit eine baldige zweijährige Expedition zu finan- Daneben beschäftigte ihn der Ankauf einer großen Kunstsamm-
zieren.40 Grünwedel stand der Eile, die alle auf einmal antrieb, lung aus dem Gandhara-Gebiet, der im Frühjahr 1904 endlich
ablehnend gegenüber. Er war stolz auf seine Leistungen und sah abgeschlossen werden konnte.45
sich nicht nur als Materialbeschaffer. Selbst wollte er sich auch Am 30. Juni 1904 wurde Grünwedel rückwirkend zum
nicht an der Auswertung des Handschriftenmaterials beteiligen, 1. April zum Direktor der indischen-ozeanischen Sammlung
denn dafür waren an Museum und Universität genügend Spe- des Museums für Völkerkunde ernannt und hatte neben seiner
zialisten vorhanden.41 Die Behandlung der mitgebrachten Ob- forscherischen Tätigkeit nun zunehmend mehr Verwaltungs-
jekte und die Auswertung seiner Notizen hatte für ihn Vorrang, aufgaben. Die Fertigstellung seines wissenschaftlichen Expedi-
denn damit allein war seiner Meinung nach die Einordnung der tionsberichts litt darunter, und dann zeigte sich jetzt auch eine
Funde in ihren kulturellen Kontext möglich. Dass er damit auf große körperliche Erschöpfung aufgrund von Gallenkoliken.
wenig Verständnis stieß und dass für die Veröffentlichung seiner So konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ernsthaft an eine neue
Forschungsergebnisse kein Geld da war, verstimmt ihn. So war Expedition denken.46 In den erhitzten Debatten, die im Mu-
er beinahe froh, als die Unruhen in Zentralasien infolge des seum und dem Turfan-Komitee stattfanden, als sich die Nach-
Russisch-Japanischen Krieges alle Reisepläne verschoben,42 und richten von einer bevorstehenden russischen Expedition unter Albert Grünwedel mit seiner Frau
Maria und den Kindern Franziska,
Ludwig und Magnus ca. 1904
CAREN DREYER 2. ALBERT GRÜNWEDEL – EIN LEBEN FÜR DIE WISSENSCHAFT
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und Grünwedel und seine Mitarbeiter ernteten viel Lob.52 Sie brachen im September 1905 auf. Die Reise gestaltete sich
Lange konnte er aber seinen Erfolg nicht genießen, denn zwei von Anfang an kompliziert. Zunächst waren in St. Petersburg
Tage später starb am 3. Februar 1905 Adolf Bastian in Port of die Transitpapiere für das Gepäck nicht in Ordnung, und nur
Spain und Grünwedel als der dienstälteste Angestellte hatte für mit Hilfe des befreundeten Forschungsreisenden G. E. Grum-
Trauerfeier und Festschrift zu sorgen.53 Gleichzeitig beendete Grzimailo konnten neue Papiere besorgt werden. Dann war
er das Manuskript seines Expeditionsberichts »Idikutschari« das Gepäck für Wochen verschwunden, sodass Grünwedel und
und gewann die Bayerische Akademie der Wissenschaften als Pohrt sogar noch einen Abstecher nach Samarkand machen
Herausgeber. Im Briefwechsel mit seinem alten Lehrer Ernst konnten, bevor es in Andijan eintraf.57 Und schließlich erkältete
Kuhn ist eindrücklich dokumentiert wie schwierig der Druck sich Grünwedel bei der Überquerung des Terek-Passes über das
mit den vielen »Zinkos« (Druckplatten nach Bildvorlagen) ins Pamirgebirge im eisigen Dezember.Von le Coq schildert in sei-
Werk zu setzen war.54 nem Reisebericht anschaulich, wie krank sein Chef nach dem
Während Frau und Kinder sich im Sommer an der Ostsee Zusammentreffen am 5. Dezember 1905 bei Kashgar in den
erholten, traf Albert Grünwedel in Berlin ungezählte Besucher folgenden Wochen gewesen sei.58
und bereitete seine Abreise vor.55 Gern hätte er Heinrich Stön- Die gemeinsame Reise der beiden Wissenschaftler mit
ner als Fotograf mitgenommen, der aber hatte seine ungesicher- ihrer Begleitung verlief trotz des schwierigen Beginns sehr
te Stellung am Museum Monate zuvor mit einer Tätigkeit an harmonisch.Von le Coq, der Grünwedel anfangs sehr kritisch
der Deutschen Botschaft in Bangkok vertauscht.56 So wählte gegenüber stand, ist in Briefen nach Hause voll des Lobes für
Grünwedel den wissenschaftlichen Hilfsarbeiter der Ostasiati- dessen gewaltige Arbeitsleistung.59 Während von le Coq sich
schen Abteilung Hermann Pohrt zum Begleiter. Pohrt sprach um Organisatorisches kümmerte und Arbeitsgebiete erforschte,
etwas Chinesisch und erklärte sich bereit, die Rolle des Expe- Bartus mit dem Abnehmen von Wandgemälden und der Ver-
ditionsfotografen zu übernehmen, eine Aufgabe, die er vorbild- packung von Objekten beschäftigt war und Pohrt eine große
lich ausführte. Zahl von exzellenten Fotoaufnahmen machte, hielt Grünwedel
Abb. oben:
Die deutschen Teilnehmer der
III. Turfan-Expedition 1906 im Kreise Umzeichnung einer Fotografie
ihrer örtlichen Mitarbeiter in Kizil: Albert Grünwedel in seinem Georg Huths zur Anfertigung einer Albert Grünwedel vor der sog.
Theodor Bartus, Albert von Le Coq, Arbeitszimmer im Museum für Druckvorlage: Ansicht aus der Höhle der sechzehn Schwertträger
Albert Grünwedel, Hermann Pohrt Völkerkunde ca. 1909 Kloster-Anlage β von Khocho. in Kizil 1906
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von Sonnenaufgang bis in den Abend mit dem Stift alle Beob- rungsbezirk Kucha gehörte, fiel es Grünwedel und seinen Leuten
achtungen fest – und dies so akkurat, dass seine publizierten nicht schwer, dem Folge zu leisten. Merkwürdiger Weise trübte
Notizen und Zeichnungen heute noch Grundlagen der For- dieser Vorfall das deutsch-russische Verhältnis nicht dauerhaft.
schung für die Archäologie und Kunstgeschichte der nörd- Die einjährige weitere Reise mit Theodor Bartus und Her-
lichen Seidenstrasse sind. mann Pohrt über Karashahr in die Turfan-Oase, bis nach Hami
Die Stimmung und Arbeitsteilung bei den Arbeiten in und dann zurück war für Grünwedel sehr anstrengend. Seine
Tumshuk und in der Kucha Oase war so gut, dass Grünwedel es innigen Briefe an seine Frau Marie zeigen, wie einsam er sich
sehr bedauerte, als von le Coq aus Gesundheitsgründen Anfang während dieser Zeit fühlte. Er war oft krank und arbeitete bis
Juni 1906 die Gruppe verließ.60 Während dieser Reise zeich- zum Umfallen, sodass er nach seiner Rückkehr nach Berlin am
nete Grünwedel nicht nur Unmengen von Wandgemälden und 9. Juni 1907 mehrere Monate brauchte, bis er sich davon erholte.
Grundrissen. Zur Entspannung stellte er auch eine Reihe von Im September, als die letzten seiner 127 Kisten in Berlin ein-
Zeichnungen her, in denen er seine Mission und die Turkistan- trafen, war er noch zur Kur in Hasselrode und hatte nichts da-
Kultur mit ihren Geschichten und Bildern in Jugendstil-Manier gegen, dass von le Coq einige davon öffnete, um den Experten
verfremdet darstellte. Den Daheimgebliebenen wollte er auf die ersehnten Handschriften vorzulegen.
diese Weise die wesentlichen Züge dieser fernen Welt nahebrin- War für die Ausstellung der mitgebrachten Kunst aus Zen-
gen.Verbunden mit Erläuterungen und lockeren Versen wurden tralasien schon vor der kombinierten 2./3. Expedition im Mu-
einige dieser Zeichnungen für den Akademie-Kalender zum seum kein Platz gewesen, so gestaltete sich die Situation 1907
Orientalistentag 1908 zusammengestellt.61 noch dramatischer. Die Schließung der Indischen Sammlung im
In Kucha trafen die Deutschen mit den Vettern Berezofskij zweiten Stock des Gebäudes bis über das Jahr 1908 hinaus war
zusammen, die verlangten, dass sie sich absprachegemäß aus die Folge.62 Überall stapelten sich die Kisten und viele blieben
Kucha zurückzögen. Da von le Coq inzwischen von dem viel unausgepackt – manche bis mindestens in die 1920iger Jahre
versprechenden Ort Kizil wusste, das damals nicht zum Regie- hinein.
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Vor allem aber kollationierte er ein tibetisches Manuskript über magisch-spirituelle Überlegungen, wie sie sich besonders im
die 84 Zauberer. Im zweiten Tal der Turfaner Vorberge hatte er entwickelten tibetischen Buddhismus finden, auch in anderen
schon 1902/3 Gemäldereste entdeckt, die ihm eine Parallele zu Kulturen nachweisbar sind. Er suchte deshalb in tibetischen
dieser Überlieferung zu sein schienen. Quellen nach Hinweisen auf die Bekanntschaft mit der Kul-
Vermutlich waren es die Zeugnisse der späteren buddhis- tur Turkistans. In Hinayana- und Mahayana-Quellen und der
tischen Kultur der östlichen Region des Turfan-Gebiets, die Malerei von Kucha, sowie später auch in iranischen oder gar
Grünwedel zurückgeführt hatten zu seinen langjährigen Stu- etruskischen Quellen, versuchte er Übereinstimmungen mit
dien des tibetischen Kulturkreises. Die hier sichtbare Begeg- tibetischem Gedankengut aufzuspüren. Grünwedels letztes gro-
nung der magischen Gedankenwelt des späten Buddhismus mit ßes Werk, das weitgehend auf Turkistan-Material beruht, »Alt-
Vorstellungen, die von der indo-iranischen und uigurischen Kutscha«, spiegelt deutlich diesen Forschungsansatz wieder, der
Kultur getragen wurden, ließ ihn der Frage nachgehen, wie weit auch seine beiden späteren großen Publikationen beherrscht.75
Abb. unten:
Ehrenmedaille der Berliner Gesell- Albert von Le Coq und Theodor
schaft für Anthropologie, Ethno- Bartus mit ihren örtlichen Helfern Aus dem Buch vom Schokolat: die Zeichnung Albert Grünwedels aus
logie und Urgeschichte für Albert vor ihrem Domizil im Tal von Kizil Bäuerin füttert die Schokolade, die Bezeklik Anlage 39: die Garuda-
Grünwedel 1913 sie nicht kennt, an die Hühner Jagd
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Für Albert Grünwedel und seine Frau Marie, die schon zwei Grünwedels entgegen. Er wollte mit qualitätvollen Objekten Albert Grünwedel war mehr als ein Kind seiner Zeit. In vieler dem Einzelnen keine große Bedeutung mehr zumessen. Es
kleine Kinder verloren hatten, muss dieser erneute Schicksals- eine Kultur und ihre Beziehungen zu Nachbarkulturen erklä- Hinsicht war er ein Vordenker, und er folgte seinen Überzeu- verschwand für ihn hinter dem Geflecht von Beziehungen, die
schlag kaum zu verkraften gewesen sein. Das Leid seiner Jugend, ren. Hierin war er sich mit all seinen Kollegen an der indischen gungen, auch wenn es persönliche Härten mit sich brachte. ihrer eigenen Logik folgten. Und diese Logik wollte er ergrün-
in der seine Schwester Marie kaum 6-jährig starb und wenige Abteilung des Museums einig und auch F.W.K. Müller, der seit Er lernte und forschte sein Leben lang und war immer den. Hierbei sind ihm seine Zeitgenossen nicht gefolgt.
Jahre danach sein 20-jähriger Bruder Emil, wiederholte sich 1906 Leiter der ost-asiatischen Abteilung des Museums war, bereit, Unbekanntes in Betracht zu ziehen. Ob Baureste, Kunst Trotzdem wird sein Name in der Wissenschaft mit Ehr-
jetzt. Es muss den schon immer für spirituelle Fragen empfäng- unterstützte diese Position. Dieser sogenannte Museumsstreit oder Dinge des Alltags, ob Dekors auf Gewändern oder Bau- furcht ausgesprochen.
lichen Mann in eine Lebenskrise gestürzt haben. dauerte bis 1924 an, vergiftete die Arbeitsatmosphäre und koste- ten, Grundrisse oder Strukturpläne: er legte auf alles das gleiche Er hat Unglaubliches geleistet: Neben vielem anderen hat
Sowie er konnte, reiste er nach dem Krieg 1919 nach te viel Kraft.84 Gewicht. Wenn es um Textüberlieferungen ging, dann machte er in der indischen Kunstgeschichte als erster die Verflechtun-
St. Petersburg, in der Hoffnung mithilfe seiner einflussreichen Grünwedels persönliches Leid, seine sehr speziellen Tibe- er keinen Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher gen der buddhistischen Kunst Indiens mit Einflüssen aus dem
Freunde genaueres über den Verbleib oder Tod seines Kindes zu tisch-Studien und seine Untersuchungen und Deutungen etrus- Tradition und im Bereich von Sprachen versuchte er auch den hellenistischen Raum und dem Iran aufgezeigt, und dazu die
erfahren, aber vergeblich.80 Jedoch empfingen ihn fast alle seine kischen, altägyptischen und iranischen Materials entfremdeten versteckten Sinn zu erforschen. Verbildlichung von Legenden und die Wanderung von Stilen
Bekannten herzlich, Graf Ukhtomskij, bei dem er wohnte, der ihn zusehends seinen Kollegen in Berlin. Sie zeigten aber auch Was man heute als Kontextualisierung bezeichnet, war erforscht. Er hat zahlreiche tibetische Handschriften ausgewer-
Iranist Salemann, der Turkologe Radloff und Sergej Oldenburg, seine ungeheure forscherische Breite. Auch wenn seine Kollegen seine Sache schon vor dem 20. Jahrhundert. Er wollte Dinge tet und deren Erzählstoff und die lamaistische Kunst in ihrem
der auch nach der Revolution noch die Position des Sekretärs ihm bei seinen Schlüssen nicht immer folgen konnten, und da- und Phänomene im Zusammenhang sehen. Fast nichts brachte eigenen Recht untersucht.Vor allem wird seine grundlegende
der Akademie der Wissenschaften bekleidete. Klementz war her sein verehrter Lehrer A. Kuhn schon 1916 die Annahme ei- ihn mehr auf, als über dem Einzelnen das Ganze zu vergessen. Dokumentation der von ihm auf zwei Reisen an die nördliche
1914 gestorben. nes Manuskripts für eine Publikation an der Bayrischen Akade- Dabei war er durchaus genau in dem, was er tat, zumindest in Seidenstraße aufgenommenen Altertümer mit einem ungemein
In St.Petersburg gab es immer noch viel für Grünwedel zu mie ablehnte, erfuhr Grünwedel bis zu seiner Pensionierung im den ersten Jahrzehnten seines Wirkens. Erst später nach vielen reichen Bilderkanon in Erinnerung bleiben. Denn vieles von
studieren. Oldenburg war gerade von seiner zweiten Reise nach Jahre 1921 in weiten Bereichen große wissenschaftliche Hoch- Mühen und Schicksalsschlägen, scheint es, konnte er vielfach dem, was er sah, ist heute unwiederbringlich verloren.
Turkistan zurückgekehrt und hatte Handschriften und Male- schätzung. Sein letztes umfangreiches während seiner Dienstzeit
reien mitgebracht. Er wollte ein Buddhismus-Institut gründen veröffentlichtes Buch »Alt-Kutscha«, in dem er sich noch einmal
und Grünwedel wäre gern dort geblieben, um an einem Tibe- dem Bilderkanon der Wandmalereien Ost-Turkistans zuwandte,
tischen Wörterbuch zu arbeiten.81 In den ersten Kriegsjahren wurde deshalb, wenn auch mit manchem Vorbehalt, akzeptiert.
hatte er mehrere tibetische Publikationen fertig gestellt, die ihn Die Veröffentlichung seiner umstrittenen Werke »Tusca« (1922)
teilweise jahrelang begleitet hatten.82 Jetzt hätte er für seine und später »Die Teufel des Avesta« (1924) stieß jedoch auf breite
Arbeiten am Kalacakratantra gern den Zugang der dort immer Ablehnung.85
noch ein und aus gehenden Mongolen zu Materialien aus Tibet Am 1. Oktober 1921 wurde Albert Grünwedel nach vier-
genutzt.83 zigjähriger Dienstzeit pensioniert. Die Generaldirektion eröff-
Das Museum zu verlassen und irgendwo neu anzufangen, nete ihm die Möglichkeit, unter Werkvertrag weiter zu arbeiten.
wäre jetzt verlockend für ihn gewesen. Die starken von Wilhelm Das lehnte er aber nach reiflicher Überlegung ab, auch wenn die
von Bode unterstützten Bestrebungen, ein Asiatisches Kunst- Hyperinflation dieser Jahre seine Pension zusammenschmelzen
museum aufzubauen und dafür auch aus der indischen Samm- ließ.86 Er beschloss den lange gehegten Wunsch zu realisieren
lung Spitzenstücke herauszunehmen, liefen den Vorstellungen und sein Alter in Bayern zu verbringen.