Nothing Special   »   [go: up one dir, main page]

Wulff 1914 BD 1

Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 403

Erstellungsdatum: 22.

Juni 2024

Urheber: Wulff, Oskar


Titel: Altchristliche und byzantinische Kunst (Band 1): Die altchristliche Kunst von ihren
Anfängen bis zur Mitte des ersten Jahrtausends
Ort: Berlin-Neubabelsberg
Jahr: 1914

DOI / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.25054

In diesem PDF ab Seite:

Nutzungsbedingungen der Digitalisate der Universitätsbibliothek Heidelberg:

https://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/nutzung/Welcome.html
HANDBUCH
D R

KUNSTWISSENSCHAFT
Herausgegeben von
Dr.FRITZ BURGER
Privatdozent an der Universität, Lehrer an
der Akademie der bild. Künste in München

unter Mitwirkung von


Professor Dr. Ludwig Curtius-Erlangen; Professor Dr. Hermann Egger-Graz;
Professor Dr. Paul Hartmann-Straßbarg; Privatdozent Dr. Ernst Herzfeld-Berlin;
Oberbibliothekar an der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek Dr. Georg Leidinger-
München; Professor Dr. Josef Neuwirth-Wien; Professor Dr. Wilhelm Pinder-
Darmstadt; Professor Dr. Hans W. Singer-Dresden; Professor Dr. Graf
Vitzthum von Eckstädt-Kiel; Privatdozent Dr. Martin Wackernagel-Leipzig;
Professor Dr. Arthur Weese-Bern; Professor Dr. Hans Willich-München; Pro-
fessor Dr. O. Wulff-Berlin und anderer Universitätslehrer und Museumsdirektoren

Dritte Lieferung , U. C- —
V
f; Z / f, /
-Band HI» Heft 1: O. Wulff, Altchristliche und byzantinische Kunst

BERLIN-NEUBABELSBERG
AKADEMISCHE VERLAGSGESELLSCHAFT m.b.h. M. KOCH

—.
<• -m
HANDBUCH
DER

KUNSTWISSENSCHAFT
Herausgegeben von
Dr. FRITZ BURGER
Privatdozent an der Universität, Lehrer an
der Akademie der bild. Künste in München

unter Mitwirkung- von


Professor Dr. A. E. Brinckmann-Karlsruhe; ProfessorDr.Ludwig Curtius Erlangen;
Professor Dr. Hermann Egger-Graz; Professor Dr. Paul Hartmann-Straßburg;
Privatdozent Dr. Ernst Herzfeld-Berlin; Professor Dr. Edm. Hildebrandt-Berlin;
Privatdozent Dr. Hans Jantzen-Halle; Oberbibliothekar an d. K. Hof- u. Staats-
bibliothek Dr. Georg Leidinger-München; Professor Dr. Josef Neuwirth-Wien;
Professor Dr. Wilhelm Pinder-Darmstadt; Professor Dr. Paul Schubring-Berlin;
Professor Dr. Hans W. Singer-Dresden; Professor Dr. Graf Vitzthum-Kiel: Privat-
dozent Dr. Martin Wackernagel-Leipzig; Professor Dr. Arthur Weese-Bern;
Professor Dr. Hans Willich-München; Professor Dr. O. Wulff-Berlin und anderer
Universitätslehrer und Museumsdirektoren

BERLIN-NEUBABELSBERG
AKADEMISCHE VERLAGSGESELLSCHAFT ATHENAION M. B. H.
ALTCHRISTLICHE
UND BYZANTINISCHE KUNST
VON

PROF. Dr. OSKAR WULFF


Kustos am Kaiser-Friedrich-Museum
Privatdozent an der Universität in Berlin

I.

DIE ALTCHRISTLICHE KUNST


VON IHREN ANFÄNGEN BIS ZUR : ^
MITTE DES ERSTEN JAHRTAUSENDS + C

ACADEMIA

BERLIN-NEUBABELSBERG
AKADEMISCHE VERLAGSGESELLSCHAFT ATHENAION M. B. H.
COPYRIGHT 1914 BY
AKADEMISCHE VERLAGSGESELLSCHAFT ATHENAION M. B. H.
BERLIN-NEÜBABELSBERG

F. BRUCKMANN A.G., MÜNCHEN


VORWORT

on der gesamten Kunstentwicklung des christlichen Zeitalters ist die erste noch mit der
Antike zusammenhängende Stilphase nicht nur dem allgemeinen, sondern auch dem wissen-
schaftlichen Verständnis bis jetzt am wenigsten erschlossen worden. Eine „Geschichte der
altchristlichen Kunst“ im wahren Sinne ist noch nicht geschrieben, wenn dies Ziel auch in
der zusammenfassenden Darstellung von Franz Xaver Kraus ins Auge gefaßt erscheint. Daß
es noch nicht erreicht werden konnte, und daß wir ihm nur schrittweise näher zu kommen
hoffen dürfen, liegt in der verwickelten Eigenart dieser Kunst begründet. Ihr fehlen die greif-
baren Künstlerpersönlichkeiten — das gilt freilich zum Teil auch von der mittelalterlichen
Kunst —, ihr fehlt aber auch der unveränderliche Träger eines einheitlichen Volkstums. Ihr
Wachstum ist vielmehr das Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener Rassen und mehrerer
Kunstkreise, die in beständigem Austausch miteinander stehen. Etwa seit anderthalb Jahr-
zehnten hat erst die Forschung angefangen, diese verschlungenen Zusammenhänge zu entwirren,
und sich von der Fiktion frei zu machen, als ob es einen maßgebenden und bleibenden
Mittelpunkt des altchristlichen Kunstschaffens gegeben hätte. Heute ist dieser Glaube an die
Vorherrschaft Roms mehr als erschüttert, — er ist von allen aufgegeben, die sehen wollen.
Die kunstgeschichtliche Arbeit auf altchristlichem Gebiet blieb im vorigen Jahrhundert
um so mehr in der Systematik der Denkmälererklärung und Klassifizierung verstrickt, als sie
vorwiegend von theologisch geschulten Kräften gepflegt wurde, deren Aufmerksamkeit haupt-
sächlich dem Darstellungsinhalt zugewandt war. Und lange herrschte nur allzusehr die
Neigung, ihn nach dogmatischen Gesichtspunkten auszudeuten statt den letzten Quellen
nachzuspüren, aus denen die Phantasie der altchristlichen Künstler geschöpft hatte. Aber
auch die klassische Archäologie hatte mit vereinzelten Vorstößen in das benachbarte und ihr
dennoch so fremde Land nur wenig Erfolg. Daß auf beiden Seiten trotzdem reiche Entdecker-
arbeit geleistet wurde, soll damit nicht geleugnet werden. Allein erst die um Mitte der
siebenziger Jahre einsetzende strengere stilgeschichtliche, ikonographische und quellenkritische
Methode der Kunstwissenschaft hat den Umschwung vorbereitet. Unter ihren Begründern,
auf deren Schultern wir Älteren der lebenden Generation noch stehen, gebührt von seiten des
Verfassers die größte Dankesschuld dem Manne, dessen Gedächtnis dieser Versuch gewidmet
ist. Mit J. Strzygowskis unermüdlicher Aufklärertätigkeit, mit A. Riegls feinfühliger Durch-
dringung des altchristlichen Kunstwollens vom ästhetischen Standpunkt kam dann etwa vor
zehn Jahren die Erforschung des ganzen weiten Gebietes, vor allem aber der christlichen
Denkmäler des Ostens in so lebhaften Fluß, daß es seit Jahren nicht mehr leicht ist, diese
Hochflut zu übersehen, unmöglich überall mitzuarbeiten. Aber wer dem Gang der Dinge
stetig gefolgt ist, darf immerhin eine neue Zusammenfassung zu bieten wagen, die den ferner-
stehenden Fachgenossen, wie jedem für den Gegenstand ernsthaft Interessierten, wenigstens
als Brücke zur entwicklungsgeschichtlichen und ästhetischen Betrachtung der altchristlichen
Kunst dienen will.
VI VORWORT

Die Darstellung ist im wesentlichen in der Anlage, die sie hier behalten hat, schon vor
fünf Jahren abgeschlossen und seitdem wiederholt neu durchgearbeitet worden. Unüberwind-
liche äußere Hemmnisse haben es verschuldet, daß sie nicht früher erscheinen konnte. Ich
habe es dem Herausgeber des Handbuchs zu verdanken, daß sich mir endlich die Möglichkeit
dazu eröffnete. Von Anfang an war meine Arbeit für einen weiteren Leserkreis bestimmt.
Das Buch sollte daher von jedem wissenschaftlichen Ballast frei, wenngleich auf den Ergeb-
nissen der neuesten Forschung aufgebaut sein. Der veränderte Zweck erforderte eine beträcht-
liche Ergänzung, vorzugsweise nach der Seite des wissenschaftlichen Bedürfnisses, wenn es
zugleich zu einem brauchbaren Wegweiser durch die einschlägige Literatur ausgestaltet werden
sollte. Und doch war wieder äußerste Beschränkung darin geboten, um die Wiedergabe der
Entwicklungszusammenhänge nicht durch eingehende Begründung oder Auseinandersetzung
mit fremden Ansichten beeinträchtigen zu müssen. So habe ich den Weg eingeschlagen, aus
der gesamten älteren Literatur nur die noch heute bedeutsamen grundlegenden Werke anzu-
führen, von Spezialschriften aber vor allem die neuesten Arbeiten abschnittweise in bezug
zu nehmen, von denen aus sich die einzelnen Fragen rückwärts verfolgen lassen. Der Spezial-
forscher findet weitere Hinweise in der kritischen Erörterung, durch die ich in einem seit 1911
im Repertorium für Kunstwissenschaft erscheinenden Aufsatz („Ein Gang durch die Geschichte
der altchristlichen Kunst mit ihren neuen Pfadfindern“) meine Stellungnahme zu den wichtigsten
Problemen begründet habe. Ich hoffe damit auch ausreichend angegeben zu haben, wie weit
ich mir die Ergebnisse mancher Mitforscher zu eigen gemacht habe.
Auch die äußere Gliederung des Ganzen mußte dem Rahmen des Handbuchs angepaßt
werden. Das konnte nur so geschehen, daß dem ersten Halbband die Behandlung der
altchristlichen Kunst mit Ausschluß der Blütezeit des altbyzantinischen Stils zugewiesen
wurde, während dem zweiten die gesamte weitere Entwicklung der byzantinischen Kunst
Vorbehalten bleibt. Im Grunde genommen ist ja jede Abgrenzung innerhalb einer zusam-
menhängenden Entwicklung, wie sie die letztere mindestens seit dem theodosianischen Zeit-
alter aufweist, mehr oder weniger willkürlich. Der Abschluß ihrer Stilbildung, aus der
die justinianische Kunstblüte hervorgeht, fällt aber in der Tat annähernd mit dem Beginn
des 6. Jahrhunderts zusammen. Unabweisbar ist es hingegen, auf anderen Gebieten die Ent-
wicklungslinien noch eine Strecke über diese Grenze hinaus in die Betrachtung der altchrist-
lichen Kunst einzuschließen, um nicht Zusammengehöriges auseinander zu reißen.
Möge das Buch nun im Verbände des ganzen Unternehmens allen damit verknüpften
Absichten gerecht werden. Dem Verlag bleibe ich für sein Entgegenkommen zu Dank ver-
pflichtet, durch das die Beigabe der unentbehrlichen Illustration für eine ausreichende Ver-
anschaulichung der Darlegungen ermöglicht worden ist.

Steglitz bei Berlin, Februar 1913. O. WULFF.


DEM ANDENKEN
EDUARD DOBBERTS
Decke nmal er ei au rypten der L
ek^Äorefoe in Rom (nach J,'
EINLEITUNG 1

Abb. 1. Brustbild eines Evangelisten


(Altbyzantinisches Relief im Ottomanischen Museum).
„L’Orient cree les types et les symboles:
I. l’Occident les accepte.“ Ch, Bayet (1879).
Wesen und Werden der altchristlichen Kunst.

In der gesamten Kunstentwicklung des europäischen Kulturkreises hat sich nie eine tiefere
Umwälzung vollzogen als die, aus der die christliche Kunst hervorgegangen ist. Weder
der Übergang vom Stil des späten Mittelalters zu dem der Renaissance bedeutet eine so voll-
kommene Wandlung, noch die Umbildung des archaischen Stils in den klassischen oder des
letzteren in den hellenistischen innerhalb der griechischen Welt. In allen diesen Fällen wirkt
organischer Fortschritt zu freierer Naturbeherrschung oder zu höherer Formenschöpfung in
wenig veränderter Richtung des ursprünglichen Kunstwollens. Die christliche Kunst aber
wendet sich einem grundverschiedenen Ziele zu. Sie entfaltet sich in der künstlerischen
Gestaltung einer neuen Weltanschauung und begleitet mit ihren einzelnen Phasen deren Ent-
stehung. Ihr Sieg über die Antike ist der Sieg des Inhalts über die Form. Der antike Stil
diente dem Schönheitskult der Leiblichkeit. Er wird zersetzt und vernichtet. Die altchrist-
liche Kunst sucht den Ausdruck des Geistigen, sie will den neuen religiösen Vorstellungen
eine Erscheinungsform schaffen, und sie ruft, an der Grenze ihrer Entwicklung angekommen,
wenigstens im Osten, einen neuen Stil ins Leben, — den byzantinischen. Nur einseitige
ästhetische Bewertung, welche das klassische Kunstideal und die ihm wesensverwandte neuzeit-
liche Stilbildung seit der Renaissance zum alleinigen Maßstab des Kunsturteils nimmt, konnte
diese schöpferische Leistung verkennen und in ihr nichts als Verfall und Rückbildung erblicken.
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 1
2 GEGENSATZ DER CHRISTLICHEN WELT- UND KUNSTANSCHAUUNG ZUR ANTIKE

Daß die christliche Kunst aus dem religiösen Gedanken geboren wird, bedeutet an sich
eine Erneuerung. Aus diesem Mutterboden aller Kunst war auch die griechische einst erwach-
sen, aber sie hatte sich im Laufe des letzten halben Jahrtausends der vorchristlichen Ära
immer mehr verweltlicht, obwohl ihr ausgiebigster Stoffkreis der mythologische geblieben war.
So hat auch die Frührenaissance an. den überlieferten kirchlichen Gebilden des Mittelalters
die Darstellung der menschlichen Natur zur Aufgabe des künstlerischen Schaffens gemacht.
Bei allem Reichtum der Ausdrucksmittel, über welche die hellenistisch-römische Kunst ver-
fügte, fehlte ihr doch die Sprache, um das Seelische unmittelbar auszusprechen, wie es von
Anfang an das christliche Bewußtsein erfüllte: die Verinnerlichung des religiösen Gefühls
und die Hoffnung auf die Überwindung des Todes. Stand sie doch vor allem im Dienst der
„Tagesansicht“ der Antike, in das Christentum aber mündeten alle die geistigen Strömungen
des Altertums ein, die im Gegensatz zu der lebensbejahenden Weltanschauung ihren Ursprung
in der „Nachtansicht“ des Lebens hatten. Was in den altorientalischen Religionen das Über-
gewicht gewonnen hatte, sowohl im ägyptischen Osiriskult wie in der dualistischen Lehre der
Perser von dem schließlichen Siege des Lichtgottes Ormuzd über den Fürsten der Finsternis
Ariman: der Erlösungsgedanke, — hatte auch auf griechisch-römischem Kulturboden mannig-
faltige Gestalt angenommen, in den eleusinischen Mysterien, in den orphischen Genossen-
schaften und anderen Geheimkulten der Spätzeit, so z. B. im Sabazios- und zuletzt und am
kräftigsten in dem geradeswegs aus Persien übernommenen Mithraskult. Die jüdische Lehre
vom Messias Christus siegte über alle diese Sekten wie über den absterbenden Götterglauben,
nicht nur weil sie den höchsten ethischen Gehalt besaß, sondern auch weil sie solchen Hoff-
nungen die sicherste Erfüllung zu verbürgen schien. Sie brachte der antiken Welt, wie neuer-
dings treffend gesagt worden ist, die ersehnte „Einheitsreligion“, der bereits durch den Kaiser-
kult äußerlich vorgearbeitet worden war. Und ihre Grundgedanken waren weit genug, um
einerseits die religionsphilosophischen Spekulationen der griechischen Geisteswissenschaft zum
Aufbau des kirchlichen Dogmas aufzunehmen, auf der anderen Seite aber uralte volkstüm-
liche Vorstellungen von einem körperlichen Fortleben der Seele nach dem Tode, ja von der
Erhöhung des Verstorbenen zu einem heroischen Wesen einzulassen. In der Vorstellung vom
Seligenmahl begegneten sich heidnische mit jüdisch-christlichen Gedanken.
Durch den Richtungswechsel der gesamten Lebensauffassung erhält auch die Kunst
neue Antriebe. Der symbolische Ausdruck, der auf primitiven künstlerischen Entwicklungs-
stufen, besonders in den orientalischen Religionen, die höchste Bedeutung erreicht hatte, erfährt
jetzt eine Wiederbelebung. Die frühchristliche Kunst schafft sich alsbald aus Überbleibseln
antiker Kunstsymbolik wie auch aus rein künstlerischen Motiven einen Vorrat von Symbolen.
Von den neuen Sinnbildern wird eins — wenngleich erst nach dem Triumph der Kirche — das
Symbol des Christentums, schlechthin: das Kreuz in seiner letzten bleibenden Ausprägung.
Das frühchristliche Kunstschaffen schreckt nicht einmal vor der Tiersymbolik zurück, — ja
es betätigt sich in seinen Anfängen mit Vorliebe in ihr und vergegenwärtigt sich sogar im
Bilde des Fisches den Heiland. Freilich verkörpert es in Tiergestalten nicht unmittelbar, wie
einst die alten Naturreligionen, die alles durchwaltende göttliche Kraft, es setzt nur das
evangelische Gleichnis in künstlerische Anschauung um. Aber für die breiten unteren Schichten
des Christentums waren die Lämmerszenen und Hirtenbilder doch mehr als blasse Allegorie. Und
vollends bedeuten die aus orientalischer Volksphantasie geborenen Evangelistensymbole (Abb. 4),
der aus ihnen entstehende Tetramorph oder Cherub sowie die Seraphim und die übrigen,
menschengestaltigen Engelsordnungen für die morgenländische Kirche ein Stück ererbter und
SYMBOLISMUS UND INDIVIDUALISMUS DER CHRISTLICHEN KUNST 3

neudurchgeistigter altjüdischer Mythologie, das sich


erst im Christentum zu künstlerischem Ausdruck ver-
dichtet. In ihr Bereich werden auch die menschlichen
Persönlichkeiten der christlichen Religion mit ihrer
fortschreitenden Vergöttlichung erhoben. Etwa seit
dem 5. Jahrhundert erscheint Maria als „Herrin der
Engel“ von beflügelten Trabanten umgeben. Den schon
in der antiken Kunst gebräuchlichen Lichtschein des
Nimbus macht die christliche zum ständigen Abzeichen
der Heiligkeit und in vergrößerter Gestalt als Aureole
und Mandorla auf Grund jüdischer Anschauungen
zum Sinnbild der himmlischen Sphären. Aus antiker
und christlicher Sitte, aus kirchlichem und höfischem Abb. 2. Personifikation der Hoffnung
(koptische Freske aus Bawit in Oberägypten nach
Zeremoniell schöpft sie eine symbolische Gebärden- Mem. de 1 ’Inst, frangais au Caire, 1904).
sprache, die zum Ausdrucksmittel von Anrede und
Segen, von Anbetung und Huldigung wird. Daneben sinkt alle übrige Handlung mehr und
mehr zum Begleitumstand herab. Aber das Christentum entlockt auch der griechischen Sprach-
Phantasie noch einmal Personifikationen von abstrakten Begriffen, die der christlichen Vorstel-
lungswelt angehören. Nicht nur Friede, Gerechtigkeit und Weisheit nehmen zuerst in bildlicher
Rede und dann in der Kunst menschliche Gestalt an, wie zum Teil schon im klassischen Alter-
tum, sondern auch die christliche Gemeinde (Ekklesia), Gebet und Glaube u. a. m. (Abb. 2).
Diese Fülle des Sinnbildlichen wird zwar durch die erstarkende theologische Denkweise wieder
beschränkt, vor allem der griechische Osten stößt schon im frühen Mittelalter die tiergestal-
tigen Symbole größtenteils wieder ab, eine Reihe von symbolischen Elementen und Attributen
geht jedoch für immer in den Bestand des christlichen Typenschatzes ein.
Einen zweiten wesenhaften Grundzug der christlichen Kunst bildet in ihrem abgeklärten
Stil die folgerichtige Durchsetzung des Individualismus. Für die Antike hatte die indi-
viduelle Erscheinung neben dem Typus des schönen Menschen nur innerhalb der unmittelbar
an das Leben ankniipfenden Bildniskunst und in der hauptsächlich auf die Kleinkunst
beschränkten realistischen Unterströmung, welche die Kunstentwicklung etwa seit dem 4. christ-
lichen Jahrhundert begleitet, Bedeutung erlangt. Das christliche Kunstschaffen räumt ihr gemäß
der erhöhten Schätzung des Einzelmenschen ein weit größeres Recht ein. Allein es pflegt damit
nicht einen Kult der Persönlichkeit, wie die individualisierende Kunst der Renaissance, vielmehr
will es in der natürlichen Erscheinung nur den geistigen Kern betonen. In seiner späteren entschei-
denden Stilphase wird der individualitätslose sinnbildliche Idealtypus des Gottessohnes (Abb. 3),
wie ihn die frühchristliche Kunst als Seelenhirten oder göttlichen Pädagogen verkörpert hatte,
durch das individuelle Charakterbild des Menschensohnes (Abb. 4) abgelöst, wenngleich dererstere
daneben in schärfer unterschiedener dogmatischer Auffassung bis in das Mittelalter fortlebt.
Gleichzeitig treten seine Jünger als porträthaft ausgeprägte Persönlichkeiten in der Kunst
hervor und mit ihnen alsbald auch die Heroen des Glaubens, Märtyrer und Kirchenväter. Als
aber schließlich der wachsende Reichtum der christlichen Gestaltenwelt zu neuer Typenbildung
drängt, vollzieht sich diese auch auf dem Wege der Abwandlung und Vervielfältigung einer
gewissen Zahl von Charaktertypen verschiedener Altersstufe und Gemütsrichtung. Immer
sucht die ausgereifte kirchliche Kunst den Ausdruck des Persönlichen, nicht selten mit Hervor-
hebung des Häßlichen (Abb. 1), gleichsam mit offenkundiger Verachtung der Schönheit. Diese bleibt
4 REPRÄSENTATIVE BILDGESTALTUNG UND RAUMBESEELUNG IN DER BAUKUNST

Abb. 3. Christus im jugendlichen Idealtypus zwischen Oranten


(Arkosolbild aus den Katakomben nach Wilpert, Die Malereien der Katakomben Roms, 1905).

der Versinnlichung der überirdischen Welt Vorbehalten. Unpersönlich erscheinen nur die ihr
zugehörenden Mittelwesen und die abstrakten Personifikationen (Abb. 2).
Mit dem vorigen steht ein drittes und letztes beherrschendes Gestaltungsprinzip in enger
Wechselbeziehung: der repräsentative Ausdruck der altchristlichen Kunst. Je selbständiger
und fertiger sie auftritt, desto mehr strebt sie die unmittelbare Knüpfung mit dem lebenden
Menschen an. Das Bildnismäßige gewinnt in ihr einen gesteigerten Gefühlswert. Ihre
Gestalten sprechen ganz anders zu uns als die Standbilder der olympischen Götter, die den
Sterblichen nur den Anblick ihrer Erhabenheit und ihres ungetrübten Daseins bieten. Die
stetige Beziehung auf den Beschauer bestimmt den altchristlichen Stil schon auf seiner ersten
Entwicklungsstufe auch bei der Wiedergabe jedes Geschehens und erreicht auf byzantinischem
Boden in der Entstehung einer Art Bildersprache ihren Gipfel.
Wie die darstellende Kunst, sieht auch die Architektur sich durch das Christentum vor
ungekannte Aufgaben gestellt. Als Raumgestalterin erfüllt sie sich mit dem gleichen Streben
nach Vergeistigung ihrer Gebilde. Im christlichen Kirchengebäude erschafft sich die christliche
Seele ihren wahren Körper, indem sie wieder aus der antiken Profankunst ihre Bauformen
entleiht, um sie nach ihren Gedanken umzubilden. Das Wachstum des religiösen und kirch-
lichen Lebens tritt in der Baukunst am unmittelbarsten in Erscheinung, — mit dem Fortschritt
der Entwicklung freilich auch der sich stetig vertiefende Gegensatz zwischen Ost und West.
Im Anfang aber besteht nur ein allgemeiner Gegensatz zum heidnischen Kultbau. War der
antike Tempel das Wohnhaus des Gottes, so ist die christliche Kirche das Haus des lebendigen
Wortes. Es nimmt die ganze Gemeinde (Ekklesia) auf. Der Binnenraum wird daher von
Anfang an für die Bauschöpfung maßgebend. Die Basilika (Abb. 5) ist für den Orient so gut
wie für das Abendland die ursprüngliche Gemeindekirche. Ihre weitere Ausgestaltung aber wird
in verschiedener Weise durch die steigende Bedeutung des Abendmahlskultes bestimmt, in dem
der antike Opfergedanke nach dem Siege der Kirche in christlicher Gestalt wiederauflebt.
Er beeinflußt sogar den zentralen Bautypus (Abb. 6), den das Christentum schon früh für die
Zwecke der Taufhandlung und als Denkmals- und Märtyrerkirche neben der Basilika über-
nommen hatte. Unter der Einwirkung des liturgischen Altardienstes mit seinem phantasievoll
ausgestalteten Zeremoniell wird die Kuppelkirche im Orient zum reichgegliederten architek-
tonischen Organismus entwickelt, während umgekehrt der Reliquienkult in die Basilika eindringt.
So bereitet sich die Verschmelzung der beiden Bautypen zu einem einheitlichen Schema
HISTORISCHE, GEOGRAPHISCHE UND ETHNOLOGISCHE PROBLEMSTELLUNG 5

Abb. 4. Christus als Weltrichter mit den Evangelistensymbolen und Apostellämmern


(Altbyzantinisches Mosaik am Triumphbogen von S. Apollinare in Classe in Ravenna).

(Abb. 7) vor. In ihm sieht das byzantinische Kunstwollen die Idee der Gotteskirche auf
Erden verkörpert, wie das der kirchliche Bildschmuck symbolisch ausspricht. Die Kirche rückt
in den Mittelpunkt des byzantinischen Kulturlebens. Mit ihrem in Zeremonie, Wort und Gesang
das heilsgeschichtliche Mysterium versinnlichenden, Auge und Ohr erbauenden Ritus gewährt
sie der griechischen Volksseele des Mittelalters Ersatz für das Theater der Antike. Sie bietet
ihm ästhetische Befriedigung, verbunden mit religiöser Erhebung. Erst der vorherrschende
asketische Zug des spätbyzantinischen Kirchentums läßt diesen Kult zu leblosen Formen
erstarren.
Die tiefgreifende Wandlung des spätantiken Kunstschaffens, das durch die gesamte tech-
nische Tradition in das christliche einmündet, tritt so wenig als irgendeine andere unver-
mittelt und plötzlich ein. In langsamem, mehrfach abgestuftem Ablauf füllt die Entwicklung
der christlichen Kunst fünf Jahrhunderte aus und läßt deutlich zwei große Hauptphasen
erkennen, deren Grenzscheide mit dem Umschwung aller Beziehungen des Christentums zum
römischen Staat und seiner Gesellschaftsordnung zusammenfällt. Die neue Weltanschauung,
aus der die christliche Kunst hervorwächst, ist ja selbst erst in langsamem Wachstum und
in fortgesetzter Wechselwirkung mit der Verschiebung der politischen, sozialen und ethischen
Verhältnisse ausgereift. Das kunstgeschichtliche Problem schließt, wie das religionsgeschicht-
liche, ein geographisches und ein Rassenproblem ein. Während der ersten Periode, die ihr
Ende bald nach dem Triumph der Kirche erreicht, kleiden sich die christlichen Vorstellungen
in die antike Kunstform, — in der zweiten sprengen sie dieselbe. Aber nicht der gesamte
mittelländische Kulturkreis nimmt an dieser Entwicklung durch das volle halbe Jahrtausend den
gleichen lebhaften Anteil. Der neue Formenschatz und Darstellungsgehalt wird fast aus-
schließlich in wenigen, vom Christentum am stärksten ergriffenen Großstädten und Ländern
gestaltet und fortgebildet, unter ihnen aber und an die übrigen Provinzen des Reiches im
Austausch weitergegeben. Mehrmals wechselt die Rolle des führenden Vororts, den einheit-
lichen Ausgleich erzielt nur der griechische Osten.
Die antike Welt zerfiel auch nach ihrer politischen Zusammenfassung unter dem römischen
Kaisertum in das lateinische und das griechische Sprachgebiet, hinter den Griechen aber
standen noch im weiten Umkreis die orientalischen Völker, die sich in den Diadochenreichen
nur zum Teil und nicht allzutief hellenisiert hatten. Der lateinische Westen hatte die politische
Vorherrschaft über die ganze Ländermasse an sich gerissen, wirtschaftlich und kulturell aber
6 SPRACHLICHER UND KULTURGEGENSATZ ZWISCHEN WESTEN UND OSTEN

Abb. 5. Die Petersbasilika in Rom


(rekonstruierter Längsschnitt nach G. Dehio und G. v. Bezold, Die kirchliche Baukunst des Abendlandes I).

war er von den östlichen Provinzen immer abhängiger geworden. Ihr Übergewicht nimmt
besonders seit dem 3. nachchristlichen Jahrhundert ständig zu. Die Verlegung des Schwerpunkts
der politischen Macht nach dem Orient ist nur die letzte Folge dieser Kräfteverschiebung. Mit
der Diokletianischen Reorganisation tritt an Stelle der römischen eine Staatsordnung, deren
Gefüge mehr dem der vorangegangenen hellenistischen Königreiche und des benachbarten neu-
persischen Großstaats nachgebildet erscheint. Innerhalb des Christentums ist dieser Gegensatz
zwischen den beiden Reichshälften erst nach dem Wendepunkt seiner Anerkennung durch das
Mailändische Edikt (im Jahre 313 n. Chr.), dann freilich mit jedem Jahrhundert stärker ins
Leben getreten. Daß es in seinen Anfängen — und das gilt besonders von der christlichen
Kunst — den einheitlichsten Zustand zeigt, findet aus der Tatsache seiner Verpflanzung vom
Orient nach dem Abendlande eine selbstverständliche Erklärung. Träger aller christlichen
Lehre und Lebensgewohnheiten waren die Gemeinden. Ihre Ausbreitung erfolgt freilich in
den einzelnen Gebieten mit verschiedener Schnelligkeit. Schon in der vorchristlichen Zeit hatte
der Osten begonnen, überschüssige Bevölkerung an die abendländischen Häfen und Großstädte
abzugeben. Das Zuströmen griechischer, vor allem aber semitischer Volkselemente nach dem
Westen dauert bis in das frühe Mittelalter fort. Juden und Griechen aber waren schon seit
der hellenistischen Epoche vielfach in engere Lebensgemeinschaft zueinander getreten. Der
Glaube einer mit griechischen Proselyten vermischten, früh zerstreuten Sekte des entnationali-
sierten Judentums der Diaspora, — nichts mehr ist das Christentum der ersten beiden Gene-
rationen. Und wie es im Osten seinen Ursprung hat, so nimmt es im Abendlande bis zum
6. Jahrhundert wiederholt im Dogma, in der Liturgie, im kirchlichen Gesänge neue An-
regungen aus den syrischen und griechischen Stammländern auf.
Die Entfaltung der christlichen Kunst spiegelt diese Entwicklung wieder. Das tiefste Rätsel
bietet wohl ihre Entstehung. In der urchristlichen Heilsbotschaft war ihr Same nicht enthalten.
Weder die Predigt der Elf in Jerusalem, noch die Paulinische Heidenmission haben den Boden
für sie bereitet. Auch hat die strengere Richtung der kirchlich - dogmatischen Gedankenent-
wicklung ihr gegenüber bis in die Konstantinische Zeit große Zurückhaltung bewahrt. Trotzdem
ist sie schon um die Wende des 1. Jahrhunderts da und wächst unaufhaltsam, so daß die
Kirche sie gewähren lassen und sich damit begnügen muß, ihr Ordnung und Regel zu geben.
Sich ihrer zu bedienen, lernt die kirchliche Autorität erst nach errungenem Siege. Von dieser
Zeit an aber wird die Verbindung zwischen Dogma und Kunst immer inniger, am engsten
in der griechischen Kirche, in der das Anschauungsbedürfnis der hellenischen Volksseele
wieder mit ungeschwächter Kraft durchbricht und nach heißem Kampf gegen die geplante
SYNKRET IST ISCHE R URSPRUNG DER'CHRISTLICHEN KUNST 7

Abb. 6. Baptisterium in Nocera Abb. 7. Byzantinische Kuppelbasilika


(Schnitt nach Dehio und v. Bezold, a. a. O.). (sog. Qüldjami, nach C. Gurlitt, Die Baukunst Konstantinopels, 1912).

Reform der bilderstürmerischen Kaiser das Bild durch Beschluß des Konzils von Konstan-
tinopel (842 n. Chr.) zum unlösbaren Bestandteil des mittelalterlichen Kults macht.
Woher die christliche Kunst entspringt, wird verständlich, wenn wir nicht nur auf die
Verkünder der Lehre, sondern auch auf ihre Bekenner blicken. Beide Volksstämme, die sich
in ihr zusammenfanden, haben ihr Teil dazu mitgebracht. Daß die den synkretistischen
Religionsgenossenschaften zugewandten Schichten des kosmopolitischen Griechentums, unter
denen sie ohne Zweifel ihre zahlreichsten Proselyten fand, von der künstlerischen Verkör-
perung des religiösen Gedankens nicht abließen und nicht nur sepulkrale Sinnbilder, sondern
auch mit dem christlichen Geiste scheinbar unvereinbare Gestalten mitbrachten, beweisen die
Denkmäler. Diese Tatsache konnte auch nur so lange befremden, als man übersah, daß die
Masse der Bekehrten, zumal in der Frühzeit, kaum mehr als ein mit mancherlei ererbten
und neuerworbenem Aberglauben vermischtes „Christentum zweiter Ordnung“ besaß. So war
Orpheus wahrscheinlich schon in vorchristlichen, von jüdischem Wesen berührten Sekten mit
den alttestamentlichen Erzvätern oder dem großen Zauberer Salomo zusammengekommen.
Daß aber auch die] Juden selbst schon vor der Absonderung der ersten christlichen Gemeinden
begonnen hatten, der Berufung auf ihre Glaubenshelden künstlerischen Ausdruck zu geben,
diesen unabweisbaren Schluß hat erst die Forschung des letzten Jahrzehnts aus den Zeug-
nissen der Kunst gezogen. Das waren freilich nicht die strenggläubigen Schüler der Syna-
goge, sondern jene halbhellenisierten Großstadtjuden der Diaspora. Nehmen wir das an, so
erübrigtfnur die Frage, wo diese verschiedenartigen Ansätze zum ältesten christlichen Bilderkreis
zusammengewachsen sind.
Die Gleichartigkeit der christlichen Kunst drängt sich der Beobachtung als bedeutsamste
Wahrnehmung auf, wenn man die etwa seit dem 3. Jahrhundert an weit voneinander getrennten
Punkten vorliegenden Denkmäler überblickt. Ihren einheitlichen Ursprung hat daher die Wis-
senschaft von jeher, wenigstens stillschweigend, vorausgesetzt. Sie hat ihn freilich dort gesucht,
wo dank dem geschichtlichen Zufall die reichsten Überreste frühchristlicher Malerei und Bild-
nerei erhalten sind: — in Rom. Erst als begründete Zweifel auftauchten, ob diese Kunst-
schätze wirklich insgesamt an Ort und Stelle und aus eigner Erfindung entstanden seien,
als die Funde im Osten sich mehrten und das Bild seiner späteren Kunstblüte sich immer
reicher darstellte, wurde es immer klarer, daß auch die Anfänge des christlichen Kunstschaffens
ihm gehören müssen. Nur dort kann dieses seinen ältesten Mittelpunkt gehabt haben, an
dem die Urelemente des frühchristlichen Typenschatzes sich miteinander verbunden haben.
Die Motive des ersten Bilderkreises weisen selbst darauf hin, daß seine doppelte Wurzel dem
8 ALEXANDRIAS ANTEIL AN DER CHRISTLICHEN KUNSTENTWICKLUNG

Boden Alexandrias entwächst. In der hellenistischen Weltstadt des Nildelta hatte das sentimen-
tale Naturgefühl einer kulturgesättigten Gesellschaft schon in ptolomäischer Zeit in Dichtung
und Kunst das Idyll des Hirten- und Fischerlebens als neue Gattung geschaffen. Daran
knüpft die christliche Kunst in ihren Anfängen unverkennbar an. Andrerseits hatte sich das
Judentum wohl nirgends so stark griechischer Denkweise und Lebensgewohnheit ergeben.
Nirgends hat synkretischer Zauber und magische Beschwörung so geblüht, und die alttesta-
mentliche Gottesvorstellung sich so heidnisch gefärbt. Jao nennen die zahlreichen unter dem
Sammelnamen „gnostisch“ gehenden Abraxasgemmen das höchste Wesen. Aus dem Bedürfnis
solchen Volksaberglaubens mag die erste alttestamentliche Typenreihe gestaltet worden sein,
die das Christentum übernahm. Wie ihre primitiven Vorstufen ausgesehen haben, das bleibt
freilich noch heute Vermutung. Aber auch die früheste bildliche Verkörperung des Wunder-
täters Christus und seiner Mutter verrät Einflüsse des alexandrinischen Synkretismus und
seiner Magie. Der älteste jugendliche Idealtypus Christi scheint sogar nach dem Vorbilde
antiker Lichtgötter auf dem Boden der Gnosis geprägt zu sein, jener im Zeitalter Hadrians
entspringenden Religionsphilosophie, die christliche Gedanken in das System einer mystischen
Weltentwicklungslehre verwoben hat und von den Kirchenvätern bis ins 4. Jahrhundert heftig
bekämpft werden mußte. Mit solchen Umdeutungen und Entlehnungen beginnt das Ein-
strömen christlicher Vorstellungen in die antike Kunstform, das die Entwicklung bis in das
3. Jahrhundert beherrscht, wie auch die jüdisch-hellenistische Philosophie eines Philo (geh.
um 20 v. Chr.) ihre Fortsetzung in der christlichen Logoslehre der Katechetenschule von
Alexandria findet. Und schon sehen wir, wie die theologische Spekulation zur künstlerischen
Gestaltung billigend oder ablehnend Stellung nehmen muß. Es ist kein Zufall, daß Clemens
Alexandrinus (f 220), besonders im „Pädagogus“, vielfach in Bildern redet, die ihr entlehnt
scheinen, — daß er die Symbole der Grabsteine aus den Katakomben aufzählt und sich gegen
Orpheus wendet. Nirgends war diese junge Kunst so sehr in Gefahr, „christliche Antike“
zu werden, — und ebenso das Dogma, sich in philosophischen Spekulationen zu verlieren.
Dem wurde durch die früh einsetzende Rückwirkung anderer Brennpunkte christlichen Geistes-
lebens auf Alexandria vorgebeugt.
Die strengere juden-christliche oder doch semitische Richtung des Christentums gewinnt
in der Folgezeit auch in der alexandrinischen Gemeinde mehr und mehr das Übergewicht.
Und hier vollendet sich das Einleben der griechischen Christenheit in die gesamte Über-
lieferung der jüdischen Religion. Die Aneignung der alttestamentlichen Geschichte, der sie
anfangs fremd gegenüber stand, einer der wichtigsten Vorgänge in der Systematisierung
der christlichen Gedankenwelt, dauert durch das ganze 3. Jahrhundert fort. Es war dem
umfassenden Geiste eines Origenes (f 254) Vorbehalten, nicht nur die Ereignisse des Alten
Testaments nach der phiionischen Methode allegorischer Schrifterklärung unter dem Ge-
sichtspunkt ihrer vorbildlichen (proto-, bezw. antitypischen) Bedeutung für das Neue dem
schnell emporsteigenden christlichen Lehrgebäude einzufügen, sondern auch den gesamten
Weltlauf als Verwirklichung eines mit der Schöpfung beginnenden Heilsplanes mit ihnen zu
verknüpfen und so den Grund zu der noch bis auf den heutigen Tag fortwirkenden Welt-
anschauung des Mittelalters zu legen. Alexandria, wo das Buchwissen seit Jahrhunderten
ungestörte Pflege genoß, wurde der Ausgangspunkt der illustrierten Weltchroniken und Welt-
beschreibungen. Seine spätere Bedeutung für die christliche Kunst liegt vor allem auf dem
Gebiete der Buchmalerei. Griechischer Geist beherrscht und ordnet hier bis in die Spätzeit
die neuen Vorstellungsmassen, welche ihm der Orient mit seinem überkommenen und neu-
BEDEUTUNG KLEINASIENS UND ANTIOCHIAS 9

entstehenden Schrifttum zuschiebt. Den freien spekulativen Gedankenaufschwung hemmte


freilich dessen aus dem naiveren Gefühlserlebnis eines mystischen Kults, aus einer strafferen
Theologie und asketischer Frömmigkeit quellende Religiosität und der Widerhall, den diese
Gesinnung bei der einheimischen koptischen Bevölkerung des Niltals weckte. Die alexan-
drinische Kirche hielt solchen Einflüssen nicht stand und hat schon im Anfang des 5. Jahr-
hunderts ihren Eifer gegen die Philosophie durch manche fanatische Tat bewiesen. Die Dog-
matik der Alexandriner arbeitet von Athanasius (f 373) bis Cyrill (f 444) an der Erhöhung der
göttlichen Personen und begründet sowohl die Lehre von der Wesensgleichheit des Sohnes,
wie auch im Bunde mit den syrischen Kirchenlehrern den Monophysitismus, d. h. das Dogma
von der alleinigen göttlichen Natur in Christus. Mit der schnell fortschreitenden Bekehrung
der Kopten zum Christentum wurde vollends durch den orientalischen Geist das national-
ägyptische religiöse Empfinden wiedererweckt. In Oberägypten erstehen ihm in den großen
Asketen und Klostergründern seine vom tiefsten Haß gegen alles Griechische beseelten geistigen
Führer, so der gewaltigste, Schenute von Athripe. Und dennoch bewahren selbst diese Land-
striche bedeutsame Zeugnisse der Malerei von einer den syrischen Typen vorausgegangenen
christlichen Volkskunst alexandrinischen Ursprungs.
Daß die frühchristlichen Typen der Alexandrinischen Kunst alsbald von Gemeinde zur
Gemeinde durch das ganze Reich Verbreitung fanden, — sie tauchen seit dem 2. Jahrhundert
in Rom und Neapel, seit dem 3. Jahrhundert in Cyrene und anderwärts auf —, bedarf keiner
weiteren Erklärung. Bildete doch das Christentum bis zu seiner Anerkennung einen Staat
im Staate mit lebhaftem geistigen Verkehr. Und wie diese Anregungen in Rom Nachahmung
fanden und eine örtliche Kunstübung hervorriefen, so begannen zweifellos auch andere christ-
liche Länder mitzuarbeiten und die Motive selbständig fortzubilden. Einen so engen Bund
wie in Alexandria hatte der Hellenismus vor allem auch in dem früh bekehrten Kleinasien
mit dem Christentum geschlossen. In seinen Städten lebten die Erinnerungen an die aposto-
lische Missionstätigkeit fort. Ihre Nachwirkung ist in der Kunst wie in der Literatur in
einem früh hervortretenden lehrhaften Zug zu spüren. In Kleinasien hat wahrscheinlich der
neutestamentliche Kanon seine erste Redaktion gefunden, hier nahm die Entstehung der Apostel-
akten ihren Anfang. Als Vorort der kleinasiatischen christlichen Geisteskultur aber gewann
das benachbarte Antiochia die größte Bedeutung, das seinen Anspruch auf die kirchliche
Führerschaft Kleinasiens erfolgreich mit der Tradition von dem Episkopat des Petrus zu
begründen wußte. Auch die Kunst hat dem Ausgleich, durch den die anfänglichen Gegen-
sätze zwischen der Großstadt am Orontes und den kleinasiatischen Gemeinden zugunsten der
judenchristlichen antiochischen Richtung beendet worden waren, sowie der Vorstellung von der
apostolischen Gesamtkirche und der Mittlerschaft der Hauptapostel sinnbildlichen Ausdruck
gegeben.
Antiochia fiel von jeher die Vermittlerrolle zwischen dem griechischen und dem semiti-
schen Christentum zu, das sich im syrischen Hinterlande mit erstaunlicher Kraft und Eigenart
entfaltete. Die jüdische Mission hatte ihm bis in das obere Mesopotamien hinauf vorge-
arbeitet, wo sich schon zu Anfang des 3. Jahrhunderts das Reich von Osroene mit der Haupt-
stadt Edessa zum Christentum bekannte. In Syrien erhielt der Kult seine phantasievolle
Ausgestaltung und seine feste Regel in den sogenannten apostolischen Konstitutionen und
ähnlichen Kirchenordnungen. Die jüdische Apokalyptik mit ihrer mythologischen Bildersprache
entflammte die Phantasie des stammverwandten Syrertums zur höchsten Glut. Aber sie beein-
flußte auch die griechischen Kirchenlehrer aus Kleinasien, wie schon die Schriften eines
10 GRIECHISCHE UND SYRISCHE CHRISTLICHE LITERATURBLÜTE

Irenaus (J202) erkennen lassen. Der jüdische Engelglaube verquickte sich in Antiochia im
5. Jahrhundert mit neupythagoräischen philosophischen Spekulationen in der „himmlischen
Hierarchie“ des Pseudodionysius Areopagita. Auch im Kult sehen wir schon früh in einer
mystischen Ausdeutung der liturgischen Handlung und des Altargeräts apokalyptische Ge-
danken sich durchsetzen. Von der anderen Seite mündete die in Antiochia fortblühende
griechische Rhetorik in die christliche Erbauungsliteratur ein. Aus der antiochenischen Schule
gingen die gewaltigen Kirchenredner des 4. Jahrhunderts hervor: Basilius der Große (J*379)
und vor allem Gregor von Nazianz (f 397), dem die feurige Beredsamkeit seiner Homilien
den Namen des Theologen eintragen sollte. In seinen Dichtungen aber erreicht er den Gipfel
schwungvollster christlicher Gedankenpoesie, die er noch in die klassischen Maße des Hexa-
meters bannt. In der Folge verblaßt jedoch die üppige Blüte dieses christlichen Triebes
griechischer Wortkunst, während daneben die junge syrische Volksliteratur, sie immer kräftiger
überschattend, emporwächst. In den Dienst des Kultus selbst tritt hier die Hymnendichtung
zum Preise der fleischgewordenen Gottheit und der Gottesmutter mit neuen, der Psalmodie
an verwandten Rhythmen, die im 4. Jahrhundert dem Ambrosianischen Kirchengesang schon
zum Vorbild wird, im 5. Jahrhundert aber, von der griechischen Kirche in getreuer Nach-
bildung aufgenommen, selbst in Byzanz Wurzel schlägt. Ist doch der berühmte Melode
Romanos wahrscheinlich ein geborener Syrer gewesen. Gleichzeitig dichtet der semitische
Volksgeist in Syrien und Palästina am Evangelium weiter und spinnt besonders die Marien-
legende, das Jugendleben und Leiden Christi im „Protoevangelium“ des Jakobus, und anderen apo-
kryphen Berichten aus. In den weltentrückten Klöstern, deren Zahl und Ruf bald die ägypti-
schen Einsiedeleien hinter sich läßt und sich schnell bis in das obere Mesopotamien ausbreitet,
entstehen die Legenden von der Auffindung des heiligen Kreuzes durch die Kaiserin Helena,
von wundertätigen, nicht von Menschenhänden gemalten Bildern, zahlreiche Heiligenleben,
und theologische Traktate. Hier wird schon im 4. Jahrhundert die apokalyptische Dichtung
durch die Weltgerichtsschilderung des Styliten Ephraim mit dem großartigsten religiösen
Phantasiegemälde vor Dantes Hölle zur Vollendung gebracht. Eine Quelle unerschöpflicher
Anregungen hatte sich diesem Schrifttum erschlossen, als Jerusalem durch Konstantin den
Großen mit den Bauten am heiligen Grabe beschenkt worden war, über die der Kirchenvater
Eusebius von Cäsarea (f 338) als erster Augenzeuge berichtet und die bald auch vom fernsten
Westen Pilger heranzogen. Der Kult der heiligen Stätten Palästinas war dadurch in den
Mittelpunkt des religiösen Lebens der gesamten christlichen Welt gerückt und schöpfte aus
der Kreuzeslegende fortdauernd kräftige Nahrung. Antiochia mußte seitdem, besonders nach
der Erhebung des feurigen Cyrill zum Patriarchen von Jerusalem (f 386), das Primat über
das eigentliche Syrien mehr und mehr an die Hauptstadt des Heiligen Landes abgeben.
Für Syrien, das nie eine nationale, politische und kulturelle Zusammenfassung gesehen
hatte, unter dem Schutze des römischen Reiches aber seine wirtschaftlichen Kräfte immer
reicher hatte entwickeln können, wird das Christentum zur Nationalreligion, die alle schlum-
mernden Volkskräfte wach rief. Der Gewerbefleiß seiner Bevölkerung macht es zum ersten
Industrieland des ausgehenden Altertums, und die Verfeinerung aller Technik kommt auch
der bildenden Kunst zugute. Die ausschlaggebende Bedeutung des syrischen Kunstschaffens
für die Grundrichtung der gesamten christlichen Kunst werden wir freilich erst völlig er-
messen, wenn ihr Einfluß auf den übrigen Osten und auf das mittelalterliche Abendland
einmal ganz klar erkannt sein wird. Sind uns doch, die Baukunst ausgenommen, nur dürftige
Reste von ihr erhalten geblieben. Gleichwohl erlauben die glücklicherweise noch in stattlicher
KIRCHLICHE RICHTUNG DER SYRISCHEN KUNST 11

Zahl in den Kirchenschätzen Europas bewahrt gebliebenen Denkmäler der Kleinkunst: Elfenbein-
schnitzereien, Silberarbeiten und Miniaturen, auch innerhalb der altchristlichen Bildnerei und Ma-
lerei die schon im 3. Jahrhundert einsetzende antiochenische Kunstrichtung im treuen Spiegelbilde
zu erkennen, und ihre allmähliche Umwandlung unter der Einwirkung Palästinas und Zentral-
syriens zu beobachten. Denn dieselbe langsame, aber stetige Zurückdrängung des griechischen
Geistes durch den semitischen wie die christliche Literatur Syriens verrät auch die bildende Kunst.
Antiochia, das im 4. Jahrhundert geradezu die zweite Hauptstadt der oströmischen
Reichshälfte war, hat zuerst auf die Weiterbildung der frühchristlichen Kunst eine tiefgreifende
Einwirkung ausgeübt. Gegen Ausgang des 3. Jahrhunderts hatte sich bereits — vielleicht auch
von dorther oder in Kleinasien — das basilikale Bauschema (Abb. 5) für den in kräftiger
Entwicklung begriffenen Kirchenbau durchgesetzt. Nunmehr wird der gesamte Bildstoff in
geregelte Beziehung zum Kirchengebäude gebracht, wodurch die Kunstübung eine veränderte
Richtung erhält. Der sepulkrale Bilderkreis erfährt eine Erweiterung, aber auch manche Be-
schränkung. Dabei wendet die Auffassung sich lebhafter dem geschichtlichen Vorgang als solchem
zu. Die alttestamentlichen Szenen werden nicht mehr ihrer sinnbildlichen Bedeutung wegen ein-
zeln dargestellt, sondern schließen sich zu erzählenden Folgen aus dem Leben des Moses,
Daniels, Davids u. a. zusammen. Die Reihe der Wunder aus dem Neuen Testament wird
vermehrt, auch kommen schon einzelne christologische Darstellungen hinzu, die auf das Leiden
des Herrn hinweisen. Beherrschend aber tritt die kirchliche Bildallegorie in der Darstellung
repräsentativer Lehrversammlungen in den Vordergrund. Mit ihnen wird das Lämmergenre
unter Einwirkung apokalyptischer Vorstellungen in engere Verbindung gesetzt (Abb. 4), während
die Fischsymbolik von Anfang an im antiochenischen Kunstkreise wenig Anklang gefunden zu
haben scheint und gänzlich verblaßt. Der antiochenische Stil löst den alexandrinischen im
Laufe des 4. Jahrhunderts auch im Abendlande ab und weist vor allem der rasch erblühen-
den kirchlichen Malerei die Wege, aber er unterliegt gleichzeitig selbst einer Rückwirkung
von anderen Kunststätten her, in die er vordringt.
Die staatliche Anerkennung des Christentums eröffnete der Kunst des Ostens Aufgaben
von monumentaler Bedeutung. Als Konstantin der Große und seine Söhne in Palästina und
in Byzanz sowie auch in Rom glänzende Denkmalskirchen aufzuführen begannen, mußte
der darstellende Stil einen feierlicheren und pomphaften Charakter annehmen. Die Mosaik-
malerei, deren Technik besonders in Antiochia einen Aufschwung nahm, trat an die Stelle
der leichten Pinselkunst. Die Kompositionen aber, mit denen sich die neuen prächtigen Hei-
ligtümer schmückten, wurden den repräsentativen Zeremonialbildern der Staatsgebäude und
der Kaiserpaläste nachgeschaffen. Denn die offiziellen Typen dieser profanen Kunst hatten
ihre gefestigte Tradition, mögen sie nun auf römischem Boden entstanden oder größtenteils
in der älteren Kaiserzeit aus den hellenistischen Reichen übernommen sein und durch neue
Einflüsse des Ostens gewisse Wandlungen erfahren haben. Die unmittelbare Verbindung
zwischen der Kaiserstadt am Bosporus und Palästina rief auf dem Boden des heiligen Landes
eine Lokalschule hervor, der zweifellos die besten Kräfte Antiochiens zuströmten, die aber
auch einem nachhaltigen Einfluß von Byzanz unterworfen war, wie schon die dekorativen
Formen der Architektur verraten. Dann aber begann das eigentliche Syrien auf die Fort-
bildung der palästinensischen Kunst einzuwirken. Dieser Einfluß färbte die Vorstellungen
von der geschichtlichen Persönlichkeit Christi und der Gottesmutter, die der Kult durch por-
träthafte Darstellungen auf Grund einer schnell um sich greifenden Legendendichtung von
der wunderbaren Entstehung oder Erhaltung solcher Ikonen zu verlebendigen wußte, mit rassen-
12 ORIENTALISIERUNG DER CHRISTLICHEN KUNST

haften Zügen. Das historische Christusideal (Abb.4) wird in Palästina und in Syrien anschei-
nend aus einem älteren antiochenischen bärtigen Idealtypus entwickelt, keineswegs in einheit-
licher, vielmehr in recht ungleichartiger Gestaltung. In Palästina hat die Legende vom Schweiß-
tuch der Veronika ihren Ursprung, zu dem das Mandilion von Edessa ein Seitenstück bildet.
Ein wunderkräftiges Muttergottesbild befand sich mindestens seit dem 6. Jahrhundert im
palästinensischen Lydda. Aber nicht nur die repräsentative, sondern auch die erzählende
Bildkunst nimmt im heiligen Lande ausgeprägten Lokalcharakter und stärkeren Wirklichkeits-
ausdruck an. Durch Anknüpfung an die Stätten des Erdenwandels Christi wird sie zur Auf-
nahme mancher Gebilde der Natur oder der kirchlichen Einrichtung, an denen der Kult
haftete, wie z. B. der Geburtshöhle von Bethlehem, des Heiligen Grabes u. a. m. angeregt. Sie
sucht engeren Anschluß an orientalische Sitte und Tracht und das kirchliche Zeremoniell.
Und indem sie sich mit tiefster innerer Ergriffenheit in die vermeintliche Wirklichkeit der
neutestamentlichen Vorgänge versenkt, erweitert sie den christologischen Zyklus und bildet
sie die meisten Typen des antiochenischen Bilderkreises mehr oder weniger um. Die Kloster-
kunst aber verbreitet die neuen Kompositionen namentlich durch die Buchmalerei, ohne daß
diese darum auf eigene Erfindung verzichtete, über das ganze Hinterland bis nach Mesopo-
tamien, das schon im 5. Jahrhundert einen Herd christlichen Mönchlebens darstellte. Inner-
halb des typischen Grundbestandes der Bilder bewegt sich dieselbe in der beliebten Rand-
illustration, sei es des Evangeliums oder des Psalters, ziemlich frei. Aber bei aller Le-
bendigkeit der Phantasieanschauung geht ihr doch bald die formale Beherrschung der Men-
schengestalt, wie die alexandrinische Miniatur sie besaß, mehr und mehr verloren, weil das
Kunstvermögen der orientalischen Rassen die primitiven Vorstufen der zeichnerischen Dar-
stellung nie selbständig überwunden hatte. Dieser Zug zur unorganischen, vom Gesamtein-
druck beherrschten Auffassung der Körperbewegung übt auf die Fortentwicklung der syrisch-
palästinensischen Kunst einen nachhaltigen Einfluß, indem er sich mit der repräsentativen
Richtung der Monumentalmalerei verbindet. So vollendet sich im Laufe des 5. Jahrhunderts,
gefördert durch einen wachsenden Nebeneinfluß des sassanidischen Stils, in dem das Kunst-
wollen des alten Orients wieder aufgelebt war, die Orientalisierung der altchristlichen Kunst.
In Syrien löst sich auch die antike Akanthusdekoration auf, um mit orientalischen Rosetten-
und Palmettenmotiven und der mesopotamischen Weinblattornamentik oder gar mit Gebilden
der sassanidischen Zierkunst neue Verbindungen einzugehen. Andrerseits gefällt sie sich
in der Vervielfältigung geometrischer Flächenmuster. Hier liegen die Vorstufen sowohl für
die islamitische, wie für die altbyzantinische Ornamentik. Eigene Wege geht endlich die Bau-
kunst des eigentlichen Syrien, doch hat ihre Hausteintechnik auf Byzanz keinen bemerkens-
werten Einfluß ausgeübt, wohl aber hat sie auf Mesopotamien und im frühen Mittelalter
auf das Abendland bestimmend eingewirkt.
Haben nächst Alexandria vor allem Antiochia und Palästina die grundlegende künstlerische
Gestaltung der christlichen Vorstellungen vollbracht, so liegt die Bedeutung von Byzanz darin,
daß es diese ganze Kunst zusammengefaßt und vereinheitlicht hat, d. h. mehr auf der formalen,
als auf der gegenständlichen Seite der altchristlichen Stilbildung. Wie die konstantinopolita-
nische Kirche ihre Organisation in Anlehnung an Syrien und Palästina geschaffen hat, —
ihr erster großer Vertreter ist der syrische Grieche Johannes Chrysostomus (f 407), — so
übte wohl auch die antiochenisch-palästinensische Kunst in Byzanz bis in das 5. Jahrhundert
eine Art Vorherrschaft aus. Schöpferisch ist das altbyzantinische Kunstschaffen vor allem in
der kirchlichen Architektur, wenngleich es auch in ihr nur eine Entwicklung zu großartigem
VEREINHEITLICHUNG DER CHRISTLICHEN KUNST IM BYZANTINISCHEN STIL 13

Abschluß bringt, die auf dem Boden Kleinasiens anhebt, ohne darum, zum mindesten im Nutzbau,
orientalische und alexandrinische Bauformen zu verschmähen. Die umfangreiche Bautätigkeit
der oströmischen Kaiser macht sich vor allem den Backsteinbau zu eigen, der anscheinend aus
den hellenistischen Großstädten des Orients aufgenommen und nach ganz anderen konstruk-
tiven Prinzipien, als in Rom, weiter entwickelt wird. In dieser Bautechnik werden die beiden
Haupttypen des altchristlichen Kirchengebäudes, zwischen denen sich bereits in Syrien und
Kleinasien eine Vereinigung angebahnt hatte, im Schöpfungsbau der Hagia Sophia zum ein-
heitlichen und für das ganze Mittelalter vorbildlichen Schema der Kuppelbasilika (Abb. 7)
verschmolzen. Daneben steht der kreuzförmige Bautypus in ebenbürtiger, aber nicht so folgen-
reicher Vollendung da. Hellenistische Traditionen fortsetzend, nimmt Byzanz zur Ausschmückung
des Kirchenraumes die polychrome Wandvertäfelung hinzu und bringt mit ihr die zu strenger
Flächenkomposition fortschreitende Mosaikmalerei als Gewölbeschmuck in die innigste Ver-
bindung, während es seine architektonischen Zierformen aus dem von Kleinasien übernommenen
antiken Blattkapitell und korinthischen Gebälk durch Verquickung mit syrischen und palästinen-
sischen dekorativen Elementen gewinnt. Schon im 5. Jahrhundert versorgen die Marmorwerk-
stätten der Prokonnesosinsel im Marmarameer die Küstenländer des gesamten Mittelmeeres
bis nach Nordafrika mit den neuen Kapitelltypen. Unter Justinian (527—565) greift vollends
die hauptstädtische Baukunst als Dienerin der kaiserlichen Fürsorge im ganzen Reiche ein,
wo große Aufgaben zu lösen sind.
In paralleler Entwicklung reift der byzantinische Stil in den bildenden Künsten aus.
Im 4. und 5. Jahrhundert läßt die Bildnerei noch den Anschluß an auswärtige Vorstufen
erkennen, die teils dem prokonnesischen Kunstkreise, teils der durch zugewanderte Steinmetzen
herüberwirkenden syrischen Kunst zuzurechnen sind. Bald aber gleicht das erstarkende byzan-
tinische Stilgefühl ihre Gegensätze aus. Es ist, wie in der offiziellen Kunst der Staatsdenk-
mäler, vorwiegend auf charakteristische Ausprägung der individuellen Erscheinung gerichtet
und knüpft daher vorzugsweise an die palästinensischen Typen an, bildet sie jedoch organischer
durch, wie es auch, den Anregungen der syrischen Bildnerei folgend, einen eigenartigen optischen
Reliefstil herausarbeitet. In der Rundplastik weiß der historische Realismus der altbyzan-
tinischen Kunst sogar den primitiven ägyptischen Standbildern fruchtbare Gedanken für seinen
Monumentalstil abzugewinnen, der unter Justinian wieder einer gewissen klassizistischen Eleganz
zustrebt. Die Malerei wird fortdauernd von eklektischen Neigungen beherrscht, um schließlich
doch durch schlichten Naturalismus gebändigt zu werden. Das bezeugen die aller Wahrschein-
lichkeit nach in Konstantinopel entstandenen Purpurcodices mit ihren, teils nach alexandrinischen,
teils nach syrischen Vorlagen ausgeführten Miniaturen. Eine Sammlung altchristlicher Bilder-
handschriften, die im Mittelalter den Anstoß zur Wiedererweckung des malerischen alexan-
drinischen Illustrationsstils gab, bewahrte die von Konstantin dem Großen im Oktogon angelegte
Bibliothek. Durch solchen fortgesetzten Kunstimport speicherten sich in Konstantinopel ver-
schiedene Redaktionen alt- und neutestamentlicher Bilderzyklen auf, doch behielt in der kirch-
lichen Mosaikmalerei die palästinensische Ikonographie die Oberhand. Ihre Entwicklung ver-
gegenwärtigen uns vor allem die in Ravenna, Rom und anderwärts erhaltenen Denkmäler,
während die Beschreibungen griechischer Schriftsteller von ihren untergegangenen oder noch
heute unter türkischer Tünche verborgenen Vorbildern in den Heiligtümern von Byzanz wenigstens
eine schwache Vorstellung vermitteln; und ebenso von den glänzenden Zeremonialbildern,
Schlachtschilderungen und Allegorien des großen Kaiserpalastes. Wird doch die altbyzan-
tinische Kunstblüte, die nicht wie die syrische unmittelbar von der poetischen Gestaltung an-
14 ABHÄNGIGKEIT ROMS UND DES ABENDLANDES VOM OSTEN

geregt wurde, umgekehrt von einer an hellenistische Überlieferungen anknüpfenden Literatur-


strömung begleitet, die sich die Erläuterung (Ekphrasis) der Kunstwerke zur Aufgabe macht
und die lebhafte Anteilnahme der höheren byzantinischen Gesellschaft an dem künstlicheren
Schaffen der Zeit bezeugt. Die Bauten Justinians zu verherrlichen, wetteifern der Historiker
Procop von Cäsarea und Paulus Silentiarios, der Verfasser eines in der antikisierenden Sprach-
form der Nonnosschule abgefaßten Gedichts zur Neuweihe der Hagia Sophia (558 n. Chr.).
Höfischer Prunk und Etikette wirft ihren Abglanz auf die feierlichen repräsentativen Kompo-
sitionen des 6. Jahrhunderts. Den durch und durch theokratischen Geist des justinianischen
Zeitalters aber verrät die von dogmatischen Gedanken ausgehende Scheidung der Typen und
Zusammenordnung der Szenen im kirchlichen Bildschmuck. So sichtet Byzanz mit der un-
erschöpften Kraft der griechischen Rasse das überreiche künstlerische Erbe des christlichen
Orients und fügt es dem großen System seiner religiösen und staatlichen Gesellschaftsordnung
ein. Hier vermochte der ein Jahrtausend alte Stamm noch im späten Mittelalter aus eigenen
Wurzeln neue Triebe zu zeugen.
Fragen wir endlich nach der Rolle, die das Abendland im Werden der altchristlichen
Kunst gespielt hat, so kann sie heute entgegen früheren Anschauungen, nur als nebensächlich
angesehen werden. Sie beschränkt sich auf lokale Nachahmung und Abwandlung der dem
Osten entlehnten Formen und Motive, — in Rom so gut wie in Nordafrika und in Gallien. Mit
der sinkenden politischen und kulturellen Bedeutung der westlichen Reichshälfte ging ihr seit
dem 5. Jahrhundert auch jede selbständige künstlerische Regung verloren. Zwar wuchs innerhalb
der auseinanderfallenden Länder die lateinische Kirche allmählich zu einer neuen zusammen-
fassenden Kulturmacht heran, aber sie vermochte schöpferische Kräfte erst zu wecken, als
die jungen germanischen Völker sich mit den eingesessenen Rassen vermischt und in die christ-
liche Lebensordnung eingelebt hatten. Bis zu diesen neuen, von einem primitiven Kunstwollen
beherrschten Anfängen, d. h. bis zur karolingischen Epoche und in Italien noch länger, zehrt
die kirchliche Kunst des Abendlandes von ihrem alten Kunstbesitz und sucht ihn nur durch
wiederholte Anleihen beim Orient und bei Byzanz zu vermehren. Grundlegend für das mittel-
alterliche Kunstschaffen des Westens ist aber doch im wesentlichen die ungleich innigere
Aneignung der altchristlichen Kunst im 3. und 4. Jahrhundert geblieben. In dieser Periode hat
besonders Rom in der kirchlichen Malerei den entlehnten Bildstoff mit dem Geiste seines Kults
zu durchdringen gewußt. Neben der umsichgreifenden Märtyrerverehrung, die einen Damasus
zur Abfassung schwungvoller Grabinschriften in klassischen Hexametern begeisterte und auch
in der späteren Katakombenmalerei ihren deutlichen Ausdruck findet, hat es vor allem die
Tradition von dem Wirken der Apostelfürsten in den Vordergrund gerückt und die antiochenisch-
palästinensischen Bildallegorien um so williger aufgenommen, als ihre Gestalten darin schon
aus dem Kollegium hervorgehoben erscheinen. Trägt doch auch die abschließende Redaktion
der Petrus- und Paulusakten den Stempel römischer Mitarbeit. Diese Kompositionen der
kirchlichen Malerei dringen auch in die gleichzeitige Katakombenkunst ein. Noch im 5. Jahr-
hundert beruft Rom orientalische und byzantinische Mosaizisten zur Ausschmückung seiner
Kirchen. In ihrer Gesamtheit aber ist die palästinensische Ikonographie vom Abendlande
nicht mehr aufgenommen worden. Wie dieses am basilikalen Typus des Kirchengebäudes
festhält und aus ihm im Mittelalter seine gewölbten Dome und Kathedralen entwickelt hat,
so bleibt in den darstellenden Künsten die antiochenische Redaktion des christlichen Bilder-
kreises dauernd die Grundlage der ikonographischen Entwicklung. Darauf beruht in der Haupt-
sache der durchgehende Gegensatz in der Wiedergabe derselben Szenen, besonders des Neuen
DIE SPALTUNG UND DER EINFLUSS DES OSTENS AUF DEN WESTEN 15

Testaments zwischen abendländischen und byzantinischen Malereien oder Bildwerken des


Mittelalters. Erst die beginnende nationale Stilbildung in Frankreich, Deutschland und Italien
hat eine freiere Abwandlung der altüberlieferten Typen eingeleitet. So lange die lateinische
Kirche allein den ererbten Kunstbesitz verwaltet, zeigt sich nirgends ein lebhafteres neuerndes
Streben. Sie war zu sehr durch die Aufgaben des politischen und praktischen Lebens und
durch ihre eigene innere Organisation in Anspruch genommen, als daß sie die Kunst zu
frischem Aufschwung hätte beflügeln können. Ihre Liturgie ist mehr auf das bedeutsame
Wort, als auf ausmalende Anschaulichkeit gerichtet. Mit dem Orient stand noch die Theo-
logie eines Ambrosius (f 397) und Hieronymus (f 420) in engerer Fühlung, die vorwiegend
auf die Moralphilosophie gerichtete allegorisierende Spekulation des Augustinus (f 430) aber, auf
der sich das Dogma der katholischen Kirche vor allem aufbaut, erhebt sich schon in abstrakte
Höhen, in die ihr die künstlerische Phantasie nicht folgen konnte. Moralisierend und phan-
tasiearm im Vergleich mit den aus naivem Volksempfinden strömenden Hymnen des Orients
ist auch die Poesie der altchristlichen lateinischen Dichter, von denen Prudentius der christ-
lichen Buchillustration noch den kräftigsten Antrieb gegeben hat, — doch scheint diese sich
von jeher vorwiegend an griechische und syrische Vorbilder angeschlossen zu haben. Als
einer der letzten hat Gregor der Große (f 604) die Weltanschauung der abendländischen
Christenheit durch Zuleitung orientalischer Vorstellungen bereichert. Während des ganzen
Mittelalters aber hörten, wenigstens in Italien, die Anleihen der bildenden Kunst beim byzan-
tinischen Osten nicht auf. Ein Vorposten griechischer Kunstübung im Abendlande wird Venedig,
wie es im 5. und 6. Jahrhundert Ravenna gewesen ist. Die allmähliche Aneignung der ein-
drucksvolleren byzantinischen Motive und ihrer überlegenen Formengebung in verschiedenen
Kunstkreisen des Abendlandes bildet das Problem der sog. byzantinischen Frage. Daß diese
Anregungen besonders bei der Entstehung des zeichnerischen Stils der Gotik einen fördernden
Einfluß auf die westeuropäische Kunst ausgeübt haben, kann heute nicht mehr geleugnet
werden. Allein die tiefe Spaltung zwischen der West- und Osthälfte Europas, die im 9. Jahr-
hundert n. Chr. durch das kirchliche Schisma vollendet wurde, konnte immer nur überbrückt
und niemals ausgeglichen werden, denn sie rührt im letzten Grunde von der verschiedenen
geistigen Veranlagung der führenden Völker und von der sprachlichen Zweiteilung der antiken
Kulturwelt her. Trotzdem ist der byzantinische Stil, vor allem durch seine vorbildliche Wirkung
auf die sich entfaltende italienische Kunst, mittelbar auch für die Kunst der lateinischen und
germanischen Völker zu einem mitbestimmenden Element geworden. Für die unter die Herrschaft
des Islam geratenen christlichen Völker des Orients aber, unter denen die altchristliche Tra-
dition seit dem zweiten Jahrtausend unaufhaltsamer Entartung verfiel, wird er im späteren
Mittelalter zum kräftigsten Träger des künstlerischen Gedankenausdrucks.
Der hier im raschen Überblick durchmessene Entwicklungsgang der altchristlichen Kunst ist in ein-
gehender Darstellung von Schritt zu Schritt zu verfolgen. Die ganze Betrachtungsweise stützt sich nicht
allein auf eine Reihe neuerer Entdeckungen im Orient, — bilden doch die im Abendlande erhaltenen Denk-
mäler nach wie vor das umfangreichere Forschungsmaterial, — sondern mindestens in gleichem Maße auf
die Beweiskraft der Rückschlüsse aus den einhelligen ikonographischen und stilgeschichtlichen Tatbeständen.
Sie bedeutet einen entschiedenen Bruch mit älteren Anschauungen, wie er sich im Laufe der letzten andert-
halb Jahrzehnte vollzogen, aber schon seit längerer Zeit vorbereitet hat. Daß die frühchristliche Kata-
kombenkunst nicht ein bodenwüchsiges Erzeugnis Roms sei, wurde schon in der letzten umfassenden Bearbei-
tung des Qesamtgebietes von F. X. Kraus, Geschichte der Christlichen Kunst, Freiburg i. B. 1896, I, aner-
kannt, ihr Ursprung aus Alexandria vermutet; vgl. dazu E. Dobbert, Repertorium f. K. Wiss., 1898, S. 1 ff.
Doch maßen ihr sowohl Kraus wie auch V. Schultze, Archäologie d. christl. Kunst, München 1895, und noch
A. Perate bei A. Michel, Hist, de Part, Paris 1905, I, 1, p. 1 —96, im wesentlichen eine selbständige Entwicklung
16 LITERATURÜBERSICHT ÜBER DIE NEUERE FORSCHUNG

bei. Viel bestimmter haben schon, gestützt auf die Schriftquellen, Ch. Bayet, Recherches p. s. ä l’hist. de la
peint. et sculpt. ehret, en Orient, Paris 1879 (Bibi, des Ecoles fr. d’Athenes et de Rome, X) und N. Kondakow,
Sitz.-Ber. d. Orthodoxen Palästina-Ges., 1892 (März, russisch), für das nachkonstantinische Zeitalter dem
Orient die führende Rolle zugeschrieben. Die Abgrenzung seiner Kunstkreise aber wurde vorwiegend auf
Grund der Denkmäler der Kleinkunst zuerst von D. Ainalow, Die heilenist. Grundlagen der byzant. Kunst,
St. Petersburg 1900 (russisch), erfolgreich in Angriff genommen; vgl. meinen Bericht im Repert. f. K. Wiss.,
1903, S. 34 — 55. Das Verdienst, der neuen Erkenntnis in der deutschen Wissenschaft die Bahn gebrochen
zu haben, gebührt J. Strzygowski; vgl. außer seinen wiederholt anzuführenden Spezialarbeiten vor allem:
Orient od. Rom, Leipzig 1901, sowie Byz. Denkm. III, S. I —XXVIII; Die Schicksale des Hellenismus in d. bild.
K-, Neue Jahrbücher f. klass. Altertum, 1905, XV, S. 19ff. und Altchristi. K. bei F. M. Schiele, Die Religion in
Gesch. u. Gegenwart, I, S. 381—397. Als neuer Vertreter der älteren Richtung eines Raoul Rochette u. a.
sucht hingegen L. v. Sybel, Die christl. Antike, Marburg 1906 u. 1909, I. u. II. (mit überaus nützlicher
kritischer Materialübersicht), eine engere Abhängigkeit der christlichen Kunst von der griechisch-römischen
zu erweisen, hat jedoch nur bedingte Zustimmung gefunden. Meine Stellungnahme zu diesen Hauptrich-
tungen der jüngeren Forschung habe ich in summarischer Erörterung der wichtigsten Fragen im Repert.
f. K. Wiss., 1911, S. 281 ff. und 1912, S. 193 begründet. Bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit Strzy-
gowski berührt sie sich in der Scheidung des Anteils der führenden Kunstzentren näher mit der Auffassung
von Ainalow und G. Millet, L’art Byzant. bei Michel, a. a. O. I, 1, p. 127—301 und in der byzantinischen
Frage auch mit Ch. Diehl, Manuel d’art byz., Paris 1910; vgl. dazu im einzelnen Lit. Centralbl. 1911,
S. 1091 ff., sowie auch A. Baumstark, Röm. Quartalschr., 1908, II, S. 17 ff. Für ein besseres Verständnis
der ästhetischen Bedeutung der altchristlichen Kunst hat vor allem A. Riegl, Die spätröm. Kunstindustrie,
I, Wien 1901 (Einleitung), den Grund gelegt, wenngleich seine Analyse vielfach und der historische Auf-
bau durchweg einer Zurechtstellung bedarf. Vgl. auch A. Schmarsow, Grundbegriffe der K. Wiss., Leipzig
1905. Nicht als innerlich notwendige Fortsetzung einer schon in der mittleren Kaiserzeit anhebenden Stilphase,
sondern als eine durch den ablenkenden Einfluß orientalischen, besonders semitischen Kunstgeistes bewirkte
Umbiegung des hellenistischen Stils ist die altchristliche Kunst zu verstehen. Sie erwächst aus einer durch-
weg synthetischen Entwicklung auf der allgemeinen Kulturgrundlage der Rassenmischung, des religiösen
Synkretismus und der politisch-sozialen Umwälzung. Über diese Voraussetzungen unterrichten O. Seeck,
Gesch. des Untergangs d. ant. Welt, Berlin 1895—1909, I (3. Aufl. 1910) — III, und V. Schultze, Gesch.
des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums, Jena 1887 u. 1892, I u. II. Über die religions-geschicht-
lichen Zusammenhänge vgl. O. Pfleiderer, Die Entstehung des Christentums, München 1905, und P. Wendland,
Die hellenist.-röm. Kultur in ihren Bez. zum Christentum und Judentum, Tübingenl907 (2. u. 3. Aufl. 1912),sowie
L. v. Sybel, a. a. O., I, S. 1—80 (mit weiteren bibliogr. Nachweisen). Das Wachstum des Christentums in den
verschiedenen Reichsgebieten und Außenländern behandelt A. Harnack, Die Mission und Ausbreitungdes Christen-
tums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1902 (2. Aufl. 1906) I u. II. Seine Werke sind vollends für Dogmen-
und Literaturgeschichte grundlegend; im übrigen vgl. zur letzteren die Gesamtübersicht bei Sybel, a. a. O.,
I, S. 30 — 37, und für die syrische, koptische usw. C. Brockelmann, Gesch. d. christl. Literaturen des Orients,
Leipzig 1907. Zur Entstehungsgeschichte des Kults und der Liturgie vgl. vor allem L. Duchesne, Les origines
du culte ehret., Rome 1908 (4me ed.), und A. Baumstark, Die Messe im Morgenland, Kempten u. München
1906. Die gesamte Organisation des vorkonstantinischen Christentums schildert zusammenfassend H. Achelis,
Das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1912, I u. II. Das umfassendste (nicht fehler-
freie) Corpus der Kunstdenkmäler bietet Garrucci, Storia dell’arte cristiana, Prato 1880/81, I—VI. Von
neueren systematischen Kompendien tragen den jüngsten Forschungsergebnissen Rechnung C. M. Kaufmann,
Handb. d. christl. Archäol., Paderborn 1905 (2. Aufl. in Vorbereitung) und H. Leclercq, Manuel d’archeol.
ehret., Paris 1907, I u. II (im einzelnen nicht durchweg verläßlich), sowie hauptsächlich für den Osten
(mit Ausschluß der Baukunst) O. M. Dalton, Byzant. art and archaeol., Oxford 1911, die den Handbüchern
von O. Marucchi, Lowrie u. a. m. vorzuziehen sind. Ein durch vollständigste Materialbeherrschung aus-
gezeichnetes Hilfsmittel bildet das seit 1904 erscheinende Lexikon von Cabrol, Dictionaire d’archeol. ehret,
et de liturgie, Bruxelles 1907 (I), 1910 (II) ff., daneben behalten jedoch Bedeutung F. X. Kraus, Realencykl.
d. christl. Altertümer, Freiburg i. B. 1882/86, I. u. II, und J. Herzog, Realencykl. f. protest. Theol. u. Kirche,
з. Aufl., hsg. v. A. Hauck, 1896—1909, I—XXI (folgen zwei Ergänzungsbände). Unter den (vorzugsweise)
in deutscher Sprache redigierten Zeitschriften stehen voran die Röm. Quartalschrift f. Christi. Altert.-Kde.
и. Kirchengesch. (seit 1887), die Byzant. Zeitschr. (seit 1892) und der Oriens Christ, (seit 1900; N. F. 1911);
die Bibliographie wird zusammenfassend ergänzt durch den Theol. Jahresbericht (Abt. VII., Kirchl. Kunst).
SEPULKRALER URSPRUNG DER CHRISTLICHEN KUNST 17

Abb. 8. Doppelkammer in der jüdischen Katakombe der Vigna Randanini in Rom (im Durchblick Schiebegrab).

II.

Die Kunst der altchristlichen Grabstätten.

In den Behausungen der Toten knüpften sich die ersten Beziehungen der Kunst zur neuen
Lehre. Lange bevor das christliche Gotteshaus entstand und dem Bilde Einlaß gewährte,
fiel ihr die Aufgabe zu, das Grab des Christen zu gestalten und zu schmücken. Die Abson-
derung von allem heidnischen Wesen war hier von Anfang an geboten, haftete doch an den
antiken Grabstätten der Totenkult. „Im Leben Gemeinschaft haben mit den Heiden ist erlaubt,
im Tode nicht“, schreibt Tertullian (f 230 n. Chr.). Das hinderte jedoch nicht, daß die Heiden-
christen an tiefeingewurzelten Lebensgewohnheiten, so weit sie irgend mit dem christlichen
Glauben verträglich waren, festhielten. Und dazu gehörte nun einmal der künstlerische Schmuck
des Grabes, nur galt es, ihn den neuen Vorstellungen anzupassen, — was bald genug gelang.
Andrerseits mußte unter ihrem Einfluß das antike Begräbniswesen eine stärkere Beschrän-
kung dadurch erfahren, daß das Christentum, in Übereinstimmung mit der jüdischen Sitte,
die Leichenverbrennung verwarf und nur die Bestattung zuließ. Die religiösen Anschauungen
der Christen finden ihren Ausdruck auch in der echt christlich gedachten Ausdehnung des Namens
der Koimeterien (xoippTTpiov = coemeterium, „Schlafkammer“) auf die gemeinsamen Ruhestätten,
welche unterirdische Grüfte (Hypogäen), Gräber zu ebner Erde, freistehende Särge und zu
Gruppen vereinigte Grabbauten umfassen. Für die Art der Grabanlage aber gab es keine
Vorschrift, — örtliche Gewohnheit behielt weitgehende Geltung.
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 2
18 VORBILDLICHE BEDEUTUNG DER JÜDISCHEN GRÜFTE PALÄSTINAS

Abb. 10. Katakombe


Abb. 9. Jüdisches Felsgrab am Berge in Palmyra
des Bösen Rats bei Jerusalem: Grundriß und Schnitt durch
A Vorhalle, B Kammer, C Schiebegrab (1: 450) A-B (1: 400)
(nach Zeitschr. d. D. Paläst.-Ver. 1878). (nach Bull. del’Inst. archeol. russe ä C-ple 1902).

1. Grüfte (Hypogäen) und oberirdische Grabanlagen.


Palästina.

Die christliche Sitte der Bestattung in Grüften wurzelt im jüdischen Gebrauch (Moses I,
17—20) und stammt aus Palästina, dem Lande der Klüfte und Höhlen. In einem Fels-
grabe war Christus selbst zur Grabesruhe gebettet worden, und das Vorbild des Herrn bot
zweifellos den Anlaß, daß auch bei den Heidenchristen die Beisetzung in Grüften allgemei-
neren Eingang fand. Nach der Ritualvorschrift des Talmud (Bawa Bathra VII, 8) soll die
Grabhöhle vier bis sechs Ellen breit und sechs bis acht lang sein; darin müssen sich acht
bis dreizehn Grabstellen, drei bis vier an jeder Seite und zwei am Eingang, befinden. Diese
beschränkten Maße haben die altsemitische Form der Schiebegräber (Kokim) zur Vorausset-
zung, eine backofenartige Aushöhlung, in der die Leiche mit den Füßen nach vorn zu liegen
kommt und die dann geschlossen wird. Bestimmend für die ganze Einrichtung des Grabes
(Abb.9), das der Hebräer schon bei Lebzeiten für sich und die Seinen herzurichten pflegte
— so tat auch Joseph von Arimathia —, war der starke Familiensinn des Volkes. Ein nie fehlen-
des Zubehör waren die drehbaren steinernen Türen oder ein Verschlußzapfen nebst Rollstein
(z. B. in Abb. 9) und die offne, meist unbedeckte Vorkammer, „daß die Bahre und ihre Träger
da stehen können“. „Man macht auch“, wie dieselbe Mischnastelle vorschreibt, — offenbar
bei größerem Bedürfnis — „vier Höhlen nach den vier Weltgegenden“, war es doch der
nächste Ausweg, an jede Seite des Hauptquadrats — die Eingangsseite ausgenommen —
eine Kammer anzuschließen. Daher finden wir die kreuzförmige Ausgestaltung des Grabes
nicht nur in den Grenzen Palästinas, wo sie z. B. das sogenannte Jakobusgrab bei Jerusalem
mit einigen Unregelmäßigkeiten aufweist, sondern in viel weiterem Umkreis als Typus herr-
schend. Wenn gar die Gruft für eine ganze Sippe oder Körperschaft bestimmt war, entstanden
schon bei den Juden umfänglichere und mehrstöckige Anlagen, in denen die typischen Züge
des Planes sich verwischen, wie z. B. die Gräber der Richter oder die Königsgräber in
CHRISTLICHE GRABANLAGEN IN PALÄSTINA 19

Abb 11. Christliche Grabkammer bei Chefa cTAmer in Palästina Abb. 12. Bogennische mit Sarkophag
(nach Rom. Quartalschr. 1890). in Termessos in Kleinasien
(nach Jahresh. d. Österr. archäol. Inst. 1900).

Jerusalem. Als eine zweite, vornehmere althergebrachte Form der Grabstelle begegnet uns
hier neben dem Schiebegrab das Auflege- oder Bankgrab.
Das Zurücktreten der Schiebegräber gegen die von außen eindringenden Formen der
Troggräber, die gleichfalls aus dem Felsen herausgehauen werden, und der im Boden aus-
gehobenen Senkgräber scheint die christlichen Grüfte Palästinas zu kennzeichnen. Sie wahren
meist den Charakter des Familien- oder Einzelgrabes. So bestehen zwei, etwa dem sechsten
Jahrhundert angehörende Gräber bei Chefa d’Amer in Galiläa noch aus einer einfachen
Kammer, die an drei Seiten je ein überwölbtes Troggrab (Arcosolium) enthält, und dem in
den Felsabhang eingeschnittenen Vorraum. Spiralsäulchen in den hinteren Ecken stützen
gleichsam die Decke (Abb. 11). Die Wandflächen, besonders die der Vorhalle, schmücken
Reliefdarstellungen christlicher Symbole: Kreuze, Pfauen und Delphine, im Verein mit den
einheimischen Rebengewinden, Efeuranken und Granatbäumen, Sonne und Mond, Wolf, Löwe
und anderen Vertretern der lebendigen Schöpfung. Die Seltenheit christlicher Gräber erklärt
sich daraus, daß jüdische Grüfte von Christen weiterbenutzt wurden, wie es für eine aus
mehreren Kammern bestehende Anlage unweit der Stephanusbasilika bei Jerusalem erwiesen
ist. Auch hier kommen Arkosolien hinzu. In einem Hypogäum in der Nähe des Theodosius-
klosters bei Bethlehem waren sogar Sarkophage aufgestellt. Eine bemerkenswerte Ausnahme,
die immerhin beweist, daß selbst im jüdischen Stammlande der einigende Einfluß des Christen-
tums das Gräberwesen nicht unberührt gelassen hat, bildet eine größere Grabstätte am Ölberg
durch die Vereinigung zahlreicher an eine enge Gasse angeschlossener Kammern mit insge-
samt sechzig Senkgräbern.
Syrien und Mesopotamien.
Auch in Syrien finden wir allenthalben den angestammten Typus der kreuzförmigen
Grüfte vor, hier in Ermangelung der Felsentäler als Anlage unter der Bodenfläche. Seine
regelmäßigere künstlerische Durchbildung aber und die Bevorzugung des Arkosoliums hat
er sichtlich griechischem Kunstgeist zu verdanken. So weichen das Grab des Tib. Sosandros in
Beschindelaja aus der Antoninenzeit und eine christliche Grabstätte aus dem Jahre 417 in El Barah
nur in der Gestaltung der Vorhalle und des Zuganges, vor allem aber in der Anordnung der
2*
20 GRÜFTE UND OBERIRDISCHE GRABSTÄTTEN IN SYRIEN

Grabstellen unter den Arkosolien der Seiten-


arme (Abb. 14) voneinander ab, während
Schiebegräber fehlen. Wie eng sich die
Grundformen der semitischen Familiengruft
mit Elementen hellenistischer Kunst ver-
binden konnten und welcher räumlichen
Steigerung sie fähig waren, darüber hat
die vor etwa fünfzehn Jahren entdeckte
Katakombe in Palmyra (Abb. 10 und 13)
die lehrreichsten Aufschlüsse gebracht. Sie
charakterisiert im allgemeinen die Entwick-
lung des Hypogäengrabes in diesen Ge-
bieten während der Kaiserzeit, wenn sie
auch keine christliche Grabstätte ist. Durch
Inschriften, die im Jahre 1900 oberhalb
und neben der monolithen Tür freigelegt
wurden, sind wir über ihre Geschichte sehr
genau unterrichtet.
Gegen 160 v. Chr. wurde die „Höhle“
mit ihren drei „Exedren“ von drei Brüdern
(Noam-min, Male und Sadi) als Familiengrab
angelegt, in dem jedoch eine Anzahl von Grab-
stellen Freigelassenen eingeräumt war. Die
dem Eingang gegenüberliegende westliche Exe-
dra, der vornehmste Teil der Anlage, scheint
von vornherein durch Anfügung einer hinteren
Abb. 13. Grabkammer der Katakombe in Palmyra Kammer erweitert worden zu sein, die vielleicht
(nach Aufn. von M. Sobernheim). die Gräber der Erbauer selbst enthielt. Auf ihre
Wände und die Decke, welche ein Tonnengewölbe
nachahmt, beschränkt sich die inschriftlich erwähnte malerische ,,Ausschmückung“. Sie muß also teilweise
noch dem zweiten Jahrhundert angehören. In den Porträts sind wohl die Stifter und andere Familien-
mitglieder zu erkennen, während die beigeschriebenen Namen auf spätere Besitzer der Grabstellen Bezug
nehmen. Zwei Frauenbildnisse in ganzer Gestalt unter dem Durchgangsbogen, von denen eine gewisse
Aurelia Batmaliku am nördlichen Pfeiler die ,,Erbin des Hauses und der Höhle“ genannt wird, scheinen
nicht lange vor dem Jahre 259, dem letzten beglaubigten, hinzugefügt zu sein. Eine Schwelle weist
darauf hin, daß die hintere Kammer früher durch eine Flügeltür geschlossen war. Die offenbar von den
Kokim abgeleiteten Grabstellen bestehen aus tiefen Spalten, welche sechs bis sieben nur durch Steinplatten
getrennte Leichen, im ganzen gegen 360, aufnehmen konnten. Außerdem fanden sich im Mittelraum und
im nördlichen Kreuzarm Bruchstücke mehrerer reliefgeschmückter Sarkophage Palmyrenischen Stils.
Die typischen Züge der Gesamtanlage und der Bestattungsweise haben sich im Sippen-
grabe von Palmyra ungleich reiner erhalten als in den Einzelgräbern und kleineren Grüften
der übrigen Landesteile Syriens. Da herrschen, z. B. in der Nekropolis von Serdjilla und
weithin bis Mesopotamien, wo Constantina das bedeutendste Gräberfeld besitzt, mannigfaltige
Mischtypen des Senkgrabes mit sarkophagartiger oder tonnengewölbter Bedeckung und sogar
cellaartigem Oberbau vor. Freibauten, an denen Syrien ebenso reich ist wie an Hypogäen, weisen
oft echt orientalische Konstruktionen in vortrefflicher Quadertechnik auf. Das hohe Pyramiden-
dach, das einen eigenartigen Schmuck durch die an den sorgfältig behauenen Steinen stehen
gelassenen Bossen erhält, hat nicht nur bei gewöhnlichen Abmessungen wie an einem Mau-
SYRISCHE SEPULKRALBAUTEN 21

Abb. 14. Grab des Malchus in El Barah: Abb. 15. Christliches Mausoleum in Hass: Grundriß
Grundriß und Schnitt (c. 1:200) der beiden Geschosse, Schnitt durch A—B u. C—D
(c. 1:400) und Rekonstruktion
(nach de Vogüe, Syrie centrale II).

soleum zu Dana, sondern auch an dem leider stark verfallenen Monumentalbau von El Barah
Anwendung gefunden. Ebenda (und in II Anderin), wie auch an einem mehrfach bemerkens-
werten Bau zu Hass (Abb. 15), begegnet uns als zweite Form der Bedachung, die bald eine mehr als
lokale Bedeutung gewinnen sollte, die Kuppel. Mit dem quadratischen Plan ist sie hier mittels
einspringender Eckpfeiler vereinigt. Diese ergeben sich aus der kreuzförmigen Erweiterung des
Raumes durch flache Nischen, eine Anlage, die besonders im Untergeschoß mit seiner massiven
Bauweise und seinen tiefen Arkosolien deutlich auf das Vorbild der Hypogäen (Abb. 14)
zurückweist. In der gewohnten Anordnung der Grabstellen lag ein Antrieb zur Errichtung
solcher Sepulkralgebäude, welche andererseits die in Vorderasien schon lange vor der christ-
lichen Ära bekannten Grabtürme zur Voraussetzung haben. Von den in syrischen Nekropolen
zu neuen Formen verschmolzenen Elementen haben hingegen zwei der bedeutsamsten ihren
Ursprung anderwärts: der aus dem Felsen herausgehauene oder frei aufgestellte Sarkophag
und das Arkosolgrab, das vereinzelt und gruppenweise auch in oberirdischen Koimeterien
vorkommt, vor allem in Meschun an drei Seiten eines an eine Basilika angeschlossenen Hofes.
Die grundlegende Veröffentlichung der Katakombe von Palmyra durch J. Strzygowski, Orient oder
Rom, Leipzig 1901, S. 11 und Tafel 1, der an ihr die typischen Unterschiede des semitischen Familien-
grabes und der (allerdings nicht ausschließlich) abendländischen Gemeindegruft auseinandersetzte, wurde
ergänzt durch wichtige Nachträge von B. Farmakowski, Bull, de l’Inst. archeol. Russe ä C—ple, 1900, p. 172
(russisch). Die durch M. de Vogüe, La Syrie centrale, Paris 1865—1877, I u. II, begründete Denkmälerfor-
schung im übrigen Syrien erfuhr auch auf dem einschlägigen Gebiet eine Bereicherung durch einige Neuauf-
nahmen bei Howard Crosby Butler, Publications of an American archaeol. Expedition to Syria in 1899/40,
P. II, Archit. and other arts. New-York 1904 und Publ. of the Princetown-Univ. archaeol. Exped. (o Syria
in 1904/5 and 1909. Div. 2, New-York.
22 CHRISTLICHE GRABANLAGEN IN KLEINASIEN UND AN GRIECH. SEEPLÄTZEN

Kleinasien, die Inseln und griechische Küstenstädte.


Das Sarkophaggrab entstammt Kleinasien, dessen gebirgige Bodenverhältnisse seine
Herstellung aus dem gewachsenen Felsen begünstigten. Dort findet es sich schon in heid-
nischer Zeit sowohl an den Küsten des Mittelmeeres wie in den anschließenden Hochländern
des Innern vor. Jener weitverbreitete Typus mit sattelförmigem Deckel mit Akroterien beruht auf
der hochaltertümlichen Auffassung des Sarkophags als Haus des Toten. Christliche Gräber
derselben Art bilden in Kilikien (Korykos) und weniger zahlreich auch in anderen Land-
schaften ganze Nekropolen. Das Arkosolium scheint in einem kleinasiatischen Typus des
Grabhauses vorgebildet zu sein, der besonders in Termessos, aber auch in Myra vorkommt,
einer Art Cella, an deren Seitenwänden gewölbte Flachnischen ausgespart sind. Auch die Auf-
stellung eines Sarkophags in der angeschlossenen Apsis wird einmal inschriftlich bezeugt.
Schon in der Gräberstraße von Pompeji vertreten, konnte die hellenistische Bauform der Exedra
mit dem Umsichgreifen der Leichenbestattung leicht in das Grabhaus eindringen. Daß aber
auch der vorerwähnte Typus für sich bestand, lehrt ein aus Sarkophag und darüber gewölbtem
Bogen bestehender Freibau in Termessos (Abb. 12). Die Nachahmung dieser Aufstellung in Fels-
gräbern mußte unmittelbar auf das Arkosolium hinführen. In der Tat weist Kleinasien an Berg-
hängen und in Felsenkammern zahlreiche Arkosolgräber aus der Kaiserzeit auf. Ein Teil davon
dürfte den Christen gehören, sind doch christliche Felsgräber in Isaurien (Seleukeia) und Lykien
(Myra) festgestellt. Auch bedarf die Durchführung der Arkosolien auf allen drei Seiten der
Kammer zu ihrer Erklärung nicht der Annahme eines semitischen Einflusses, da von kreuz-
gestaltiger Anlage des Grabes dabei kaum die Rede sein kann. Vielmehr sahen wir bereits
diese griechische Form des Nischengrabes nach Syrien und Palästina übergreifen (S. 19).
Außerhalb Kleinasiens erwies sich das Griechentum der ungewohnten Bestattungsform
gegenüber auffallend unzugänglich. Von vereinzelten Grabkammern in Chalkis, Saloniki und
der Krim abgesehen, hat die neue Sitte nur auf den Inseln Fuß gefaßt, auf Melos aber eine
nicht uninteressante Entwicklung hervorgerufen. An den Katakomben in der Keimaschlucht
läßt sich beobachten, wie auf beschränktem Raum mehrere ursprünglich selbständige Felsen-
grüfte wohl schon zur Zeit der beginnenden Vorherrschaft des Christentums zu einem System
von parallelen Galerien vereinigt worden sind, das gegen dreihundert Gräber mit etwa fünf-
zehnhundert Leichenstellen enthält. Es diente der gesamten christlichen Bevölkerung der Insel
als Begräbnisstätte. Mehrstellige Arkosolien ziehen sich an den Wänden entlang, daneben
finden sich den römischen loculi (s. unten) entsprechende Fachgräber und im Boden zahlreiche
gleichgerichtete Senkgräber.

Alexandria, Cyrenaika und Ägypten.


Der Fortschritt vom Sondergrabe zum unterirdischen Gemeindefriedhof ist im Osten nicht
über vereinzelte Anläufe gediehen. So günstige Voraussetzungen kosmopolitischen Großstadt-
lebens wie in Rom waren dafür höchstens in Alexandria gegeben, wo sich das Grabwesen
der Christen vorwiegend auf der Grundlage semitischer Sepulkralformen entwickelt zu haben
scheint. Und wenn es auch darüber hinaus bis zur Herstellung größerer Katakomben ge-
diehen ist, wie solche namentlich die felsigen Hügelrücken der Küste im Westen der Stadt
durchsetzten, so bildeten diese doch nur Galerien mit einfacheren Grabstellen für die ärmeren
Klassen. Eine bei Kabbary inmitten derselben gelegene Grabkammer wies die uns noch wieder-
holt begegnende Apsis (s. unten) auf. Grüfte von geschlossenem Charakter blieben weit
über die konstantinische Zeit im Gebrauch, leider aber sind sie mitsamt den Nekropolen
23
KATAKOMBEN UND FAMILIENGRÜFTE IN ALEXANDRIA

Meter

Abb. 16. Zerstörte Katakombe (Wesher) in Alexandria: Abb. 17. Katakombenanlage (Grundriß) in
Grundriß und Längsschnitt der Nekropole von Cyrene
(nach Cabrol, Dict. d’archeol. ehret. I). (nach Pacho,Voyage dans la Marmarique, la Cyrenaiqueetc.).

Alexandrias neuerdings nahezu völliger Zerstörung anheimgefallen. In dem Plan eines noch
in den siebenziger Jahren im südwestlichen Stadtbezirk erhaltenen Hypogaums (Abb. 16) blickt
deutlich die kreuzförmige Raumverteilung der jüdischen Grabhöhlen hindurch, wenn sich auch
die Verhältnisse verschoben und hellenistische Erweiterungen darin stattgefunden haben.
Der Eingang ist an der linken Ecke des südlichen Kreuzarmes (E), wo eine Treppe in die Gruft hinab-
führt. Ihr gegenüber verliert sich ein Abstieg in verschütteten Räumen. An die rechteckig gestaltete
Vierung (F) von 6 m Länge und 4 m Breite, in deren Nordostecke ein Schacht mündet, ist an der Westseite
eine Apsis (G) mit Muschelwölbung (Concha) angeschlossen, der merkwürdigste Teil der ganzen Katakombe»
denn eine umlaufende Bank und der malerische Schmuck mit seiner unverkennbaren Beziehung auf die
Eucharistie (s. Malerei) lassen keinen Zweifel, daß sich hier die überlebenden Besitzer der Gruft zur Feier
des Abendmahls bei den Dahingeschiedenen zu versammeln pflegten. Ein nach Osten gerichteter tonnen-
gewölbter Gang (M) von 2 m Breite und 8 m Länge enthält an beiden Seiten zwei Reihen von je sieben Schiebe-
gräbern und zwei solche an der Rückwand, in denen je zwei durch eine Zwischenplatte gesonderte Leichen
übereinander gebettet waren. Einen vornehmeren Eindruck macht der nördliche nahezu quadratische Kreuz-
arm (H) des Hypogäums, in dem an drei Seiten zweistellige Arkosolgräber (I — L) in einer auch in Palästina
vorkommenden flachgewölbten Nischenbildung ausgehauen waren. Malereien schmückten ihre Rückwände und
ganz wie in Palmyra auch die beiden Pilaster des Eingangsbogens. Erhalten sind größtenteils jüngere,
über drei Schichten von Wandbewurf ausgeführte Freskenreste, während die Katakombe weit früher nach
einheitlichem Plan entstanden sein dürfte, ja nach neueren Vermutungen möglicherweise als heidnische
Anlage, die in jüdischen und christlichen Gebrauch überging.
Daß der christliche Hypogäenbau Alexandrias auf die einfacheren Vorstufen der jüdischen
24 JÜDISCHE U. HELLENISTISCHE ELEMENTE DER ALEXANDRIN. GRÄBERWELT

Abb. 18. Christliche Grabkammer in der Nekropole von Cyrene


(nach Murdoch-Smith and Porcher, Hist, of the recent. discov. at Cyrene, 1864).

Bestattungsweise zurückgeht, wenngleich er eine vielgestaltige Entwicklung nahm, bestätigt


vor allem eine benachbarte, bald nach ihrer Entdeckung (1878) zerstörte Gruft aus der Zeit
der Antonine, deren Eingang eine Giebelfront mit Lotossäulen schmückte. Sie bestand aus
einer Vorkammer und einem Raum von ähnlicher Einrichtung wie der Ostteil der vorer-
wähnten mit drei umlaufenden Gräberreihen. Die Mitte zwischen beiden hält eine durch
neuere Ausgrabungen (1898) erschlossene Anlage aus dem 3. Jahrhundert bei Abu el Achem.
Auch ihr fehlen die Nebenräume, doch weist sie einen Schacht auf, der zu vier kreuzförmig
verteilten Grabkammern hinabsteigt; dazu an der Schmalseite ein apsidales Arkosolgrab und
gegenüber eine größere, zwei Treppen aufnehmende Vorhalle mit einem Bassin am Fuße der
einen. Wie aber aus jenem Grundtypus auch weit größere, dem wachsenden Gemeinsinn genü-
gende Anlagen hervorgehen konnten, lehrt eine im 18. Jahrhundert durch Pococke aufge-
nommene Katakombe mit saalartigem Mittelraum und rund 400 Grabstellen. Diese waren
durch sechs tiefe Gelasse, die den Saal umgaben, und ein siebentes am Ende desselben in
dreifacher Reihe herumgeführt. Andrerseits kann in Alexandria auch ein mächtiger helle-
nistischer Einfluß auf die Gestaltung christlicher Grüfte nicht ausgeblieben sein, wie schon
das Eindringen der Apsis beweist. Eine solche vorbildliche Anlage, die in zwei Geschossen
mehrere Säle und Kammern nebst breitem Umgang um eine kreisrunde Vorhalle vereinigt,
steht uns in der vor etwa zehn Jahren entdeckten Katakombe von Kom es Schugafa vor Augen.
Von einem jüngeren, unlängst beim Dorfe Harda entdeckten christlichen Hypogäum ist bisher
nur eine im spitzen Winkel umbiegende Galerie, zu der ein 6 bis 7 m tiefer Schacht hinabführt,
CHRISTLICHE GRABSTÄTTEN IN DER CYRENAIKA UND IN OBERÄGYPTEN 25

freigelegt worden. Sie enthält über dreißig teils unter der Felswand teils im Boden ausge-
höhlte Gräber mit davorliegender brunnenartiger Öffnung und weiterhin mehrere in zwei
Reihen in die erstere hineingetriebene Grabstellen, rechts am Eingang aber eine kleine Grab-
kapelle mit Altartisch. Endlich haben die Ausgrabungen in der Menasstadt der Mareotis an
der Südseite der Basilika (s. Baukunst) zur Entdeckung eines aus gewölbten Grüften und
gemauerten Gängen bestehenden Koimeterions, das auch oberirdische Grabbauten besaß, geführt.
Das Gesamtbild der alexandrinischen Gräberwelt wird ergänzt durch die Formen, welche
uns in christlichen Felsgräbern der Nekropole von Cyrene begegnen. Die bedeutendste, im
Jahre 1828 durch Pacho entdeckte, und in den sechziger Jahren wieder aufgefundene Grab-
kammer (Abb. 18) zeichnet sich durch monumentale Gestaltung der Gräber aus. Diese sind in
dem fast quadratischen Raum derart verteilt, daß je zwei von muschelförmigen Apsiden
überwölbte Troggräber die Seitenwände und ein gleiches zwischen zwei in viereckige Nischen
eingeschlossenen kleineren die Rückwand einnehmen. Rechts ist dahinter noch ein einfaches
Fachgrab, neben dem gegenüberliegenden Eingang aber ein tiefer Sarkophag für mehrere
Leichen ausgehauen. Griechische Kunstformen, vor allem wie in Alexandria das apsidale
Arkosolium, haben hier die Oberhand gewonnen, ist doch dieses Grab inmitten heidnischer
Grüfte in die mit Portiken geschmückte Bergterrasse der Nekropole eingeschnitten. Daß in
dieser neben Christen und Heiden auch die in der Kaiserzeit zahlreich zugewanderten Juden
nicht fehlten, geht aus dem wiederholten Vorkommen der tiefen, spaltartigen Grabstellen hervor.
Einfachere Grüfte der Cyrenaika erinnern mit ihrem Vorraum und ihren umliegenden drei
Gelassen an palästinensische und syrische Gräber. In einer größeren und unregelmäßiger zu-
sammengesetzten Katakombe (Abb. 17), den sogenannten „Kirchen“, sowie in einem unvollendeten,
durch das Kreuzmonogramm und (entstellte) Kreuze, Fische und Weinranken gekennzeich-
neten christlichen Hypogäum bei Massakhit, nimmt der Vorsaal —seine flache Decke stützen hier
zwei massige Säulen —, wohl nach hellenistischem Vorbild, viel bedeutendere Abmessungen an.
Der Rückschluß, daß in Alexandria ein noch größerer Formenreichtum herrschte, ist
gewiß nicht zu gewagt. Besitzt doch das koptische Hinterland, das sogar an der Mumi-
fizierung lange festhielt, wiederum eigenartige Grabtypen. Die ausgedehnten Koimeterien
von Achmim (Panopolis), Antinoe und Esneh bestehen aus seichten Senkgräbern, deren ein-
zigen Schmuck die aufliegenden Stelen (s. Plastik) bildeten. Eine überaus vielgestaltige
Gräberstadt aber dehnt sich in der großen Oase von El Bagauat in der Libyschen Wüste
einen Kilometer lang über die Talrinne und die sie umfassenden Ausläufer des Gebl el Ter
aus. Neben wenigen im Felsen ausgehauenen Grabkammern mit vorgebautem Portal, neben
der spärlich vertretenen Rotunde und dem Oktogon, neben Sarkophagen und mancherlei Misch-
formen, fällt hier ein besonderer Typus von Freibauten (Abb. 19) ins Auge.
Es sind das quadratische Grabkapellen, die in straßenähnlichen Fluchten meist paarweise zusammen-
stehen. Ihre Bedachung bildet eine auf vier Schildbogen und Hängezwickeln ruhende Kuppel, oft überragt
von den Wänden, die noch die Balkenlöcher eines verschwundenen flachen Schutzdaches aufweisen, mitunter
nur durch die höhere Fassadenmauer verdeckt. Die aus Rohziegeln bestehenden Wände haben häufig das
nach oben zurückweichende Profil altägyptischer Bauten mit krönender Hohlkehle. Wo sie lotrecht stehen,
dient die beliebte Dekoration der Blendarkaden zur Verstärkung. Die Portale sind in eine von Pilastern
oder Halbsäulen getragene Bogenstellung eingeschlossen. Kleine dreieckige Nischen über und neben den
Türen waren wohl zum Aufstellen von Lampen bestimmt. Im Inneren, das hochliegende Fensterspalten
erhellen, enthalten diese Kapellen gewöhnlich nur ein einziges Schachtgrab. Unter dem Einfluß der zu-
nehmenden Heiligenverehrung sind öfters Apsiden angefügt worden und hat manchmal eine Vereinigung
mehrerer Gebäude zu einem größeren Mausoleum mit tonnengewölbten Nebenräumen und ummauerten
Höfen stattgefunden, so vor allem in dem größten, auf der Gabelung der beiden Höhenzüge gelegenen Bau.
26 CHRISTLICHE GRÜFTE IN NORDAFRIKA

Abb. 19. Christliche Nekropole von El Bagauat in Oberägypten


(nach W. de Bock, Mater, p. s. ä l’archeol. de l’£g. ehret., 1901).

Die dekorativen Formen der Architektur, der rein koptische Stil und manche Motive
der erhaltenen Malereien (s. diese) verraten, daß die Totenstadt der großen Oase schon in eine
vorgeschrittene Epoche hineinragt. Überreste von Grabhäusern desselben Typus sind auch in
der Umgebung des Apollonklosters von Bäwit (s. Baukunst) in Oberägypten aus dem 6. Jahr-
hundert zutage gekommen.
Die Kenntnis der heute zerstörten alexandrinischen Hypogäen verdankt die Wissenschaft hauptsächlich
den genauen Beobachtungen des griechischen Archäologen Nerutsos - Bey; außer den von Nerutsos - Bey,
L’ancienne Alexandrie, Paris, 1888 und Leclercq bei Cabrol, a. a. O., I., 1, c. 1125 — 1154 gebotenen Angaben
vgl. über die neuesten Entdeckungen E. Breccia, Bull, de la Soc. archeol. d’Alexandrie, 1911, N. S. II, 3,
p. 278 — 288. Reichere Aufschlüsse für die Cyrenaika sind von der geplanten amerikanischen Expedition zu
erwarten. Zur Oase von El Bagauat (bzw. El-Kargeh) vgl. vor allem die Forschungen von W. de Bock,
Materiaux p. s. ä l’archeol. de l’Egypte ehret. S. Petersbourg 1901 (Text von J. Smirnow).

Nordafrika.
Trotz der geographischen Zwischenstellung zwischen Orient und Abendland scheint im
westlichen Nordafrika die Bestattungsweise nicht sehr eingreifend von Osten her beeinflußt
worden zu sein. Örtliche Gewohnheiten behaupteten sich hier besonders zäh und gaben zur
Entstehung von Mischformen Anlaß. Um so deutlicher geben sich gewisse Gräbertypen als
Entlehnungen zu erkennen. An der Spitze stehen wieder jüdische Grüfte in der Umgebung
von Karthago, die ein dem alexandrinischen ähnliches, aber einfacheres Schema zeigen: einen
NORDAFRIKANISCHE KATAKOMBEN UND FRIEDHÖFE 27

größeren Raum, dessen vier Seiten von Schiebegräbern in mehreren Reihen durchsetzt sind.
Was sonst [bisher in der ganzen Provinz an Katakomben bekannt geworden ist, läßt sich
freilich an solche Anlagen nicht anknüpfen: in Kherbet-bou-Addoufen ein zwei Meter breiter
Gang von 60 Meter Länge unter einer christlichen Basilika und ein größeres elliptisches
System mit einer Anzahl sich kreuzender Parallelwege in Arch-Zara, wo jedoch heidnische
Grabinschriften überwiegen. Die Gräber haben hier wie dort die viereckige Gestalt der römischen
loculi und waren mit Ziegeln vermauert. Dieselbe Art Fachgräber sind auch in der weitaus
bedeutendsten, vor kaum zehn Jahren entdeckten nordafrikanischen Katakombe von Hadru-
metum (Susa) meist in dreifacher Reihe 'in die Wandflächen der dreiviertel bis zwei Meter
breiten Galerien eingeschnitten. Ausdehnung (ungefähr zwei Kilometer), Gräberzahl und
Gestaltung dieser mehrfach verzweigten Anlage kommen den großen römischen Cömeterien
so nahe wie sonst nirgends. Das Vorbild Roms scheint hier in der ganz vom lateinischen
Wesen beherrschten Hafenstadt schon in vorkonstantinischer Zeit Nachahmung gefunden zu
haben. Einzelne Cubicula und Doppelkammern durchsetzen wie dort das Netz und ent-
halten teils Arkosolgräber, teils Senkgräber und die für Nordafrika charakteristischen mosaik-
geschmückten Sarkophage. Manche von ihnen weisen auch ganze Mosaikfußböden auf. Dem
hellenistischen näher verwandt ist pur der Typus mehrerer Einzelkammern bei Tipasa mit
ihren an drei Seiten [verteilten Arkosolien. Als der eigentlich herrschende Brauch aber
erscheint in Nordafrika die Bestattung in Senkgräbern innerhalb eines umfriedeten Begräbnis-
platzes (area cincta), so fast ausschließlich in Thabarka, Lamta, Sfax und Cherchel, sowie
in Karthago und Tipasa, wo sich außerdem Arkosolien an die Ringmauer einer kreisförmi-
gen Hofanlage anschlossen. In der Regel wurden die Grabstellen mit Ziegeln oder Bruch-
steinen ausgemauert bis zur Höhe von zwei oder drei Sargreihen. An den frei aufgestellten
oder ebenfalls versenkten Steinsärgen war die Verzierung mit Mosaik beliebt, das die Deck-
platte, manchmal aber auch alle Seiten überzieht. Dazwischen erhoben sich vielfach Frei-
bauten von jeder Größe und Gestalt, selbst Basiliken, so vor allem bei Karthago (Meidfa)
und auf den beiden Friedhöfen von Tipasa. Auch Kuppelbauten erreichen manchmal eine
sehr beträchtliche Größe, wie z. B. das Oktogon in Menerville. Am häufigsten aber ist der
vom Orient (S. 20 ff.) über die christliche Welt verbreitete Typus kleiner Mausoleen von recht-
eckigem Grundriß mit Satteldach oder Gewölbe. Für alle Spielarten von Sepulkralbauten
sowie für Kirchen ist die Bezeichnung „memoria“ gebräuchlich, auch für den merkwürdigen
Bautypus, dessen wiederholtes Vorkommen wohl das wichtigste Problem der Gräberwelt Nord-
afrikas bildet.
Das sogenannte Trichorum (oder cella trichora), das sich aus drei an ein Quadrat
angeschlossenen Apsiden zusammensetzt, zu denen gelegentlich an der vierten Seite ein
rechtwinkliger Vorraum hinzukommt, scheint eine verschiedenartige Beurteilung zuzulassen.
Angesichts der Bedeutung, welche der kreuz- und kleeblattförmige Grundriß schon früh in der
kirchlichen Architektur besitzt (s. Baukunst), könnte man versucht sein, ihn aus dieser oder
gar aus dem Trikonchos hellenistisch-römischer Palastanlagen abzuleiten. Dann bliebe es
aber rätselhaft, wie er in weit voneinander getrennten Gebieten sepulkralen Zwecken dienstbar
wurde. In Nordafrika sind selbständige kleeblattförmige Memorien in Agemuni Ubbekar (Abb.20)
und als größtes — vielleicht noch aus vorchristlicher Zeit — dasjenige in Sidi Mohammed el
Gibui erhalten, ein weiteres neben der Basilika von Damus el Carita bei Karthago (s. Bau-
kunst). Hier schließt sich außerdem an das halbkreisförmige Atrium, das von einem Cöme-
terium umgeben ist, in der Hauptachse noch ein zweites, größeres Trichorum an. Endlich
28 DAS TRICHORUM UND SEIN URSPRUNG AUS ALEXANDRIA

finden wir in Thebessa neben der Klosterbasilika einen Anbau, dessen drei Nischen von
anderen Räumen umgeben und in einen rechteckigen Baukörper eingeschlossen sind (s. Baukunst).
Die Entstehung des triapsidalen Bautypus ist aus den genannten Denkmälern so wenig zu
erklären, wie aus den in Rom (Abb. 21) oder anderwärts nachweisbaren Beispielen. Wohl aber
dürfen wir mit höchster Wahrscheinlichkeit in den alexandrinischen Hypogäen einen Grab-
typus voraussetzen, in dem der Keim der cella trichora liegt: jene auch in der Nekropole
von Cyrene vorkommenden apsidalen Arkosolien (Abb. 18). Ihre Vereinigung in kleeblattförmiger
Anordnung läßt sich ungezwungen aus der typischen Grundrißbildung sowohl griechischer
als auch jüdischer Grabkammern ableiten (S. 18 u. 22). Alle Umstände sprechen dafür, daß
das Grundelement jene gemeinhellenistische Form des aus Sarkophag und Apsis bestehenden,
architektonischen Einzelgrabes war, die auch in christlichen Denkmälern als solches fortlebt
(S. 29). Höchstens darüber kann man im Zweifel sein, wo die Aufnahme der Exedra in den
Hypogäenbau und ihre Nachbildung im gewachsenen Felsen im Anschluß an das kreuzför-
mige Grundschema zuerst erfolgt sei. Das letztere war schon im antiken Triklinium vor-
gebildet, zu dem die Vorstellungen vom Totenmahl in Beziehung standen. Aber wo auch
immer der neue Grufttypus entstanden sein mag, in ihm darf man das Vorbild erblicken,
das wieder, als einheitliches Ganzes in einen Freibau umgesetzt, die cella trichora ergeben
mußte. Die Einstellung von Sarkophagen unter die Apsiden, wie sie z. B. in Damus el Carita
nachgewiesen ist, deutet unverkennbar auf diesen Zusammenhang hin. Daß aber das Tri-
chorum tatsächlich in Ägypten vertreten war und daß jene Entwicklung sich daselbst ab-
gespielt hat, dafür spricht die Beliebtheit der kleeblattförmigen Chorbildung in den koptischen
Kirchen (s. Baukunst). Es hieße das selbständige Kunstvermögen Nordafrikas überschätzen,
wollten wir ihm diese Schöpfung und damit eine führende Rolle in der altchristlichen Sepul-
kralarchitektur beimessen. Was dort aus bodenwüchsigen Typen entstand, blieb auf engen
Bezirk beschränkt, wie die sogenannten Djedar im Gebiet von Oran, ein Mittelding zwischen
Hypogäum und Freibau, in dem sich über der aus mehreren Gängen und Kammern zusam-
mengesetzten Gruft auf niedrigem Unterbau eine hohe Stufenpyramide erhebt.
CHRISTLICHE GRABANLAGEN IN WEST- UND MITTELEUROPA 29

Die systematische Durchforschung der Gräberwelt Nordafrikas ist unter der französischen Verwaltung
durch A. L. Delattre, P. Gauckler, St. Gsell u. a. geführt worden; vgl. Leclercq bei Cabrol, a. a. O. I, 1, c. 676
u. II, 1, c. 2268 u. 2442. Über die jüngste bedeutende Entdeckung der Katakombe von Hadrumetum (Sousse)
berichtet zusammenfassend der Leiter der Ausgrabungen F. A. Leynaud, Les catacombes Africaines.
Hadrumete - Sousse. Sousse 1911.

West- und Mitteleuropa, Oberitalien und Dalmatien.


Vermochten die Bestattungsformen des christlichen Orients schon in der afrikanischen
Provinz die allgemeine Sitte nicht durchgreifend zu bestimmen, so herrschen ähnliche Ver-
hältnisse auch in den westeuropäischen Mittelmeerländern und in Mitteleuropa. Von Spanien
läßt sich mit einiger Sicherheit heute nur sagen, daß unterirdische Grüfte dort eine Ausnahme
bilden. Auch in Gallien, am Rhein und an der Donau sowie in Oberitalien bis nach Dal-
matien hat das Hypogäenwesen keine rechte Verbreitung gefunden. In diesem ganzen Umkreis
gibt es nur gesonderte, im Erdreich ausgemauerte und öfters tonnengewölbte Grabkammern,
in denen Sarkophage aufgestellt oder Senkgräber angelegt waren, bald inmitten der ober-
irdischen Friedhöfe, wie bei St. Matthias in Trier und in Monastirine bei Salona, bald
unmittelbar unter oder in nächster Umgebung von Kirchen, wie die Krypta des heiligen
Maximin in Salzburg und die noch im 12. Jahrhundert erweiterte des heiligen Viktor in
Marseille, die in ihrem ältesten Kern Arkosolgräber enthält, — und so wohl auch die vor
hundert und mehr Jahren entdeckten und seither verschwundenen Grüfte in Rheims und
Fünfkirchen. Daß namentlich in Gallien der monolithe Sarkophag mit akroteriengeschmücktem
Deckel die erste Stelle einnimmt, ist als Folgeerscheinung der langdauernden antiken Einflüsse
erklärlich. Charakteristisch erscheint für die Begräbnisplätze von Arles, Vienne und ebenso
auch für Trier das Übereinanderstehen von mehreren Särgen auf trennender dünner Erdschicht,
also die Vorherrschaft des Senkgrabes durch Generationen. Das Aufstellen des Sarkophages
zu ebener Erde war hingegen in Oberitalien gebräuchlich, dessen Begräbniswesen wir nach
dem wohlerhaltenen Cömeterium von Julia Concordia bei Portogruaro aus dem 4. bis 5. Jahr-
hundert beurteilen können. Fast sämtliche Gräber sind hier wie in Gallien von Osten nach
Westen orientiert. Daß die hellenistisch-orientalischen Typen der Memorien in jenen Gebieten
im allgemeinen noch weniger vertreten sind als die Hypogäen, erklärt sich schwerlich allein
durch ihre stärkere Zerstörung. Im vollen Gegensatz dazu steht dank seiner Lage Dalmatien.
Das Cömeterium von Monastirine bewahrt noch in oberirdischen Mauerzügen nicht nur eine
Anzahl größerer einschiffiger Mausoleen mit angefügter Apsis, sondern auch als wertvollsten
Rest und als Zeugen eines unmittelbaren Einflusses des hellenistischen Orients vier von jenen
exedraförmigen Freigräbern, denen wir eine so hohe Bedeutung für die Entwicklung gewisser
unter- und oberirdischer Grabtypen weiter Gebiete beizumessen berechtigt sind (S. 28).
Diesseits des Adriatischen Meeres steht noch heute in Ravenna (Abb. 22 u. 23) als echt
syrisches Grabhaus auf italischem Boden und als monumentalster Sepulkralbau der ganzen Küste
die von Theodorich für sich und sein Geschlecht erbaute Rotunde in trefflicher Erhaltung da.
Wie ihre orientalischen Vorbilder (S. 21) besteht sie aus zwei getrennten, in mörtelloser Quader-
schichtung gefügten Geschossen, von denen das untere auch die kreuzförmige Anlage des
Innenraumes aufweist und ein Kreuzgewölbe trägt. Die zehnseitige Außenmauer des Unter-
geschosses wird durch Blendbogen, die des zurücktretenden Oberstocks durch flache Doppel-
nischen belebt. Über diesen aber zog sich, wie Zeichnungen des Ant. da S. Gallo erkennen
lassen, als Kranzgesims und Träger eines krönenden Ziergliedes ein (wieder verschwundener)
auf Konsolen vorkragender Bogenfries herum, der schwerlich eine mittelalterliche Zutat war.
30 GESTALT UND HERKUNFT DES MAUSOLEUMS THEODORICHS D. GR.

Abb. 22 und 23. Mausoleum Theodorichs d. Gr. in Ravenna (Rekonstruktion)


(22 nach J. Durm, Zeitschr. f. bild. K. 1906, 23 nach A. Haupt, Zeitschr. f. Archit. 1907).

Darüber setzt sich der Aufbau in einem zylindrischen, durch Fries und Gesims abgeschlossenen,
mit spärlichen Lichtspalten ausgestatteten Baukörper fort. Auf der Ostseite tritt die tonnen-
gewölbte Apsisnische hervor, während der kreisrunde, 9,20 m weite Innenraum von einem
einzigen flachgeschwungenen Deckstein überwölbt wird. Die beiden Freitreppen sind erst im
Jahre 1780 an den oberen Umgang angebaut worden, der ursprünglich wohl nur von einem
Metallgitter (vielleicht dem später im Aachener Münster von Karl dem Großen verwendeten) um-
geben war. Die zwölf Randpfeilerchen der Kuppel aber dürften als Sockel für Statuen gedacht
sein, da sie die Namensinschriften von Aposteln und Evangelisten tragen. Zierglieder und
Einzelformen geben sich als antike, teils verwilderte und nach germanischem Geschmack
umgebildete, teils der syrischen Steintechnik eigentümliche oder doch wohlbekannte Motive
zu erkennen, so vor allem die verzahnten Keilsteine der Bogen, aber auch der Bogenfries
(s. Baukunst). Noch schlichter als der äußere Bau, ja fast schmucklos erscheint der An-
dachtsraum über der Gruft.
In der neuerdings lebhaft erörterten Streitfrage über den syrischen oder germanischen Kunstcharakter
des Theodorichbaues scheint bei kritischer Berücksichtigung der tatsächlichen Voraussetzungen einerseits, der
monumentalen Parallelen andrerseits, die Rekonstruktion von Haupt, wenngleich nicht in den dekorativen
Einzelheiten, dagegen die stilgeschichtliche Auffassung von Durm der Wahrheit am nächsten zu kommen;
vgl. die Schlußartikel nebst darin enthaltenen Literaturnachweisen in der Zeitschr. f. bild. Kunst, 1908,
XIX., S. 211 (J. Durm), S. 238 (A. Haupt) und S. 241 (C. Ricci).

Sizilien, Sardinien und Malta.


Da die einheimische Bestattungssitte für die Christen überall in erster Reihe maßgebend
blieb, hat das Hypogäenwesen nirgends, Rom kaum ausgenommen, eine so ausgedehnte
Anwendung gefunden, wie auf dem alten Kulturboden Siziliens, wo ein vortrefflicher Tuff
und leichtbrechender Kalkstein ihm von jeher Vorschub leisteten. Grabanlagen der Urbevölke-
rung blieben hier noch in christlicher Zeit neben griechischen und aus dem Orient aufge-
nommenen neuen Typen im Gebrauch. So namentlich die merkwürdigen, vereinzelt und
DIE TYPEN DER CHRISTLICHEN GRÜETE SIZILIENS 31

| r» {gl *

Abb. 24. Grotta di Senebardo in Pallazolo (Grund- Abb. 25. Katakombe Abbatia (Blick aus der Vorhalle
riß) auf Sizilien in den Hauptgang mit Baldachingräbern) auf Malta
(nach J. Führer und V. Schultze, Die altchristl. Grabstätten (nach E. Becker, Malta sotterranea, 1913).
Siziliens, 1907).

gruppenweise auftretenden Glockengräber mit schachtartigem Zugang, die bis zu dreißig und
noch mehr, teils im Boden ausgehobene, teils mit trennenden Ziegelplatten aufgeschichtete
Leichenstellen umschließen. Es sind Familiengräber, wie zum Teil auch eine noch häufigere
Art rechteckig gestalteter Grabkammern, ein Erbteil der heidnischen Antike. Die letzteren,
seltener die glockenförmigen Grüfte, wurden mit Nischen- und Troggräbern ausgestattet. Das
Arkosolgrab wird in christlicher Zeit in Sizilien der bevorzugte Grabtypus sogar für die
Juden, wenn auch Schiebegräber nicht gänzlich fehlen. Es wird auch mit überhöhtem ge-
teilten, mit dem Flachbogen oder mit trapezförmiger Nische (als sog. sepolcro a mensa)
gebildet. In den Grabkammern pflegte man die Arkosolien zunächst an den Seiten in wohl-
geordneten Gruppen mit Umgang und Durchgängen zusammenzulegen, wie z. B. (Abb. 24)
in der Grotta di Senebardo (Palazzolo), doch entstand manchmal auch ein regelloses Ge-
wirr, besonders wo man außerdem Sarkophage aus dem gewachsenen Felsen auch inmitten
des Raumes in größerer Anzahl stehen ließ (Cava delle Porcherie). Erweiterungen durch
Anfügung neuer Cubicula, weit öfter aber durch Anlegung von Stollen führten dazu, daß
die alte Gruft mit ihrem Lichtschacht oder mit ausgespartem Stützpfeiler zur Vorhalle einer
größeren Anlage wurde. Für das Massenbedürfnis endlich wurden die Arkosolien gewöhnlich
in Reihen hintereinander angelegt, so daß mehrere Tröge von einem Tonnengewölbe über-
spannt werden, in die Wandungen dieser Querstollen aber sind Nischen und Fachgräber
eingeschnitten.
Unterirdische Gemeindefriedhöfe sind auf Sizilien besonders in Syrakus und seinem
weiteren Stadtgebiet entstanden, wo das Christentum wahrscheinlich zuerst Fuß gefaßt hatte.
Sie haben mit den römischen Katakomben nur wenige, zufällige Berührungspunkte. Klingen
doch auch die Grabschriften (Epitaphien) viel mehr an griechische Formeln an.
32 SYSTEM DER HAUPTKATAKOMBE IN SYRAKUS

Abb. 26. Katakombe S. Giovanni in Syrakus (Grundriß): B Rotonda d’Antiochia, D Rotonda d’Adelfia, E Rotonda dei sarcopliaghi

(nach J. Führer und V. Schultze, Die altchristl. Grabstätten Siziliens, 1907).


ENTSTEHUNG UND ANLAGE DER KATAKOMBEN VON SYRAKUS, PALERMO USW. 33

Abb. 27. Sog. Rotonda dei sarcophaghi in der Katakombe S. Giovanni in Syrakus
(nach J. Führer, Forschungen zur Sicilia sotterranea, 1895).

Die ältere und schlichtere Anlage ist die Katakombe der Vigna Cassiä, die aus zwei infolge von
Verschüttung getrennten Hauptteilen besteht, von welchen der eine teilweise über dem anderen liegt. Sie
besitzt eine stattliche Vorhalle, den ursprünglichen Kern des Systems, aber nur meterbreite Gänge, die
für sizilische Verhältnisse als Ausnahme erscheinen. Mit ihrem östlichen, von der ersteren ausstrahlen-
den und wohl noch in das 3. Jahrhundert zurückreichenden Teile, der von rechteckigen und kreisrunden
oder elliptischen Kammern, früheren Zisternen, die zugleich als Lichtschachte (Luminare) dienen, durch-
setzt ist und das einzige Beispiel einer aus mehreren Geschossen bestehenden Anlage in Sizilien bietet,
steht die kleinere Katakombe von S. Maria del Gesü im Zusammenhänge. Hier wie dort herrschen weitaus
die übereinander geschichteten Fachgräber vor, während in dem jüngeren, im 4. Jahrhundert entstan-
denen Teile der ersteren die Arkosolien stark überwiegen und zu beiden Seiten der Galerien nach der oben
gekennzeichneten Anordnung reihenweise in Querstollen bisweilen wieder mit seitlichen Abzweigungen
angelegt sind. Eine ähnliche Plangestaltung, der jedoch die Vorhalle fehlt, ist in der ausgedehnten Kata-
kombe von San Giovanni (Abb. 26) zu einer Zeit, als das Christentum in Syrakus die Vorherrschaft besaß,
ins Monumentale gesteigert worden. Ursprünglich 'in eine antike Wasserleitung hineingearbeitet, die zur
Hauptgalerie erweitert ist und stellenweise die Breite von fast 5 m erreicht, wurde sie im Laufe des
4. Jahrhunderts zu einem großartigen Netz im ausgehöhlten Kalkfelsen auf- und absteigender und sich
kreuzender Gänge ausgestaltet. Durchsetzt wird der Gemeindefriedhof von vornehmen Familiengrüften,
Cubicula und tiefer oder höher gelegenen großen Rundsälen, die bis 8,50 m (Rotonda d’Antiochia) und
9,50 m (Rotonda d’Adelfia) Durchmesser haben. Ihre halbkugel- oder bimförmigen Kuppeln, aus deren
Mitte der Lichtschacht emporsteigt, lassen diese als vergrößerte Abbilder der Glockengrüfte erscheinen,
doch hängen sie wohl mit den Kuppelsälen hellenistischer Hypogäen (s. S. 24) enger zusammen. Die An-
häufung frei herausgehauener Felssarkophage hat einer anderen Rotunde (Abb. 27) den Namen gegeben.
In den Seitengelassen sind solche manchmal stufenförmig aufgebaut. Aus der Spätzeit sind auch einfache
Senkgräber zahlreich vorhanden, spärlicher die rechteckigen Fachgräber.
Mit der typischen Anlage (s. oben) der kleineren Hypogäen (in Palazzolo, Canicattini,
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 3
34 DIE CHRISTLICHEN GRÜFTE IN SARDINIEN, MALTA UND UNTERITALIEN

Priolo, Cozzo Guardiole u. a. m.) stimmen auch die größeren (der Grotta Fragapani) bei
Girgenti und Palermo (vor Porta Osunna) überein. Bei ihnen hat eine mehr hallenartige
Erweiterung von der Haupthalle aus stattgefunden. Erleichtert wird ihre konstruktive Aus-
gestaltung vielfach und zugleich das architektonische Bild bereichert durch Verwendung des
freistehenden oder an die Wandangelehnten Baldachingrabes (Abb. 24 u. 25), einer Sonderform des
Arkosolium, die im letzten Grunde auf das Vorbild von Freibauten syrischen Ursprungs zurück-
gehen dürfte. Der letzteren bedurfte Sizilien bei seinem hochentwickelten Hypogäenbau kaum.
Dagegen kamen (z. B. in Groticelli) noch unzählige Einzelgräber unter freiem Himmel (sub
divo), und zwar vorwiegend Arkosolien an Felswänden, besonders in der Umgebung der Grüfte,
und in Girgenti sogar in der Stadtmauer hinzu.
In der leider zerstörten Nekropole von Cagliari auf Sardinien waren nicht nur mehrere
Einzelkammern, sondern auch die Fachgräber der Ärmeren in die Bergwand eingeschnitten.
Die im Mittelalter zur Kirche umgewandelte Katakombe von Bonorva hingegen scheint in
ihrer Zusammensetzung aus Sälen und kleineren, zum Teil apsidalen Gelassen nebst halb-
kreisförmiger Vorhalle hellenischen Einfluß zu verraten. Sichtlich macht sich ein solcher in
den zahlreichen, meist aus Einzelkammern von kreuzgestaltiger Anlage zusammengewachsenen
Grüften der Insel Malta geltend, in denen von der Apsis und Muschelnische mit unver-
kennbarer Zurichtung für die Zwecke des Totenmahles reichlicherer Gebrauch gemacht ist.
Die eigenartigen fensterähnlichen Grabstellen sind jedoch eher von der punischen Bevölkerung
übernommen als aus den jüdischen Schiebegräbern hervorgegangen, wie sie auch selten in
doppelter Reihung Vorkommen. In den ausgedehnten Katakomben S. Paolo, S. Agata, Abbatia
u. a. m. finden wir die Hallen, Arkosolstollen und Baldachingräber Siziliens wieder, doch dürfte
Malta diesen Formenreichtum wohl größtenteils unmittelbar vom Orient erhalten haben.
Die Lebensarbeit des allzufrüh verstorbenen J. Führer, Forschungen zur Sicilia sotterranea, Abhdl.
d. Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss., München 1895, ist durch V. Schultze, Die altchristlichen Grabstätten Siziliens,
Jahrb. des K. D. archäol. Inst., Erg.-H, VII, Berlin 1907, in sichtender Zusammenfassung der Ergebnisse
abgeschlossen worden. Über spätere Entdeckungen berichtet der italienische Mitarbeiter und Fortsetzer der
Untersuchungen Führers P. Orsi in den Notizie degli Scavi, zuletzt 1909, 5, p. 346—377 (besonders für
S. Giovanni u. a. m.). Die genauere Kenntnis der Gräberwelt Maltas hat soeben E. Becker, Malta Sot-
terranea, Studien zur altchr. u. jüd. Sepulkralkunst, Straßburg 1913, der Forschung erschlossen und die Bezie-
hungen dieser wichtigen Zwischenstation zu Palästina, Syrien und Alexandria festgestellt.
Unteritalien.
Nicht später als auf Sizilien nahm in Italien die Entstehung christlicher unterirdischer
Begräbnisstätten ihren Anfang, doch mit erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen
Landschaften. Im Süden erhielten sich die vom hellenistischen Orient aufgenommenen Elemente
reiner, obwohl auch hier, besonders in Neapel, der gleiche Zug zur Erweiterung privater
Grabstätten zu Gemeindefriedhöfen wirkt, wie in Rom. Die Zusammensetzung einer jüdischen
Katakombe in Venosa (Apulien) aus mehreren schmalen Gängen, deren Wände vorwiegend
von Arkosolien eingenommen sind, sieht der Anlage der Hypogäen von Melos auffallend
ähnlich. Die Cömeterien von S. Gennaro in Neapel, in denen die Gebeine des heiligen Januarius
mindestens seit dem 5. Jahrhundert bis zu ihrer gewaltsamen Überführung nach Benevent
(821 n. Chr.) ruhten, sind erst in allmählichem Ausbau zum Abschluß gekommen. Durch
nachträgliche Vereinigung sind ihre beiden bedeutendsten Hypogäen (Abb. 28) um jene Zeit
zueinander in das Verhältnis eines ersten und zweiten Stockwerks geraten, aber auf völlig
getrennte und nahezu gleichzeitige Anlage ihrer ältesten Teile deuten ihre großen Eingangs-
säle hin, deren Vorbauten leider dem gleichnamigen Hospitalbau zum Opfer gefallen sind.
ENTSTEHUNG UND SYSTEM DER KATAKOMBEN VON NEAPEL 35

Abb. 28. Sog. Zweite Katakombe von S. Gennaro in Neapel (Grundriß u. darunter z. T. der „ersten“)
(nach V. Schultze, Die Katak. von S. Gennaro in Neapel, 1877).

Die Eintrittshalle der „ersten Katakombe“ erweitert sich bei trapezförmigem Grundriß nach innen
bis zu einer Breite von über 10 m. Sie ist von zwei nicht viel kleineren, ursprünglich von ihr getrennten
Räumen umgeben, von denen der an der rechten Seite durch Anlegung eines hinteren Gemaches als Pres-
byterium zur Heiligenkirche ausgestaltet worden ist. Die große Mittelhalle ist nach der den christlichen
Ursprung noch kaum verratenden Malerei an der Decke (s. Malerei) zu schließen, der älteste, noch ins
1. Jahrhundert anzusetzende Teil. Als gesonderte christliche Familiengräber finden diese drei Räume
ihre ungezwungene Erklärung und in heidnischen Grabstätten Campaniens ihr Vorbild. In dem prächtigen
Mittelsaal waren, wahrscheinlich in frei aufgestellten Sarkophagen, die Mitglieder eines vornehmen Ge-
schlechtes beigesetzt. Enthält er doch nur wenige arkosolartige Gräber. Diese bieten — und so auch in
den Nebenkammern — das in Italien ungewöhnliche Beispiel des flachgewölbten Arkosoliums (S. 23).
Die Halle erfuhr dann eine Verlängerung um etwa 8 m, aber in geringerer Breite, die später als nur
3—5 m breite, aber niedrigere Hauptgalerie gegen 90 m weit in den Felsen fortgeführt worden ist.
Zugleich wurde rechts ein schmälerer Nebengang eröffnet und zwischen beiden eine Reihe von Tordurch-
gängen hergestellt. Der harte campanische Tuffstein erlaubte geräumige Verhältnisse. Gewöhnliche
Arkosolien, manchmal wie in Sizilien in zwei Reihen übereinander ausgehauen, herrschen im Hauptgange
vor. Die Fachgräber erscheinen hier als spätere notgedrungene Einschiebsel, während sie in der Neben-
galerie, offenbar infolge des Standesunterschiedes der Bestatteten, die Regel bildeten. Wachsender Platz-
mangel, noch mehr aber der fortwirkende Familiensinn der Antike führte zur Anlegung von Seitengemächern
an beiden Gängen, in denen mitunter die kreuzförmige Verteilung der Grabstätten vorkommt. In der
Anlegung eines Netzes sich kreuzender Gänge am Ende der Hauptgalerie ist man hingegen nicht weit
gediehen. In den späteren Teilen der „ersten Katakombe“ nimmt die Sorgfalt der Arbeit sichtlich ab.
An der „zweiten Katakombe“ ist eine noch stärkere Umgestaltung zu bemerken. Sie ist nur teilweise über
der ersten gelegen, mit der der vordere Abschnitt ihrer Vorhalle auf gleichem Niveau liegt. Fünf Stufen
führen zwischen zwei mächtigen Tuffpfeilern — ursprünglich waren nur die seitlichen Durchgänge vorhanden
— hinauf zu einem zweiten Saal (Abb. 29), der über 7 m im Quadrat mißt, durch einen jüngeren Lichtschacht
erhellt wird und in doppelter Reihe ausschließlich Arkosolgräber aufweist. Die Deckenmalerei trägt nach
Stil und Inhalt einen etwas jüngeren Charakter als in der „ersten Katakombe“ (s. Malerei). Nicht
vor dem 5. Jahrhundert erfolgte die Vergrößerung des Hypogäums, indem an den zweiten Vorsaal ein
tonnengewölbter, 9—12 m breiter Gang angefügt wurde. Zwei Säulenpaare und ein ungefähr auf der
halben Strecke aus dem gewachsenen Stein herausgehauenes Tor dienen als Stützen der Decke und zur
3*
36 SONDERSTELLUNG DER KATAKOMBEN ROMS

Abb. 29. Vorhalle der sog. Zweiten Katakombe von S. Ciennaro in Neapel (oberhalb der Treppe).

Gliederung der ganzen Flucht. Von einer im 9. Jahrhundert eingebauten Basilika sind nur noch spärliche
Reste übrig. Nur unentwickelte Seitenstraßen und wenige Nebenräume, darunter das schöne „Sepolcro
dei Sacerdoti“ genannte Cubiculum auf der linken Seite, begleiten die stattliche Galerie. Ihre niedrigeren
letzten beiden Abschnitte tragen das Gepräge einer späteren Epoche.
Neben diesen beiden Katakomben, deren Entwicklung sich einerseits mit dem sizilischen
Hallensystem berührt, andrerseits mit dem jüngsten Teil der „ersten“ (s. oben) in die Richtung
des römischen Systems weist, haben zwei andere in ihrer Nähe und wieder zum Teil über-
einander liegende Hypogäen sowie die späten Katakomben des heiligen Gaudiosus und Se-
verus unter der gleichnamigen Kirche nur untergeordnete Bedeutung.
Die grundlegenden Untersuchungen von V. Schultze, Die Katakomben von S. Gennaro dei Poveri,
Jena 1877, wurden neuerdings fortgeführt und ergänzt durch G. A. Galante, I nuovi scavi delle catacombe
di S. Gennaro in Napoli, Napoli 1908, u. Rendiconti dell’ Acad. di archeol. e lett. di Napoli, 1907, p. 19—35
(über S. Severo).
Rom und Mittelitalien.
Im Rahmen der vielgestaltigen Entwicklung des christlichen Begräbniswesens im gesamten
Kulturkreis der Antike zeichnet sich die Gräberwelt Roms in ihrer Eigenart um so klarer ab. Sie
bietet nicht das Bild triebartiger Entfaltung neuer Formen, deren Verbreitung nach allen
Himmelsrichtungen jene Mannigfaltigkeit erklären könnte, sondern das der Beschränkung auf
GESCHICHTE DER RÖMISCHEN KATAKOMBEN UND IHRER ERFORSCHUNG 37

wenige Typen und ihrer Vereinheitlichung nach einer früh festgestellten Regel. Es ist der
wenig phantasiebegabte, dafür im technischen Können geweckte und geschulte Sinn des Römers,
der darin zum Ausdruck kommt. Es ist die Kirche, deren straffe, in der engen Berüh-
rung mit der Staatsgewalt ausgebildete Organisation auch hier zu spüren ist. Vielleicht
schon seit dem Ausgang des 2. Jahrhunderts, sicher aber seit Mitte des 3. war sie die
eigentliche Besitzerin der Friedhöfe, deren Verwaltung den einzelnen Titularkirchen Roms
unterstand. Die Grabstätten waren nicht nur durch das Gesetz geschützte religiöse Plätze,
sondern sogar in Zeiten der Verfolgung, wenigstens seit Commodus, fester, vom Staate aner-
kannter Besitz. Die christlichen Cömeterien liegen —, und darin tritt wie schon in Sizilien
• die Wirkung des römischen Gesetzes hervor, — insgesamt außerhalb der Stadtmauer des
Aurelian an den großen, von Rom ausgehenden Straßen, oft mitten zwischen Begräbnisplätzen
der Heiden. Doch lag es in der Hand der Besitzer, Andersgläubige von ihrem Bezirk (area)
auszuschließen.
Die gewaltige, auf mehr als tausend Kilometer geschätzte Ausdehnung, welche die römi-
schen Hypogäen im Laufe der Zeit erreichten, und ihr unerschöpflicher Reichtum an Denk-
mälern der Malerei, Plastik, Kleinkunst und Epigraphik haben die Vorstellungen von der
zentralen Bedeutung der römischen Katakomben für die allgemeine altchristliche Kunstent-
wicklung fast bis zum heutigen Tage übermäßig beeinflußt. Es erscheint daher begreiflich,
wenn sich die christliche Archäologie nur langsam aus dem Banne der Anschauung zu befreien
vermag, daß hier der Mittelpunkt der frühchristlichen Stilbildung zu suchen sei. Sind doch
kaum zwei Menschenalter seit dem Beginn der eigentlichen Entdeckungsarbeit auf dem Felde
der römischen Katakombenforschung verflossen. Weit zurück liegen freilich die ersten, nur
durch ein halbes Jahrtausend von der Zeit der völligen Aufgabe der Cömeterien getrennten Funde.
Die Bestattung in den Katakomben nahm seit dem Siege des Christentums in Rom einen
veränderten Charakter an. Der immer mehr um sich greifende Märtyrerkult verlieh den unter-
irdischen Cömeterien eine neue Anziehungskraft. Der Wunsch, in nächster Nähe eines
Heiligen zu ruhen, führte manche Beschädigung älterer Grüfte herbei. Andrerseits sah
sich das 4. Jahrhundert auch zu erhaltender Arbeit veranlaßt, wie sie Papst Damasus der
Papstgruft von S. Callisto und zahlreichen anderen Märtyrergräbern angedeihen ließ. Als
endlich seit der Verheerung durch Alarich im Jahre 410 die frühere Sitte gänzlich gegen
die Bestattung unter freiem Himmel zurücktrat, erhielt sich doch die Gewohnheit, die Gedenk-
tage der Blutzeugen an ihren Gräbern zu begehen, ja diese wurden Wallfahrtsstätten der
abendländischen Christenheit. Erst nach wiederholter Beraubung der Gräber in den Kriegs-
stürmen der Zeit kam es im 8. bis 9. Jahrhundert zu einer allgemeinen Überführung der
Reliquien in die Kirchen. Sie hatte die Verödung der Katakomben zur Folge, doch wur-
den die beiden Hypogäen von S. Pancrazio und S. Sebastiano (ad Catacumbas) noch im
14. Jahrhundert besucht. Der Beiname des letzteren, der sich anscheinend auf seine Lage
in der Niederung bezieht, ist erst für uns zur allgemeinen Bezeichnung der christlichen Grüfte
geworden. Die von den Rompilgern verfaßten kurzen Itinerare (von Einsiedeln, Salzburg u. a.)
aber wurden auch die Wegweiser der modernen Forschung.
In der Renaissance hat der Wissensdurst zuerst Humanisten wie Pomponius Laetus zur Durchwan-
derung einzelner Cömeterien, so z. B. der Katakombe des Prätextat, getrieben. Den Anstoß zu ihrer syste-
matischen Erforschung aber gab die Entdeckung einer Gruft mit reichen Malereien an der Via Salaria im
Jahre 1578, und in Antonio Bosio erstand der Katakombenarchäologie ein Bahnbrecher, dessen methodische
Forschungsweise erst das 19. Jahrhundert wieder aufgenommen hat. Die Ergebnisse von Bosios 1632 (erst
drei Jahre nach seinem Tode) herausgegebener Roma Sotterranea wurde von den Kompilatoren und Reliquien-
38 EIGENART DES RÖMISCHEN KATAKOMBENBAUES

Suchern der Folgezeit (Bottari, Boldetti, Aringhi u. a.) nur durch wenige zuverlässige Beobachtungen
bereichert. Die systematische Inventarisierung der Funde begründeten zuerst die Konservatoren Settele
und Marchi in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hatte schon Bosio die Kalendarien und Martyro-
logien für die topographische Untersuchung zu verwerten gesucht, so fanden Marchi und sein genialer
Schüler Giambattista de Rossi (f 1894) den sicheren Leitfaden für das Labyrinth der Hypogäen in jenen
mittelalterlichen Itineraren. Ihm gelang es, die Zahl der durch historische Namen gekennzeichneten Grüfte
von 3 auf etwa 15 zu vermehren. Neben dem großangelegten, aber unvollendeten Werk von de Rossi,
La Roma Sotterranea, T. I—III, Roma 1864, 1867 u. 1877, wurden die Ergebnisse der ersten Jahrzehnte
römischer Katakombenforschung zusammengefaßt von F. X. Kraus, Roma Sotterranea, 1872 (2. Aufl. 1879)
und V. Schultze, Die Katakomben, Die altchristl. Grabstätten, Leipzig 1882. Nach de Rossis Tode traten
vor allem seine Schüler O. Marucchi und J. Wilpert an die Spitze der besonders im neuen Jahrhundert
mit wachsender Energie betriebenen Untersuchungen; vgl. die Ergebnisse ihrer mehrfach auseinander-
gehenden Forschungen bei O. Marucchi, Gli Elementi dell' archeol. crist. II., Guida delle Cat. rom., 1900,
sowie seine Berichte in den Not. degli Scavi (Accad. d. Lincei) und J. Wilpert, Beitr. z. christl. Archäologie, Röm.
Quartalschr. 1894,1900,1905 ff., sowie Ergänzungshefte zu de Rossis Roma Sotterranea(seit 1909), im allgemeinen
aber den letzten Gesamtüberblick von Leclercq bei Cabrol, a. a. O. II., 1, c. 2376—2450, sowie besonders für die
u. a. jüdischen Grüfte N. Müller, a. a. O., S. 864 und Die jüdische Katakombe am Monteverde zu Rom, Leipzig
1912. Die kritische Durchforschung und Erklärung der Itinerare u. a. Quellen ist mit Erfolg wieder auf-
genommen worden von G. Schneider, N. Bull, di a. c., 1909, p. 59; 1910, p. 17. In die von M. Stefano
de Rossi, dem Bruder Giambattistas, begründete Methode der technischen Untersuchung hat G. Bonavenia,
N. Bull, di a. c., 1908, p. 205—228, durch Feststellung des Einheitsmaßes, nach dem die Anlegung der
Galerien erfolgte, ein neues wichtiges Kriterium eingeführt.
Das System, nach dem die Katakomben schon im 2. Jahrhundert angelegt wurden,
trägt den Stempel des engen Zusammenschlusses, aber auch des an schlichte Würde gewöhnten
Sinnes der römischen Gemeinde. Das Massenbedürfnis forderte Beschränkung auf das Not-
wendige. Weitaus überwiegen die einfachen viereckigen Fachgräber (loculi) mit der in jüngerer
Zeit beliebten Abschrägung nach dem Fußende. Sie sind jedoch nicht eigene Erfindung, viel-
mehr schon im Orient gebräuchlich (s. S. 22). Wie hier so bezeichnet freilich auch der ent-
sprechende griechische Ausdruck (tönoc;), in Alexandria und anderwärts inschriftlich belegt,
jede Art Grabstelle. Bei Anwendung der kunstvolleren Grabform der Arkosolien ging man
in Rom nie über das Doppelgrab hinaus. Der römische Totengräber (fossor) mußte schnell
arbeiten, er vermied daher den tiefer liegenden harten Tuff (tufo litoide). Und da die Gräber
durchgehends in mehreren Reihen übereinander angelegt wurden, so scheute man im weichen
Stein (tufo granuläre) und in der Puzzolanerde tiefe Unterhöhlung. Deshalb wurden die Loculi
im Gegensatz zu den jüdischen Schiebegräbern in der Flächenrichtung in die Wand einge-
schnitten. Sie wurden wie jene durch eine Steinplatte geschlossen, welche den Namen des
Verstorbenen mit einfachem Segenswunsch, später meist auch die Darstellung eines christ-
lichen Symbols trägt, — seltener wurden sie vermauert. Da viel Wandfläche gebraucht
wurde, so mußte die Breite der Gänge möglichst beschränkt werden; nur ausnahmsweise
beträgt sie mehr als 80 Zentimeter. Die römische Feldmesserkunst führte zur Anlage nach
Hauptachsen. So entstand jenes, die römischen Katakomben kennzeichnende Netz paralleler
Gänge (cryptae), die einander meist im rechten Winkel schneiden. Die völlige Gleichheit
im Tode wurde freilich auch in Rom nicht erreicht. Den Galerien schließen sich seitlich in
gewissen Abständen Kammern (Cubicula) an, sie durchsetzen auch deren Flucht oder bilden
die Kreuzungsstellen. Manchmal findet eine Vereinigung zweier, selten mehrerer Kammern
statt. Ihr Raumgehalt ist mit wenigen Ausnahmen ein sehr bescheidener. An Stelle der flachen
oder schwach gewölbten Decke, die sich oft in einen Lichtschacht (Luminare) öffnet, kommt
das Kreuzgewölbe vor, und Ecksäulen vervollständigen mitunter die Scheinarchitektur. Die
JÜDISCHE HYPOGÄEN UND HELLENISTISCHER EINFLUSS IN ROM 39

älteren Cubicula sind meist Familiengräber, die jüngeren Märtyrergrüfte. Daher überwiegt
in den Kammern das Arkosolium, wobei höchstens auf jede Wand ein Grab entfällt. Eine
trapezförmige Nische statt des Bogens zeigt eine auch in Sizilien vertretene Abart (sepolcro
a mensa). War der Raum erschöpft, und konnte die Sohle einer Katakombe wegen Gefahr
des Einsturzes nicht mehr niedriger gelegt werden, was wiederholt nach festem Maßstab
(von zirka 1,70 m) zu geschehen pflegte — bisweilen auch umgekehrt eine Erhöhung der
Gänge —, so schritt man zur Aushebung eines tiefer gelegenen zweiten und dritten, ja selbst
eines vierten und fünften Geschosses.
Erst bei näherer Betrachtung fallen in den ältesten Cömeterien Besonderheiten ins
Auge, die über ihre allmähliche Entstehung einigen Aufschluß geben. Daß sich auch in Rom
in der Bestattungssitte der christlichen Gemeinde jüdischer Gebrauch fortpflanzte, wird
durch das Vorhandensein von fünf jüdischen Katakomben bestätigt. Die größte der Vigna
Randanini an der Via Appia und die Hypogäen an der Via Labicana aus dem 2. und 3. Jahr-
hundert zeigen freilich, von der anscheinend allen gemeinsamen offenen Vorhalle (S. 18)
abgesehen, eine den christlichen Cömeterien nicht unähnliche Anlage, wenngleich die erstere
geräumigere Kammern und in mehreren Galerien auch Schiebegräber enthält. Die älteste Kata-
kombe an der Via Portuense aber hat eine vielgestaltige, wohl noch von palästinischen Grüften
beeinflußte Zusammensetzung aus grottenartigen Räumen mit tiefen Gelassen im vorderen und
einzelnen Grabkammern und Galerien in den entlegenen Teilen. Ungewöhnlich sind auch die
neben den Fachgräbern vorherrschenden Senkgräber und die vom Boden mitunter bis an die Decke
aufgemauerten sarkophagartigen Grabstellen. Andrerseits beweisen griechische Grabschriften,
stattliche Arkosolien in zwei Kammern der Vigna Randanini (Abb. 8) und die noch bedeut-
sameren von Apsiden überwölbten Troggräber (S. 19) des Hypogäums an der Via Labicana,
daß die römischen Juden zugleich als Träger hellenistischen Einflusses anzusehen sind. Und
mehrfach begegnen uns die Spuren jüdischer und griechischer Begräbnisformen auch in den
christlichen Katakomben.
Daß aber diese auch in Rom nicht unmittelbar aus jüdischen Grüften, sondern vorzugs-
weise aus einheimischen Grabkammern hervorwuchsen, läßt die Betrachtung der ältesten
Cömeterien nicht verkennen. An der Spitze steht die an der Via Salaria gelegene Katakombe,
als deren Gründerin die Überlieferung Priscilla, die Mutter des Senators Pudens, nennt, der
die Apostel Petrus und Paulus beherbergt haben soll. Hier befanden sich die Gräber seiner
Töchter Praxedis und Pudentiana, der Titularheiligen der gleichnamigen Basiliken, und vielleicht
auch die seiner im Römerbrief (XVI, 3—5) genannten Freigelassenen. Sicher ist der älteste
Teil der Anlage (Abb. 30) gleich nach dem Tode des unter Kaiser Domitian wegen Religions-
frevels hingerichteten Consuls Acilius Glabrio (91 n. Chr.) auf dessen Landgut entstanden.
In der Familiengruft, einem im rechten Winkel umbiegenden Gang (D) und fast zerstörten Neben-
gemach (O), zu dem er leitet, befanden sich die Särge mehrerer Glieder des Geschlechts der Acilier und
am Gangende, wo die schon im 4. Jahrhundert gesperrte alte Treppe zum Cömeterium hinabführt,
ein Arkosolium mit der symbolischen Darstellung von Pfauen. Das am anderen Ende befindliche Haupt-
gemach (M), der größte Raum der römischen Katakomben, ist anscheinend erst am Anfang desselben aus einem
schon im 2. Jahrhundert als Gruft benutzten Nymphaeum umgebaut worden. Es enthielt ringsum in
Wandnischen aufgestellte Sarkophage und in einem Arkosolium höchst wahrscheinlich die Grabstätte
eines Märtyrers, wenngleich schwerlich des Papstes Marcellinus (f 305 n. Chr.), die wohl mit besserem
Recht in einer durch spätere Galerien angeschlossenen Doppelkammer (CR) vermutet wird. War doch schon
um die Wende des 1. Jahrhunderts, wie die kurzen, noch nicht eingeritzten, sondern mit roter Farbe
aufgemalten Epitaphien dartun, hinter der Familiengruft ein Hypogaeum für Glaubensgenossen in die
Windungen alter Sandgruben eingebaut worden. Eine breitere Galerie zweigt sich rechts ab, zwei engere
40 ENTSTEHUNG UND ANLAGE DER PRISCILLA-KATAKOMBE

führen links in die Tiefe. Cubicula, die


teils einzeln, teils gruppenweise anliegen,
darunter die berühmte ,,Cripta della Ma-
donna“, weisen noch Malereien aus dem
2. Jahrhundert auf. Weiterhin folgen solche
des 3. und zuletzt des 4. Jahrhunderts.
Auch an der Ostseite der Aciliergruft
haben bedeutungsvolle Erweiterungen statt-
gefunden. Ein schmaler Gang verbindet
den größeren Flur mit Galerien, die ein
unterirdisches,durch eine später überbaute
lange Treppe( S) zugängliches Baptisterium
umgeben. Wahrscheinlich war dieseStätte durch eine feier-
licheTradition geweiht,denn dicht hinter der Apsis der zer-
störten Basilika von S. Silvestro, aus der man in die durch
die Itinerare hier beglaubigte dritte und jüngste der Papst-
grüfte hinabstieg, befand sich ein oberirdischer Tauf-
brunnen des 4. Jahrhunderts. Darauf gründet sich die
neuere Vermutung, daß hier und nicht bei S. Agnese das
,,Coemeterium Ostrianum“ zu suchen sei, wo Petrus ge-
tauft und seinen Sitz gehabt haben soll. Dicht hinter
Abb. 30. Die Aciliergruft (Grundriß) mit an-
schließenden Teilen der Priscilla-Katakombe dem großen Cubiculum (M) und auch mit dem übrigen
(nach N. Bull, di a. C., 1907). Cömetrium einst unmittelbar verbunden, stößt der am
längsten bekannte, stattlichste, spätestens im 2. Jahr-
hundert entstandene Bezirk der Priscilla-Katakombe an, ein breiter, mit fünf Kreuzgewölben eingedeckter Saal,
auf den sich zu beiden Seiten Nischen und geräumige Cubicula öffnen. Unter ihnen ist die nächstgelegene, schon
von den Fossoren „griechische Kapelle“ genannte Doppelkammer (Abb. 31 u. 53), ausgezeichnet durch schöne
Architektur, feines Stuckornament und Inkrustation nachahmende Bemalung und durch ihren Bildschmuck von
frühem Stil und bedeutsamem Inhalt (s. Malerei). Ihr Hauptgemach hat — und das gab offenbar den Anlaß für
diese Benennung (s. S. 28) — an drei Seiten Apsiden zur Aufnahme von Sarkophagen, während im Vorraum
Wandbänke jederseits ein Doppelgrab enthielten. Im gegenüberliegenden Cubiculum schloß sich an eine
alte Treppe ein Abstieg ins Untergeschoß der Katakombe an, am Ende der Galerie aber liegen (neben
dem heutigen Eingang) zwei wiederum durch apsidalen Abschluß und durch kreuzförmig verteilte Nischen
bemerkenswerte Kapellen. — Die genauere Kenntnis der seit dem 16. Jahrhundert zugänglichen, durch de
Rossi 1863 erschlossenen Katakombe ist den 1887, sowie seit 1901 geführten jüngsten Grabungen zu ver-
danken, über die O. Marucchi, N. Bull, di archeol. crist., 1908, XIV., p. 5-125, abschließend berichtet.
Abweichend von ihm und anscheinend richtiger wird das Cubiculum darum von J. Wilpert, Röm. Quartalschr.,
1908, XXII., S. 91 —102, in der besagten Doppelkammer erkannt; zur Cap. Greca vgl. auch seine Fractio
Panis, Freiburg 1895 und La Capella greca, 1896.
Das tiefere Geschoß der Priscilla-Katakombe ist im Gegensatz zur unregelmäßigen Gestaltung
des oberen nach fast schematischem Plan durch eine noch im 2. Jahrhundert vorgenommene Er-
weiterung, bestehend aus einer von Querstollen gekreuzten Hauptgalerie, geschaffen worden, wenn-
gleich es anscheinend anfangs mehrere'eigene Zugänge hatte. Da der bedeutendste die hinter S. Sil-
vestro aufsteigende TreppeVar, so ist hier mitjWahrscheinlichkeit das „Ostrianum“ zu vermuten.
Ungefähr der gleichen Zeit "wie die'Priscilla-Katakombe verdankt das größte römische
Cömeterium seinen Ursprung, den Namen aber — er ist durch zwei Inschriften, die von Schenkun-
gen eines Begräbnisplatzes an Freigelassene sprechen, verbürgt — Flavia Domitilla, einer An-
verwandten des herrschenden Kaiserhauses, wahrscheinlich der unter Domitian wegen Religions-
verbrechens verbannten Nichte des Consuls Flavius Clemens (95 n. Chr.). Zugleich bestätigt
dieses frühchristliche Denkmal in manchem Zuge die wohlbezeugte Hinneigung anderer Familien-
glieder zum jüdischen Glauben.
Abb. 31. Hauptkammer der sog. „Capella greca“ in der Priscilla-Katakombe
(nach J. Wilpert, Fractio Panis, 1895).
42 URSPRUNG UND SYSTEM DER DOMITILLA-KATAKOMBE

Abb. 32. Das Vestibulum der Flavier vor der Domitilla-Katakombe


(nach Bull, di archeol. crist., 1865).

Der Grabstätte eines erlauchten Geschlechtes würdig erscheint der älteste Teil, das sog. „Vestibulum
der Flavier“ (Abb. 32). Seine Lage an offener Straße (Via Ardeatina) weist darauf hin, daß es auch während
der Christenverfolgungen unbestrittener Privatbesitz geblieben ist. Doch entstammt von der in bester
römischer Ziegeltechnik ausgeführten Außenarchitektur nur der eigentliche Portalvorbau dem 1. Jahrhundert.
Erst im 2. und 3. wurden, antikem Brauch entsprechend, zu beiden Seiten Räume für die Grabpflege (custodia
ENTWICKLUNG UND GLIEDERUNG DES COEMETERIUMS VON S. CALLISTO 43

monumenti) angelegt, rechts drei, teils gewölbte, teils im Felsen ausgehauene Kammern, die mittlere und
größte mit einer Bank, welche nach Art eines Triclinium an den Wänden entlang läuft, links eine kleine
mit Brunnen. Die Malereien der erhaltenen beiden Cubicula und vollends der großen Galerie (Abb. 41)
wahren noch reinste antike Tradition. Wie in der Gruft der Acilier, waren in diesem breiten Flur ursprüng-
lich nur Sarkophage in vier tiefen Wandnischen aufgestellt. Am Ende zweigen zweimal enge Seitenwege
ab, und am ersten links liegt ein kleines Cubiculum mit arkosolartigem jüdischen Bankgrab. In die süd-
wärts angrenzende Region desselben (zweiten) Geschosses mit der Gruft der beiden Märtyrer Nereus und
Achilleus — die Tradition sieht in ihnen Prätorianer aus dem Gefolge der Domitilla — sind im 4. Jahr-
hundert neue Galerien und Cubicula (des Fossors Diogenes u. a. m.) eingeschoben worden, und gegen Ende des-
selben wurde über dem Märtyrergrabe eine Basilika erbaut. Weiterhin schließt sich die Region der
Aurelier an, in der die Epitaphinschriften mehrerer uneröffneter Gräber Nachkommen der ersten Besitzer
des Cömeteriums vermuten lassen. Vielleicht das älteste Cubiculum der Domitilla-Katakombe liegt am
Fuße einer Treppe beim großen Lichtschacht. Die ausgedehnten Regionen des Obergeschosses hingegen
rühren nach dem Zeugnis der Malereien, so z. B. der Regione della Madonna, größtenteils aus dem 3. Jahr-
hundert her, wenn sie auch einzelne weit ältere Kammern einschließen. Eine ganze Region ist nach der
durch eine edle antike Dekoration (S. 53) vom Anfang des 2. Jahrhunderts ausgezeichneten Gruft des Ampliatus
(Abb. 40), — vielleicht des Anhängers Pauli (Römer, XVI, 8), benannt. Zuerst nur zur Aufstellung von
Sarkophagen bestimmt, enthält sie zwei später eingebrochene Arkosolien und Loculi. So tritt klar zutage,
daß dieser gewaltigste römische Friedhof, der sich bei verhältnismäßig beschränktem Umfang in vier Geschossen
aufbaut, erst allmählich aus mehreren getrennten Grabstätten zusammengewachsen ist. — Trotz wiederholter
Ausgrabungen in den Jahren 1852, 1864, 1865, 1872 und 1897 stellt seine Entstehungsgeschichte und sein
System der Forschung noch immer wichtige Aufgaben. Zugleich wird eine umfassende Neuaufnahme der
ganzen Katakombe durchgeführt; vgl. O. Marucchi, Monum. del Cimitero di Domitilla, Roma 1909; Roma
Sott, crist., N. Ser., T. I, fase. 1 und N. Bull, di a. c., 1911, p. 101—106.
An Umfang und geschichtlicher Bedeutung kommt den schon betrachteten die Katakombe
des heiligen Calixtus gleich, dem von seinem Vorgänger Zephyrinus die Aufsicht über die-
selbe anvertraut war und der als Sixtus II. (f 222) zuerst seine Ruhestätte in der von ihm
hier angelegten zweiten Papstgruft erhielt. Vielleicht hatte sich damals schon die Vereini-
gung mehrerer, ursprünglich selbständiger Hypogäen zu diesem, zwischen Via Appia und
Ardeatina gelegenen Cömeterium (Abb. 33) vollzogen. Später wurden ihm in verschiedenen
Richtungen neue Regionen angegliedert. Stellenweise liegen die Galerien in fünf Geschossen
übereinander, — das Hauptnetz aber entfaltet sich im zweiten.
Der älteste Teil sind die ,,Krypten der heiligen Lucina“ (Abb. 33, I, 2), die von Papst Damasus erweitert
und mit einer monumentalen Treppe versehen wurden. Diese Cubicula mit ihren viel umstrittenen Malereien
aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts sind wieder nur ein Teil eines christlichen Erbbegräbnisses, und zwar
nach Epitaphien in der zugehörigen Galerie zu schließen, der Gens Pomponia, von deren Grabmonument
sich noch Trümmer am Eingang erheben. An sie schloß sich dann die von de Rossi zuerst (1849) aufge-
deckte Gruft (I, 3) des Papstes Cornelius (251—253) an, zu deren malerischem Schmuck freilich eine spätere Zeit
mit den im strengen byzantinischen Schema gehaltenen Porträtgestalten (s. kirchliche Malerei) ihren Anteil
beigesteuert hat. Von da gelangt man durch die Ausläufer eines Arenariums zu den Quattro Pilastri (11,1), wo
mehrere Regionen Zusammentreffen, und durch weitere Gänge in den eigentlichen, im Süden gelegenen Mittel-
punkt der Katakombe mit der großen Papstgruft von S. Callisto (III, 4). Diese war vom oberirdischen Cöme-
terium, wo sich die heute dem heiligen Sixtus (Calixtus) geweihte Cella trichora (V, 1) — vielmehr wahrscheinlich
die Grabkapelle des Zephyrinus und eines später darin beigesetzten Märtyrers Tarsicius — erhebt (Abb. 21), un-
mittelbar zugänglich. Die hier ruhenden Päpste nennt eine von Papst Damasus, der die Gräber vom Kalligraphen
Philocalus mit neuen Inschriften versehen ließ, verfaßte Inschrift „eine Ehrenwache des Altars Christi“.
Trümmer des letzteren und der davor errichteten Säulenstellung und Schranke ergaben eine völlig sichere Rekon-
struktion (Abb. 34 u. 35). Die ursprüngliche Anlage war in ein älteres privates Hypogäum eingefügt worden,
von dem das anstoßende Cubiculum der heiligen Cäcilia (III, 5) herrührt. Auch dieses ist vergrößert und noch im
5. Jahrhundert mit ihrem Bilde geschmückt worden (Abb. 36), obgleich die Märtyrerin selbst in der Prätextat-
katakombe ruhte. Zuvor aber waren in seinem Boden zahlreiche Gräber, darunter auch das neuerdings entdeckte
des Papstes Pontianus, angelegt worden. Teils noch dem 3., teils dem 4. Jahrhundert entstammen die in nord-
44 SYSTEM DER CALIXTUS-KATAKOMBE
DIE PAPSTGRUFT VON S. CALLISTO UND DIE PLATONIA 45

Abb. 34 und Abb. 35. Papstgruft der Calixtus-Katakombe (Erhaltungszustand und Rekonstruktion)
(nach de Rossi, La Roma Sotterranea II).

westlicher Richtung anstoßenden Galerien und Grabkammern, vor allem (in der Regione rettangolore) die ihres
Freskenschmuckes (Abb. 44) wegen berühmten fünf Sakramentskapellen (V), die Grüfte der Päpste Eusebius
(VI, 1 )und Gajus, die Cubicula der Jahreszeiten, der fünf Heiligen u. a. m. Die sich im Westen ausdehnende Region
hat ihren Namen von der fälschlich nach der heiligen Soteris benannten darüber gelegenen Cella trichora (VIII, 1)
erhalten. Mit größerer Wahrscheinlichkeit wird die letztere neuerdings für die Grabstätte des Märtyrer-
paares Marcus und Marcellianus gehalten. Die nördliche Fortsetzung des Cömeteriums endlich bildet die von
Liberius, dem Vorgänger des Damasus, hinzugefügte Region (IX). Noch weiter gegen Norden aber wurden
vor zehn Jahren zwei Grabkammern entdeckt, von denen die kleinere sich durch Inschriftenfunde allem Anschein
nach als die Ruhestätte der Mutter und Schwester des Damasus erwiesen hat. Dem widerspricht zwar die
Angabe des Liber Pontificalis, daß der Papst sich selbst und den Seinen jdie Grabstätte in einer Basilika
bereitet hatte, doch könnte diese über jener Krypta gelegen oder auch eine Übertragung der Gebeine dort-
hin stattgefunden haben, wenngleich die sog. Cella des Sixtus (s. oben) schwerlich mit Recht auf sie
bezogen wurde.
Zweifelhaft bleibt es, ob das im Nordwesten angrenzende Cömeterium des Marcus und
der Balbina noch mit dem System von S. Callisto zusammenhängt. Außer Zusammenhang
mit ihm standen, wenigstens ursprünglich, die Katakomben des heiligen Sebastian mit der sog.
Platonia, die erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden ist, während sie nach
der Tradition zur Zeit von Valerians Verfolgung (2587n. Chr.) die Gebeine der Apostelfürsten
bewahrt haben soll. In der Folge bildeten sich zwei Gruppen von Galerien, bei der Kirche,
46 ERFORSCHUNG DER CALIXTUS-KATAKOMBE

Abb. 36. Cubiculum der heiligen Cäcilia in der Calixtus-Katakombe


(nach de Rossi, La Roma Sotterranea II).

neben der neuerdings ein Cubiculum mit Apsis freigelegt wurde, die eine und bei dem einst
von stattlichen Mausoleen bestandenen oberirdischen Cömeterium (delle sette chiese) die andere.
Mit der Entdeckung der Gruft des Papstes Cornelius durch de Rossi 1849 und den 1851 — 1854 von
ihm geleiteten Ausgrabungen des Cömeteriums von S. Callisto hat die monumentale Katakombenforschung
eingesetzt. Aber selbst in diesem bestbekannten Netz haben besonders die Untersuchungen des letzten
Jahrzehnts neue Tatsachen und neue Streitfragen ergeben; vgl. zuletzt P. Scaglia, I Catacombi di S. Callisto,
Roma 1909, und zusammenfassend H. Leclercq bei Cabrol, a. a. O., II., 1, c. 1664—1754. Die Entdeckung
der o. a. beiden Grabkammern und die Ansetzung der Gräber des Damasus und der oben genannten Mär-
tyrerpaare rief eine lebhafte Erörterung hervor zwischen Wilpert, N. Bull, di archeol. crist., 1903, p. 43;
Röm. Quartalschr. 1903, S. 124; Die Papstgräber und die Cäciliengruft in der Kat. des hl. Kallistus,
Freiburg i. B. 1909, I. Erg.-H. zu de Rossis R. Sott, und O. Marucchi, N. Bull, di a. c., 1903, p. 59; 1905, p. 192;
1908, p. 157; 1909, p. 221 ; 1910, p. 184—224 und R. Sott., N. Ser., I., 1, p. 42; in diese griffen Scaglia,
I cimiteri dei S. S. Marco e Marcelliano e di P. Damaso, Roma 1910, u. a. ein; vgl. dazu die besonnene
Auseinandersetzung von E. R. Barker, The Journal of Roman Studies, 1911, I., 1, p. 107—127. Die wahre
Lage von S. Soteris stellte fest Wittig, Röm. Quartalschr. 1905, S. 50. Über die neuen Ausgrabungen bei der
Platonia berichtet Colagrossi, N. Bull, di a. c., 1909, XV., p. 51 — 61 ; vgl. auch Leclercq bei Cabrol, a. a. O.,
II., 1, c. 2486—2512. Daß sich dort nicht das Grab, sondern das Haus (bzw. Absteigequartier) des Petrus
oder gar beider Apostelfürsten befunden habe, bleibt theologische Hypothese; vgl. Wilpert und A. de Waal,
Röm. Quartalschr. 1912, S. 117 ff. u. 122 ff. Das anscheinend unvollständige Graffito DOMVS PETRI/P (au-
lique ?) aus dem 5. Jahrh. beweist höchstens, daß die Damasianische Inschrift solche Legendenbildunghervorgerufen
hatte, vielleicht weil daselbst (seit Zephyrinus) der päpstliche Verwaltungssitz war und der frühere vergessen.
DIE KATAKOMBEN DES PRAETEXTATUS UND DER HEILIGEN AGNES 47

Abb. 37. Plan der Agnes-Katakombe, I älteste Region, II—IV jüngere Regionen
(nach Armellini, II Cimitero di S. Agnese, 1880).

Im Cömeterium des heiligen Praetextatus, jenseits der Via Appia, das auffälligerweise
mit einem Hypogäum heidnischer Sabaziosverehrer zusammenhängt, bezeugt die durch statt-
liche Backsteinarchitektur im Stil der Antoninenzeit und ihre schönen Fresken (Abb. 39) aus-
gezeichnete Gruft (Crypta quadrata) des heiligen Januarius (f 162 n. Chr.), daß die Her-
stellung wenigstens des Hauptstranges (Spelunca magna) mit seinen historischen Gräbern
noch in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts fällt. Ebenso alt ist eine andere, durch zwei
Treppen mit einem Obergeschoß in Verbindung stehende Region von sehr regelmäßiger Plan-
gestaltung nach dem Zeugnis der Malereien in der sog. Passionskrypta (s. Malerei).
Der Ursprung der Katakombe der heiligen Agnes (Abb. 37) an der Via Nomentana, die be-
sonders im 4. Jahrhundert eine starke Anziehungskraft geübt und die Gründung der gleichnami-
gen Basilika veranlaßt hat, liegt weit hinter der Beisetzung der Märtyrerin der Valerianischen
Christenverfolgung zurück. Eine an der Nordseite der späteren Kirche noch teilweise erhaltene
Privatgruft (der Gens Clodia) aus dem 2. Jahrhundert weist inmitten enger Gänge eine Kammer
von jüdischem Typus auf. Sie wurde im 3. Jahrhundert erweitert durch Galerien, die das
Heiligengrab umgaben und mit diesem im 6. Jahrhundert dem Neubau der Basilika größtenteils
48 DIE ÜBRIGEN RÖMISCHEN CÖMETERIEN

weichen mußten. Erhalten blieben eine südlich gelegene und die im Westen an diese sowie
die sich an die Apsis anschließenden Regionen des 4. Jahrhunderts, die sich in südöstlicher Rich-
tung unter der Via Nomentana fortsetzen, mit weiträumigen Cubicula. Von dieser Katakombe
wird das früher irrtümlich als das „Ostrianum“ geltende „größere Cömeterium“ (Cimitero
maggiore) nur durch ein altes Arenarium geschieden. Es birgt die Gruft der heiligen Eme-
rentia: ein von der Galerie durchschnittenes Doppelcubiculum mit Arkosolgrab, Cathedra und
einem als Lampenträger dienenden Säulenstumpf. In der nächsten Umgebung befindet sich
die größte zusammenhängende Reihe von Kammern der römischen Katakomben überhaupt,
fünf Cubicula sind hier zu zwei und drei zu Seiten des Ganges zusammengelegt. Durch Aus-
stattung der äußersten mit dem angeblichen Bischofssitz haben sie das Ansehen eines kirch-
lichen Versammlungsraumes gewonnen, doch dienten die Sessel hier und anderwärts wohl
nur als Ruhesitze, während die Wandbänke überall den Hauptzweck hatten, Gräber auf-
zunehmen (S. 40). Auch konnte der Raum nur für Abhaltung der Totenliturgien ausreichen.
Auch einzelne kleinere Grüfte Roms (z. B. S. Processo e Martiniano, S. Felicita und
S. Alessandro) leiten ihren Ursprung aus älterer, zum Teil sogar aus apostolischer Zeit her. Um
das Grab des Petrus bildete sich die erste der Papstgrüfte, deren Kern noch im 16. Jahrhundert
in den „vatikanischen Grotten“ als Krypta der Petersbasilika erhalten war. An die Gruft des
Paulus bei Aquae Silviae hat sich erst im 4. Jahrhundert eine kleine Katakombe sowie weiter
westwärts die Theklakatakombe mit geräumigen Cubicula angeschlossen. Nachdem aber Kon-
stantin der Große über den Gräbern beider Apostelfürsten Basiliken errichtet hatte, entstanden
in deren Umgebung oberirdische Cömeterien, eine allgemeine Erscheinung des nachkonstan-
tinischen Zeitalters. Im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts wurden bereits zwei Dritteile aller
Toten unter freiem Himmel (sub divo) bestattet. Aber einem erklärlichen Bedürfnis folgend,
legte man die neuen Begräbnisplätze zunächst in örtlichem Zusammenhang mit den Kata-
komben an. Sie umschlossen neben der Masse der gewöhnlichen, oft schachtartig aus Mauerwerk
hergestellten Senkgräber (formae) auch Mausoleen, freistehende Sarkophage und aufgemauerte
Arkosolien. Ein Gesamtbild eines solchen Friedhofs (area cincta) vermitteln uns besonders
die noch vorhandenen Reste und Fundamentierungen (Abb. 21) bei der Katakombe des heiligen
Calixtus. Daselbst sind auch die Bautypen des christlichen Orients in Gestalt eines turmartigen
Mausoleums und der oben erwähnten beiden cellae trichorae vertreten. Das bedeutendste,
in Rom aber seltene Beispiel einer Cömeterialbasilika bietet die Kirche der Heiligen Nereus
und Achilleus über der Domitillakatakombe (s. S. 43). Gleichwohl kam die unterirdische
Bestattungsweise nur langsam außer Gebrauch, zumal in der Umgebung von Märtyrergrüften.
Die Entstehung aller größeren Systeme reicht zwar mindestens ins 3. Jahrhundert zurück,
so vor allem noch der Katakomben der Giordani, der Comodilla und des Thrason und Satur-
ninus, aber einzelne, wie das Cömeterium von S. Valentino, das der Quattro Coronati, und
vor allem das des Petrus und Marcellinus erreichten eine solche Ausdehnung doch erst im
4. Jahrhundert. Im letzteren ließ erst Konstantin der Große eine Cömeterialbasilika aufführen,
und in der Nähe erbaute seine Mutter Helena ihr Mausoleum, eine von Wandnischen durch-
setzte, heute sehr verfallene Rotunde (Torre Pignattara). Kleinere Hypogäen, wie S. Ponziano
und S. Generosa mit ihrem ins 5. Jahrhundert weisenden Freskenschmuck, sah noch die Spät-
zeit entstehen.
Die Durchforschung der Prätextatkatakombe, deren bekannte Teile von de Rossi schon 1847—1852,
1857 und 1870 erschlossen wurden, ist erst seit 1907 wieder aufgenommen worden; vgl. |R. Kanzler, N.
Bull, di a. c., 1909, p. 118—122. Eine neuere Übersicht über das hauptsächlich von Armellini untersuchte
MITTELITALISCHE GRÜFTE —CHRISTLICHE GRABPFLEGE — BIBLIOGRAPHIE 49

Cömeterium von S. Agnese gibt Leclercq bei Cabrol, a. a. O., I., 1, c. 918—946. Über die 1897 entdeckte
Cömeterialbasilika und die Anlage der seit 1864 bekannten Katakombe von S. Pietro e Marcellino vgl. zuletzt
Wilpert, Röm. Quartalschr. 1908, S. 73—90. Die Literatur zu den übrigen römischen und den mittelitalischen
Cömeterien siehe in der Übersicht von Leclercq bei Cabrol, a. a. O., II., 1, c. 2443.
Die römischen Katakomben als Gemeindefriedhöfe stellen die Blüte der christlichen
Cömeterialkunst dar. Sie haben weit hinausgreifend über die Grundlage der Familiengruft,
auf der die Sitte des Orients im wesentlichen stehen geblieben ist und auf die auch ihre
Anfänge zurückgehen, eine Höhe der Entwicklung erreicht, der nur die Hypogäen von
Syrakus — und vielleicht auch die alexandrinischen — nahe kommen. Mit ihrer völlig durch-
gebildeten Eigenart bedeuten sie die reifste Frucht in dem Werdegange der christlichen Sepul-
kralformen, nicht deren Keim. Ihr vorbildlicher Einfluß findet schon in den Cömeterien der
weiteren Umgebung Roms seine Grenze. Wenn auch in ganz Mittelitalien die Hypogäen sich
aus Galerien und Kammern zusammensetzen, so sind doch die letzteren dort oft geräumiger
und schließen sich dichter aneinander. Davon gibt z. B. die Märtyrergruft „San Senatore“ bei
Albano eine deutliche Vorstellung. Es sind offenbar die Bauformen altetrurischer Grab-
kammern, die herüberwirken und vollends die Gestaltung der Cömeterien in dieser Provinz
selbst (Chiusi, Bolsena u. a. m.) bestimmt haben. Außer den Fachgräbern kommen hier Senk-
gräber zahlreich vor,|wie schon in den sog. suburbikarischen Katakomben (z. B. in S. Zotico).
Auf der Stufe ihrer höchsten Vollendung im 2. und 3. Jahrhundert, deren Bild unter
der Einwirkung des späteren Märtyrerkults und des von der Fossorenzunft betriebenen Handels
mit den Grabstellen manche Verunstaltung erfahren hat, waren die römischen Katakomben
keineswegs düstere Wohnungen des Todes. Das Dunkel der Galerien lichteten die zahllosen
Flämmchen der in halbkreisförmigen kleinen Nischen aufgestellten Tonlampen, deren Schimmer
sich in den Familienbegräbnissen (Cubicula) mit dem durch die Lichtschachte einströmenden
oft nur noch einen schwachen Dämmer verbreitenden Licht des Tages mischte. Lampen,
Goldgläser (s. Malerei) und andere Dinge waren oft in den Mörtel neben den Grabstellen
eingedrückt, teils als Erkennungszeichen — fehlte doch oft die kostspieligere Inschrift —, teils
als Beigaben, wie auch in den Grabkammern meist Geschirr, Hausgerät und Schmuck ent-
halten war. Den Toten gebührten Blumenspenden. Bekränzung mit Rosen wird in klein-
asiatischen Grabinschriften gefordert. Solche Gewohnheiten, wie auch das Aufstellen der
Kerzen, übernahm das Christentum unbedenklich von der antiken Sitte. Zu den jüdischen
kamen antike Gedächtnistage und für die Blutzeugen noch im 2. Jahrhundert der Jahrestag
des Toten hinzu. Die Vereinigungen am Grabe der Dahingeschiedenen erhielten durch die
Abendmahlsfeier einen christlichen Grundzug, zugleich aber stellte sich auch das Totenmahl ein,
das sogar zu Gelagen ausartete. So belebte ein lebhafter Verkehr die Kirchhöfe. Antike
Lebensfreude entzündet sich an den christlichen Jenseitshoffnungen und verklärt mit ihrem
Abglanz diese unterirdische Welt. Die Malerei aber gibt den Gedanken, die hier webten, den
lebendigsten und schönsten Ausdruck.
In einer Gesamtübersicht des Denkmälerbestandes hat N. Müller (Koimeterien. Die christlichen
Begräbnisstätten. Realenzykl. f. protest. Theol. u. Kirche, 3. Aufl 1912, X. Band, S. 794 -877; Nachtrag
von E. Becker für Bd. XXIII. in Vorbereitung) den zuerst von V. Schultze, Die Katakomben, Leipzig 1882,
angewandten, auch hier befolgten Grundsatz zur Geltung gebracht, daß die Entwicklung der christlichen
Grabformen in der Folge ihres Vordringens in westöstlicher Richtung unter Berücksichtigung der vorchrist-
lichen lokalen Vorstufen zu betrachten ist. Außer den bereits im einzelnen o. a. Publikationen vgl. besonders für
die neueren Entdeckungen die seither erschienenen Handbücher der christlichen Archäologie von C. M. Kauf-
mann, O. Marucchi, H. Leclercq und den zusammenfassenden sowie die einschlägigen Spezialartikel des
Letztgenannten in dem seit 1904 (bzw. 1907) von Cabrol herausgegebenen Dictionnaire d’archeol ehret, et
O. Wulff, Altchristi. u. byzant. Kunst. 4
50 URSPRUNG DER SEPULKRALEN MALEREI — BESCHRÄNKTER ANTEIL ROMS

de liturgie, II., 2, c. 2376—2450 (Catacombes), sodann den Theol. Jahresbericht (VII. Abt., Kirchl. K., bearb.
von G. Stuhlfauth) und die Berichterstattung im Nuovo Bull, di archeol. cristiana, in der Röm. Quartalschr.
f. christl. Altertumskunde, in der Byzant. Zeitschrift u. a. m. Eine kritische Zusammenstellung der For-
schungsergebnisse für die wichtigsten (vorzugsweise römischen) Denkmäler und beachtenswerte Ausfüh-
rungen zu den Grabformen bietet auch L. v. Sybel, Die christliche Antike, Marburg 1906, I., S. 81—132.

2. Die sepulkrale Malerei und Symbolik.


Als christliche Vorstellungen die künstlerische Phantasie anzuregen begannen, trat
zweifellos zuerst die malerische Ausdrucksweise in den Dienst des Darstellungstriebes. Den
Ursprung der christlichen Malerei zu begreifen, erscheint jedoch nicht so leicht. Den Juden
fehlte, wenigstens in Palästina, die eigentliche Bildkunst. Die heidnische Kunst aber mußte
von den Christen als etwas mit ihrem Glauben Unvereinbares empfunden werden. Und doch
hat sie nicht nur Technik und Formensprache, sondern auch eine Anzahl figürlicher Elemente
zum Aufbau der christlichen Kunst geliefert. Zum anderen, bedeutsameren Teil freilich
entstand die sepulkrale Malerei der Christen aus einer Art freier Neuschöpfung. Ihr Ursprung
aber ist darum so schwer zu verstehen, weil die römischen Denkmäler bis tief in das 3. Jahr-
hundert fast ausschließlich die Grundlage der Betrachtung bilden. Nur in Rom lassen sich
Entwicklungszusammenhänge verfolgen. Die Beobachtung zeigt uns jedoch hier nicht eine
folgerichtige Entfaltung, vielmehr eine periodische Vergrößerung des Bilderkreises und
Wandlungen des Geschmackes und der Formen, die in steigendem Maße durch Einflüsse
von außen bedingt erscheinen. Immer deutlicher weisen die Tatsachen darauf hin, daß der
wahre Mittelpunkt der frühchristlichen Kunst schon in den ersten Jahrhunderten im Orient
zu suchen ist. Die Grundgedanken der Katakombenmalerei sind auf jüdisch-hellenistischem
Boden erwachsen. Und neuere Entdeckungen in Ägypten und Syrien haben weitere Zeugnisse
für ihre Abhängigkeit von einer reicheren Kunstblüte des Ostens erbracht, deren verschiedene
Phasen die römische Kunst nur bruchstückweise und in lokaler Färbung widerspiegelt.

Das dekorative System.


Der irrtümlichen Anschauung, daß der altchristliche Bilderkreis in Rom seinen Ursprung
habe, liegt immerhin eine richtige Wahrnehmung zugrunde: das dekorative System der Kata-
kombenfresken, in das die neu hinzukommenden Darstellungen und Symbole aufgenommen
wurden, ist in der Tat in Rom ausgebildet oder doch zum mindesten fortgebildet worden.
Denn auch in den Katakomben bestätigt sich die allgemeine Erfahrung, daß der malerische
Schmuck des antiken Grabes nichts anderes ist als die dem veränderten Zwecke angepaßte
Wanddekoration des Hauses. Der dekorative Stil der ältesten römischen Hypogäen entspricht
im wesentlichen dem vierten pompejanischen Dekorationsstil, der aus einer Verflüchtigung
des zweiten oder sog. Architekturstils — wir wissen noch nicht wo — hervorgegangen und
nach der campanischen Landstadt erst kurz vor ihrer Zerstörung (78 n. Chr.) gelangt ist,
wahrscheinlich aber schon vorher in Rom angewandt wurde. In der Vereinfachung, die er
seinem besonderen Zwecke gemäß erfuhr, erhielt er sich in den römischen Katakomben länger
als irgendwo anders. Erst seit dem 3. Jahrhundert verfällt er und wird dann unter der Ein-
wirkung einer inzwischen beliebt gewordenen neuen Art der Wandverzierung völlig zersetzt.
In den Katakomben mußte die künstlerische Ausschmückung der von Arkosolien und
Loculi zerschnittenen Wände zurücktreten gegen die der Decke. Daraus ergab sich für dieselbe
eine Erweiterung der ursprünglichen Anordnung. In den ältesten Denkmälern herrscht noch
ANTIKE TRADITION DER DEKORATIVEN DECKENMALEREI 51

Abb. 38. Deckenmalerei aus dem Vorsaal der „Zweiten Katakombe“ in Neapel
(nach V. Schultze, Die Katak. von S. Gennaro in Neapel, 1877).

das den wenigen bekannten heidnisch-antiken Beispielen zugrunde liegende Prinzip der
Flächengliederung: ein Mittelfeld, anfangs ein Quadrat, später meist einen Kreis, für ein Haupt-
bild durch Schachtelung geometrischer Umrahmungen herauszuheben. Die Grundvorstellung
dieses Dekorationssystems ist die eines offenen Laubengerüstes, doch mischt sich in dieselbe
schon früh die mehr geschlossene Rahmung architektonischer Stuckdecken zur deutlicheren
Hervorhebung der vier, dem Kreuzgewölbe entstammenden Kappen und Zwickelfelder ein.
In reicherer Zusammensetzung begegnet uns dieses System des Deckenschmuckes bereits in
Neapel. Die Malerei der Decke des Vorsaals der „ersten Katakombe“ (S. 35) von S. Gennaro
zeigt nichts, was christlichen Ursprung verriete. Die Fläche, deren vier Ecken zwickelartig
abgeschnitten sind, wird durch ein auf weißem Grunde in Rot und Blau ausgeführtes Band-
geschlinge gegliedert, in das sich kleinere Kreise, Bogen und Spitzovale vermittelnd ein-
schieben. Im Mittelrund fliegen zwei Vögel mit einer Girlande, in den Zwischenfeldern wiegen
sich andere auf leichten Zweigen neben blumengefüllten Vasen, stehen oder springen Hirsche
und Panther, gleiten Seeböcke dahin. Sie alle gehören der heidnischen Sepulkralkunst an.
Fast noch altertümlicher im halbarchitektonischen Gefüge erscheint die Deckenmalerei des
inneren erhöhten Atriums der „zweiten Katakombe“ (Abb. 38). Die Blumengirlanden sind hier
voller und naturalistischer gebildet. Zu den Tieren gesellt sich noch der Greif. Aber auch
geflügelte Putten und Psychen tauchen auf, und im Mittelfelde schwebt eine Viktoria, die
Palme tragend. Doch neben den antiken Genien und umgeben von Theatermasken und Köpfen, die
in den Saumstreifen der Wände aus Kelchen hervorwachsen, sind da, wo die Antike mythologische
Gemälde oder Reliefbilder anzubringen liebte, bereits vier christliche Bilder eingefügt, darunter
die früheste bekannte Darstellung des Sündenfalls und anscheinend David mit der Schleuder.
Durch größere Zierlichkeit und Schlichtheit des geometrischen Gerüstes der Flächen-
4*
52 AUSGESTALTUNG DES TYPUS DER LAUBENDECKE IN DEN KATAKOMBEN

Abb. 39. Deckenmalerei der Crypta quadrata in der Prätextat-Katakombe.

teilung, das aus einfachen farbigen Streifen besteht, zeichnet sich der Deckenschmuck in den
ältesten römischen Grabkammern der Domitilla-Katakombe und der sog. Lucinakrypten (Taf. I)
aus. Immer bildet es einen Kreis mit Diagonalen oder kreuzförmigen Fortsätzen und an-
gehängten Zwickelbogen. Durch die braunroten, blauen oder grünen Stäbe aber schlingt sich
ein anmutiges Blumengeranke von leichtester und freiester Bewegung, nur im großen Zuge
bleibt die Symmetrie gewahrt. Auch manche jüngeren Denkmäler zeigen noch bis tief in das
2. Jahrhundert solch’ heiteres Spiel der Phantasie. Die freie Erfindung wagt sich in verein-
zelten Fällen noch kühner hervor. Eine ihrer reizvollsten Schöpfungen ist die Bemalung der
vom gewöhnlichen Typus abweichenden, zu einem Luminar emporgewölbten Decke (Abb. 39) in
der „crypta quadrata“ der Prätextat-Katakombe (S. 47). Hier entwickelt sich der Aufbau der
Laube aus in den Ecken aufsteigenden Blumenkandelabern und an ihnen befestigten Quer-
stäben noch anschaulicher als im typischen Schema. Vögel und Putten, welche Kränze und
Binden tragen, und die von Kelchen umschlossenen Köpfchen fehlen auch hier nicht. Aber
zu diesen Motiven treten schon in den ältesten Deckenfresken der römischen Katakomben,
besonders an den Eckplätzen, wo die heidnischen Denkmäler öfters Personifikationen der
Jahreszeiten u. a. m. in ganzen Figuren aufweisen, symbolische Gestalten der christlichen
Gedankenwelt hinzu, der gute Hirte und die im Gebet die Hände erhebende Orans (Taf. I).
Das Mittelfeld wird zum Träger einer Hauptdarstellung gleicher Art, und allmählich füllen
sich die umgebenden Felder mit Szenen des christlichen Bilderkreises.
Den engen Zusammenhang mit der Dekoration des antiken Hauses verrät auch die
Wandbemalung der Grabkammern vor allem darin, daß die horizontale Einteilung der Fläche
VEREINFACHUNG DES RÖMISCHEN SYSTEMS DER WANDBEMALUNG 53

Abb. 40. Wand- und Deckenmalerei in der Ampliatusgruft der Domitilla-Katakombe


(nach Wilpert, Die Malereien der Katakomben Roms).

in Sockel, Wand und Fries beibehalten wird. Das Weiß greift von der Decke auf die Wände
über. War schon im vierten pompejanischen Stil der Farbenwechsel in den Wandfeldern
vielfach aufgegeben und als einheitliche Grundfarbe außer Schwarz und Gelb reines Weiß
beliebt geworden, so bot dieses vollends für die Ausschmückung der Grüfte sowohl technische
wie ästhetische Vorzüge. Man ließ den mit Marmorstaub vermischten Stuck ungefärbt und
gewann so im Halbdunkel der Cömeterien einen lichtfangenden Grund, von dem sich die
gemalten Figuren deutlich abheben. Die Vereinfachung der architektonischen Trennungs-
glieder der Wand zu schlichten Teilungslinien war schon im letzten pompejanischen Dekorations-
stil sehr weit gediehen. In den Katakomben behauptet sich das Schema der vertikalen Zerlegung
der Fläche in drei breitere, durch schmale Streifen getrennte Felder (Abb. 41). Auch klingt
noch die Erinnerung an die Abkunft der farbigen Linien von den leichten Scheinarchitekturen
und Durchblicken des sog. Illusionsstils nach, da die beiden Zwischenstreifen oder die Um-
rahmung des Mittelfeldes gleich jenen luftigen Bauten oft in den obersten Wandabschnitt
hineinragen und, wie in Pompeji, mitunter Vasen und andere Stillebenmotive umschließen.
An den Schmalwänden findet meist eine einfache Dreiteilung statt, nicht selten mit einer Tür
in der Mitte. Daß das ganze System nicht für die Grabkammern erfunden ist, offenbart sich
am klarsten in der rücksichtslosen Durchbrechung, die es durch die Arkosolien erleidet. Diese
aber werden zu neuen Trägern bildlichen Schmuckes.
Es hat in Rom, namentlich in den ersten Zeiten, nicht an Versuchen gefehlt, die malerische Ausstattung
mancher vornehmeren Gruft prächtiger zu gestalten. In der Grabkammer des Ampliatus (S. 43) finden wir
54 BEISPIELE DES INKRUSTATIONSSTILS UND DER WEINRANKENDEKORATION

Abb. 41. Wand- und Deckenmalerei der Flaviergalerie in der Domitilla-Katakombe


(nach Marucchi, Mon. del Cimitero di Doniitilla, Roma Sott, crist. N. S.).

eine richtige Architekturmalerei (Abb. 40), die mit ihren auf vor tretendem Sockel stehenden doppelten Säulchen
und einer von ihnen getragenen Kassettendecke an die Wanddekoration des zweiten pompejanischen Stils
anklingt, nur baut sich die Säulenstellung im obersten statt im zweiten Wandstreifen auf, wo augenscheinlich
eine Marmortäfelung gemalt war. In der ,,Capelia greca“ (Abb. 31) der Priscilla-Katakombe sind Sockel und
mittlere Wandfläche im Stile farbiger Inkrustation gehalten mit weißgrundigem Bildstreifen darüber im hinteren
und rotem im vorderen Gemach. Akanthusranken in plastischem Stuckschnitt an den Bogenleibungen geben
dem Raume ein noch reicheres Aussehen. Die weiße Decke des einen hat die typische Gliederung, im
zweiten aber breitet sich eine Weinranke in regelmäßigen, leichten Schwingungen über die ganze Fläche
aus. Von den Ecken her ragen karyatidenartige Gestalten in sie hinein. Diese Weinranke ist ein dem Osten
entstammendes Motiv, begegnet uns doch die Rebe in mannigfaltigster Behandlung in den Cömeterien Syriens,
Ägyptens und Cyrenes (s. unten). Auch in der Ampliatusgruft ziert sie die (spätere) Decke, — in freiester
Entfaltung und schönster Ausführung aber, aus einem Akanthuskelch hervorwachsend, schon das Gewölbe
des Eingangs der Flaviergalerie (Abb. 41) der Domitilla-Katakombe (S. 42).
Seit Anfang des 3. Jahrhunderts beginnt das typische System des Deckenschmuckes sich
langsam aufzulösen. Das Füllwerk der Ranken wird magerer, und seine freie Behandlung
schwindet. Waren schon an der Decke der Lucinakrypta die Stäbe mit einzelnen Blättchen und
Blattspitzen besetzt, wie auch das Bandgeschlinge in der ersten Katakombe in Neapel, so verall-
gemeinert sich fortan diese Vermischung der Motive (Abb. 42). Bald tritt eine Vergröberung
ein, die stetig zunimmt. Der Linienzug der Felderumrahmungen wird strenger, die den Stuck-
decken entsprechende eckige Brechung häufiger. Zweige und Girlanden tragen einen stilisierten
Charakter. Daneben kommen Perlschnüre, Troddeln und neue, aus zerzupften Blättern
ALLMÄHLICHE ZERSETZUNG DES SYSTEMS DER DECKENMALEREI 55

Abb. 42. Deckenmalerei eines Cubiculum der Katakombe des Petrus und Marcellinus
(nach Wilpert, Die Malereien der Katakomben Roms).

bestehende Gebilde von regelmäßiger Zusammensetzung auf (Abb. 42). Zwischen den konzentri-
schen Kreisen des Mittelfeldes füllt oft ein Kranz aus locker gereihten Blättern die Fläche. Dieser
allgemeine Stilwechsel, der sich wahrscheinlich aus gesteigertem hellenistischen Einfluß erklärt,
führte wohl auch dazu, daß seit Mitte des 2. Jahrhunderts in der Umrahmung des Mittel-
feldes das Oktogon nicht selten für den Kreis eintritt. Wie in der Villa Hadrians bei Tivoli,
so erscheint es auch in den Katakomben und dient hier einem engeren Zusammenschluß mit
den auf acht und selbst zehn vermehrten Nebenbildern. In der Folge vermischen sich vollends
die Typen der Deckenmalerei. Im 4. Jahrhundert wird das Stabwerk flüchtiger und breiter,
wobei es die Blattzacken wieder verliert, und nimmt oft in sichtlicher Anlehnung an Bilder-
rahmungen das Ansehen gebrochener oder schwach gerundeter Borten an (Abb. 43), die dann zu
einem geschlossenen Rahmenwerk zusammenfließen oder einer ganz neuen Flächenornamentik
weichen (s. unten).
Eine parallele Entwicklung macht auch die Wanddekoration durch. Die Umbildung ist
hier noch augenfälliger. Die vertikalen Teilungslinien laufen schon im 2. Jahrhundert oft
oben nicht mehr durch, sondern schließen sich mit den horizontalen rahmenartig um die
Seitenfelder neben den Arkosolien zusammen. Der obere Wandabschnitt wird einheitlich
56 VERWILDERUNG UND STILWANDLUNG DER WANDDEKORATION

Abb. 43. Deckenmalerei eines Cubiculum aus dem Coemeterium maius


(nach Wilpert, Die Malereien der Katakomben Roms).

zusammengefaßt, besonders über einem Loculus, und verliert den friesartigen Charakter. Er
ist bald von einem einzigen Bilde eingenommen, bald zeigt er in der Mitte noch ein leichtes
Gerüst mit wenigen Figuren oder reichem Girlandenschmuck. Mit dem Überhandnehmen der
Loculi gewinnen horizontale Bildfelder die Vorherrschaft (Abb. 44). Im begrenzenden Abschluß
wird die Senkrechte durch an die Seite gesetzte Kandelaber betont. Im 4. Jahrhundert wird
selbst der Sockel oft nicht mehr als solcher empfunden, sondern unter dem Einfluß der Vor-
stellung vom Paradiesesgarten zum blumendurchrankten Spalier ausgestaltet, ein Motiv, das
seinen Ursprung in der Wandmalerei der Gartensäle des hellenistisch-römischen Hauses hat.
Schließlich greift aber die in der gemalten Marmorinkrustation des Sockels fortlebende Poly-
chromie auch wieder auf die Wand über, indem sich die Rahmenborten der Bilder vermehren, ver-
breitern und zusammenstoßen, ja der Bildgrund farbig wird. Die dabei beabsichtigte Nachahmung
einer neuen Art prunkvoller Wandvertäfelung (Abb. 45) wird z. B. in der Domitilla-Katakombe
ersichtlich, wo das für den Innenschmuck des altchristlichen Kirchenbaues so wichtige Marmor-
mosaik (opus sectile) Nachahmung findet. Nun sucht die Malerei in den Cubicula öfters auch
durch Darstellung von Ecksäulen, welche gleichsam die Decke stützen, den Eindruck archi-
STILWECHSEL IN DER DEKORATION DER ARKOSOLIEN 57

tektonischer Konstruktion zu
verstärken. Dieselbe Stilwand-
lung vollzieht sich bei den Arko-
solien. Ihre Grundfläche be-
wahrt zwar bis in die Spätzeit
die Bedeutung eines einheitli-
chen Bildfeldes, das leichte
dekorative Stabwerk der Bo-
genleibung aber, das in den
früheren Anlagen in der Regel
ein Rundbild in der Mitte und
zwei Hochbilder zu beiden
Seiten umschließt (Abb. 59),
verwandelt sich seit Ausgang
des 3. J ahrhunderts in eine bor-
tenartige farbige Umrahmung
(Abb. 3). Im 4. Jahrhundert
bricht an dieser Stelle die Vor-
liebe fürSchuppen-, Rauten und Abb. 44. Sog. Sakramentskapelle (A3) aus der Calixtus-Katakombe
andere Rapportmuster durch, (nach de Rossi, La Roma Sott. II).
die bisweilen auch als Decken-
schmuck ganzer Cubicula Vorkommen. Daß
die Regungen eines frischen Naturalismus in
dem malerischen Schmuck der Katakomben
infolge wachsenden hellenistisch-orientali-
schen Einflusses wieder durch strengere Stili-
sierung zurückgedrängt werden, ist durch
den allgemeinen Umschwung bedingt, der
sich in der römischen Kunstentwicklung seit
der hadrianischen Zeit vollzieht.
Die wenigen im Osten aus der Kaiser-
zeit erhaltenen Denkmäler dekorativer Ma-
lerei lassen nicht darauf schließen, daß auch
in der alexandrinischen und syrischen Kunst
aus den älteren Systemen der Wandbemalung
so flüchtig behandelte Formen hervorgingen.
Verhältnismäßig nahe kommen manchen Moti-
ven des Katakombenstils die zierlichen, aber
regelmäßiger bewegten Weinranken und ein
locker, aber streng gebildeter Blätterstab an
einem der apsidalen Arkosolgräber in der
christlichen Grabkammer in Cyrene (Abb. 18).
Die Nische selbst ist mit einem unendlichen
Abb. 45. Gemaltes Marmormosaik und Genrebild(Korn-
ausladung) von der Umrahmung eines Arkosols der Do- Muster geschmückt, dessen Rautenfelder aus
mitilla-Katakombe (nach Wilpert, Die Mal. der Katak. Roms). losen Blättchen zusammengesetzte Sternmotive
58 TEXTILER UND ARCHITEKTURSTIL HELLENISTISCHER TRADITION IM OSTEN

füllen. Da ähnliche Rautenmuster schon in


Pompeji, andrerseits aber noch im 6. Jahr-
hundert in Bäwit und sogar noch im om-
majadischen Kalifenschloß von Kuseir-
Amra Vorkommen, ist darin augenschein-
lich ein traditioneller hellenistischer Typus
der Wanddekoration von textilem Charak-
ter zu erkennen. Daneben herrschte im
Orient ein auf glänzendere Wirkungen ge-
richteter Stil. Die Katakombe von Palmyra
(Abb. 13) gibt von ihm eine klare Vorstel-
lung, die sich im wesentlichen auch auf
die christlichen Gräber übertragen läßt.
Sie enthält manches Motiv, das erst in
den jüngsten Erzeugnissen der römischen
Katakombenmalerei auftaucht. Ihr maleri-
scher Schmuck muß mitsamt der Mehrzahl
der Brustbilder an den Wänden wohl der
Entstehungszeit der Grabanlage angehören
(S. 20), während die lebensgroßen Bild-
nisse der letzten Besitzer erst gegen 250
n. Chr. hinzukamen. Trägt doch das deko-
rative System den Charakter vollkommener
Abb. 46. Wandmalerei einer koptischen Grabkapelle in Einheitlichkeit. Sehr glücklich sind die
El Bagauat schmalen Wandflächen zwischen den Grab-
(nach de Bock, Mater, p. s. ä l’archeol. de I’Eg. ehret., 1901).
stellen durch farbig auf dem weißen Stuck-
grund stehende, karyatidenartige Gestalten geflügelter Siegesgöttinnen ausgefüllt, welche nach
antiker Auffassung zum Ruhm der Toten die Porträtschilder tragen. Mythologische Szenen,
die Entführung Achills im großen Bogenfeld der Rückwand und der Raub des Ganymed im
Mittelrund der Decke, geben der Idee des frühen Hinscheidens aus dem irdischen Dasein
Ausdruck. Sinnbilder desselben Gedankens aus den Urzeiten vorderasiatischer Kunstsymbolik
sind auch die Tiergruppen an den Sockeln der die Grabstellen trennenden Mauerstücke.
Zwischen ihnen und den Viktorien ist eine aus Rundfeldern und Rauten zusammengesetzte
Marmorvertäfelung nachgebildet. Auf den Wandflächen läuft über gemalten Ecksäulen ein
aus plastischem Mäander und gemaltem Eierstab und Konsolenfries bestehendes Gebälk
herum. Eine von Rosetten durchsetzte Weinranke ziert die Stirnseite des Eingangsbogens,
ein Muster sich überschneidender Kreise seine Leibung und ein mehrfarbiges Sechseckmuster
die Decke, an den Außenflächen der Pfeiler aber ranken sich dichte Rebengewinde empor.
Daß die Wandbemalung im Stile einer polychromen Inkrustation während der römischen
Kaiserzeit in den christlichen Grabanlagen des Orients allgemeiner verbreitet war, bestätigt
eine der kleinen Grabkapellen von El Bagauat (S. 25), die durch ihren überaus reichen bildlichen
Deckenschmuck (s. unten) eine außerordentliche Bedeutung erlangt hat (Abb. 46). Ihre Wände
erscheinen über Kämpferhöhe der Schildbogen hinauf wie mit farbigen Marmorplatten belegt.
Auf einfachem Sockel stehen an jeder Seite vier gemalte Spiralsäulen mit koptisch-korinthischen
Blattkapitellen, auf denen ein Architrav mit Rautenband liegt. Die Hochfelder der Wände zeigen
ÜBERGREIFEN DER HELLENISTISCHEN DEKORATION NACH ROM 59

Abb. 47. Wand- und Deckenmalerei im Tablinum der Casa celimontana


(nach zusammengesetzter photographischer Aufnahme).

farbige Marmorfüllungen, ihre Schildbogen eine Weinranke und eine strenge Girlande, die
Leibungen über kurzen Säulchen geschachtelte Kapitelle. Das Vorbild bot zweifellos wie in
Palmyra die Ausstattung vornehmer Häuser. Dieser ganze architektonische Wandschmuck
hängt aber noch unverkennbar mit dem hellenistischen Architekturstil zusammen, wie ihn eine
Grabkammer der Ptolomäerzeit bei Sidi Gaber unweit von Alexandria und die gemalte Ver-
täfelung der Capelia greca in Rom vertritt (S. 54). Auch die über das Gewölbe verzweigte
Weinranke ist nur ein vergröbertes Abbild eines hier wie dort vorgebildeten Motivs.
In Rom zeigt der malerische Wandschmuck des Hauses noch um Mitte des 4. Jahr-
hunderts engere Zusammenhänge mit dem Dekorationsstil der Katakomben, daneben aber
auch neue, anscheinend dem Orient entstammende Elemente. Für unsere Kenntnis der Stil-
entwicklung der spätantiken Wanddekoration ist die Erhaltung eines reichen christlichen
Wohnhauses aus nachkonstantinischer Zeit unter der wiederholt umgebauten Märtyrerkirche
S. Giovanni e Paolo auf dem Coelius von unschätzbarer Bedeutung. Das ungefähr zu zwei
Dritteilen unzerstörte Innere, sowie die Südfront des gesamten Erdgeschosses ist freigelegt.
Mit der Kirche stand noch im Mittelalter ein kleines Gelaß als Krypta in Verbindung.
Die malerische Ausstattung der „Casa celimontana“ entstammt dem 3. und 4. Jahrhundert. Die
letzten Restaurationen fallen in die Lebenszeit des unter Julian im eigenen Hause hingerichteten Brüder-
paares aus dem frühbekehrten Geschlecht der Valerier. Und schon die ältesten erhaltenen Malereien
scheinen auf christlichen Besitz hinzudeuten. Enthält doch der Deckenschmuck des großen Zimmers eine
auch der Katakombenmalerei geläufige Komposition (Abb. 39) der Weinlese. Das Rankenwerk der Reben, in
dem Putten herumklettern, entrollt sich aus vier in den Ecken gemalten Akanthuskelchen. Im obersten
Wandstreifen stehen auf grünem Bodenstreifen Girlanden tragende Genien, dazwischen Pfauen, Enten und
andere Vögel. Bis zur Höhe dieses in enkaustischer Technik ausgeführten Frieses waren die Mauern mit
blendend weißen Marmorplatten verkleidet. Behauptet sich hier die Inkrustation neben der dekorativen Malerei,
so zeigt uns der Freskenschmuck des Tablinum (Abb. 47) einen Dekorationsstil, der in der Nachahmung
regelmäßiger Quaderfügung (opus isodomum) die Wiederaufnahme eines dem ersten pompejanischen Stil
verwandten Systems der Wandbemalung bedeutet, mit dem Unterschiede, daß kein Farbenwechsel statt-
findet, sondern die gesamte Fläche mit gelbem Marmor vertäfelt erscheint, dessen Fugen rot eingezeichnet
sind. Damit verbindet sich ein neues Motiv einer strengen Architekturmalerei, eine Reihe symmetrisch ange-
ordneter spitzgiebeliger Blendarkaden mit einheitlichem, in Grün, Violett und Rot ausgemaltem Grund. Wie
einst der pompejanische Inkrustationsstil, so muß auch diese sichtlich von ihm abgeleitete Dekorationsweise
aus dem hellenistischen Orient — vielleicht aus Kleinasien — nach Rom übertragen worden sein. Ihre
Nachahmung (S. 56) hat die Zersetzung des dekorativen Katakombenstils vollendet. Dem System der Casa
60 BIBLIOGRAPHIE — URSPRUNG DER DARSTELLENDEN MALEREI

celimontana fehlen freilich noch die in den jüngeren Cubicula der Katakomben und in einfacherer Zusammen-
setzung schon in Palmyra vertretenen Motive des geschnittenen Marmormosaiks (opus sectile). Auch hat sich
wohl eine Verquickung mit anderen, in Rom gebräuchlichen Dekorationsformen vollzogen, so z. B. in einem
Nebengemach, wo die Wand oberhalb der Quaderschichtung die Felderteilung durch das traditionelle Stabwerk
aufweist. An der Treppe, die zum Obergeschoß hinaufführte, läuft wie unter gleichzeitigen Arkosolgräbern
(S. 56) ein Gartenzaun entlang. Auch im Tablinum zeigen Decke und Fries eine mit den späteren Kata-
kombenmalereien (s. oben) übereinstimmende Behandlung. Am flachen Kuppelgewölbe der ersteren wird der
kleinere Kreis, der ein verlorenes Mittelbild — vielleicht des guten Hirten — umschloß, mit dem weiten
äußeren durch verschiedenfarbige Umrahmungen verbunden. Die zwölf radialen Felder enthalten abwechselnd
paarweise um einen Baum gruppierte Schafe oder Ziegen und unvollständige Gestalten mit Schriftrollen.
Symbolische Einzelfiguren waren, wie eine im Eckfeld erhaltene Orans beweist, auch im Friesstreifen dargestellt,
daneben die aus den sepulkralen Fresken bekannten Seewesen und in den Zwickeln der Kuppel prachtvolle,
rein antike Köpfe. Zuoberst an den Wänden aber zieht sich, wie mitunter auch in den jüngeren Katakomben-
malereien, eine kräftige tiefgrüne Akanthusranke herum.
Über das dekorative System der römischen Katakomben vgl. vor allem v. Sybel, a. a. O., I., S. 151—156;
J. Wilpert, Die Malereien der röm. Katakomben, Freiburg i. B. 1905, S. 17—29, ist für den Tatbestand im
einzelnen zu Rate zu ziehen. Die Zusammenhänge mit den Denkmälern des Ostens sind bereits von Ainalow,
Hellenist. Grundlagen d. byz. K., S. Petersburg 1900, S. 129—136, eingehend gewürdigt worden; vgl. Wulff,
Repert. f. K. Wiss., 1903, S. 47 ff. und 1911, S. 285 ff., sowie Strzygowski, a. a. O., S. 13 ff. und 24 ff. und
Farmakowski, a. a. O., p. 172 ff.; de Bock, a. a. O., pl. VIII und p. 21 ; F. Thiersch, Die Grabkammer von
Sidi-Gaber, 1904. Das Haus der Valerier machte der Forschung zugänglich P. Germano di Stanislao, La
casa celimontana, Roma 1894, seiner Bedeutung aber wurde erst Ainalow, a. a. O., S. 132 ff., gerecht.

Die Sinnbilder und der frühchristliche Bilderkreis.

Die Aufnahme der ausgebildeten Kunstformen der Antike mußte bald ihre Grenze finden,
wo sich das christliche Kunstschaffen auf die bildliche Darstellung zu richten begann. Doch
nur zögernd setzt die freie Neuschöpfung ein und entfaltet sich kräftiger erst in den folgen-
den Jahrhunderten. Gegen alle Regel der allgemeinen Kunstentwicklung ist hier der künst-
lerische Ausdruck anfangs nur zum kleinsten Teil die Folgeerscheinung einer mit innerer
Notwendigkeit dazu drängenden Phantasiegestaltung. Gegeben war vielmehr ein überreicher
Schatz von Kunstgebilden, vor dem die Christen ihre Augen nicht verschließen konnten,
zumal die Heidenchristen. Diese Bilder fingen an, neue, christliche Vorstellungen anzuregen.
Sie erfahren unter ihrer Rückwirkung eine Bedeutungsverschiebung, ein Vorgang, der zwar
an sich nicht ungewöhnlich, in diesem Umfange aber aus der Kunstgeschichte kaum wieder
zu belegen ist. So bestimmen die dekorative Überlieferung auf der einen und der dem Sinn-
bildlichen zustrebende christliche Gedanke auf der anderen Seite die Auslese und Fortbildung
der Typen.
Lange hat die christliche Kunst das Bedürfnis nach Bereicherung der Dekoration mit
lebenden Wesen, wie im Hause der Valerier (s. oben), ungescheut aus dem antiken Formen-
schatz bestritten, wenngleich mit Elementen, die, um das Wort Tertullians zu gebrauchen,
„zum bloßen Schmuck“ dienten und ,,zur Idolatrie“ keinen Bezug hatten. Die Entstehung
mancher christlichen Symbole und eines so bedeutsamen Darstellungskreises wie der Lämmer-
szenen hat hier ihre Wurzel. Das Erbe der antiken Kunstsymbolik war Allgemeingut, gegen
das sich die Juden ebensowenig durchweg ablehnend verhielten, das beweisen die Malereien
der Katakombe in der Vigna Randanini. Manches, was hier und in den ältesten christlichen
Deckenmalereien in Neapel (S. 51) noch mitgeführt wird, wie der Pegasus oder der Greif —
dort erblicken wir sogar die Siegesgöttin, hier ein Bacchantenpaar (Abb. 8), — ist von den
ENTSTEHUNG DER SYMBOLE AUS DEM ANTIKEN SINNBILD UND STILLEBEN 61

Christen bald wegen seiner stärkeren mytho-


logischen Färbung zurückgewiesen worden.
Denn mit der Aneignung der überlieferten
Motive beginnt alsbald auch ihre Umdeu-
tung. Nicht die Beziehung auf Bacchus oder
Apollo als Herrscher im Reiche der Seligen,
wohl aber der Stimmungsgehalt, den solche
Begleitfiguren des Gottes, seine Attribute oder
heiligen Tiere im antiken Grabschmuck hat-
ten, wirkte fort. Und was schon fast zum
reinen Stilleben geworden war, erfüllte sich
um so leichter mit verändertem Sinn.
Nur wenige antike Formen widerstanden der Abb. 48. Christliche Grabsteine mit Graffiti aus den
Christianisierung und gingen in ihrer verblaßten römischen Katakomben
und allgemeinen Bedeutung in den Figurenschatz der (nach Roller, Les Catacombes 1).
christlichen Kunst ein —, so vor allem die Seegötter
und Seetiere. Der Kopf des Okeanos in einem nach
ihm benannten Cubiculum von S. Callisto aus dem Anfang des 4. Jahrhunderts, Tritonen, Hippokampen
(Abb. 38), Seedrachen u. a. m. sollten nur als Sinnbilder des Wassers wirken und riefen die schon den alt-
orientalischen Religionen und auch den Juden geläufige Vorstellung von der Erquickung der dürstenden
Seele (das sog. Refrigerium) und die Erinnerung an das Lebenswasser des Paradieses (Joh. IV, 13, 14) her-
vor. In einzelnen Fällen scheinen jedoch Delphine schon infolge der Rückwirkung des christlichen Fisch-
symbols, das seine Entstehung ganz anderen Ursachen verdankt (s. unten), dargestellt zu sein. Aus der Vogel-
welt der antiken „Dekoration übernahm die christliche Kunst nicht nur Taube und Pfau, sondern auch die
Ente, ein Sinnbild des Winters und darum auch des Todes. Sie hat eine Umieutung in christlichem Sinn
nicht gefunden, als Stilleben aber kommt der Ententeich noch in der Katakombe des Petrus und Marcellinus
vor. Dagegen ist die Taube, wenngleich verhältnismäßig spät, zu einem sehr bedeutungsvollen christlichen
Symbol geworden. Auf Grabsteinen wird sie kaum vor dem 3. Jahrhundert angetroffen. Im antiken Grab-
schmuck ein Sinnbild des Friedens der Seele, wurde sie durch allmähliche Bedeutungsverschiebung zum
Sinnbilde der befriedeten und erlösten Seele selbst. Zur Verdeutlichung dieses Gedankens bekam sie, offenbar
unter Anregung des Noahbildes, zu dem sie auch durch die Wortbedeutung des hebräischen Namens in engster
Beziehung steht, den Ölzweig. Die Symbole gewannen allgemeinere Geltung, je besser sie sich zur Ver-
wendung in christlich sepulkralem Sinne als geritzte Zeichnung (Graffito) auf den Grabsteinen eigneten
(Abb. 48). Zwei Tauben zu Seiten einer wassergefüllten Vase, als reines Genremotiv aus dem Wandschmuck
übernommen (Abb. 68), bedeuten hier das Refrigerium. Auch der Ölzweig allein galt bereits als Friedens-
symbol und fand reichliche Verwendung, was wohl auch sein häufigeres Vorkommen im Deckenschmuck seit
dem 3. Jahrhundert begründet. Das Siegeszeichen der Palme aber, das schon auf jüdischen Grabsteinen
vorkommt, wurde auf christlichen Epitaphien zum selten fehlenden Sinnbild des himmlischen Siegeslohns
nach vollendetem Lebenskampf, ja manchmal taucht auch hier die Siegesgöttin selbst auf (Abb. 48). Aber weit
früher als alle diese Symbole erscheint der Pfau unter den sinnbildlichen Figuren der Decke, so z. B. in der
ältesten Grabkammer der Domitillakatakombe und in den Krypten der Lucina (Tafel I) oder auch in der
nächsten Umgebung des Grabes (S. 39) als Freske sowie als Graffito. Wie in den vorgenannten Denk-
mälern steht er, [in Frontansicht das ganze Bogenfeld ausfüllend, in einem jüngeren Arkosolium der ersten
Katakombe von Neapel da. Weitere Beispiele bieten die Hypogäen von Syrakus und die Cömeterien des Orients.
Seine Verknüpfung mit dem Grabe hat jedenfalls ihren Ursprung in heidnischen Vorstellungen. Wie Juppiters
Adler die Seele des Kaisers, so trägt der heilige Vogel Junos in der Apotheose die der Kaiserin. Beide gehen
dann auch in den Grabschmuck gewöhnlicher Sterblichen über. Auf dieser bald nicht mehr verstandenen
Grundanschauung mag es beruhen, daß der Pfau auch für die Christen ein Symbol der Auferstehung wurde,
findet er sich doch sogar in einer jüdischen Grabkammer (Abb. 8) vor. Die Komposition und ihr Sinn
erweitert sich wieder wie bei der Taube durch Verdoppelung der Gestalt und Hinzufügung der Vase oder
eines Springbrunnens (Abb. 68). Besondere Beliebtheit aber erlangte die gewiß zuerst im Osten geknüpfte
62 JAHRESZEITENBILDER IN CHRISTLICHER DEUTUNG

Verbindung des Vogels mit der Weinranke, diesem alt-


orientalischen Element der christlichen Ornamentik.
Auf hellenistischem Kunstgebiet begegnet uns der
Pfau im Rebengewinde sowohl in Cyrene — im Bilde
der Weinernte —, wie in der Krim (Kertsch).
Das Wort vom Weinstock und den Trau-
ben (Joh. XV, 1 ff.) und das Gleichnis von
den Arbeitern im Weinberg gehört zu den
Evangelienstellen, die bald für das christliche
Kunstschaffen Bedeutung gewonnen haben.
Doch hat es auf die Ausgestaltung des über-
Abb. 49. Frühlingsbild aus einem Cubiculum der kommenen Bildtypus nicht eingewirkt. Die Dar-
Domitilla-Katakombe. stellung der Traubenlese ging in den christ-
lichen Bilderkreis ohne Veränderung ein. Sie
bildet nur ein bevorzugtes Thema aus dem Zyklus der Jahreszeitenbilder und dem Puttengenre, das
schon die hellenistische Kunst in diesen Szenen zu verwenden liebte. Im Hause der Vettier zu Pompeji
sammeln und keltern Liebesgötter die Frucht der Rebe, wie sie auch Blumen pflücken, das Korn
schneiden oder jedes menschliche Handwerk treiben. Die Katakomben bieten Beispiele sowohl von
den Einzelbildern als auch von dem ganzen Jahreszeitenzyklus. In der crypta quadrata der
Prätextatkatakombe ordnet sich die gesamte Dekoration der Decke (Abb. 39) diesem Ge-
danken ein. In den fünf Streifen ihres Laubengerüstes entrollen sich, im zweiten von unten
anfangend, als Gaben der Jahreszeiten: wilde Rosen, ein Gewinde von Weizenähren, eine
Weinranke und zuoberst Olivenzweige. Den untersten Streifen aber nimmt auf jeder Seite
das entsprechende allegorische Bild ein. Putten pflücken Blumen und reihen sie an Schnüren
auf, sie ernten den Weizen und binden ihn zu Garben. Sie sammeln und keltern die
Trauben, schütteln und pflücken, in warme Kleider gehüllt, die Oliven von den Bäumen.
Und alles treiben sie mit derselben heiteren Lust wie in Pompeji, ein Sinnbild froher Hoff-
nung und Erfüllung. Außer der Weinlese, die manchmal in dem die Decke überrankenden
Weinlaub nur angedeutet wird, — so schon in der Flaviergalerie (Abb. 41), — war das
Frühlingsbild des Blumenpflückens besonders beliebt. Viermal wiederholt es sich in einem
daneben liegenden Cubiculum des Vestibulum (Abb. 32, D) aus dem 3. Jahrhundert, wo
Psyche dem Liebesgott zur Hand geht (Abb. 49). Noch häufiger wurden vier mit Blumen,
Ähren u. dgl. bekränzte weibliche Köpfe in den Zwickeln der Decke dargestellt, z. B. in der
Capelia greca (Abb. 31), seltener gelagerte oder aufrechtstehende ganze Gestalten. Der
Wechsel des Naturlebens blieb auch den Christen ein Bild des Wandels Fim menschlichen
Leben, schwerlich aber stand ihnen jederzeit der religiöse Grundgedanke vor Augen, den
die theologische Allegorie hineinzulegen wußte, daß diese ganze „sich wiederholende Um-
wälzung in der Natur eine beständige Bezeugung der Auferstehung der Toten“ sei (Tertullian).
Vielmehr läßt eine solche Deutung sichtlich das Bemühen der kirchlichen Autorität erkennen,
sich mit dem gewohnten Grabschmuck abzufinden.
In sämtlichen bisher betrachteten Fällen knüpfte die christliche Gedankenarbeit erst
an das fertige antike Bild an und erhielt, zumal wenn es ein Sinnbild [war, von ihm die
Richtung. Ein gleichartiger Vorgang erklärt ungezwungen die Ausprägung der wichtigsten
symbolischen Gestalt des ältchristlichen Typenschatzes der ersten drei Jahrhunderte. Schon
das Urchristentum brachte die Grundvorstellung vom „Guten“ und getreuen „Hirten“ mit,
aber diese hätte kaum so schnell bildlichen Ausdruck angenommen, wenn sie nicht einen
AUFNAHME UND UMDEUTUNG DER HIRTENSZENEN 63

Abb. 50. Der weidende Hirte, Arkosolbild aus der Domitilla-Katakombe


(nach Wilpert, die Malereien der Katakomben Roms).

wahlverwandten Darstellungskreis vorgefunden hätte. Und daß jene biblischen Gleichnis-


reden zu einem Gedankenkreise auswuchsen, der alsbald die Jenseitsvorstellungen der jungen
Christengemeinde beherrschte, darauf hat der reiche Bildstoff des antiken Hirtengenre den
tiefsten Einfluß geübt. Durch allegorische Ausdeutung der in ihm liegenden Motive entstand
eine Art urchristlicher Mythologie von ausgesprochen bukolischer Färbung, in deren mystischer
Hülle den breiten Schichten der Heidenchristen die Hoffnungen auf eine Auferstehung erst
greifbar wurden. Ein eigenartiges Schriftzeugnis naiven christlich-antiken Volksbewußtseins
aus den Märtyrerakten der Perpetua (f 181) wirft darauf ein grelles Licht (s. unten). Aus
dieser nachträglichen Allegorisierung rein idyllischer Bilder mußten sich jedoch Unklarheiten
ergeben. Sie konnten in ihr keineswegs restlos aufgehen. Die christliche Phantasie hatte sich
des Stoffes bemächtigt, bevor der Kanon des Evangeliums feststand, — zu einer Zeit, als alle
Ausbreitung christlicher Vorstellungen sich in lebendigster, vorwiegend apokrypher Form der
Mitteilung vollzog. Begegnet uns doch der Gute Hirte vor allen anderen neutestamentlichen i
Darstellungen um die Wende des 1. Jahrhunderts nicht weniger als dreimal in der Domitilla-
katakombe. Da aber das dritte Evangelium, aus dem der erste Anstoß zu einer künstlerischen
Neuschöpfung hergeleitet werden konnte, kaum sehr viel früher verfaßt ist, das vierte noch
später, so ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entstehung des Bildes gering, weit größer
die, daß die poetische Ausgestaltung der Grundvorstellung in beiden Evangelien ein Nieder-
schlag derselben Gedankenentwicklung ist, die an den antiken Bildstoff anknüpfte.
Schwerlich hat erst die Schilderung bei Lukas (XV, 4), wie der Hirte das Lamm auf seine Achseln
nimmt, in Anlehnung an heidnische Vorbilder von der Art des widdertragenden Hermes den entsprechenden
Typus der christlichen Kunst hervorgerufen. Zwar zeigen die Katakombenfresken uns die Gestalt des Guten
Hirten von Anfang an regelmäßig in dieser bedeutsamsten Verbindung mit dem Lamm und der Herde, welch’
letztere durch zwei zu ihm aufblickende, symmetrisch gruppierte Tiere veranschaulicht wird. Allein da die
Darstellung in den römischen Cubicula vorwiegend als Mittelbild der Decke Verwendung findet (Abb. 42),
erklärt es sich leicht, weshalb diese Komposition hier sogleich typische Geltung gewonnen hat. Sie ist offenbar
bereits einem anderen, an gleicher Stelle beliebten Stammtypus des ältesten christlichen Bilderkreises, der
Gestalt Daniels zwischen den Löwen (Tafel I), angeglichen, also schon eine vereinfachte und nicht etwa
eine unentwickelte Darstellungsform. In Alexandria, wo das Hirtenidyll als literarische Gattung und als
Vorwurf der bildenden Kunst seine Ausbildung gefunden hatte und wo zweifellos auch das christliche Sinn-
bild entstanden ist, wird von jeher eine größere Freiheit und Mannigfaltigkeit in der Auffassung der Gestalt
des Gotthirten geherrscht haben. So manche Spur läßt noch erkennen, wie frei und unbestimmt auch
bei ihm die allerersten Wechselwirkungen zwischen dem antiken Bildstoff und dem christlichen Gedanken
64 DER GUTE HIRTE EIN ABGELEITETER TYPUS

Abb. 51. Der Gute Hirte und symbolische Fische, Arkosolbild aus der Nekropole von Cyrene
(nach Pacho, Voyage dans la Marmarique, La Cyrenai'que etc.).

waren. Wie bei der Weinlese, fand man wohl auch in den beliebten Hirtenszenen zuerst nur Beziehungen
zur volkstümlichen jüdisch-christlichen Vorstellung heraus, um sie dann bewußt immer klarer herauszu-
arbeiten. Das alttestamentliche Bild vom ,,Hirten Israels“, der sein Volk sammelt und auf der grünen Aue
weidet (Psalm23), auf Jesus zu beziehen, dazu bot ein Wort des Herrn selbst die Anregung (Matth. XV, 24).
Und diesen Gedanken auszudrücken, genügte sogar das Bild des grasenden Lammes, das wir schon in der
Flaviergalerie erblicken. Die Beischrift einer eigenartigen Darstellung des Guten Hirten in voller Gewan-
dung mit dem Stabe in der Katakombe von Alexandria (S. 23): „Es kam der Herr des Himmels, um zu
weiden das Haus Israels“ (Kön. III, 12, 16 und Ezech. 34, 13), bestätigt, wie ältere Verheißungen dadurch
neuen Sinn bekamen. Selbst als vereinzeltes jüngeres Beispiel — vielleicht reiht sich ihm aber ein halb-
zerstörtes frühes Arkosolbild in Neapel an — behält die Gestalt ihre Bedeutung.
Nicht ein fester Typus, sondern ein viel größerer Reichtum an Motiven beherrschte die
Anfänge des Sinnbildes. Im Kreise der alexandrinischen Gemeinde, der die hellenistische
Kunst nicht fremd geblieben war, ging das biblische Gleichnis seine Verbindung mit dem
antiken Hirtengenre ein. Von der typischen Komposition abweichende Szenen fehlen auch in
Rom nicht, finden aber dort anscheinend erst seit dem 3. Jahrhundert unter dem wachsenden
Einfluß des christlichen Hellenismus (S. 55) allgemeinere Aufnahme. Sehr oft sehen wir
nun den Hirten inmitten seiner Herde stehend oder sitzend dargestellt. Er trägt dann nicht
mehr das Lamm, sondern lehnt sich, die Beine kreuzend, bequem auf den Stab, so z. B.
neben einem der älteren Arkosolgräber im Hauptgange der ersten Katakombe in Neapel (S.35).
Die römische Katakombenmalerei erscheint viel zu wenig von schöpferischer Kraft erfüllt,
als daß erst eine allmähliche Bereicherung der Vorstellungen diese Motive hervorgerufen
haben sollte. Sie sind vielmehr im Grunde gar nicht neu, sondern auch anderwärts und,
Tafel

Treppenhalle der Katakombe von Korn es Schugafa mit Apsisnische


(nach Th. Schreiber, Expedition E.Sieglin, Ausgrabungen in Alexandria, Leipzig 1908, I)
ALEX ANDRIN ISCHER URSPRUNG DES DARSTELLUNGSKREISES 65

wenigstens zum Teil, weit früher in heidni-


schen Fresken (Pompeji) und Reliefs nach-
weisbar. Und in allen diesen Bildern sind,
mit dem römischen Haupttypus verglichen,
die antiken Elemente viel reiner bewahrt: eine
zusammenhängende landschaftliche Szenerie
mit wiederholt vorkommenden heiligen Bäu-
men und eine kontrastreichere Gruppierung
der Herde, bei der man vor Verkürzung der
Tiergestalt nicht zurückscheut. Nicht selten
sind Ziegen eingemischt, die der christliche Abb. 52. Orantin zwischen dem Guten und melkenden
Künstler hineinzubringen keinen Anlaß hatte. Hirten, Arkosolbild aus der Katakombe der heiligen
In einem Gemälde des 4. Jahrhunderts in der Agnes.
Domitillakatakombe (Abb. 50), dessen Schau-
platz der Zaun unter dem Arkosol als Paradiesesgarten kennzeichnet (S. 56), beweist schon die
sichere, wenngleich flüchtige Ausführung des Berghintergrundes und der Tiere, daß der Maler
viel älteren Vorbildern folgte. Aber sogar aus frühester Zeit besitzen wir in Rom ein Denkmal,
das die Vertrautheit der werdenden christlichen Kunst mit der bukolischen Malerei bestätigt: die
Tierstücke in der Grabkammer des Ampliatus und auf einem derselben in ähnlicher Zusammen-
stellung den auf seinen Stab gelehnten Hirten als Putto (Abb. 40). Das beweist nicht nur, daß das
Hirtengenre von jeher im christlichen Hausschmuck beliebt war, dem ja die Dekoration der
Ampliatusgruft sichtlich nachgebildet ist (S. 54), sondern auch, daß man sich anfangs darin
mit Gestalten von allgemeinem Charakter begnügte. Wie dieser angelehnte und der sitzende
oder melkende Hirte (Abb. 52), ist demnach auch der das Lamm in echt antiker Weise auf
den Schultern tragende als überkommene Figur des hellenistischen Genrebildes anzusehen.
So konnte das Bild des Guten Hirten bald in den Grabschmuck eindringen, da es
wahrscheinlich auf der Vorstufe des häuslichen Wandschmucks im Kreise der an grie-
chische Kulturformen gewöhnten christlichen Gemeinde von Alexandria vorgebildet war. In
der Sepulkralkunst aber wurde es alsbald zum Sinnbild der Errettung der Seele vom Tode.
Ist doch schon in der Psalmendichtung (Ps. 23, 1—4) zugleich vom „Wandeln im finstern
Tal“ und vom „Weiden auf grüner Aue“ die Rede. Und war doch der Glaube an eine Fortdauer
des persönlichen Lebens bei den Juden in den letzten Jahrhunderten der vorchristlichen Ära
sehr lebendig geworden. Andrerseits mußten auf die Einbildungskraft der Heidenchristen
die an das Elysium erinnernden Vorstellungen von dem Paradiese als einem Garten mit grünen
Rasenflächen und fließendem Wasser einen starken Anreiz üben. Die ganze Symbolik des
Hirtenlebens war jedenfalls um Mitte des 2. Jahrhunderts völlig ausgebildet. Auch sind die
Spuren dieser Abstammung des Bildtypus in den älteren römischen Bildern keineswegs ver-
wischt. Der Gute Hirte hält nicht selten mit der einen Hand noch die Syrinx (Abb. 42 u. 50),
mit der anderen, ungeschickt genug, das Tier, und ist mitunter bekränzt. So zeigt ihn auch
ein spätestens im 3. Jahrhundert entstandenes Arkosolbild in Cyrene (Abb. 51), das selbst
in der schwerlich sehr stilgetreuen Zeichnung seines Entdeckers viele Züge guter antiker
Tradition bewahrt, inmitten einer kleinen Herde. Die zwei die Gruppe umgebenden Bäume
aber kehren auch in Rom ständig wieder und kennzeichnen den römischen Typus als Ab-
kürzung dieser hellenistischen Komposition, deren Entstehung noch in das 1. Jahrhundert
fallen muß. Nebenmotive des Hirtengenre tauchen sogar hier bereits um diese Zeit auf.
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 5
66 VOLKSTÜMLICHE UND KIRCHLICHE AUFFASSUNG DER HIRTENSZENEN

Hirtenstab und Milcheimer neben einem lustig springenden Lamm im Wandschmuck der
Flaviergalerie deuten in echt antiker Weise als Attribute auf den Gotthirten hin. Die beiden
Lämmer aber, die in der Lucinagruft das milchgefüllte Gefäß umgeben, dürften bei der un-
verkennbar symbolischen Richtung ihrer Malereien schon in Beziehung zur Eucharistie stehen,
wie in späteren Wiederholungen der Gruppe (Abb. 47) oder des einzelnen Tieres (in S. Domitilla,
in S. Pietro e Marcellino und in der Casa celimontana). Was der Milcheimer in solchen
Bildern zu bedeuten hat, wird verständlicher, wenn ihn der Gute Hirte selbst hält oder wenn
er gar in S. Agnese unter dem Tier steht, das ein Hirte melkt, während daneben ein
zweiter ein Lamm auf der Schulter trägt und zwischen beiden die Verstorbene als Orantin
dargestellt ist (Abb. 52). Die heilige Perpetua (S. 63) „sah“ in ihrer Vision vor dem
Märtyrertode „einen unermeßlichen Garten und in der Mitte die ehrwürdige Gestalt eines
Greises im Hirtengewande, der Schafe melkte. Und er rief mich zu sich“, berichtet sie,
„und gab mir von der geronnenen Milch, die er gemolken hatte, einen Brocken. Ich
empfing ihn mit geschlossenen Händen und aß ihn. Und alle Umstehenden riefen Amen!“
Gemeint ist mit dieser himmlischen Speise der Genuß der heiligen Gaben, — nennt doch
Clemens von Alexandrien den Leib Christi „die göttliche Milch“. So soll auch das Bild
der Agneskatakombe verschiedene Momente aus dem Zustande der Seligkeit veranschaulichen.
Unlogisch bleibt freilich, — weil eben in diesem ganzen Vorstellungskreise nur überkommene
bildliche Motive ausgedeutet werden, — daß die Milch von den Schafen herrührt, unter
denen wieder die seligen Verstorbenen verstanden werden. Deshalb ist es auch unmöglich,
das einzelne Tier mit dem Milcheimer unmittelbar als Vertreter des Guten Hirten anzusehen.
Denn mit einzelnen späten Ausnahmen (z. B. in S. Ermete) kommt das Christuslamm (Abb. 72)
in den Katakomben noch nicht vor. Auch das ruhende Lamm auf Grabsteinen bezeichnet den
Toten, dessen Friedensschlaf in der Hoffnung des Herrn die mitunter hinzugefügte Taube, der
Anker u. a. m. verdeutlicht. Die erstere findet im 3. Jahrhundert auch in die typische Kom-
position des Guten Hirten Eingang. Im 4. stehen manchmal Oranten hinter oder zwischen
den Lämmern (Abb. 43), die Allegorie gleichsam in die konkrete Darstellungsweise übersetzend.
So widerspruchsvoll im einzelnen die Anwendung der bukolischen Bildersprache auf die
Paradiesesvorstellungen bleibt, begründet sie doch in den ersten drei Jahrhunderten für die
christliche Kunst im Volksbewußtsein die vorherrschende Auffassung der Gestalt des Heilands.
Die mit dem Gleichnis verknüpfte Vorstellung von dem Lehrer (I. Petri I, 25; Hebr. XIII, 20),
wurde zwar von der kirchlichen Autorität betont, — einen Schüler „der glaubwürdigen Wissen-
schaft des göttlichen Hirten“ nennt sich der phrygische Bischof Aberkios (um 200 n. Chr.)
in seiner Grabschrift —, aber in der sepulkralen Malerei kommt sie selten zu Worte. In
einem merkwürdigen Doppelbilde der Prätextatkatakombe aus dem 4. Jahrhundert ist statt
des Milcheimers der zylindrische Rollenbehälter (Capsa) neben dem Hirten dargestellt.
Mehrere, zum Teil bärtige Hirtengestalten späterer Fresken dürften vielleicht auf Grund der
verallgemeinerten Beziehung des Sinnbildes auf die Lehrer der christlichen Gemeinde zu
verstehen sein. Der ganze Darstellungskreis verwildert jedoch mehr und mehr, seit in der
Friedensperiode vor der Diokletianischen Verfolgung, in der die Organisation der Kirche
sich vollendete, das neue Ideal des göttlichen Lehrers inmitten seiner Jünger eine selbständige
künstlerische Verkörperung gefunden hatte. In seinem ursprünglichen volkstümlichen Sinne
aber ging das Bild des Guten Hirten in die liturgischen Gebetsformeln ein (s. unten), in
denen vielfach die Grundvorstellungen des Urchristentums fortlebten, während die kirchliche
Lehre ihren einfältigen Sinn modelte.
ERSTES VORKOMMEN BIBLISCHER BILDTYPEN 67

Abb. 53. Vorkammer der Capella greca mit Bilderfolge: Erweckung des Lazarus, die Jünglinge
im Feuerofen, Susannaszenen (nach Wilpert, Fractio Panis, 1895).

In die Kontroversen der achtziger Jahre über Ursprung und Bedeutung der christlichen Symbole gibt
umfassenden Einblick Wilpert, Prinzipienfragen d. christl. Archäologie, Freiburg i. Br. 1889. Eine kritische
Sichtung vom neueren Standpunkt bietet Sybel, a. a. O. I, S. 170—180; im einzelnen vgl. die betr. Artikel bei
Cabrol, Dict. d’archeol. ehret., I u. II (Ancre, Colombe usw.) und die oben (S. 16) gen. Handbücher. Die Ent-
stehung der Hirtensymbolik wurde vor allem geklärt durch V. Schultze, Realencykl. f. prot. Theol. u. Kirche, IV,
S. 73 ff., und C. M. Kaufmann, Die sepulkralen Jenseitsdenkmäler d. Antike u. d. Urchristentums, Mainz 1900,
S. 124—160; zum Typus des G. Hirten vgl. die letzte Zusammenfassung des Materials bei L. Clausnitzer, Die
Hirtenbilder in d. altchristl. K., Halle a. S. 1904 (Diss.), sowie Sybel, a. a. O., I, S. 240 ff. und meine Aus-
führungen Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 299 ff.
Vertrat das genrehafte Sinnbild dem Christen die Person des Heilands, an die sich das
Gebet richtet, so verkörpert der übrige Darstellungsinhalt der sepulkralen Malereien den In-
halt des Gebets und den Betenden selbst in symbolischer Verhüllung. Hier hört die Aneig-
nung antiker Bildmotive auf und setzt freie Neuschöpfung ein. Die ersten biblischen Dar-
stellungen tauchen schon um die Wende des 1. Jahrhunderts im Vestibulum der Flavier (S. 42)
auf. Vielleicht noch aus der ersten Hälfte des 2. aber steht uns bereits eine ganze Reihe der
ältesten Bildtypen in den Fresken der Capella greca der Priscillakatakombe (S. 40) und in
5*
68 DIE ALTTESTAMENTLICHEN TYPEN EINE JÜDISCHE BILDSCHÖPFUNG

der Doppelkammer der Lucina (S. 43) vor


Augen. In diesem Bilderkreise überwiegen
merkwürdigerweise die Darstellungen alt-
testamentlicher Vorgänge. Sie haben offen-
bar einen zeitlichen Vorsprung. Allen voran
begegnet uns Daniel zwischen den beiden
Löwen neben einer Grabnische der Flavier-
galerie (Abb. 41) und etwas weiter an der-
selben Wand, eine halbzerstörte Darstellung
Noahs, den schon Justin der Märtyrer (um
150 n. Chr.) als Beispiel wunderbarer Got-
teshilfe nennt. Ihn zeigt auch die Wand-
malerei der Capella greca mit erhobenen Hän-
den in der kastenähnlichen Arche stehend,
zu der die Taube herabfliegt (Abb. 54).
Dieser reichste alttestamentliche Zyklus des
2. Jahrhunderts enthält außer den eben ge-
nannten Szenen: das Opfer Abrahams, das
Quellwunder des Moses, die drei Jünglinge
im Feuerofen und die Geschichte Susan-
nas in drei aufeinanderfolgenden Bildern
Abb. 54. Noah in der Arche, aus der Capella greca (Abb. 53). Mit Ausnahme der letzteren
(nach Wilpert, Fractio Panis, 1895). sind es die am häufigsten in den Katakom-
ben wiederkehrenden Bilder, von den Dar-
stellungen des Guten Hirten und den Jonasszenen abgesehen, von denen der unter der Kürbis-
laube gelagerte Prophet — kaum viel später — in der Lucinagruft auftaucht. Zwei nahezu zerstörte
Bilder stellen daselbst anscheinend die zum typischen Gesamtzyklus (Abb. 42) gehörigen Mo-
mente dar, wie Jonas aus dem Schiff geworfen und vom Walfisch verschlungen und wie er
von diesem wieder ausgespien wird. Als wichtigste Szene erscheint zwar, da sie öfters allein
dargestellt wird, — so z. B. in einem Arkosolium der ersten Katakombe von Neapel —, die
erhaltene, ein Sinnbild der Ruhe im Herrn. In den beiden anderen aber haben wir den
eigentlichen Urtypus zu erkennen, dem wieder der Gedanke der Errettung zugrunde liegt.
Wie kommt es nun, daß diese alttestamentlichen Vorgänge in den altchristlichen Grüften
Roms am frühesten und am häufigsten wiedergegeben wurden? Welchen Sinn haben sie dort?
Ihre Aufnahme vollzieht sich augenscheinlich fast gleichzeitig und völlig unvermittelt. Das
läßt keine andere Erklärung zu, als daß sie schon vorher gegeben waren und von den Christen
übernommen worden sind, und zwar schon in Alexandria. Ihre Entstehung aber verdanken sie
dem Judentum, denn die älteste literarische Grundlage dieses Typenschatzes der christlichen
Kunst ist in jüdischen Gebeten der späthellenistischen Epoche erkannt worden.
Zur traditionellen Berufung auf die Wundertaten, die der Herr Israel in Ägypten und in Kanaan
erwiesen, waren in dem während der Makkabäerzeit verfaßten Buche Daniel zwei neue Beispiele wunder-
wirkender Gotteshilfe hinzugekommen: die Errettung Daniels aus der Löwengrube und die Befreiung der
drei Jünglinge aus dem glühenden Ofen. Andere, aus der alexandrinischen Diaspora hervorgegangene
Schriften nennen daneben Jonas und Susanna, die Opferung Isaaks, Abel, Joseph u. a. m. Solche Berufungen
gingen in das jüdische und dann in das christliche Gebet über, wurde doch das Urchristentum von den-
selben allgemeinen Anschauungen über die das Leben bedrohenden Gefahren beherrscht und war es doch
URSPRUNG DER BILDER AUS DEM GEBET UND MITTELGLIED DAS AMULETT 69

nicht weniger tief als das Judentum in abergläubischen Vorstellungen befangen. Krankheit und Tod galten
so gut wie Besessenheit, feindliche Kräfte der Tierwelt u. dgl. als Ausfluß dämonischer Mächte. Durch
Gebet und Beschwörung aber suchte man die Dämonen zu bekämpfen. Seit dem 3. Jahrhundert zählte die
christliche Kirche zu den unteren geistlichen Ämtern sogar besondere, für die Teufelsaustreibung bestellte
Exorzisten. Einem solchen Zwecke dienten zunächst jene Berufungen als Bürgschaft des Gebetserfolges.
Bald genug sind dann den früheren Zeugnissen von der Allmacht Gottes die Wunder des Neuen Testa-
mentes angereiht worden. Sah man doch durch Christus die Erlösung von allen Übeln fast vor den Augen
der lebenden Generation verwirklicht. Sich seiner Heilstaten zu erinnern, lag um so näher, als in ihnen die
Vorbilder der Totenerweckung gegeben waren. Wohl schon um die Wende des 1. Jahrhunderts haben die
christlichen Gebete eine derartige Erweiterung erfahren. Solche Texte sind uns zwar nur in späteren Ver-
sionen erhalten, doch liegt der bedeutsamsten, den pseudocyprianischen Orationen, ein weit zurückreichendes
griechisches Original zugrunde. Christus wird darin geradezu ein „Heiland der Kranken“ genannt. Auch
bezeugt Origenes (f 254), daß zur Beschwörung der Dämonen die Anrufung des Namens Jesu und die
Erzählung der Geschichten des Herrn diente. Der Sinn der christlichen Gebete faßte die Beseitigung jedes
physischen und moralischen Übels ins Auge. „Wie er auf Erden die Schwächen des Fleisches heilte und das
Fleisch unversehrt machte, so wird er es uns viel mehr in der Auferstehung tun“, sagt Justin der Märtyrer.
— Diese bedeutungsvollen Zusammenhänge zwischen der Gebetsliteratur und dem frühchristlichen Bilderkreise
sind nach dem grundlegenden Vorgänge von E. Le Blant neuerdings in eindringlicher Untersuchung aufgeklärt
worden durch K. Michel, Gebet und Bild in frühchristlicher Zeit, Leipzig 1902. Stud. üb. christl. Denkm.,
hsgb. von J. Ficker, N. F., 1. Heft. Über den Zyklus der Capelia greca vgl. Wilpert, Die Mal. d. Kat. Roms
(Text), S. 151 und in den (S. 40) oben angeführten Monographien sowie Sybel, a. a. O. I, S. 292.
Um zu begreifen, wie aus dem Gebet der Antrieb zu bildmäßiger Darstellung der alt-
testamentlichen Rettungen im christlichen Grabschmuck entspringen konnte, fehlt uns aber
noch ein Mittelglied, das nur die wissenschaftliche Hypothese erbringen kann. Der Vorgang
wird erst verständlich, wenn man annimmt, daß auch jene Bilder ihre Gestaltung bereits im
jüdischen Gebrauch gefunden hatten. Sie mögen schon die jüdischen Grüfte Alexandrias
geschmückt haben, wenn selbst mythologischer Bildschmuck (Abb. 8) für hellenisierte Juden
keineswegs ausgeschlossen erscheint. Jedenfalls aber sind sie bei diesen in der Kleinkunst
vorauszusetzen, vor allem auf Amuletten, welche die Wirkung des Gebets gleichsam zu einer
dauernden für ihren Träger machen sollten. Für die Richtigkeit dieser Vermutung spricht
eine oft angeführte Stelle des Clemens Alexandrinus (f 220), nach dessen Zeugnis es noch
bei den Christen üblich war, ihre Siegelringe mit den Symbolen der Taube, des Fisches, des
Schiffes, der Leier, des Ankers, sowie mit der Darstellung des Fischers, also einem vollstän-
digen Bildtypus, zu schmücken. Jüngere Amulette, die sich erhalten haben, und die in christ-
lichen Gräbern gefundenen Ringe weisen öfters ganze Szenen auf, unter denen allerdings
die neutestamentlichen schon voranstehen. Allein eine andere Denkmälergattung der Klein-
kunst, die jene Stammtypen gleichzeitig mit den Fresken aufgenommen hat, zeigt noch das
entgegengesetzte Verhältnis. Im Kalkbewurf der Gräber fanden sich zahlreiche Glasscherben
von Trinkgefäßen eingebettet, welche dieselben Szenen in geritzter Zeichnung auf angeschmol-
zenem Blattgold tragen. Hier überwiegen sowohl unter den Einzelbildern wie in den seltneren
Bilderzyklen noch im 3/4. Jahrhundert die alttestamentlichen Typen (Abb. 56). Die in Albanien
gefundene Schale von Podgoriza (Abb. 55), deren eingeschliffene Darstellungen von denen der
Goldgläser nur durch ihren primitiveren Stil abweichen, weist z. B. erst ein Wunder Christi auf.
Eine außergewöhnliche Bedeutung verleihen ihr die kurzen, offenbar den Gebetsformeln ent-
stammenden Beischriften: „Lazarus hat der Herr (wiedererweckt), Jonas aus dem Bauch
des Seeungeheuers (befreit), Daniel aus der Löwengrube“ usw. Auch der Gebrauch der
Goldgläser war schon den Juden geläufig, wenngleich die Fundstücke aus den jüdischen
Grüften Roms nur die Darstellung des siebenarmigen Leuchters, der heiligen Lade und
70 ZEUGNIS DER GOLDGLÄSER — AUFTAUCHEN NEUTESTAMENTLICHER SZENEN

Abb. 56. Bruchstücke einer Goldglasschale


aus Köln : Susanna, J ünglinge, Daniel u. Löwe,
Moses, Jonasszenen, Adam u. Eva, Fischfang,
Abrahamsopfer
(nach Dalton, Cat.of early Christ, ant. in the Brit.Mus. N.629)

anderen Kultgeräts aufweisen (Abb.59).


Ausgangspunkt der Technik aber scheint
Alexandria mit seiner blühenden Glas-
industrie gewesen zu sein.
Abb. 55. Altchristliche Glasschale aus Podgoriza
(nach Garrucci, Storia dell’arte crist.). Die Fortbildung der Vorstellungen
im christlichen Gebet erklärt, daß uns
schon in der Capelia greca neben dem alttestamentlichen Zyklus die Heilung des Gichtbrüchigen
und die Wiederbelebung des Lazarus begegnen, etwas später wohl auch das älteste Beispiel
der Heilung der Blutflüssigen (schwerlich jedoch der Begegnung Jesu mit der Samariterin, sondern
eher Eliesers mit Rebekka) in der Prätextatkatakombe. Die ersten beiden Szenen geben nur die Wir-
kung des Wunders wieder. Der Gichtbrüchige ist ganz allein dargestellt, wie er eilenden Schrittes
das Bett fortträgt, was für ihn bis in die Spätzeit typisch bleibt (Abb. 43), ja sogar bei der Er-
weckung des Lazarus (Abb. 53) fehlt noch der Wundertäter. Zur Veranschaulichung der Verwand-
lung aber ist Lazarus zweimal, halb angelehnt als Mumie und mit gekreuzten Armen vor der Tür
des Grabhauses stehend, wiedergegeben. Eine betende weibliche Nebengestalt fordert eine symbo-
VERSINNLICHUNG DER GEBETSVORSTELLUNG—SYNKRETISTISCHER EINSCHLAG 71

lische Deutung. Spricht sich doch in den alttestamentlichen Typen der Zusammenhang der Bilder
mit dem Gebet besonders deutlich darin aus, daß die Hauptgestalt meist die Gebetsstellung
hat, so besonders Daniel, Noah und Susanna. Die Gebete selbst sind in ihnen gleichsam
Bild geworden. Und wie eine Verbildlichung der Berufung wirken die wiederholt hinzu-
gefügten auf die Malereien weisenden Einzelgestalten (Abb. 53). Aber es lag auch im
Geiste der antiken Kunstübung, den Begriff für sich herauszuheben. Es ist die „Euche“, das
Gebet selbst, die uns nunmehr als „Orans“ (Oratio) neben einer symbolischen Darstellung,
wie der Lazarusszene der Capella greca, oder losgelöst von allen Bildern im Deckenschmuck
— so z. B. ebenda inmitten der Weinranken (Abb. 31) —, entgegentritt. In einem Cubiculum
der Lucina-Krypten, wo sie sich zweimal dem Guten Hirten zuwendet (Tafel 1), ist ihre Be-
ziehung auf das eigentliche Ziel des Flehens unverkennbar. Bald verallgemeinerte sich jedoch
die Bedeutung der Gestalt dahin, daß man in ihr den in die Seligkeit eingegangenen, an-
betenden Verstorbenen erkannte, wie es in jüngeren Denkmälern (Abb. 43) die sie umgebenden
Lämmer bestätigen. Der Gedanke der Fürbitte für die Überlebenden war darin anfangs so
wenig wie der des Dankgebetes enthalten, da das bildliche Motiv das Gegebene war und
nicht die neue Vorstellung. Der Bedeutungswandel aber erklärt es, daß schon im 2. Jahr-
hundert gelegentlich, wenngleich nicht allzuoft, männliche Oranten Vorkommen und daß die
Gestalt eine außerordentliche Verbreitung in der sepulkralen Malerei erlangte. Die Orans
begegnet uns jedoch noch in mancher späteren Komposition (s. unten) augenscheinlich im
Sinne der Gebetspersonifikation und kann auch für sich in einzelnen Fällen kaum anders aufge-
faßt werden (S. 60 u. 75). Entstammt die Gebärde des Erhebens der Arme antiker Sitte, so
wurde bald eine symbolische Beziehung auf das Kreuz hineingedeutet (Tertullian) und auf
das Ausbreiten derselben mehr Gewicht gelegt (Abb. 47 und 63).
Das Zusammenflüßen christlich-jüdischer Gedanken mit antiker Vorstellungsweise und Kunstform
gab dem ersten christlichen Kunstschaffen die Triebkraft. Wo sich das Christliche noch enger mit Heidnischem
berührte, erlitt es eine stärkere Verdunkelung. So hat sich die Darstellung des mythischen Sängers Orpheus
in der christlichen Kunst des 2. und 3. Jahrhunderts eingebürgert und im Orient noch weit länger erhalten.
Denn das Christentum der Massen hatte sich in den ersten beiden Jahrhunderten noch nicht so reinlich von
dem antiken Wesen geschieden. Erst aus der fortgesetzten Geistesarbeit der christlichen Denker schälte sich
langsam das Lehrdogma heraus. Die Anfänge des Synkretismus, aus dem in der Folge die gnostischen
Systeme entstanden, liegen weiter zurück. In Hymnen und magischen Beschwörungsformeln antiker Religions-
genossenschaften, die unter dem Namen des Orpheus als Stifters der bakchischen Mysterien verbreitet waren,
hatte unter jüdischem Einfluß die Berufung auf die Erzväter des Alten Testaments, auf Moses und Daniel
Platz gegriffen. Jetzt trat die Nennung Jesu hinzu. Wo das Christentum solche Elemente aufnahm, konnte
eine weitherzige Auffassung die Erinnerung an Orpheus als Verkünder der neuen Lehre unter den Heiden
(Justin) und sein Bild, das schon antike Grabsteine tragen, dulden. Ja, für breite Schichten ihrer Bekenner
scheint seine Gestalt sogar zeitweilig mit der des göttlichen Heilands zu einer Vorstellung zusammengeflossen
zu sein. Die Vorstellung von dem Hirtenberuf des Orpheus mußte die Gedanken in diese Richtung lenken,
wie gerade die Kunstdenkmäler bezeugen. Die ältesten Fresken in S. Callisto (Abb. 57) und in der Priscilla-
Katakombe zeigen Orpheus von Schafen umgeben, was keinen anderen Sinn haben kann, als daß in seiner
Gestalt der „wahre Orpheus“ zu erkennen sei, nimmt er doch in S. Callisto wie sonst der Gute Hirte das
Mittelfeld der Decke ein. Die kirchliche Lehre konnte den Eindringling — Clemens Alexandrinus nennt
den Sänger einen Betrüger und Zauberer — nur dadurch unschädlich machen, daß sie ihn als Antitypus
möglichst weit hinter Christus zurückschob. Die Parallele wird dann von den Kirchenvätern weitergeführt:
wie Orpheus durch seinen Gesang die reißenden Tiere besänftigte, so habe Christus die schwierigsten Tiere,
die Menschen, bezwungen (Clemens Alexandrinus und Eusebius). Der unverfälschte antike Stammtypus
des Sängers, dem zahme und wilde Tiere lauschen, taucht daher erst in einem (verschollenen) allegorischen
Deckengemälde der Domitillakatakombe vom Ende des 3. Jahrhunderts auf.
Dem antiken Volksempfinden trat Christus zuerst als der große Wundertäter nahe. Stellte
72 DER HEILAND ALS SIEGER ÜBER DÄMONEN UND MAGIE

doch ein Alexander Severus neben den Bildnis-


sen des Pythagoras, Apollonius von Thyana u. a.
auch das seine auf. Die Gewalt, die der Hei-
land schon bei seiner Geburt über die Dämonen
gewonnen hatte (Origenes), sah man bekräftigt
in dem früh eingeschobenen Bericht des Mat-
thäus-Ev. (II, 1—12) über die Ankunft der
Magier aus dem Morgenlande (Justin). Die
Malerei bemächtigte sich fast gleichzeitig des
Stoffes. Als eine der ersten Darstellungen aus
der Jugendgeschichte des Herrn schmückt die
Huldigungsszene schon den Trennungsbogen der
beiden Kammern der Capella greca (Abb. 31).
Sie zeigt die drei Magier in der typischen Tracht
der Mithraspriester mit Geschenken auf die sit-
zende Maria zukommend, die das Kind an der
Abb. 57. Orpheus mit Lamm, Deckenmalerei aus linken Brust hält. Weit früher als die eigent-
der Callixtus-Katakombe liche Geburtslegende, die um die Wende des
(nach Wilpert, Die Mal. d. Kat. Roms).
1. Jahrhunderts aus den schon im Evange-
lium (Lukas I, 27—35) gegebenen Ansätzen er-
wuchs, haben ferner die alttestamentlichen Prophezeiungen des Balaam, Michas und Jesaias
(VII, 4) eine Verbildlichung erfahren —, in Rom am frühesten in der vielumstrittenen Freske
eines Arkosoliums der Priscilla-Katakombe
(Abb. 58) aus dem Anfang des 2. Jahrhun-
derts. Zuseiten des guten Hirten im Scheitel
der Bodenleibung erblicken wir dort auf der
einen Seite mehrere Oranten, auf der anderen
Maria, über das an ihrer Brust ruhende nackte
Kind gebeugt dasitzend, und vor ihr augen-
scheinlich den jugendlichen Jesaias, der mit
der Rechten auf den Stern über ihr (Jes. IX,2)
hinweist. Die auffällige Übereinstimmung
des Bildes mit der Magierszene der Capella
greca in dem Zuge, daß Maria als die näh-
rende Mutter aufgefaßt ist, verrät die An-
lehnung an antike Typen göttlicher oder
menschlicher Mütter, vor allem an die Gestalt
der Isis mit dem Horusknaben, die sich in
Alexandria dem Blicke der christlichen Maler
aufdrängen mußte.
Das dem Gebet entspringende, auf die
magischen Heilswirkungen gerichtete Inter-
esse der frühchristlichen Kunst schließt nicht
aus, daß auch der Kult Einfluß auf die Bil- Abb. 58. Verkündigung des Jesaias, Arkosolbild aus
der gewann, soweit er in den Heilsgaben des der Priscilla-Katakombe.
ENTSTEHUNG DES CHRISTLICHEN FISCHSYMBOLS 73

Gottesdienstes anschauliche Elemente enthielt.


Einen Anknüpfungspunkt bot wohl zuerst das
Fischsymbol, dessen Keime jüdischer Sitte und
jüdischen Vorstellungen entstammen, inner-
halb des Christentums, aber zu höherer Bedeu-
tung erwuchsen. Als Festspeise, die schon
der Dichter Persius (f 62 n. Chr.) kennt, er-
blicken wir den Fisch auf jüdischen Gold-
gläsern (Abb. 59). So war er zur messia-
nischen Speise geworden und blieb es auch
für die Christen, wie eine noch ganz nach
dem Schema des antiken Totenmahls darge-
stellte Mahlszene am Ende der Flaviergalerie
bezeugt, der man mit Unrecht öfters jede Sym-
bolik abgesprochen hat. Zum Sinnbild Christi
freilich wurde der Fisch erst durch eine im
2. Jahrhundert einsetzende Bedeutungsentwick- Sabbathspeise
(nach Garrucci, Storia dell’arte cristiana).
lung erhoben.
Das akrostichische Buchstabenspiel, aus dem sich durch Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben
der Wortfolge ,Jesus Christus Gottes Sohn Heiland“ (Ttjoouc; Xpicxöc; 0eoC Yiö<; Scoxrip) das griechische
Wort ,,Fisch“ (IX0YX) ergibt, hat seine Entstehung wohl erst dem 3. Jahrhundert zu verdanken (als Inter-
polation der Sibyllinischen Bücher um 265 n. Chr.). Aber wenn auch dadurch die Umkehrung der gewöhn-
lichen Wortfolge (Hebr. IV, 14) „Jesus Christus der Sohn Gottes“ (bzw. der gekürzten Schreibung) hervorge-
rufen wurde, so fand es doch offenbar nur darum Anklang, weil es mit einem schon vorhandenen Sinnbild
zusammentraf. Als Fisch ist Christus schon im 2. Jahrhundert in Beziehung zur Taufe vorgestellt worden,
daß aber in ihr der Ausgangspunkt dieser Symbolik liegt, — bleibt mindestens fraglich. Vielmehr hat sich
die Verknüpfung des Sinnbildes mit der Taufe wohl erst vollzogen, nachdem die jüdisch-christliche Fest-
speise — wahrscheinlich unter dem Einfluß des in Kleinasien verbreiteten Kults der syrischen Atargatis
und ihres fischgestaltigen Sohnes — auf den Messias selbst gedeutet worden war. Dem messianischen
Fisch die Beziehung auf Jesus beizulegen, boten die evangelischen Speisungswunder, in denen neben dem
Brot Fische die Nahrung darstellten, weiteren Anlaß. Läßt doch der vierte Evangelist den Herrn im Anschluß
an die Speisung der Fünftausend von der Hingabe seines Fleisches zur Speise sprechen (Joh.VI, 5—13
und 26—58). Andrerseits galt der Fisch im Wasser schon als Bild des gläubigen Israeliten, das nunmehr
auf die Taufe Christi und auf seine Anrufung in der Taufformel bezogen wurde. Beide Gedankenreihen
vereinigt die um die Wende des 2. Jahrhunderts verfaßte Grabinschrift des Bischofs Aberkios von Hiero-
polis —, die, seiner Reise nach Rom und Mesopotamien gedenkend, verkündet: „Überall war Pistis (der
Glaube) mein Führer und reichte mir überall den Fisch der Quelle (d. h. der Taufe) zur Speise, den
reinen, welchen die makellose Jungfrau (wohl die Kirche) fing; und ihn gab er den Freunden zur Speise,
indem er heilsamen Wein, gemischt mit Brot, darreichte.“ Die Bezugnahme auf das Abendmahl liegt hier
klar zutage, wenngleich Brot und Wein schon in der jüdischen Mahlsitte bei der Zeremonie der Einsegnung
besondere Bedeutung hatten und daher mehrfach neben dem Fisch auf Grabsteinen und Goldgläsern Vor-
kommen.— Um die gründliche Erforschung der christlichen Fischsymbolik hat sich neuerdings Fr. Dölger,
Das Fischsymbol in frühchristl. Zeit, 1910, I. Röm. Quartalschr. Suppl. XVII, verdient gemacht. Dazu
erbrachte J. Scheftelowitz, Archiv f. Rel.-Wiss. 1911, XIV., S. 1 ff. den Nachweis, daß es zu den aus dem
Judentum überkommenen Elementen gehört und letzten Endes vielleicht den altsemitischen Religionen
entstammt. Zu den jüdischen Goldgläsern vgl. auch Wulff, Amtl. Ber. d. Kgl. Mus. Berlin, 1913.
Die letzten Worte der Aberkiosinschrift (s. oben) würden ihre Illustration durch zwei
stillebenartige Bilder der Lucinagruft (Taf. III, 2) finden, die uns je einen Fisch hinter einem
Korbe mit fünf Broten liegend zeigen, davor aber oder dahinter, — wenn die Farbreste richtig
74 EINFLUSS DES KULTS AUF DEN ÄLTESTEN BILDERKREIS

gedeutet werden —, ein mit rotem Wein gefülltes gläsernes Gefäß. Zugleich enthalten diese
Darstellungen einen Hinweis auf das Speisungswunder, das auch in die exorzistischen Gebete
und wohl deshalb so zeitig in den Bilderkreis Aufnahme gefunden hat, und zwar in unver-
kennbarer eucharistischer Färbung. Denn die Szene der wunderbaren Speisung, nicht etwa
eine wirkliche Abendmahlsfeier, wird man nach allem Gesagten in dem Lünettenbilde der
Capelia greca (Abb. 31) erkennen müssen, wo sieben Teilnehmer, darunter zwei Frauen, nach
antiker Weise im Halbkreise gelagert sind, wenngleich hier die Handlung des Brotbrechens
hervorgehoben ist und in dem neben zwei Schüsseln mit Fischen dargestellten Kelch eine
stärkere Bezugnahme auf die Eucharistie liegt, als jüngere Wiederholungen der Szene sie
zu enthalten pflegen. Mit den letzteren hat die Freske die zu beiden Seiten verteilten sieben
Körbe des Speisungswunders und die Siebenzahl der Tischgenossen gemein. Diese entstammt
freilich nicht dem Evangelium, sondern einem antiken Bildtypus des Gelages der Seligen
(S. 86) und beweist, daß wir nicht eine getreue Wiedergabe des biblischen Vorgangs, sondern
ein sich im Jenseits erneuerndes Abbild des Wunders darin zu sehen haben, in das andere
althergebrachte Vorstellungen hineinspielen. In diesem Sinne erhalten die Mahlszenen als
christliche Ausläufer des antiken Totenmahls alsbald bevorzugte Plätze im Grabschmuck.
Das letzte Mahl des Herrn selbst darzustellen, lag der frühchristlichen Volkskunst noch
ganz fern. Die Taufe Christi hingegen ist als symbolische und gewissermaßen als erste historische
Szene sehr zeitig dargestellt worden, wozu sowohl die evangelische Erzählung wie das Verlangen
nach sinnbildlicher Veranschaulichung des Sakraments reizen mochte. Die im Durchgang
der Lucinakrypten befindliche Darstellung eines Knaben, der aus dem Wasser zu einem die
Rechte über ihn ausstreckenden jugendlichen Manne emporsteigt, während von der entgegen-
gesetzten Seite eine Taube zu ihm herabfliegt, darf noch heute als erstes gesichertes Beispiel
gelten und kann kaum eine andere Erklärung finden.
Das starke Hervortreten der Bilder des Mahles und der Taufe innerhalb der gesamten,
anscheinend nach bestimmtem Plane, wenngleich keineswegs nach kirchlicher Vorschrift, an-
geordneten Dekoration hat fünf aufeinanderfolgenden Cubicula der Callixtus-Katakombe (S.45)
den Namen der Sakramentskapellen eingetragen- In Wahrheit haben sich wohl die Maler
der später ausgeschmückten Kammern mehr oder weniger an das in den beiden ältesten
Kapellen (A2 und A3) vorliegende System angeschlossen. Zwischen diesen, die in den ersten
Jahrzehnten des 3. Jahrhunderts entstanden sein mögen, besteht aber vielleicht schon ein
ähnliches Abhängigkeitsverhältnis.
Die übersichtlichere Nebeneinanderstellung- der innerlich zusammengehörigen Szenen unter Berück-
sichtigung der dekorativen Wirkungen der Symmetrie zeigt unstreitig die Kapelle A3 (Abb. 44). Da
in beiden Cubicula auf jede Wand je zwei loculi entfallen, standen für die Bilder nur die langgestreckten
Wandstreifen zwischen diesen und unter dem Gewölbansatz und die schmalen seitlichen Hochfelder zur
Verfügung —, an der Eingangswand nur diese. Die untere Bilderfolge beginnt überall an der linken
Seitenwand, wo in der Kapelle A3 an erster Stelle jetzt eine zerstörte Einzelfigur sich befand, während
in der anderen Moses’ Quellwunder hierher versetzt ist, wohl infolge einer Verschiebung des ursprüng-
lichen, auf die Refrigeriumvorstellung (S. 61) beruhenden Sinnes dieses aus dem Gebet geschöpften Rettungs-
typus. Der Künstler hat es nämlich mit dem Bilde des Fischers verknüpft, indem er diesen den Fisch aus
dem Wasser des Felsens herausziehen läßt, und zwar anscheinend in symbolischer und nicht in rein künst-
lerischer Absicht, da dem Fischer selbst eine lehrhafte Deutung unbedenklich beigemessen werden darf. Ter-
tullians Ausspruch über die Taufe: „Wir Fischlein werden nach der Weise unseres Ichthys Jesus Christus
im Wasser geboren“, gehört nicht zu den ausgeklügelten dogmatischen Deutungen, sondern wurzelt in der
Symbolik des Taufritus (s. oben). Am Sockel eines Arkosolgrabes in Syrakus ist er wörtlich in das Bild
übersetzt: dort kommen einem großen Fisch eine Anzahl kleiner entgegen. Und so werden uns auch die
Tafel III

Die drei Jünglinge im Feuerofen


Arkosolbild aus der Priscilla-Katakombe

Messianisches Fisch mahl


Stilleben .aus jier Lucinagruft (nach J. Wilpert)
DIE BILDERFOLGE DER SOGENANNTEN SAKRAMENTSKAPELLEN 75

Fische, die in der Katakombe von Cyrene die Gestalt


des Guten Hirten umgeben (Abb. 51), gleichsam als
Dubletten der Lämmer verständlich. Diese Bedeutungs-
erweiterung des Fischsymbols sowie die Hereinziehung
des Fischers in den christlichen Typenschatz (S. 69)
hat das Wort von den Menschenfischern (Mark. I, 17;
Matth. IV, 19) verschuldet. Ein alexandrinischer Hym-
nus des 2. Jahrhunderts preist Christus als den „Fischer
der sterblichen Menschen“. Der Ursprung des christ-
lichen Sinnbildes also erklärt sich wieder unschwer
aus den Voraussetzungen der hellenistischen Kunst
Alexandrias. Wie beim guten Hirten wurde ein antikes
Genrebild christlich gedeutet, und zwar bevor die Deu-
tung des Fisches auf Christus aufgekommen war, denn
der Fischer kommt sogar schon in der Flaviergalerie
vor. Und obgleich bei diesem Bildstoff so günstige
Voraussetzungen wie bei den Lämmerszenen in volks-
tümlichen jüdischen Vorstellungen fehlten, nahmen auch
hier die christlichen Gedankenspiele eine üppige Entfal-
tung. So begegnet uns der Fischer namentlich in der
Plastik wiederholt in Verbindung mit der Taufe Christi.
Beide Szenen stehen auch in der Sakramentskapelle
A3 zusammen (Abb. 44), und ihnen schließt sich noch
der Gichtbrüchige an, nach Tertullian ebenfalls ein
Sinnbild der Taufe. Die Zusammenziehung der beiden Abb. 60. Christus als Lehrer und Spender des
ersteren aber zu einem von einheitlichem Rahmen um- Refrigerium, Wandbild aus der Sakramentskapelle
A .4 I ti C G n 11 i o f rv
schlossenen Doppelbilde entspricht vollends der oben
angeführten Stelle, in der die geistige Geburt des Täuf-
lings, wie sie der Fischer hier versinnlicht, mit der Enthüllung der göttlichen Natur des Herrn in der
Taufe in Parallele gesetzt wird. Die Taufszene, der die Taube fehlt, verrät bereits den Einfluß des Ritus
der Handauflegung. In der zweiten Kapelle ist der Gedankenzusammenhang durch ihre Aussonderung
verdunkelt, an letzter Stelle aber das Speisungswunder angereiht, das mit Unrecht meist als das Mahl am
See Tiberias (Joh. XXI, 2) gedeutet wurde. Nicht einmal die sieben Körbe fehlen, nur sind sie für sich um
einen dreifüßigen Altartisch verteilt an der Decke über dem Taufbild dargestellt, das die Mitte der nächsten
Wand schmückt. Viel übersichtlicher ist wieder die Aufeinanderfolge der Szenen in der Kapelle A3 (Abb. 44),
wo die entsprechende Wand von der typischen Mahlszene mit den sieben am Boden gelagerten Teilnehmern
(S. 74) und zwei Nebenbildern eingenommen ist, durch die ihr messianischer Sinn noch stärker hervor-
tritt. Links erblicken wir einen Jüngling, wie er nach der auf einem Dreifuß liegenden Fischspeise greift —,
schwerlich Christus, der die Vermehrung der Brote und Fische vollzieht, sondern einen in die Gemeinschaft
der seligen Tischgenossen eingehenden neuen Gast, und neben ihm eine Orans, in der wir entweder noch
die ,,Euche“ erkennen dürfen oder ebenfalls die Idealgestalt einer Verstorbenen im Gebet um die Aufnahme
in das Seligenmahl. Rechts entspricht dieser Gruppe das Abrahamsopfer, in dem der Erzvater und Isaak
neben dem Holzbündel und Widder, wohl der Symmetrie zuliebe, ebenfalls als Oranten — im Grunde also
wieder die Verstorbenen in ihrer Gestalt — dargestellt sind. Die dritte Wand trägt in beiden Sakraments-
kapellen die Auferweckung des Lazarus als Hinweis auf die Auferstehung. An der letzten Wand erblicken
wir in der Kapelle A3 neben dem Eingang links eine Wasser schöpfende männliche Gestalt (nicht etwa die
Samariterin) und etwas höher Christus mit entfalteter Schriftrolle dasitzend (Abb. 60), rechts das Quell-
wunder, beides offenbar Sinnbilder der Erfrischung durch das Lebenswasser (S. 61), also der Seligkeit über-
haupt. In der Kapelle A2 befinden sich an diesen Plätzen männliche Einzelgestalten mit der Schriftrolle
in der Linken, die jedenfalls in Verbindung mit einer sitzenden Figur Christi (und einer fehlenden Orans?)
an der Gegenwand zu erklären sind. Hier spielt schon die Vorstellung von Christus als Lehrer oder gött-
lichem Pädagogen hinein, deren weittragende Bedeutung sich uns erst aus jüngeren Fresken und Sarkophag-
reliefs (Kap. III) erschließt. Tod und Auferstehung endlich werden durch den Jonaszyklus versinnlicht,
dessen Episoden in A3 (Abb. 44) in drei Wandfelder über den Fachgräbern, in A2 hingegen (wie in Abb. 42)
76 ERWEITERUNG DES BILDERKREISES IM 3. JAHRHUNDERT

Abb. 61. Arkosolbilder aus S. Pietro e Marcellino: Lazarus Erweckung, Orant und Brotvermehrung
(nach Wilpert, Die Mal. d. Kat. Roms).

mitsamt den Körben der Brotvermehrung in die vier Segmente der Decke verteilt sind. Ihr Mittelfeld ent-
hält hier wie dort das Bild des Guten Hirten. In A3 sind außerdem an beiden Seiten der Mittelwand zum
erstenmal zwei Fossoren in voller Tätigkeit abgebildet. Eine noch freiere Schöpfung der Künstlerphantasie
hat im Bogenfeld der gleichen Wand in der anderen Kapelle ihren Platz gefunden. Auf stürmischem Meere
ist ein Schiff zum Spiele der Wogen geworden. Einer der Insassen ist schon über Bord gespült. Über
einen Betenden aber streckt sich die Hand des Herrn aus Wolken schirmend aus. Der Gedanke ist an-
scheinend, daß der Christ auch im Sturm der Lebensfahrt, die auch auf den Grabsteinen durch das antike
Sinnbild des Schiffes veranschaulicht zu werden pflegte, bis ans Ende im sicheren Schutze des Herrn steht.
Die Verstellung von dem Schiff der Kirche liegt hingegen fern. — Die dogmatisierende Erklärung der Fresken,
wie sie zuletzt von Wilpert, Die Malereien der Sakramentskapellen, Freiburg i. Br. 1897, begründet wurde
und noch a. a. O. (Text), S. 287 ff. im wesentlichen aufrecht erhalten wird, erscheint heute unhaltbar, beruht
jedoch auf dem richtigen Grundgedanken, daß hier ein zusammenhängendes System der älteren Typenschicht
vorliegt, in das Gedankenbeziehungen zum Kult hineinspielen; vgl. Sybel, a. a. O., I, S. 293 ff. und meine
Bemerkungen im Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 297 u. 304 ff.
Daß die Bilderfolge der Sakramentskapellen nicht aus einmaliger Auswahl und zu-
fälliger Wiederholung hervorgegangen ist, sondern einen geschlossenen Bestand bildet, der
im Einzelfalle mit mehr (bei A3) oder weniger (bei A2) Verständnis aufgenommen wurde,
wird angesichts der übereinstimmenden Zusammenstellung der Sinnbilder in der frühesten
christlichen Sarkophagplastik (s. Kapitel III) zur Gewißheit. Es ist der bereicherte Typen-
schatz der alexandrinischen Malerei vom Ende des 2. Jahrhunderts, der uns hier in gefestigter
Ordnung vor Augen steht, wie seine ältesten Stammtypen in ihrer ersten Ausprägung schon
in der Flaviergalerie verstreut auftauchen (s. S. 64, 66, 68 u. 75). Im Laufe des 3. Jahrhunderts
vergrößert sich der Bilderkreis der römischen Sepulkralmalerei. An neutestamentlichen Szenen
kommen hinzu: die Brotvermehrung (in jüngeren Cubicula der Domitilla-und Priscilla-Kata-
kombe und in S. Pietro e Marcellino, Abb. 61), sowie anscheinend die Heilung des Blinden
(in Nunziatella), dazu ein neuer Typus der Anbetung der Magier (Abb. 62). Aber die alttesta-
mentlichen Typen erfahren eine noch beträchtlichere Vermehrung. David mit der Schleuder, Hiob,
Tobias mit dem Fisch und das erste Menschenpaar finden erst jetzt in Rom Eingang, während uns
das erst- und das letztgenannte Bild ohne Schlange erheblich früher in Neapel begegnet (S. 51,
Abb. 38). Daraus dürfen wir schließen, daß es sich um ein Zuströmen neuen Bildstoffes aus
einem auswärtigen, an den alttestamentlichen Typen stärker interessierten Kunstzentrum handelt.
DIE BEFESTIGUNG DER TYPEN UND DAS STERBEGEBET 77

Das bestätigt auch der veränderte Charakter der schon bekannten Szenen. Befand sich die
christliche Malerei Roms im 2. Jahrhundert noch in einem flüssigen Zustande, so hört die
Freiheit der Gestaltung fortan fast gänzlich auf. Die Kompositionen werden immer im
wesentlichen wiederholt. Manche Züge weisen darauf hin, daß sich diese Befestigung der
Typen, wie ihre erste Gestaltung, an einem Punkt vollzogen hat, wo hellenistische Kunstele-
mente mit christlichem Wesen dauernd in Berührung standen. Die sonderbare Gestalt der
Arche Noahs hat man treffend mit dem Kasten der Danae auf griechischen Vasenbildern
verglichen, blieb doch auch die griechische Bezeichnung der Haustruhe (Kibotos) daran
haften. Noch bedeutsamer erscheint die von Anfang an übliche Darstellung des toten La-
zarus als Mumie (S. 70). Die römischen Maler lassen in den Sakramentskapellen den
Wiedererweckten aus dem ädikulaartigen Grabhause heraustreten. Seit dem 3. Jahrhundert
aber wird er wieder regelmäßig in diesem, das einen bleibenden Bestandteil des Typus bildet, in
mumienhafter Umhüllung aufrechtstehend dargestellt (Abb.61 u. 43). Der Vollzug des Wunders
wird durch die Einführung des Zauberstabes verdeutlicht, dessen Christus sich auch bei der
Brotvermehrung sowie Moses beim Quellwunder bedient. Dieses Attribut entspricht dem
Geiste der von magischen Vorstellungen beherrschten Unterströmung des Christentums. Die
alttestamentlichen Stammtypen erleiden im allgemeinen nur Veränderungen in Nebendingen,
so gelegentlich die drei Jünglinge im Feuerofen in der realistischeren Wiedergabe der Perser-
tracht (Taf. III, 1). Daß ihre Errettung als Vorbild der Erlösung zur Seligkeit aufzufassen ist,
wird gelegentlich durch Hinzufügung der Taube mit dem Ölzweig verdeutlicht. Daniel, ursprüng-
lich mit der Tunika bekleidet (Abb. 41), erscheint manchmal in heroischer Auffassung nackt,
um zuletzt dasselbe orientalische Kostüm wie jene und die huldigenden Magier anzunehmen.
Einzelne Typen, die anfangs noch eine freiere Komposition zuließen, wie Susanna und das
Abrahamsopfer (S. 68 u. 75), werden in der Folge auch dem dreiteiligen Schema unterworfen.
Die Zunahme der Bilder, welche den Gedanken der Errettung ausdrücken, beweist, daß die Grund-
auffassung des malerischen Schmuckes der Cömeterien während des 3. Jahrhunderts noch keine wesent-
liche Verschiebung erfahren hat. Auch bei der Darstellung Adams und Evas; die ihre Blöße bedeckend zu
den Seiten des Baumes der Erkenntnis dastehen, bildet nicht der Sündenfall, sondern die Paradiesesvorstellung
und die in den Gebeten hervorgehobene Erlösung den Kern des Gedankens. Zur Zeit, in der sich der symbolische
Bilderkreis schließt, erfährt er noch keine tiefere Beeinflussung durch die kirchliche Lehre. Vielmehr nahm
die Liturgie die älteren Gebetsformeln auf und faßte jene Beispiele der Berufung in dem Sterbegebet (com-
mendatio animae) zusammen, in dem die Seele des Verscheidenden, von dämonischen Gewalten bedroht, sich
der in ihnen vielfältig bezeugten Gnade Gottes empfiehlt. Von dieser vulgär-theologischen Neuschöpfung
vermögen wir durch Zusammenstellung der bekannten exorzistischen Redewendungen eine ziemlich klare Ge-
samtvorstellung als ideellem Text der sepulkralen Bilderfolgen zu gewinnen. Beginnend mit einer Heilig-
preisung des ,,Gottes unserer Väter“ und einer Anrufung des „eingeborenen Sohnes“ mag die Totenliturgie
zuerst der Welt- und Paradiesesschöpfung gedacht und an sie die Bitte um die dem ersten Menschenpaar
verheißene Erlösung in Form vergleichender Berufung auf die Gnadenerweisungen des Alten Testaments:
die Errettung Noahs „aus der Sintflut“, Abrahams „aus vieler Gefahr“, Davids „im Goliathkampf“ usw.
angeknüpft haben. Der Auszug Israels aus Ägypten wurde mit dem Verlassen dieser Welt verglichen
(Ps. 114). Die Apokryphen lieferten weitere Belege. „Erhöre meine Bitte, wie du den Jonas erhört hast
aus dem Leibe des Ungeheuers, die drei Knaben aus dem Feuerofen, den Daniel aus der Löwengrube
usw.“, war die ständig wiederkehrende Formel (S. 69). Dann wandte sich das Gebet zum „Sohn des
lebendigen Gottes, der so große Wunder getan, der den vor vier Tagen gestorbenen Lazarus, die Tochter
des Jairus usw. vom Tode erweckt hat, der sich selbst am dritten Tage wieder erhob, der den Gicht-
brüchigen geheilt und dem Blinden das fehlende Augenlicht durch Erde und Speichel gegeben hat, der mit
fünf Broten und zwei Fischen Fünftausend gespeist und zwölf Körbe voll erübrigte, Wasser in Wein ver-
wandelte, — dieser wird auch die Toten erwecken“ (Apost. Konstitutionen). Als Schlußbitte enthält ein
Beerdigungsgebet aus dem 5. Jahrhundert die bedeutsamen Worte: „Wir bitten Gott, daß er den Dahinge-
78 LITERATUR ZUR KATAKOMBENMALEREI UND FORMALE ANALYSE

Abb. 62. Die Anbetung der Magier, aus der Domitilla-Katakombe.

gangenen auf den Schultern des guten Hirten heimtragen und der Gemeinschaft der Heiligen genießen lasse.“
Vgl. Michel, a. a. O. S. 24 und 48 ff. (zur Auswahl der Szenen auf den Denkmälern). — Die chronologische
Sichtung der Katakombenfresken wurde eingeleitet durch L. Lefort, Etudes sur les mon. primit. de la peint.
ehret, en Italie, 1880. Eine kritische Zusammenfassung der älteren Forschungen über die Katakombenmalerei gab
O. Pohl, Die altchristliche Fresko- und Mosaikmalerei, Leipzig 1888, während Dobbert, Repert. f. K. Wiss. 1890,
S. 281 ff., zwischen den prinzipiellen Gegensätzen zu vermitteln suchte. Die Methode, weniger die Gesichtspunkte
der römischen Archäologenschule haben eine Fortbildung durch Wilpert, Die Mal. d. Kat. Roms (Text) 1905,
gefunden. Auch A. Perate bei Michel, Hist, de 1'art. I, S. 13ff, kam weder in der Erklärungsweise noch in
der Ursprungsfrage wesentlich über die früheren Anschauungen hinaus. Kurze, aber einschneidende An-
regungen zur letzteren bot hingegen schon Ainalow, a. a. O., S. 4 und 17 ff.; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903,
S. 34 ff. Die Erklärung der Paradieses- und Orantendarstellungen, der Mahlszenen u. a. m., wurde von C.
M. Kaufmann, a. a. O., S. 108—178 und S. 194—?34, sowie neuerdings durch Sybel, a. a. O., I, S. 180—255,
gefördert. Die Entstehung der ältesten Typenschicht aus einer vulgären jüdischen Kleinkunst habe ich im
Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 289 ff., auf K. Michels Forschungen (S. 68 ff.) fußend, nachzuweisen und zu-
gleich die schon von Kraus und Ainalow vertretene Herleitung der frühchristlichen Malerei aus Alexandria
eingehender zu begründen versucht. Eine vorurteilslose, wenngleich etwas allgemein gehaltene Erörterung der
Probleme nebst vollständiger Literaturübersicht bietet Leclercq bei Cabrol, a. a. O., II, 1, c. 2450—2486
(L’art des Catacombes).
Die formale Entwicklung der römischen Katakombenmalerei wird teils von allgemeinen,
teils von rein lokalen und sozialen Voraussetzungen bedingt. Die Masse ihrer Erzeugnisse
sinkt unter den Stand des antiken Kunstvermögens der ersten drei Jahrhunderte herab. Trotz-
dem fehlt dem Werdegange der ältesten christlichen Kunst keineswegs die stilgeschichtliche
Bedeutung. Er bietet der Beobachtung einen fast einzigartigen Fall der Neuschöpfung von
Kunstformen infolge einer kosmopolitischen geistigen Umwälzung. Da diese Kunst gleich-
zeitig mit den christlichen Grundvorstellungen aus dem christlichen Gemeingeist, in dem sich
Antikes und Jüdisches vermischte, hervorwächst, spielen sich bei ihrer Entstehung inmitten
einer überreichen künstlerischen Kultur kunstgenetische Vorgänge ab, wie sonst nur auf einer
primitiven Kunststufe. Das Gedankenbild der Volksphantasie wird zum Keim neuer Bild-
gedanken. Darauf beruht eben die Überlegenheit der jungen christlichen Kunst über die er-
erbten Kunstformen der Antike. Die neuen Bildideen werden, wie in aller Volkskunst, zuerst
ELEMENTE UND KOMPOSITION DER STAMMTYPEN 79

im Kleinen zum Schmuck des Geräts und zu magischer Wirkung im Amulett verwirklicht.
Ihre Elemente sind die einfachsten Figuren in reinster Vorderansicht oder in scharfem Profil,
die Komposition ist ein kindliches Nebeneinanderstellen nach den Grundsätzen der Symmetrie
oder der Reihung. Das gilt freilich im strengsten Sinn nur von den alttestamentlichen Stamm-
typen und von der Anbetung der Magier. Obwohl aber daneben fertige Figurentypen der
griechischen Kunst übernommen werden, greift jenes Kompositionsprinzip doch sogleich
beim Guten Hirten und später auch bei anderen Szenen (S. 77), deren Neugestaltung mit
freierer Gruppierung beginnt, weiter um sich und führt zu Abkürzung und Geschlossenheit.
Das macht die christliche Kunst so still und innerlich im Vergleich mit der antiken. So
bilden sich noch im Laufe des 2. Jahrhunderts ihre vorbildlichen Stammtypen heraus.
In gleicher Richtung wirkt der symbolisch-dekorative Zug der Sepulkralmalerei. Sie will
nur bedeutungsvolles Geschehen in leicht faßlicher Form ausdrücken, nicht eigentlich dar-
stellen. Sie gibt nur wenig Aktion, selbst wo der Stoff auf diese hinweist. Bei den neu-
testamentlichen Wundern fängt die Darstellung gar mit der bloßen Wiedergabe der Wir-
kungen an (S. 70). Figurenreichere Szenen werden möglichst übersichtlich aufgebaut, wie
die Mahlbilder, oder durch Hinzufügung weniger Gestalten von den einfacheren abgeleitet,
wie das späte Kanawunder von der wunderbaren Speisung. Figurenüberschneidung findet als
seltene Ausnahme, z. B. bei der sogen. Hämorrhoissa der Prätextatkatakombe (S, 70), und meist
da statt, wo man sich an antike Vorbilder anlehnt, wie beim Jonaszyklus. Dieser Typus
bietet das früheste Beispiel rasch fortschreitender Entfaltung. Die Szene der Ausspeiung
entstand vielleicht durch Hinzufügung einer menschlichen Halbfigur zu einem antiken See-
drachen, wie er uns noch in der Flaviergalerie für sich begegnet, oder dieser trat an Stelle
einer grobschlächtigeren Schreckgestalt der jüdischen Kleinkunst, die wir gelegentlich noch
in Ägypten vorfinden (S. 97). Zuletzt kam wohl das Schiff dazu. In der Ausmalung der
Erzählung durch allerhand Nebenzüge — am reichsten in der Freske (Abb. 74) des Hypo-
gäums von Cagliari (S. 34) — verrät sich ein unleugbares Bestreben, zu reicherer künstle-
rischer Gestaltung aufzusteigen.
Zwar behielt die eingewurzelte Neigung zum typischen Abschluß als das stärkere Prinzip
volkstümlichen Kunstschaffens die Oberhand. Wie aber die Stammtypen sich bei ihrer Über-
tragung in die monumentale Kunst in die entwickelte antike Formensprache kleideten, so
scheute man auch keineswegs die volle malerische Bildwirkung. Sie wird nur als etwas Un-
wesentliches vernachlässigt. Die Figurenkomposition, welche den ganzen Gedankeninhalt des
Bildes ausmacht, pflanzt sich im allgemeinen allein — wahrscheinlich durch Musterbücher —
fort. Aus der scheinbaren Raumlosigkeit der römischen Fresken dürfen wir daher nicht zu
weitgehende Schlüsse auf den Charakter der alexandrinischen Vorbilder ziehen. Wie Grab-
schriften dartun, waren in Rom die Maler Freigelassene oder Sklaven, späterhin wahrschein-
lich Mitglieder der Fossorenzunft. In der Capella greca, wo tüchtigere Künstlerkräfte ge-
arbeitet haben, liegen mehrere Beispiele vollkommen bildmäßiger Gestaltung der Szene vor.
Beim Abrahamsopfer ist die Landschaft mit Fels, Baum und Bach so anschaulich wieder-
gegeben, wie in keiner späteren Darstellung des Vorgangs. Daniel gar sinkt fast zur Staf-
fage einer den Königspalast von Babylon darstellenden Architekturmalerei herab. Selbst in
der Sakramentskapelle A2 ist der Seesturm vollkommen bildmäßig durchgeführt. Und wo die
Landschaft zum entlehnten Bildtypus gehörte — beim Hirtengenre —,.erhält sie sich bis in
die Spätzeit (Abb. 50), das typische Sinnbild (S. 63) mehr oder weniger ausgenommen. Den
Verzicht auf eine konkrete Veranschaulichung des Tiefenraumes übte schon die antike Malerei,
30 MALERISCHE, KOLORISTISCHE UND DEKORATIVE WIRKUNG

Abb. 63. Verstorbene zwischen dem Pädagogen und der Ecclesia Mater, Arkosolbild aus der
Priscilla-Katakombe
(nach Kaufmann, Die sepulkralen Jenseitsdenkm. d. Antike u. d. Urchristentums).

wo sie diesen entbehren konnte. Die besseren Fresken betonen jedoch bis in das 4. Jahr-
hundert den körperlichen Zusammenhang der Gestalten mit der Standebene durch Angabe
des Schlagschattens (Abb. 49, 60 u. 62). Die Modellierung der Gestalt ist eine durchaus male-
rische mit breiten Lichtern und kräftigen Schatten und zielt darauf ab, die Erscheinung als
Ganzes hervorzuheben. Eine genauere Durchbildung wäre im spärlichen Licht der Grab-
kammern nicht zur Geltung gekommen. Das rechtfertigt zugleich die Beschränkung auf wenige
wirksame Farben, vor allem Gelb, Grün und Rot (Taf. III, 1), das zur Wiedergabe des In-
karnats in einem tiefen bräunlichen Ton angewandt wird. Lichtere und zartere Farben ver-
schwinden fast ganz nach den ersten beiden Jahrhunderten. So flüchtig, ja grob manche
Bilder ausgeführt sind, der Geschmack der Antike für freie dekorative Wirkungen geht erst
im 4. Jahrhundert im Wettstreit mit der polychromen Inkrustation mehr und mehr verloren.
Ihr Bestes leisten die Maler in der Flächengliederung und der Verteilung des Bildstoffes.
Sie tragen freilich oft genug kein Bedenken, die Komposition aus Rücksichten der Responsion
oder Symmetrie abzuändern (S. 75). Für die symbolische Bedeutung ist es von geringerem
Belang, daß die Zahl der Magier, wenn die Gottesmutter in den Mittelpunkt des Bildes
rückt, bald auf zwei vermindert, bald auf vier vermehrt wird (Abb. 62). Sinnstörend wirkt
es aber, wenn sich z. B. die Taube Noahs verdoppelt.
Die Stilwandlung in der menschlichen Gestalt macht sich bei der skizzenhaften Behand-
lung wenig fühlbar. Immerhin weichen, dem allgemeinen Geschmackswechsel folgend, die
schönen Proportionen des 1. und 2. Jahrhunderts im 3. manchmal einer gesuchten Schlank-
heit (Abb. 42 und 61), worauf wieder ein Umschlag zu untersetzten und schweren Gestalten
eintritt, eine Entwicklung, die von der wachsenden Vorliebe für härtere Linienführung begleitet
wird. Der jugendliche männliche Idealtypus, den die christliche Kunst von der klassischen
übernimmt, genügt lange den Bedürfnissen ihrer Symbolik. Sie verwendet ihn ohne die
FIGURENBILDUNG UND AUSDRUCK — FORTSCHREITENDE ENTWICKLUNG 81

leiseste Andeutung einer individuellen Charakteristik unterschiedslos für die alttestamentlichen


Personen wie für die Gestalten des Neuen Testaments und die Märtyrer. Oft scheint ja in
ihnen wie in den Oranten weniger die betreffende biblische als die ideale Persönlichkeit der
Besitzer der Grabstätte in ihrer Anwartschaft auf eine gleiche Gebetserhörung verkörpert zu
sein (S. 67, 71 u. 75). Allgemein wie die Form bleibt in den Gemälden der ersten Jahrhunderte
auch der Ausdruck der Köpfe. Der Gestus ist das ausschließliche Ausdrucksmittel der
Empfindung und der Handlung. Da diese in der Regel durch das Wort begleitet wird,
findet die schon der Antike geläufige Gebärde der Anrede oder des Befehls, das Vorstrecken
der Rechten mit erhobenem zweiten und dritten Finger, neben der Gebetsstellung die häu-
figste Anwendung. In den Oranten aber hat die christliche Kunst den Gefühlswert der
Haltung manchmal mit einem tieferen Ausdruck des Antlitzes zu vereinigen gewußt (Abb. 63).
Eine feinsinnige Würdigung der Katakombenmalerei vom formalästhetischen Gesichtspunkt bot schon
Ainalow, Die Mosaiken d. 4. u. 5. Jahrh., St. Petersburg 1895 (russisch), S. 3 ff. (Einl.). Vgl. ferner A. Riegl,
Spätröm. K. Industrie, I, S. 125 ff., und über die Stilentwicklung sowie den Ursprung der Gestaltungsprin-
zipien der frühchristlichen Malerei Wilpert, a. a. O., S. 59 ff., und Sybel, a. a. O., I., S. 144 ff. nebst meinen
Bemerkungen dazu, a. a. O., S. 293.

Die Fortbildung der sepulkralen Malerei in Rom und im hellenistischen


Kunstkreise.
Während die volkstümlich naive Richtung der sepulkralen Malerei ihren Höhepunkt er-
reicht, bricht langsam deren letzte Phase an. Seit Mitte des 3. Jahrhunderts erfährt der
Bildstoff in den römischen Katakomben in verschiedener Richtung eine beschleunigte Ver-
mehrung. Neben die Sinnbilder treten immer häufiger gewisse Darstellungen, in denen der
Jenseitsglaube schon eine lehrhaft gefärbte, wenngleich nicht dogmatisch gefestigte, Gestalt
gewonnen hat. Dank der vollendeten Bedeutungsverschiebung des Orantentypus werden die
Verstorbenen hier in persönliche Beziehung zu Christus gesetzt, der bald mit lehrender Gebärde,
bald mit entfalteter Schriftrolle auf niedrigem oder durch Stufen erhöhtem Sessel, manchmal
auch im Lehnstuhl ihnen gegenüber oder auch in der Bildmitte sitzt. Die Aufgabe, inner-
halb dieser Lehr- oder sog. Gerichtsszenen ältere und jüngere Typen zu scheiden und die
Bedeutungsentwicklung aufzuhellen, hat die Forschung noch nicht bewältigt. Was sich aber
als unzweifelhaftes älteres Gut aus vorkonstantinischer Zeit ansprechen läßt, bietet der Deutung
in allgemeinerem Sinn keine ernstliche Schwierigkeit. Diese Bilder wollen nichts anderes
schildern als das Eingehen in die Seligkeit. Anbetend stehen die Verstorbenen vor dem Herrn
in der Hingabe an sein Wort, dem sie schon im Leben anhingen. Manchmal, z. B. über
einem Arkosolgrab in S. Callisto (Regione Liberiana), empfängt auch ein Seliger aus seiner
Hand die Rolle, das Symbol christlicher „Wissenschaft“ (S. 66).
Als einfachstes Schema, das sich wohl aus einer freieren in den Sakramentskapellen (S. 75) belegten
Gruppierung herausgebildet hat, begegnet uns am häufigsten die zweifigurige Komposition mit der Orans
und meist jugendlichem Christus, doch kommt auch die bärtige Gestalt, so z. B. auf einem Graffito (Abb. 48),
vor. In solchen Denkmälern sehen wir ihn als göttlichen Lehrer verkörpert, die richtige Auffassung dieses
Typus aber ergibt sich aus der Theologie der alexandrinischen Katechetenschule. Die ganze Vorstellung
wird weniger von dem Gedanken an die neutestamentliche Lehrwirksamkeit als vielmehr von der johannei-
schen Logosidee beherrscht und hat in dem aus antiker Denkweise entsprungenen Bilde des „Pädagogen'“
ihre erste sprachbildnerisehe Personifizierung gefunden. Daher bildet die gleichnamige Lehrschrift des
Clemens Alexandrinus auch die fruchtbarste Quelle der Bilderklärung. Daß die bisherigen Erklärungs-
versuche bei den in Rede stehenden Bildtypen keine befriedigenden Ergebnisse gezeitigt haben, ist der beste
Beweis für den außerrömischen Ursprung der Darstellungen und der zugrunde liegenden Vorstellungen.
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 6
82 CHRISTUS ALS PÄDAGOGE UND LEHRER DER APOSTEL

Der Gemeinde des 3. Jahrhunderts, in der das griechische Element noch sehr stark vertreten war, wird
vieles verständlich und geläufig gewesen sein, was vielleicht schon im vierten nicht mehr verstanden wurde und
einen neuen Sinn bekam. Die Berechtigung, die Schriften eines Clemens zur Deutung der Katakomben-
malereien heranzuziehen, wird nicht bestritten werden können, wenn sich gar mit ihrer Hilfe frühere Rätsel
lösen. Und das ist vor allem der Fall bei einem vielerörterten Arkosolbild der Priscillakatakombe (Abb. 63),
in dem man bald eine kirchliche Zeremonie, wie die Einkleidung einer „gottgeweihten Jungfrau“ oder eine
Eheschließung, bald eine Familienszene hat erkennen wollen. Allein die betende Verstorbene ist durch das
Schleiertuch noch keineswegs unzweifelhaft als Nonne gekennzeichnet und schwerlich ein und dieselbe Person
mit der Frauengestalt, die in der linken Nebengruppe mit einem jugendlichen Manne vor einem im Lehn-
stuhl sitzenden Greise steht. Der erstere hält zudem schwerlich ein gleiches Gewandstück, das Mädchen
aber, nach dem Griff der Linken zu urteilen, offenbar die (etwas undeutlich gewordene) entfaltete Schriftrolle.
Sie und der Jüngling stehen sich auch nicht wie Gatten gegenüber, sondern haben wohl von dem sitzenden
„Pädagogen“ nach Kinderart ihre Belehrung erhalten, ganz im Sinne der Ausführungen des Clemens (Paeda-
gogus, c. 6). Und in der anderen Nebenfigur, einer nährenden Mutter, auf der rechten Seite des Bildes
wird man die „Mutter-Kirche“ (bezw. „Gemeinde“) erkennen dürfen, von der ebenda die Rede ist. Als ein
Bekenntnis zur christlichen Lehre, wenn auch nicht als ein kirchliches, wird also dieses Jenseitsbild sich
den besagten Lehrszenen unbedenklich anreihen lassen, um so mehr als die Gegenüberstellung dieser beiden
allegorischen Gestalten auf einem ebenso oft mißdeuteten Sarkophag in Salona (s. Kap. III) ein schlagendes
Gegenbeispiel findet (so daß man versucht sein könnte, schon in der Maria der Verkündigungsgruppe Abb. 58
in S. Priscilla vielmehr die Ecclesia Mater zu vermuten). — Die vermeintlichen Gerichtsszenen der Katakomben-
fresken hat Sybel, a. a. O. I, S. 269 ff. mit Recht als Bilder der Begrüßung oder der Anbetung der Seligen
erklärt (was P. Styger, Röm. Quartalschr. 1911, S. 148 ff. unberücksichtigt läßt); vgl. auch seine Zu-
sammenstellung und Beurteilung der auf den Lehrer bezogenen Einzelfiguren und Gruppen a. a. O. I, S. 276,
der es freilich noch an klarer Scheidung der Typen und schärferer Erfassung des Grundgedankens fehlt,
wenngleich auch ihm (wie schon V. Schultze) die oben besprochene Darstellung nach Ablehnung aller anderen
Deutungen a. a. O. I, S. 291 (mit Literaturnachweisen) am ehesten auf eine „Schulszene“ zu passen scheint.
Die vermeintlichen Lehrszenen bleiben so wenig an ein einheitliches Schema wie an einen
feststehenden Idealtypus Christi gebunden, mag auch in einzelnen Fällen ein solcher früher
oder später in dieselben eindringen. In Rom haben die tieferen Vorstellungen, denen sie
Ausdruck geben, nicht dauernd Wurzel geschlagen, weil sie dem Geiste der hauptstädti-
schen Gemeinde zu fremd blieben. In der langen Friedensperiode zwischen den Verfol-
gungen des Decius und Diocletian, als das Christentum sich beinahe öffentlicher Duldung
erfreute, war die Autorität der Kirche erstarkt. Wie sie auch in der Kunst zu Worte zu
kommen sucht, springt in die Augen angesichts eines neuen Christusbildes, das den Herrn
als Lehrer unter den Aposteln verkörpert. Der Typus knüpft einerseits an ein antikes Kom-
positionsschema an, in dem Versammlungen berühmter Gelehrter oder Dichter als Sieben-
zahl auf halbkreisförmiger Bank (Sigma) sitzend dargestellt wurden —, andrerseits an die
Vorstellung vom neutestamentlichen Lehramt Christi und vom Beisitzeramt der Apostel bei
seiner Wiederkunft (Matth. XIX, 28). So zeigt ihn zuerst die aus verunstalteten Resten wieder-
hergestellte Deckenmalerei eines Cubiculum des ausgehenden 3. Jahrhunderts in S. Pietro
e Marcellino (Abb. 64). Der Gute Hirte ist daneben zweimal abwechselnd mit Oranten in
den Ecken dargestellt. Die Zahl der Jünger beträgt hier acht, aber noch in jüngeren Bei-
spielen der Komposition (in der Hermes- und Domitillakatakombe u. a. m.), wo sogar der
Nimbus noch durchweg fehlt, anfangs — dem Schema des Hebdomadenbildes entsprechend
— nur sechs, dann zehn und gewöhnlich zwölf (Abb. 65), unter denen mitunter Petrus und
Paulus in porträthafter Bildung zu erkennen sind. Wo der thronende Christus allein in
entsprechender Frontansicht (Abb. 43) durch die Capsa und Schriftrolle als Lehrer gekenn-
zeichnet erscheint, liegt wohl schon eine Abkürzung dieser größeren Komposition vor.
So sehr aber die Gestalt des göttlichen Lehrers dem autoritativen Geist der römischen
ANTIOCHENISCHER URSPRUNG DES NEUEN BILDTYPUS 83

liSli T iitMBrffSlS

Christus als Lehrer der Apostel und Szenen aus der Jugendlegende
Deckenmalerei aus S. Pietro e Marcellino
(nach Wilpert, Ein Zyklus christologischer Gemälde, 1891).

Kirche zusagte, ihre charakteristische Ausprägung ist schwerlich in Rom erfolgt. Dürfen wir
in den frühesten Darstellungen des Herrn mit entfalteter oder geschlossener Schriftrolle und
in den einfacheren Lehrszenen (s. oben) überwiegend einen noch aus Alexandria aufgenommenen
Typus erblicken (S. 75), so weist der Umstand, daß das älteste Beispiel der reicheren Kompo-
sition in S. Pietro e Marcellino von mehreren Nebenbildern (Abb. 64) begleitet ist, die in
der Katakombenkunst ebenso neu sind und gewissermaßen einen „christologischen Zyklus“
6*
84 GLEICHE HERKUNFT DER ZUGEHÖRIGEN JUGEND- UND WUNDERSZENEN

Abb. 65. Christus als Lehrer der zwölf Apostel, Arkosolbild aus der Domitilla-Katakombe
(an der Wölbung Weinlese).

der Jugendgeschichte des Herrn darstellen, in eine ganz andere Richtung. Dem ersten sicheren
Beispiel der Verkündigung — mit flügellosem Engel! — steht hier eine Vorszene der Magier-
anbetung gegenüber: die drei Weisen, wie sie den Stern erblicken, der die Gestalt des ältesten
Christusmonogramms (s. unten) hat. In der Hauptszene daneben, die das althergebrachte
Schema (S. 72) bewahrt, fanden nur zwei Platz. Das vierte Bild der Taufe weicht von den Dar-
stellungen in den Sakramentskapellen (Abb. 44) durch die Orantenstellung des Täuflings und
das senkrechte Herabkommen der Taube ab. Alles das berechtigt zur Vermutung, daß diesen
Malereien schon Typen der syrischen Kunst zugrunde liegen, in der sowohl die Komposition
des Hauptbildes wie die Szenen aus der Kindheit des Herrn ihre weitere, für die gesamte
christliche Kunst so einflußreiche Ausgestaltung gefunden haben. Steht uns doch hier sicht-
lich ein geschlossener Bilderbestand vor Augen, mit dem das Zeremonialbild des jugend-
lichen, unter den Aposteln thronenden Christus aufs engste zusammengehört. Auch weist
dieses selbst deutlich genug auf Syrien und seine Metropole Antiochia zurück, das seine Herr-
schaftsansprüche mit der Errichtung seines Episkopats durch Petrus und der Tradition der
apostolischen Lehrautorität zu begründen wußte. Nirgends läßt die Entstehung eines solchen
Idealbildes der apostolischen Kirche und ihres Hauptes, des erhöhten Christus, sich leichter
verstehen. Und nirgends lag es näher, den geistigen Verkehr des Herrn mit seinen Jüngern
im Bildtypus sich unterredender Gelehrter darzustellen, stand doch die antiochenische Rhetoren-
schule bis tief in das 4. Jahrhundert in höchster Blüte. Zugleich aber wird die Gestalt des
Lehrers dadurch als Persönlichkeit greifbarer und in engere Beziehung zur geschichtlichen
Überlieferung gebracht.
So erblicken wir denn auch an den Wänden desselben Cubiculum zum erstenmal mehrere
(halbzerstörte) neutestamentliche Wunderszenen, die in der Folge auch vereinzelt oder zusam-
men, aber nirgends wieder so vollzählig in der römischen Katakombenmalerei Verbreitung
finden. Zu Lazarus und zum Gichtbrüchigen, dem hier der Heiland gegenübersteht, (und der
Brotvermehrung) sind die Heilung des Blindgeborenen und vielleicht auch die des Aussätzigen
(oder Besessenen) sowie die Erweckung der Tochter des Jairus, außerdem aber die ersten
sicheren Beispiele des Gesprächs mit der Samariterin und der Hämorrhoi'ssa (S. 70) hinzu-
GESCHICHTLICHE UND ANTITYPISCHE AUFFASSUNG DER NEUEN TYPEN 85

gekommen. Die Schöpfung dieses jünge-


ren Bilderkreises dürfen wir der antioche-
nischen Kunst gutschreiben. Unter ihrer
Einwirkung gewinnt gegen Ausgang des
3. Jahrhunderts in der Katakombenmalerei
eine erzählende Auffassung über die sinn-
bildliche die Oberhand, zumal in den alt-
testamentlichen Szenen. Sie äußert sich
in der Hinzufügung von Nebenfiguren,
z. B. wenn sich zu den drei Jünglingen
im Feuerofen der Engel und noch später Abb. 66. Moses Sandalenlösung und Quellwunder, aus
ein Heizer, zu Daniel der Prophet Haba- S. Pietro e Marcellino
kuk, zu Moses am Felsen ein trinkender (nach Roller, Les Catacombes II).

Israelit gesellt, — oder in der Wiedergabe


ganz neuer Vorgänge aus demselben Stoffkreise. So vermehren sich die Mosesbilder um die
Szene der Sandalenlösung auf dem Horeb (Abb. 43 u. 66), um die Gesetzesübergabe, um Moses
und Aarons Bedrängung. Die nachkonstantinische Zeit bringt als Zuwachs die Himmelfahrt
des Elias, die drei Jünglinge vor Nebukadnezar, die Magier vor Herodes, die Heilung des
Besessenen (oder Aussätzigen), die Parabel von den klugen und törichten Jungfrauen u. a. m.,
während die Verleugnung Petri und Christi Geburt erst gegen Ende des Jahrhunderts und die
Passion noch gar nicht zur Darstellung kommen. Dieser neue Typenschatz ist zweifellos nur
zum Teil auf dem Boden der sepulkralen Symbolik erwachsen. Er gehört vielmehr wie jenes
repräsentative Zeremonialbild der aufblühenden kirchlichen Malerei des Ostens, und zwar
offenbar einem mit dem Alten Testament innig vertrauten judenchristlichen Kunstkreise. Zu-
gleich beginnt die Dogmatik sich mit dem gesamten christlichen Bildstoff auseinanderzusetzen
und die alttestamentlichen Szenen als antitypische Hinweise auf die Heilsgeschichte auszu-
deuten. Das Eliasbild z. B. ist jedenfalls schon im Sinne eines Vorzeichens der Himmelfahrt
einem Münztypus der Apotheose Konstantins d. Gr. nachgeschaffen. Die Einwirkung eines
dogmatischen Wortspiels gar verrät sich in der mehrfach belegten Darstellung des Moses im
Quellwunder mit petrusähnlichem bärtigen Kopf. Gab der Gleichklang des griechischen Wortes
„Fels“ (Petra) mit dem Namen des Apostels dazu den Anstoß, so bezeugen spätere Kirchen-
väterstellen und Sarkophagreliefs (s. Kap. III), daß man an der Gegenüberstellung der beiden
Träger des alt- und des neutestamentlichen Gesetzes Gefallen fand. Die römische Kunstübung
folgt aber hier auch nur der antiochenischen. Hand in Hand mit diesem Einfluß geht in
den Katakomben die Zersetzung des älteren Dekorationsstils und die Nachahmung der prunk-
volleren kirchlichen Wanddekoration (S. 56 ff.). Die einschlägigen Bilder gehören, wie diese,
hauptsächlich dem Coemeterium Maius, dem des Petrus und Marcellinus (Abb. 66), der Agnes-
katakombe oder noch jüngeren Grüften an.
Über die Bedeutung und den antiochenischen Ursprung der jüngeren Typenschicht der Katakomben-
malerei, die als zusammenhängendes System in dem von Wilpert, Ein Zyklus christologischer Gemälde
a. d. Kat. d. Hll. Petr. u. M., Freiburg i. B. 1891, erforschten Cubiculum vertreten ist, vgl. schon Repert.
f. K. Wiss. 1912, S. 194 ff., sowie zum Typus des Hauptbildes, Sybel a. a. O. I, S. 277 ff. Die fortgesetzte
Erweiterung des sepulkralen Bilderkreises erörtern ohne Rücksicht auf die Ursprungsfrage Michel, a. a. O.,
S. 79 — 99 und J. Reil, Die altchristlichen Bildzyklen des Lebens Jesu, Leipzig 1910. Stud. über christl.
Denkm. hrg. v. J. Ficker. N. F. Heft 10, S. 1 —10. Abgesehen wird auch hier mit gutem Grunde von der
angeblichen Dornenkrönung aus dem 2. Jahrhundert in der sog. Passionskrypta der Prätextatkatakombe, in
86 LITERATUR — NEUE MAHL- UND EINFÜHRUNGSSZENEN

der man mit Sybel, a. a. O. I, S. 269 am ehesten


eine Begrüßungsszene erblicken darf. Die Er-
klärung dieser und der übrigen Fresken dessel-
ben Cubiculums ist neuerdings besonders durch
A. de Waal und A. Baumstark, Röm. Quartal-
schr. 1911, S. 3 ff. und 112 ff. gefördert worden.
Die Beziehungen der Bildtypen zur kirchlichen
Literatur hat schon Edg. Hennecke, Altchristl.
Lit. und altkirchl. Malerei, Leipzig 1896, ein-
gehend verfolgt. Zu den Magierszenen vgl. H.
Kehrer, Die hl. Drei Könige in Lit. u. K., Leip-
zig 1909, II, S. 11 ff., der jedoch schwerlich
mit Recht den dreifigurigen Typus der Anbetung
als sekundär gegenüber der wohl nur aus deko-
rativen Absichten hervorgegangenen zwei- oder
vierfigurigen symmetrischen Komposition der
meisten Katakombenfresken ansieht. Die befriedi-
gende Aufklärung der heiklen Frage der „Moses-
Petrusvorstellung“ ist E. Becker, Das Quell-
wunder des Moses in der altchristl. K., Straß-
burg 1909, S. 131 ff. zu verdanken.
Ihre kräftigste Blüte treibt die Kata-
kombenmalerei der Spätzeit vollends in
den Bildern der Verstorbenen und Mär-
Abb. 67. Einführung der Veneranda durch die heilige
Petronilla, aus S. Pietro e Marcellino tyrer, welche nun einen breiteren Raum
(nach Roller, Les Catacombes II). beanspruchen und im Rahmen neuer, den
Eintritt in das Jenseits oder das Verweilen
in der Seligkeit schildernder Kompositionen dargestellt werden. Im Cömeterium von S. Pietro
e Marcellino erblicken wir wiederholt das himmlische Mahl in ziemlich übereinstimmender Darstel-
lung. Nur die Anordnung der Tischgenossen um das halbkreisförmige Sigma erinnert an die
symbolischen Mahlwunder von S. Callisto u. a. m. Ihre Zahl und Haltung ist eine abweichende.
Spricht schon dort die antike Auffassung des jenseitigen Lebens als eines Freudenmahles mit, so
dürfen wir auf diese jüngeren Gemälde unbedenklich den Namen des christlichen „Liebes-
mahles“ (Agape) anwenden. Üben doch in ihnen regelmäßig zwei stehende oder sitzende
weibliche Gestalten die Obliegenheiten des Mundschenken aus, denen die Worte: „Agape, gib
warmes (Wasser zum Wein hinzu)“ und „Irene, mische (den Wein)“ beigeschrieben sind,
Redewendungen aus dem Ritus jener wohl aus einer allgemeineren christlichen Mahlsitte her-
vorgegangenen Erinnerungsmahle an den Grabstätten der Verstorbenen. Und doch sind sicher
nicht die Gebräuche der Wirklichkeit, sondern ihr himmlisches Abbild in den Fresken gemeint.
Die Auffassung ist den merkwürdigen synkretistischen Malereien verwandt, mit denen ein
Sabaziospriester in offenbarer Anlehnung an herkömmliche Vorbilder zu Anfang des 4. Jahr-
hunderts ein Arkosolgrab in einem neben der Prätextatkatakombe gelegenen Hypogäum schmücken
ließ. Dargestellt ist hier neben der Fortführung der darin beigesetzten Vibia durch Pluto, dem
Gericht vor Dispater und einem Kultmahl „der sieben frommen Priester“ im Hauptbild der
Wandlünette, wie sie, von dem „guten Engel“ geleitet, durch ein Tor die selige Flur betritt,
wo sechs auf Polstern gelagerte Mahlgenossen sie begrüßen. Auch die mit der Mahldarstel-
lung zusammengezogene Einführungsszene hat christliche Parallelen, so z. B. in der Begrüßung
der Veneranda durch die heilige Petronilla (Abb. 67). Diese Komposition nimmt dann öfters
ZEREMONIALBILDER — MÄRTYRERDARSTELLUNGEN — ORANTEN 87

scheinbar den Charakter einer Gerichts-


szene an, wenn Christus im Typus des
Lehrers auf hohem Sockel dasitzt, wäh-
rend zwei Apostel mit Schriftrollen die
Orans begrüßen oder ihr gleichsam als
„Advokaten“ zur Seite stehen. In Wahr-
heit bedeutet diese Erweiterung des ur-
sprünglichen Bildbestandes (S. 81) wohl
nur das sichere Geleit zur Seligkeit durch
die Vertreter der christlichen Kirche. Bil-
der aus der zweiten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts zeigen schon den Herrn Verstor-
benen den Kranz darreichend oder in der
majestätischen Erscheinung eines bärtigen
Mannes unter Aposteln und Märtyrern Abb. 68. Enthauptung dreier Märtyrer, aus der Casa
Celimontana
thronend und zu seinen Füßen das Lamm
(nach Röm. Quartalschr. 1888).
auf dem Hügel mit den vier Paradies-
strömen (Abb. 72). Damit dringt in die Sepulkralkunst die Symbolik der kirchlichen Mosaik-
malerei ein. Einzelne Arkosolien der jüngsten Hypogäen sind sogar in Mosaiktechnik ausge-
schmückt. Passionsszenen und Martyrien, die seit der konstantinischen Zeit im kirchlichen
Bildschmuck immer mehr in Aufnahme kommen, fehlen dagegen in den Katakomben. Das
einzige Bild dieser Art bewahrt die Casa Celimontana in dem zur Krypta (S. 59) umgewan-
delten Raum: die Enthauptung des Priesters Crispus und seiner Gefährten Crispinianus und
Benedicta (Abb. 68), welche den Abschluß einer auf die Entdeckung der Leichen des Heiligen-
paares bezüglichen Freskenfolge bildet. Die lebendige, wenngleich etwas flüchtige Wieder-
gabe des Vorgangs stellt dem Gestaltungsvermögen der römischen Künstler der zweiten
Hälfte des 4. Jahrhunderts kein ungünstiges Zeugnis aus. Im allgemeinen beharrt jedoch die
Katakombenkunst bei den herkömmlichen sepulkralen Typen, ja sie nimmt den jüngeren bibli-
schen Bilderschatz, wie der Vergleich mit den Denkmälern der Plastik (s. Kapitel III) lehrt,
nur unvollständig auf.
Engeren Zusammenhang mit dem Geist und Stil der älteren Cömeterialmalereien wahren
auch die zahlreichen späten Orantenbilder, doch nehmen sie unter dem Einfluß des veränderten
Zeitgeistes stärkeren Wirklichkeitscharakter an. Die Stimmung beseligter Heiterkeit weht uns
noch aus dem Gemälde der im Paradiesesgarten weilenden „fünf Heiligen“ (Tafel IV) eines
nach ihnen benannten Cubiculum von S. Callisto entgegen. Der Gedanke der Fürbitte ver-
dunkelt hier noch nicht die alte Grundbedeutung des Orantentypus. Die Verstorbenen beten
an, weil sie Gottes Antlitz schauen. Das Gebüsch zu seiten des Arkosolium beleben zwei
Pfauen, vor dem als Brüstung gedachten Sockel stehen Vasen mit trinkenden Tauben. Und
doch gehört das Bild schon in das beginnende 4. Jahrhundert, wie die realistischere Wieder-
gabe der Köpfe und der Tracht und das mehrmals den Namensbeischriften zugefügte konstan-
tinische Monogramm mit der Schlinge des R am Mittelbalken bestätigt. Früher nur als Ab-
kürzung gebraucht, gewinnt letzteres jetzt die Bedeutung, die vorher das gleichschenklige oder
galgenförmige Kreuz „als Siegel des Herrn“ besaß, das auf Epitaphien fast nur in der Ver-
hüllung des früh entlehnten antiken Hoffnungssymbols des Ankers vorkommt. In der Regel
drückt aber das Monogramm, von dem bald eine zweite kreuzförmige Abart aufkommt, nur
88 PORTRÄTHAFTE UND REALISTISCHE DARSTELLUNG DER VERSTORBENEN

Abb. 69. Betende Mutter mit Kind, Arkosolbild aus dem Coemeterium maius
(nach Kaufmann, Die sepulkralen Jenseifsdenkmäler usw.).

eine allgemeine Beziehung auf Christus aus. Die schöne Halbfigur einer betenden Frau mit
der Büste eines Knaben vor der Brust (Abb 69) im Coemeterium maius wird durch dasselbe
keineswegs als Madonnenbild gekennzeichnet.
Die auffallend individuelle Gesichtsbildung läßt
vielmehr auch in ihr das Porträt einer Verstor-
benen mit ihrem Kinde erkennen, wie das bei
den besonders im Brustbild dargestellten Oran-
ten öfters versucht worden ist (Abb. 3). Wirk-
liche Bildnisse sind freilich in den römischen
Katakomben nur vereinzelt nachzuweisen. An-
gestrebt, wenngleich schwerlich erreicht, ist die
Wiedergabe der individuellen Züge in zwei schö-
nen weiblichen Vollgestalten der Katakombe des
heiligen Saturninus und Thrason in reichver-
zierter Modetracht des 4. Jahrhunderts mit
breiten gestickten Purpurklaven (Abb. 70). So
bricht in der nachkonstantinischen Zeit neben
der zeremoniellen Feierlichkeit der repräsenta-
tiven Kompositionen ein starker Realismus durch,
und zwar nicht nur in der schärferen Charak-
teristik der Persönlichkeit, sondern auch in einer
solchen nach Stand und Beruf. In jüngeren
Cubicula der Domitilla- und Priscilla-Katakombe
begegnen uns Bilder von Kriegern, eines Wagen-
lenkers, einer Gemüse- und einer Blumenhänd-
lerin, eines Fuhrmanns auf dem Ochsenwagen,
Abb. 70. Orans in Zeittracht, aus S. Saturnino mehrerer Lastträger, die ein Getreideschiff ent-
e Thrasone. frachten (Abb. 45), ja sogar ganzer Zünfte,
Tafel IV.

Anbetende Selige im Paradiesesgarten, Wandfreske aus der S. Callixtus-Katakombe


(nach de Rossi, La Roma Sotterranea II)
EINFLUSS DES ZUNEHMENDEN INDIVIDUALISMUS AUF DIE IKONOGRAPHIE 89

Abb. 71. Bauausführung unter der Leitung des Trebius Justus, aus einer Gruft an der Via Latina
(nach N. Bull, di a. c. 1911).

dort der Bäcker, hier der Böttcher, welche ein Faß tragen. In gleichem Maß schwächt
sich das künstlerische Interesse für die Typen der naiven Symbolik ab und verblassen die in
ihnen verkörperten Vorstellungen. Ein neues Zeugnis für das Überhandnehmen dieser allge-
meinen Strömung hat die Entdeckung einer vortrefflich erhaltenen Privatgruft an der Via
Latina geliefert. Wir erblicken da den im Alter von 21 Jahren verstorbenen Trebius Justus,
dem die Eltern Kammer und Grabschrift hergerichtet haben, über seinem Arkosolgrab auf
leichtem Sitz, umgeben von all’ seinem Gerät, während an den Wänden seine Tätigkeit als
Baumeister (Abb. 71), Gartenkünstler usw. in mehreren Bildern veranschaulicht ist. Schmückte
nicht die typische Darstellung des Guten Hirten das Mittelfeld der Decke, so wäre ein Zweifel
an der Zugehörigkeit der hier beigesetzten Familie zum Christentum durchaus begründet.
Die zunehmende Berücksichtigung der individuellen Erscheinung in den Darstellungen
der Verstorbenen entspringt aus der allgemeinen Entwicklungsrichtung der christlichen Vor-
stellungen. Der Einzelne tritt im Christentum in ein ganz persönliches Verhältnis zu Christus
und zu seinen Vertretern. Diese Gefühlslage übt nun auch auf ihre künstlerische Verkörpe-
rung eine Rückwirkung. Je fester sich die Kirche als äußere Einrichtung zusammenschließt,
desto greifbarer arbeitet sie daher in Wort und Bild die Persönlichkeiten ihrer Stifter heraus.
Porträthafte Züge nehmen am frühesten die beiden Hauptapostel in einzelnen Beispielen des
repräsentativen Bildtypus der Apostelversammlung mit dem lehrenden Christus an (S. 82).
Die älteren Katakombenfresken geben freilich ihre Charakterköpfe noch nicht in gleicher Schärfe,
aber doch in voller Übereinstimmung mit gleichzeitigen Denkmälern der Plastik (Kap. III) wieder.
90 CHARAKTERTYPEN DER HAUPTAPOSTEL UND WANDLUNG DES CHRISTUSIDEALS

Abb. 72. Christus zwischen Paulus (1.) und Petrus (r.) mit Lamm und anbetenden Heiligen
zu Füßen, aus S. Pietro e Marcellino.

In den jüngeren spitzt sich der Unterschied zwischen dem langbärtigen Pauluskopf mit hoher
kahler Stirn und dem kurzbärtigen mit dichtem Haarwuchs des Petrus schon ebenso zu
(Abb. 72) wie in den kirchlichen Mosaiken. Die Anfänge dieser Typenbildung aber reichen
sichtlich noch in das 3. Jahrhundert zurück, denn vereinzelt taucht da bereits die Figur
des Petrus mit kurzem Vollbart auf.
Auch die allmähliche Entstehung des Christusbildes spiegelt sich in der Katakomben-
malerei wider, wenngleich sich bestimmte Typen in ihr schwer scheiden lassen. Dem reinen
Sinnbild fehlt zunächst jede Individualisierung, sowohl beim Lehrer wie beim Guten Hirten.
Unmittelbar tritt uns die Gestalt des Herrn zuerst in der knabenhaften Erscheinung der Tauf-
szene der Lucinagruft und der Sakramentskapellen (S. 74/5) entgegen. Auch so ist Christus
jedoch kaum vor Mitte des 2. Jahrhunderts dargestellt worden. Die Anregung dazu scheinen die
Schilderungen gnostischer „Gotteserscheinungen“ (Theophanien) geboten zu haben, wie sie
ihm andrerseits gelegentlich auch ein greisenhaftes Aussehen zuschreiben. Als Heiland aber
nahm er in der Phantasie des Griechentums unwillkürlich die Jugendschönheit der leben-
spendenden Götter an, eines Dionysos, Apollon — und vor allem wohl eines Mithras. Seit
dem 3. Jahrhundert stellt ihn die Kunst öfters wie diesen als Jüngling mit lang herabwal-
lendem Lockenschmuck, seltener mit halblangem Haar (Abb. 61), dar. Und obwohl auch
ORIENTALISIERENDE FORTBILDUNG DES CHRISTUSTYPUS — LITERATUR 91

Abb. 73. Marcia, den Kranz von Christus empfangend, aus der Katakombe S. Giovanni in Syrakus
(nach Führer, Forschg. z. Sicilia sotterranea).

dieses Ideal noch keine wahrhaft individuelle Prägung zeigt, wird es doch schon in porträt-
hafter Fassung (als imago clipeata) verwertet (Abb. 2). Eigenartig umgebildet erscheint der
Typus auf Goldgläsern des 4. Jahrhunderts mit schlichtem, im Nacken aufgerolltem Haar,
vielleicht im Sinne der literarisch bezeugten Galiläertracht. Er erfährt dann in einzelnen
späteren Brustbildern eine Weiterentwicklung durch die Scheitelung des Haares. Daneben aber
findet sich anscheinend schon im 3. Jahrhundert ein anderer Typus mit kurzem Vollbart und
anfangs noch ungescheiteltem langgelocktem Haupthaar ein, der noch lange eine allgemeine
Ähnlichkeit mit antiken bärtigen Idealköpfen eines Zeus oder Asklepios verrät (Abb. 72). Sein
Vorkommen in jenen späten Katakombenfresken, die den Herrn in der Glorie darstellen (S. 87),
spricht dafür, daß dieses Christusbild, wie schon das jugendliche, im christlichen Orient ge-
schaffen ist, und daß es seinen Ursprung in der kirchlichen Malerei hat.
Zur Deutung der Orantendarstellungen, der Einführungs- und himmlischen Mahlszenen vgl. besonders
Kaufmann, a. a. O. S. 109 ff., 163 und 194 ff. und Sybel, a. a. O. I, S. 201, 207 ff. und 255 ff. (nebst meiner
Bemerkung zur Freske der Vibiagruft im Repert. f. K. W. 1911, S. 288); über Oranten-, Märtyrer- und
Porträtbilder auch Wilpert, a. a. O. (Text), S. 289,296, 302 ff. DieMalereien der Grabkammer desTrebius Justus
wurden von O. Marucchi, N. Bull, di archeol. crist. 1911, S. 209 ff., Taf. IX—XV veröffentlicht; der Annahme
ihres gnostischen Ursprungs widersprach mit Recht P. Kirsch, Röm. Quartalschr. 1912, S. 51 ff. Neue
Aufschlüsse über die ikonographische Entwicklung der Christus- und Aposteltypen gewann E. Weis-Liebers-
dorf, Christus- und Apostelbilder, Freiburg 1902. Aus dem bei Wilpert, a. a. O. (Text) S. 251 ff. und
Sybel, a. a. O. I, S. 280 ff. verzeichneten Tatbestände der Katakombenmalerei läßt sich eine solche noch
nicht ablesen. Der erste Gebrauch des sog. konstantinischen Monogramms Christi (als Kürzung schon um
200 n. Chr., als Sigle jedoch erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts) sowie des Ankerkreuzes und ihrer
Vorstufen (im 2. Jahrhundert) ist durch Dölger, a. a. O. S. 318 und S. 353 ff. festgestellt worden.
Das über die römische Katakombenmalerei Gesagte darf mit gewissen Einschränkungen
und manchen Ergänzungen auch auf ihre Mutterkunst, die untergegangene christliche Malerei
Alexandrias, bezogen werden. Bleibt doch die ältere alexandrinische Typenschicht der Grund-
92 AUSSTRAHLUNGEN DER ALEXANDR IN ISCHEN KUNST IN NEAPEL, SYRAKUS USW.

Abb. 74. Mystischer Fischfang und Jonasszenen, Wandfreske aus der Nekropole von Cagliari
(nach N. Bull, di a. c. 1892).

stock ihres Bilderkreises. Gleichwohl übte Rom durch seine Lokaltradition auf die allmählich
eindringenden Motive einen angleichenden Einfluß aus, wie es andrerseits nur eine, allerdings
sehr reiche, Auswahl der Typen des christlichen Ostens aufgenommen hat. In einem ähn-
lichen Abhängigkeitsverhältnis von dem Brennpunkt des frühesten christlichen Kunstschaffens,
keineswegs aber von Rom, stehen im Abendlande Neapel und Syrakus. Hier haben jedoch
die Malereien einen mehr provinzialen Charakter. Nur in Neapel findet sich außer den
schon (S. 51) betrachteten Deckenmalereien einiges den besten römischen Fresken Gleichwertige.
Im erhöhten Atrium der zweiten Katakombe von S. Gennaro haben sich in einzelnen Arko-
solien die halbzerstörte Gestalt Daniels in der gewöhnlichen und der Gute Hirte anscheinend
in abweichender Auffassung teilweise erhalten. Bedeutender, wenngleich jünger, sind die
Bilder eines am Eingang der Hauptgalerie der ersten Katakombe gelegenen, flachgewölbten
großen Arkosolium: außer dem schon (S. 64) erwähnten Gemälde des Guten Hirten auf
der Rückwand die Gestalt des ruhenden Jonas an der Leibung links, sowie das Quellwunder
und die Erweckung des Lazarus an der Frontwand. Aus vorkonstantinischer Zeit rührt
jedenfalls auch eine eigenartige (unvollständige) Lehrszene her, die mindestens zehn Ge-
stalten, die Rechte im Anrede- oder Adorationsgestus erhoben, von links auf den ihnen
gegenübersitzenden jugendlichen Christus zukommend zeigt. Der Schauplatz ist durch Gir-
landenschmuck als das Paradies, der Sitzende also als der göttliche Lehrer gekennzeichnet.
Von weniger bedeutenden Resten abgesehen, bewahren die Hypogäen Neapels im übrigen nur
Darstellungen strengeren Stils aus dem 5.-6. Jahrhundert.
Der Dekoration der Girlandengehänge, der verstreuten Blumenblätter und abgeschnit-
tenen Rosen, wie sie sich in Neapel öfters, z. B. über dem schon (S. 61) erwähnten prächtigen
Pfauen, in noch reicherer Anordnung ausbreitet, begegnen wir zwar seit dem 2. Jahrhun-
dert gelegentlich auch in Rom, nirgends aber in so üppiger Verwendung wie in Syrakus,
besonders in den älteren Hypogäen der Vigna Cassia, wo sie, arg verwildert, den Grund neben
DEKORATIVER UND BILDLICHER GRABSCHMUCK IN SYRAKUS 93

bildlichen Darstellungen auszufüllen pflegt.


Das Vorbild hat die Blumenstadt Alexan-
dria geboten. Außerdem werden an Beeren
pickende Vögel, besonders symmetrisch grup-
pierte Pfauen im Laubwerk, und Weinranken,
die sich um die Bogennischen herumziehen, in
den syrakusanischen Grabmalereien bevor-
zugt. Wie in Neapel fehlt hier der feste An-
schluß an ein bestimmtes System der dekora-
tiven Wandbemalung. Die ornamentalen Um-
rahmungen bestehen bei den Fachgräbern
meist aus einfachen farbigen Bändern. Be-
liebt ist hingegen die Nachahmung bunter
Marmorvertäfelung am Sockelstreifen der Abb. 75. Guter Hirte vor der Hürde, aus der
Arkosolgräber. Die meist im Bogenfeld der Nekropole von Cagliari
(nach N. Bull, di a. c. 1901).
letzteren erhaltenen Fresken gehören dem
Hauptgange der Nekropole Cassia und einer etwas abgesonderten Katakombe an und rühren
zum Teil noch aus dem 3. Jahrhundert her. Neben dem mit der Orans zusammenstehenden
Guten Hirten, Daniel, Lazarus’ Erweckung und mehreren Jonaszyklen bieten sie manches
Eigenartige (S. 74), so vor allem einen von zwei Oranten umgebenen jugendlichen Reiter, —
der zu einem koptischen Bildtypus (Kap. III) in Beziehung zu stehen scheint. Zahlreich sind
auch in der Katakombe von S. Maria del Gesü die Darstellungen Verstorbener als Oranten.
Endlich enthalten die Hypogäen von Syrakus, .besonders die jüngere Katakombe von S. Gio-
vanni, verschiedene, dem 4. und 5. Jahrhundert entstammende Einführungsszenen, so z. B. das
trefflich erhaltene Gemälde über dem Grabe der Marcia, auf dem die Verstorbene mit erhobenen
Händen kniend von dem zwischen den Apostelfürsten stehenden Christus begrüßt wird (Abb. 73),
die Krönung des Toten und andere Zeremonialbilder.
Um wieviel reicher muß die älteste christliche Malerei, deren abendländische Ausstrah-
lungen wir allein noch wahrnehmen, in Alexandria selbst gewesen sein. Von der Dekoration
der alexandrinischen Koimeterien geben die Gräber von Syrakus, Neapel und Cyrene (Abb. 18
u. 51) offenbar eine getreuere Anschauung als das römische System, ihr Figurenstil aber muß
mindestens auf der Höhe der Fresken Roms und Neapels gestanden haben. Das bedeutsamste
Abbild einer frühchristlichen alexandrinischen Bildschöpfung bewahrt freilich weder Neapel
noch Syrakus. Es hatte sich vielmehr — leider nur bis vor zwei Jahrzehnten — in einer
inzwischen zerstörten Grabkammer der Katakombe von Cagliari auf Sardinien erhalten.

Abb. 76. Segnung der Brote und Fische und Mahlszenen, aus der Katakombe (Wesher) in Alexandria
(nach Bull, di a. c. 1865).
94 EINE ALEX ANDRIN ISCHE BILDERFOLGE DER NEKROPOLE VON CAGLIARI

Abb. 77. Alttestamentliche Szenen, Kuppelfresken eines Mausoleums in El Bagauat


(nach de Bock, Mater, p. s. ä l’archeol. de 1 ’£g. ehret. 1901).

Der Bestand der Malereien ist durch zweimalige Aufnahme klargestellt und veranschaulicht worden.
Unsere Aufmerksamkeit fesselt vor allem das merkwürdige Doppelbild (Abb. 74) der Hauptwand, das
zwei Segelschiffe auf weitem Meeresspiegel wiedergibt. Bei ihrem ersten Anblick glaubt man vor einem
hellenistischen Genrebild zu stehen, denn die Bemannung besteht aus lauter Putten. Die des links be-
findlichen Schiffes sind beim Fischfang begriffen. Sie haben ein Netz in großem Bogen ausgeworfen und
ziehen es wieder ein. Der Fang aber besteht in drei anderen Putten, die im Wasser schwimmen. Und
daß es christliche Menschenfischer sind, die Seelen fangen, erhellt aus einer rein symbolischen Zutat. Auf
einer zum Ufer hinübergelegten Planke steigt eine Seele als Lamm zum Bord hinauf. Weiter ließ sich die
Allegorie der christlichen Bildersprache nicht treiben. Und doch ist sie aufs engste mit der Schiffsszene
des Jonaszyklus verknüpft, welche die rechte Bildhälfte füllt und nur die Auswertung in der ungewöhn-
lichen Weise schildert, daß der Prophet hinter dem das Schiff begleitenden Drachen kopfüber ins Meer
fällt. Auch er ist hier, sowie bei der Ausspeiung und zum dritten Male darüber als kniender Orant
unter der (nahezu zerstörten) Kürbislaube, in Knabengestalt wiedergegeben. Aus dieser scherzhaften
Behandlung aber spricht der reinste alexandrinische Geschmack, der gewohnt, antike Mythologie in das
DIE EUCHARISTISCHEN MAHLSZENEN DER KATAKOMBE VON ALEXANDRIA 95

Abb. 78. Alttestamentliche Szenen, Kuppelfresken eines Mausoleums in El Bagauat


(nach de Bock, Mater, p. s. ä l’archeol. de l’£g. ehret. 1901).

Kinderspiel der Liebesgötter zu übersetzen, auch vor den christlichen Stoffen nicht Halt macht. Daß die
Malereien in Cagliari schon den entwickelten christlichen Bilderkreis voraussetzen, bestätigen nicht nur
ein paar Münzfunde diokletianischer Zeit aus derselben Gruft, sondern auch die Freskenreste an den
Nebenwänden. An die Jonasszenen schloß sich rechts ein kleines Landschaftsbild an, das den Guten Hirten
zeigte, wie er das verlorene Lamm zur bergenden Hürde zurückträgt (Abb. 75). Die Palme dazwischen verrät
orientalische Vorstellungsweise. An anderer Stelle waren noch Lazarus als Orant unter dem Grabhause
stehend und der Heiland zu erkennen, von den übrigen Bildern hingegen nur unverständliche Überbleibsel.
Der einzige uns wenigstens noch in älteren Aufnahmen bekannte Rest der malerischen
Kunstblüte des christlichen Alexandrien schließt sich an die Entwicklungslinie der römischen
Sepulkralmalerei folgerichtig an. In der Apsis der oben (S.25) besprochenen Katakombe (Wesher)
befand sich ein Doppelbild der wunderbaren Speisung und der Weinverwandlung (Abb. 76).
Die gleiche eucharistische Auffassung der erstgenannten Szene, die auch in Rom manchmal,
so z. B. in einem Cubiculum der Hypogäen an der Via Latina, eine enge Verbindung mit
96 SEPULKRALE BILDERZYKLEN IN DER OASE EL BAGAUAT

der Brotvermehrung eingeht, hat sich hier zu einer noch einheitlicheren, schon halb liturgi-
schen Komposition verdichtet, ohne daß die lockere Anordnung der Gruppen gänzlich auf-
gegeben wäre. Zwischen drei wie in den Speisungsbildern der Sakramentskapellen unter
Bäumen am Boden gelagerten Gestalten, die nach der Überschrift das „gesegnete Brot“ (die
„Eulogien“) „Christi essen“, und einer entsprechenden Mahlszene links, in der nach den In-
schriften Maria und noch weiter links Jesus anscheinend beim Vollzug des Wunders von
Kana dargestellt gewesen zu sein scheinen, ist inmitten der Apsis noch einmal die Gestalt
des thronenden Christus eingeschoben. Petrus hält ihm von links das Brot und Andreas
von rechts zwei Fische zum Segnen hin, zu seinen Füßen aber stehen die zwölf Körbe der Brot-
vermehrung. Die Verwendung des Nimbus nicht nur für Christus, sondern auch für die Apostel,
die Beischriften, dazu die zeremoniöse Feierlichkeit der Mittelgruppe und die eilige Bewegung
der Jünger erlauben kaum, diese Freske vor dem ausgehenden 4. Jahrhundert anzusetzen. So
bildet sie in jeder Hinsicht ein Bindeglied zwischen den freieren römischen Katakombengemälden
und dem späteren syrisch-byzantinischen liturgischen Abendmahlstypus (s. Kap. V).
Der Boden Alexandrias hat bisher keinen anderen Rest sepulkraler christlicher Malerei
herausgegeben. Auch in dem Nebenraum derselben Katakombe waren anscheinend nur spä-
tere Fresken, die Passionsszenen darstellten, sehr mangelhaft erhalten. Wohl aber sind in
Oberägypten im letzten Jahrzehnt mehrere Bilderzyklen unserer Kenntnis erschlossen worden,
die Alexandrias Bedeutung als führendes Kunstzentrum der ersten Jahrhunderte erhärten.
Als solches mußte die hellenistische Großstadt des Nildelta auf das früh bekehrte Hinterland
mindestens einen ebenso starken Einfluß ausüben wie auf die abendländischen Gemeinden.
Der Glaube an den römischen Primat in der christlichen Kunstentwicklung wird vollends
dadurch erschüttert, daß sich in der Nekropole der großen libyschen Oase unseren Blicken
auf engem Raume gleichsam ein umfassendes, obschon vergröbertes Musterbuch des sepul-
kralen Bilderkreises darbietet.
Das Hauptzeugnis bildet die Kuppelmalerei der kleinen Grabkapelle mit der nachgeahmten poly-
chromen Wandbemalung (Abb. 46). Unbeengt von jeder ornamentalen Umrahmung drängt sich an ihrem
Gewölbe der ganze Typenschatz der Katakombenmalerei mit mancher Zugabe zusammen. Und doch ent-
behrt das Ganze nicht der Ordnung. Die Darstellungen sind, abgesehen von einer gewissen Responsion,
in zwei konzentrischen Kreisen um ein größeres raumfüllendes symbolisches Motiv herumgelegt. Über
den Zwickeln der Hängekuppel, die eine aus drei Kreuzen, zwei einfachen und dem altägyptischen Lebens-
zeichen (Anch), bestehende Komposition zeigen, ist jedesmal eine und einmal auch dazwischen noch eine
dritte Figurenreihe eingefügt. Gemalte Beischriften erläutern die Bilder. Im Scheitel des Gewölbes ver-
zweigt sich (vielleicht im Sinne von Moses IV, 13) eine Rebe nach allen Seiten, die anscheinend aus einem
über dem Eingang im inneren Bilderringe befindlichen Kübel aufsteigt. Ihre Zweige, in denen Trauben
pickende Vögel sitzen, breiten sich auf der Gegenseite über einem von zwei Bäumen umstandenen Hallen-
bau aus, dessen Bedeutung sich uns aus zwei weiteren Bildern erschließt. Den übrigbleibenden inneren
Ring füllt die Darstellung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten. Sie folgen Moses, der mit dem
Stabe voranschreitet (Abb. 77), als nächster Jothor (Jethro), hierauf die übrigen teils zu Fuß, mit
Bündeln beladen, teils auf Saumtieren oder solche am Zügel führend, Kinder dazwischen (Abb. 78).
Die Verfolger sind ihnen auf den Fersen, an ihrer Spitze — jenseits der Rebe — ein Krieger zu Fuß,
hinter ihm zwei Reiter, über denen die Inschrift ,,das Rote Meer“ steht, dann wieder Fußsoldaten. Zu-
letzt kommen drei Reiter mit Rundschilden und Helmen in Form der phrygischen Kappe, Pharao in der
Mitte, dahergejagt. Die Errettung Israels aus Ägypten gehört zu den ältesten Paradigmen der Gebete
(S. 68), in den römischen Katakomben ist sie aber nur ein einziges Mal belegt. So weist schon diese
Komposition zurück in die dunklen Anfänge jüdisch-christlicher Volkskunst (S. 69). Der äußere Bilder-
kreis besteht aus Einzelszenen. Der Beschauer erblickt rechts (in Abb. 77 links) unter dem farbigen Boden-
streifen, zu dem die Treppe des Hallenbaues hinabführt, Adam und Eva. Sie sind schon der Türe des
Paradieses zuschreitend dargestellt, das Bäume und Büsche veranschaulichen. Um den letzten Baum
UMFANG, HERKUNFT UND ENTSTEHUNGSZEIT DER ERSTEN BILDERFOLGE 97

windet sich die Schlange. Es folgen: Daniel in der Löwengrube, die im Durchschnitt wiedergegeben ist,
die drei Jünglinge im Feuerofen, dessen Glut eine Gestalt von rechts zu schüren scheint — zwischen den
Köpfen des ersten und zweiten ist der des Engels, anscheinend mit Nimbus, sichtbar —, dann die Zer-
sägung des Jesaias, eine Szene, die nur noch einmal auf einem Goldglase belegt ist. Die darauffolgenden
Jonasbilder stehen dem typischen Zyklus ziemlich nahe, doch hat bei der etwas drastischen Auswertung
des Propheten das Schiff die Form einer Nilbarke und der sich von rechts heranwälzende Walfisch wirk-
liche Fischgestalt. Von der Ausspeiungsszene ist noch sein Schwanz links vom Schiff wahrnehmbar.
Ebenso typisch aufgefaßt erscheint der noch weiter nach links mit über den Kopf gelegtem Arm unter
der Laube ruhende Jonas. Zwei darüber eingeschobene Darstellungen sind vermutungsweise auf Hiob
und die Gefangennahme des Petrus bezogen worden, da die zweite Gestalt hier sicher einen Krieger dar-
stellt. In den nächsten Szenen lassen Bild und Inschrift den hinter der Herde hergehenden Hirten —,
vielleicht mit Stab und Syrinx, — und Thekla auf flammendem Scheiterhaufen erkennen, darunter aber
das Opfer Abrahams. Der Erzvater steht zwischen einem Baum, unter dem der Widder noch schwach
sichtbar ist, und einer weiblichen Gestalt, wohl Sarah, neben dieser der nackte Isaak auf niedrigem Altar
und noch einmal als Orant vor einem Busch neben einem Holzbündel. Die frontale Betstellung der Figuren
erinnert an die Freske der dritten Sakramentskapelle von S. Callisto (S. 75). In scharfem Profil, eine
hinter der andern, schreiten hingegen die klugen Jungfrauen —, ihre Siebenzahl bezeichnet im antiken
Sinne die Mehrheit, — auf einen schon über dem nächsten Hängezwickel befindlichen viersäuligen Giebel-
bau mit mehrstufiger Treppe zu (Abb. 77). Die Arche Noahs, wiederum eine Nilbarke, deren Enden
sich über dem Verdeck vereinigen, schließt den äußeren Bilderring. Der Patriarch ist aus einer Kajüte
der heranfliegenden großen Taube entgegengeeilt, während ihm aus einer zweiten ein Gefährte nachblickt.
Das vorhergehende Zwickelbild schildert wohl den Kampf Davids und Goliaths (Abb. 46), zwischen denen
wahrscheinlich eine allegorische Gestalt steht, das folgende ein Segelschiff mit einem am Steuer und einem
am Bug sitzenden Manne, möglicherweise den wunderbaren — wenn nicht gar den mystischen (S. 95) —
Fischzug. Den dritten Zwickel nimmt die (erst im Evangelium von Rossano wieder nachweisbare) Be-
gegnung Rebekkas mit Elieser (S. 70) ein, dem ein Kameltreiber und ein zweiter Begleiter mit einem Esel am
Zügel folgen. Im letzten Zwickel ist nur noch eine in einem Lehnstuhl sitzende Figur (Daniel ?) sowie die Bei-
schrift Susanna sichtbar und der Prophet Jeremias vor einem inschriftlich als Jerusalem bezeichneten
Säulenbau, offenbar dessen Untergang weissagend. Da ein gleiches Gebäude oben das Paradies darstellt,
in das die Jungfrauen einziehen, kann auch der oben erwähnte große Hallenbau, dessen linke Schmal-
front in umgeklappter Ansicht denselben Anblick bietet, nur das himmlische Jerusalem bedeuten. Das Sym-
bol des Henkelkreuzes in seinen Giebeln und im Bogenfelde eines vergitterten Kuppelbaues inmitten der
Säulenhalle bestätigt das. In einer mit dem Stabe in der Rechten und einem nicht mehr deutlichen Gegen-
stände über der Schulter auf die Treppe zuschreitenden Gestalt ist offenbar der das verlorene Lamm heim-
bringende Gute Hirte (S. 77) zu erkennen in einer vom gewöhnlichen Schema (S. 64 ff.) abweichenden,
aber auch auf einem römischen Graffito (Abb. 48) belegten Darstellungsweise.
Vor dem Reichtume des beschriebenen Bilderzyklus muß jede Erklärung verstummen,
die in Rom den Ausgangspunkt der christlichen Typenbildung sucht. Wenn Alexandria seine
ganze Kunst erst dem römischen Vorbilde verdankte, bliebe der starke Überschuß desselben
über den römischen Bilderschatz unverständlich. Zwar kann man einzelne der Bilder, die
in Rom nicht Vorkommen, als jüngere Zutaten ansehen, wie das Martyrium Theklas oder die
Gefangennahme des Petrus, nicht aber den so auffällig überwiegenden, alttestamentlichen
Bildstoff. Er muß seine Ausprägung an einem ungleich stärker von jüdischen Vorstellungen
beeinflußten Punkt gefunden haben, mögen auch die Malereien der koptischen Grabkapelle
in El Bagauat frühestens etwa der Wende des 4. Jahrhunderts angehören. Jene Darstellung
Jerusalems verrät schon die Anregungen der syrisch-palästinensischen Kunst des 4. Jahr-
hunderts (Kap. III u. V). In stilistischer Hinsicht läßt sich nur noch ein entfernter Zusammen-
hang —, ein solcher jedoch immerhin in den Typen der Jonasszenen, Daniels und der drei
Jünglinge, — mit der antiken Formensprache der römischen Katakombenmalerei erkennen.
Im allgemeinen aber ist diese Kunst ebenso naiv und unerfahren in schwierigeren künstle-
rischen Problemen wie frisch und lebendig in der unmittelbaren Verwendung des Gedanken-
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 7
98 KÜNSTLERISCHE EIGENART DER FRESKEN VON EL BAGAUAT

Abb. 79. Kuppelfreske einer Grabkapelle in El Bagauat


(nach de Bock, Maier, p. s. ä l’archeol. de l’Egypte ehret. 1901).

bildes. Indem sie die Gestalt immer in ihren einfachen Hauptansichten mit gleichmäßig auf-
gesetzten Füßen wiedergibt, weiß sie doch die mannigfaltigsten Bewegungsmomente mit großer,
wenngleich karikierender Lebendigkeit auszudrücken. Das schwere Schleppen der Israeliten
stellt sie ebenso überzeugend dar wie das Galoppieren der Reiter. Sie berücksichtigt fast
durchweg das realistische Kostüm der Wirklichkeit. Bei alledem entwickelt sie eine außer-
ordentliche Kraft der Silhouette. Ihre Komposition besteht demgemäß aus einem kindlichen
Aneinanderreihen oder Gegenüberstellen von Einzelfiguren. Es fehlt an jedem Versuch male-
rischer Bildgestaltung. Am schwächsten fällt die Wiedergabe der Örtlichkeit aus. Die Zu-
sammenfügung verschiedener Ansichten von Gebäuden muß die fehlende Perspektive ersetzen.
Die Bäume werden in kindlicher, an altägyptische Malereien gemahnender Weise aus den
schematischen Vorstellungsbildern ihrer einzelnen Teile in reiner Flächenprojektion hergestellt.
In dieser verwilderten Hinterlandskunst voll frischer Erfindung scheinen noch die Urtypen
der alexandrinischen Grüfte in freierer, mit koptischen Zügen durchsetzter Wiederholung fort-
zuleben, — oder hat sie sich nur aus dem Banne der antiken Form ihrer Vorbilder befreit?
Die künstlerische Tradition der Antike schimmert ungleich stärker in der Gewölbfreske einer
anderen Grabkapelle zu El Bagauat durch, ohne daß eine solche Unmittelbarkeit der Schilderung für
die Schwächen der Verfallstils entschädigt (Abb. 79). Die dekorative Anordnung bringt das Prinzip
der konzentrischen Flächengliederung, das in seiner Strenge schon über den Dekorationsstil der römi-
schen Katakomben hinausweist, noch mit Hilfe ornamentaler Motive zur Geltung. Von den an Breite
DIE ZWEITE BILDERFOLGE UND DIE GRUNDLAGEN DIESER KUNST - LITERATUR 99

stetig zunehmenden Zonen enthält nur die äußere figürliche Darstellungen, während sich in der innersten
eine Weinranke um das kleine Mittelrund, dessen Schmuck nicht mehr erkennbar ist, und um sie in der
zweiten, sowie in der äußersten Bordüre um das Ganze, ein Lorbeerkranz zusammenschließt. In gegen-
ständlicher Beziehung ist die erhaltene Bilderfolge nicht weniger bedeutsam, als die vorher betrachtete,
obgleich sie nur eine engere Auswahl von Szenen und Einzelgestalten umfaßt. Den Sinn des Gemäldes
helfen uns die gemalten Beischriften auf dem farbigen inneren Randstreifen verstehen. Die lockere Ver-
teilung der Figuren der einen Hälfte verrät, daß hier die Arbeit des Malers und also wohl auch der
Gedankengang ihren Anfang nehmen. Als erste Gestalt, die offenbar fertig war, bevor die allerletzte
des betenden Jakob daneben eingezwängt wurde, tritt uns hier eine in Chiton, Pallium und Schleiertuch
gekleidete Frau mit vor der Brust erhobenen Händen, dem durchgehenden Gebetsgestus der Freske, ent-
gegen, laut Inschrift als „Euche“, also als die vollkommenste Partnerin der römischen Orans (S.71), gekenn-
zeichnet. Sie erhebt gleichsam die nachfolgenden Bilder zum Gebet. Das erste Beispiel der Gebets-
erhörung, Daniel, der wieder in einem Brunnen steht, umgeben zwei weitere Personifikationen, die Ge-
rechtigkeit in voller Gewandung mit Wage und Füllhorn, die Mauerkrone antiker Stadtgöttinnen auf dem
Haupt, und Irene, der Friede, nackt bis auf einen gemusterten Lendenschurz mit einem fackelähnlichen
Zepter und dem Lebenszeichen in Händen. Da dieses das Kreuzmonogramm vertritt, sind die beiden als
göttliche Gerechtigkeit und Friede in Christo zu verstehen. Auf Irene folgt, durch einen Baum getrennt,
das Abrahamsopfer in einer Komposition, die augenscheinlich die Hemmung des blutigen Opfers und seine
Ersetzung durch das Rauchopfer ausdrückt, denn von links her greift die Gotteshand herab, der zwei
Messer entgegenstarren, während daneben ein Altar flammt und über ihm Isaak und Sarah Weihrauch-
kästchen halten. Weiterhin stehen Adam und Eva, wie in Neapel, abgewandt zu seiten des Baumes mit
der Schlange, die Frucht zu Munde führend und ihre Blöße bedeckend, da. Die im Orient beliebte Mär-
tyrerin Thekla im Ärmelgewand und Schleier sitzt Paulus gegenüber, seine Belehrung niederschreibend.
Die darauffolgende betende Frauengestalt in Stola und Schleiertuch nennt die Inschrift Maria. Und in
symbolischer Parallele, die bis heute in der orientalischen Kirche fortlebt, mit der daneben dargestellten
Arche Noahs fliegt auch zu ihr die Taube herab, das Sinnbild des Heiligen Geistes, der sie „überschattet“.
Noah steht mit seiner ganzen Familie in einem Schiff mit hohem Zeltdach. Die letzte Gestalt endlich
entspricht Maria, die aus „Jakobs“ Samen geboren ist, und vervollständigt die Anrufung des „Gottes
unserer Väter“. Die ganze Komposition aber wird nur auf der Grundlage eines die dargestellten The-
mata in sich vereinigenden Gebets verständlich. Daß sich in ihr schon neue mystische Gedankenansätze
bemerkbar machen, berechtigt uns noch nicht, die Freske allzu tief herabzudrücken, da trotz einer ge-
wissen Ungelenkkeit und Gedunsenheit der Formen, einer Vorliebe für die Frontstellung der Gestalt
oder des bloßen Oberkörpers und ähnlichen Anzeichen von Stilverlust andere Gründe, wie der sparsame
Gebrauch des Nimbus, eine spätere Entstehung des Gemäldes als im 5. Jahrhundert ausschließen.
Die Bilderzyklen der großen Oase zeigen uns die christliche Kunst Ägyptens in engster
Fühlung mit dem von den alttestamentlichen Geschichten und von der jungen christlichen
Legendenbildung gesättigten Volksbewußtsein. Ihre Symbolik quillt aus der Tiefe eines
schwärmerischen Religionslebens und wächst aus den vulgären Geisteserzeugnissen der litur-
gischen Gebetsformeln und Hymnen, nicht aus der allegorisierenden Spekulation gelehrter
Kirchenväter hervor. Ebenso fern aber bleibt sie vom hellenistischen Geist der Fresken
in Cagliari, der auch mit den christlichen Gestalten spielt.
Zu den Fresken von Neapel und Syrakus vgl. die (S.36) oben angegebenen Spezialwerke und v. Sybel,
a. a. O. I, S. 277. Über die leider seither zerstörten Malereien der Nekropole von Cagliari berichtete
zuletzt G. Pinza, N. Bull, di archeol. crist. 1901, S. 61 ff., ohne ihrer besonderen Bedeutung gerecht zu werden;
die Hirtendarstellung erscheint hier berichtigt, schwerlich hingegen die Nebenszene. Zu den Malereien
der Wesher-Katakombe vgl. aus der älteren Literatur (S. 10) vor allem die Ausführungen von Dobbert,
a. a. O. 1885, S. 165 und 1890, S. 375 ff., und die ergänzenden Mitteilungen ihres letzten noch lebenden
Besuchers J. P. Richter, Expedition Sieglin, Ausgrabungen in Alexandria, 1908, S. 30 ff. — Die Male-
reien von El Bagauat wurden veröffentlicht von W. de Bock, a. a. O. Taf. X—XIV und (S. 21 ff.) erläutert
von J. Smirnow sowie in der vortrefflichen Besprechung von D. Ainalow, Bu^avtiva Xpcmxa. Wizantijskij
Wremennik. St. Petersburg 1902, S. 152 ff. (russisch); die übrige Literatur und die Ergebnisse aus ihr
bietet Leclercq bei Cabrol, a. a. O. II, 1 c. 31 — 62 (El Bagauat).
7*
100 ANFÄNGE DES CHRISTLICHEN PLASTISCHEN KUNSTSCHAFFENS

Abb. 80. Sarkophag (von der Via Salaria): Guter Hirte und Orans zwischen Verstorbenen
(nach N. Bull, di a. c. 1891).

III.

Die altchristliche Plastik.

Von allen Künsten war dem Urchristentum die Plastik weitaus die fremdeste, — zumal die
statuarische. Das jüdische Verbot, sich ein Bild der Gottheit zu machen, behielt für die
ersten christlichen Generationen seine ungeschmälerte Geltung, diente doch die Bildnerei vor
allem der Idolatrie. Erst als griechisch-römisches und orientalisches Volkstum das juden-
christliche Element völlig überwachsen hatte, wandte sich das Kunstschaffen der Christen
in engen Grenzen der Rundplastik selbst zu. Zuvor aber und ungleich reicher entfaltete
es sich in der plastischen Flächenkunst des Reliefs, die hier wie überall viel enger mit der
Malerei Hand in Hand geht und allein mit ihr in der künstlerischen Gestaltung der christ-
lichen Vorstellungen zu wetteifern vermochte. Erst im Gefolge der malerischen erblühte die
bildnerische Kunsttätigkeit des jungen Christentums. Ihre Anfänge aber liegen wieder in der
Ausschmückung des Grabes.

1. Die Entwicklung der Sarkophagplastik in den Denkmälern des Abendlandes.


Die Sarkophagplastik geht jeder andern christlichen Bildnerei voraus. Den Weg ihrer
Entwicklung zu zeichnen, ist vielleicht noch schwieriger als den der sepulkralen Malerei. Aus
der Erhaltung christlicher Sarkophage an ihrem Standort folgt noch keineswegs, daß sie da-
selbst auch entstanden seien. Die Hauptmasse gehört wiederum Rom an, sie ist zum Teil in
den Katakomben, größtenteils aber auf dem vatikanischen und dem Cömeterium von S. Callisto
(S. 48) gefunden worden. Besonders in der älteren vatikanischen Gruppe hat jedoch hand-
werksmäßige Nachahmung fremder Vorbilder zur Vermischung mehrerer Richtungen ge-
führt. Vielfach sind dieselben mißverstanden worden. Die weite Verbreitung der gleichen
Sargtypen mit denselben Kompositionen und öfters sogar mit derselben Anordnung der Bilder, —
am zahlreichsten in Arles, wie überhaupt in Gallien, aber auch in Nordafrika, Spanien und
in ganz Italien, — sowie die stilistische und technische Verwandtschaft weist bei mehreren
Typen auf ein einheitliches Fabrikationszentrum hin. Rom aber kommt als solches nur in
VERBREITUNG UND HAUPTRICHTUNGEN DER SARKOPHAGPLASTIK 101

beschränktem Umfang in Frage. Der Import aus den Ursprungsländern folgte bestimmten
Handelswegen, und griechische Wanderkünstler haben die Kunstformen ihrer Heimat weit in
das Abendland hineingetragen. Daher haben die einzelnen Sarkophagklassen eine ungleich-
mäßige Verbreitung. So hat Gallien bei rund 300 Sarkophagen eine größere Mannigfaltig-
keit der Formen aufzuweisen als Rom bei einer Gesamtzahl von mehr als 500. Allen diesen
Gattungen aber ist — infolge der im Abendlande vorherrschenden Aufstellung in Nischen
oder an den Wänden — mit den heidnischen römischen Sarkophagen gemein, daß die Rück-
seite in der Regel schmucklos geblieben und die Nebenseiten meist nachlässiger und in flacherem
Relief ausgeführt sind.
Zwei große Entwicklungslinien lassen sich unterscheiden und innerhalb einer jeden wieder
verschiedene Sarkophagklassen. Als die altertümlichste tritt eine alexandrinische Richtung
hervor, von ihr grenzt sich deutlich eine jüngere kleinasiatisch-antiochenische ab. Im
römischen Werkstattypus fließen jedoch einzelne Gattungen oft unentwirrbar zusammen.
Und da die eingeführten Särge anscheinend nicht allzu zahlreich sind, die Masse der Denk-
mäler vielmehr offenbar an Ort und Stelle gearbeitet wurde, so läßt sich die Herkunft eines
Bildtypus nicht immer mit Sicherheit erschließen. Gleichwohl sondern sich jene beiden Haupt-
gruppen unverkennbar und im wesentlichen der älteren und jüngeren Typenschicht der Kata-
kombenmalerei entsprechend, nur schreitet die ikonographische Entwicklung in der Sarkophag-
plastik noch über die letztere fort.

Die alexandrinische Richtung.


Wie in der Katakombenkunst der ersten Jahrhunderte steht das Sinnbild des Guten
Hirten als Hauptelement im Mittelpunkt des Reliefschmucks einer ganzen Gruppe von Sarko-
phagen, die sich vollends durch ihre Nebenbilder als alexandrinische Arbeiten oder Nach-
ahmungen von solchen zu erkennen geben. In völlig entsprechender Gegenüberstellung mit
der Orans erblicken wir ihn auf dem an der Via Salaria gefundenen ältesten und vielleicht
schönsten Sarkophage Roms (Abb. 80). Nach seinem Figurenstil, besonders nach den
männlichen Kopftypen, muß dieser noch der Antoninenzeit entstammen. Die künstlerisch
durchgebildete Trogform stellt die Umsetzung eines hellenistischen Sargtypus mit Tierkampf-
gruppen an den Schmalseiten in die christliche Symbolik des Lämmergenre (S. 65 ff.) dar.
Der Gute Hirte und die Orans als Verkörperung paradiesischer Glückseligkeit sind in der
Mitte zusammengerückt. Der in einer Rolle lesende ältere Mann zur Linken, den zwei andere,
gleichsam Belehrung suchend, umstehen, und die gegenübersitzende, ebenfalls eine Rolle hal-
tende ehrwürdige Matrone, hinter der eine Jungfrau mit halbverhülltem Haupt hervorschaut,
sind durch diese Beigabe als Abgeschiedene charakterisiert, wird doch schon auf antiken
Särgen gern auf deren musische Beschäftigung Bezug genommen. Der Leser muß hier jeden-
falls der Vater, die Rolle aber die trostreiche „Lehre des heiligen Hirten“ sein, nicht ein
philosophisches oder poetisches Buch, aus dem auf heidnischen Sarkophagen der Tote oder
der Überlebende zu lesen pflegt. Durch Umdeutung dieser Gestalt aber ist in die christ-
lichen Sarkophagreliefs augenscheinlich der Typus des göttlichen Pädagogen eingeführt worden,
jene erste Verkörperung der Vorstellung von Christus als Lehrer, die Clemens von Alexan-
drinus mit Bezugnahme auf das geistige Hirtenamt zum Grundgedanken und Titel seiner
schon erwähnten Lehrschrift gemacht hat (S. 75u. 81). Dafür spricht z. B. ein Kindersarkophag
in Ravenna (Abb. 81), bei dem nicht nur die Deutung des Lesenden auf den Verstorbenen,
sondern auch auf einen Überlebenden ausgeschlossen ist, wenngleich sein Antlitz wie für
102 DIE SINNBILDER DER ALEXANDRINISCHEN SARKOPHAGPLASTIK

Abb. 81. Kindersarkophag (Museum in Ravenna): Lehrszene und Guter Hirte mit Herde.

porträthafte Darstellung unausgearbeitet blieb, gehen doch dem an letzter Stelle dargestell-
ten Mädchen, für das wohl dieser Sarg bestimmt war, die porträthaft aufgefaßten Eltern
voran. Die Mutter erhebt anbetend die Linke und vertritt so die Orans. Der Darstellung
scheint also auch hier der unverstandene Kompositionstypus einer figurenreicheren Lehrszene
zugrunde zu liegen, wie vor allem die in angelehnter Stellung nachdenklich lauschende
Frauengestalt glauben macht, die schon an heidnischen Särgen ihr Vorbild in einer dem
Leser beigesellten Muse oder Parze hat. Eine symbolische Anspielung auf das verstorbene
Kind liegt in der Gestalt eines Eroten, der auf der Nebenseite mit schmerzlichem Ausdruck
einen Kahn lenkt, ein noch echt antikes Sinnbild der Überfahrt in das unbekannte Land.
Auf der Gegenseite befindet sich hingegen die Gestalt des Fischers. Die rechte Hälfte der
Vorderseite aber verbleibt dem reicher ausgesponnenen Hirtenbilde. Außer dem Guten Hirten,
der, wie an einem Sarkophag aus La Gayole in der Provence (Tafel V, 1), mit unverkennbarer
Absichtlichkeit neben den Pädagogen gestellt ist, ist ein ruhender und zu ihm umblickender
Hirte da, und unterhalb des letzteren trinkt in augenfälliger Parallele zur Lehrszene ein Lamm
aus frischem Quell das „Lebenswasser“. So gewährt uns dieses Doppelbild einen tiefen Ein-
blick in die antik gefärbte Gedankenwelt des ältesten alexandrinischen Christentums.
Unter allen Denkmälern dieser kleinen, aber wichtigen Gruppe bewahrt der Sarkophag
von La Gayole die Merkmale griechischen Stils am reinsten. Er kann nach dem Figuren-
typus und der klaren Silhouettenwirkung des Reliefs auf zusammenhängender Grundfläche,
die abweichend von allen christlichen Sarkophagen des Abendlandes unten durch einen wuch-
tigen Sockel mit echt griechischer Wellenranke, oben durch ein kräftig ausladendes Gesims
abgeschlossen wird, noch dem Zeitalter der Severer, wenn nicht gar Antonine entstammen,
während eine Grabschrift am Karnies auf eine spätere Wiederverwendung des Sarges hin-
weist. Wie kommt es nun, daß hier der Hirte bärtig dargestellt ist, und daß die Herde weit
getrennt von ihm auf der linken Seite gelagert ist? Da steht die Orans, hinter der noch
ein Lamm hervorblickt. Zweifellos versinnlicht sie im gegebenen Bildtypus noch in ursprüng-
A l0lB_L

1. Sarkophag (aus La Gayole): Fischer, Herde, Orans, Pädagoge, Guter Hirte, Verstorbener (als Philosoph)

2. Sarkophag (im Lateran-Museum), oben; Erweckung des Lazarus, Quellwunder und Moses Bedrängung

unten; Fischergruppe, Jonaszyklus, Noah, Fischer- und (darüber) Hirtenszene

(nach Le Blant, Les sarc. ehret, de la Gaule)


INNERE BEZIEHUNGEN DER BILDER — AUSSPINNUNG DER HIRTENSZENEN 103

Abb. 82. Hälften der Frontwand eines Sarkophags (Berlin): Hirtengestalten und Tierstücke.

licher Bedeutung (S. 71) das Gebet des Seligen, haftet doch neben ihr der Hoffnungsanker
(S. 91) im Boden. Die Tauben auf den Bäumen bedeuten den Frieden des Paradieses.
So schließen sich die beiden Gestalten und ihr Beiwerk symmetrisch zur Einheit zusammen.
Die Mitte aber nimmt eine scheinbar völlig herausfallende, halbzerstörte Gestalt eines be-
quem dasitzenden Mannes ein, welcher einen Knaben, der ihm ein Blatt oder eine Schreib-
tafel hingereicht hat, zu unterweisen scheint. Dieser „Lehrer“ kann kein anderer sein als
Christus selbst. Den Logos der alexandrinischen Religionsphilosophie (das Fleisch gewordene
göttliche Schöpferwort aus Joh. I, 14), Christus als „Pädagogen“ müssen wir hier erkennen.
Das erklärt auch die Bärtigkeit des Guten Hirten, der in seiner ersten rein allegorischen
Gestaltung noch nicht mit einem festen Typus verknüpft war. Der ihm zugewandt sitzende
Mann im Philosophenmantel mit einem Lamm zu Füßen, der die Rechte anbetend erhebt,
während seine Linke einen Stock hält, wird durch seine Tracht, die schon auf heidnischen
Särgen Verstorbene kennzeichnet, vielleicht als der erste Inhaber des Sarkophags gekennzeichnet,
während die Orans wohl erst nachträglich Porträtzüge erhielt. Als Gegenfigur erblicken wir
endlich links nochmals Christus in Gestalt der Seelenfischers (S. 75) und seinen Fang: die
Lämmer (S. 94). Die Büste des Helios dient nur zur szenischen Bereicherung des Sinnbildes.
Die idyllische Ausgestaltung des Hirtenbildes hängt noch unmittelbar mit der heidnischen
Sepulkralplastik zusammen. Es mag auf den christlichen Sarkophagen ursprünglich vielleicht
den einzigen Schmuck gebildet haben, da noch zahlreiche Denkmäler in Rom und in Gallien
daneben kein anderes Motiv als etwa die Orans oder das Porträt des Toten aufweisen. Wir
erblicken da öfters weidende oder melkende Hirten u. dgl., die Hürde, manchmal auch die
Schilderung anderer ländlicher Arbeiten, wie sie die alexandrinische Kunst von jeher liebte.
Von diesen Denkmälern gehen einzelne ältere Stücke stilistisch noch eng mit den vorbesprochenen
zusammen, so z. B. die beiden ihrer symbolischen Mittelfigur beraubten Hälften der Vorder-
wand eines stilvollen Sarkophags aus Villa Carpegna (Rom) im Berliner Museum (Abb. 82). Ihre
Tierstücke und die genrehafte Hirtengestalt mit dem Hunde links muten noch ganz wie helle-
nistische Reliefbilder an und erhalten eine christliche Bedeutung nur durch das Bild am rechten
Eckabschluß mit dem schönen Hirtentypus mit mähnenartig gesträubten Haaren.
Stilverwandt erscheint auch ein römischer Sarkophag (aus S. Maria antiqua), der in der
ikonographischen Entwicklung des Reliefsschmucks einen Schritt weiter führt (Abb. 83). Er
gehört dem Trogtypus an und trägt auf der (abgerundeten) rechten Schmalseite wieder die Dar-
stellung des Fischers. In der Mitte sitzt ein Leser zwischen der Orans und dem guten Hirten
unter Bäumen. Die beiden ersteren sind wohl hier, wie die Betende an einem mit Namens-
beischrift Juliane versehenen Sarkophag im Lateran und in Katakombenfresken (S. 87) im
104 PARALLELISMUS DER BILDERFOLGE MIT DEM ERSTEN ZYKLUS DER MALEREI

Sinne der Verstorbenen oder Überlebenden zu verstehen, da bei ihnen das Antlitz späterer
Ausführung Vorbehalten geblieben ist. In den symbolischen Zusammenhang der Komposition
aber schiebt sich die Darstellung der Taufe Christi ein, die über die Auffassung der älte-
sten Gemälde (S.74) darin hinausgeht, daß der Täufer durch struppigen Bart, langes Haupt-
haar und Philosophentracht charakterisiert ist. Daß der Fischer gleichsam als Genrefigur
mittels der lebhaften Kopfwendung in das Taufbild hineingezogen wird, findet, wie auch die
ganze Auswahl der Szenen, seine Parallele in den Malereien der Sakramentskapellen.
Nehmen doch zwei Jonasszenen die linke Hälfte des Sarkophags von S. Maria Antiqua ein
(S. 68 u. 75): die Auswertung und die mit der Ausspeiung in einer der Sarkophagplastik ge-
läufigen Zusammenziehung dargestellte Ruhe des Propheten. So ist ein den älteren sepul-
kralen Bilderzyklen paralleler symbolischer Gedankenzusammenhang im Bestand und in der
Anordnung des Reliefschmuckes nicht zu verkennen. Durch den Seelenfischer Christus (S. 75)
gleich ihm in der Taufe wiedergeboren, ward der Verstorbene durch ihn als Guten Hirten
hingeführt zum Friedensschlaf (S. 61), wie der aus Todesnot errettete Prophet. Zugleich
verrät die Art, wie auf diesem und auf einem in Berlin befindlichen Sarkophag (aus Rom)
neben der Kürbislaube einzelne Tiere der weidenden Herde eingefügt sind, daß das Jonas-
bild in der Sepulkralplastik erst nachträglich die Verbindung mit dem Lämmergenre einge-
gangen ist (wahrscheinlich zuerst durch Umdeutung einer ruhenden Hirtengestalt).
Die betrachteten Denkmäler bilden trotz erheblicher Unterschiede auch eine engere sti-
listische Gruppe. Sie bewahren das antike Verständnis für die anatomische Gliederung der
Figur und fehlerlose Proportionen. Die Formen sind blühend und kräftig. Der ganzen,
sicher noch dem 3. Jahrhundert angehörenden Reihe ist ein vom Gestaltungsprinzip male-
rischer Flächenkomposition beherrschtes, an die Grundebene gebundenes echtgriechisches Flach-
relief eigentümlich, das die Höhendimension mitunter noch für die Raumperspektive in An-
spruch nimmt (Abb. 82).
In dieser von Alexandria ausgehenden Richtung der altchristlichen Sarkophagplastik erhält sich sogar
die landschaftliche Szenerie vielfach als verbindendes Element. So konnten Kompositionen entstehen, die zu
den hellenistischen Reliefbildern die vollkommensten Gegenstücke bilden. Ein charakteristisches Beispiel
dafür ist der vollständige Jonaszyklus auf einem vatikanischen Sarkophag (Tafel V, 2). Die Meereswogen,
die das Schiff und den zweimal dargestellten Seedrachen umspülen, lassen links nur eine schmale Stand-
fläche für ein paar Fischer übrig, rechts aber werden sie von dem vorspringenden, hochansteigenden Fel-
sengestade umfaßt. Am Strande steht ein Angler, den ein Knabe mit der Gebärde der Überraschung
auf den Fang hinweist. Daneben hat ein Fischreiher seine Beute gepackt. Auf dem Felsenhange oben

Abb. 83. Sarkophag (aus S. Maria Antiqua): Jonasszenen, Orans, Leser, Guter Hirte, Taufe Christi, Fischer.
BILDMÄSSIGE ZUSAMMENFASSUNG UND ERWEITERUNG DES TYPENBESTANDES 105

Abb. 84. Sarkophag mit Deckel (aus Le Mas d’Aire)


oben: Abrahamsopfer, Gichtbrüchiger, Jonas’ Ausspeiung, Tobias,
unten: Erweckung des Lazarus, Daniel, Guter Hirte zwischen Verstorbenen, Adam und Eva, Taufe Christi
(nach Le Blant, Les sarc. ehret, de la Gaule).

aber ruht Jonas unter der Staude, noch weiter steht, wie in der Entfernung verkleinert, ein Hirt vor einem
Schafstall. So ist die Geschichte des Propheten hier in denselben engen Zusammenhang mit diesem buko-
lischen Bildstoff gebracht wie in den Wandmalereien der Nekropole von Cagliari (Abb. 74/5), und hier wie
dort dürfen wir darin eine typisch alexandrinische Komposition erblicken. Auch wiederholt sich das Jonasbild
mitsamt den Büsten der Götter noch an einem in Rom gefundenen Kindersarg in ähnlicher Verbindung
mit dem Fischer, während vom Hirtenidyll nur die Hürde beibehalten, der Gute Hirte aber in größerem
Maßstabe als verdoppelte Eckfigur zugefügt ist (in Kopenhagen). Die Szene der Ausspeiung ist auf dem
größeren Sarkophag überdies durch die Gestalt Noahs in der Arche mit der herabfliegenden Taube er-
weitert, — wie das Noahbild ja auch zum ältesten Bilderkreise der Katakomben gehört (S. 68). — Da-
gegen verrät sich die in einem oberen Reliefstreifen hinzugefügte Erweckung des Lazarus und die Doppel-
szene von Moses Bedrängung und Quellwunder — neuerdings wurde die erstere ansprechend als Lots
Flucht aus Sodom gedeutet — als Erweiterung aus dem Typenschatz einer jüngeren Sarkophagklasse (S. 109).
Auch der stilistische Charakter des vatikanischen Jonassarkophags ist ein jüngerer. Die schwächliche
Gestaltenbildung, Proportionsfehler und die mangelhafte Artikulation bei aller Lebhaftigkeit der Bewegung
weisen bereits ins 4. Jahrhundert.
Über die weitere Entwicklung der christlichen Sarkophagplastik in Alexandria, deren
Blüte die betrachtete Denkmälerreihe widerspiegelt, ist bei dem gegenwärtigen Stande der
Forschung noch kein sicheres Urteil möglich. Wie Jonas und Noah, so drangen zweifellos
allmählich auch die übrigen alt- und neutestamentlichen Bildtypen in die Reliefkomposition
ein, zeigen doch einzelne Särge (z. B. in Le Mas d’Aire und Velletri) in der Tat eine dem
älteren Typenschatz der Katakomben ungefähr entsprechende Auswahl und neben manchen
Sonderzügen auch deutliche Beziehungen zur vorigen Gruppe (Abb. 84). Ihr Relief ist durch-
weg ziemlich flach gehalten.
Eine anhaltende Nachwirkung der ältesten alexandrinischen Sepulkralplastik beweist nicht
nur das Fortleben des Hirtengenre und der Orans, sondern auch der Jahreszeitenbilder auf
römischen und gallischen Sarkophagen. So besonders das idyllische Bild der Weinernte auf zwei
Sarkophagen in Rom, von denen der ältere in S. Lorenzo fuori le Mura durch seine reich ver-
zierte Truhenform unter den christlichen eine Sonderstellung einnimmt. Putten klettern dort
106 JAHRESZEITENBILDER - GLEICHE HERKUNFT DER CHRISTLICHEN RIEFELSÄRGE

Abb. 85. Sarkophag (Lateran-Museum): Weinlese mit Statuetten des Guten Hirten.

in den Reben herum und treiben nach antiker Weise Kurzweil mit Ziegenbock, Panther, Hahn
und Gans. Bei ihrer Arbeit aber werden sie von Vögeln gestört. Prachtvolle Pfauen sind
die gierigsten Räuber der christlichen Frucht. Alles das ist in malerischem Flachrelief
dargestellt. Beim anderen Sarkophag (aus der Prätextatkatakombe) verrät die auf tiefe
Grundschatten berechnete Technik und die Hinzufügung von drei wie Statuen auf Sockeln
stehenden Hirtengestalten, darunter einer bärtigen (Abb. 85), daß auch sein Bildschmuck
auf älterer Überlieferung beruht. Von den Putten, denen sich eine Psyche zugesellt hat,
trägt einer selbst ein Lamm, ein zweiter melkt ein Mutterschaf. Andere fahren auf den in
zwei Streifen geteilten Nebenseiten mit dem Ochsengespann die Trauben ein oder üben die
Tätigkeit der übrigen Jahreszeiten. Im Reliefschmuck christlicher Särge erhalten sich aber auch
die echtalexandrinischen Personifikationen der letzteren in Gestalt von Genien, welche ihre
Gaben tragen.
Noch ein zweiter antiker Sarkophagtypus von völlig abweichender halbornamentaler
Verzierungsweise ist ohne Zweifel schon in Alexandria dem christlichen Gebrauch dienstbar
gemacht worden, die Gattung der strigilierten Sarkophage, zwischen deren S-förmig ge-
schwungene Kannelüren in der Mitte und meist auch an beiden Enden einzelne Gestalten
oder Figurengruppen eingeschoben werden. Keine andere Sarkophagklasse bewahrt so ver-
schiedenartige Gestalten der antiken Symbolik neben christlichen Motiven: die Seewesen, Per-
sonifikationen der Jahreszeiten, Genien mit umgekehrter Fackel, die engverschlungene Gruppe
von Amor und Psyche. Die Herstellungsweise dieser Form veranschaulicht das Epitaph des
griechischen Steinmetzen Eutropius in Ravenna. Der Meister führt von hohem Sitze aus
den laufenden Bohrer, der von einem Gehilfen gedreht wird. Daneben steht der fertige Sarko-
phagdeckel. Eine Anzahl solcher Särge verrät noch durch die ausgebauchte Form ihre Ab-
stammung von der hölzernen, geriefelten bakchischen Weinbütte, sogar die Löwenmasken zu
beiden Seiten, der fingierte Schmuck der Spundlöcher, pflegen in älterer Zeit nur an so hand-
werksmäßigen Erzeugnissen wie dem Sarkophag der Livia Primitiva (Paris) zu fehlen. Dar-
aus sind manchmal in echt hellenistischem Geiste (S. 58) Tierkampfgruppen, — an einem
Sarkophag aus Nordafrika (Tipasa) z.B. von Löwen überfallene Antilopen geworden. An beiden
Denkmälern sowie an zwei schönen römischen Sarkophagen (im Louvre und Konservatoren-
ALEXANDERTYPUS DES GUTEN HIRTEN, LEHRSZENEN ORPHEUS UND FISCHER 107

palast) nimmt die Mitte der Gute Hirte, unter Bäumen zwischen zwei Lämmern stehend, ein.
Hier (Abb. 86) hat der ursprüngliche satyrhafte Kopftypus desselben (Abb. 81) mit dem
gesträubten Haargelock eine individualisierende Fortbildung erfahren, in der ein letzter Aus-
läufer des Idealporträts Alexanders des Großen nicht zu verkennen ist. Die Erklärung dafür
liegt in seiner bis in den christlichen Gebrauch hineinreichenden Verbreitung auf Amuletten.
Und wie diese synkretistische Ausgestaltung des Gotthirten nach Alexandria weist, so beein-
flußt sie nicht nur den langlockigen Kopftypus desselben (Abb. 82) innerhalb der älteren
Sarkophagplastik, sondern in der Folge auch das jugendliche Christusbild (s. Kap. V).
Auch die Gestalt des ,,Lesers“ hat in diese Denkmälergattung Eingang gefunden, mehrmals
(so in Pisa), wie am Ravennatischen Kindersarg (S. 101), mit der zuhörenden Frauengestalt
vereint in der Mitte (also wohl in der Bedeutung des Pädagogen), während an den Ecken
eine zweite weibliche Figur, die verehrend die Rechte erhebt, oder ein Mann in Philosophen-
tracht mit der Schriftrolle als Vertreter der seligen Verstorbenen dastehen. Eine nicht eben
seltene Besonderheit der Lehrszenen bilden in dieser Sarkophagklasse Frauengestalten mit
Musikinstrumenten. Entstammen sie auch zweifellos antiker Bildtradition, so werden doch
die christlichen Besteller der Särge in ihnen christliche Musen gesehen haben, mögen sie
Prophetie, Psalmodie oder wie auch immer zu benennen sein (auf Grund von Clemens
Alexandrinus). Zwischen diesen Nebenfiguren nimmt in anderen Fällen Orpheus mit den
Lämmern zu Füßen, also wieder eine Christusallegorie (S. 71), die Mitte ein (Abb. 87), dem
sich mitunter auch der Fischer als Eckfigur zugesellt. Ebenso steht der letztere manchmal
dem Guten Hirten selbst gegenüber, so z. B. dem bärtigen an einem 1905 an der Lungara
ausgegrabenen, vortrefflich erhaltenen Sarkophag. Mit den sich ihnen anschließenden Dar-
stellungen der Taufe Christi und der Herde an den Nebenseiten kommt dieser der Szenen-
folge des Sarges aus S. M. Antiqua (Abb. 83) am nächsten, wie er auch in der Bogenmuschel
als Hauptfigur die Orans, umgeben von Bäumen des Paradieses, auf denen Tauben sitzen,
trägt (Abb. 88).
Der Aufnahme ausgedehnter Szenen wirkte das ornamentale Hauptmotiv der Riefelung
entgegen. Wo sie aber durch ein Muschelrund mit dem Brustbild der Verstorbenen unter-

Abb. 86. Mittelstück eines Riefelsarges (Conser- Abb. 87. Mittelstück eines Riefelsarges (Lateran-
vatorenpalast): Guter Hirte. Museum): Orpheus als Hirte.
108 AUFNAHME DES PORTRÄTSCHILDS UND JÜNGERER BILDTYPEN — LITERATUR

Abb. 88. Strigilierter Sarkophag (Thermen-Museum): Orans zwischen dem Fischer und dem Guten Hirten
(nach Aufnahme des d. archäol. Instituts).

brochen wird, begegnen uns unter diesem, namentlich aber auch an den Deckeln, nicht nur
Hirtenszenen, sondern auch die Weinernte und der Jonaszyklus (Rom). Das Porträtschild
verdrängte immer mehr die früher als Mittelfigur beliebte Orans. Wunderszenen u. a. m.
dringen erst später, dann freilich sogar dem tektonischen Bau zuwider in zweireihiger An-
ordnung, in der Mitte und an den Ecken in den plastischen Schmuck der strigilierten Sarko-
phage ein. Lebt doch der dekorative Typus, zum Teil in Vermischung mit jüngeren Gattungen,
noch durch das ganze 4. Jahrhundert fort. Die Denkmäler älterer und ausgesprochen alexan-
drinischer Stilfärbung aber sind wohl größtenteils noch im 3. Jahrhundert entstanden.
Die ikonographischen Zusammenhänge innerhalb der ältesten Denkmälerreihe und ihrer späteren
Ausläufer hat zuerst C. M. Kaufmann, a. a. O. S. 140 — 150, und neuerdings H. Dütschke, Ravennat. Studien,
Leipzig 1909, II. Teil, S. 143 —196, lehrreich behandelt; zur Ableitung dieser Richtung aus Alexandria
vgl. Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 305 ff. Für den bukolischen Darstellungskreis und den Jonaszyklus hat
den alexandrinischen Ursprung schon Ainalow, Hellenist. Grundl. usw., S. 89 ff., an der Hand des latera-
nensischen Sarkophags (N. 119) wahrscheinlich gemacht; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903, S. 43. Die obere
Bilderfolge desselben wurde auch von v. Sybel, a. a. O. II, S. 113, als jüngere Zutat erkannt. E. Beckers
neue Deutung der Nebenszene des Quellwunders als Rettung Lots ist mangels jeder Parallele in der Kunst
noch mit Vorbehalt aufzunehmen (die Liegenden werden als Ausdruck der Bitte um das Refrigerium ver-
ständlich), abzulehnen ist aber jedenfalls hier die Hineinziehung der Petruslegende durch Wittig und
de Waal; vgl. Röm. Quartalschr. 1911, S. 137 ff. und 1912, S. 26 u. 165 ff. — Das Verhältnis der christlichen
Riefelsärge zu den antiken wurde erörtert von W. Altmann, Archit. u. Ornamentik d. ant. Sark. 1902, S. 46
und v. Sybel, a. a O. II, S. 46; zum Sarg von der Via Lungara O. Marucchi, N. Bull, di a. c. 1906,
S. 199 u. Taf. V/VI.

Die kleinasiatisch-antiochenische Strömung.


Noch klarer als in der Katakombenmalerei tritt die doppelte Schichtung der Bildtypen
in der Sarkophagplastik hervor. Mehrere unter sich enger zusammenhängende Gattungen
sind hier die Träger der jüngeren Kunstübung. Nicht mit derselben Sicherheit wie bei den
strigilierten Sarkophagen läßt sich bei der in Rom und Gallien verbreiteten Klasse der
VERHÄLTNIS DER SPÄTEREN SARKOPHAGPLASTIK ZUR KATAKOMBENMALEREI 109

Abb. 89. Sarkophag (aus Arles): Erweckung des Lazarus, Blindenheilung, Orans mit Aposteln, Kanawunder,
Ansage der Verleugnung, Quellwunder.

Särge mit einreihigem Figurenfries entscheiden, wo sie ihre typische Durchbildung


gefunden hat. Diese Anordnung mußte sich aus der fortgesetzten Vermehrung der biblischen
Szenen ergeben, der zufolge die landschaftlichen Bildelemente (S. 104) immer mehr zu-
sammenschmolzen und endlich mit dem Guten Hirten ganz verschwanden. Die Orans hin-
gegen erhielt sich besonders in Gallien mit seltenen Ausnahmen im Mittelpunkt des Relief-
frieses (Abb. 89). Auch in Rom begegnet sie uns, sogar noch auf späten Dutzendarbeiten,
doch kommen zu ihren Seiten meist schon die für die Deutung maßgebenden Apostelgestalten
(S. 87) hinzu. Der Typenbestand der ganzen Klasse entspricht dem erweiterten Bilder-
kreise der Katakombenmalerei vom Ausgang des 3. Jahrhunderts (S. 84 ff.), wächst aber noch
über ihn hinaus und wird offenbar aus demselben außerrömischen Kunstkreise gespeist. Noch
stärker als in den Fresken bricht hier der Sinn für lebhaftere Schilderung einer Handlung
schon bei den wenigen alttestamentlichen Zutaten hervor. Adam und Eva empfangen das
Gebot der Arbeit oder verlassen das Paradies (Abb. 90). Das Quellwunder weist stets die
trinkenden Israeliten auf und wird regelmäßig mit jener Nebenszene (S. 105 u. 108) verbunden,
die wohl ursprünglich die Bedrängnis des Moses darstellte. Sie kann auch hier mitunter kaum
anders aufgefaßt werden, hat aber ebenso zweifellos, namentlich auf jüngeren römischen
Särgen, durch Einsetzung des Petrustypus an seine Stelle und Ausstattung seiner Verfolger mit
soldatischer Tracht, wie in der Malerei, oft den auf antitypischer Schriftauslegung beruhen-

Abb. 90. Sarkophag (Lateran-Museum): Vertreibungaus dem Paradiese, Kanawunder, Blindenheilung,


Totenerweckung, Ansage der Verleugnung, Heilung des Gichtbrüchigen, Abrahamsopfer, Bedrängung
des Moses (bezw. Petrus), Quellwunder.
110 ANTIOCHENISCHER URSPRUNG DER SÄULENSARKOPHAGE

den Doppelsinn (S. 85) angenommen (Abb. 90). Die ältesten Szenen, vor allem die des
Jonas, nehmen meist nur noch untergeordnete Plätze ein. Außerordentlich bereichert erscheint
daneben der neutestamentliche Typenschatz nicht nur durch sämtliche Wunderszenen der
späteren Katakombenmalerei (S. 84), sondern noch um zwei weitere Totenerweckungen:
des Sohnes der Witwe und alles Fleisches im Sinne der Sterbegebete (Abb. 90). Liegt doch
den Sarkophagen mit friesartigem Reliefschmuck eine altertümlichere, noch auf den Gebets-
texten (S. 77) fußende Bilderreihe zugrunde, obgleich diese Gattung bis in die späteste
Phase des Stilverfalls fortlebt. Zwar dringen in dieselbe auf jüngeren Denkmälern schon
einzelne Szenen aus dem bevorzugten Darstellungskreise der Säulensarkophage (s. unten)
ein, wie der Einzug Christi in Jerusalem und die häufigere Verleugnung des Petrus, doch
bleiben ihr die eigentlichen Passionsszenen und die Apostelmartyrien ebenso fremd, wie der
bärtige Christustypus. Der Heiland erscheint in neu geprägter Auffassung als Jüngling
mit langem Lockenhaar, der in Rom gern als Wundertäter in die Mitte rückt.
Die Technik ist an den älteren Arbeiten (Abb. 89) frisch, die Formenbildung blühend,
die Faltengebung tief eingeschnitten, die Bewegung von gefälligem Rhythmus. Die Gestalten
lösen sich mehr vom Grunde ab, als im alexandrinischen Sarkophagstil (S. 104), doch nimmt
der Figurenfries selten den Charakter des vollen Hochreliefs an. Alles das beweist, daß der
Grundtypus dieser Sarkophage noch im Laufe des 3. Jahrhunderts ausgebildet worden ist.
Augenscheinlich kommt schon für die eben betrachtete Gattung, sicher aber für die
wichtige Klasse der Säulensarkophage am ehesten das südöstliche Kleinasien als Stamm-
land in Frage. In einer dem syrisch-palästinensischen Einfluß unmittelbar ausgesetzten Stadt
der Südküste oder im benachbarten Antiochia, wo der Hellenismus noch eine starke Nach-
wirkung übte, muß sie ihre folgerichtige Entwicklung gefunden haben. Diese führt zu einer
stetigen Vergrößerung des Bilderkreises und gipfelt in der Verdrängung der alttestament-
lichen Vorbilder und der Heilsszenen von der Schauseite durch Darstellungen aus der Leidens-
geschichte des Herrn und durch feierliche Kompositionen einer kirchlich-liturgischen Symbolik.
Das Bedürfnis nach schärferer Szenentrennung mußte sich schon beim friesartigen Aneinanderreihen
der Bilder fühlbar machen. Andrerseits war der architektonische Sarkophagtypus von alters her in der
griechischen Kunst gegeben. Schon früh ist der jonische Tempel in Kleinasien auf monumentalen Stein-
särgen nachgeahmt worden. Er nahm hier die Bedeutung des Hadespalastes an. So wird man auch die
christlichen Säulensarkophage von älteren Vorstufen ableiten dürfen und zwar sowohl die selteneren mit
einzelnen Tabernakeln geschmückten Särge wie die weitaus bevorzugten Sarkophage mit gleichmäßig ge-
reihten Arkaden. Ist doch der für beide Arten charakteristische Wechsel des Spitzgiebels mit dem Rund-
bogen über der Muschel ein verbreitetes dekoratives Motiv der Kaiserzeit. Ein typisches Hauptbeispiel in
der Architektur, wenngleich nicht das einzige, bot dafür die hellenistische Szenenfront. Die durchgehende
Quaderschichtung eines gallischen Sarkophags (Abb. 91) und die wiederholt belegte satteldachförmige
Deckelbildung bezeugen aber, daß bei dieser ganzen Gattung die Grundvorstellung in der Tat die eines
einheitlichen Baues und nicht einer rein dekorativen Scheinarchitektur war. Von den beiden nach der
Sieben- oder Fünfzahl der Nischen unterschiedenen Spielarten der Arkadensarkophage mag der Fünf-
nischentypus der jüngere sein, da mit ihrer Verminderung gewöhnlich eine breitere, dreifigurige Kompo-
sitionsweise Hand in Hand geht, doch verläuft die Entwicklung der Bildtypen in beiden Gruppen parallel.
Ihre enge Zusammengehörigkeit verbürgen überdies die gleichartigen Formen der Architektur: die weitaus
vorherrschenden, in Kleinasien früh vertretenen Spiralsäulen mit ihren Kompositkapitellen, die Blattfriese
an den Gesimsen und nicht am wenigsten die Zwickelfüllungen zwischen den Arkaden. Hier wiederholen
sich bis zu den jüngsten Denkmälern herab Kränze mit flatternden Bändern — sie werden manchmal von
Adlern gehalten (Arles) und umschließen öfters das konstantinische Christusmonogramm —, traubengefüllte
oder umgefallene Fruchtkörbe, an denen Tauben naschen, Delphine oder Tritonen, die das Muschelhorn
blasen, und traubenlesende Putten. Einen einzigartigen Zwickelschmuck stellen Apostelbüsten und andere
noch zu erwähnende Sondermotive (Abb. 94) dar. Dieser dekorativen Gleichartigkeit entspricht es, daß kaum von
DEKORATIVE FORMEN UND VERMEHRUNG DES TYPENSCHATZES 111

Abb. 91. Arkadensarkophag (aus Arles): Abraham, Segnung der Brote und Fische, Daniel mit dem Drachen.

einer zweiten Sarkophagklasse sich in Rom und in Gallien so nahe übereinstimmende Repliken vorfinden.
Alles das weist auf einen einheitlichen Kunstbetrieb mit weitverzweigter Ausfuhr hin, wenngleich die Ent-
stehung einzelner Denkmäler und Kopien im Abendlande dadurch nicht ausgeschlossen wird. Lebhafte
kirchliche Beziehungen bestanden schon früh zwischen Rom und Gallien einerseits und Kleinasien, dem
Geburtsland eines Irenäus (gest. 202 als Bischof von Lyon und Vienne), auf der anderen Seite. Dieselben
Gedanken aber, welche die Streitschriften dieses Kirchenvaters gegen die Gnostiker durchziehen, erklären
auch neben dem wachsenden palästinensischen Einfluß und dem kirchlichen Übergewicht Antiochias das
Eindringen neuer Vorwürfe in den Darstellungskreis der Säulensarkophage.
Manche ältere Gestalten der christlichen Sepulkralplastik, der Gute Hirte, die Orans,
treten hier vollends zurück. Gewisse Szenen sind endgültig auf den Deckel oder die Neben -
seiten verbannt. Andrerseits sind aus dem Alten Testament neu hinzugekommen: Moses
Berufung, Daniel mit dem Drachen, Hiob, Elias Himmelfahrt und die Weigerung der drei
Jünglinge, Nebukadnezars Bildsäule anzubeten, ein unverkennbares Sinnbild des Widerstandes
der Christen gegen den Kaiserkult (Einl. S. 2). Von den stark vermehrten neutestamentlichen
Wundertaten erblicken wir wiederholt in erzählerischer, zusammenhängender Folge (Taf. VI, 1)
das kananäische Weib, die Heilung der beiden Blinden und die des Lahmen am Teiche
Bethesda (Johannes V, 2). Zum vollen Verständnis der letzteren verhilft uns erst ein Frag-
ment aus Vienne (Abb. 92). Die in zwei Reihen wiedergegebene Doppelhandlung wird dort
durch das natürlich bewegte Wasser des Teiches gekennzeichnet. In den übrigen Denkmälern
ist es mehr oder weniger zu einer ornamentalen Wellenlinie zusammengeschrumpft. Doch
bewahren auch sie den architektonischen Hintergrund, der die fünf Hallen des evangelischen
Berichts veranschaulicht. Der Vorgang selbst ist in übereinstimmender, ungewöhnlich leben-
diger figurenreicher Komposition geschildert. Den Abschluß der ganzen Folge bilden die
ursprünglich (z. B. an einem Sarge in Clermont) noch getrennten, meist aber schon in einen
Vorgang zusammengezogenen Szenen, wie Zachäus den Baum erklettert, und des Einzuges Christi
in Jerusalem. Die rundbogige Nischenform mit den charakteristischen Akroterien (s. oben)
bewahren hier nur noch einzelne Arkaden, während andere in zinnenbekrönte Tore umge-
wandelt sind. Diese stellen die Pforten Jerusalems in apokalyptischer Auffassung dar und
verraten schon den Einfluß der kirchlichen Malerei (Kap. V).
Von Anfang an bricht sich an den Säulensarkophagen, besonders im Siebennischen-
typus, eine auf Vereinfachung der Gruppierung hinzielende Richtung Bahn. Meist umschließt
jede Nische nur zwei, bisweilen nur noch eine Gestalt, wie es an heidnischen Särgen die
112 BILDERFOLGEN UND ENTSTEHUNG DES TYPUS DER MAJESTAS

Regel war und der Grundvorstellung einer


statuengeschmückten Säulenhalle entsprach.
Christus in der Mittelnische wird dadurch
zur beherrschenden Hauptfigur, sei es, daß
er noch im Wundervollzug (Abb. 91), sei es
in der Ankündigung der Verleugnung neben
Petrus dasteht. Bevorzugt aber wird hier
schon früh die Darstellung des himmlischen
Herrschers, den zwei Apostel umgeben und
dem die Verstorbenen, von Seligen geleitet,
in den Nebennischen nahen (Perugia) oder
mit anbetender Gebärde zu Füßen stehen,
so z. B. an einem Sarkophag (aus Dellys)
Abb. 92. Bruchstück mit biblischen Nebenszenen (Abb. 93) im
eines Arkadensarko- Museum zu Algier. Palmen im Reliefgrunde
phags (aus Vienne):
Heilung des Gicht- bezeichnen das Paradies, als Schemel aber
brüchigen. dient Christus hier und an verwandten Denk-
mälern die aus der römischen Kunst bekannte
Büste des Himmelsgottes, meist mit über dem Kopfe geschwungenem, das Firmament versinn-
lichendem Tuch. Durch ihre Einführung wird mit offenbarer Bezugnahme auf die Himmel-
fahrt die Erhöhung Christi zum Ausdruck gebracht. Andererseits standen den christlichen
Künstlern Szenen der römischen Triumphalplastik, die den Kaiser auf einer Tribüne über
seine Umgebung erhoben zeigten, wie seine Anrede an das Heer (peroratio) oder seine Be-
grüßung durch Senat und Volk (acclamatio) vor Augen. Alle diese Motive flössen zusammen
bei der plastischen Ausgestaltung der Darstellung des göttlichen Gesetzgebers im Himmel-
reich, wie sie bereits in der sepulkralen Malerei gegeben war (S. 81 und 87).
Im Fünfnischentypus, der die erzählende Vortragsweise begünstigt und Nebenvorgängen,
wie dem Füllen der Weinkrüge zu Kana, dem Gespräch mit der Samariterin und der Begeg-

Abb. 93. Arkadensarkophag (aus Dellys): Daniel mit dem Drachen, Kanawunder, Hämorrho'issa, Majestas
mit Verstorbenen, Brotvermehrung, Blindenheilung, Ansagung der Verleugnung
(nach G. Doublet, Le Musee d’Alger, Paris 1890).
Tafel VI

1. Sarkophag (im Lateran-Museum): Heilung zweier Blinden, Hämorrhoissa, Heilung des Gichtbrüchigen, Zachäus und Einzug Christi in Jerusalem

2, Sarkophag (aus Manosque): Verehrung des Auferstandenen durch die Apostel im Himmelreich

(nach Le Blant, Les sarc, ehret, de la Gaule)


EINDRINGEN VON PASSIONSSZENEN IN DEN BILDSCHMUCK 113

Abb. 94. Arkadensarkophag (Museum in Leyden): Erweckung des Sohnes der Witwe, Schlüsselübergabe,
Ansage der Verleugnung und Hämorrhoissa, Heilung zweier Blinden, Begegnung mit dem Hauptmann
(nach N. Bull, di a. c. 1906).

nung mit dem Hauptmann, Einlaß gewährt (Abb. 94), begegnen uns die auf den Arkadensarko-
phagen auftauchenden Ereignisse der Passion am häufigsten: der vollständigste Zyklus z. B.
auf einem schönen Sarkophag aus S. Domitilla mit der Händewaschung des Pilatus rechts, der
seltenen Dornenkrönung und der Kreuztragung links (Abb. 95). Gallien bietet Gegenbeispiele
mit einer mehr typisch gehaltenen Nischenarchitektur (aus Nimes, Arles u. a. m.). Die Mitte
nimmt stets eine symbolische Darstellung ein, das Kreuz mit krönendem Christusmonogramm
im Lorbeerkranz, dem Siegeszeichen der Constantinslegende (Labarum). Tauben, die auf den
Kreuzarmen sitzen, picken an den Beeren des Kranzes, den manchmal in Nachahmung des Le-
gionszeichens ein Adlerkopf hält (Abb. 95). Unten sitzen zwei schlafende Wächter (Matth. XXVII,
36 und 66). Kreuzigung und Auferstehung sind so in einem Bilde vereinigt, der Gedanke
von der Erhöhung des Herrn durch den Kreuzestod hat beredten künstlerischen Ausdruck
gewonnen. Und wirklich sind an zwei stilverwandten Sarkophagen (Mailand und Rom) unter
demselben Sinnbild statt der Grabeswächter die zweifellos in demselben Kunstkreise geschaf-
fenen Szenen der heiligen Frauen am Grabe und ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen
wiedergegeben.

Abb. 95. Arkadensarkophag (Lateran-Museum): Kreuztragung, Dornenkrönung, Triumphkreuz, Vorführung


Christi und Händewaschung des Pilatus.
O. Wulff, Allchristi, u byzant. Kunst. 8
114 AUFNAHME DER APOSTELMARTYRIEN UND DER GESETZESÜBERGABE

Abb. 96. Arkadensarkophag (Lateran-Museum): Abrahamsopfer, Gesetzesübergabe, Vorführung Christi


und Händewaschung des Pilatus
(die Köpfe Abrahams und der Apostel restauriert).

Der Passion des Herrn tritt die Legende der Hauptapostel zur Seite, aus der des Petrus
besonders Fußwaschung und Schlüsselübergabe, dazu seine Gefangennahme sowie die Ab-
führung des Paulus zum Tode, so daß manchmal nur die Mittelnische der Verherrlichung
Christi Vorbehalten bleibt. Die starke Anteilnahme an den Apostelfürsten beweist gleichwohl
nicht etwa den römischen Ursprung der Säulensarkophage, waren sie doch schon als Ver-
treter der heiden- und judenchristlichen Kirche früh ein Paar geworden. Ausgangspunkt
einer auf die Erhebung des Petrus hinzielenden Richtung aber ist Antiochia. Dort ist wohl
die feierlich zeremoniöse Komposition der Übergabe des Gesetzes an Petrus in Fortbildung
der alten Vorstellungen vom Lehramt Christi unter den Aposteln (S-. 82), und zwar zuerst
in der kirchlichen Monumentalmalerei, entstanden. Alsbald dringt sie auch in den Dar-
stellungskreis der Säulensarkophage ein. Schon vorhandene Typen von repräsentativem Cha-
rakter erfahren nunmehr eine allmähliche Umbildung im Sinne der neuen symbolischen Szene.
So wächst sie in das Bild des Herrn in der Herrlichkeit (s. oben) hinein.
Am berühmten Sarkophage des Junius Bassus (Tafel VII) liegt bereits die Gesetzesübergabe, wenngleich
nur in Andeutung vor. An Stelle des jugendlichen Kopfes der Personifikation des Himmels (Abb. 96) be-
gegnet uns der bärtige Coelus. Die Verstorbenen fehlen, dagegen umstehen wie früher zwei Apostel, durch
die individuellen Köpfe als Paulus und Petrus charakterisiert, den Herrn. Christus hält zwar, wie vordem
(Abb. 93), selbst die Schriftrolle in der Linken, aber schon hat Petrus die vom Mantel bedeckten Hände vor-
gestreckt, um sie zu empfangen. Dieser noch heute an seiner Fundstelle in den vatikanischen Grüften stehende
Sarkophag, eins der reichsten und schönsten Erzeugnisse altchristlicher Sepulkralplastik, barg einst laut
Inschrift die Reste des genannten Konsuls. Durch die Angabe des Todesdatums (25. August 359) erscheint der- -
selbe als das einzige genau datierte altchristliche Grabdenkmal, wenn es auch eine unsichere Annahme bleibt,
daß er für den Genannten hergestellt sei. Alle Bemühungen, das aus seinem Bildschmuck, zumal aus den
eigenartigen Lämmerszenen in den Zwickeln, zu erweisen, sind vergeblich gewesen. Der Bilderbestand
weist neben der typischen Auswahl aus der Passion und Apostellegende (s. oben) noch die alttestament-
lichen Typen Daniels (mit falsch ergänztem Kopf), Abrahams, Hiobs usw. auf. Der Meister dieses Prunk-
sarges war gewiß ein kleinasiatischer oder antiochenischer Grieche, steht doch sein Werk in der technischen
und stilistischen Behandlung einigen anderen, zum Teil in Gallien befindlichen Denkmälern ziemlich nahe
und nicht einmal in der zweireihigen Nischenbildung allein. Andrerseits lassen die gröberen und alter-
tümlicheren Jahreszeitenbilder der Nebenseiten darauf schließen, daß es in einer römischen Werkstatt herge-
stellt ist. Auf die Ausgestaltung der Reliefkomposition der Gesetzesübergabe mit thronendem Christus dürften
Tafel VII.

oben; Abrahamsopfer, Gefangennahme des Paulus, Majestas (bezw. Traditio legis), Vorführung Christi, Händewaschung des Pilatus

unten: Hiob, Adam und Eva, Einzug Christi in Jerusalem, Daniel, Martyrium des Paulus

Sarkophag des Consuls Junius Bassus (in der Krypta der Peterskirche in Rom)
PALÄSTINENSISCHER EINFLUSS AUF DIE ARKADENSARKOPHAGE 115

Abb. 97 und 98. Nebenseiten desselben Arkadensarkophags (Abb. 96): Ansage der Verleugnung, Quell-
wunder und Hämorrhoi'ssa
(nach Marucchi, Mon. del Museo Crist. Pio-Lateranense).

profane Vorbilder, welche den Kaiser bei der Austeilung seiner Verwaltungsbefehle zeigten, nicht ohne
Einfluß geblieben sein. Vollzogen erscheint die Einhändigung der Gesetzesrolle an Petrus auf einem anderen
hervorragenden vatikanischen Sarg (Abb. 96) mit sieben Nischen. Petrus und Paulus nehmen auf ihm, jeder
in Begleitung eines staunenden Apostels, die Nischen neben Christus ein, der von einem anderen Apostel-
paar umgeben ist und die Füße wieder auf das Gewand des jugendlich aufgefaßten Coelus setzt. Mit
Ausnahme einer unklaren Szene entsprechen die übrigen den oberen Darstellungen am Bassussarkophag.
Beide Denkmäler haben auch das seltene gerade Gebälk gemein und die von Weinlaub, in dem Putten herum-
klettern, umsponnenen Säulen. Dagegen fallen die malerischen Seitenreliefs des zweiten (Abb. 97 u. 98) aus
der gesamten altchristlichen Sarkophagplastik heraus. Links ist die Ansage der Verleugnung dargestellt vor
einem aus zwei basilikalen Gebäuden und einem Kuppelbau bestehenden Architekturhintergrunde. Der Hahn
steht nicht wie sonst am Boden, sondern auf einer kurzen Säule. Zweifellos liegt hier die Beziehung auf einen
realen Schauplatz zugrunde, und zwar auf die heiligen Stätten in Jerusalem, wie die auf der rechten
Schmalseite in ganz ähnlicher Umgebung dargestellte Heilung der Blutflüssigen zeigt. Denn man hat in
ihr mit gutem Grunde eine freie Nachbildung der mehrfach bezeugten, erst unter Julian zerstörten Erz-
gruppe von Paneas in Palästina erkannt, die der Legende als eine Stiftung der Geheilten galt. Das daneben
dargestellte Quellwunder findet seine Erklärung als antitypisches Gegenbild der Verleugnungsszene (S. 85).

Abb. 99. Marmorvase (Museum Kircherianum): Christus auf der


Kathedra als Lehrer der Apostel
(nach Roller, Les Catacombes I).
8*
116 AUFNAHME DER VOLLSTÄNDIGEN REPRÄSENTATIVEN KOMPOSITIONEN

Abb. ICO. Arkadensarkophag (aus Arles): Die Wiederkunft des Herrn (Parusie).

Alsbald greifen vollends, gefördert durch den Einfluß des palästinensischen Kults, die
kirchlichen Zeremonialbilder der Gesetzesübergabe vor versammelter Apostelschar und der
Ausübung seines göttlichen Lehr- und Richteramts unter ihnen bei seiner Wiederkunft (Parusie)
in unverkürzter Wiedergabe auf den Arkadensarkophagen Platz. Bei isolierender (Abb. 91)
Figurenanordnung lag es nahe, die herkömmlichen Typen auszuschalten, nachdem einmal in
der Malerei (S. 82) die Komposition des thronenden und von seinen Schülern umstandenen
Lehrers geschaffen war. So zeigt ihn auch eins der seltenen frühen Erzeugnisse der nicht-
sepulkralen Bildnerei, — die Vase des Museo Kircheriano (Abb. 99) in Rom. Wenn statt
aller Einzelszenen, z. B. an einem Sarkophag in Marseille, der sogar noch den jugendlichen
Christustypus bewahrt, sämtliche Nischen sitzende Apostel aufweisen oder gar durch Gebälk
zu einer Säulenhalle (Abb. 100) verbunden erscheinen, so ist dies zweifellos der Einwirkung
von Vorbildern der Malerei zuzuschreiben. Dem Künstler schwebt hier als idealer Schau-
platz das himmlische Jerusalem vor, wie es eins der ältesten Apsismosaiken Roms (S. Pu-

Abb. 101. Großfiguriger Prunksarg des Gorgonius (aus Ancona): Die Gesetzesübergabe vor der himm-
lischen Gottesstadt. Am Deckel: Geburt Christi mit Magiern, Moses Berufung, David (?), Taufe Christi.
DER ERWEITERTE BILDSTOFF DER GROSSFIGURIGEN PRUNKSÄRGE 117

dentiana) veranschaulicht. Die Inschrift


auf dem Buch (Christus legem dat) und
die traditionellen Nebenfiguren (S. 112)
von Männern und Frauen, die zitternd
des Spruches zu harren scheinen, lehrt,
wie nahe sich der Grundgedanke dieser
neuen Komposition mit dem der Gesetzes-
übergabe berührt. Die Fortbildung aller
dieser repräsentativen Bildtypen wird ganz
von apokalyptischen Vorstellungen be-
herrscht. Wir erblicken nun in neuer
Zusammenstellung Christus inmitten der
Abb. 102. Bruchstück eines Sarkophags (Lateran-
Apostelschar auf immer höher empor- Museum): Elias Himmelfahrt.
wachsendem Felshügel dastehend, aus dem
die vier Paradiesesströme hervorquellen. An seine Seite treten Petrus und Paulus, die übrigen
Jünger nehmen meist paarweise die Nebenarkaden ein. Als Auferstandener erhält er zur
Schriftrolle das edelsteingeschmückte Siegeskreuz aus dem palästinensischen Kult. Die Apostel
erheben die Hände im Zuruf, oder bringen ihm, wie in den Mosaiken, ihre Kränze dar. An
seine Stelle aber tritt manchmal das Triumphkreuz selbst mit den wachhaltenden Soldaten
(Tafel VI, 2). Es kann nicht wundernehmen,, wenn die Säulen gelegentlich durch Palmen
ersetzt werden, oder wenn sich über den Aposteln der gestirnte Wolkenhimmel ausbreitet.
Das sind Bilder, unter denen das hellenistische Christentum in Kleinasien sich schon zu Irenäus
Zeit (S. 111) die Herrlichkeit des Jenseits vorzustellen liebte.
Zugleich mit der Komposition der Gesetzesübergabe dringt der bärtige Christustypus
durch. Auf mehreren weitzerstreuten großfigurigen Prachtsarkophagen von besserem Stil
erblicken wir dieselbe zeremonielle Handlung, wie in den Apsiden der Basiliken: in lebhafter
Bewegung vortretend empfängt Petrus das ent-
faltete Schriftblatt (Abb. 101). Auch das Stab-
kreuz geht in seine Hand über, es kennzeich-
net ihn als Nachfolger (Matth. XVI, 24) des
Herrn im Kreuzestode. Christus aber weist
mit großartiger Gebärde der Rechten ihn und
den staunenden Paulus nach oben, wo die
Mosaiken und bisweilen auch die Sarkophage
den Phönix auf hoher Palmenkrone zeigen.
Von der Säulenarchitektur des Hintergrundes
erhält sich meist nur die Mittelnische als prunk-
volle Umrahmung der Gestalt des Herrn. Die
übrigen verschwinden oder werden zu zinnen-
bekrönten Bogen (S. 112), welche die zwölf
Pforten der Gottesstadt (Offenb. Joh. XXI, 12)
bezeichnen. In rein dekorativer Verwendung
greifen
0 ..sie
„ „ .auch auf103.
, ,. Abb. dieNebenseite
Schmalseiten
eines über, ^,.,,
Arkadensarkophags (aus
wo die biblischen Szenen ihre Zuflucht fin- s. Maxirain): Der Judaskuß
den, so vor allem die Himmelfahrt des Elias, (nach Le Blant, Les sarc. ehret, de la Gtuile).
118 NEUE CHRISTUSSZENEN AUF GALLISCHEN SÄRGEN UND LÄMMERSYMBOLIK

Abb. 104. Sarkophag (Lateran-Museum): Christus als Hirt der Hirten.

das Abrahamsopfer und sogar Noah in der Arche u. a. m. Hier und an den Deckeln erfährt
der Bilderschatz dieser Gattung sogar noch manche Bereicherung und antitypische Bedeu-
tungserweiterung. So findet die Geburt Christi Eingang, in die nicht nur oft ein anbetender
Hirte, sondern meist auch die huldigenden Magier aufgenommen sind (Abb. 101). Wenn aber die
drei Jünglinge vor Nebukadnezar mit diesen statt mit dem alten Stammtypus des Ofens als Gegen-
bild verknüpft werden, wie z. B. an einem Sarkophag in Mailand (S. Ambrogio), so erscheinen
sie offenbar nur als alttestamentliche Vorläufer der Weisen, die sich von Herodes abwandten,
um den Heiland anzubeten. Der Mailänder Sarkophag vereinigt in seinem Reliefschmuck
den vollen Typenbestand dieser Sondergruppe mit den Kompositionen der Parusie und der
Gesetzesübergabe an den Langseiten bei Hinzufügung des Lämmerfrieses der Apsismosaiken
unter der letzteren. Und doch machen augenscheinlich nur Ausschnitte aus größeren Kom-
positionen den Zuwachs seines Bildstoffes aus. Die neuen Szenen hatten in dem Kunstkreise,
dem sie entstammen, sichtlich schon eine reichere Ausgestaltung erfahren, weisen doch ein-
zelne stilverwandte Teilstücke Nebenzüge auf, die den abgekürzten Typen der vollständigen
Särge fehlen, sei es in der Geburtsszene die Kamele der Magier oder bei Elias Himmelfahrt
(Abb. 102) die Prophetensöhne und den Bären (aus 2 Kön. II, 11—25). Vor allem aber be-
gegnen uns meist an Nebenseiten und Deckeln von Säulensarkophagen, und zwar vorzugs-
weise in Gallien, bereits einzelne Szenen der Marien- und Jugendlegende Christi, so z. B.
die Vermählung und Josephs Traum (Le Puy), der Kindermord und der Jesusknabe im Tempel,
andrerseits auch solche der Passion wie der Judaskuß (Abb. 103), das Verhör vor Kaiphas, die
Erscheinung des Auferstandenen u. a. m., die erst in Denkmälern der christlichen Kleinplastik

Abb. 105. Sarkophag (aus Arles): Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer.
BEZIEHUNG ZUR PROFANEN RELIEFPLASTIK - ABART DER BAUMSARKOPHAGE 119

Abb. 106. Baumsarkophag (aus Arles): Erweckung des Sohnes der Witwe, Hämorrhoissa, Brotvermehrung,
Orans mit Aposteln, Kanawunder, Heilung des Blinden und des Gichtbrüchigen.

des Ostens ihre Gegenbeispiele finden. So kann es keinem Zweifel unterliegen, daß in dem
zu Gallien in engsten Beziehungen stehenden Ausgangspunkt dieser ganzen Richtung, in
Antiochia, jene christologischen Bilderfolgen schon damals vollkommen entwickelt waren.
Den Säulensarkophagen schließen sich andere Reliefkompositionen, bei denen für die Säulen kein
Platz war, nach Inhalt und Stil aufs engste an. Der Sockelfries des Sarkophags von S. Ambrogio stellt
nur einen Ausschnitt aus einem Stoffkreise dar, der sich in dieser Denkmälerreihe mit ganz neuem Sinn
erfüllt. Auch das Lämmergenre hat hier eine apokalyptische Umdeutung erfahren. Das Lamm ist ein
Symbol des Herrn selbst geworden. Darin aber lag der Anreiz, nunmehr auch die „Apostel des Lammes“
(Offenb. Joh. XXI, 14), die Christus als Schafe ausgesandt hatte unter die Wölfe (Matth. X, 16), in gleicher
Gestalt um ihn versammelt darzustellen. So steht er auf einem Sarkophag (im Lateran) als der Hirt der
Hirten unter den Aposteln, und zugleich inmitten der Lämmerherde da (Abb. 104). Die beiden Hirten-
gestalten an den Ecken verraten aber noch, daß diese Komposition infolge neuer Gedankensymbolik aus
dem älteren Lämmergenre hervorgewachsen ist. Dem Felsboden entquellen bereits die Paradiesesströme.
Wenn in anderen Fällen zwölf Lämmer auf einen Bogen zukommen, unter dem die Evangelienbücher liegen
(Marseille) oder dem Christusmonogramm Kränze darbringen (Rom), so ist die Beziehung auf die Apostel
vollends durchsichtig. Aus der um sich greifenden Verallgemeinerung solcher Bildallegorie erklärt es sich
auch, daß in den Zwickelreliefs des Bassussarges (S. 114) nicht nur die Wunder des Herrn, sondern sogar
alttestamentliche Vorgänge in gleicher Einkleidung wiedergegeben sind.
Einen friesartigen Reliefschmuck bildet der auch in der Katakombenmalerei vereinzelt auftauchende
Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer an mehreren Särgen (in Rom, Gallien und Spalato). Die
Anordnung zeigt immer Pharao an der Spitze der Reiterei zu Wagen hinter dem Volke des Herrn her-
stürmend, das mit Weibern und Kindern, von Moses geleitet, das Wasser durchschritten hat. Schon ver-
sinken die vordersten Verfolger. Personifikationen des Landes und der Meeresgott liegen unter den Rossen da.
Rechts fehlt am Abschluß selten die in architektonischer Bildung wiedergegebene Flammensäule, links
bezeichnet ein Tor die Königsstadt Pharaos. Aber auch auf der rechten Bildhälfte werden bald die Zinnen-
tore, bald die gewöhnlichen Bogen der Arkadensarkophage in dekorativer Verwendung beibehalten. Der
gemeinsame Stammtypus dieser Denkmäler hängt mit der spätantiken Profanplastik des Ostens (s. unten)
zusammen, wie aus gewissen Übereinstimmungen der Komposition mit dem Reliefbild der Besiegung des
Maxentius am Konstantinsbogen hervorgeht. Daß beide Ereignisse von der zeitgenössischen kirchlichen
Rhetorik miteinander verglichen wurden und Konstantin als neuer Moses gepriesen wurde, bezeugt Eusebius.
Von Bedeutung ist das auch für die Zeitbestimmung der stilverwandten Arkadensarkophage. Etwa im
zweiten Viertel des Jahrhunderts muß ihr Stil die Stufe des Bassussarkophags erreicht haben.
Von der reichen Entfaltung der Sarkophagskulptur im kleinasiatisch-antiochenischen
Kunstkreise zeugt endlich noch eine verbreitete Spielart des architektonischen Sarkophagtypus,
in der Lorbeer- oder Ölbäume statt der Säulen zur Trennung der einzelnen Szenen verwendet
sind. Diese Dekoration ist sichtlich in Nachahmung des Fünf- oder Siebennischentypus der
120 STILISTISCHE EIGENART UND ENTWICKLUNG DER ARKADENSARKOPHAGE

Abb. 107. Baumsarkophag (Lateran-Museum): Opfer Kains und Abels, Gefangennahme des Petrus, Triumph-
kreuz, Martyrium des Paulus, Hiob.

Säulensarkophage aus dem Motiv der beiden Bäume entstanden, zwischen denen schon in
der alexandrinischen Sarkophagplastik der Gute Hirte oder die Orans standen. Die Vögel
im Gezweig sind Abkömmlinge der Tauben. Das ganze System gibt der Vorstellung vom
Paradiese Ausdruck, wie sie in den poetischen Schilderungen des antiken Elysium vorgebildet
war. Anfangs und manchmal auch später flach gehalten, wurden die Stämme und Figuren
bald nahezu frei herausgearbeitet, so daß die Kronen sich zum schattigen Laubdach zu-
sammenschlossen. Mehrfach begegnen wir hier noch der Orans in der mittleren Baumnische,
während die übrigen anfangs hauptsächlich Wunderdarstellungen einschließen (Abb. 106),
später auch Passionsszenen und Apostelmartyrien (Abb. 107), welche die symbolische Kreu-
zigung oder die Gesetzesübergabe umgeben, u. a. m.
Die Fülle des Bildstoffs und die klare, auf zyklische Zusammenfassung gerichtete An-
ordnung desselben verleiht den Arkadensarkophagen eine hervorragende Bedeutung in der
altchristlichen Sepulkralplastik. Der gegenständlichen Einheitlichkeit der - gesamten Klasse
und ihrer Abarten entspricht eine weitgehende stilistische Gleichartigkeit. Gemein ist ihnen
allen im Gegensatz zu den älteren Sarkophagtypen die kräftige Ausrundung bis zu völliger
Loslösung der Figuren. Gleichwohl vollzieht sich eine allmähliche Stilwandlung in der
Gestaltenbildung, Haar- und Gewandbehandlung, aus der sich augenfällige Unterschiede
zwischen den älteren und jüngeren Denkmälern ergeben. Verteilen sie sich doch mindestens
über das ganze 4. Jahrhundert, und die Entstehung des Grundtypus liegt zweifellos noch
weiter zurück.
Von den Denkmälern, in denen die herkömmlichen Wunderdarstellungen und alttestament-
lichen Szenen, namentlich in Siebenzahl und in zweifiguriger Zusammensetzung, noch die
meisten Plätze einnehmen, erscheinen einzelne bessere Arbeiten solchen der friesartigen Sarko-
phagklasse (S. 109) näher verwandt durch den schlankeren Körperbau und die kontrastreiche
Bewegung der Gestalten (Abb. 93, 94 u. 106). Allgemeinere Übereinstimmung besteht in dem
Faltenreichtum der Gewänder und in der nur allzu beliebten technischen Ausführung der Furchen
mittels des laufenden Bohrers (S. 106), durch welche die Motive des antiken Faltenwurfs leicht
vergröbert und nur noch durch den optischen Kontrast verdeutlicht (Abb. 91,100 u. 107) werden.
Eine verwandte Behandlung herrscht in den Reliefs des Konstantinsbogens (s. unten). Allein
der antike Stil erfährt nicht nur eine solche Zersetzung im handwerklichen Betrieb, sondern
auch eine Umbildung. In der Folge machen sich sowohl in der Auffassung der Figur wie
IKONOGRAPHIE DER HAUPTAPOSTEL UND DES CHRISTUSIDEALS 121

des Gewandes neue Bestrebungen bemerkbar. Die


Gestaltenbildung wird kürzer und verrät manchmal
Proportionsfehler und eine mangelhafte Artikulation.
Das Rhythmische der Stellungen geht verloren, die Be-
wegung wird härter und zugleich in gewissen Motiven
lebhafter (Tafel VI, 1). Erscheint der gewöhnliche
Gang schwerfälliger, aber wirklichkeitsgetreuer und
zuweilen wie stockend, so wird daneben der weite
Schritt aufgenommen. Das Eilige malt die innere Er-
regung. Im Sitzen erscheint mitunter ein Bein wie zu-
fällig übergeschlagen. In diesem stilistischen Wand-
lungsprozeß vollzieht sich ungefähr gleichzeitig mit
dem Aufkommen der Passionsszenen und dem Durch-
dringen der Darstellung der Gesetzesübergabe eine
fortschreitende Entfremdung von der Antike. An den Abb. 108. Paulus, Bruchstück eines
Sarkophagreliefs
schönen Linien ihrer Gewandbehandlung findet diese (nach Wittig, Die altchristl. Skulpturen im Museum am
Kunst kein Gefallen mehr. Die Faltenzüge werden Campo Santo 1906).

spärlicher und seichter, die Gewänder infolgedessen


flächiger und stofflicher. In den älteren Denkmälern des Fünfnischentypus überwiegt noch
der Charakter des Weichstofflichen, so besonders an dem in Leyden befindlichen Sarkophag
(Abb. 94), der unter den römischen den reinen hellenistischen Stil bewahrt. An den groß-
figurigen Prunksärgen, die mit ihrer eckigen, in den Proportionen wiederum gesteigerten
Gestaltenbildung den Abschluß der Entwicklung bezeichnen, wird dasGefält von einem strengeren
Zug beherrscht. Die Stoffflächen umhüllen die Gestalt knapper und spannen sich straffer.
Die Masse der Arkadensarkophage vereinigt alle diese Stileigentümlichkeiten in scharfer
Ausprägung und bildet unverkennbar eine zeitlich enger umschriebene Gruppe, die sowohl
in Rom wie in Gallien von einem einheitlichen auswärtigen Kunstbetrieb abhängig bleibt.
Sie müssen, da auch der des Junius Bassus (S. 114) eine solche Zwischenstellung einnimmt,
etwa um die Mitte des 4. Jahrhunderts fallen. Sie weisen auch neue Kopftypen auf, teils
jugendliche kurzhaarige Rundköpfe mit derben Nasen, teils bärtige, mit dichter, von Bohr-
löchern durchsetzter Lockenmasse des halblangen Haupthaars und Vollbarts. Dazu kommen
an den großfigurigen Särgen noch rasierte, faltige Gesichter (Abb. 101). Individuellere Züge,
die späteren Katakombenfresken entsprechen, tragen nur die Apostelfürsten. Im Kopf des
Petrus mit rundlichem, meist krausem Vollbart und tief in die Stirn herabreichendem dichten
Haarkranz sehen wir das typische spätere Ideal noch ohne schärfere Ausprägung vorgebildet,
während Paulus, von dem es schon in vorkonstantinischer Zeit ein literarisches Porträt gab,
öfters die hohe, kahle Stirn, und gewöhnlich einen schlichten, kurzen, nicht selten aber bereits
den längeren Bart hat (Abb. 101 u. 108). Auch gewinnen seine Züge manchmal eine eigenartig
charaktervolle Bildung, — so besonders in einem schönen Bruchstück in Rom. Weniger bestimmt
als beide Hauptapostel ist der bärtige Christus aus dem allgemeinen hellenistischen Grundtypus
ausgesondert. Erinnert sein Kopf gelegentlich an das Asklepiosideal, so begegnen wir doch ganz
entsprechenden Köpfen auch unter den Aposteln, bei Pharao u. a. m. Der Übergang zum
männlichen Christustypus kann aber an sich nicht befremden, war doch schon im Sinnbild
des Guten Hirten und des Pädagogen der erste Schritt dazu geschehen (S. 102/3). Eine eigen-
122 LITERATUR — RÖMISCHER WERKSTATTYPUS DER DOPPELREIHIGEN SÄRGE

artige Fortbildung erfährt das jugendliche Christusideal. Es weist nur noch selten die frei
auf die Schulter niederhängenden Locken auf (Abb. 91 u. 96), meist umgeben sie den Kopf
in reicherer und kürzerer geglätteter Masse. Eine bestimmte Haartracht aber beginnt sich her-
auszubilden, wenn sie nach „Galiläerartu die Stirn einengen und sich tiefer im Nacken zum
Knäuel aufrollen (Abb. 93/5), wie z. B. auf manchen Goldgläsern (S. 91). Damit scheint zuerst
ein orientalischer Zug in das Christusbild einzudringen, ja diese gesamte Stilwandlung bezeich-
net schon die Richtung, in der sich die syrisch-palästinensische Plastik der Folgezeit entwickelt.
Über die Tektonik der Säulensarkophage gibt v. Sybel a. a. O. II, S. 60 ff. eine zusammenfassende
Übersicht; zur Bedeutungsentwicklung der Form vgl. auch Dütschke, a. a. O. II T., S. 122 ff. sowie 136 ff. (zu
den Baumsarkophagen und der Paradiesesvorstellung). — Dem ikonographischen Darstellungsgehalt der
Klasse und den Ansätzen der Zyklenbildung ist erst J. Reil, a. a. O. S. 21—25 gerecht geworden, wenn-
gleich noch ohne klare Beschränkung auf die Arkadensarkophage und ihre Abarten, die er nach wie vor
für Rom (bezw. Gallien) in Anspruch nimmt. Gleichwohl wird der syrisch-palästinensische Einfluß auf die
Bildtypen anerkannt, den schon Ainalow, a. a. O. S. 91 ff., für die Reliefbilder der Nebenseiten des lateranen-
sischen Sarges N. 174 nachgewiesen hat. Vgl. zu diesem sowie zum Bassussarkophag A. de Waal, Der
Sarkophag des Junius Bassus. Rom 1900 und Röm. Quartalschr. 1908, S. 117 ff. (zur Chronologie). Die
von Riegl, a. a. O. S. 93 ff. befürwortete Zurückdatierung der Denkmäler ins 3. (oder 2.) Jahrhundert, der
Wittig, Die altchristlichen Skulpturen des Mus. am Campo Santo, Rom 1906, S. 11 ff. und Dütschke, a. a. O. II,
S. 101 ff. gefolgt sind, wird dadurch widerlegt. Im einzelnen vgl. de Waal, Röm. Quartalschr. 1906, S. 27 ff.
sowie zur Majestas a. a. O. S. 57 ff. und Wilpert, Röm. Quartalschr. 1906, S. 5 ff.; zur symbolischen Kreuzi-
gung O. Schönewolf, Die Symbol. Darst. der Auferstehung in der frühchristl. Kunst, Straßburg 1907 (von
Reil, a. a. O. S. 23 mit Recht eingeschränkt); zur Gesetzesübergabe Dütschke, a. a. O. S. 208 ff. (und meine
Gegenbemerkungen D. Lit. Z. 1911, Sp. 680/1) sowie die übrige Lit. bei v. Sybel, a. a. O. II, S. 152; zur
Darstellung des Durchzugs der Israeliten durch das Rote Meer E. Becker, Zeitschr. f. Kirchengesch. 1910,
S. 161 ff. und zu Moses und Petrus a. a. O. S. 136 ff.; zur Geburtsszene und ihrer Erweiterung (bezw. Con-
tamination) v. Sybel, Mittig, d. archäol. Inst, in Rom 1912, S. 311 ff.; zur Ikonographie der Apostel und
Christi außer der (S. 91) o. a. Literatur Wittig, a. a. O. S. 101 ff. u. 121 ff. und v. Sybel, a. a. O. II, S. 159 ff.
sowie im übrigen meine Ausführungen im Rep. f. K. Wiss. 1912, S. 205—219 (mit weiteren Hinweisen).
Da in Rom ohne Zweifel die zahlreichen Nachahmungen der hellenistischen Sargtypen
den Hauptbestand der Sarkophagplastik ausmachen, hat sich in einzelnen Klassen ein lokal-
römischer Werkstattypus herausgebildet (S. 106 u. 109). Vor allem läßt sich aber als solcher
eine größere Gruppe von bestimmtem Gepräge ansprechen, die sonst nur in Arles und Syrakus
vertreten ist, wohin einzelne Stücke leicht auf dem Seewege gelangen konnten, wie z. B. der
Doppelsarg der Adelphia und ihres Gatten (Abb. 110). Überhaupt sind es vorwiegend Särge, die
für zwei Personen bestimmt waren, deren Brustbilder das muschelförmige Porträtschild inmitten
der beiden Reliefreihen einnehmen. Nie greifen die Darstellungen auf die Nebenseiten über.
Diese gleichmäßige Behandlung verbürgt ihre Zusammengehörigkeit, wenngleich die Verdoppe-
lung des Frieses keineswegs eine römische Neuerung zu sein braucht (S. 114). Die ältesten
Stücke mögen von griechischen Meistern gearbeitet sein, so vor allem ein schöner Sarg aus
S. Paolo (Lateran) mit männlichem Doppelporträt (Tafel VIII). Stil, Typenbestand und Szenen-
verteilung verraten bei ihm noch engere Beziehungen zu den Sarkophagen mit einfachem
Figurenfriese (S. 109), aus denen der neue Typus zweifellos hervorgegangen ist. Enthält doch
die ganze untere Bilderreihe nichts, was dieser Klasse fremd ist, ja wir erblicken hier sogar
Daniel wieder, allerdings in erweiterter Komposition, in die schon der Prophet Habakuk mit
dem Brot Aufnahme gefunden hat. Überhaupt fällt die Hinzufügung von Nebenpersonen
auf, die meist als namenlose Füllfiguren zur Herstellung eines zweiten Reliefplanes dienen,
während sich der vordere aus Rundfiguren zusammensetzt. Daß diese Technik durch das
Hochrelief der Säulensarkophage beeinflußt ist, beweist das Eindringen von Motiven aus ihrem
Tafel VIII.

0
3

Q.
w
0
~o

c
3

OS
0
£ “ö
© c
“O 3
c <S
:0 0
X bß
c
3
CO
’<D
Q. Q_
O
</) 0)

N
0
-Q
_Q
<
o
0

"D
c
3
0
0 0
"O
o
“m
0
~o
0
m bß
c
3
3
N bß
0 0
_Q CO

0 bß
XI
0

s_
0 0
_3
_Q
:3 c
0 0
0 "O
N 3
E
3 m
0 0
0
3 O 3
0

3 3
0 3
.2 bß 0
~0 3—
0_
0
>
3
:0 0 3
T3 0

O 0
_Q_ bß
0
0 0
0 73
Q_ 3
CL 3
O < 0
0
Q 0
0
3
t_
0
N
0
_0 3
o 0
H 0 Q
0
"ö «J
0
£ Kn 0u «J
bß o
N c3
I3
3 -T W

bß >>30 0)
*T
0
_3 LU O -
CL .. QX
o 3
0 Q
0
CO 12
IKONOGRAPHISCHER UND STILISTISCHER CHARAKTER DER KLASSE 123

Abb. 109. Sarkophag (Lateran-Museum) mit Qattenporträt


oben: Erschaffung des Weibes, Gebot der Arbeit, Kanawunder, Brotvermehrung, Erweckung des Lazarus
unten: Anbetung der Magier, Blindenheilung, Daniel, Ansage der Verleugnung, Moses Bedrängung und
Quellwunder.

Bilderkreise. Am Sarkophag von S. Paolo finden wir die Händewaschung des Pilatus, während
die zugehörige Szene der Vorführung Christi (Abb. 95) der Darstellung des Abrahamsopfers
hat weichen müssen. Mit ihrer reichen Figurengruppierung im Halbkreise scheint jedoch
die Pilatusszene hier eine ältere Fassung zu vertreten, als sie alle erhaltenen Säulensarkophage
darbieten. Auch Gewandstil und Figurenbildung dieses Sarges weisen noch in den Anfang
des 4. Jahrhunderts. In späteren Denkmälern kommen größtenteils als neue Entlehnungen
hinzu: Daniel mit der Schlange, Moses die Sandalen lösend, das Opfer Kains und Abels
und sogar der Durchzug durchs Rote Meer (Kindersarkophag im Lateran), sowie aus dem
Neuen Testament: Die Erweckung des Sohnes der Witwe, die Anbetung der Hirten und
Magier und der Einzug in Jerusalem, niemals aber andere Passionsbilder und nur als ver-
einzelte Ausnahme (Arles) die Apostelmartyrien. In solchen Fällen haben offenbar so gut wie
bei den späten strigilierten Särgen (S. 106) Entlehnungen aus dem Typenschatz der Säulen-
sarkophage stattgefunden. Im Vergleich mit diesen erscheint die ganze Gattung schon da-
durch rückständig, daß es ihr an zyklisch geordneten Bildfolgen fehlt. Umgekehrt tauchen
in ihr einzelne der ältesten Typen mitunter wieder an der Schauseite auf, wie Jonas oder
die Jahreszeiten u. a. m. (S. 105/6). Eklektische Typenmischung gibt der ganzen Klasse das
ikonographische, ein unaufhaltsam fortschreitender Stilverfall das künstlerische Gepräge. Freie
Erfindung liegt meist nur scheinbar vor, so z. B. bei einer Darstellung der Menschenschöpfung
an einem anderen Sarkophag aus S. Paolo (Abb. 109), welche die Erschaffung des Weibes in
zwei verschiedenen Momenten wiedergibt und sich an die antike Szene der Menschenbildung
durch Prometheus anlehnt. Der darunter befindlichen Magieranbetung entsprechend, in der
die Figur hinter Maria als Joseph ihre Erklärung findet, ist eine dritte bärtige Gestalt
hinter Gottvaters Thron hinzugefügt. Wie äußerlich der Künstler überhaupt verfuhr, beweisen
124 UNTERSCHIEDE VOM STIL DER ARKADENSARKOPHAGE

Abb. 110. Sarkophag der Adelphia (aus Syrakus) mit Gattenporträt


am Deckel: Marienszenen und Christi Geburt mit Magierhuldigung
oben: Gebot der Arbeit, Ansage der Verleugnung, Hämorrhoissa, Gesetzesübergabe (an Moses), Abrahams-
opfer, Blindenheilung, Speisungswunder, Erweckung des Sohnes der Witwe
unten: die Jünglinge vor Nebukadnezar, Kanawunder, Magieranbetung, Adam und Eva, Einzug in Jerusalem.

die fast in allen Szenen im Rohen angelegten Köpfe weiterer Füllfiguren. Bei so handwerks-
mäßiger Arbeit wäre es gewagt, in der bärtigen Erscheinung des Schöpfers einen allgemein-
gültigen Typus Gottvaters oder Christi zu erblicken. Und doch gehört dieser Sarkophag zu
den tüchtigeren Arbeiten der römischen Werkstätten vom Ende des 4. Jahrhunderts. Durch
die Vergröberung der Formen blickt immer noch eine bessere Tradition hindurch.
Die Mehrzahl der Denkmäler zeigt eine weit stärkere Einbuße der schönen Proportionen
und des richtigen Verständnisses der Bewegung. Unter ihnen besitzt der Sarkophag der
Adelphia (Abb. 110), an dem sich Farbspuren befinden, die auf allgemein übliche Bemalung der
Särge schließen lassen, trotz seiner kleinlichen Figurenbildung eine gewisse gegenständliche
Bedeutung durch zwei einzigartige Darstellungen: wohl das früheste Beispiel der Verkündi-
gung am Quell, — wenn es nicht das mißverstandene Quellwunder des Moses ist, — und
anscheinend die Einführung einer Verstorbenen, wenngleich statt Christus eine Frauengestalt
den Thron einnimmt und alle Anwesenden Frauen sind. Die richtige Wiedergabe der Vor-
lage bleibt hier vollends zweifelhaft. Auch dieser Sarkophag steht, nach der Tracht der
Porträtbüsten, wohl erst an der Schwelle des 5. Jahrhunderts, ist jedoch anscheinend noch
später in Gebrauch genommen worden, da Adelphia wahrscheinlich die Gattin des Expräfekten
Valerius aus der Zeit Valentinians III. war. Seitdem scheinen die wiederholten Plünderungen
Roms der Sepulkralplastik wie jeder bodenständigen Kunstübung ein Ende bereitet zu haben.
Aus dem 5. Jahrhundert bleiben außer den geringeren zweireihigen Sarkophagen nur noch
rohere Wiederholungen des friesartigen Typus übrig. Aber selbst Arbeiten wie der zweite
Sarkophag von S. Paolo stechen zu sehr von den auch außerhalb Roms verbreiteten Säulen-
sarkophagen mit der Wiederkunft Christi oder Gesetzesübergabe (S. 118/9) ab, die kaum viel
älter sein dürften, als daß beide Gattungen für Erzeugnisse desselben Kunstbetriebes an-
gesehen werden könnten. Von der einheitlichen Stilentwicklung der Arkadensarkophage ist
ANDERE BILDWERKE, SONDERTYPEN IN GALLIEN, NORDAFRIKA USW. 125

in der ganzen Klasse nichts zu spüren. Besonders die Gewandbehandlung verrät bald den
Einfluß der ersteren, bald und viel öfter leblose und trockne Wiederholung der Faltengebung
der einreihigen Friese (Abb. 90 u. 110). Daraus ergibt sich ein Ausgleich von handwerk-
lichem Geschmack, wie er auch in einzelnen selbständigeren Arbeiten durchbricht, so vor
allem an dem Sarkophag der Cella Trichora von S. Sisto mit der ältesten Darstellung der
Errettung des Petrus aus den Meeresfluten (am Deckel).
Was Rom im übrigen an altchristlichen Reliefskulpturen besitzt, zeugt nirgends von
höherem Können. Die Grabcippen mit dem typischen Bilde des Guten Hirten oder Einzel-
gestalten von Märtyrern, wie die als Orans aufgefaßte heilige Agnes aus den Hypogäen von
S. Agnese, wiederholen in besserer oder geringerer Ausführung die Typen der Sarkophage.
Eine frischere, wenngleich flüchtige Arbeit (aus der Domitilla-Katakombe) von lebendiger Schil-
derung stellt das Martyrium des Nereus und Achilleus dar.
In Nordafrika, in Sizilien und vor allem in Gallien sind aus den allverbreiteten
hellenistischen Sarkophagtypen manche lokalen Spielarten hervorgegangen, die zum Teil
barbarische Einflüsse verraten. Am häufigsten begegnen uns an verschiedenen gallischen
Fundstätten Särge, deren Schauseite ausschließlich mit Spitzarkaden geschmückt ist, die öfter
auf Pilastern als auf Säulen ruhen. Und doch erblicken wir gewöhnlich in der Mitte Christus
und auf den Nebenplätzen einzelne oder gepaarte Apostelgestalten, — also Elemente der uns
bekannten Kompositionen der Säulensarkophage. Einen orientalisierenden Sondertypus ver-
treten die truhenförmigen Särge Aquitaniens mit ornamentalen Motiven jüngeren Charakters.
Die seltenen figürlichen Typen auf ihnen (Abb. 111) scheinen gleichwohl noch demselben
Darstellungskreise zu entstammen. An anderen Punkten läßt sich die beginnende Umsetzung
der christlichen Bilder in die primitive Zeichnung der eingewanderten Germanen beobachten.
Aber nach Gallien und sogar bis an den Rhein ist dank einer langwährenden Seeverbindung
auch echt orientalischer Bildstcff hinaufgewandert, der in Rom und Italien unbekannt blieb.
So wird man heute den merkwürdigen Sarkophag von Trier mit der Darstellung Noahs und
seiner ganzen Sippe in der Arche (Abb. 112) nicht mehr als eigenartige Schöpfung provin-
zialer Kunst ansprechen dürfen, seit die Parallelen dafür in den Fresken von El Bagauat
(S. 97/8) aufgetaucht sind.

Abb. 111. Truhensarg (aus Valbonne): Christus zwischen Aposteln


(nach Le Blant, Les sarc. ehret, de la Gaule).
126 LITERATUR — GRUNDLAGEN UND WESEN DER SYRISCHEN KUNST

Abb. 112. Sarkophag (aus Trier): Noah mit den Seinen in der Arche, daneben Blumenkünstler
beim Girlandenbinden
(nach Le Blant, Les sarc. ehret, de la Gaule).

Begründet wurde die wissenschaftliche Bearbeitung der altchristlichen Sarkophagplastik in den Sammel-
werken über die gallischen Särge von E. Le Blant, Etüde sur les sarc. ehret, de la ville d’Arles, Paris
1878 und Les sarc. ehret, de la Gaule, Paris 1886. Den reichsten Bestand umfaßt das Lateran-Museum
in Rom, in neuester Bearbeitung veröffentlicht durch O. Marucchi, Mon. del Mus. Crist. Pio-Later. Milano
1911. Zur Ergänzung sind noch immer heranzuziehen: J. Ficker, Die altchristlichen Bildw. im christl. Mus. d.
Lat., Leipzig 1890, sowie Grousset, Et. etc. Ec. fr. d’Athenes et de Rome 1885 und J. Wittig, Die altchristl. Skulpt.
im Mus. am Campo Santo, Rom 1906; für die kleine Berliner Sammlung O. Wulff, Beschr. d. Bildw. d. christl.
Epochen, 1909, 2. Aufl., III, 1. und 2. Nachtr. 1911. Neuere Übersichten bieten K. Michel, a. a. O. S. 103ff.
und Reil, a. a. O. S. 15, sowie v. Sybel, Die christl. Antike, Marburg 1909 II, S. 43—224. Auf die Erklärung legt
das Hauptgewicht H. T. Obermann, De Oud-Christelijke Sarkophagen, s’Gravenhage 1911. Im einzelnen vgl.
O. Marucchi, N. Bull, di archeol. crist. 1910, p. 216 und t. VIII (Petrusszene aus S. Sisto) und E. Becker,
Röm. Quartalschr. 1911, S. 123 ff. (zur Deutung des lesenden Mannes) sowie im übrigen Wulff, Repert. f.
K. Wiss. 1912, S. 199—219 (mit weiteren Nachweisen).

2. Die Blüte der syrisch-palästinensischen Reliefskulptur.


Seit Mitte des 4. Jahrhunderts übernimmt Syrien in der Entwicklung der christlichen
Kunst immer entschiedener die Führung. Auf die maßgebende Bedeutung von Antiochia, das
unter Diokletian einen neuen Aufschwung nahm, für die Erweiterung ihres Darstellungsgehalts
wie für die Verjüngung ihres künstlerischen Ausdrucks weisen schon die Säulensarkophage
(S. 110 ff.) zurück, zugleich aber auch schon auf die Einwirkung eines zweiten Kunstkreises,
gegen dessen Einfluß die hellenistische Großstadt am Orontes allmählich zurücktritt (Einl.
S. 10). Seit die heiligen Stätten Palästinas durch Konstantin eine glänzende künstlerische
Ausschmückung erhalten hatten, zog das Heilige Land fortgesetzt die besten Kräfte der Provinz
an sich. Es bedeckte sich alsbald mit Kirchen, die für den rasch anschwellenden Strom der
Pilger an den Schauplätzen der Taten des Herrn die Erinnerung beleben sollten. Im Kult
herrschte, wie im allgemeinen Verkehr, die griechische Sprache, aber von der zugewanderten
christlichen Bevölkerung war doch nur ein Bruchteil hellenischen Stammes. Mit der wachsenden
Beteiligung des semitischen Volkselementes zieht in die Kunst ein neuer Geist leidenschaftlicher
Anteilnahme an den dargestellten Ereignissen ein, aus dem zuerst die griechische Literatur der
apokryphen Evangelien erwächst. Indem sie an der Kindheitsgeschichte des Herrn weiterdichtet,
rückt sie die Gottesmutter desto mehr in den Vordergrund, je lebhafter seine dogmatische
Vergöttlichung auf die Vorstellungen von seiner irdischen Persönlichkeit zurückwirken mußte
EINFLUSS DER KLEINPLASTIK — DIE CIBORIUMSÄULEN VON S. MARCO 127

Abb. 113. Nischenreihe (abgerollt) einer Ciboriumsäule (S. Marco in Venedig) mit Darstellung der Himmelfahrt
(nach Venturi, Storia dell’arte Ital. I).

und ein Erklärungsbedürfnis für das Mysterium der Menschwerdung weckte. Auf der anderen
Seite aber wird der schlichte evangelische Bericht von seinen Taten und seinem Leiden durch
reichere Einzelheiten und Nebenzüge ausgeschmückt. An alledem entzündet sich alsbald die
künstlerische Phantasie. Die syrisch-palästinensische Kunst des 4. und 5. Jahrhunderts beseelt
eine hohe schöpferische Kraft. Wir können uns ihre Blüte kaum reich genug vorstellen. Ihr
Untergang bedeutet einen der größten kunstgeschichtlichen Verluste. Die kirchliche Malerei
(Kap. V) folgte bald den Anregungen der repräsentativen Staatskunst. In den Kleinkünsten
hingegen herrschte, zumal im Anfang, eine größere Beweglichkeit, die auch der Steinskulptur
zugute kam. Dank der außerordentlichen industriellen Entwicklung des Landes erlangten
neben der Marmorplastik andere Techniken, vor allem die Schnitzerei in Holz und Elfenbein,
in der sich die selbständige Auffassung von Anfang an viel freier betätigen konnte, eine
große Bedeutung. Auch erstere erhält durch sie einen frischen Antrieb.
Von der monumentalen Skulptur dieser Länder sind nur dürftige Trümmer übrig ge-
blieben, und wir wären auf die Zeugnisse der Kleinkunst allein angewiesen, wenn nicht ein-
zelne syrische und palästinensische Bildwerke ihren Weg ins Abendland gefunden hätten.
Ein solches Denkmal, und zwar ein überaus reichhaltiges Beispiel der palästinensischen Re-
daktion des neutestamentlichen Bilderkreises, die sich als folgerichtige Fortsetzung seiner frühe-
sten, an den Säulensarkophagen in die Erscheinung tretenden Gestaltung (S. 113 u. 118) kenn-
zeichnet, besitzen wir noch in den vier Säulen des Altarbaldachins (Ciborium) von S. Marco
in Venedig unbekannter Herkunft. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben sie die Venezianer
in den Kreuzzügen aus dem Orient mitgebracht, wurden sie doch noch im 16. Jahrhundert als
griechisches Kunstwerk angesehen. Auf allen vier Säulen sind dann etwa im 12. Jahrhundert
erklärende Inschriften hinzugefügt worden, die jedoch nicht immer zu den Darstellungen
passen. Nichtsdestoweniger haben dieselben gewisse Verschiedenheiten der Ausführung und
in neuerer Zeit die irrige Annahme hervorgerufen, daß sie insgesamt oder doch das hintere
Säulenpaar ihre Entstehung der venezianischen Kunst des Mittelalters verdanken.
Ihre Relieffolgen schließen sich inhaltlich zu einem einheitlichen Zyklus zusammen, der die Geschichte
Marias, die Geburtslegende, die Taten des Herrn und sein Leiden bis zur Erhebung zu göttlicher Herr-
lichkeit schildert. Daß wir palästinensische Kunst vor uns haben, ergibt sich nicht nur aus mehrfachen
Parallelen mit syrischen Miniaturen und anderen Denkmälern, sondern auch aus dem engen Anschluß der
Erzählung an die apokryphen Evangelien, zu denen diese Bildwerke, wie kein zweites Denkmal aus so früher
Zeit, gleichsam eine fortlaufende Illustration darstellen. Und doch nicht eine buchstäbliche, — vielmehr
128 ZYKLUS DES MARIENLEBENS UND DES WIRKENS UND LEIDENS CHRISTI

liegt offenbar schon eine abgeschlos-


sene bildliche Überlieferung zugrunde,
da die Kompositionen unmöglich in
Verbindung mit dem Nischenmotiv er-
funden sein können, durch das sie
fast zerrissen werden (Abb. 113). Jede
Säule ist in neun Reihen von je neun
Nischen gegliedert, die gewöhnlich
nur eine Gestalt umschließen. In die-
ses Schema aber sind meist drei oder
vier Szenen in jeder Reihe eingezwängt.
Die linke hintere Säule bietet uns die
früheste Bilderfolge des Marienlebens
und gibt die Ereignisse des Proto-
evangelium (Einl. S. 10) bereits in
einer Vollständigkeit wieder, wie sie
kaum in einem späteren Denkmal über-
troffen worden ist. Der Geburt der
Jungfrau geht die Geschichte von Joa-
chim und Anna voraus. Die beiden
obersten Reihen erzählen Marias Ein-
führung und ihren Aufenthalt im Tem-
pel bis zur Verlobung mit Joseph. Die
Jugendgeschichte Christi an der zwei-
ten Säule läßt auf die Verkündigung
Josephs Anschuldigungen, die Heim-
suchung und die Geburt des Herrn
folgen, schildert dann die Verkündi-
gung an die Hirten, das Forschen der
Magier in den Schriften und die Be-
fragung des Herodes, endlich ihre
Huldigung und läuft in die Erzählung
der Wunder aus, von denen einzelne,
wie die Hochzeit zu Kana, auf die
nächste Zone übergreifen (Abb. 114)
In ihre Fortsetzung schiebt sich! an
der rechten hinteren Säule die Be-
rufung der Jünger ein. Der Zyklus
der Passionsgeschichte (s. Abb. 115)
an der vorderen wird durch den Ein-
zug Christi in Jerusalem eingeleitet
und enthält nach der Fußwaschung
wohl das älteste historische Abend-
mahlbild. In der fünften Reihe ist neben
dem Tod des Judas die zweite Vorfüh-
rung Christi vor Pilatus in mehreren
aus dem Bericht der sogenannten Pi-
latusakten geschöpften Momenten dar-
gestellt: wie ein Trabant des Pilatus
sein Gewand vor Christus ausbreitet,
wie sich die Standarten vor ihm neigen

Das vordere Paar der Ciboriunisäulen


Abb. 114. Wunderszenen .Christi von S. Marco (in Venedig). Abb.115. Passion u. Auferstehung
DARSTELLUNGSGEHALT DER CIBORIUMSÄULEN VON S. MARCO 129

Abb. 116—118. Abschnitte der 1. vorderen und der beiden r. Ciboriumsäulen von S. Marco.
Geburt Christi und Hirten- Christus stillt den Sturm u. a. m. Fußwaschung und Gebet in
Verkündigung Gethsemane
(nach v. d. Gabelentz, Die Mittelalt. Plastik Venedigs).

und wie Pilatus’ Weib einen Boten zu diesem entsendet. In den drei obersten Reihen begegnet uns zum ersten-
mal die Erscheinung des Herrn in der Vorhölle (Abb. 115) und unter den Jüngern, die Himmelfahrt
(Abb. 113) und die Anbetung durch die Engel in der Glorie (Abb. 115).
Der Darstellungskreis erscheint, mit dem Bilderschatz der Sarkophage verglichen, reicher
und zusammenhängender, vor allem aber weicht er von ihm in gewissen Einzelheiten ab, die
in der Folge typische Züge der byzantinischen Ikonographie ausmachen. So reitet Christus
schon nach Frauenart auf dem Esel. Er befreit in der Unterwelt Adam und Eva, die mit
anderen Toten aus Särgen aufstehen (Abb. 115). Bei der Geburt Christi ist die Hebamme
Salome der apokryphen Kindheitslegende zugegen (Abb. 116). Wenn aber bei dieser Szene
Maria noch sitzend dargestellt ist, wie auf den altchristlichen Sarkophagen, wenn bei der An-
betung der Magier der Engel fehlt, der ihnen später ständig als Führer vorangeht, so weist
das alles noch auf eine altertümliche Entwicklungsstufe hin. Und doch treten die Engel be-
reits als Chöre auf, um dem Herrn zu dienen. Als die nächsten umstehen ihn die Vertreter
der höchsten Engelsordnung: phantastische Gebilde, die in Anlehnung an die Vision des
Ezechiel mit dem Menschenhaupt die Köpfe der anderen drei Evangelistensymbole vereinigen,
mit den geflügelten Rädern zu Füßen (Tetramorphe), — ein aus dem Geiste der orientali-
schen Kirche geborenes Kunstsymbol für die Einheit des vierfachen Evangeliums.
Durch eine Fülle von Nebenzügen und neuen Ausdrucksmitteln gewinnt die Darstellung
an den venezianischen Säulen lebensvolle Unmittelbarkeit und dramatische Spannung. Überall
bricht ein starker Naturalismus durch, dem Bewegung und Ausdruck die Hauptsache ist. Bitt-
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 9
130 STILCHARAKTER DER CIBORIUMSÄULEN VON S. MARCO

und Schreckgestus, ja sogar die Begleitgebärden der einfachen Rede bekommen eine auffallende
Lebhaftigkeit. Rein sinnliche Empfindungen werden mit frischer Naturbeobachtung wieder-
gegeben, mag sich der Blinde mit seinem Stocke zum Brunnen tasten oder ein Apostel bei
der Himmelfahrt geblendet das Antlitz mit der Hand bedecken (Abb. 113), vom Zuhalten der
Nasen bei den Dienern, die Lazarus enthüllen, zu schweigen. Auch in der Abstufung des
Gefühlsausdrucks legt diese Kunst ein feines Charakterisierungsvermögen an den Tag: wie
Petrus bitterlich weint, wie die Ankläger Christi eifern, wie die Samariterin über die Rede
des Herrn erstaunt, läßt sie den Beschauer lebendig nachempfinden. Innere Erregung er-
greift die ganze Gestalt. Überhaupt kommt leicht in die Bewegung etwas Stürmisches hinein,
das durch eigenartige Schrittmotive, wie das Übertreten mit dem vorliegenden Bein, durch vor-
fallende oder einknickende Stellung der Knie ausgedrückt wird oder die stärksten Kontrast-
bewegungen auslöst. Gestalten wie der sich herumdrehende und der den ganzen Körper zurück-
werfende Hirte bei der Engelsbotschaft sind von einer der griechischen Kunst fremden Heftig-
keit und Maßlosigkeit (Abb. 116). Allerdings fehlt den Künstlern die tiefere Kenntnis des
organischen Zusammenhanges der bewegten Figur, und nur der kleine Maßstab täuscht über
die unvollkommene Durchbildung hinweg. Aber selbst fehlerhafte Bildungen, wie die schlafen-
den Jünger in Gethsemane (Abb. 118), besitzen eine Kraft der Gesamtwirkung, die an die
Belebtheit der ähnlich gebundenen Schöpfungen eines Giovanni Pisano streift, und verdanken
sie wie diese der auf das Ganze der Erscheinung gerichteten Einbildungskraft des Künstlers.
Der allgemeine Figurentypus ist etwas untersetzt und großköpfig. Der Blick hat durch
den gebohrten Augenstern eine fast übertriebene Eindringlichkeit bekommen. Dagegen bleibt
es auffallenderweise bei der Abwechslung eines jugendlichen mit einem bärtigen Kopftypus,
der selbst bei Petrus kaum über den ersten Anlauf zur Individualisierung hinausweist. Ein
Greisentypus kommt für Adam und für den erhöhten Christus hinzu, eine Auffassung, die
wie die knabenhaft jugendliche älterer Denkmäler (S. 90) in den Vorstellungen der Gnostiker
wurzelt. Der vorherrschende Jünglingstypus entfernt sich jedoch nicht sehr weit von dem
der Säulensarkophage (S. 122), nur umgibt das Gelock den Kopf mehr kranzartig wie auch
bei den übrigen jugendlichen Figuren. Ein weiteres Kennzeichen der altertümlichen Entwick-
lungsstufe liegt darin, daß der Nimbus noch nicht ständig Verwendung findet, an den vorderen
Säulen sogar seltener für Christus als für Maria, obgleich gelegentlich sogar schon als Kreuz-
nimbus. Die Entstehung des Denkmals
kann nach alledem kaum später als um
Mitte des 5. Jahrhunderts fallen. Einzel-
heiten des Darstellungsinhalts, die erst
einer jüngeren Fassung der Apokryphen
angehören, wie z. B. Ochs und Esel an der
Krippe (aus Pseudo-Matthäus) oder die
Vorgänge der Pilatuslegende, werden aus
verlorenen Urschriften oder unmittelbar
aus dem Volksbewußtsein geschöpft sein,
waren sie doch zum Teil der Kunst noch
früher bekannt. Mit der Klasse der Säulen-
sarkophage verbindet die Reliefsäulen
von San Marco außer Bewegungsmotiven Abb. 119. Die Kundschafter von Jericho, Kalksteinrelief
(S. 121), wie die stockende Bewegung der (aus d. Samml. Ustinow in Jaffa).
VERSTREUTE DENKMÄLER DER SYRISCHEN RELIEFPLASTIK 131

zurückgebogenen und umblickenden Figur


oder das vereinzelt schon dort vorkom-
mende eilige Schreiten, die ähnliche Ge-
staltenbildung und diegleichartigeGewand-
behandlung. Das Prinzip der Beschrän-
kung auf die Hauptmotive der Falten-
bildung und des Hervortretenlassens der
Gestalt durch die Verhüllung wird an
ihnen zugleich mit der realistischen Wieder-
gabe der zeitgenössischen Tracht noch ent-
schiedener fortgeführt. Zu dem kurzen
mantelartigen Umwurf (Pänula) ist das
syrische Kopftuch der Frauen (Maphorion)
und der vor der Brust geknöpfte Priester-
mantel hinzugekommen. Der Eindruck der
stofflichen Glätte und des Fließenden macht A NTiQ V ISS IM V M AF.VI- CH ■ VINEt'QRVMQ PIET.YTIS
MOiN II.MPLl INCENDIO A MDX.III ERfcPTVM
sich in der flüchtigeren Arbeit des hinteren - — !»«;»■ r~——— /W
Säulenpaares (Abb. 117) noch stärker gel- Abb. 120. Geburt Christi, Marmorrelief in Venedig
tend.^Wie in jener Denkmälergattung manche (aus S. Giovanni di Rialto).
Szenen oder Motive der Ciboriumsäulen
bereits auftauchen —, so z. B. die Samariterin am Ziehbrunnen und das Einfüllen des Wassers
bei der Weinverwandlung (S. 112), —■ so tritt auch die merkwürdige Kreuzigungsdarstellung
dadurch aus ihrer Vereinzelung heraus. Entspricht es doch ganz der liturgisch gefärbten
Lämmersymbolik derselben Sarkophagklasse (S. 118), wenn hier gewissermaßen als Mittelstufe
zwischen der Verbindung des Christusmonogramms mit dem Kreuze (S.l 13) und der Einführung
des Gekreuzigten selbst das Lamm seine Stelle einnimmt. Daneben erblicken wir schon die
beiden Schächer wie an jüngeren Denkmälern. Mit dem architektonischen Sarkophagtypus
teilen die Skulpturen der Markuskirche endlich auch das Nischenmotiv selbst. Dem entspringt
auch die rücksichtslose Art, wie sich die Künstler der Ciboriumsäulen damit abzufinden
wissen, indem sie jeden Schauplatz, sei es den Garten Gethsemane, sei es den See Genezareth
(Abb. 117/8), in den beengenden Rahmen der Nische einschließen. Antiochenische Kunst, auf
palästinensischen Boden verpflanzt, mußte zu einem anderen Gewächs werden, — wie es in
der Tat die Ciboriumsäulen von San Marco sind. Es schlägt in diesem Bildwerk der Puls
eines anderen Volkstemperaments. Semitische Empfindung hat die griechische Form gesprengt.
Wie gründlich auch der Islam im Heiligen Lande mit den christlichen Denkmälern auf-
geräumt hat, so sind doch nicht nur an Bau- und Grabdenkmälern bemerkenswerte Reste
plastischer Dekoration (s. Kap. IV) erhalten geblieben, die von dem Reichtum der palästinen-
sischen Pflanzenornamentik zeugen, sondern auch vereinzelte figürliche Bruchstücke, so z. B.
im Privatbesitz (in Jaffa) ein Relief mit der Gruppe der Kundschafter (Abb. 119), welche
die Traube von Eschkol tragen. Besitzt das rohe Stück auch keinen künstlerischen Eigenwert,
so bestätigt es doch die Herkunft dieser nur an einem gallischen Sarge belegten Szene aus
dem syrischen Kunstkreise. In ähnlicher Weise verhilft uns ein neuerer Fund zur richtigen
Bewertung eines wiederum in Venedig (seit 1710 in S. Giovanni Elemosinario) erhalten ge-
bliebenen Bildwerks. Obgleich es oben verstümmelt ist, gibt dieses wichtige Bruchstück, auf
dem die Geburt Christi mit den in der syrisch-palästinensischen Kunst und Poesie gleich be-
9*
132 DAS HELLENISTISCHE RELIEFBILD IN DER SYRISCHEN PLASTIK

Abb. 121. Hl. Bischof, Kanawunder, Anbetung der Magier; Reliefs vom Sturzbalken
des Nordportals von S. Marco (Venedig)
(nach Ongania, La Basilica di S. Marco, Dettagli).

liebten Nebenszenen der Hirtenverkündigung und der Magieranbetung dargestellt ist (Abb. 120),
Zeugnis davon, wie die syrische Plastik des 5. Jahrhunderts das einheitliche Reliefbild be-
handelt hat. Das Fehlen des Engels, vor allem aber die auf den Orient hinweisende Figur
des Zebustiers neben der Krippe sind deutliche Kennzeichen altertümlichen Ursprungs, und
doch ist darin schon die (in der Sarkophagplastik vorgebildete) Badeszene und das brütende
Dasitzen Josephs wiedergegeben, typische Züge des späteren byzantinischen Bildtypus, wie
auch die halbliegende Stellung Marias und die Szenerie der Höhle, aus der hier der Esel
hervorschaut. Eine altchristliche Relieftafel, auf der noch die in gleicher Weise zwischen
den Felshügeln aufgemauerte Krippe mit dem Kind sowie die verstümmelten Reste der ähn-
lich gelagerten Gottesmutter und der Tiere erhalten sind, ist nun in der Tat (1899) in der
Kirche von Jambruda (Syrien) entdeckt worden. Die Inschriften (aus Jes. I, 3), zumal die
Titulatur „die heilige Maria“, bestätigen ihr hohes Alter. So dürfen wir in jenem veneziani-
schen Relief eine den Ciboriumsäulen verwandte Kunst erkennen. Wie der eine Hirt mit
vollen Backen die Flöte bläst, der andere sich mit einem Bock zu schaffen macht, wie die
Badefrauen um das Kind bemüht sind und die Magier herankeuchen, das alles atmet den-
selben frischen Naturalismus. Alle diese Episoden aber sind auf dem Hintergründe einer
Berglandschaft vereinigt, deren Absätze die einzelnen Gruppen aufnehmen — vom obersten
Streifen sind nur die Hufe der Saumtiere übriggeblieben — und in ihrem Terrassenaufbau noch
die künstlerische Überlieferung des hellenistischen Reliefbildes erkennen lassen.
Die Lagunenstadt mag vorzeiten weit mehr solcher Beutestücke palästinensischer alt-
christlicher Plastik besessen haben. Eine vollständig erhaltene Arbeit verwandten Charakters,
Daniel in der Löwengrube darstellend, auf den Habakuk mit dem Brot zueilt, während aus
den Ecken die Halbfiguren eines Engels und Nebukadnezars herabschauen, ist an der Fassade
von S. Giovanni e Paolo eingemauert. Die gleiche Herkunft eines größeren, das Opfer Abra-
hams in zwei Szenen schildernden Reliefs an der Nordfront von San Marco ist wohl nur
deshalb bisher verkannt worden, weil es im 14. Jahrhundert stark ergänzt worden und des
hohen Altarunterbaues, wie ihn syrische Elfenbeinpyxiden aufweisen (s. unten), beraubt ist.
ZUNAHME DES FRONTALEN KOMPOSITIONSPRINZIPS 133

Abb. 122. Apostel, Anbetung der Hirten, Christus zwischen Aposteln; Reliefs vom Sturzbalken
des Nordportals von S. Marco (Venedig)
(nach Ongania, La Basilica di S. Marco, Dettagli).

Am Sturzbalken des nördlichen Portals von San Marco reiht sich eine Anzahl kleiner Reliefs
zusammen, die sichtlich einst in ähnlicher Abwechslung größerer und kleinerer Bilder mit
dazwischengestellten Einzelgestalten ein zusammengehöriges Ganze bildeten. Zum Teil sind
sie hier wieder in Muschelnischen eingeschlossen, so z. B. die Anbetung der Magier, in
der noch immer der begleitende Engel fehlt,
die Figuren aber, wie im späteren byzan-
tinischen Typus, enger zusammengeschoben
und im Alter unterschieden sind. Den Geist
syrischer Kunst verrät besonders ein Relief,
in dem wir die Hirten, von einem Engel ge-
führt, auf die Krippe zuschreiten sehen,
während auf einem schmäleren unteren Streifen
die Herde gelagert ist. Das Weisen und Er-
blicken des Sternes ist mit verblüffender
Lebendigkeit zum Ausdruck gebracht. Aber
schon stellen sich die Figuren dem Beschauer
breit zur Schau. Vollends beherrscht die fron-
tale Komposition das Kanawunder, wo Chris-
tus zwischen zwei das Wasser einfüllenden
Knaben steht, sowie die repräsentativen Grup-
pen, von denen ihn die eine zwischen den
Apostelfürsten, stehend zeigt. Dieses für die
weitere altchristliche Kunstentwicklung maß-
gebende Kompositionsprinzip, das anschei-
nend der Malerei entspringt (Kap. V), ver-
quickt sich in der Reliefplastik mit der echt-
orientalischen Darstellungsform der Fron- Abb. 123. Palmyrenischer Grabstein (Ny-Carlsberg)
talität. (nach D. Simonsen, Sculpt. et Inscript, de Palmyre, 1889).
134 EINFLUSS DER PALMYRENISCHEN GRABSTEINE AUF DIE CHRISTLICHE PLASTIK

Die Frontstellung zum Beschauer war schon in der Bildnisplastik der hellenistischen
Kunst durchdrungen und gewinnt in der spätantiken Stilphase um so größeren Einfluß, je
mehr der Realismus der Erscheinung zu seinem Recht kommt. Daß in der syrischen Kunst
ein starker Trieb dazu lag, bezeugen schon die palmyrenischen Grabsteine des 3. bis 4. Jahr-
hunderts. In ihnen erfahren die Idealtypen der griechischen Grabreliefs eine immer ent-
schiedenere Umbildung ins Individuelle und Rassenhafte unter aufmerksamster Wiedergabe
aller Besonderheiten der Tracht (Abb. 123). Wenngleich es ihnen an der feineren künstleri-
schen Durchbildung fehlt, wissen doch die Meister dieser in nahezu vollem Hochrelief ge-
haltenen Kalksteinbüsten mit den einfachen Mitteln ihrer Schneidetechnik die charakteristi-
schen Züge jedes Kopfes und die Struktur des Haares auf einen scharfen, gleichsam zeich-
nerischen Ausdruck zu bringen. Manche Schwächen treten hingegen bei Darstellung der
ganzen Gestalt in der mangelhaften Beherrschung ihrer Statik hervor, wie auch die Gewand-
behandlung einem zunehmenden Schematismus verfällt, da die Künstler sich über die lebendige
Wirkung der Körperhaltung auf das Gewand keine Rechenschaft zu geben wissen.
Christliche Reliefporträts oder statuarische Bildwerke haben sich in Syrien nicht erhalten,
es sei denn, daß die von der russischen Expedition (1899) bei Seidnaia in der Umgegend
von Damaskus Vorgefundenen, sehr verstümmelten Felsskulpturen, bei denen wieder die Muschel-
nische auftritt, als solche anzusehen sind. Anscheinend waren es Porträtsstatuen des 3. Jahr-
hunderts. Gleichwohl ist aus gewissen Erscheinungen der byzantinischen Bildnisplastik (s.
unten) mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zu schließen, daß Stil und Technik der palmyreni-
schen Skulptur auch auf die christliche plastische Porträtkunst Syriens eine tiefgehende Ein-
wirkung ausgeübt haben muß. Im allgemeinen freilich scheint die syrische Kunst bei ihrer
unzureichenden formalen Schulung den monumentalen
Maßstab gemieden zu haben. Es ist schwerlich ein zufäl-
liger Umstand, daß die er- V haltenen figürlichen Bild-
werke durchweg weit unter Lebensgröße gehalten sind.
Ambon (aus Saloniki)
Seiten- und Front-
ansicht der linken
Hälfte.

Abb. 124. Hirte (unvollständig) und drei Magier, den Stern erblickend.
DER AMBON VON SALONIKI EINE SYRISCHE STEINMETZARBEIT 135

Am nächsten kommt dieser die Gestaltenbildung eines Denkmals, das zwar nach seinem de-
korativen Schmuck unzweifelhaft seine Entstehung in einem anderen Kunstkreise verrät, aber
nicht minder deutlich in seinem Darstellungsgehalt und Reliefstil das Gepräge echt syrischer
Steinmetzarbeit trägt und von der fortgeschrittenen Entwicklung des letzteren die klarste An-
schauung gibt. Aus Saloniki, wo dieses wichtige Stück — eine zweitreppige Kanzel (Ambo) —
leider in sehr beschädigtem Zustande, bewahrt geblieben ist, wurde es neuerdings dem Otto-
manischen Museum zugeführt.
Das Ganze setzte sich aus zwei außen zum Halbkreise abgerundeten Hälften zusammen, zwischen
denen sich vorn ein iiberbrückter Durchgang zu den Treppen öffnete. Die obere nur teilweise erhaltene
Brüstung mit Weinrankenfüllungen in umrahmten Feldern wird durch eine stark unterarbeitete, wulstförmige,
mit Tierfiguren durchsetzte Blattranke abgeschlossen, über der ein Blattfries durchläuft. Die beiden unteren
Drittel des Denkmals sind an den Außenseiten in Muschelnischen aufgelöst, die auf kurzen Säulchen ruhen.
Adler mit ausgebreiteten Flügeln, wohl das Abzeichen kaiserlicher Stiftung, bilden den Zwickelschmuck,
über dem an den Frontseiten wieder eine Traubenranke von zackiger, aber flacher Blattbildung den Zwischen-
raum ausfüllt. Weist schon dieses bevorzugte Motiv wie auch der Wulstfries in seiner Zusammensetzung
auf die Beziehung zur Kunst Syriens hin, so könnte man vollends die Reliefdarstellungen für lokalsyrische
Arbeit halten, böte nicht der Blattschnitt des Akanthus die Gewähr für engen Zusammenhang mit dem
prokonnesischen Kunstkreise (s. unten). An den Säulenkapitellen zeigt seine Form noch eine an klein-
asiatischen Denkmälern mehrfach vorkommende gebohrte Behandlung, während am oberen Blattfriese die
vorgebohrten Zacken schon ganz wie in der byzantinischen dekorativen Architektur des 5. Jahrhunderts
herausgearbeitet sind. So wird das Werk durch einen syrischen Meister auf der Prokonnesosinsel für
die Georgskirche von Saloniki gefertigt sein. Auf der einst dem Gemeinderaum zugewandten Stirnseite des
einen der beiden halbkreisförmigen Teile erblickt der Beschauer die thronende, das Kind auf ihren Knien
haltende Gottesmutter, auf dem Gegenstück einen der drei Magier, dem von links seine Gefährten folgen.
Ihre lebhaften Gebärden kennzeichnen den Augenblick, in dem sie durch den Anblick des Sternes über-
rascht werden. Baumzweige im Reliefgrunde deuten den Schauplatz an und verbinden mit dieser Szene die
Gestalt eines in der letzten Nische bei seiner _______ Herde stehenden Hirten,
also eine abgekürzte Darstellung des beliebten "k Gegenbildes der Haupt-
szene in der syrischen Kunst (S. 132/3). Auf (£*4% diese aber beziehen sich
Ambon (aus Saloniki)
Front- u. Seiten-
ansicht der
rechten Hälfte.

Abb. 125. Die Gottesmutter mit dem Kinde, Engel und drei huldigende Magier.
136 ENTSTEHUNG DES GEFLÜGELTEN ENGELTYPUS

die Figuren [in den drei übrigen Nischen der


anderen Seite, in denen die Könige mit Ge-
schenken zwischen zurückgezogenen Vorhängen
herantreten, der erste geführt vom Engel, der
in flacher Bildung von merklich kleinerem Maß-
stabe vor ihm auf der Grundfläche eingeschoben
ist. Eine solche Nichtachtung der dekorativen
Wirkung des Reliefs als flächengestaltender Kunst
zugunsten der Vollständigkeit des gegenständ-
lichen Ausdrucks hätte sich ein griechischer
Meister auch im 5. Jahrhundert kaum zuschulden
kommen lassen. So vereinigen diese Darstel-
lungen alle Vorzüge und Schwächen syrischer
Kunstauffassung und syrischer Technik: das
lebendige Gestaltungsvermögen, die unantike Ge-
bärdensprache und die gewaltsamen Bewegungen,
die ungleichmäßigen Proportionen, die nüchtern
realistische Wiedergabe des Stoffcharakters an
den schweren Mänteln, wie nicht minder im
Faltengeschiebe der dünneren Kleidungsstücke.
Dazu kommt der rücksichtslose Abbau des Re-
liefs, wie er sich besonders in den mißglückten
Verkürzungen der ungelenken Sitzfigur verrät
und die auf optische Wirkung berechnete, mehr
schneidende und ritzende als formende Darstel-
lung aller Gebilde des hinteren Planes. Zugleich
fällt aber auch die den Ciboriumsäulen von San
Marco gleichartige Verwendung des Nischen-
motivs in die Augen.

Abb. 126. Portal in Koja-Kalessi (Isaurien)


Wie sich im ganzen Stil des Ambon von
(nach Headlam, Journ. of Hell. Stud. Suppl. Pap. II). Saloniki die syrische Kunstrichtung verrät,
so entspricht ihr auch die Einfügung des
geflügelten Engels in die Komposition der Magieranbetung (eine flügellose Gestalt weist hier
schon die Sarkophagplastik in Gallien auf). Unterliegt es doch keinem Zweifel, daß diese
christliche Kunstschöpfung in Syrien ihren Ursprung hat und im Grunde auf einer bloßen
Umdeutung der antiken Siegesgöttin beruht. Den Anlaß gaben dazu augenscheinlich die be-
liebten Einzelgestalten oder Figurenpaare der Niken oder Viktorien, die zum Ruhme hochge-
stellter Persönlichkeiten, vor allem aber Verstorbener (Abb. 13) ihr Porträtschild tragen. Die
Ausprägung des Bildnischarakters der heiligen Gestalten der christlichen Religion forderte ge-
radezu bei Weiterverwendung dieser wirkungsvollen Gruppierung die Bedeutungsverschiebung.
Daß sie sich in Syrien vollzogen hat, dafür zeugen noch mehrere, ziemlich rohe Darstellungen
der Gottesmutter mit dem Kinde im Brustbilde oder auf dem Thron an Türbalken syrischer
Kirchen des 5. und 6. Jahrhunderts (Zebed, Kanasir). Weit höher steht aber in künstlerischer
Hinsicht sowie dem ikonographischen Gegenstände nach ein in Kleinasien ausgeführtes Bild-
werk (Abb. 126). An einem Portal des 5. Jahrhunderts in Koja Kalessi (Isaurien) tragen
zwei schwebende Sechsflügler, eine der orientalischen Phantasie entsprungene Abart des
Engeltypus, das Brustbild des bärtigen Christus selbst. Zwei Erzengelgestalten an den Pfeilern
und Büsten (von Evangelisten?) erhöhen das Interesse des merkwürdigen Denkmals.
Der zuerst von Dobbert vertretene altchristliche Ursprung der Ciboriumsäulen von S. Marco ist heute
allgemein anerkannt, ihr orientalischer Kunstcharakter durch H. v. d. Gabelentz, Die mittelalt. Plastik
Tafel IX

Holztür der Basilika von S. Ambrogio (Mailand)


(nach A. Goldschmidt, Die Kirchentür des hl. Ambrosius in Mailand, 1902)
DIE HOLZSCHNITZEREI — DIE MAILÄNDER TÜR VON S. AMBROGIO 137

Venedigs, Leipzig 1903, S. 1 ff. überzeugend erwiesen, wenngleich von anderer Seite mit Unrecht noch
immer bestritten, die von Venturi, a. a. O. I, S. 454 vermutete Übertragung aus Pola 1243 unwahrschein-
lich; vgl. die weitere Lit. bei Reil, a. a. O., S. 72 (mit verfehltem Vermittlungsversuch). Vom Erstgenannten
a. a. O., S. 148, und von G. Swarzenski, K. Gesch. Anz. 1904, S. 42, wurde auch die Hergehörigkeit der
wichtigsten übrigen in Venedig erhaltenen Reliefs erkannt. Die entsprechenden Bruchstücke in Syrien
wurden von Th. Uspenskij, Bull, de Einst, archeol. russe 1902, S. 106 u. 112 bekannt gemacht. Zur Würdigung
der Palmyrenischen Skulpturen vgl. Strzygowski, Orient od. Rom, S. 21 ff. Über die Entstehung des
Engeltypus aus der Siegesgöttin desgl. Strzygowski, a. a. O., S. 25, und Hellenist, u. Kopt. K. S. 7 ff., sowie
zuletzt K. Felis, Röm. Quartalschr. 1912, S. 3 ff. Das Portalrelief von Koja Kalessi wurde von A. C. Headlam,
Journ. of Hell. Stud. Suppl. Pap. 1892, S. 10 ff., veröffentlicht; die syrischen Denkmäler vgl. bei H. Crosby
Butler, Publ. of an Amer. Exped. to Syria in 1899/1900. P. II Architect. etc., New-York u. London 1904,
S. 307, Fig. 117 u. a. m. Im übrigen vgl. Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 225 ff.
Glücklicherweise bildet die in so wenigen Resten vertretene Steinplastik nicht die einzige
Quelle unserer Erkenntnis der syrischen Kunstentwicklung. Daneben stehen einzelne wichtige
Denkmäler der Holzskulptur. Ein frühes Werk der Schnitzerei gibt dem frontalen Kompositions-
prinzip schon reichlichen Spielraum, zumal seine Figuren in zum Teil kräftiger Ausrundung
gearbeitet sind: die Tür im Hauptportal von S. Ambrogio in Mailand aus der Zeit der Erbauung
der Basilika durch den heiligen Ambrosius (379—386), deren altchristlicher Ursprung ihrer
schlechten Erhaltung wegen bis vor einem Jahrzehnt allgemein verkannt wurde (Tafel IX).
Erneuert ist an ihr laut Inschrift von 1750 zugleich mit dem tektonischen Verband das gesamte
flächenfüllende Ornament der Akanthusranke, wenngleich in getreuer Nachbildung einzelner auf der Rück-
seite wieder befestigter Bruchstücke, deren eigenartig trockene Blattformen, wie in der syrisch-palästinensi-
schen Architektur, fast zur Wirbelrosette umgebildet erscheinen, während an den Figuren sämtliche Köpfe
ergänzt, vorstehende Arme vielfach weggeschnitten und falsch wieder angefügt worden sind. Das Motiv
der inneren Umrahmung der Reliefbilder, eine Spielart der gesprengten Palmette, ist der Ornamentik der
christlichen Elfenbeinplastik nicht fremd. In der äußeren findet sich die Weinranke vor, in der trauben-
naschende Vögel sitzen, wie an der berühmteren Tür von S. Sabina, doch ist sie (in den alten Teilen)
naturalistischer aufgefaßt. Auch die klassische Gesamteinteilung der Mailänder Tür und die tiefere Bettung
der Relieftafeln entspricht ihrer früheren Entstehung. Der zeremonielle Charakter der Bilder, in denen
die Gestalten meist ziemlich locker in Frontstellung um eine Mittelfigur oder Hauptgruppe verteilt sind,
steht mit dem Stoff im fühlbaren Widerspruch. Erzählen sie doch die bewegte Geschichte Davids, ein
Lieblingsthema der Predigten des heiligen Ambrosius, und zwar in friesartigen, in den Hochfeldern ver-
doppelten Streifen. Die vier untersten Reliefs sind gänzlich erneuert, im Kirchenarchiv werden jedoch noch
die größeren alten Tafeln bewahrt, die Davids Zusammentreffen mit dem Löwen und Bären, Samuels Nach-
forschungen unter Isai’s Söhnen und die Salbung des Heimgeholten schildern. Die Figurenanordnung ist
hier gedrängter und reicher an Überschneidungen. In den Landschaftsbildern fehlt auch die Symmetrie.
Sie beweisen, daß den Typen des Davidstoffes die malerische Bildgestaltung an sich nicht fremd war. In
den übrigen Szenen sind davon nur einige Hintergrundsarchitekturen beibehalten worden.
Daß wir aber berechtigt sind, dieses Werk der Holzschnitzerei dem syrisch-palästinensi-
schen Kunstkreis zuzuweisen, dafür zeugen außer den gegenständlichen Beziehungen zu meh-
reren gallischen und italischen Sarkophagen und zu den koptischen Fresken von Bawit
(Kap. V) oder den Miniaturen byzantinischer Prachthandschriften (vor allem des Pariser
Psalter N. 139) die beiden das konstantinische Monogramm tragenden Engelpaare in den obersten
Relieffeldern mit ihrer steifen Haltung und der geradlinigen Flügelbildung, — sind sie doch
ganz ähnlich sowohl in der Elfenbeinskulptur wie in der monumentalen Plastik Syriens (s. oben)
wiederholt vertreten.
Dieselbe Stilwandlung, die in der Steinplastik des ausgehenden 4. und 5. Jahrhunderts
so entschieden einsetzt (S. 132/3), mußte auch die syrische Holzschnitzerei ergreifen. Die weitere
Entwicklung des syrisch-palästinensischen Reliefstils erschließt sich uns aus den Bildwerken der
berühmten Tür der Basilika von S. Sabina in Rom (Tafel X), die sicher ungefähr gleichzeitig
138 DEKORATION UND BILDERZYKLUS DER TÜR VON S. SABINA

Abb. 127. Entrückung Habakuks, Kreuzigung und Gesetzesübergabe; Relieftafeln der Holztür von
S. Sabina (Rom)
(nach Wiegand, Das altchristl. Hauptportal an der Kirche der hl. Sabina).

mit dem Bau, d. h. um das Jahr 430, ausgeführt ist. Daß man im 5. Jahrhundert in Rom
syrische Schnitzer mit der Ausführung betraute, erscheint so wenig unmöglich wie in Mailand,
wenn auch dessen großer Bischof lebhaftere Beziehungen zur orientalischen Kirche pflegte.
Die deutlichsten Hinweise ergeben für das römische Denkmal die ornamentalen Füllungen der Rück-
seite. Ihre unendlichen Muster gehen am nächsten mit der geometrischen Dekoration der syrischen Bau-
kunst zusammen, ihre Ranken und Blattformen finden im Abendlande keine Parallele. Von den rein deko-
rativen Motiven der Schauseite ist zwar die Weinranke der römischen Kunst der Kaiserzeit längst bekannt,
aber ihre strenge Durchstilisierung nach dem Prinzip der intermittierenden Ranke weist nach dem helle-
nistischen Orient, wo auch die Vorliebe für die wulstartige Bildung tektonischer Glieder herrscht. Die
innere Rahmenleiste, welche die einzelnen Reliefs umschließt, vermag ihre Entstehung aus einer naturali-
sierenden Umbildung der lesbischen Welle nicht zu verleugnen. Die ganze vierteilige Zusammensetzung
aber kommt der Einteilung der rein ornamental behandelten Flügeltür der Justinianischen Basilika des
Katharinenklosters auf dem Sinai am allernächsten.
Die ursprüngliche Anordnung der achtzehn Tafeln, — von achtundzwanzig sind nur so viele
erhalten, — die in horizontalen Reihen von größeren Hoch- und kleineren Querfeldern miteinander ab-
wechseln, ist durch Restaurationen (1836 und 1891) gestört. Anscheinend waren die ersteren nach anti-
typischen Beziehungen, die letzteren größtenteils zu einem Passionszyklus zusammengestellt. Die Mehrzahl
der kleineren Bilder verrät eine gröbere Hand, ihre einförmigere friesartige Komposition ist durch das
Format bedingt. Durch Hinzufügung eines Mauerhintergrundes mit Quaderschichtung oder trennender
Bäume ist jedoch der Eindruck einer räumlichen Umgebung angestrebt. Die christologischen Szenen zeigen
manche Beziehungen zu den entsprechenden Sarkophagtypen, vor allem die mit der Kreuztragung verknüpfte
Händewaschung des Pilatus (Abb. 95). Unter ihnen bildet die Darstellung des Kreuzestodes Christi das
früheste sichere und für diese Zeit das einzige Beispiel, das den Gekreuzigten selbst mit porträthaften
Zügen in voller Gestalt, nur mit dem Lendentuch bekleidet, zeigt (Abb. 127). Ein paar Denkmäler der
Kleinkunst bieten die einzigen Gegenbeispiele zu dieser Auffassung, aber mit jugendlichem Kopftypus und
ohne die Nebenfiguren der Schächer. Das deutet darauf hin, daß wir es an der Tür von S. Sabina mit
der Fortbildung einer älteren hellenistischen, vielleicht gar einer gnostischen Christusgestalt in historischem
Sinne zu tun haben. Gerade in Palästina kommt alsbald ein anderer, der strengeren religiösen Empfindung
angemessener Typus auf. Und doch zeugt der Christus der Kreuzigungsszene an der Sabinatür für und
nicht gegen ihren palästinensischen Kunstcharakter, denn dieser bärtige Kopf mit dem auf die Schultern
herabfallenden welligen Haupthaar, wie er in ihrem Reliefzyklus auch dem Auferstandenen öfter verliehen
ist, entspricht einem Christusbilde von durchaus persönlichem und zugleich volkstümlich jüdischem Charakter.
Er stellt die individuellere Ausprägung des gemeinhellenistischen bärtigen Typus (S. 121) dar. Sein ent-
scheidendes Merkmal ist die Scheitelung des Haares, die sich dadurch, daß sie in der altchristlichen Kunst
auf Engel, Priester, Propheten und verwandte Gestalten beschränkt bleibt, als echt jüdische Volkstracht
kennzeichnet. Es steht damit im Einklang, daß ihr an der Holztür auch das jugendliche, im 4. Jahrhundert
bereits in römische Katakombenfresken (S. 91) eindringende Christusideal unterworfen ist. Am klarsten
durchgebildet erscheint dieser Jünglingstypus in einer wohl nur falscher Restauration zufolge auf den Gang
nach Emmaus gedeuteten Szene (Abb. 127). Diese dürfte vielmehr die Übergabe des Gesetzes in einer vom
Tafel X

-a3gä/B:

i»i>JV»-.'

i.

1. Holztür der Basilika der hl. Sabina (Rom)


2. Relieffries vom Gebälk im Altarraum der Kirche al Mucallaka (Kairo)
(nach dem Abklatsch der K. Eremitage in St. Petersburg)
KOMPOSITION UND STIL DER TÜR VON S. SABINA 139

gewöhnlichen Typus etwas abweichenden Komposition darstellen, sind doch Petrus und Paulus darin deutlich
charakterisiert und sogar durch den Nimbus ausgezeichnet, den selbst Christus nur als Auferstandener trägt.
Das einzige erhaltene alttestamentliche Bild kleinen Formats stellt Habakuk dar, wie er einem hütenden
Hirten das Brot zuträgt und vom Engel am Schopf ergriffen wird, um durch die Lüfte zu Daniel ent-
rückt zu werden (Abb. 127). Die malerische Komposition teilt dieses Relief mit der Mehrzahl der größeren
Tafeln, unter denen ihm die Himmelfahrt des Elias am nächsten steht. Viel kühner und reicher als auf
den Sarkophagen (Abb. 102) ist hier der Vorgang gestaltet. Eine Biga, kein Viergespann, trägt den Pro-
pheten empor, dessen Ellenbogen ein aufwärts weisender Engel in einer Stellung, die noch an die kranz-
haltenden Viktorien der Antike erinnert, mit einem Stabe berührt. Elias faßt den Zipfel seines Mantels.
Die Berglandschaft wird durch eingehauene Stufen und eine Quelle als die Stätte am Jordan bezeichnet,
wo nach einem Pilgerbericht Elias gen Himmel gefahren und die beiden Prophetensöhne, — die Zeugen
des Vorgangs auf unserem Relief, — die Klingen ihrer Hacken verloren haben sollten. Schwerlich hätte
ein römischer Künstler auf diese palästinensische Lokallegende so deutlichen Bezug genommen. Wie in
der zuletzt betrachteten Szene, so ist auch auf dem Nebenbilde des Durchzugs der Juden durch das Schilf-
meer die Umgebung mit aller Deutlichkeit wiedergegeben, und zwar in auffallend hohem perspektivischem
Aufbau der Komposition. Moses und die Seinen stehen schon jenseits der Fluten, in denen die Krieger
Pharaos versinken, während neben der Halbfigur der Nacht die Flammensäule aufsteigt. Unten ist das
Schlangenwunder (2. Moses, VII, 9) hinzugefügt. Auf dem darüber befindlichen Himmelfahrtsbilde und bei
der Berufung des Moses in der unteren Reihe erfüllt die hellenistische Terrassenlandschaft wieder die ganze
Höhe des Bildes. Dort verteilen sich die Apostel, hier die einzelnen Szenen auf die Absätze des Felsen-
hanges. Wir sehen unten Moses seine Schafe weiden, dann, von einem Engel angeredet, vor dem bren-
nenden Busch die Sandalen lösen, endlich aus der Hand Gottes die Rolle empfangen, nachdem er zuerst
mit verlegener Gebärde Ausflucht gesucht hat, — wohl der früheste nachweisbare Fall der Verdoppelung
einer Gestalt zur Wiedergabe zweier Zeitmomente in der altchristlichen Kunst. Zugleich beginnt aber die
Szenerie sich aufzulösen, indem bei den oberen Gruppen das Terrain nur durch plastische Standlinien
veranschaulicht wird. Hat sich der Künstler der als Gegenstücke darüber angebrachten Relieftafeln,
welche links neutestamentliche Wunder, rechts Mosesszenen darstellen, nicht gescheut, das ganze Feld aus
friesartigen Einzelbildern zusammenzusetzen, so hat dieses Übereinanderstellen mehrerer Figurenreihen
auf einer Tafel der unteren Reihe einen ganz anderen Sinn. Dort wenden sich drei Gestalten in Sena-
torenkleidung und drei in einfacher Volkstracht in Akklamation einem Manne zu, der in Orantenstellung
vor einem Kirchengebäude dasteht, und auf den ein Engel hinweist (Tafel X, 1). Alle diese Figuren sind
offenbar auf einem Niveau gedacht, wir haben es also mit dem in der oströmischen Triumphalplastik
(s. unten) sehr gebräuchlichem Prinzip der senkrechten Staffelung zu tun. Dadurch eröffnet sich uns ein
Ausblick auf eine einheitliche Entwicklung. Wie im Reliefstil der Staatsdenkmäler gewinnt die abstrakte
orientalische Raumbehandlung in der christlichen Kunst Syriens das Übergewicht über die unmittelbar
veranschaulichende griechische, bis zur Aufgabe aller konkreten Elemente der Szenerie und rücksichtsloser
Vervielfältigung der Standlinien, dem Stilprinzip der altassyrischen Kunst. Es ist kein Zufall, daß eine
zeremonielle Szene an der Sabinatür das klarste Beispiel dafür bietet. Ihre schwerfälligen Figuren von
eckigem Umriß sind auch die nächsten Verwandten der Senatoren und Pänulaträger aus der Szene der
Geldspende am Konstantinsbogen (s. unten). Demnach wird sich jenes vielumstrittene und dennoch unent-
rätselte Relief vielleicht auf eine Stiftungslegende der Kirche beziehen. Das letzte der oberen Reihe aber
könnte wohl die Krönung der Namensheiligen darstellen, der die Hauptapostel zur Seite stehen (S. 109)
und über der Christus in der Glorie erscheint. Dieser Typus der Majestas entspringt zwar aus dem
Himmelfahrtsbilde der syrischen Malerei (s. Kap. V), doch ist hier schwerlich mit Recht eine Darstel-
lung dieses bereits auf der Nebentafel wiedergegebenen Vorgangs vermutet worden.
Deutlich genug macht sich an der Sabinatür in jenem Zeremonialbilde, sowie in den
kleineren Reliefs der Frauen am Grabe und ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen das-
selbe, der freien malerischen Bildgestaltung feindliche Element geltend, dessen wachsende
Bedeutung schon die vorerwähnten Denkmäler erkennen ließen. Das frontale Dastehen der
Figuren bei seitlicher Aktion der Arme bringt in die Darstellung einen repräsentativen Zug
hinein, setzt die Figuren mit dem Beschauer in unmittelbare Beziehung. Bei weiterer Steige-
rung mußte es eine unnatürliche Gebundenheit in der Wiedergabe der Handlung hervor-
140 AUSDRUCKSGEHALT DER SYRISCHEN KUNST — LITERATUR

rufen. Wie sich


dieser Stil inner-
halbdersyrischen
Kunst fortentwik-
kelt, können wir
an den Denkmä-
lern der Klein-
plastik (s. unten)
noch durch das
6. Jahrhundert be-
obachten. Ihren
Höhepunkt aber
hat sie offenbar
schonumdieWen-
de des 4. erreicht.
So trümmerhaft
die wenigen Über-
bleibsel dieser
Blüte vor uns ste-
hen, gewähren sie
doch tiefe Ein-
blicke in ihr We-
sen, — vor allem
die Ciboriumsäu-
len von S. Marco
Abb. 128. Kelterung der Trauben und Weinlese, Porphyrsarkophag der Konstantina und das Portal
(Vatikan. Museum).
von San Sabina.
Immer entschiedener setzt sich in ihnen die Abkehr vom Kunstwollen der Antike durch, immer
rücksichtsloser richtet sich die künstlerische Gestaltung auf den reinsten Ausdruck des geistigen
Geschehens. So bewegt auch oft die Szenen sind, kommt doch die Bewegung nie um ihrer
selbst willen, sondern nur, soweit sie Gebärde ist, zur Geltung. Auf ihre organische Durch-
bildung wird wenig Wert gelegt. Die Örtlichkeit wird nur so weit angedeutet, als zur Ver-
anschaulichung der Umgebung der Vorgänge erforderlich scheint. Bei solcher Vereinfachung
der Mittel aber wird doch immer der Eindruck der Wirklichkeitsnähe angestrebt und erreicht.
Das alles bedeutet eine Vergeistigung der bildenden Kunst, die der syrischen Rasse im christ-
lichen Kunstschaffen die Führerschaft gewonnen hat. Durch die Betrachtung ihres Einflusses
auf andere Kunstkreise sowie der Werke der Kleinplastik (s. unten) läßt sich auch unsere
Vorstellung von ihrer Eigenart noch bereichern.
Die Mailänder Tür wurde von A. Goldschmidt, Die Kirchentür des hl. Ambrosius in Mailand, Straß-
burg 1902, als altchristliche Arbeit erkannt und schon von Strzygowski, Byz. Zeitschr. 1902, S. 666, für
orientalisch erklärt. Die Kirchentür aus dem Katharinenkloster des Sinai vgl. bei L. de Beylie,. L’habitation
byzant., Paris 1902, S. 182 c. Für die Beurteilung der von J. Wiegand, Das altchristl. Flauptportal an der Kirche
der hl. Sabina, Trier 1900, bis ins einzelne untersuchten Holztür von Sla S. sind im übrigen die Beobachtungen
von Ainalow, a. a. O., S. 121 ff., ausschlaggebend; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903, S. 56, und die Zusammen-
stellung der Lit. bei Reil, a. a. O., S. 70 sowie Die frühchristl. Darst. der Kreuzigung, Leipzig 1904, Stud. üb.
christl. Denkm., hsg. v. J. Ficker, N. F. 2. Heft, S. 59. Über die Fortbildung (bezw. Auflösung) der hellenistischen
Terrassenlandschaft handelte Ainalow, a. a. O., S. 125 und Wulff, Die umgekehrte Perspektive, K. Wiss. Beitr.
DIE NACHKONSTANTINISCHE RELIEFPLASTIK IN ALEXANDRIA 141

A. Schmarsow gewid-
met, Leipzig 1907,
S. 9 ff. Den palästi-
nensischen Christus-
typus hat N. Müller,
Realencykl. für prot.
Theol. und Kirche,
2. Aufl., hsg. von
Hauck, IV. S. 75,
näher bestimmt.

3. Die alexandri-
nische und kop-
tische Reliefpla-
stikseitKonstan-
tin d. Gr.
Die antike Kunst
war dem Geist des
Christentums zu
fremdartig, als daß
es seinen künstle-
rischen Gedanken-
ausdruck dauernd
aus ihr allein hätte
schöpfen können.
Jetiefererdieorien-
talischen Rassen Abb. 129. Besiegung und Einbringung gefangener Barbaren, Porphyrsarg der
hl. Helena (Vatikan. Museum).
durchdrang, um so
mehr mußte deren anders gerichtete Anschauungsweise auf die christliche Kunstsprache Ein-
fluß gewinnen. Nirgends aber war der Gegensatz größer als zwischen dem hellenistischen
Alexandria und seinem von den Kopten, den christlichen Nachkommen der alten Ägypter,
bewohnten Hinterlande, das sich nie der griechischen Kultur wirklich erschlossen hatte. Sein
Christentum nahm daher bald eine noch entschiedenere lokale Färbung an als das syrische,
dessen kosmopilitische Wirkung ihm freilich dafür versagt blieb. Die koptische Kunst erwächst
aus jenem Widerspruch nationaler Kunstauffassung und der ihr aufgezwungenen fremden
Kunstform. Sie wäre undenkbar ohne die Voraussetzung des üppigen, das Niltal beherrschen-
den alexandrinischen Kunststils. Die Zersetzung der griechischen Typen aber hat im Hinter-
lande noch vor seiner völligen Christianisierung begonnen. Sie ergriff alsbald auch die von Syrien
her zuströmenden neuen christlichen Kunstelemente.
Die christliche alexandrinische Skulptur bewahrte noch über das 3. Jahrhundert hinaus
manche ihr mit der gleichzeitigen heidnischen Bildnerei gemeinsamen Formen. Die Motive des
Puttengenre, der Weinernte u. a. m. blieben in Alexandria neben den Hirtenbildern und bi-
blischen Szenen beliebt. Sie schmücken noch um Mitte des 4. Jahrhunderts in ganz dekorativer
Komposition, von schweren Akanthusgewinden umrankt, den Porphyrsarkophag der Tochter
Konstantins des Großen Konstantina aus S. Costanza (Abb. 128). Ein ganz ähnlicher Deckel
in Alexandria aber und ein paar übereinstimmende Bruchstücke aus Konstantinopel (daselbst
142 FORTBILDUNG DES RELIEFSTILS DER TRIUMPHALPLASTIK

und in Berlin) bezeugen, daß diese kaiserlichen Prunksarkophage


von dorther bezogen wurden, wo der Porphyr gebrochen wurde.
Durch die starre Bewegung und glatte Modellierung mit weni-
gen, etwas kleinlichen Einzelformen, die der harte Stein bedingt,
blickt auch hier der Geschmack an üppiger Körperbildung
durch. Prall umspannt die Haut die Glieder der dicken Jungen,
die mit der Lese und Kelterung der Trauben beschäftigt sind.
Figuren und Ornamente erscheinen dabei wie durchschnitten
und auf die Fläche aufgesetzt.
Die Einheitlichkeit der alexandrinischen Geschmacksrichtung erhellt
aus den engen Beziehungen, die zwischen solchen Denkmälern und Werken
der kleinplastischen Zierkunst bestehen. Eine kleine Holzschnitzerei (aus
Alexandria) im Berliner Museum, wohl noch aus dem 3. Jahrhundert, gibt
denselben Puttentypus in drei feisten Liebesgöttern, die auf einem Baume
sitzend eine schlanke Artemis umgeben, in noch weichlicherer Bildung
wieder. Sie bezeugt den hohen Stand der alexandrinischen Schnitztechnik,
die sich hier in einem durchbrochen gearbeiteten Hochrelief versucht.
Ihre Erzeugnisse konnten gegen die in Ägypten vordringende syrische
Holzplastik wohl bestehen. Das bedeutendste Stück von etwas jüngerem,
durch den Stil der Staatsdenkmäler beeinflußtem Charakter scheint ein
Ereignis aus einem der Einfälle des libyschen Nomadenstammes der
Blemmyer in das Nilland darzustellen (Abb. 130). Gepanzerte Reiter be-
Abb. 130. Entsetzung einer von stürmen eine befestigte Stadt, unter deren Mauern sie vornehme Gefangene
Barbaren bestürmten Stadt, am Galgenholze aufgehängt haben. Ein römisches Entsatzheer rückt
Holzschnitzerei (im Kaiser- unter dem Kreuzesbanner an und schlägt, vereint mit der zum Ausfall
Friedrich-Museum in Berlin). hervorbrechenden Besatzung, die Libyer in die Flucht. Zwei vornehme
Persönlichkeiten — vielleicht von kaiserlichem Range —, die von der mit
kirchlichen und Profanbauten bestandenen Akropolis den Vorgang beobachten, sind dadurch gerettet,
dank dem Schutz der Apostel oder Heiligen, welche niemandem sichtbar neben ihnen auf Freund und
Feind herabschauen. Diese verwickelte Szene ist mit trefflich berechneter Größenabstufung der Figuren,
teils vollrund, teils in mehrschichtigem Hochrelief aus hartem Zypressenholz herausgeschnitten. Der Be-
schauer ist gleichsam unter den Kämpfern zu ebener Erde gedacht, und mit ihren Augen sieht er die Krieger
hoch oben auf den Mauern in verkleinertem Maßstabe. Ist diese Vorstellung auch nicht mit Folgerichtig-
keit durchgeführt, da die oberen Gestalten wieder bedeutender genommen sind, so beruht die perspektivische
Verwertung der Höhendimension doch auf einem allgemeinen Kompositionsprinzip der oströmischen Triumphal-
plastik (s. unten). Kostüm und Typen entstammen der letzteren und weisen eher ins 5. als ins 4. Jahr-
hundert. Die alexandrinische Kunst hat augenscheinlich die antiken Bewegungsmotive und Kontraposte,
an denen dieses Bildwerk reich ist, lange bewahrt, wenngleich die unbeholfene Standweise und der schwere
Tritt der vordringenden Legionäre schon die Zuwendung zu nüchterner Beobachtung der Wirklichkeit verrät.
Das nächstliegende Gegenbeispiel bietet wie-
der die Porphyrplastik.
Daß in Alexandria der monumen-
tale Reliefstil der mittleren Kaiserzeit
mit seinen fast frei herausgearbeiteten
Figuren fortlebte, dafür besitzen wir ein
Zeugnis in einem jener kaiserlichen
Prunksärge, in dem nach glaubwürdiger
Überlieferung Konstantins Mutter He-
■ 131' LZ Museum* ™ So)KalksteinreM lena beigesetzt war, mit seinen Gruppen
(nach strzygowski, Kopt. k. Cat. gen.). römischer Krieger und besiegter Barba-
URSPRUNG UND EIGENART DER KOPTISCHEN KUNST 143

ren (Abb. 129). Gleichwohl springen im Vergleich mit einer ganz ähnlichen Komposition am
Sockel der Säule des Antonius Pius die Unterschiede in der rücksichtslosen Auflösung der
malerischen Raumkomposition, die sich des letzten Restes von Terrainandeutung begibt und
die Gestalten einfach an die Grundfläche anheftet, in die Augen. In der massigen und här-
teren Formengebung aber geht der Helenasarkophag, wie in der Verwendung des Porphyrs
und in der tektonischen Gesamtform, mit jenen anderen, dem 4. Jahrhundert angehörenden Denk-
mälern (s. oben) durchaus zusammen.
Von der alexandrinischen Kunst erhielten die Städte des Nillandes eine Anzahl mytho-
logischer Kunsttypen, die als figürliche Motive im Gezweig der Akanthusranke oder der Rebe
die architektonische Dekoration belebten: Eroten, Tritonen und Nereiden, Pan, Satyrn und
Mänaden. Zu den beliebtesten Typen gehört Bacchus, der mit gekreuzten Beinen bequem
angelehnt stehend, seinem Panther das berauschende Naß in den Rachen gießt. An diesen
Skulpturen tritt eine aus bestimmten Ursachen entspringende Verbildung hervor. Der raffi-
nierte Kontrast zwischen Überfülle und zierlicher Schlankheit spitzt sich unter dem Einfluß
einer ganz anderen Naturanschauung zu. Indem die charakteristischen Merkmale der afri-
kanischen Rasse in diese Idealtypen gleichsam hineingesehen werden, entstehen Gestalten,
deren dicke Leiber und Oberschenkel auf dünnen Unterschenkeln ruhen, werden die Schultern
und der Oberkörper schmächtig, die Hüften hingegen, namentlich beim weiblichen Geschlecht,
schwer und massig. Der Rumpf zeigt oft eine scharfe Gliederung von ähnlichen Verhält-
nissen wie in der ägyptischen Plastik. Das Geschmeidige in der körperlichen Erscheinung
des einheimischen Menschenschlages kommt in der übertriebenen Biegung und Verrenkung
der knochenlos erscheinenden Glieder zum Ausdruck (Abb. 131). Wie das Verständnis
für den organischen Zusammenhang des bewegten Menschenleibes, so fehlt den Künstlern
auch das lebendige Gefühl für die Faltengebung und, wenn nicht nach ägyptischer Weise
ganz darauf verzichtet wird, greift, wie in der palmyre-
nischen Kunst, der Schematismus Platz (Abb. 133/4).
Macht doch ein tiefeingewurzelter Zug zum Ornamen-
talen die Stärke der koptischen Kunstbegabung aus.
Darin aber wird zugleich schon eine zweite, mehr äußere
Kraft wirksam: die technische und stilistische Gewöh-
nung der Bildhauer und das Material der weichen
Kalk- oder Sandsteinarten. Wie die altägyptische Kunst
kein Hochrelief kannte, so verfallen die griechischen
Kunstgebilde bei den Kopten einer fortschreitenden Ab-
flachung. Bald schwinden sogar die Ausladungen an
den Köpfen. Mund und Lippen und schließlich auch
die Nase liegen wie in einer Mulde eingebettet, da-
gegen bekommen die Augen bald durch kugelige Bil-
dung, bald durch ausgebohrten Augenstern einen
scharfen oder glotzenden Ausdruck (Abb. 131—135).
Schneiden und Bohren sind die bevorzugten Hand-
griffe der Technik, die zur Auflösung des Haares in
Reihen von Buckellöckchen, wie sie der krause Haar-
wuchs der äthiopischen Rasse in der Natur erzeugt, Abb. 132. Orans, Grabstele
■u -i u \l (im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin)
Teil beitragen. (nach Beschr. d. Bildw., 2. Aufl. III, 1).
144 ENTSTEHUNG EINHEIMISCHER CHRISTLICHER BILDTYPEN

Die hervorgehobenen Eigen-


schaften fallen z. B. bei den Leda-
gruppen (Abb. 131) stark ins
Auge, deren Verbreitung nicht
nur die Freude am Grobsinn-
lichen, sondern in erster Linie
wohl ein mystisch symbolischer
Hang und die Beziehung auf
einen volkstümlichen Mythus
erklärt. In Gestalt einer Gans,
welcher in der Tat der Vogel
manchmal gleicht, soll sich
Amon-Ra der Mutter Ameno-
(Abb. 133. Der hl. Apollon als Reiter, Relieffüllung eines Türbogens phis des Dritten, dessen Name
(aus Daschlug bei Bawit)
(nach Strzygowski, Hellenist, und kopt. Kunst). in Ägypten von besonderem
Nimbus umstrahlt war, bei-
gesellt haben. Daher ist es nicht ausgeschlossen, daß die Ledagruppen als Sinnbild der In-
karnation bereits der christlichen Kunst zuzuzählen sind. In seinen ererbten Religionsvor-
stellungen fand der Kopte überhaupt eine Menge von Anknüpfungspunkten für den neuen
Glauben. Dem mit dem Osirismythus Vertrauten bot der Auferstehungsgedanke nichts
Fremdartiges. So leben Tierbilder der ägyptischen Kunst und Schrift im christlichen Typen-
schatze weiter, der Löwe als Kraft der Erneuerung, der Frosch als bildlicher Ausdruck
der Unendlichkeit des Lebens u. a. m. Bezeichnend für das all-
gemeine Verhältnis ist die Umdeutung des altägyptischen Götter-
zeichens, des sogenannten ,,Henkelkreuzes“ oder ,,Nilschlüssels“,
dessen Lautwert (Anch) ,,Leben“ bedeutet, zum Monogramm
Christi. Vielleicht ist darin sogar der Ursprung jener Form des
letzteren zu suchen, in der sich das P mit dem im rechten Winkel
umgelegten X verbindet. Andere Tiersymbole übernahmen die
Kopten aus dem christlich-antiken Bilderkreise Alexandrias, wie
den Pfau und die Taube (Abb. 132). Aber diese wird auf den
Grabstelen oft zum Adler, dem alten Lichtvogel des Horus, der
wieder das Kreuz oder den Nilschlüssel im Schnabel trägt. Die
wichtigste Entlehnung aus dem frühchristlichen Formenschatz stellt
der Typus der Orans dar, der vorzugsweise für weibliche Verstorbene
als Stelenschmuck (Abb. 132) gebräuchlich ist und in späteren, tief
in die Zeit der arabischen Herrschaft hineinreichenden Beispielen
die Volkstracht statt des Idealgewandes aufnimmt. Wiederholt
wird auch die Mutter mit ihrem Kinde im Arm dargestellt, und
auch dann ist ihre Rechte manchmal zum Gebet erhoben. Das
Relief gewinnt in dieser Denkmälergattung mehr und mehr den
Charakter des gleichmäßigen, fast jeder plastischen Abstufung
Abb. 134. Heiliger Krieger, entbehrenden ägyptischen Flachreliefs, bewahrt aber die frontale
Holzschnitzerei
Komposition.
(im Kaiser-Friedrich-Museum)
(nach Beschr. d. Bildw. 2. Aiifl. UI, 1). Neben den handwerksmäßigen Darstellungen der Grabsteine
EINDRINGEN SYRISCHER CHRISTLICHER BILDTYPEN 145

hat die koptische Kunst eine Anzahl christlicher Ideal-


typen auf der Grundlage der antiken und der alt-
ägyptischen Kunst herausgearbeitet. Von diesen scheint
merkwürdigerweise ein zweifellos ägyptischer Christus-
typus in den Denkmälern der koptischen Stein- und
Holzplastik nicht vertreten zu sein: der dem Typhon-
besieger Horus nachgebildete Immanuel, der seine Füße
auf den Löwen und den Basilisken setzt (s. unten).
Die größte Volkstümlichkeit erlangte der Reiterheilige.
Er ging aus den Darstellungen des Kaisers als Gi-
gantenbesieger unter dem Einfluß ägyptischer und
gnostischer (S. 7/8) Vorstellungen von dem Krokodil-
besieger Horus, dem Überwinder des Bösen (Typhon),
und dem Drachentöter Salomo, dessen Bild ungezählte
Amulette trugen, hervor. In solcher Auffassung ist
früher oder später
so mancher Heilige in
Ägypten dargestellt
Abb. 135 Daniel mit den Löwen, Konsol- worden. Ein beson-
balken (aus Bawit)
(nach Beschr. d. Bildw. 2. Aufl. III, 1).
ders schönes Beispiel
bietet ein aus dem
Apostelkloster von Bawit herrührendes Kalksteinrelief (Abb.
133). Der Heilige in der von Engeln gehaltenen Aureole
trägt hier noch die römische Kriegerrüstung. Dieselbe Vor-
stellung fand noch in einem zweiten Typus des heiligen Krie-
gers, der gleichsam auf der Wacht dasteht, wie in vorchrist-
licher hellenistischer Auffassung die Grabeswächter Anubis
und Horus mit dem Sperber, ihre Ausprägung (Abb. 134).
Aus dem allgemeinen Stammtypus des Oranten und dem
Ideal des Kriegerheiligen erschuf die alexandrinische Kunst
vor allem das Bild des meistverehrten ägyptischen Märtyrers
Menas. Auf das untergegangene Reliefbild des Heiligen in
der Gruftbasilika (Kap. IV) geht der durch die ganze alt-
christliche Welt verbreitete Ampullentypus zurück, — aber
auch eine verkleinerte Nachbildung in Marmor im Museum
von Alexandrien.
Bei den wiederholt vorkommenden Hochreliefgruppen des
Orpheus liegen offenbar, da der Kreis der Tiere manchmal
sehr bereichert ist, schon Beziehungen zur syrischen Kunst vor,
deren Einfluß die Entwicklung der koptischen vom 4. Jahr-
hundert an in hohem Grade mitbestimmt hat. Ihr verdankt
diese einen bedeutenden Zuwachs an neuen Motiven von stren-
gerem kirchlichen Charakter. Die Vermittlerrolle spielte da-
Abb. 136. Apostel oder Evangelist,
bei die syrische Holzschnitzerei, die weit in das Hinterland Konsolbalken (aus Bawit)
eindrang und die Lehrmeisterin der koptischen wurde. Wenn (nach Strzygowski, Kopt. K. Cat. gen.).
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 10
146 STILISTISCHE ANGLEICHUNG DER ENTLEHNTEN TYPEN

z. B. an einem Konsolbalken aus den Ruinen


von Bawit der Kopf Daniels die echt kop-
tische Formengebung verrät, so weist doch
das persische Kostüm noch auf engsten Zu-
sammenhang mit dem orientalischen Vor-
bildzurück (Abb. 135). In derselben Tracht
erblicken wir ihn auf einem Kalksteinrelief
mit der Begleitfigur Habakuks aus dem syri-
schen Bildtypus. Syrisch ist vollends der
Typus des Apostels oder Evangelisten mit
dem Buch im Arm (Abb. 136), bei dem
die Nachahmung sogleich auch auf die Stein-
Abb. 137. Einzug Christi mit Engelgeleit, skulptur übergreift, wie der Vergleich zweier
Kalksteinrelief (aus der Amba-Schenute) anderen Konsolfiguren (Kairo) gleicher Her-
(nach Beschr. d. Bildw. 2 Aufl. III, 1).
kunft mit den Reliefs zweier Türpfeiler
(Louvre) bezeugt. Daher findet sich bei diesen kraftvoll aufgefaßten Figuren auch das
begleitende Nischenmotiv. Demselben Typus begegnen wir in symmetrischer Verdoppelung zu-
seiten eines mächtigen Kreuzes an der sogenannten Kathedra des heiligen Markus in Venedig,
augenscheinlich einer in Ägypten gefertigten Arbeit des 4. bis 5. Jahrhunderts. Da der übrige
bildliche Schmuck apokalyptischen Sinn hat —, nämlich das Lamm auf dem Paradiesesberge auf
der Rückenlehne und die Evangelistensymbole auf den Außenseiten —, so soll ohne Zweifel
durch die Zickzacklinien unten, das altägyptische Symbol des Wassers, das gläserne Meer ver-
sinnlicht werden, das unter dem göttlichen Stuhl erstrahlt (Offenb. Joh. IV, 6 und XV, 2). Die-
selbe Komposition der zu je zwei und zwei das Kreuz umstehenden Evangelisten sowie ihr Vorbild,
in dem zwei Engel die Stelle der Apostel als Ehrenwache des Golgathakreuzes einnehmen,
kennen wir aus der syrischen Kleinkunst (s. unten). Und auch diese Darstellung hat mehr-
fach in die koptische Flolzplastik Eingang gefunden. In einem weiteren Bildtypus syrischer
Abstammung tragen wieder zwei schwebende Engel das Kreuz oder das Brustbild Christi im
Kranze. Aber auch weit umfänglichere Kompositionen hat die syrische Schnitzerei der kop-
tischen Kunst zugeführt. So zwei Gegenbilder am Gebälk des Altarraumes der alten Kirche
Al Mu’allaka (Kairo), in denen dem triumphgleichen Einzug des Herrn in das irdische Jeru-
salem seine Aufnahme in die Herrlichkeit, die Himmelfahrt, gegenübergestellt ist (Tafel X, 2).
Und wie die Auffassung jener Szene sich nur wenig von mehreren syrischen Elfenbeinreliefs
(s. unten) unterscheidet, so bietet die Himmelfahrt die allernächste, wenngleich durch die Ge-
stalten Marias und der Apostel bereicherte Parallele zur entsprechenden Komposition an einer
Ciboriumsäule von San Marco (Abb. 113). Der jugendliche Christus wird auch hier von zwei
Engeln emporgetragen, während die Apostel ihm staunend nachblicken.
Die antiken Züge treten unter der fortgesetzten Einwirkung der syrischen Vorbilder
auch in der Steinplastik mehr und mehr zurück, der koptische Stilcharakter hingegen prägt
sich auch den neuen Typen bald auf. Vollkommener können alle Eigenschaften koptischer Auf-
fassung und Technik das Relief nicht beherrschen, als es bei einem Flachrelief des reitenden
und die Hand zum Segen erhebenden Christus der Fall ist (Abb. 137). Wieder scheint hier
sein Einzug in Jerusalem dargestellt, aber in mehr symbolischem Sinne, stützt doch ein Engel
die Rechte des Herrn, während ein anderer sein Reittier führt. An beiden Engeln, noch auf-
fälliger aber an einer Stele, die uns den heiligen Schenute, den gewaltigsten Prediger und
LITERATUR. — URSPRUNG DER CHRISTLICHEN FREIPLASTIK 147

geistigen Führer der koptischen Kirche, mit dem Stabe des Abts in der Rechten zeigt, —
beide Bildwerke sind aus der Klosterstätte der Amba Schenute in der Thebais in das Ber-
liner Museum gelangt, — hat sich ganz nach den Stilgesetzen der Kunst des Pharaonen-
landes die Darstellung des Oberkörpers in der Ansicht von vorn mit der Profilansicht des
Unterkörpers und ihrer charakteristischen Fußstellung vereinigt. Derselben Grammatik der
Formenbildung werden auch einzelne in vollem Hochrelief ausgeführte Werke der Spätzeit
unterworfen, ohne daß ein Zwang dazu vorhanden ist. Ein solches Denkmal (in Kairo) gibt die
in voller Vorderansicht dargestellte, das Kind auf ihren Knien haltende Gottesmutter, beide in
echt koptischer Stilisierung, nach einem syrisch-palästinensischen Ikonentypus wieder. An Alt-
ägyptisches gemahnt auch hier die Standweise der Engeltrabanten. Wenn aber selbst in den
rohesten Arbeiten die menschliche Gestalt einer völligen Schematisierung noch widersteht, so
reißt den koptischen Steinmetzen bei der Tierfigur sein angeborener ornamentaler Trieb schließ-
lich bis zur völligen Geometrisierung der Formen hin.
Die erste nähere Kenntnis der koptischen Kunst wurde der Forschung vermittelt besonders durch
Gayet, L’art copte, Paris 1902. Grundlegend für ihr Verständnis und ihrer Rückwirkung auf die alexandrinische
sind die Arbeiten von J. Strzygowski: Röm. Quartalschr. 1898, S. 14 ff. (Fries von Al Mucallaka u. a. m.);
Orient od. Rom, S. 75 ff.; Hellenist, u. Kopt. K. in Alexandria, Wien 1902, Bull, de la Soc., archeol.
d’Alexandrie, N. 5; Kopt. Kunst. Cat. gen. des antiqu. egypt. du Musee du Caire (Einl.), Vienne 1904;
Eine alexandrin. Weltchronik, Denkschr. d. K. Akad. d. Wiss. in Wien, Phil.-Hist. Kl. 1905. Vgl. auch meine
Vorbem. zu den Kopt. Denkmälern, Beschr. d. Bildw. d. Christi. Epochen, 2. Aufl., Berlin 1909, III, 1,
S. 24, 33 und 79, sowie Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 227 ff.

4. Die altchristliche und die profane oströmische Freiplastik.


Neben der vielgestaltigen Entwicklung der Reliefbildnerei erscheint das Schaffen der-
selben Epoche in der Rundplastik, zumal das christliche, fast ärmlich. Und schwerlich trägt
daran der Zufall gründlicherer Zerstörung der Standbilder die Hauptschuld. Dem Urchristen-
tum wohnte kein Antrieb zu selbständiger freiplastischer Neuschöpfung inne, ja es mußte
ihr seiner ererbten Religionsanschauung nach den stärksten Widerstand entgegensetzen. Die
Entstehung solcher Bildwerke beweist daher am schlagendsten den übermächtigen Einfluß,
den der Hellenismus schon in den ersten Jahrhunderten auf die christliche Denkweise gewann.
Ihm allein ist es zu danken, daß im Gefolge der Reliefskulptur auch eine christliche Frei-
plastik aufkommt.
Der verbreitetste statuarische Typus der altchristlichen Kunst kann seinen Ursprung aus
dem Relief nicht verleugnen; die Gestalt des guten Hirten. Einen unmittelbaren Zusammen-
hang zwischen ihr und manchen widdertragenden Gestalten der antiken Rundskulptur hat
man nicht nachzuweisen vermocht. Etwa zehn Statuetten von halber Lebensgröße, die
in meist unvollständiger Erhaltung auf uns gekommen sind, verteilen sich zur Hälfte auf
Rom und Spanien, zur anderen auf Griechenland und Kleinasien. Aus der bekanntesten und
schönsten, im lateranensischen Museum (Abb. 138), spricht echt hellenistischer Geist. Auch
zeigt der Marmor griechisches Korn. In ihr ist der Gotthirte schon eins geworden mit dem
Idealbild des jugendlichen, langgelockten Christus (S. 110). Wie auf den Sarkophagen der
alexandrinischen Richtung (S. 101 ff) trägt er das Lamm, mit jeder Hand zwei Füße fassend,
auf der Schulter, den Blick wie dort lebhaft zur Seite gewandt. Aber trotz der augenfälligen
Anlehnung an jenen Relieftypus ist die ganze Gestalt noch mit echt plastischer Vorstellungskraft
durchgebildet. Daraus ergibt sich die vollkommene Loslösung der Arme, die ausmodellierte,
wenngleich koloristische Haar- und die motivreiche Faltenbehandlung. Alles das verbürgt die
10’
148 TYPENENTWICKLUNG DER STATUETTEN DES GUTEN HIRTEN

Abb. 138—140. Statuetten des Guten Hirten (im Lateran- und im Ottoman. Museum)
(bei den beiden ersteren die Unterschenkel ergänzt).

Entstehung dieser liebenswürdigen Arbeit christlicher Bildhauerkunst um Mitte des 3. Jahr-


hunderts. So weit reicht von den übrigen Hirtenstatuetten kaum eine zweite zurück, und doch
mögen einzelne von ihnen andere Züge des Grundtypus in altertümlicherer Gestaltung be-
wahren. Darin freilich vertritt die Mehrzahl wohl eine jüngere Auffassung, daß der Hirte das
Tier nur mit der rechten Hand an den vier vor der Brust zusammengenommenen Füßen hält,
während er sich mit der freigewordenen Linken auf den Stab stützt. Auch von diesem Typus
bewahrt das Lateran-Museum das besterhaltene Beispiel (Abb. 139). Die Gestalt steht noch
ganz ähnlich da, aber die Formengebung ist mehr auf den Gesamteindruck berechnet, die
Fältelung der Tunika einfacher und das aufstrebende Haar massiger gebildet, ein zweifellos
ursprünglicher Zug, der den Zusammenhang mit dem ältesten satyrhaften Typus des Hirten-
bildes (S. 107) erweist. Und so mag es in Alexandria auch Statuetten des Gotthirten mit dem
alexanderähnlichen Idealkopf (S. 107) gegeben haben. Daß die Auffassung seiner Erscheinung
eine ebenso mannigfaltige Abwandlung erfuhr wie beim Relieftypus, bezeugt die bärtige Bil-
dung einer dritten römischen Figur. Andere (in Athen und Sparta) zeigen wieder bei ähn-
licher Haltung das lockige Haar. Der zweite lateranensische Typus aber besaß augenschein-
lich die weiteste Verbreitung, ist er doch auch im kleinasiatisch-byzantinischen Kunstkreise
durch zwei Statuetten (aus Thrakien und Brussa) des Ottomanischen Museums vertreten.
Diese tragen das Stilgepräge der prokonnesischen Plastik des 4. bis 5. Jahrhunderts. Die
flüchtige Arbeit will durch die geschlossene Silhouette (Abb. 140) und namentlich in der Falten-
gebung nur noch durch optische Mittel wirken. Aus dem schlanken Jüngling ist ein kräf-
ORPHEUSGRUPPEN U. A. GRABCIPPEN — CHRISTLICHE BILDNISPLASTIK 149

tiger Bursche von kurzer Statur geworden, der breit und


tölpelhaft, mit wenig entlastetem Spielbein vor uns steht. Die
(fehlende) Linke hielt den Stab oder Milcheimer, zu beiden
Seiten aber standen Lämmer, wie Hufreste an der Basis ver-
raten. Dadurch erklärt sich auch die Bestimmung eines halb-
lebensgroßen aufblickenden Tieres, dessen Stilisierung gar
ins 5. Jahrhundert weist (Berlin). Solche Gruppen kannte
schon das konstantinische Zeitalter. In Byzanz hatte der
Kaiser selbst zwei Brunnen auf dem Forum mit bronzenen
Bildwerken geschmückt, die den Guten Hirten zwischen zwei
Schafen und Daniel unter den Löwen darstellten. Die ur-
sprüngliche Verwendung der Hirtenstatuetten aber war schwer-
lich eine dekorative. Die unbearbeitete Rückseite läßt zwar
öfters, wie bei der letzterwähnten Figur, darauf schließen,
daß sie, in eine Nische gestellt, zum Schmucke kirchlicher
Architektur dienten. Eine athenische Statuette aber, an die
hinten ein Pfeiler angearbeitet ist, kann nur als Grabschmuck
gedient haben, wie ein paar in Hochrelief gearbeitete Cip-
pen in Rom und Nordafrika. Und diese Bestimmung gerade
wird den Anstoß zur statuarischen Ausgestaltung des Hirten-
typus gegeben haben.
Den gleichen Zweck erfüllten ohne Zweifel die Orpheusgruppen,
deren Verbreitung anscheinend auf den griechischen Osten beschränkt
geblieben ist, wo er auch der koptischen Kunst vertraut erscheint Abb. 141. Orpheus, Grabcippus
(S. 145). Dort muß der thrakische Sänger schon im heidnischen Ge- (im Central-Museum in Athen).
brauch eine der beliebtesten sepulkralen Gestalten gewesen sein. Den
Christen wurde er durch Vermittlung der gnostischen Sekten leicht ein Ebenbild des Herrn in mytholo-
gischer Verhüllung. Der ausgeprägt christliche Orpheustypus mit den Lämmern (S. 71) kommt nie als
Rundskulptur vor. Immer zeigen uns die Denkmäler den von wilden und zahmen Tieren umgebenen
Zaubersänger, wie er vor einem Baume sitzend die Kithara schlägt. Das besterhaltene Stükc befindet
sich in Athen (Abb. 141), ein ziemlich entsprechendes (unvollständiges) in Konstantinopel (ein Bruchstück
in Berlin). Neben Orpheus steht im ersteren links anscheinend eine Giraffe, rechts ein Hirsch, während
sich Elefant, Stier, Wildschwein, Löwe, Panther, Bär, Greif und Sphinx zum Kranz zusammenschließen;
zuoberst sitzen ein Pfau und andere Vögel, auf der phrygischen Kappe des Orpheus der Adler, auf seiner
Schulter die Taube, auf der Kithara ein Affe und eine Eule. Nur der Kentaur und Satyr der orientalischen
Denkmäler fehlen (s. unten Kap. V), am Sockel aber haben sich ein Pferd und sogar niedere Kriechtiere
eingefunden. Die Gruppe wird noch im beginnenden 5. Jahrhundert entstanden sein. Daß dieser Typus
als Cippus diente, macht die Form des Sockels klar, der überdies eine der hellenistischen sepulkralen
Tierkampfgruppen trägt. Eine Hauptwerkstätte solcher Grabpfeiler muß im südöstlichen Kleinasien gelegen
haben, ist doch in Tarsus ein ähnlicher Cippus (des Metropolitan - Museums in New-York) gefunden
worden, der in ausgeschnittenem Hochrelief die Auswertung und Ausspeiung des Jonas dargestellt zeigt
und den Beweis liefert, daß dort auch andere, den Sarkophagreliefs verwandte Typen in die Rundskulptur
übertragen wurden.
Als Statuen im vollen Sinn können von den aufgeführten Denkmälern nur die Dar-
stellungen des Gotthirten gelten. Aber nachdem einmal die Umsetzung von Relieftypen in
Rundbilder begonnen hatte, hielt auch die statuarische Stand- und Sitzfigur ihren Einzug in
die christliche Kunst. Das Pontifikalbuch berichtet von silbernen Statuetten des thronenden
Christus zwischen den Aposteln, sowie des Täufers und Marias zwischen Engelgestalten, die
Konstantin der Große dem Baptisterium des Lateran geschenkt habe. Durch Eusebius (f 340)
150 DIE ERHALTENEN SITZSTATUEN DES HIPPOLYTUS UND PETRUS

hören wir von einer berühmten Erzgruppe zu Paneas


in Galiläa ('S. 115), die den Herrn und das blutflüssige
Weib zur Erinnerung an das Wunder darstellte, das sich
dort vollzogen haben sollte. Ähnliche Bildwerke muß es
auch anderwärts gegeben haben, so wenig davon erhal-
ten ist. Die Bogenfelder und Nischen an den Fassaden
und im Innern altchristlicher Kirchen Ägyptens, Palästi-
nas und mancher Bauten in Byzanz waren sichtlich be-
stimmt, Statuen aufzunehmen. So stand über dem Por-
tal des Kaiserpalastes in Byzanz (vor der sog. Chalke)
ein gefeiertes Erzbild Christi, das im Bildersturm unter-
ging und von dem ein Denkmal der Kleinplastik (s. unten)
und spätere Bleibullen eine Erinnerung bewahren. Von
der Aufstellung einer Statue des Täufers in der Kirche
des heiligen Theodoros, von einer solchen des Apostels
Andreas u. a. m. wird berichtet. Auf Straßen und Plätzen
orientalischer und kleinasiatischer Städte waren Bildnis-
statuen der Apostel und anderer christlicher Heiliger auf-
gestellt, — wie im Altertum die Gestalten berühmter Red-
ner und Philosophen. Unmittelbar aus der antiken Kunst-
tradition ist diese christliche Porträtplastik hervorge-
gangen. Der Kult der geistigen Persönlichkeit erhielt
mit der Wandlung der gesamten Weltanschauung ins
Christlichreligiöse den kirchlichen Nimbus.
Man brauchte bei dieser Entwicklung der Dinge
keine neuen plastischen Darstellungsformen zu erfinden,
Abb. 142. Hippolytus Marmorstatue ^ie Ausprägung des individuellen Charakters in den Köp-
(im Lateran-Museum) 100 1
(Kopf und Hände ergänzt). fen genügte dem christlichen Kunstzweck. Zwei erhaltene
Statuen geben uns noch eine Anschauung von dieser
Art plastischen Schaffens, wenngleich auch an ihnen nur der Torso noch ursprünglich ist. Sie
sind zweifellos in Rom für die Umgebung gearbeitet worden, in der sie sich befanden. Der
freieren antiken Auffassung nach steht die Sitzstatue des heiligen Hippolytus voran, die schon
1551 unweit seiner erst neuerdings entdeckten Gruft gefunden wurde (Abb. 142). An ihrer
Deutung lassen Inschriften am Sessel mit den Titeln seiner Werke keinen Zweifel. Danach
muß sie spätestens in die konstantinische Zeit gehören. Aber man wird an sich geneigt sein,
die Figur für älter zu halten, denn ihre ungezwungen würdevolle Haltung ließe ohne jenes
äußere Zeugnis gar nicht ahnen, daß wir in ihr einen christlichen Bischof zu erkennen haben.
Die tief durchgearbeitete, reich belebte Faltengebung hätte ein Kopist des 4. Jahrhunderts
schwerlich so stilgetreu nachzubilden versucht. Kopf und Hände sind ergänzt, aber die
letzteren hatten offenbar eine nur wenig abweichende Stellung. Die auf dem Schoße ruhende
Linke hielt wahrscheinlich eine Schriftrolle, während die Finger der Rechten vielleicht im
Redegestus ausgestreckt waren. Eine ziemlich entsprechende Gesamtanordnung zeigt auch die
Bildnisstatue des Apostels Petrus in den vatikanischen Grotten, an der zwar Kopf und
Hände mitsamt den Schlüsseln schon im späteren Mittelalter erneuert worden sind, aber ver-
mutlich in leidlich getreuer Nachbildung der ursprünglichen Teile. Der Gewandstil der Mantel-
LITERATUR — DIE OSTRÖMISCHE PORTRÄTPLASTIK DER KAISERSTATUEN 151

tracht mit straff umspanntem linken Unterarm ist ganz im Geschmack des 4. Jahrhunderts
gehalten und verrät durch die seichte Faltenbildung und flächige Behandlung zugleich die
Einwirkung der Kunst des christlichen Ostens. Das Denkmal übte von seinem einstmaligen
Standplatz über der Haupttür der alten Petersbasilika eine solche Wirkung, daß es vor seiner
Entfernung im 14. oder im Anfang des 15. Jahrhunderts in einer steifen Bronzestatue nachge-
bildet worden ist, die noch heute nicht nur vor dem Altarraum die Ehrfurchtsbezeugungen der
Pilger empfängt, sondern auch von manchen Forschern als altchristliches Werk angesehen
wird. Zwischen beiden Sitzbildern besteht vor allem in der eigenartigen Anordnung des
Mantels eine Übereinstimmung, welche ein Abhängigkeitsverhältnis, — nicht jedoch etwa das
umgekehrte, mit ihrem Stilcharakter unvereinbare, — erweist.
Die Typen des Guten Hirten wurden geschieden von Strzygowski, Röm. Quartalsschr. 1890, S. 98 und
104 (zum Orpheus), Tat. IV—VI; zur Statuette aus Brussa vgl. Ainalow, a. a. O. S. 164; im allgemeinen zu-
letzt v. Sybel, a. a. O. II, S. 104 und meine Bern,
dazu Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 311, sowie die
(S. 67) o. a. Litt. Den Jonascippus veröffentlichte
W. Lowrie, Americ. Journ. of Archaeol. 1901,
S. 51 ff. — Zu den Bischofsstatuen äußert sich
v. Sybel, a. a. O. II, S. 93 (über den Marmor-
petrus wohl zu skeptisch) und S. 260 (mit Lite-
ratur). Die Streitfrage über die Bronzestatue
wurde von Wittig, Röm. Quartalschr. 1912,
S. 181 ff. wieder aufgerollt, die auffällige Über-
einstimmung im cinctus Gabinus könnte aber
höchstens ihren sekundären Ursprung bestätigen.
Das allmähliche Ermatten des frei-
plastischen Kunstschaffens macht sich nicht
allein an den Idealbildern des christlichen
Glaubens bemerbar, — es folgt aus dem
auf Raumkunst und Flächenbild gerichte-
ten Grundzuge des spätantiken Kunst-
geistes, der im altbyzantinischen Stil als
treibende Kraft waltet, und tritt daher
auch in der Profanskulptur zutage. Eine
Zeit, deren Trachten auf die Ausprägung
des geistigen Charakters in der äußeren
Erscheinung gerichtet war, konnte sich
freilich von der statuarischen Form nicht
gänzlich lossagen. Auf dem Gebiet der
monumentalen Aufgaben der staatlichen
Kunst —, und solche ergaben sich aus der
Idee des neuen Kaisertums, — hat sie so-
gar noch schöpferische Gestaltungskraft
bewiesen, wenngleich unter der Anregung
zeitgenössischer und altertümlicher Bild-
nerei des Orients. Die christlichen Kaiser
wollten wie ihre Vorläufer ihre Herrscher- Abb. 143. Konstantin d. Gr., Marmorstatue
(im Lateran-Museum)
gestalt allem Volke zur Schau aufgerichtet (nach Arndt-Bruckmann, Qriech. u. Röm. Porträts).
152 REPRÄSENTATIVE TYPEN, MISCHTYPUS DER STATUEN JULIANS

sehen. So fiel der Plastik die Aufgabe zu, der Vor-


stellung von ihrer mit neuer Weihe umgebenen
Schirmherrschaft künstlerischen Ausdruck zu ver-
leihen. Einer solchen Auffassung aber konnten
die antiken Typen bald nicht mehr genügen. Den
Imperatorenstatuen haftete zu viel von klassischer
Pose an, während ihnen jede religiöse Feierlich-
keit fehlte. Da bot nur die gebundene Strenge
altorientalischer Bildhauerkunst ein wahlverwandtes
Vorbild. Die Wandlung der repräsentativen Ty-
pen vollzog sich gleichwohl ohne Bruch mit der
Vergangenheit. Der gerüstete Imperator in der An-
rede an das Heer ist, wie zu den Zeiten eines Augu-
stus oder Trajan und wohl durch die ganze Kaiser-
zeit, auch für
Konstantin den
Großen (Abb.
143) die bedeut-
samste statuari-
sche Ausdrucks-
form des Herr-
schertums ge-
blieben und
durch ein wohl
zu Unrecht un-
ter seinem Na-
men gehendes
Standbild eines
Nachfolgers(im
Louvre) noch
Abb. 144. Kaiserstatue aus Aphrodisias unverändert ver-
(Ottomanisches Museum). treten. Viel ent-
schiedener wan-
delt sich alsbald die Auffassung des Kaisers als Redner oder
Verhandlungsleiter in senatorischer Gewandung, mit Statuen
eines Antoninus oder noch älteren verglichen. Sorgsamste
Beobachtung der im 4. Jahrhundert üblichen Tragweise der
gefalteten Toga (T. contabulata) bis in die zufälligen Einzel-
heiten ihrer Faltenbildung hat in dem vor wenigen Jahren
in Aphrodisias gefundenen Standbilde eines Kaisers, dessen
Hauptschmuck schon in die zweite Hälfte des Jahrhunderts
(s. unten) weist, ein überzeugendes Wirklichkeitsbild geschaf-
fen (Abb. 144), wie auch die Handlung oder Gebärde der
fehlenden Hände immer zu erklären sei. Abb. 145. Statue Kaiser Julians
Nur eine nachkonstantinische Kaiserstatue (Abb. 145) (im Cluny-Museum in Paris).
BEAMTENSTATUEN, UMBILDUNG DER PONDERATION UND FORMENSPRACHE 153

weicht von den offiziellen Typen, die wir auch


aus den Münzstempeln kennen lernen, ab und
folgt — nicht zufällig — älterer griechischer
Auffassung: die in zwei Repliken (im Louvre
und Musee Cluny) erhaltene Gestalt Julians
des Abtrünnigen (361—363). Allein sie bleibt
ein merkwürdiger Nachzügler innerhalb der
gleichzeitigen Porträtplastik. Wie der Kaiser
den einfachen Mantel trägt, aus dem die Linke
mit der Schriftrolle, die Rechte mit der Geste
des Sprechens hervorkommt, das ist mit un-
verkennbarer Absicht den Ehrenstatuen atti-
scher Redner nachgeahmt. Aber auch hier
fehlt der nüchternen Wirklichkeitstreue der Ge-
wandbehandlung der schöne Faltenwurf und
der Stellung
diefreieSicher-
heit. Zur Idea-
lisierung des
Charakters
vermochte sich
der Künstler
nicht zu erhe-
ben. War die
dargestellte
Individualität
mit dem ge-
Abb. 146. Consulstatue (Capitolinisches Museum). dankenblassen
Antlitz und
schlichten Haarwuchs zu schwächlich dazu, so widersprach
vollends die Zutat des eigenartigen Diadems, das den Cäsar
zugleich als Priester kennzeichnen soll, jener Grundidee. Das
Werk ist mit seinem symbolischen Aufputz eine Phrase ge-
blieben, — wie Julians ganzes Streben. Als beherrschendes
Gestaltungsprinzip tritt auch in ihm der strenge Realismus zu-
tage, der das altbyzantinische Kunstwollen bestimmt. Mit
attischer oder hellenistischer Art hat dieser nordgriechische
Stamm nur die stilbildende Kraft gemein.
Den Fortschritt in dieser Richtung bezeichnen die Be-
amtenstatuen als Ersatz anderer kaiserlicher Standbilder. In
zwei Porträtgestalten aus Aphrodisias sehen wir einen neuen
Typus des hohen Würdenträgers im Staatskleide der Chlamys
verkörpert (Abb. 147), deren ruhiger Fall in stilvollen und doch
ganz ungekünstelten Steilfalten zur Anschauung kommt und Abb. 147. Beamtenstatue
der Stoffplastik die reizvolle Aufgabe, die verhüllte Finke sicht- (Ottomanisches Museum).
154 ÄGYPTISCHER EINFLUSS BESTIMMT DIE STILWANDLUNG

bar zu machen, bietet. Die Unterscheidung von Standbein und Spielbein ist im Gegensatz
zur fortlebenden Schreitstellung der idealisierenden Imperatorenstatuen an allen vorerwähnten
Denkmälern, Julian nicht ausgenommen, mehr oder weniger abgeschwächt. Mit voll aufge-
setzten Füßen und schwach gebogenem Knie stehen die Gestalten da.
Im gleichen Sinne ist der oströmischen Kunst noch eine andere als die vorerwähnte Um-
bildung des Togatentypus ins Zeitgenössische, aber auch zu monumentalerer Wirkung geglückt.
In zwei mappaschwingenden Konsulstatuen des Capitolinischen Museums ist auf jede Ver-
brämung der Erscheinung mit älteren Floskeln Verzicht geleistet, diese aber doch in ihrem
repräsentativen Auftreten als Leiter der öfientlichen Spiele in stilisierender Komposition er-
faßt. Die Gestalt steht schwer und fest auf beiden Sohlen, obgleich das eine Knie hier
wieder kräftiger gebogen ist. Ihre Bewegung ist eckig, der Umriß hart. Die Gliederung
der Einzelform bleibt vorwiegend den Gegensätzen von Licht und Schatten überlassen.
Die Entfaltung der Breitenansicht, in die auch der erhobene Arm fällt, findet ihre deut-
liche Parallele in Reliefgestalten der oströmischen Staatsdenkmäler (s. unten). Gegeben
war dort auch die starre Haltung des gespannt ausblickenden Kopfes. Die Betonung der
Tiefenachse, deren es bedurfte, um statuarische Wirkung zu erzielen, wird dem Auge durch
den fast wagrecht vorgestreckten linken Arm, mit dem Amtszepter und durch das entschie-
denere Vorschieben des Fußes fühlbar gemacht. Es ist, als wenn die Plastik sich wieder
auf die einfachsten Grundgesetze des dreidimensionalen Aufbaues der Körperlichkeit besonnen
hätte. Sie kam dazu nicht etwa auf dem Wege theoretischer Überlegung, sondern durch die
Berührung mit der altägyptischen Kunst, die seit Urzeiten ein fast geometrisch regelmäßiges
Schema des Standbildes besaß. Der offizielle syrisch-römische Relieftypus ist nach der Formel
ägyptischer Plastik zur Rundfigur ausgestaltet worden. Wenn sich in den beiden Konsul-
gestalten Anklänge an Ägyptisches erst dem suchenden Blick in der parallelen Führung der
Langfalten verraten, so treten die untrüglichen Kennzeichen desselben Einflusses in anderen
Denkmälern viel stärker hervor, zu denen, wie ein ziemlich entsprechender Porphyrtorso
eines Togaten im Berliner Antikenmuseum verbürgt, jene Konsulstatuen nicht außer Beziehung
stehen. Nur die gesenkte Haltung des rechten (fehlenden) Armes weicht von diesen ab — er
faßte wohl das Gewand —, während die (gleichfalls weggebrochene) Linke eine Schriftrolle
gehalten haben könnte, wie es dem Auftreten dieses kaiserlichen Togaträgers besser ent-
spricht. Die Herkunft des bedeutenden Stückes aus Venedig spricht für die Entstehuug des
Stammtypus in Byzanz.
Die Vorliebe für ein kostbares Steinmaterial hat wohl zuerst die römische Porträtplastik
in engere Berührung mit der altägyptischen Kunst gebracht, indem für die Kaiserstatuen
besonders seit Ausgang des 3. Jahrhunderts der Porphyr in Aufnahme kam. Aus den Por-
phyrbrüchen bei Alexandria ist eine Lokalschule hervorgegangen, die sowohl für Rom als
auch für Konstantinopel und Ravenna arbeitete (S. 140). Das bedeutendste Bruchstück solcher
Bildwerke, eine ihres Kopfes und der Arme beraubte Sitzfigur, befindet sich heute im Museum
von Alexandria. Man hat in ihr im Hinblick auf den eigenartigen edelsteingeschmückten
Thron und das patrizische Schuhwerk mit guten Gründen eine Statue Diokletians im Typus
des Zeus Serapis, wie er auf seinen Münzen dargestellt ist, — ohne zwingenden Grund eine
Christusdarstellung erkennen wollen. Ist auch hier ägyptischer Einfluß zunächst nur in den
Faltengebilden zu bemerken, namentlich in dem auf dem rechten Knie aufliegenden fächer-
förmig gegliederten Motiv mit Querstegen, so spricht die Bildung des Halsansatzes doch
deutlich genug für eine verwandte Stilisierung des fehlenden Kopfes, Dieser mag einer Por-
DIE PORPHYRGRUPPEN VON S. MARCO UND VERWANDTE BILDWERKE 155

phyrbüste (Kairo) aus dem alten Athribis


nicht allzu fern gestanden haben, deren in
hart linearen Formen fast symmetrisch durch-
stilisierte Züge, besonders in der Behandlung
der Brauen und in der geradezu ornamen-
talen und doch übertrieben lebendigen Wieder-
gabe des Augensterns, ebensosehr an ägyp-
tische Porträtköpfe gemahnen, wie die Striche-
lung der scharf absetzenden und den Schädel
knapp umschließenden Haardecke und des
kurzgeschorenen Bartes. Diese Büste ließe
sich andrerseits leicht zu einem Standbild
mit übereinstimmender Armhaltung und An-
ordnung der schwer herabhängenden Falten
der Chlamys ergänzen, wie es sich aus zwei
nahezu gleichen Porphyrtorsen in Ravenna
(Erzb. Kap.) und Berlin (Kaiser-Friedrich-
Museum) als eine weitere Darstellungsform
des Kaisers in schwertumgürteter Parade-
tracht ergibt. Derselben alexandrinisch by-
zantinischen Schule der Porphyrskulptur ent-
stammt ohne Zweifel ein Kopf der Markus-
kirche in Venedig mit perlengeschmücktem
Diadem, dem kaiserlichen Stirnschmuck der
Nachfolger Konstantins. Sein flachgedrück-
tes Profil ist mit der herkömmlichen Benen-
nung „Julian“ kaum zu vereinbaren und hat
nichts Individuelles, dafür aber um so mehr mit Abb. 148. Porphyrgruppen zweier Kaiser
den Kopftypen altägyptischer Pharaonenbil- (an der Südfassade von S. Marco in Venedig).
der gemein sowie mit einem in ägyptisieren-
der Bildung aus hartem Kalkstein gearbeiteten Kaiserkopf in Berlin (ebenda aus Kene).
Angesichts dieser und anderer Überreste alexandrinischer Porphyrskulptur verlieren nun
auch die beiden einander völlig gleichen Gruppen an der Markuskirche in Venedig ihren
rätselhaften Charakter, in denen zwei eine Art Barett als Kopfschmuck tragende Krieger in
kurzer Chlamys, die mit der Linken den Schwertgriff halten, sich mit der Rechten umhalsen
(Abb. 148). Eine alte Vermutung, daß hier die sich umarmenden Söhne Konstantins gleichsam
als Sinnbild der Einigkeit des römischen Reiches dargestellt seien, trifft augenscheinlich das
Richtige, um so mehr als von der einen Gestalt ein Marmortorso in Konstantinopel vorliegt,
wo es einen nach einem solchen Bildwerk Philadelphion (Bruderliebe) benannten Platz gab.
Dienten doch diese Figuren sowie zwei kleinere Wiederholungen der Gruppe in Rom, nach der
gekrümmten Grundfläche zu schließen, als Säulenschmuck. Trotz ihrer barbarischen Häß-
lichkeit und der Starre der Bewegung wird man sie noch ins 4. Jahrhundert hinaufrücken
dürfen, nachdem wir an der Büste von Athribis (s. oben) eine ganz entsprechende Behandlung
des Kopfes mit derselben Barttracht und an anderen Bruchstücken eine verwandte Faltengebung
kennen gelernt haben. Der in ägyptischen Formen denkende Künstler vermochte auch die
156 DIE STILENTWICKLUNG IN DEN PORTRÄTKÖPFEN

aus orientalischer Begrüßungssitte abgeleitete Handlung nicht freier


zu gestalten. Daß auch diese Gruppen in Alexandria gearbeitet
wurden, erhält seine Bestätigung durch die Übereinstimmung des
vogelköpfigen Schwertgriffs mit dem des Berliner Porphyrtorso
(s. oben).
In der Bildnisplastik brach der altbyzantinische Realismus
trotz aller Empfänglichkeit der Schule für fremde Vorbilder am
frühesten und vielleicht am glänzendsten durch (S. 13). Wie es
ihr gelang, die verschiedenen Anregungen mit ihrer sicheren Erfas-
sung des Charakters zum einheitlichen Stil zu verschmelzen, läßt
die durch neuere Funde vermehrte Reihe der Porträtköpfe am
klarsten erkennen. In ihren Anfängen knüpft sie sichtlich an römi-
sche Vorbilder an, aber nicht gerade an die Bildwerke des 3. Jahr-
Abb. 1 49. Idealkopf Konstan-
tins des Großen (?)
hunderts, an denen eine kräftige Betonung der plastischen Form
(Kaiser-Friedrich-Museum bis in alle individuellen Unregelmäßigkeiten sich vielleicht schon
in Berlin). unter syrischem Einfluß mit zeichnerischer Wiedergabe des Haar-
und Bartwuchses verbindet. Vielmehr erscheinen die noch mit der
Corona Triumphalis geschmückten Köpfe Konstantins (Abb. 143
und 149) und einzelner Nachfolger auf die zarte Flächenbehand-
lung Augusteischer Bildnisplastik zurückzugehen, wie sie zum Teil
sogar jeder Andeutung des Augensterns entbehren. Ihnen schließt
sich ein aus Konstantinopel herrührender Frauenkopf (Ny-Carls-
berg) mit seinem vornehm ruhigen Ausdruck in der ganzen Formen-
gebung an, dessen späte Entstehung nur die neumodische Haaran-
ordnung auf den ersten Blick verrät (Abb. 152). Selbst in manchen
gleichzeitigen Porphyrskulpturen ist der römischen Porträtauffas-
sung verhältnismäßig wenig Fremdartiges beigemischt, so beson-
ders in zwei kaiserlichen Porträtbüsten des Fouvre (aus dem Atrium
der alten Petersbasilika). An ihnen und an anderen Marmor-
köpfen greift bald wieder eine schär-
Abb. 150. Sog. Decentius fere Betonung der Einzelformen
(Capitolinisches Museum) Platz, die bei den letzteren öfters
(nach Arndt-Bruckmann: a. a. O.)
von reichlicher Anwendung einer
durch Linie und Schatten wirken-
den Oberflächenzeichnung begleitet wird. Zur Wiedergabe des
Blickes dient anfangs (Abb. 152) die halbkreisförmige Eintie-
fung älterer Skulptur, dann aber wird der Augenstern immer
mehr und verschieden ausgehöhlt, während für die Haare eine
feinere Strichelung beliebt wird. Eine überaus wirksame Cha-
rakteristik in dieser Stilisierung ist vor allem an der 1911 für
das römische Nationalmuseum erworbenen Büste, wahrschein-
lich Constantius II, erreicht, in der Reihe der weiblichen Bild-
nisse aber bietet die vermeintliche Helena (Ny-Carlsberg) ein
gleichwertiges und wohl ungefähr gleichzeitiges Gegenbeispiel Abb. 151. Sog. Valentiman I
(Abb. 153). Die Steigerung der optischen Mittel läßt sich an (nach Arndt-Bruckmani: a.a.o.).
SYNTHESE DER FREMDEN STILELEMENTE IN DER BILDNISPLASTIK 157

einem auf Valentinian I bezogenen jugendlichen Kopfe (ebenda),


an denen Julians (Abb. 145) sowie an der Kaiserstatue von Aphro-
disias (Abb. 144) .weiter verfolgen, von denen der erst- und letzt-
genannte bereits das auf den Münzen erst seit Valens vorherr-
schende Perlendiadem tragen. Sie erreicht ihren Höhepunkt in
den zugehörigen Beamtenstatuen (Abb. 147). Daß sie mit der
technischen und stilistischen Behandlung der syrischen Kunst
zusammenhängt, wird beim Vergleich eines ebenfalls in Aphrodi-
sias gefundenen bärtigen Kopfes (Brüssel) mit der Bildnisbüste
eines Palmyreners (Ny-Carlsberg) vollends klar (Abb. 155 u. 156).
Mit dieser Richtung aber kreuzt sich schon in einzelnen der er-
wähnten Kaiserköpfe die andere, ägyptisierende, die sehr früh
von den Porphyrbildwerken auf die Marmorplastik übergreift, so
Abb. 152. Porträtkopf einer
z. B. auf den sogen. Konstantin des Louvre (s. oben). Das Über- oströmischen Fürstin
gewicht gewinnt sie in der starren Bildung des jugendlichen (Glyptothek Ny - Carlsberg)
Kolossalkopfes (im Capitolinischen Museum), der ohne zurei- (nach Arndt-Bruckmann: a. a. O.).

chenden Grund bald für Decentius, bald für Valens gehalten


wurde (Abb. 150). In der angeblichen Büste des gealterten
Valentinian I in Florenz (Uffizien) endlich ist die streng reali-
stische Porträtauffassung ganz in diese Stilform gebannt, eben-
so auch in mehreren weiblichen Köpfen, von denen zwei (im
Capitolinischen Museum und im Louvre) mit der irrigen Benen-
nung Amalaswintha kaum zu spät angesetzt werden. Jedenfalls
dürften sie nach der auf Elfenbeinbildwerken (s. unten) nachweis-
baren Perlenhaube (Abb. 154) schon als Arbeiten des 5/6. Jahrhun-
derts anzusehen sein. Gemeinsam ist allen diesen Köpfen oder
Büsten u. a. m., in denen wir mit einigem Recht Persönlichkeiten
des 4. bis 6. Jahrhunderts erkennen dürfen: dem Maxentius,
Magnentius und Jovian des Museums
Torlonia (Rom), sowie der Museen in
Kopenhagen, Stockholm u. a. m. die
Abb. 153. Sog. Helena
Aufhebung oder gänzliche Abschwä- (Glyptothek Ny-Carlsberg)
chung jeder Seitenwendung des Kopfes. (nach Arndt-Bruckmann: a. a. O.).

Damit geht eine vereinfachte, zusam-


menfassende Modellierung Hand in Hand, die der natürlichen,
individuellen Asymmetrie des. menschlichen Antlitzes nicht immer
Rechnung trägt. Regelmäßigkeit und Übersichtlichkeit der Form
wird das künstlerische Hauptziel, ein Streben, das durch die wach-
sende Vorliebe für Kolossalmaße und Fernwirkung voraussetzende
hohe Aufstellung der Standbilder gefördert werden mußte. Davon
zeugt schon der neuerdings wohl mit Recht als Porträt Konstan-
tins des Großen gedeutete Kopf des Conservatorenpalastes, an dem
Abb. 154. Porträtkopf einer im eindringlichen Blick des starr auf den Beschauer gerichteten,
Kaiserin (Theodora ?)
( Archäologisches Museum in weit geöffneten Auges ein zweiter Hauptfaktor spätantiker Por-
Mailand). trätauffassung bereits seine Vollkraft gewonnen hat. Wie die ost-
158 BILDWERKE DER MONUMENTALEN BRONZEPLASTIK

römische Plastik die von der


ägyptischen empfangenen An-
regungen selbständiger zu ver-
arbeiten gelernt hat, zeigt sich
namentlich an der verschieden-
artigen Wiedergabe des Blickes,
der immer der Physiognomie
den stärksten persönlichen Aus-
druck verleiht und der Ruhe der
Form gegenüber das seelische
Leben des Individuums zur
Geltungbringt(Abb.l 50—154).
Diebesten Arbeiten beweisen ein
Abb. 155. Porträtkopf eines außergewöhnliches Verständnis Abb. 156. Porträtkopf eines
Palmyreners oströmischen Beamten
(Glyptothek Ny-Carlsberg in für das Besondere des Charak-
(Museum in Brüssel).
Kopenhagen). ters, so z. B. der interessante
Kopf einer oströmischen Kai-
serin (wohl Theodoras) in Mailand. Durch die ältlichen Züge und den mißtrauischen Aus-
druck, den ein in der Hofluft dahinfließendes Leben über dieses Antlitz ausgebreitet hat,
blickt eine sympathische Individualität von echtem Rassetypus hindurch. Byzantinische Weib-
lichkeit sieht uns hier zum erstenmal an, wie auch der Kopfputz die vom Bosporus her diktierte
Mode verrät. Die antike Kunsttradition wurde nicht restlos vom ägyptischen Einfluß auf-
gezehrt, wohl aber bestimmt dieser die formale Grundrichtung der Bildnisplastik in der nach-
konstantinischen Zeit.
Der Schwerpunkt der Entwicklung, in die sich die betrachteten Denkmäler einreihen, lag
zweifellos in Byzanz. Dort wurden den Bildhauern für die Staatsdenkmäler die großen Auf-
gaben gestellt, in denen der vollkommene Stilausgleich aller einzelnen Elemente erreicht worden
ist, und zwar in der Bronzeplastik. Bei der in Konstantinopel noch erhaltenen ältesten
Triumphsäule bleibt es zwar fraglich, ob die angeblich aus Heliopolis entführte Gestalt des
Sonnengottes, die sie krönte, zur Christus- und zur Kaiserstatue umgedeutet war, sicher aber
hatte schon Konstantin der Große sein und seiner Mutter Standbilder vor seinem Palaste auf-
gestellt. Am Anfänge der Epoche steht neben dem Marmorkopf in Rom der auf seinen Sohn
Konstans mit erheblicher Wahrscheinlichkeit bezogene Bronzekopf des Konservatorenpalastes.
In ihm wirkt noch am stärksten ältere römische Porträtauffassung in mächtigeren und här-
teren Formen nach. Aus der nachfolgenden Entwicklung haben sich leider nur wenige Bruch-
stücke einer Togatenstatue Valentinians I (oder Valens) erhalten, — dafür aber glücklicher-
weise ein Denkmal, das ihren Abschluß bezeichnet. Die ersteren bestätigen gleichwohl, daß
die Stilentwicklung in der Metallplastik der Steinbildnerei folgt. Wie sich in solchen Kolossal-
statuen das neue plastische Ideal abgeklärt hat, davon gibt uns eine unmittelbare Anschauung
eine in der apulischen Stadt Barletta, dem Hafenplatz von Canosa, das der altbyzantinische
Verwaltungssitz war, bewahrte erzgegossene Kaiserstatue (Taf. XI), an der nicht mehr ergänzt
ist als die Hände und der größte Teil der Beine (im 15. Jahrhundert). Mag in ihr, die keines-
falls, wie überliefert, Heraklius darstellt, Theodosius der Große zu erkennen sein, oder ein
Herrscher des 5. Jahrhunderts, auf alle Fälle ist in ihrem Charakterkopf eine bedeutende Per-
sönlichkeit dieses Zeitalters in individueller Erscheinung verkörpert. Trotz der ihnen anhaften-
Tafel XI

Kolossalstatue eines oströmischen Kaisers (Theodosius?) in Barletta (Apulien)


(nach Arndt-Bruckmann, Griech. u. Röm. Porträts)
ZEUGNISSE ÜBER REITERSTATUEN — LITERATUR 159

den Spuren von Krankheit drücken die strengen Züge markige Willenskraft aus. Die Stilisierung
des Haares und die Angabe des spärlichen Bartwuchses am langen Untergesicht durch Gravie-
rung weisen noch auf die syrisch beeinflußte Marmortechnik (s. oben) zurück. Die statuarische
Darstellungsform aber entstammt einer ganz anderen Richtung. Viel unverhohlener als bei den
mappaschwingenden Konsulgestalten (S. 153/4) tritt in ihrem ganzen Aufbau dank der kriege-
rischen Tracht jenes ägyptische Schema der Schreitstellung hervor, dem aus der griechischen
Kunst nur das Motiv des hocherhobenen Armes hinzugefügt ist. Hart und linienscharf ist
die Faltengebung, kristallklar bei aller Bestimmtheit der Individualisierung die Gesichtsbildung.
Die Frontalität eines primitiven Entwicklungszustandes plastischer Gestaltung ist wieder auf-
genommen und für den ästhetischen Eindruck fruchtbar gemacht. Die Kunst hat sich vom
Schönheitsideal wieder dem Ideal des Erhabenen zugewandt. Die großartige Gebärde der
Rechten war von noch größerer Macht, als statt des abschwächenden mittelalterlichen Attri-
buts wie auf den Münzen das Kreuzesbanner (Labarum) in der Hand des Herrschers ruhte.
Die Schutzherrschaft des römischen Kaisers über die dem Kreuze unterworfene Welt, — ihr
Sinnbild ist die jetzt der Bekrönung beraubte Kugel in der Linken, — das ist der letzte Ge-
danke, den die christliche Schlußphase der antiken Freiplastik ausgesprochen hat, nachdem
sie sich mit dem religiösen Geiste des Orients erfüllt hatte.
Nicht einmal vor dem Reiterbilde, der schwierigsten Aufgabe der Rundplastik, schreckte
die altbyzantinische Skulptur zurück. So standen nach den Chronisten in Konstantinopel zwei
Reiterstatuen von Theodosius dem Großen und diejenigen seiner beiden Söhne auf dem Taurus-
platz. Noch im 5. Jahrhundert wurde eine solche des Konsuls Aspar aufgestellt. Größere
Berühmtheit als alle gewann aber der nach seinem Standplatze benannte „Augusteos“. Ur-
sprünglich vielleicht auch Theodosius darstellend, war dieses Denkmal später jedenfalls zu
einem Bilde Justinians umgestaltet worden. Eine Abbildung davon bietet eine Miniatur, die
tatsächlich die in den Beschreibungen erwähnte Federkrone, den „Tupos“, zeigt. Die Wirkung
des Ganzen aber werden wir uns eher nach dem Bronzekoloß von Barletta ins Bewußtsein
zurückrufen können, wenn es auch schwerlich die gleiche Wucht des Ausdrucks besaß. Mit
ihm hatte die Gestalt nicht nur die „achilleische“ Kriegertracht, sondern auch die Gebärde
gemein. Auf ihrer Linken ruhte der Globus mit dem Kreuz, während die Rechte gebietend
oder beschützend erhoben war. Ein solcher Typus scheint schon für die Reiterstatuen des
Theodosius festgestellt worden zu sein. Das Roß war in der Regel ruhig ausschreitend auf-
gefaßt, wie bei den älteren römischen Vorbildern. Nur bei einer zweiten Statue Justinians,
die im Hippodrom mit einer ihn bekränzenden Viktoria gruppiert war, deuten die Beschrei-
bungen auf eine lebhafte Gangart des Pferdes hin. Die gleiche Möglichkeit liegt bei dem
Reiterbilde Theodorichs d. Gr. in Ravenna vor. Der Reiter führte da Schild und Lanze, worin
sich nicht etwa germanischer Geist, sondern eine auch der byzantinischen Kunst, so z. B. auf
einem Münzstempel Justinians, geläufige Auffassung kundgibt. Alles was uns die Schrift-
quellen melden, warnt davor, das plastische Können der altbyzantinischen Zeit allzu eng be-
grenzt zu denken.
Für die Stilwandlung der spätrömischen (bzw. oströmischen) Porträtplastik hat zuerst Riegl,a. a. O. S. 108
und Strena Helbigiana, Leipzig 1900, S. 250 ff., ein tieferes Verständnis gewonnen. Dem Einfluß der ägyptisieren-
den Porphyrskulptur auf dieselbe wurde jedoch erst Strzygowski, Kopt. K. S. 6 und Beitr. zur Alten Gesch.,
hsg. von C. F. Lehmann 1902, S. 105 aus Anlaß der Gruppen von S. Marco usw. gerecht, wenngleich zur Er-
gänzung L. Passy, Soc. nat. des antiqu. Centenaire 1804—1904, S. 377 und E. Michon, Mel. Boissier 1903,
S.271 ff. zu vergleichen sind (besonders über die Kairener Sitzfigur), sowie v. Sybel a.a.O. II, S.228. Das ge-
samte, durch wichtige neuere Funde vermehrte Material von Kaiserbildnissen und anderen Porträtplastiken des
160 DIE OSTRÖMISCHE TRIUMPHALPLASTIK

4-/5. Jahrhunderts hat M.


Mayer bei Arndt-Bruck-
mann, Griech. und Röm.
Porträts, Nr. 895 — 898
gelegentlich der Veröffent-
lichung der Bronzestatue
von Barletta zusammenge-
stellt (mit Literaturüber-
sicht) , der ihre Identi-
fizierung mit Arkadius
durch C. Gurlitt, Antike
Denkmalsäulen in K-pel.
Dresdenl909, Seite 4, über-
zeugend ablehnt. Zu den
Statuen Julians vgl. E. Mi-
chon und S. Reinach, Rev.
archeol.1901 II,S.259und
1903 I, S. 279,sowie E. Ba-
beion, Rev. numism. 1903,
S. 130, T. VII—X. Noch
unberücksichtigt sind die
Marmorfiguren von Aphro-
disias, deren Veröffentli-
chung durch das K. Otto-
manische Museum bevor-
steht, und die Fragmente
der StatueValentians I (od.
des Valens?) von S. Sisto;
vgl. dazu G. Dehn, Mit-
teilungen d. archäol. Inst,
in Rom 1911, S. 238 und
Taf. XII/XIII; zu den
sog. Amalaswinthaköpfen
Abb. 157. Relieffriese am Südpfeiler des Galeriusbogen (Saloniki).
R. Delbrueck, Mittl. des
archäol. Inst, in Rom 1913,
S. 310 ff., Taf. 9—18 (mit wohlbegründeter Beziehung auf Theodora und Ariadne). Eine Übersicht der
Porträtköpfe der gesamten Kaiserzeit mit Bemerkungen über die Haar- und Barttracht bietet v. Sybel, a. a. O. II,
S. 171 ff.; die Münztypen sind schon von Venturi, a. a. O. II, S. 540ff. herangezogen worden.

5. Die Reliefplastik der oströmischen Staatsdenkmäler.


Die noch unerschöpfte Kunstkraft des hellenistischen Ostens, auf dessen Boden die christ-
liche Kunst entsproß, bot auch die Mittel zur Verjüngung des monumentalen Reliefstils der
Staatsdenkmäler. Einer Anleihe beim Orient hatte schon das geschichtliche Reliefbild der
früheren Kaiserzeit, wie es an der Trajanssäule ausgestaltet worden ist, tiefgehende Anregungen
zu verdanken. Ja, die Säule als Siegesmal und Träger des Standbildes ist eine hellenistische
oder orientalische, nicht eine in Rom geschaffene Kunstform. Zweiundeinhalb Jahrhunderte
war Vorderasien von griechischen Fürsten beherrscht worden, bevor es die Legionsadler er-
blickte. Die Seleukiden haben so wenig wie die Könige von Pergamon darauf verzichtet, ihre
Kriegstaten durch Kunstwerke zu verherrlichen. Und wie hätte die griechische Kunst in Syrien
ihre Augen vor den damals teilweise noch wohlerhaltenen Bilderchroniken des alten Orients
verschließen können! Ein letzter Trieb dieser verschollenen Kunstblüte ist die oströmische
DER TRIUMPHBOGEN DES GALERIUS IN SALONIKI 161

Triumphalplastik, die
wiederholt nach West-
rom übergreift, ihre volle
Entfaltung aber am Bos-
porus erreicht. Daß sie
es nicht verschmähte,
sich der offiziellen Ty-
pen zu bedienen, die vor
allem durch die Münz-
stempel der Kaiserzeit
längst Gemeingut des
antiken Kulturkreises
geworden waren, beweist
nichts fürihrenUrsprung
in Rom. Sie wird zur
selben Stunde geboren,
in der vom Osten her
die Neuorganisation des
Reiches durchgeführt
wird, — unter der fol-
genreichen Regierung
Diokletians (284-305).
Obenan steht in der
Reihe oströmischer Sie-
gesdenkmäler der bis
heute wenig beachtete
Triumphbogen in Salo-
niki (Mazedonien), er- Abb. 158. Relieffriese am Nordpfeiler des Galeriusbogens (Saloniki).
richtet zur Erinnerung
an den Perserkrieg des CäsarGajusGalerius, wahrscheinlich bald nach dem Friedensschluß (i.J. 297).
An dem eigenartigen Aufbau, der ein überkuppeltes Doppeltor (Tetrapylon) bildete, — erhalten
ist nur die eine Hälfte, eine dreigliedrige Triumphpforte, — erscheint, mit römischen Triumph-
bogen verglichen, sowohl der schlichte Schmuck der Außenseite, eine Marmorverkleidung mit
zwei Nischen für Statuen,, als auch die Anordnung der Relieffriese fremdartig. Sie sind an
den Mittelpfeilern auf drei Seiten in vier Reihen, an der vierten, an die sich die niedrigeren
Nebentore anschließen, nur in zwei Reihen angebracht und durch ein wulstartiges, als Lorbeer-
kranz oder Akanthusranke mit Blütenfüllungen gebildetes Polster getrennt. Ein kräftiges
Gesims mit Blattfries schließt ab. Die Schilderung, welche, wie jede offizielle Kunst, die miß-
lichen Wendungen verschweigt, beginnt oben auf der Ostseite 'des Südpfeilers mit dem ent-
scheidenden armenischen Feldzug und setzt sich auf dem Gegenpfeiler bis zum siegreichen
Vordringen des Galerius über den Tigris fort (Abb. 157 und 158).
Wir erblicken die Herrschergestalt des Galerius, wie er, noch ungerüstet, in Sardike den Kriegsruf
an dakische Truppen richtet. Eine Bergnymphe lehnt am Felsen neben dem Stadttor. In der zweiten Reihe
empfängt er inmitten seiner Leibwache die von zwei Amazonen begleiteten Abgesandten des schutzflehenden
Armenien (Abb. 157). Das dritte Bild zeigt das feierliche Opfer Diokletians und seines Mitregenten vor
dessen Aufbruch zum Kriege (Abb. 159). Zwischen Beiden erblicken wir hinter dem mit den Darstellungen ihrer
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 11
162 DER RELIEFSCHMUCK DES GALERIUSBOGENS

Schutzgötter, des Jupiter und Herkules, ge-


schmückten Altar die Personifikationen der kul-
tivierten Welt (Oikumene) und der Eintracht
(Homonoia), rechts die erwartungsvoll hinter
Galerius dastehenden Gestalten des Friedens
und des Wohlstandes. Im untersten Streifen naht
vergebens eine persische Gesandtschaft mit rei-
chen Geschenken, das drohende Unheil abzu-
wenden. Sieben Perser treten aus dem Tor des
Königspalastes heraus, am anderen Ende aber
langt der Zug mit Jagdpanthern und vier Ele-
fanten, auf deren Nacken die Lenker sitzen, vor
dem Cäsar an (Abb. 159). Die Beschädigungen
dieses bedeutsamen Reliefs scheinen teilweise
von christlichen Händen herzurühren, da das Ant-
litz des vielgehaßten Christenverfolgers nicht
einmal in den besterhaltenen obersten Reliefbil-
dern unversehrt blieb. Auf dem der Nebenseite
sehen wir ihn im Stuhlwagen, von Reitern ge-
leitet, eine Grenzstadt erreichen (Abb. 157),
neben der ein Heiligtum der armenischen Ana'i-
tis die Bergeshöhe krönt. Aus dem Tore kom-
men zur Begrüßung die Einwohner und die
Garnison entgegen. Es folgt die Entscheidungs-
schlacht, in der Galerius zu Roß, vom blitz-
tragenden Adler beschirmt, den Führer der am
Siege verzweifelnden Feinde mit der Lanze trifft.
Abb. 159. Opfer- und Gesandtschaftsszene vom Doch die zeremonielle Komposition (der Pietas
Galeriusbogen Augustorum) im dritten Streifen gibt die Ehre
(nach Kinch, L’arc de Triomphe de Salonique, 1890).
des Sieges den Kaisern. Diokletian und Maxi-
mian thronen über den Flußgottheiten des Euphrat und Tigris, die Cäsaren an ihrer Seite reichen den
knienden Provinzen Armenien und Mesopotamien helfend die Rechte. Im Hintergründe stehen Götter und
Genien, rechts ist die Erdgöttin und links Okeanos gelagert. Die unterste Reihe zerfällt wie an allen übrigen
Seiten und ebenso am Gegenpfeiler in eine Anzahl von Muschelnischen mit Trophäen tragenden Viktorien.
Die weiteren Reliefs der dritten Seite stellen dar, wie die Siegesgöttin Galerius das Elefantenviergespann
zuführt, das beim Triumph über Orientalen vom Senat den Kaisern zuerkannt zu werden pflegte, — die
letzten Kämpfe und die Gefangennahme des königlichen Harems, — die im Nebentor endlich Trophäen und
Gefangene. Die Reliefs des Nordpfeilers schildern spätere Vorgänge, von denen unsere Schriftquellen
nichts zu berichten wissen: das siegreiche Vordringen des Galerius jenseits des Wansees und sein Zusam-
mentreffen mit Diokletian in Nisibis. Wir erblicken zunächst auf der stark beschädigten Westseite Szenen
der Unterwerfung persischer Männer und Weiber, in der dritten Reihe vielleicht die gefangene Königin.
Im obersten Relief der Innenseite des Bogens (Abb. 158) findet eine Reiterschlacht statt. Am Wasser, das
aus der verschwundenen Urne eines halbzerstörten Flußgottes herabströmt, trinken ein Zeburind und ein
anderes Tier. Galerius sprengt voraus über dichte Haufen Gefallener. Feindliches Fußvolk stellt sich ihm
entgegen, im Hintergründe aber erfolgt der Zusammenstoß der Berittenen. Doch schon naht Victoria selbst
auf dem Elefantenviergespann, gefesselte Feinde mit dem Galgenholz auf dem Nacken werden vorgeführt,
die Verteidiger einer eingenommenen Stadt, deren Bevölkerung auf Kamelen flüchtet. Die dreieckigen Zinnen
bedeuten uns, daß sie In Assyrien liegt. Im dritten Streifen wird Galerius im Reisewagen von entgegen-
kommenden Weibern begrüßt, im letzten ist noch das Wegtreiben einer Herde von Zebus zu erkennen. Die
Reliefs der Nebenseite stellen die Zurückweisung eines erneuten Angriffs persischer Reiterei, die Einholung
und Niedermetzelung von Feinden und die Überschreitung des inschriftlich gekennzeichneten Tigris dar.
Bei Betrachtung der Bildwerke fällt eine doppelte Kompositionsweise auf. Neben Dar-
stellungen, in denen die Handlung friesartig fcrtschreitet, stehen in Anlehnung an traditio-
SYRISCH-ANTIOCHENISCHER CHARAKTER DES RELIEFSTILS 163

nelle Typen von zentraler oder streng symmetrischer Anordnung gebildete Szenen zeremo-
nieller Vorgänge, wie die Anrede an das Heer, das Opfer und eine Allegorie. Gleichwohl
beherrscht fast durchweg eine stark raumhafte Auffassung das Bild. Entweder bezeichnen
Hintergrundsarchitekturen den Schauplatz, oder es öffnen sich schmale Durchblicke auf die
Landschaft, in die wiederholt nach hellenistischer Art Lokalpersonifikationen, mehrfach auch
nach orientalischer stark verkleinerte Städtebilder eingefügt sind, zu denen die Liguren in
keinem rechten Verhältnis stehen. In zwei Reihen übereinander gestaffelt, lassen diese nicht
immer ihre Verbindung mit dem Boden deutlich erkennen. Die Reliefpläne häufen sich in-
folge überreichlicher Anwendung von Überschneidungen, so z. B. bei der Überbringung der
Geschenke (Abb. 159), aber nicht einmal die vorderen Gestalten haben eine stärkere Ausrun-
dung. Derselbe Gegensatz besteht schon zwischen der Reliefbehandlung der Trajanssäule
und den älteren römischen Denkmälern mit ihren abgestuften Reliefhöhen. Es ist kein Zu-
fall, daß dieses Verfahren in denjenigen Szenen vorherrscht, die am wenigsten in den Bild-
werken Roms ihre Parallelen finden. Hier werden sogar einzelne Gestalten noch flach auf
die stärker herausgearbeiteten Gebilde des hinteren Planes aufgelegt, wie der Kamelführer
bei der Einnahme der assyrischen Stadt (Abb. 158), oder der Knabe bei der Überbringung der
Geschenke. Beide Reliefs aber zeigen auffallende gegenständliche Anklänge an die Bilder-
friese der Königspaläste Assyriens, das durch die Zickzackzinnen einmal als der Schauplatz
der Handlung gekennzeichnet ist. Dort und in Persien waren auch die Züge der Tribut-
überbringer ein typischer Vorwurf der Reliefkunst. Sind die letzten Vorbilder dafür in der
altorientalischen, so sind die nächsten wohl in der hellenistisch syrischen Kunst Antiochias,
der Erbin Seleukias, zu suchen. Der assyrischen Kunst wesensverwandt erscheint auch die
mangelnde Einheitlichkeit der Proportionen. In der Entscheidungsschlacht sind die Feinde,
bei der Eroberung der Stadt die Weiber auf den Kamelen zu sehr verkleinert. Und doch
wirken solche Darstellungen frischer und eindrucksvoller als die gleichmäßiger behandelten
Repräsentationsszenen römischer Tradition.
Die orientalischen Züge einerseits, die griechischen Inschriften andrerseits lassen darauf
schließen, daß Bildhauer und Baumeister aus Antiochia, dem vorderasiatischen Regierungs-
sitz Diokletians, solche Staatsdenkmäler auszuführen hatten. Hier spricht eine im Marmor wenig
geschulte Steinmetzkunst. Sie bindet sich nicht an die Gesetze des antiken Reliefstils. Weder
durch die reine Silhouette noch durch abgestufte Schichtung der Masse streben die Meister
eine dekorative Ausgestaltung der Fläche an. Ein Gesamtbild aus dem Stein herauszuarbeiten,
bedienen sie sich gröberer, aber sehr wirksamer Darstellungsmittel. Eine Gruppe wie die sieben
aus dem Palasttor heraustretenden Abgesandten des Perserkönigs (Abb. 159) —, ihr Kostüm
und Rassentypus ist mit einem Realismus wiedergegeben, der die genaueste Kenntnis des
feindlichen Nachbarvolkes zur Voraussetzung hat, — macht vielmehr den Eindruck, als habe
der Bildhauer ohne Rücksicht auf jede dekorative Wirkung im Stein zeichnen wollen. Die in
der Fläche steckenden, schwach durchmodellierten Köpfe der hinteren Figuren lösen sich von
ihr nur durch eine schattenerzeugende Furche, einen „optischen Kontur“. Bei näherem Zu-
sehen erkennt man, wie ausgiebig diese Trennungslinien, die der römische Reliefstil nur in
mehr oder weniger vom hellenistischen Osten beeinflußten Werken wie der Trajanssäule kennt,
zur Klärung der Deckungen auch auf anderen Reliefs angewandt werden. Bei der Vorführung
der Gefangenen am Nordpfeiler z. B. sind die zurückliegenden Beine mancher Figuren nur
dadurch verdeutlicht. Es ist dasselbe rein zeichnerische Verfahren, das sich auch an einzelnen
Werken der christlichen syrischen Kunst beobachten läßt (S. 136).
11*
164 DER TRIUMPHBOGEN KONSTANTINS D. GR. UND ANDERE WERKE DER SCHULE

Abb. 160. Die Schlacht an der Milvischen Brücke vom Konstantinsbogen (Rom).

In Saloniki tritt uns eine Bildhauerschule entgegen, in der zugewanderte antiochenische


Meister die führenden Kräfte waren. Ihrem Wirken begegnen wir auch fernerhin überall,
wo Diokletian und Galerius ihre Hand im Spiele haben. Mag es sich um Ziermotive des Pa-
lastes von Spalato handeln oder um ein öffentliches Denkmal, immer fallen uns die gleichen
technischen und stilistischen Eigentümlichkeiten ins Auge. Der Sockel einer zur Erinnerung
an die Decennalien des Galerius und Constantius Chlorus (i. J. 303) errichteten Gedenk-
säule auf dem Forum in Rom trägt auf der einen Seite die in graffitoähnlicher Manier aus-
geführte Gruppe zweier den Schild mit der Widmungsschrift haltenden Viktorien, auf der
anderen eine Opferdarstellung. Der Künstler hat sich offenbar an ein Vorbild aus der An-
toninenzeit angelehnt, aber er hat es gewagt, die Methode der Deckungen flacher Silhouetten
auf eine Komposition, die für ein viel höheres Relief erfunden war, anzuwenden. Die Art
der Gewandbehandlung stimmt mit derjenigen auf zahlreichen christlichen Sarkophagen, so-
wohl des friesartigen wie des Arkadentypus (S. 121) überein und bleibt in den Triumphal-
reliefs noch weit in das 4. Jahrhundert hinein gebräuchlich. An dem im Jahre 315 n. Chr.
vom römischen Senat Konstantin dem Großen errichteten Ehrenbogen, dessen Bildwerke größten-
teils von älteren Staatsdenkmälern herrühren, geben sich die unmittelbar auf die Zeitereignisse
hinweisenden vier friesartigen Relieftafeln deutlich genug als jüngere Arbeiten jener griechisch-
syrischen Bildhauerschule zu erkennen.
Die auffallendsten gegenständlichen Kennzeichen dessen bietet die in künstlerischer Hinsicht gering-
wertigste Szene der Belagerung von Verona. Wie die Kriegerschar mit der größeren Figur des Feldherrn
inmitten vor der niedrigen Stadtmauer steht, wie mancher Turm von der Halbfigur eines Verteidigers aus-
gefüllt wird, dazu die wiederum in einem anderen Maßstabe wiedergegebenen Gestalten einzelner Angreifer
und die über dem kaiserlichen Heere in steifer Haltung schwebende Viktoria mit dem Siegeskranze, das
alles kommt assyrischen Kriegsbildern noch näher als die Reliefs in Saloniki. Zum Vergleich fordert vor
allem das Bild der Schlacht an der Milvischen Brücke (Abb. 160) heraus. Ein gemeinsames Schema bildet
hier und dort die Grundlage der Komposition. Und noch eine dritte, eine christliche Szene hängt sicht-
lich davon ab: der Typus des Durchzugs der Israeliten durch das Rote Meer, der die Schauseite einer
Anzahl der kleinasiatisch-aniiochenischen Denkmälergruppe zuzurechnender Sarkophage schmückt (S. 119).
Jedesmal stürmen von links her die Angreifer zu Roß oder zu Wagen mit der stark hervorgehobenen Ge-
stalt des Führers an der Spitze bis über die Bildmitte vor, weiterhin erfolgt im Hintergründe der ent-
scheidende Stoß, der übrige Raum bleibt der langsam zurückweichenden Gegenpartei Vorbehalten. Überall
füllen Gefallene oder, wo Wasser dargestellt ist, — und darin berühren sich der christliche Typus und
das Relief des römischen Triumphbogens besonders eng, — Versinkende den Raum unterhalb der Reiter.
Neu und bedeutsam erscheint in künstlerischer Hinsicht die Fortbildung der zentralen Komposition in den
beiden Reliefs des Konstantinsbogens, die öffentliche Amtshandlungen des Kaisers schildern. In der Szene
der Geldspende an das Volk steigert sich die Verwendung des optischen Konturs zur Unterschneidung der
Gestalten längs den Umrissen. Dadurch wird erreicht, daß bei geringer und völlig gleichmäßiger Relief-
höhe dennoch für das Auge die lebhafte Anschauung einer raumumflossenen mehrgliedrigen Menge ent-
steht, indem gleichzeitig durch die streng symmetrische Beziehung aller Elemente auf die Hauptfigur der
ÜBERTRAGUNG DES NEUEN STILS NACH DER PROPONTIS 165

Abb. 161. Ansprache des Kaisers an das Volk vom Konstantinsbogen (Rom).

Blick in die Tiefenrichtung geleitet wird. Dazu kommt, daß einzelne Gruppen in architektonische Rahmen
eingeschachtelt sind, die durch Vorhänge als Innenräume gekennzeichnet werden, und daß die Figuren-
reihen in viel beträchtlicherem Grade senkrecht gestaffelt erscheinen, als es der Unterschied ihres Stand-
punktes bedingt. Mit ähnlichen Mitteln weiß der Künstler des Reliefs der feierlichen Ansprache an das Volk
( Abb. 161) noch feinere optische Wirkungen hineinzulegen. Von der Ausdehnung der Tribüne (den Rostra), auf
der die (ihres Kopfes beraubte) Gestalt des Kaisers, umgeben von Senatoren, mit erhobener Rechten in der
Mitte steht, wird eine sehr lebendige Vorstellung erweckt, obgleich wir kaum auf die Standfläche hindurch-
blicken. Die durchbrochenen Schranken betonen ihren vorderen Abschluß, — Statuen thronender Kaiser
in Lebensgröße schauen von den Ecken herab, während im Hintergründe auf hohen Säulen aufgestellte
Standbilder dem Auge in stark verkleinerter Untersicht erscheinen und in den Seitenabschnitten der Schau-
platz durch zurückgeschobene Architektur (des Forum) abgeschlossen wird. In der Figurenaufstellung sind die
beiden Glieder wieder nicht in zwei Reliefplänen auf gleichem Horizont, sondern mit Hilfe senkrechter
Staffelung der oberen Kopfreihe angeordnet. Die Symmetrie bewirkt aber, daß die frontale Mittelgruppe
und damit die Tiefenachse das Übergewicht behält, obgleich die Bewegung in den Flügelgruppen eine seit-
liche und flächenhafte bleibt.
Die Steigerung der Raumvorstellung söhnt uns auch mit der schwerfälligen Gestalten-
bildung und anderen Unschönheiten der betrachteten Bildwerke aus, entspringen doch die
unbeholfenen Stellungen mit platt aufgesetzten Sohlen, die großen Köpfe und die nüchterne
Gewandbehandlung einem ebenso entschiedenen Wirklichkeitssinn, der z. B. die lebhafte An-
teilnahme der Versammelten vortrefflich auszudrücken weiß. Antiker Geist spricht freilich
nicht aus dieser Anschauungsweise, nicht einmal römischer, es ist eine ganz neue Prosa der
Reliefkunst. Selbst den klassischen Idealtypen der Flußgötter in den Zwickeln und den Vik-
torien und gefangenen Barbaren an den Sockeln nimmt sie den Rhythmus der Bewegung und
läßt den [schönen Fluß des Faltenspiels zu schematischer Regelmäßigkeit erstarren. Diese
optische Reliefauffassung wird, wie schon in den schreitenden Siegesgöttinnen am Galerius-
bogen vom Streben beherrscht, Hochrelieftypen in Flachrelief zurückzubilden.
Der neue Stil der oströmischen Triumphalplastik hatte vielleicht schon am Bosporus Fuß
gefaßt, ehe er nach Rom übersprang. Nikomedia, die Nachbarstadt an der nordwestlichen
Küste Kleinasiens und Vorläuferin Konstantinopels als Residenz Diokletians und Konstantins
des Großen, kann der öffentlichen Denkmäler nicht entbehrt haben. Besitzt doch Nicäa, ihre
Nebenbuhlerin um die Gunst der Kaiser, ein solches Monument, das wir freilich aus den zer-
streuten Trümmern kaum wieder zusammenzusetzen vermögen. In den späteren Mauern der
Stadt sind zahlreiche Marmorblöcke mit wirkungsvollen Reliefdarstellungen von Kriegszügen
und wildem Kampfgetümmel, in dem Römer und Barbaren, Reiter und Fußvolk miteinander
verflochten sind, verbaut (Abb. 162). Auf einem derselben verrät die Beischrift Alamannia,
daß die Feinde Germanen sind. Mag sie auf deren Besiegung unter Diokletian oder viel-
leicht erst durch Julian (357) zu beziehen sein — der halbzeichnerische Reliefstil gestattet dar-
über keine sichere Entscheidung —, so ist dieses Denkmal doch in jedem Falle vor dem voll-
endetsten uns erhaltenen Werk der oströmischen Reichskunst (s. unten) entstanden.
166 DER RELIEFSOCKEL DES OBELISKEN THEODOSIUS D. GR. IN BYZANZ

Im Jahre 390 n. Chr. gelang es in Byzanz dem Stadtpräfekten Proklos, einen Obelisken
von 50 Fuß Höhe, den Julian aus dem ägyptischen Heliopolis übergeführt hatte, nach dreißig-
tägiger Arbeit auf der Spina des Hippodroms aufzurichten. „Alles gehorcht Theodosius“,
verkündet stolz die Widmungsinschrift. Man hielt die Bewältigung der Aufgabe für so wichtig,
daß der Vorgang an der Ostseite des neu zugerichteten Sockels dargestellt wurde.
Der Kaiser selbst sieht dem letzten Akt von der großen, über dem Tor des Zirkus gelegenen Loggia
des sog. Kathisma, umgeben von Würdenträgern, Senatoren und der gotischen Leibwache, zu. Die Figuren
sind in größerem Maßstabe am oberen kleineren Sockel in zwei Zonen wiedergegeben, die durch Brüstungen
als verschiedene Ränge des Zuschauerraums gekennzeichnet erscheinen. Ihren baulichen Zusammenhang
macht die vom Kathisma hinabführende Treppe klar, an deren Fuß die dem Herrscher jederzeit voran-
gehenden Silentiarii stehen, während ihre Nachbarn in Patriziertracht durch Tücherschwenken ihren Bei-
fall bezeigen. Dieser Aufbau der Szene bleibt auf allen vier Seiten der gleiche, nur wechselt der Inhalt
der Darstellung und hat an zweien der untere Figurenfries nebst Treppe der doppelsprachigen Inschrift Platz
gemacht (Tafel XII, 1). Dargestellt ist an der Nordseite die Entgegennahme des Tributs oder der Geschenke
besiegter Barbaren (Abb. 163). Diesmal sitzen zur Rechten des Theodosius seine beiden jugendlichen Söhne,
zur Linken seine Gattin. Im tieferen Range knien einander gegenüber zwei Gruppen Huldigender in reiner
Profilstellung, links anscheinend Perser, rechts Dakier oder Germanen mit übergeknöpften Pelzjacken. Auf
der Westseite finden wir die Treppe mit den Silentiarii wieder und in der oberen Zone eine größere Zahl
von Nebenfiguren (Tafel XII, 1). Die kaiserliche Familie
sieht hier dem Wagenrennen zu, das am unteren Sockel
dargestellt ist. Vier Quadrigen als Vertreter der Parteien
(Demen) der Grünen, Blauen, Weißen und Roten kämpfen
um den Preis. Über ihnen ist, wie von hohem Standpunkt
gesehen, die erhöhte Spina mit ihren Obelisken und ihrem
Statuenschmuck nachgebildet. Die Südseite endlich zeigt
den Kaiser in einem anderen Teil des Zirkus zwischen seinen
Söhnen stehend, den Kranz in der Hand, um den Sieger zu
lohnen, daneben in der vorderen Reihe Senatoren, im Hinter-
gründe die Garde, während sich unten in zwei Reihen Kopf an
Kopf die übrigen Zuschauer drängen. Ein musikalisch-choreu-
tisches Zwischenspiel nimmt die allgemeine Aufmerksamkeit
gefangen. Tänzerinnen schwingen sich im Reigen zum Klange
von Blasinstrumenten und zweier Orgeln, die von zwei Jüng-
lingen getreten und von einem dritten gespielt werden.

Abb. 162. Gewandfiguren und Kampfszene, Bruchstücke (in Nicäa am Stambultor eingemauert).
REALISMUS DER AUFFASSUNG UND OPTISCHER RELIEFSTIL 167

Die Darstellungen fesseln


als Kulturbilder aus den ersten
Zeiten des oströmischen Kai-
sertums. Aber nicht geringere
Beachtung verdienen die Ge-
staltungsprinzipien der Kunst,
der wir sie verdanken. In dem
hohen Aufbau der Komposi-
tion, in der Einschachtelung
der Gruppen in einen architek-
tonischen Rahmen, in ihrer
symmetrischen und frontalen
Anordnung, in dem Grund-
bestreben optischer Verräum-
lichung des Reliefs —, denn
als einheitliches Gesamtbild
will jedes derselben betrachtet
sein, — tritt der Zusammen-
hang mit der Bildhauerschule
des Konstantinbogens unver- Abb. 163. Huldigende Barbaren, Relief am Sockel des Obelisken.
kennbar hervor, andrerseits
aber auch der Fortschritt, den diese Kunstrichtung inzwischen auf byzantinischem Boden gemacht
hat, und die Steigerung ihrer Mittel und Wirkungen. Sie wagt es, einen Höhe und Tiefe umfassenden
Schauplatz, belebt von Figurenmassen, wiederzugeben, und versteht es, diese einem beherrschenden
Haupteindruck unterzuordnen. Die ruhige Wirkung des Ganzen ist nicht am wenigsten in der Zu-
sammenpressung der Reliefpläne und der dadurch bedingten Verflachung der Gestalten begründet.
Aber der Künstler handhabt die Silhouetten nicht so schematisch wie am Konstantinsbogen
und bedarf kaum mehr des optischen Konturs, sondern er gibt den einzelnen Körperteilen je
nach der Stärke des plastischen Eindrucks, den sie dem Auge bieten, mehr oder weniger
Rundung und hält doch das Ganze in mäßiger Reliefhöhe zusammen. Durch richtige Ab-
schätzung der Beleuchtung und glückliche Anordnung weiß er damit für den Standpunkt
des Beschauers, der freilich eine stärkere Abweichung von der Vorderansicht nicht zuläßt,
eine hohe Illusion zu erzielen. So hat er sich begnügt, die Gestalten der vorn im hellen Licht
stehenden Silentiarii flach aufzulegen (Tafel XII, 1), wie sie dem Auge schon in einiger Ent-
fernung erscheinen müssen. Die hinteren Gestalten, vor allem die Sitzfiguren, treten ungleich
kräftiger aus dem Grunde hervor, Köpfe und Arme werden durchgängig stärker ausgerundet.
Durch Flächenabbau sind Verkürzungen erzielt, die noch wesentlich durch die Schatten der
schräg über den Schoß gelegten Arme an überzeugender Kraft gewinnen. Hoch- und Flach-
relief fließen so in einem optischen Halbrelief zusammen. Die ideellen Abstände des archi-
tektonischen Aufbaues stehen zur Relieferhebung vollends in keinem meßbaren Verhältnis, viel-
mehr sind sie in eine einzige seichte materielle Schicht zusammengedrängt. Kaum ladet die
untere Brüstung des Zirkus über die obere, die unterste Treppenstufe vor die darüberliegenden
aus. Der Raumdarstellung am Konstantinsbogen gegenüber besteht ein weiterer Fortschritt
darin, daß die senkrechte Staffelung der Pläne durch den in der Wirklichkeit gegebenen verti-
kalen Aufbau der Szenerie begründet ist. Und mit dieser Abstufung verbindet sich eine Ab-
168 UMGEKEHRTE PERSPEKTIVE UND GEGENSATZ ZUR ANTIKE

stufung der Figurengröße nach dem optischen Maßstabe, in einer ebenso unantiken wie un-
modernen Auffassung. Es. entsteht eine Art umgekehrter Perspektive, bei der die von uns am
weitesten entfernten Gestalten der oberen Reihen am größten, die näheren untersten am klein-
sten gebildet werden. In dieselbe Beziehung wie die Tänzerinnen an der Südseite rücken
dadurch auch das Wagenrennen und die Aufrichtung des Obelisken zum Kaiser und seiner
Umgebung, das heißt immer die von den dargestellten Zuschauern gesehenen Objekte. Mehr-
fache Gegenbeispiele der Kleinkunst und Malerei (s. unten und Kap. V) beweisen, daß darin
ein festes Gestaltungsprinzip von größter Tragweite beschlossen ist.
Durch alle diese Stileigentümlichkeiten bezeichnen die eben betrachteten Bildwerke den
erreichten Höhepunkt in der Wandlung der spätantiken Reliefauffassung. Was, mit der Antike
verglichen, als Verfall erscheinen könnte, ist in Wahrheit ein anders gerichtetes „Kunstwollen“.
Die Reliefs der Basis des Theodosius wissen nichts mehr zu sagen von der Schönheit des
menschlichen Leibes und von der Harmonie seiner Bewegung. Aber sie schildern uns die Sitte
der Zeit mit aller Unbefangenheit der Beobachtung, die sichere Hoheit der Großen wie die
gemessene Würde der Beamten oder auch die kokette Grazie des Balletts, sie wollen mit einem
Wort echte Wirklichkeitsbilder geben. Daher finden wir in ihnen eine so weitgehende Indivi-
dualisierung auch der Nebenpersonen, wie sie die Kunst vorher nirgends kennt. So führen
sie uns mit einer verblüffenden Unmittelbarkeit mitten hinein in die Situation. Auf diese
Klärung der künstlerischen Absichten und auf diese einheitliche Zusammenfassung der Dar-
stellungsmittel hat zweifellos die erneute stärkere Anteilnahme griechischer Künstler an der
Fortbildung des syrisch-hellenistischen Reliefstils maßgebenden Einfluß gewonnen.
Die Nachblüte des historischen Reliefs, wie sie die Entwicklung des 4. Jahrhunderts in
Byzanz gezeitigt hatte, war so kräftig, daß es sich an die größten Aufgaben heranwagen
durfte. Zwei Spiralsäulen, die von Theodosius dem Großen und von seinem Sohne Arkadius
errichtet wurden, sollten die Macht des oströmischen Kaisertums dem neuen Rom und der
Welt verkünden. Die Theodosiussäule auf dem Taurusplatze (aus den Jahren 386—394)
trug die Reiterstatue des Kaisers. Kaum ein Jahrhundert nach der Errichtung stürzte diese
bei einem Erdbeben herab, die Säule selbst aber hielt sich noch über ein Jahrtausend auf-
recht. Die Säule des Arkadius auf dem sogenannten Xerolophos (Kahlhügel), dem heutigen
Awret-Bazar (403 begonnen, aber erst 421 geweiht, im Jahre 740 durch Blitz und Erdbeben
der Kaiserstatue beraubt) wurde erst 1720 zum größten Teil abgetragen. Die Reliefs beider
Säulen bezogen sich wohl auf den im Jahre 386 beendeten Krieg mit den aufrührerischen gotischen
Gruthungen an der Donau, oder aber die der Arkadiussäule vielleicht auch auf die Besiegung
des gotischen Freibeuters Gainas (im Jahre 400), der sogar Konstantinopel mit seiner See-
räuberflotte bedroht hatte. In jedem Falle mußte die Dürftigkeit des geschichtlichen Stoffes
durch die pomphafte Breite der Schilderung aufgebauscht werden.
Von der Säule des Arkadius steht der Sockel mit dem daraufliegenden, als Lorbeerkranz
gebildeten Wulst der Säulenbasis und den formlosen Resten der in vier Streifen angeordneten
Reliefs noch heute in Höhe von über zehn Meter da. Aus der niedrigen Kammer in seinem
Innern führte eine Wendeltreppe im Schaft der im ganzen ungefähr 56 Meter hohen Säule
hinauf. Ihren Sockel schmücken auf zwei Seiten im obersten Streifen Engelpaare, die das
von einem Kranz umgebene Kreuz halten (auf der dritten wurde es angeblich von schwe-
benden Engeln getragen). In den unteren drei Streifen waren wohl Huldigungsszenen, Be-
siegte und Gefangene dargestellt. Der dekorative Aufbau der eigentlichen Säulenbasis ver-
rät deutlich die Nachahmung der Trajanssäule. Von den übrigen Reliefdarstellungen bewahren
—5, Reliefdarstellungen einer Triumphsäule (nach Zeichnungen eines unbekannten Quattrocentisten).

. Triumphsäule des Arkadius (nach einer anonymen Zeichnung aus der Sammlung Gaignieres)

. Sockel des großen Obelisken im Hippodrom (Konstantinopel)


DIE TRIUMPHSÄULEN DES THEODOSIUS UND ARKADIUS — LITERATUR 169

noch mehrere Zeichnungen, vor allem eine solche von unbekannter Hand (Tafel XII, 2)
im Louvre (aus der Sammlung Gaignieres), sowie von dem obersten Stück eine noch sorg-
fältigere des Melchior Lorch (von 1557), eine allgemeine Anschauung. Auf der den Schaft
in 14 Windungen umkreisenden Spirale waren in fortlaufender Schilderung der Auszug des
Heeres, Städteeroberungen und Märsche, zuletzt Seeschlachten und Reiterkämpfe, ganz oben
endlich anscheinend ein Triumphzug abgebildet, in dem vier in lange Gewänder gekleidete
Gefangene und zwischen ihnen eine allegorische Frauengestalt dem Wagen des Kaisers folgten.
Andere angeblich von Gentile Bellini herrührende Zeichnungen aus der Sammlung Accard
ähnlichen, aber in den Einzelheiten nirgends übereinstimmenden Inhalts, geben wahrschein-
lich einen Teil der Reliefs der Theodosiussäule wieder und entschädigen für die mangelnde
Gesamtanschauung des Denkmals durch klarere, wenngleich keineswegs stilgetreuere Nach-
bildung (Tafel XII, 3-5). Dadurch bieten sie eine breitere Grundlage für die Beurteilung des
Kunstcharakters beider Säulen. Die römischen Kriegertypen ihrer Reliefs tragen noch immer
ein ziemlich antikes Gepräge. Syrisch-hellenistischer Tradition gehört die Szenengestaltung mit
Hilfe des hohen Horizonts an, wie ihn auch die Schlachtbilder der Arkadiussäule anwenden.
Sogar im Reiterkampf waren hier die Figuren in lockerer Verteilung übereinandergesetzt. Ein-
mal erscheint in der oberen Figurenreihe das in der Ferne am Fluß entlangziehende Heer in
starker Verkleinerung, was an einzelne Motive des Galeriusbogens erinnert, wie auch die ein-
geschobenen Städtebilder. Vor allem aber tritt auf der dem Bellini zugeschriebenen Folge ein
neues Prinzip der Einstellung der Gestalten in den Raum klarer hervor, eine mäßige vertikale
Staffelung zweier Reliefpläne mit Hilfe des felsigen Terrains, das einen fortlaufenden niedrigen
Absatz bildet. Auf der Arkadiussäule ist sogar eine zweite Standlinie über den Köpfen der
unteren Figurenreihe zu bemerken. Daß der Reliefstil der beiden Säulen einen ausgesprochen
malerischen Charakter trug, erhellt auch aus der offenbar geringen Ausladung der Bildwerke,
wie sie das dürftige Bruchstück einer Säulentrommel im Ottomanischen Museum bestätigt.
Blicken wir auf die Denkmäler der oströmischen Reichskunst zurück, so ist der lebendige
Zusammenhang ihrer Entwicklung nicht zu verkennen. Es wäre unmöglich, ihr Wesen aus
einem bloßen Verfall des Reliefstils der früheren Kaiserzeit zu begreifen.
Für den orientalisch-hellenistischen Ursprung der spätrömischen offiziellen Reliefplastik ist besonders
Strzygowski, Or. od. Rom, S. 3 ff und Jahrb. d. Kgl. Pr. K. Samml. 1904, S. 326 eingetreten. Ihre auf Steigerung
der optischen Ausdrucksmittel gerichtete Stilentwicklung wurde von Riegl, a. a. O. S. 45 ff. an den Kompositionen
des Konstantinsbogens ergründet, wenngleich ohne Berücksichtigung der Denkmäler des Ostens, und die Be-
deutung des syrischen Einflusses deshalb verkannt. Der Triumphbogen von Saloniki liegt schon lange vor
in der vortrefflichen Publikation von J. F. Kinch, L’arc de triomphe de Salonique, Paris 1890, welche
den Zusammenhängen mit den altorientalischen Vorbildern bereits gerecht wird. Zum Konstantinsbogen
vgl. zuletzt E. Strong, Roman Sculpture, London 1907, S. 131 ff. und die Hinweise bei v. Sybel, a. a. O. S. 185ff. —
Den Sockel des Obelisken versuchte A. J. B. Wace, Journ. of hell. Studies 1909, p. 60ff. mit unzureichenden
Gründen bis um 336 n. Chr. zurückzuschieben, während die Beziehung der Inschriften auf die Darstellung
der^Ostseite, die Personenzahl der kaiserlichen Familie sowie der Stil den herkömmlichen Zeitansatz recht-
fertigen; vgl. auch Rep. f. K. Wiss. 1912, S. 233 und (zur Ausbildung der Raumkomposition in der oströmi-
schen Reliefplastik) O. Wulff, Die umgekehrte Perspektive. K. Wiss. Beitr. A. Schmarsow gewidmet, Leipzig 1907,
S. 14 ff. Für die Rekonstruktion der Arkadiussäule bleibt grundlegend der Aufsatz von Strzygowski, Jahrb.
d. K. Archäol. Inst. 1894, S. 230ff. Wichtige Ergänzungen bieten A. Geffroy, Mem. et Mon. publ. etc. Fond.
Piot 1895. X, p. 99 und W. Dilich, [Eigentl. Jkurze Beschr. u. Abriß der weitberühmten Stadt Constanti-
nopel. 1604. Cassel, sowie besonders zum konstruktiven Aufbau C. Gurlitt, Ant. Denkmalsäulen in Konstanti-
nopel. München 1909. Über den neuerdings bloßgelegten Sockel der Marciansäule mit ähnlichem Relief-
schmuck vgl. J. Ebersolt, Rev. archeol. 1909, II, S. 1 ff sowie über zwei Bildwerke aus dem Zirkusleben zu-
letzt a. a. O. 1911, II, S. 76 und O. Wulff, Beschr. d. Bildw. d. Christi. Ep. 2. Aufl., III, 1, N. 27.
170 SYNTHETISCHE ENTWICKLUNG DER ALTBYZANTINISCHEN RELIEFPLASTIK

Abb. 164. Verstorbene und allegorische Gestalten, Sarkophag in Rom (Villa Colonna).

6. Die christliche Reliefplastik im byzantinischen Kunstkreise.


In der christlichen Reliefskulptur der Hauptstadt vereinigten sich vollends grundverschie-
dene Strömungen. Der Ausgleich vollzieht sich langsam, — das einheimische Kunstwollen tritt
erst später deutlich hervor. Daß auch in Byzanz, dem jüngsten Kunstzentrum des Ostens,
der syrische Einfluß die Entwicklung bestimmt hat, noch stärker als in der Profanplastik
(S. 163 ff.), ist nicht zu verkennen. Aber eine ältere Kunstübung hatte dort schon vor-
her Fuß gefaßt und ist ihm nicht erlegen, ohne daß wesentliche Elemente aus ihr in den
neuen Stil eingingen. Die Kreuzung hat vielleicht schon auf dem Boden ihrer Heimat, dem
vorderen Kleinasien, und ihrer weiteren, die nördlichen Küstenstädte des Ägäischen Meeres
umfassenden Wirkungssphäre stattgefunden. Konstantinopel gehört in ihren Kreis, bevor es
selbst zum Mittelpunkt der Stilentwicklung wird. Wo auch der Hauptsitz dieser Bildhauer-
schule während der römischen Kaiserzeit gewesen sein mag, ihre Arbeiten, durchweg Sarko-
phage, scheiden sich aufs deutlichste von jener anderen weit verbreiteten Sarkophagklasse
(S. 11 Off.), die im Südosten Kleinasiens in Wechselwirkung mit der antiochenischen Kunst und
teilweise wohl in Antiochia selbst für die Ausfuhr nach dem Abendlande gefertigt wurde.
Obgleich beiden Arten das Säulenmotiv gemein ist, erstrecken sich die Unterschiede sogar auf das
Material, das bei der neuen Gattung ein großkristallinischer Marmor ist, der mehrfach als der prokon-
nesische erkannt wurde. Nicht allzuweit von seiner Fundstätte, der Marmarainsel in der Propontis, wird
daher der Ausgangspunkt der Schule zu suchen sein, mögen auch einzelne ihrer schönsten Werke auf dem
Seewege bis in die südlichen Landschaften gelangt oder im Innern Kleinasiens vollendet sein. Daß die Werk-
stätte sogar für das Abendland arbeitete, beweisen einige Sarkophage der gleichen Gattung in Italien, aber
die Mehrzahl bildet doch eine geschlossene Gruppe kleinasiatischen Fundorts. Die Tätigkeit der Schule
steht anfangs noch ganz im Zeichen des heidnisch antiken Kults. Bisher kennen wir nur eine einzige un-
zweifelhaft christliche Arbeit: das Konstantinopler Christusrelief im Berliner Museum, das sichtlich als ein
Spätwerk noch unmittelbar mit der ganzen Entwicklungsreihe zusammenhängt. Verbunden wird die Ge-
samtgruppe durch die technische Ausführung des rundzackigen Akanthusblattwerks mittels des laufenden
Bohrers (S. 106). Nur einzelnen der ältesten Denkmäler, wie dem Hochzeitssarkophag im Palazzo Riccardi,
fehlt dieses Merkmal, ein paar anderen wieder der ebenso bezeichnende kämpferähnliche Aufsatz über den
mit jonischen Doppelschnecken ausgestatteten Säulenkapitellen, der als Verkröpfung eines durchlaufenden
DIE KLEINASIATISCHEN TABERNAKEL-SARKOPHAGE 171

schwach gewölbten, mit Eierstab und verbil-


deter lesbischer Welle verzierten Architravs
aufzufassen ist. Denn die Nischenarchitektur
stellt auch bei dieser Sarkophagklasse ein archi-
tektonisches Ganzes dar und zeigt in der Regel
eine rhythmische Gliederung derart, daß in
der Mitte und zu beiden Seiten drei tabernakel-
artige Muschelarkaden stärker hervortreten,
dazwischen schmälere Nischen ohne Bekrönung
bleiben. An den Schmalseiten fallen die Seiten-
arkaden fort, gelegentlich aber auch auf einer
Langseite die Säulenstellungen, wenn die Grup-
pierung figurenreicher und dramatischer wird.
Grundprinzip des Figurenschmuckes bleibt je-
doch die Einstellung zueinander in geistiger
Beziehung stehender Einzelgestalten in jede
Nische.
Unter den kleinasiatischen Fund-
stücken steht der Zeit wie der künstle- Abb. 165. Hadestür, Seitenfront desselben Sarkophags
(nach Munoz, Mon. d’arte I, 1).
rischen Bedeutung nach der majestä-
tische Prunksarg von Sidamara obenan. Sein als Kline gebildeter Deckel trug die Liegefiguren
zweier Verstorbenen, ein etruskisches Motiv, das seit der Kaiserzeit allenthalben statt des
dachförmigen Sargdeckels Verwendung findet. Die in der hellenistischen Sepulkralkunst
beliebten Jagdszenen schmücken eine
Schmal- und eine Langseite. Auf
der Schauseite ist die sitzende Pro-
filgestalt des Verstorbenen von zwei
weiblichen Gottheiten und den Dios-
kuren mit ihren Rossen, typischen
Eckfiguren dieser Sarkophagklasse,
umgeben, während auf der anderen
Schmalseite eine weibliche und eine
männliche Gestalt vor der Hadestür
ein Opfer vollziehen, ein wiederholt
vorkommendes Motiv, das den Sarg
als „Totenpalast“ kennzeichnet. Am
nächsten kommt dem echt griechi-
schen Stil dieses Denkmals ein Sar-
kophag aus (dem kilikischen) Seleu-
keia, der auf der Hauptfront die-
selbe Komposition, wie der erstere,
auf der Rückseite eine andere sym-
bolische Figurenreihe mit jugend-
lichem Genius in der Mitte, auf der
einen Schmalseite eine Jagdgruppe,
auf der anderen aber einen Drei-
verein zweier Männer und eines
Jünglings trägt, die Schriftrollen Abb'166' Xtl).’ Seitenfront eines
172 DAS CHRISTUSRELIEF AUS PSAMATIA UND SEINE VORSTUFEN

haltend sich einander lebhaft zuwenden: Verstorbene und vielleicht Mitglieder eines Mysterien-
kults. Ihre Gruppierung erscheint bereits für die christlichen Lehrfiguren vorbildlich. Das
Nackte ist hier noch gut verstanden, die Gewandfiguren hingegen sind zum Teil schon erheb-
lich schwächer durchgebildet.
Von diesen und ähnlichen Denkmälern unterscheidet sich merklich im Stil die dreiteilige
Gruppe einer neben dem Stambultor in Nicäa eingemauerten Schmalseite eines gleichartigen
Sarkophags, an der ein bärtiger Mann und ein Jüngling, die vollkommen in den Mantel
gehüllt, mit schwach gebogenem Spielbein fast in reiner Frontstellung dastehen, sich mit
leichter Kopfdrehung einer lebhafter bewegten Frauengestalt zuwenden (Abb. 162). Durch die
beruhigte Haltung und ihre schwereren Proportionen sowie die seichtere Faltenbildung der
Gewänder nähert sich das nicänische Bruchstück dem Berliner Christusrelief (Abb. 166) als
letzte stilistische Vorstufe, während die Beziehung zwischen seiner Komposition und jenem
Dreiverein von Mysten oder Philosophen an dem Sarkophag aus Seleukeia noch enger er-
scheint. Das christliche Denkmal, das sich in Konstantinopel (Psamatia) an der Stätte
einer gefeierten Muttergotteskirche (Peribleptos) erhalten hatte und seither ein Eckstein der
neuesten Forschung geworden ist, mag von einem der ältesten Kaisersärge herrühren. Der
Anblick der Hauptgestalt in ihrer stillen Erhabenheit ruft jedem Beschauer das herrlichste
Idealbild eines griechischen Geistesheroen, die lateranensische Sophoklesstatue, ins Gedächtnis.
Wie bei dieser kommt nach strenger Rednersitte nur die rechte Hand aus der Verhüllung
des Mantels hervor. Hellenisch mutet uns auch trotz seiner bejammernswerten Verstümmelung das
Antlitz an, ein breites Oval von beinahe knabenhafter Jugendblüte, von weich herabquellendem
Gelock umrahmt. Und in der Tat ist auch diese Gestalt auf einem Sarkophag in der Villa
Colonna (Abb.164), dessen Schmalseite noch die Hadestür aufweist(Abb.l65),indem langgewan-
deten Jüngling sogar schon mit der Schriftrolle in zweifellos heidnischer Auffassung gegeben,,
— nur der Nimbus fehlt. Ein traditioneller antiker Typus wird also durch Hinzufügung

Abb. 167. Güter Hirte zwischen Ekklesia und dem Pädagogen, Sarkophag (Salona).
STILWANDLUNG IM CHRISTUSRELIEF — SARKOPHAG VON SALONA 173

dieses Symbols (S. 3) zum Christusbilde erhoben.


Er entspricht der Vorstellung, die sich der klein-
asiatische Hellenismus vom Heiland machte, und
in den Grundzügen auch dem jugendlichen
Christusideal (S. 110 u. 122) der christlichen
Sarkophage in Rom und Gallien. Es ist „der
Schöne“ der gnostischen Apostelakten. Die bei-
den Jünger sind gleichfalls bartlos gebildet,
der rechtsstehende jedoch mit fettem, den älteren
Mann kennzeichnendem rasiertem Kinn. Allein
die Individualisierung der Köpfe findet schon in
der gleichmäßigen Behandlung des schlicht an-
liegenden Haares ihre Grenze. Sie halten nicht
mehr Schriftrollen, sondern Bücher oder Dipty-
chen. Die Kopfwendungen und die Stellung
offenbaren dem nicänischen Fragment gegen-
über eine weitere Abschwächung der rhythmi-
schen Standweise,des natürlichen Kontraposts der
antiken Plastik. Die Gestaltenbildung ist unter-
setzter und großköpfiger geworden, auch ein-
facher im Umriß, so daß die Figur von den
Senkrechten der Architektur dichter umschlossen
wird und als gesammelte Erscheinung aus
dem schattigen Raumgrund heraustaucht. Sie
wirkt als Masse, obgleich sie flacher zusammen-
gepreßt, gleichsam verdichtet ist. Der Scheu
vor stärkeren Ausladungen entspringen Män- Abb. 168. Verkündigungsengel, Relieftafel
(Ottomanisches Museum).
gel wie die übertriebene Verkürzung der Arme,
am auffälligsten bei der herabhängenden Linken Christi, und die nur oberflächlich einge-
schnittene Faltenbildung. Mit einem Wort: das Hochrelief verfällt jener ausgesprochen optischen
Auffassung, aus der wir am Sockel des Obelisken in Konstantinopel einen neuen Reliefstil
entstehen sahen (S. 167). Das spricht gegen eine sehr viel frühere Entstehung des Christus-
reliefs. Und auch der Kreuznimbus, der hier zum erstenmal in der Plastik belegt ist, kündigt
mindestens die Nähe des 5. Jahrhunderts an. Endlich läßt die Dekoration einen gewissen
Abstand von den älteren Arbeiten der Schule erkennen. Der Bohrer ist nur noch an der
Schräge des Giebels und der Akroterien laufend geführt, an den Kapitellen hingegen sind
die Blattzacken in einer neuen bedeutsamen Weise durch unverbunden aneinander gereihte
Bohrlöcher herausgeholt.
Das Eindringen christlicher Typen in die Sarkophagplastik des nordwestlichen Kleinasien läßt sich
anscheinend schon an einem älteren Denkmal verwandter Richtung beobachten. Der merkwürdige christ-
liche Sarkophag des Coemeteriums von Monastirine (Abb. 167) in Dalmatien (S. 29) verrät jedenfalls keinerlei
nähere Beziehungen zu irgendeiner anderen Gruppe. Nach der Beschaffenheit seines Materials, blau-
geädertem Marmor, dürfte daher seine Zuweisung an die prokonnesische Schule gerechtfertigt sein, zumal
wenn der Deckel mit Recht als ursprünglich zugehörig gilt. Zeigt er doch dieselbe Verquickung der archi-
tektonischen Grundform mit dem Klinentypus des letzteren wie der Prunksarg von Sidamara, nur sind die
gelagerten Figuren bloß im Rohen zugehauen, so daß eine stilkritische Entscheidung unmöglich ist. Andrer-
174 EINDRINGEN DER SYRISCHEN RELIEFPLASTIK IN BYZANZ

seits ergibt sich die Vorstellung eines einheitlichen


Baues hier noch ähnlich wie beim Florentiner Hoch-
zeitssarkophag (S. 170) aus den Einzelmotiven.
Denn zwischen die wuchtigen Ecksäulen sind, die
schmucklose Rückseite ausgenommen, kleinere taber-
nakelartige Nischen ohne durchgehenden Zusam-
menhang eingefügt. Und zwar ist es auf der einen
Schmalseite noch die für die prokonnesische Sarko-
phagklasse typische Hadestür, auf der anderen eine
Giebelnische, unter der ein Genius mit der gesenk-
ten Fackel steht. Die Oranten neben jener nun-
mehr wohl als Paradiesespforte aufzufassenden Tür
sind Idealbilder seliger Verstorbener. Die beiden
Hauptfiguren der Vorderwand aber sind zweifellos
rein symbolisch zu deuten. Der Mann in der Tracht
und Haltung des Rhetors mit der Capsa zu Füßen,
den Erwachsene und Kinder, darunter einige mit
Schriftrollen in Händen, umdrängen, kann nicht
ein sterblicher Lehrer, sondern nur der göttliche
„Pädagoge“ Christus sein. In der Frauengestalt
wird man die Personifikation einer geistigen Macht,
vermutlich der Kirche, erblicken müssen, deren Wir-
ken das Bild der nährenden Mutter verkörpern
konnte. Es ist die gleiche Gegenüberstellung dieser
beiden Sinnbilder, wie in einer wohlbekannten Kata-
kombenfreske des späteren 3. Jahrhunderts (Abb. 63). Diese
altertümliche Symbolik, deren richtige Erklärung das Haupt-
bild des Guten Hirten in der Mitte verbürgt (S. 102), und
für deren Verbreitung im griechisch-kleinasiatischen Gebiet
der Sarg von Salona Zeugnis ablegt, weist auf frühe Entste-
hung desselben zurück, was der derbe, aber noch rein antike
Stil —, das einzige christliche Dekorationsmotiv bilden girlan-
dentragende Pfauen, — bestätigt. Keinesfalls später, als der
Anbau der Basilika, in dem er sich befand, (um 310) wird
der Sarkophag fertiggestellt sein, ja vielleicht weit früher.
Die syrische Kunstströmung hatte Byzanz schon im
konstantinischen Zeitalter erreicht. Der aus ihr erwach-
senen Reliefplastik der Staatsdenkmäler (S. 161 ff) ent-
lehnten die christlichen Bildhauer Konstantinopels z.B.
den Typus der Siegesgöttin, um ihn wie anderwärts
(S. 136) im Sinne des Engeiszu verwenden. So erscheint
die überlebensgroße Gestalt Gabriels (Abb. 168)
aus einer Verkündigungsgruppe, die noch im 17. Jahr-
hundert ein Tor am Goldenen Horn schmückte, in
Haartracht und Gewandung den Viktorien des Ga-
leriusbogens in Saloniki und mancher Elfenbein-
schnitzereien nicht unähnlich und noch von antikem
Stilgefühl für Rhythmus der Bewegung und Linie
Abb. 169. Taufe Christi und Hirtenszene, beherrscht, wenn sich auch in der Kürze des Armes,
Bruchstücke einer Weinlaubsäule
(Ottomanisches' Museum). in dem sie sogar den Palmzweig bewahrt und in der
FIGURIERTE WEINLAUBSÄULEN U. A. SYRISCH - BYZANTINISCHE BILDWERKE 175

starren Bildung des Flügels bekannte Eigen-


heiten der oströmischen Reliefplastik ver-
raten (S. 157 u. 160). Im Gegensatz zu
diesem schönen Überbleibsel ist die ge-
wöhnliche syrische Steinmetzarbeit durch
ein Bruchstück eines Abrahamopfers (in
Berlin) vertreten, von dem die kniende
Gestalt Isaaks in gleicher, obschon ver-
renkter Haltung, wie öfters die gefesselten
Barbaren der Triumphalplastik, und in
vollständiger Verhüllung (s. unten), von
Abraham nur die auf seinem Haupte
ruhende Hand sich erhalten hat. Das Re-
lief ist in gleichmäßiger Erhebung wie mit
Abb. 170. Beschuldigung Benjamins, Relieftafel
dem Messer aus weichem grauen Kalk-
(in Berlin).
stein herausgeschnitten. Wie diese Tech-
nik alsbald im prokonnesischen Kunstkreise auf den Marmor übergreift, bezeugt schon der
Ambon von Saloniki (S. 136), der sich mit der Akanthusbehandlung am Christusrelief von
Psamatia (S. 173) berührt.
Doch treffen wir in Konstantinopel selbst auch ungleich bessere Arbeiten aus dem 5. Jahrhundert an,
die sich geradezu der syrisch-palästinensischen Kleinplastik zuzählen lassen, so z. B. ein paar Säulentrommeln
(Abb. 169), die wie auf den Säulensarkophagen mit tief unterschnittenem Weinlaub umsponnen sind (S. 115).
Die freie Bewegung der Ranke mit ihren knorrigen Biegungen und die natürliche Blattbildung ist mit liebe-
voller Beobachtung wiedergegeben. Auf ihrem Geäst aber und in den Lücken des Laubes sind ganz im
Geschmack der syrischen Kunst kleine Gruppen oder ganze Szenen mit Andeutung der landschaftlichen Um-
gebung eingefügt. Die figurenreichste Darstellung ist der Taufe Christi in einer sehr entwickelten Kom-
position gewidmet, in die bereits zwei die Gewänder des jugendlichen Christus haltende Engel und der
Flußgott Jordan aus einem palästinensischen Bildtypus (s. Kap. V) Aufnahme gefunden haben. Daneben
ruht ein Schläfer, wohl Jonas. Auffällig tritt die Verwandtschaft mit den Ciboriumsäulen von San Marco
im Figurentypus hervor, besonders an der zweiten Trommel (Abb. 169). Ein Hirt z. B., der sich, den Hund an
der Feine haltend, auf seinen Stab stützt, steht hier ganz ähnlich da wie dort die den Fazarus enthüllenden
Diener. Der rennende Buckelochse entstammt der syrischen Kunst. Den Frauengestalten der Venezianer
Reliefsäulen kommen in Tracht, Gewandstil, Proportionen und Bewegung die Figuren einer genrehaften
Gruppe sehr nahe, welche nicht ohne Humor den Streit zweier Weiber schildert. Die Beiden fahren auf-
einander los wie die Tiere, Hund und Hahn, die sie im Arme tragen. Durchweg ist das organische Ver-
ständnis der Gestalt mit denselben Mängeln behaftet wie an dem besagten Denkmal, dafür der Gesamtein-
druck immer mit demselben sicheren Blick erfaßt, die Neigung zu frontaler Kompositionsweise aber schon
stärker ausgeprägt. Die weite Verbreitung der Weinlaubsäulen in der christlichen Kunst bezeugen ähnliche,
aber einfachere Bruchstücke, die in Nordafrika, in Gallien und in Bosnien zutage kamen. Das reichste (in
Arles) stellt einen Putto mit Traubenkorb und naschenden Vögeln dar, Motive von typischer Geltung (S. 105/6).
Auch Rom besaß in San Clemente und in der Petersbasilika als Geschenk Konstantins d. Gr. solche Säulen.
Einzelne stilverwandte Denkmäler bestätigen, daß der Darstellungskreis der altbyzantinischen Relief-
plastik eine Erweiterung erfuhr, indem aus der syrischen Malerei und Kleinkunst neue Stoffe aufgenommen
wurden. Auf einem unlängst in Konstantinopel gefundenen Fragment (Abb. 170) scheint in lockerer Figuren-
komposition die fälschliche Beschuldigung Benjamins durch (den fehlenden) Joseph (1. Moses, XLIV, 12),
dargestellt zu sein, die auch in der Elfenbeinschnitzerei, wenngleich in anderer Ausgestaltung, belegt ist.
Naivität und Lebendigkeit ist der vereinfachten Darstellung nicht abzusprechen, die Figurentypen aber sind
schon in die schwerfälligeren Verhältnisse des altbyzantinischen Stils übertragen. Eine gewisse Flauheit
der Körperformen läßt darin eine Arbeit des späteren 5. Jahrhunderts erkennen. Derselben Kunstrich-
tung gehören anscheinend mehrere weit im Westen verstreute Bildwerke an. Zwei schöne Relieftafeln in
176 AUSGLEICH DER BEIDEN STILRICHTUNGEN

Abb. 171. Hirtenverkündigung und Huldigung der Magier, Relieftafeln (in Karthago)
(nach Doublet, Musee Lavigerie de Carihage, 1890, Taf. I).

Karthago (Abb. 171), die in leider recht mangelhafter Erhaltung die Hirtenverkündigung und die Huldigung
der Magier schildern, sind mit einem aus schräggelegien Akanthusblattspitzen gebildeten Wulst von typisch
byzantinischem Schnitt umrahmt. Und doch kann nur ein Syrer in der ersten Szene die zufahrende Be-
wegung des Engels und die heftigen Gebärden der Überraschten mit solcher Unmittelbarkeit erschaut haben,
wie auch die Doppelhandlung und vollends der Engel als Vermittler bei der Magieranbetung palästinensi-
scher Ikonographie (S. 135) entstammt. Eine wiederum sehr lebhaft bewegte Gestalt auf der verstümmelten
Unterhälfte ist wahrscheinlich als Magier beim Erblicken des Sternes zu deuten, während die andere Tafel
hier kaum noch einen Überrest bewahrt. Ein kleines Verkündigungsrelief mit sitzender Maria von ähn-
lichem Stil des frühen 5. Jahrhunderts, zumal in der etwas verworrenen Faltengebung hat sich in Ravenna
(S. Apollinare in Classe) erhalten. Syrische Holzschnitzerei fand auch an Marmortüren in Byzanz Nachahmung.
Die Zuwanderung von Bildhauern aus den orientalischen Provinzen nach Byzanz wurde
von den Kaisern begünstigt, seit Konstantin der Große allen Künstlern Steuererlaß gewährt
hatte. Auch manches christliche Kunstwerk wird aus Antiochia wie aus Alexandria nach
dem Bosporus entführt worden sein. So steht die Plastik Konstantinopels von Anfang an
im Zeichen der Stilmischung. Denn wie hoch auch der syrische Einfluß zu bemessen ist, es
geht doch neben ihm,r jene ältere kleinasiatisch-griechische Richtung her, und die Folgewir-
kungen dieser Kreuzung sind in den christlichen Bildwerken ebensowenig zu verkennen wie
in der profanen Staatskunst (S. 163ff.). Im Laufe des 5. Jahrhunderts findet ein Ausgleich
statt, wobei ein selbständigeres lokales Kunstwollen durchschlägt und die ihm gebotenen An-
regungen weiterentwickelt. Von dem Denkmälerbestande, an dem sich diese eigenartige Ent-
wicklung verfolgen läßt, hat uns freilich Konstantinopel nur einen verschwindend kleinen
Bruchteil bewahrt,1 — glücklicherweise aber gerade genug, um die Zugehörigkeit einer weit
zahlreicheren geschlossenen Denkmälerklasse zu beweisen: der ravennatischen Sarkophage,
deren Material überdies in der großen Mehrzahl, wenn nicht ausnahmslos, prokonnesischer
Stein ist.
Deutlich scheiden sich unter ihnen zwei verschiedene Stilrichtungen, und zwar am schärf-
sten in einzelnen Stücken frühester Entstehung. Mit den stilistischen Unterschieden fallen
ikonographische und solche der tektonischen Form zusammen. Dadurch erhalten wir Hin-
weise auf das Ursprungsland beider Stammtypen.
Unverkennbar kleinasiatischen Charakter trägt vor allem der Sarkophag des Bischofs Liberius II.
oder III. (f 351 bezw. 378), an dessen Hauptseite anscheinend die Übergabe der (fehlenden) Schlüssel
(oder einer Schriftrolle?) an Petrus dargestellt ist. Das jugendliche Christusideal von breitovalem Umriß
mit dem malerischen Gewirr der in den Nacken herabhängenden Locken läßt daran keinen Zweifel, aber
TYPENSCHEIDUNG UNTER DEN RAVENNATISCHEN SARKOPHAGEN 177

der Sargtypus weicht von dem des Berliner Christusreliefs (Abb. 166) nicht unwesentlich ab. Es ist ein in
lauter Rundnischen gegliederter Säulensarkophag. In den Arkaden stehen fast vollrunde Figuren von gutem
Kontrapost und schönem Faltenwurf. Die kurzen Spiralsäulen kommen mit ihren korinthischen Kapitellen
denen des Sarkophags von Salona (Abb. 167) nahe, das dorische Kyma schmückt wie dort das Gesims. Ebenso
auch an einem ihm sehr ähnlichen, aber etwas gröberen ravennatischen Sarge, der noch den dachförmigen
Deckel bewahrt und auf seiner Schauseite die gleiche, figürliche Komposition trägt, wie der Sarkophag des
Fiberius auf der Rückseite (Abb. 172). Sie stellt die Gesetzesübergabe dar, aber nicht an Petrus, sondern
an Paulus. Darin spricht sich ein Protest gegen die Auffassung der älteren antiochenischen oder süd-
kleinasiatischen Säulensarkophage (S. 114) aus. Eine im Missionsgebiet des Paulus, im westlichen Klein-
asien, liegende Kunststätte muß der Szene diese entgegengesetzte Wendung gegeben haben. Die letztere
erhält sich auch an jüngeren ravennatischen Särgen, von denen freilich keiner mehr als stilreiner Vertreter
des kleinasiatischen Typus gelten kann, wenngleich derjenige des Pietro Peccatore (S. Maria in Porto) in
der Figurenbildung noch dieser Richtung näher steht (Taf. XIII, 2). Andrerseits ist schon am Sarkophag des
Fiberius sozusagen die Gleichberechtigung der Apostelfürsten durch die Doppelhandlung ausgesprochen. Der
Nischenbau als Schauplatz bedeutet hier augenscheinlich die „Himmelshalle“.
Den zweiten Stammtypus der ravennatischen Sarkophage vertritt am reinsten ein kaum viel jüngeres
Denkmal von echt palästinensischem Stilcharakter, der schwer beschädigte Familiensarg der Pignatta ( Abb. 173).
Auf seiner Schauseite thront der jugendliche Christus von palästinensischem Typus mit langem gescheiteltem
Haar (S. 138), die Füße auf den Föwen und Basilisken setzend, — ein koptisches Bildmotiv (S. 145) —,
die Rechte lehrend erhoben, zwischen zwei unbärtigen Aposteln. Dattelpalmen, von denen die Früchte
schwer herabhängen, versinnlichen das Paradies als Schauplatz der Handlung, wie schon auf jüdischen
Särgen und im Portalschmuck einer palästinensischen Synagoge (in Tell-Hum). An den Schmalseiten erblicken
wir die Verkündigung mit der spinnenden Maria (Abb. 174) und die Heimsuchung in typisch syrischer Auf-
fassung, auf der Rückseite zwei vom Febenswasser trinkende Hirschkälber. Auf glatter Grundfläche sind
die Figuren in reinem, wenngleich kräftigem Flachrelief weit verteilt, eine Anordnung, die sichtlich ihre
plastische Erscheinung im Raume veranschaulichen soll. Die richtig proportionierte, aber reichlich derbe
Gestaltenbildung, die harten, bis zur Rechtwinklichkeit eckigen Bewegungen, die wenigen großen, des Wohl-
lauts entbehrenden Faltenmotive der schweren Gewänder, alles das steht im vollsten Gegensatz zum Stil
des Fiberiussarges, berührt sich hingegen mit verschiedenen Denkmälern syrischer Richtung (Abb. 121—125
u. 169). Die tektonischen Glieder bestehen aus kanellierten Pilastern und einfach profiliertem Architrav

Abb. 172. Übergabe des Gesetzes (bezw. der Schriftrolle) an Paulus, Sarkophag in Ravenna (S. Francesco).
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 12
178 STILAUSGLEICH AN DEN JÜNGEREN SÄRGEN RAVENNAS

Abb. 173. Christus über dem Löwen u. Basilisken, Hauptseite des Sarkophags der Pignatta (Ravenna).

und Sockel, der Deckel ist rund gewölbt und mit schematischen Eckakroterien versehen. Die Wölbung
und die Lünetten schmücken mächtige Kreuze. Solche Formen gewinnen in der Folge zugleich mit dem Schuppen-
ornament (Taf. XIII, 1) an den ravennatischen Sarkophagen die Vorherrschaft (Abb. 175 u. Taf. XIII, 3).
Dem vorigen erscheint der im 5. Jahrhundert gearbeitete, im 7. wieder benutzte Sarg des Exarchen Isaak
(aus S. Vitale) und ein zweiter (in S. Giovanni) mit der Komposition der Magieranbetung (Abb. 175) verwandt.
Durch die Übereinstimmung in den Darstellungen der Nebenseiten reiht sich ihnen ein großer Sarkophag
im Museum von Ravenna an, der jedoch bereits deutlichere Merkmale des beginnenden Stilausgleichs zeigt
(Abb. 176). In der Erweckung des Lazarus (Abb. 177) — bemerkenswert ist darin auch die verschobene
Perspektive des Grabhauses — erblicken wir einen kurzhaarigen Christustypus mit dem Kreuzmonogramm
im Nimbus, wie es dem echt palästinensischen der Gesetzesübergabe auf der Schauseite eigen ist. Und so
empfängt hier Petrus das aufgerollte Schriftblatt, — Paulus steht staunend dabei. Die Gewänder bewahren
den schweren Stoffcharakter, obwohl an ihnen und am orientalischen Kostüm Daniels auf der anderen
Schmalseite ein Streben nach gefälligerer Wirkung nicht zu verkennen ist. Am meisten befremdet die Un-
beständigkeit des Meisters in den Proportionen. Es ist kaum Zufall, daß er die offenbar frei hinzuge-
fügten Nebenfiguren in so gedrungenem Körperbau gebildet hat.
In der wachsenden Vorliebe für untersetzte Ge-
stalten von derber Gliederbildung, die breit und
gleichmäßig auf beiden Füßen dastehen und sich
mit gewichtiger Gebärde dem Beschauer zuwenden,
kommt der allgemeine Zug der Entwicklung immer
stärker zum Durchbruch. Gleichzeitig glätten sich
die Gewänder, die vereinfachten Faltenzüge fol-
gen der natürlichen Schwerkraft, so weit sie nicht
unter der unmittelbaren Rückwirkung der Bewegung
stehen. Die Sarkophage des Exuperantius, des Rinal-
dus (Taf. XIII, 2), des Barbatianus im Dom von
Ravenna u. a. m. belegen die stetig fortschreitende
Stilwandlung. Wenn auch das repräsentative Ele-
ment schon durch syrische Vorbilder dieser Kunst
zugeführt sein mag, so fehlt es ihr doch keineswegs
Abb. 174. Verkündigung, Schmalseite desselben an selbständiger Auffassung. Mit bewußter Absicht
Sarges (Ravenna). strebt sie einer ausdrucksvollen Häßlichkeit in der
DAS DURCHBRECHEN DES ALTBYZANTINISCHEN REALISMUS 179

Abb. 175. Huldigung der Magier, Front des Sarkophags des Exarchen Isaak (aus S. Vitalein Ravenna).

Wiedergabe der wirklichen Erscheinung zu, ohne die organische Durchbildung der Gestalt
und Bewegung zu vernachlässigen. Die Figuren sind von einheitlichen Proportionen, selbst
die übertriebene Vergrößerung der Hände und die Kürze der Arme kehrt regelmäßig wieder.
Eine so gleichartige Entwicklung muß sich im wesentlichen an einem Orte abgespielt haben.
Sicher sind zugleich mit prokonnesischen Marmorblöcken auch prokonnesische Steinmetzen
nach Ravenna gelangt — der überlieferte Name eines Daniel wird einem Syrer gehören —,
aber ebenso wahrscheinlich bleibt es, daß die Sarkophage oft schon in fertiger Gestalt nach
der halbbyzantinischen Residenz des Westreichs verschifft wurden, wie die Säulenkapitelle der
ravennatischen Kirchen. Und in der Tat hat sich derselbe Stil von Byzanz aus nicht nur
nach Ravenna, sondern auch ostwärts in Kleinasien verbreitet.

Abb. 176. Übergabe des Gesetzes an Petrus, Sarkophagfront (Ravenna).


12*
180 STILVERWANDTE BILDWERKE AUF BYZANTINISCHEM BODEN

An der kleinasiatischen Nordküste ist


unweit von Sinope in der Gegend des alten
Amaseia ein aus prokonnesischem Stein
gearbeitetes Relief (Abb. 178), leider un-
vollständig, erhalten geblieben, das sich in
jeder Hinsicht den jüngeren ravennati-
schen Sarkophagen zur Seite stellt, in der
Reliefbildung wie in der isolierenden Kom-
position, im Figurentypus wie in der schwer-
fälligen, aber richtig beobachteten Bewe-
gung und in der schlichten, nur den natür-
lichen Zug des Gewandes berücksichtigen-
den Faltengebung. Es stellt wahrschein-
lich ein Heilungswunder Christi dar, dem
Petrus, durch das Stabkreuz und den Kopf-
Abb. 177. Erweckung des Lazarus, Schmalseite desselben
typus erkennbar, als staunender Zeuge
Sarges (Ravenna).
beiwohnt. Ebenso lebendig wie seine Teil-
nahme wirkt die demütige Annäherung des Kranken. An Kraft eindrucksvoller Charakteristik
aber wird dieses Bildwerk noch übertroffen von der in Hochrelief ausgeführten Halbfigur eines
Evangelisten im Ottomanischen Museum (Abb. 1). Sie beseitigt den letzten Zweifel an der
Herrschaft eines solchen Realismus auf byzantini-
schem Boden. Meisterhaft ist hier in der physi-
schen Individualität die geistige Persönlichkeit ver-
körpert. Nur diese gilt noch, um ihretwillen hat
die altbyzantinische Kunst den ästhetischen Wert
des Häßlichen in sein Recht eingesetzt. Die breit-
schultrige, kurzhalsige Gestalt mit den klobigen,
fast gelenklosen Händen, die das Evangelium um-
klammern, und dem kleinen, von dichtem Haar-
wuchs und kurzem Vollbart umschlossenen Kopf
spricht die Wucht der Persönlichkeit aus, deren
innere Erleuchtung der himmelsuchende Blick wider-
strahlt. Die hohe künstlerische Leistung darf hier
nicht über der mangelnden feineren Durchbildung
der Form verkannt werden. Das Denkmal hatte
offenbar eine dekorative Bestimmung als Bogen-
und Rundnischenfüllung. Zum Schmuck von Bau-
gliedern macht die altbyzantinische Plastik noch
öfter Gebrauch von hochreliefmäßiger Behandlung
des Marmors. Davon zeugen nicht nur ein paar
verstümmelte Seitenstücke der vorerwähnten, son-
dern auch eine weniger schadhafte Reliefbüste eines
die Schriftrolle entfaltenden bärtigen Propheten
mit der für Daniel typischen Kopfbedeckung (Otto- Abb> im Petrus a]s Zeuge eines Wunders,
manisches Museum). Vollrunder Formengebung Relief aus Ajatzam (in Berlin).
Tafel XIII

1.

1. Übergabe der Schriftrolle an Paulus, Sarkophag des Pietro Peccatore (S. Maria in Porto)
2. Huldigung der Apostelfürsten im Paradiese, Sarkophag des S. Rinaldo (Kathedrale)
3. Übergabe der Schriftrolle an Paulus, Sarkophag (S. Apollinare in Classe).
VERSTREUTE ALTBYZANTINISCHE BILDWERKE 181

nähert sich gar das Brustbild der betenden Gottesmutter von einem Kämpfer der vorjustinianischen
Basilika in Chalkis (Kap. IV), während das entsprechende Bruchstück einer Darstellung Marias
in ganzer Gestalt wohl schon aus dem 6. Jahrhundert von etwas derbem Stil kleinasiatischer
Herkunft und syrischer Stilfärbung (in Berlin) nur in kräftigem Halbrelief gehalten ist. Lassen
solche Bildwerke schon die Ausstrahlung der reifen hauptstädtischen Kunst in die Provinzen
erkennen, so verdanken mehrere andere, die wieder eine augenfällige Verwandtschaft mit
den ravennatischen Sarkophagen zeigen, ihre Entstehung ohne Zweifel den Werkstätten am
Bosporus selbst. Mit dem Danieltypus zweier oben angeführter ravennatischer Särge be-
rühren sich unverkennbar die Gestalten der drei Jünglinge im Feuerofen eines leider sehr
schadhaften Reliefs im Ottomanischen Museum. Die Markuskirche in Venedig aber bewahrt
als mittelalterliche Beutestücke aus Byzanz eine zum Altarvorsatz zugerichtete Sarkophag-
front, auf der die Gesetzesübergabe an Paulus dargestellt ist, mit häßlichen Charakterköpfen
der Apostel (und überarbeitetem Christi) auf schlank gebildeten, noch ziemlich antik stilisierten
Gewandfiguren, sowie (in der Vorhalle) den Sarg des Dogen Morosini, auf dem der jugend-
liche Christus in ihrer Mitte und darunter realistische bärtige Gestalten in bischöflicher Tracht,
umgeben von weiblichen Heiligen (oder Personifikationen) in Orantenstellung, ihre Wiedergabe
in verkümmerter kleinfiguriger Bildung mit großen Köpfen gefunden haben.
Wie ein Mittelglied in der Stilentwicklung zwischen dem Berliner Petrusrelief und diesem
Sarkophag, die das Ornament der Traubenranke miteinander teilen, [erscheint ein ravenna-
tischer Sarg in S. Apollinare in Classe, dem die gleichartige Umbildung des palästinensi-
schen Christustypus und die Doppelhandlung der Übergabe der Schriftrolle und der Schlüssel

■ • t

--
___—r—•»

—’—:—
$$*5*5 -ir '* •

.|

...... „"»j,.—• yr- p..,,ä


yv.
. ' p .. .

Abb. 179. Christus-und Apostellämmer auf dem Paradiesesberge, sog. Sarkophag Valentinians III (Ravenna).
182 DIE LÄMMERSARKOPHAGE UND SÄRGE MIT ORNAMENTALEM SCHMUCK

Abb. 180. Pfauenpaar im Weinstoek, Sarkophag des Erzbischofs Theodorus (S. Apollinare in Classe).

an die Apostelfürsten zugleich ikonographische Bedeutung verleiht (Taf. XIII, 3). Auch
an ihm sind die großköpfigen Gestalten schon fast verkrüppelt. Mag er vielleicht erst dem
späteren 5. Jahrhundert entstammen, so hatte dieser Stil doch um Mitte desselben bereits seine
volle Reife erreicht. Einen zeitlichen Anhaltspunkt bieten die vermeintlichen Särge der Galla
Placidia des Honorius und des Valentinian im sog. Mausoleum der erstgenannten, deren Auf-
stellung der Vollendung des Baues (Kap. IV) bald gefolgt sein muß. Bei gegenständlicher Über-
einstimmung des Reliefschmucks nehmen wir auch an ihnen einen Fortschritt der Stilentwicklung
wahr, deren Einheitlichkeit daraus erhellt, daß die Tierfigur der gleichen Stilisierung wie die
Menschengestalt unterworfen wird. Die drei Lämmer im Paradiese am Sarge Valentinians (Abb.
179) verhalten sich mit ihrer kurzgebauten und großköpfigen Statur zum ungleich naturwahrer
gebildeten Christuslamm unter dem Kreuze auf dem Honoriussarkophage ganz so wie die aus-
gereiften Typen der Apostel zu ihren wohlgebildeten Vorgängern. Daß auch diese rein sym-
bolischen Kompositionen so gut wie die Palmen einen syrischen Einschlag in den Motiven-
schatz der ravennatischen Sarkophage darstellen, ergibt sich aus ihrer Vorgeschichte (S. 119).
Dazu kommen, besonders an den Schmalseiten, Gruppen von Tauben, die aus einer Vase
trinken, Pfauen im Gezweig des Weinstocks (Abb. 180), der aus ihr emporwächst und gelegentlich
die ganze Fläche überrankt. Den byzantinischen Geschmack offenbart hier die scharfkantige,
dem Akanthusschnitt verwandte Bildung, die das Weinblatt annimmt, z. B. an einem Sarko-
phag in S. Apollinare in Classe, der im 7. Jahrhundert für den Erzbischof Theodorus in
neuen Gebrauch genommen wurde. In der Tierdarstellung bewahren diese und einzelne ihnen
verwandte Denkmäler noch eine lebendige Naturauffassung, so z. B. in einem trinkenden
Hirsch und in Pfauen auf zwei schönen Zierplatten des Berliner Museums und in S. Apol-
linare Nuovo. Andrerseits leben die Kompositionstypen der Vogel- und Lämmersymbolik
in der lokalen ravennatischen Kunstübung am längsten fort, doch sieht man ihren rohen
Erzeugnissen (in S. Apollinare in Classe u. a. m.) auf den ersten Blick die späte Entstehung an.
In der durchmessenen Entwicklung spricht sich der Geist des 5. Jahrhunderts aus, einer
Übergangszeit zu neuen Lebensformen, in der die Feindschaft des Christentums gegen alles
Heidnisch-Antike immer mächtiger um sich greift. Aber das Gefallen am Häßlichen liegt
auch —, wie die Folgezeit lehrt, — tief im Geschmack des byzantinischen Griechentums be-
gründet. Und wie dieses sich im Völkergemisch des neuen Roms als das bindende Element
behauptet, so gleicht auch seine Anschauungsweise die verschiedenen Stilrichtungen aus. So
fremd sie dem hellenischen Kunstgeist erscheint, fehlt es ihr dennoch nicht an tieferer Wesens-
gemeinschaft mit ihm. Der sichere Blick für die Artikulation der Gestalt verliert sich selbst
bei den häßlichsten Proportionen so wenig wie die stilisierende Formauffassung, die nunmehr
SIEG DES STILPRINZIPS DER OPTISCHEN RELIEFGESTALTUNG 183

auch das Plumpe und Triviale regelt und zu typischer Bedeutung erhebt. Das unterscheidet
den altbyzantinischen Realismus von dem ungleich frischeren, aber an formaler Gestaltungs-
kraft armen syrischen Naturalismus. Es fällt nicht schwer, in der byzantinischen Stilbildung
des 5. Jahrhunderts die folgerichtige Fortsetzung der Bestrebungen zu erkennen, die bereits
in der Profanplastik des 4. zutage treten. Schon dort war das Ziel dasselbe, ein Bild der
Wirklichkeit in geklärter, aber keineswegs veredelter Erscheinung zu geben (S. 168). Und
die gleiche, entschieden optische Reliefauffassung wirkt sichtlich auch in den ravennatischen
Denkmälern fort und führt zu der stetig fortschreitenden Verflachung der Figuren, ja selbst
der Architektur und Geräte. Die Zusammenfassung der Figur in einfachem Umriß, ihre
nur durch spärliche Detailformen malerisch belebte Massenwirkung soll in starkem Kontrast
zur Grundfläche die Vorstellung der Körperlichkeit anregen. Wenn das 4. Jahrhundert dem
gesteigerten Raumgefühl noch durch Herauslösung der Figur in einer Nische Ausdruck zu
geben sucht, so glaubt das 5. dies durch optische Anschauungsmittel ebenso sicher zu er-
reichen. Gelegentlich —, am Sarkophag des Rinaldus (Taf. XIII, 2), — wird der freie Raum,
den wir in der glatten Fläche zu erkennen haben, durch Wolkengebilde deutlicher versinnlicht.
Das Relief strebt so die Wirkungen der gleichzeitigen Malerei an.
Die Vermutung, daß es darin durch Farbe unterstützt wurde, drängt sich uns bei der Betrachtung
der merkwürdigen Stuckreliefs auf, die im Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna als Bestandteil der
um Mitte des 5. Jahrhunderts durch den Erzbischof Neon gestifteten Wandverkleidung aus farbigem Mar-
mor und Mosaik bis auf den heutigen Tag erhalten blieben (Kap. IV). Mosaikmalerei und polychromes
Relief wirkten hier offenbar harmonisch zusammen. Auch wurde die Illusion ursprünglich durch eine (in-
folge der Restauration zerstörte) perspektivische Konstruktion der Arkadenarchitektur verstärkt. Die 16 Relief-
gestalten von Aposteln und Evangelisten in den Tabernakeln sind ganz
nach dem Stilprinzip der jüngeren ravennatischen Särge und der Sockel-
reliefs des Obelisken (S. 167) als flache Silhouetten auf den Marmor-
grund aufgetragen. Nur durch die kräftigere Ausrundung der Köpfe,
der in Verkürzung gesehenen Füße, Hände, Schriftrollen, Gewand-
falten oder flatternden Zipfel erwecken sie plastische Vorstellung.
Und doch wagten die Künstler, Figuren in unruhiger, gleichsam im
Feuer der Rede bewegter Stellung wiederzugeben. In den kleineren
dekorativen Giebelgruppen der Arkaden erblicken wir außer den vor-
herrschenden symbolischen Tierfiguren auch Szenen wie Christus als
Bezwinger des Löwen und Basilisken, Daniel in der Löwengrube,
Jonas zwischen Seedrachen, ja selbst die Übergabe der Gesetzesrolle
an Paulus. Von dieser Art Flachrelief aber ist kein weiter Schritt
mehr zum sogenannten opus sectile, dem aus verschiedenfarbigen
größeren Stücken zusammengesetzten Marmormosaik, haben doch die
Figuren manchmal darin ebenfalls ein schwaches Relief, so z. B. das
von einem Reliquienaltar herrührende Lamm in Mailand (S. Ambrogio).
Im Anfang des 6. Jahrhundert etwa nimmt die zeich-
nerische Reliefauffassung, die sich im 5. mehr und mehr
durchgesetzt hatte, unter dem Einfluß einer klassizistischen
Geschmacksrichtung, deren Aufkommen wir in den Elfen-
beindiptychen (s. unten) beobachten können, wieder eine rei-
chere lineare Stilisierung auf. Als einziges, bisher verkanntes
Überbleibsel dieses Stils ist ein zeptertragender Engel von hal-
ber Lebensgröße in Venedig (S. Marco) anzusehen (Abb. 181), Abb. 181. Zeptertragender Engel,
, . ~ ' Reliefplatte (in Venedig)
in dessen gedrungener Gestalt, breitovalem Antlitz, zierlich (naCh ongania, La Bas. di s. m. Dett.).
184 STILVERFALL IN BILDWERKEN DER FOLGEZEIT — LITERATUR

stilisiertem Lockenhaar und Gefieder, sowie in der stofflichen Gewandbehandlung deutliche An-
klänge an eine berühmte Elfenbeintafel (Abb. 197) zu spüren sind, — zugleich jedoch auch an weit
ältere Vorbilder (Abb. 168) der Marmorplastik. Der Abstand der dazwischenliegenden Entwick-
lung aber tritt in der grundverschiedenen Reliefauffassung zutage, welche die reiche Abstufung des
antiken Flachreliefs zugunsten einer viel gleichmäßigeren Schichtung aufgegeben hat.
Daß sich die Reliefplastik der Folgezeit in gleicher Richtung fortentwickelt, läßt sich an
drei erst 1909 in der Studiosbasilika gefundenen Kalksteinreliefs der Majestas, des Einzugs
in Jerusalem und einer Lehrszene beobachten. Erreicht ist die volle Abflachung des Gesamt-
bildes in zwei wohl schon dem 7. Jahrhundert entstammenden Bildwerken, die ein in lebhaftem
Gespräch begriffenes Apostel- oder Heiligenpaar (Ottomanisches Museum) und die Berufung
des Moses auf einem inschriftlich bezeichneten Grabstein des Arztes Johannes (in Berlin)
darstellen. Die starke Überschneidung der beiden Gestalten, in denen wir hier, wie auf der
Sabinatür (S. 139), Moses zuerst vor der Stimme Gottes zurückweichend und dann den Be-
fehl entgegennehmend erkennen, weist geradezu auf die Übertragung einer malerischen Vorlage,
wie sie z. B. ein gedruckter koptischer Stoff darbietet, ins Relief hin. Ein gewisse Schärfe
der Umrisse und Gewandfalten soll hier nur noch durch Schattenkonturen die Vorstellung
greifbarer Form erzeugen. Das Ottomanische Museum bewahrt außerdem zwei größere
Platten, auf denen die älteren Bildtypen der drei Jünglinge im Feuerofen und der Erweckung
des Lazarus (S. 180 u. 181) in einen noch gröberen Stil umgesetzt erscheinen. Den niedrigsten
Stand der Technik und den völligen Verfall des Reliefs verraten endlich mehrere in Kertsch
gefundene unvollständige Darstellungen in Graffitomanier aus der Geschichte des Petrus.
ZunEChristusrelief aus Psamatia und seinen Vorstufen vgl- Ainalow, Hellenist. Grundl. usw., S. 160 ff.
und Strzygowski, Or. od. Rom, S. 40 ff. u. Journ. of hell. Stud. 1907, S. 99 ff. sowie die übrige Lit. Beschr.
d. Bildw. d. Christi. Ep. III, 1, Nr. 26 (desgl. für alle anderen in Berlin befindlichen Bildwerke); zum Sarko-
phag von Salona Repert. f. K. Wiss. 1911, S. 308. Die altbyzantinischen Skulpturen des Ottomanischen
Museums fanden (mit Ausnahme der noch unbeachteten Prophetenbüste) ihre Würdigung durch Strzygowski,
Byz. Zeitschr. 1892, S. 576 ff. sowie a. a. O., S. 21, und A. Munoz, N. Bull, di a. c. 1906, p. 107, während das
von S. Muratori, a. a. O., 1911, S. 39 ff., hervorgezogene Thomasrelief in Ravenna vielmehr den Überresten antio-
chenischer Sarkophagplastik (S. 118) zuzurechnen ist; L. Brehier, Nouv. archives des missions scientif. N. ser.
Paris. 1911, fase. 3, hat vorwiegend die dekorativen Arbeiten berücksichtigt; zur Maria Orans aus Chalkis
vgl. Strzygowski, AsVnov xfj<; iöt. xcu effvoA. excupictc; 1888, S. 711 ff. K. Goldmann, Die ravennat. Sarkophage,
Straßburg 1906, undtH. Dütschke, Ravennat. Studien, Leipzig 1909, haben die Sichtung und Katalogisierung
des Materials durchgeführt, ohne zu annehmbaren stilgeschichtlichen Ergebnissen zu gelangen, wie sie G. van
den Gheyn, Bull, de l’Acad. r. d’archeol. de Belgique, Anvers 1901, bietet; vgl. Repert. f. Kunstwiss. 1908,
S. 279 ff. und D. Lit. Zeitg. 1911, Sp. 677 ff. und ohne entschiedene Stellungnahme v. Sybel, a. a. O. II,
S. 197 ff. Weitere Nachweise vgl. im Repert. f. Kunstwiss. 1912, S. 236 ff. sowie zu den Marmortüren und
im einzelnen bei O. M. Dalton, Byzant. art and archaeol. Oxford 1911, S. 113—158, wo jedoch manches
Nichtbyzantinische auszuscheiden ist; endlich zu den Reliefs der Studiosbasilika B. Pancenko, Bull, de Einst,
archeol. russe ä Constantinople 1912, XVI, Taf. I—III, S. 1 ff. (S. A.).

7. Die altchristliche Kleinplastik.


Wie in mancher neuen Stilepoche hat gerade die Kleinkunst auch in den altchristlichen
Kunststätten des Ostens eine selbständige, ja eine führende Bedeutung gewonnen. In der
Metallplastik und in der Schnitzerei herrschte eine größere Freiheit der Erfindung, und war
der Bilderschatz noch reicher als in den Steinreliefs. Von den Erzeugnissen dieses blühenden
Kunstgewerbes haben die Kirchenschätze des Abendlandes noch einen ansehnlichen Bestand
bewahrt. An Zahl und kunstgeschichtlicher Bedeutung nehmen die Elfenbeinschnitzereien
PARALLELISMUS DER STILENTWICKLUNG IN DER KLEINPLASTIK ISS

die erste Stelle ein. Den Gebrauch der Diptychen und Pyxiden, letzterer anfangs als Weih-
rauchgefäße, später als Reliquien- und Hostienbehälter, wie auch den Elfenbeinschmuck der
Türen, entlehnte die christliche Kirche in der Zeit ihrer weitherzigen Anpassung an heidnische
Kultformen dem antiken Tempeldienst. Sobald die verschiedenen Denkmälergruppen klarer aus-
einandertreten, zeichnet sich eine der monumentalen Plastik parallele Stilentwicklung ab.
Die ältesten der altchristlichen Elfenbeinbildwerke verraten einen unverkennbaren Zu-
sammenhang mit dem Reliefstil der Sepulkralplastik in der Klasse der Arkadensarkophage
(S. 120). Wir werden daher in ihnen antiochenische oder unter dem Einfluß Antiochias
entstandene kleinasiatische Arbeiten erblicken dürfen.
Ein Reliquienkästchen in Brescia, die sog. Lipsanothek (Abb. 182), das wohl noch an die Mitte
des 4. Jahrhunderts hinauf reicht, vereinigt auf seinen nachträglich zu einem Kreuz zusammengesetzten
Wand- und Deckelflächen fast den gesamten Typenschatz jener Sarkophagklasse mit neuen, lebendig vor-
getragenenEpisoden aus dem Alten und Neuen Testament,,
von denen einzelne, wie die Vernichtung der Rotte Ko-
rah oder das Fest in Bethel (1 Kön. XII, 28—33 und
XIII, 24) nur hier belegt sind. Eine Art Titelbild
an der Vorderseite zeigt Christus mit aufgerolltem
Schriftblatt in einem von Türmen flankiertenBaunoch
inmitten des sechsköpfigen Apostelkollegiums (S. 82)
stehend. Die vier schmalen Streifen, welche den über-
greifenden Rahmen desDek- kels bildeten und jetzt mit
den Wänden verbunden sind, zieren Brustbilder der Apo-

stel und in der Mitte der Vorderwand die jugend-


liehe Büste Christi imGali- läertypus (S. 91 u. 122).
Der Künstler hat diesen Kopf in seiner knaben-
haften Anmut mit aller Liebe ausgeführt, auch für
die Jünger einige indivi- duelle Züge herauszuar-
beiten versucht, doch fehlt selbst den Hauptaposteln
viel zu den späteren Cha- raktertypen. Figurenbil-
dung, Gewandbehandlung und Tracht zeigen eine
den Säulensarkophagen verwandte Auffassung,
Herrscht auch noch die gemessene Bewegung der
Antike vor, so verraten ihre doch schon naturalistische
Neigungen, vor allem in der Ananiasgruppe und in
Abb. 182. Die sog. Lipsanothek von Brescia (Museo Civico)
(nach H. Qraeven, Frühchristliche und mittelalterliche Elfenbeinwerke in photogr. Nachbildung, II. Ser.).
186 ELFENBEINBILDWERKE ANTIOCHENISCHER

der Szene, wie Moses den Ägypter erschlägt. — In einigen stil-


verwandten Denkmälern springen bereits deutlichere Beziehun-
gen zur Kunst Palästinas in die Augen. Das fünfteilige Dipty-
chon des Mailänder Domschatzes, wieder ein Prachtstück alt-
christlicher Kleinkunst, schmücken, aus Glasmosaik zusammen-
gefügt, die symbolische Darstellung des Christuslammes und
das Golgathakreuz auf dem Paradieseshügel unter einem zweifellos
der Wirklichkeit frei nachgebildeten Baldachin. Die Nebenbilder
sind teils aus dem älteren Typenschatz geschöpft, teils lassen
sie, wie auf dem verwandten Werdener Kästchen (London, South-
Kens. Mus.), noch Zusammenhänge mit der Sarkophagplastik
(S. 111/12) erkennen, während andere sich mit jüngeren Kata-
kombenmalereien (S. 81 ff, 84 u. 87) oder kirchlichen Mosaiken
berühren. Außerdem aber hat auf beiden Denkmälern die
Marienlegende (S. 128) Eingang gefunden. Aus der Jugend-
geschichte Christi ist zum Taufbild der bethlehemitische Kinder-
mord hinzugekommen. Der Täufer, dessen Geschichte das Wer-
dener Kästchen erzählt, begegnet uns in neuer Auffassung als
Hirt. Sehr glücklich wird die Anordnung in den Ecken durch
die noch ganz antik ge-
haltenen, von Kränzen
umrahmtenBrustbilder
der Evangelisten und
ihrer Symbole in echt
orientalischer sechsflü-
geliger Bildung abge-
schlossen.
Auf Antiochia wei-
sen auch die frühesten
Pyxiden zurück. Das
Relief der herrlichen
Abb. 183. Christus als Lehrer und Abra-
Orpheuspyxis des Kir-
hamsopfer, Elfenbeinpyxis (Berlin).
chenschatzes von Bob-
bio ist noch so hoch
und die Gruppierung noch so voll Rhythmus, daß man lange ge-
neigt war, es für heidnisch zu halten. Aber angesichts der Orpheus-
gruppen der Plastik (S. 149) und Malerei (Kap. V) schwinden alle
Bedenken gegen ihre christliche Bestimmung, mit der sich auch
die Hirten- und Jagdszenen sehr wohl vereinigen. Die Bewegung
und der Gewandstil der Orpheusgestalt leben fort in dem lehrenden
Christus und in den Aposteln einer Pyxis im Berliner Museum
(Abb. 183) von fast antiker Gesamtwirkung. Die nähere Betrach-
tung freilich läßt hier die beginnende Vernachlässigung der Arti-
kulation und Formengebung sowie Proportionsfehler in der Glieder-
bildung nicht verkennen. Für den charakteristischen Faltenstil und
für die Säulenstellungen des Hintergrundes aber bietet ein und
dieselbe Denkmälerreihe der sepulkralen Plastik die stilistische
sowie in der Komposition der Parusie die nächste gegenständliche
Parallele (S. 116 u. 121). Noch unterscheidet sich der Kopf Christi
von den jugendlichen Apostelköpfen nicht, während bei Petrus und
besonders im kahlköpfigen Typus des Paulus das spätere Ideal
(S. 121) deutlich vorgebildet erscheint. Das antike Vorbild blickt
in dieser Apostelversammlung noch unmittelbar durch. Wir glauben Abb. 184. Die Frauen am Grabe,
uns in die Rhetorenschule von Antiochia versetzt führt doch Petrus Diptychonflügel (Mailand).
Tr-/ ^ h
UND PALÄSTINENSISCHER STILRICHTUNG 187

sogar den Philosophenstock. In der Darstellung des Isaakopfers auf der Rückseite der Berliner Pyxis
erinnert die Gestalt und der antike Kopf Abrahams an den Priester Kalchas in einer auf das Gemälde
des Timanthes zurückgehenden pompejanischen Freske. Allein mit diesen Elementen verbindet sich ein
bezeichnendes christliches und sogar lokalpalästinensisches Motiv: die von Jerusalempilgern wiederholt er-
wähnte Felsentreppe des Golgathafelsens, über der sich der merkwürdige Altar orientalischer Form erhebt.
Eine größere Gruppe von Denkmälern der Elfenbeinschnitzerei schließt sich durch ihren
schweren Figurenstil und ihre weichere Gewandbehandlung an die Holztür von S. Sabina (S. 137 ff.)
an und leitet wohl ihren Ursprung, wie sie, aus einer in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts
in Palästina arbeitenden Schule her. Mit ihr teilt sie den bevorzugten Darstellungskreis
sowie —, aber auch mit der vorigen Gruppe, — die Vorliebe für den Mauerhintergrund u. a. m.
Am nächsten kommt ihr ein Diptychon des Mailänder Domschatzes, das mit Ausnahme der Kreuzi-
gung einen vollständigen Passionszyklus trägt. Seine Kompositionen zeigen im einzelnen manche Abwei-
chungen, bauen sich aber in ähnlicher Weise ohne schärfere Trennung auf verschiedenen Terrainlinien
übereinander auf. Daß die junge Kunst Palästinas dieselben Gegenstände mit den gleichen Elementen
immer wieder neu und spannend vorzutragen weiß, lehrt z. B. die sich öfters wiederholende Szene der
Frauen am Grabe. Wie hier und in S. Sabina (Taf. X), so zeigt sie auch ein schöner Diptychonflügel in
München (Nationalmuseum) mit dem Himmelfahrtsbilde vereinigt, als Doppelszene hingegen die eigenartigste
Darstellung auf einer Tafel der Sammlung Trivulzi (Mailand), auf der wir oben die niederfallenden
Grabeswächter in kühn verkürzten Stellungen, im Hintergründe die Rotunde des heiligen Grabes und dar-
über zwei sechsflügelige Evangelistensymbole erblicken, während unten die Frauen dem vor der offenen
Grabestür sitzenden Engel zu Füßen fallen (Abb. 184). Ein solches Verteilen eines zusammenhängenden Vor-
gangs auf zwei übereinandergestellte und sogar durch einen Ornamentstreifen getrennte Relieffelder ent-
spricht ganz den Kompositionsprinzipien der Tür von S. Sabina, wie auch das Ornament des Rahmens
selbst dieselbe Umbildung der lesbischen Welle (S. 138) vertritt. Ein Täfelchen in London endlich gibt

Abb. 185. Marientafel eines 5 teiligen Diptychons Abb. 186. Christustafel eines 5 teiligen Diptychons,
(nach Strzygowski, Das Etschniiadsin-Ev., Byz. Denkm. I). aus Murano (Ravenna).
188 SCHEIDUNG DER JÜNGEREN DENKMÄLER IN ZWEI SONDERGRUPPEN

die Frauen hinter den


Wächtern, die noch schla-
fen, dasitzend wieder, ob-
gleich die aufgesprungene
Tür schon den Durchblick
auf den leeren Sarkophag
gewährt. Allen Künstlern
schwebt sichtlich die be-
stimmte Lokalität und eine
an den konstantinischen
Memorialbau (Kap. IV)
erinnernde Grabrotunde
Abb. 188. Christi Geburt und
vor. Ein zugehörigeszwei-
Abb. 187. Verkündigung, Flucht nach Huldigung der Magier; Pyxis
tes Täfelchen vertritt den
Ägypten, Christi Geburt; Pyxis (Berlin). (Wien)
Kreuzigungstypusder Sa- (nach Aufnahme von J. J. Tikkanen).
binatür (Abb. 127) noch
ohne die Schächer und mit jugendlichem Christus, zugleich jedoch durch die Hinzufügung von Maria,
Johannes und Longinos, der in die Seite des Herrn sticht, mehr zum historischen Vorgang ausgesponnen.
Die Nebenszene des erhängten Judas findet sich schon, jedesmal etwas verschieden aufgefaßt, sowohl auf der
Lipsanothek(Abb. 182) und dem Mailänder Diptychon wie auch auf denCiboriumsäulen von S. Marco (S.128) vor.
Die fortschreitende Zersetzung der antiken Stilelemente
(S. 130/1) spiegelt sich in zwei Gruppen der weit (von
Karthago bis Kertsch) zerstreuten syrischen Pyxiden und
größerer Diptychen, von denen die Mehrzahl sichtlich mit
der Kunst Palästinas zusammenhängt.
Wie trotz der schweren Proportionen die leidenschaftlich
hastige Bewegung Platz greift, wie die Artikulation vernachlässigt,
die Stoffcharakteristik der faltenreichen Gewänder mehr andeu-
tend gegeben wird, ist schon an einer älteren Arbeit in Florenz
(Bargello) mit dem typischen Doppelbild der Hirtenverkündigung
und der Magieranbetung zu bemerken. Die weitergehende Stil-
wandlung kommt besonders deutlich an der öfter wiederholten Kom-
position des Abrahamsopfers zur Erscheinung, in der zugleich die
Nacktheit Isaaks beseitigt wird (Bologna, Nocera Umbra). Das
Übergewicht behaupten jedoch auf den Pyxiden die Wunder Christi
(Pesaro, La Voüte Chilhac). Stets erscheint der Heiland jugend-
lich und ähnlich wie auf den Säulen von S. Marco (Abb. 113)
aufgefaßt mit blühendem, nur vom Lockenkranz umrahmtem Ant-
litz, regelmäßig das Stabkreuz führend. Der stark vergröberte
Stil der jüngsten Arbeiten (Kertsch, Musee Cluny) geht mit den-
selben ikonographischen Typen auch in zwei fünfteilige Diptychen
(Etschmiadsin und Paris) ein, deren Reliefschmuck in Nachahmung
profaner Diptychen gleichen Formals sich einem neuen Schema
(Abb. 185 u. 186) angepaßt hat. Der untere Streifen wird ganz
durch den Figurenfries ausgefüllt, die seitlichen Bilder sind auf
zwei vermindert, das Oberteil aber schmückt ein schwebendes Engel-
paar, das von Kranze umschlossene Kreuz tragend, ein von den
Viktorien mit dem Kaiserbilde der Profandiptychen abgeleitetes
Motiv (s. unten). An Wunderszenen bietet vor allem das Diptychon
von Etschmiadsin (Armenien) neuen Zuwachs in der Heilung des
Wassersüchtigen, des Besessenen, und einer wohl aus der Lokal-
Abb. 189. Alexandrinische Bein- legende erklärbaren Darstellung eines Geheilten, der in einem
schnitzereien (Berlin). Teiche schwimmt. Im Mittelfelde der Flügelpaare beider Diptychen
ZUSAMMENHÄNGE DER PYXIDEN UND FÜNFTEILIGEN DIPTYCHEN 189

haben nunmehr Christus, auf dem Pariser (Bibi, nat.) im Greisentypus (S. 130) zwischen den Hauptaposteln,
und Maria zwischen zwei Engeln in repräsentativer Darstellung ihre Stelle eingenommen. Die Marien-
tafel (Abb. 185) schmücken demgemäß lauter Szenen des Marienlebens, zum Teil von legendarischem
Charakter (Prüfung durch das Fluchwasser).
In einer zweiten Denkmälerreihe, der eine große Zahl von Pyxiden (in der Vatikanischen Bibliothek,
im Musee Cluny, in Livorno, Berlin, Wien, Sens) angehören, erscheinen die Gestalten hager und zuletzt
sogar überschlank gebildet, die Gewänder flächig und faltenarm. Gleichwohl haben beide Gruppen nicht
nur in ihrem Bilderbestande vieles und vor allem den jugendlichen Christustypus mit dem Stabkreuz gemein,
sondern auch gewisse stilistische Besonderheiten: das schwindende Verständnis der Artikulation und die
zunehmende Verschärfung des Blickes. Der zweiten Reihe schließt sich wieder ein fünfteiliges Diptychon an,
dessen Christustafel (aus Murano) in Ravenna (Archäol. Museum) erhalten ist (Abb. 186), während die übrigen
Teile in verschiedenen Sammlungen zerstreut sind. Alle Mängel dieses Stils treten hier in den dürren
Figuren von eckiger und stelzenhafter Bewegung mit beleidigender Härte hervor. Die Gestalten sind fast
zu Gliederpuppen geworden. Und doch belehrt uns der untere Fries des vollständigen Diptychonflügels
mit dem Jonaszyklus, daß dieser Gruppe eine sehr alte ikonographische Tradition zugrunde liegt. In der
Tat vollzieht sich innerhalb derselben ein bis zur schönen Berliner Apostelpyxis (Abb. 183) zurückzuver-
folgender Stilverfall. Am Ende stehen z. B. die Pyxis in Wien, auf der Maria in demselben streng fron-
talen Typus wie auf dem Diptychon von Murano wiedergegeben ist, oder die Werdener Pyxis mit ganz
entsprechender Geburtsszene (Abb. 187 u. 188). In Syrien ist demnach auch der Mittelpunkt dieser zweiten
Schule zu suchen, aber weiter im Osten, — verraten sich doch in Tracht und Gangart der Magier auf der
Marientafel von Murano, sowie auf beiden Flügeln im Knopfornament und auf einer der Pyxiden (Sens)
in den Tierfiguren unverkennbare Einwirkungen altorientalischer oder sassanidischer Kunst.
Beide Richtungen sind in ständiger Wechselwirkung geblieben. Diese offenbart sich in
der übereinstimmenden Gesamtanordnung der fünfteiligen Diptychen, im Austausch der Typen
und in der Kreuzung der stilistischen Einflüsse auf manchen Stücken (Danielpyxis des Brit.
Museum). Erlaubt eine gewisse Frische der Köpfe und der Faltengebung solche Arbeiten
vielleicht noch dem 5. Jahrhundert zuzuteilen, so gehören die fünfteiligen Dyptichen beider
Gruppen vielleicht schon dem 6. an. Je mehr
sich die syrische Elfenbeinplastik von der
antiken Tradition löst, desto mehr geht ihr
auch das Verständnis für das Wesen des Re-
liefs als Flächendekoration verloren (Abb.
187). Wie schon-viel früher in der Triumphal-
plastik (S. 163), sinkt es zu einer Art plasti-
scher Zeichnung herab.
Nicht ganz so klar vermögen wir in
der christlichen Kleinkunst den Anteil Ale-
xandrias, wo die Elfenbeinbildnerei schon in
vorchristlicher Zeit betrieben wurde, abzu-
grenzen. Einen wesentlichen Dienst leisten
dabei die um Alexandria in den Schutthügeln
(Kom) gefundenen geringwertigen Knochen-
schnitzereien von Möbelbeschlägen. Sie zeigen
Dionysos und Aphrodite, Korybanten und
tanzende Mänaden, vom Linienspiel der flie-
genden Gewänder umflossen, Nereiden, Put-
ten und weibliche Genrefiguren (Abb. 189).
Dazwischen tauchen vereinzelt christliche Mo- Abb , 90 Bacchlls und Isis als Tyche von Alexandria;
tive oder ägyptisierende Gestalten auf. Aber Elfenbeinreliefs der Aachener Domkanzel.
190 DIE ALEX ANDRIN ISCHE RICHTUNG IN DER ELFENBEINSCHNITZEREI

Abb. 191. Der Täufer und die Evangelisten, Taufe Christi und Einzug in Jerusalem, Josephszenen; von der
Elfenbeinkathedra des Erzb. Maximian (Reliefs der Rück- und Seitenlehnen in größerem Maßstab).

die antike Tradition erhält sich doch sehr zähe bis in die spätesten Arbeiten, die wohl noch
über das 5. Jahrhundert herabreichen. Alexandria, die Wiege der christlichen Kunst, blieb
noch lange ein Vorort griechischer Kultur und griechischer Lebensformen.
Nur eine alexandrinische Künstlerhand kann z. B. das von griechischem Schönheitssinn erfüllte Hoch-
zeitsdyptichon mit den Inschriften Nicomachorum und Symmachorum (um 390 n. Chr.) gefertigt haben.
Die Weihrauch opfernde Frauengestalt mutet uns mit ihrer reinen Profilsilhouette und dem reich stilisierten
Gefält —, ähnliche Gewandfiguren kommen auf jenen Knochentäfelchen vor (Abb. 189), — wie ein helleni.
stisches Reliefbild an. Auf ein alexandrinisches Vorbild gehen die mittelalterlichen Nachbildungen eines,
fünfteiligen Diptychons (in der Vat. Bibi, und im South-Kens. Mus.) zurück, von denen ein Flügel den jugend-
lichen langgelockten Christus auf dem Löwen und Basilisken stehend zeigt und auf den ungeteilten Seiten-
stücken Engelgestalten, wie manche Profandiptychen (s. unten). Wie dann im Wechsel des Geschmacks,
der sich im 5. Jahrhundert massigeren Proportionen zuwendet, das Linienspiel des Stoffes in ein manieriertes
Umschreiben der Formen mit geschwungenen Faltenzügen, Vorziehen von Gewandzipfeln usw. ausartet,
beobachten wir an dem Diptychon des Domschatzes von Monza, das mit dem echt alexandrinischen Thema
DIE SYROÄGYPTISCHE DENKMÄLERGRUPPE UND DIE MAXIMIANSKATHEDRA 191

einer Muse und eines Dichters geschmückt ist. Das Bemühen, ein in verschränkter Stellung vor perspek-
tivischer Hintergrundsarchitektur sitzende Gestalt in das Flachrelief der Elfenbeintafel zu pressen, verrät
die optischen Kunsttendenzen der Spätantike (S. 167 u. 183), hat aber zu argen Verzeichnungen geführt. Die
prunkvollen, noch rein antiken Architekturformen gehören einem Dekorationsstil, der schon früh auf die
alexandrinische Elfenbeinschnitzerei Einfluß gewonnen hat (Diptychon Quirinianum in Brescia). Die Vor-
herrschaft der Kurve aber und die dekorative Anordnung der Falten und Säume bildet das augenfälligste
Unterscheidungszeichen gegenüber der vorwiegend auf Stoffcharakteristik ausgehenden syrischen Kleinplastik.
Unter der Rückwirkung des ornamental gerichteten koptischen Stils wird vollends daraus ein toter Schema-
tismus. In den vielumstrittenen Reliefs der Aachener Domkanzel hat die neueste Forschung typische Ver-
treter dieser spätalexandrinischen Kunstübung erkannt. Ihre eigenartige Technik, ein durchbrochenes
Hochrelief, das die natürliche Wölbung des Elefantenzahns voll ausnutzt, folgt anscheinend dem Vorbilde
der Holzschnitzerei (S. 142). Neben christlichen Kriegerheiligen (S. 145) stehen in diesen Arbeiten ihrer
antiken Schönheit entkleidete Gestalten der griechischen Mythologie, aber auch die Landesgöttin Isis (Abb. 1 90),
eine Gewandfigur, an der jener dekorative Faltenstil seinen Höhepunkt erreicht. Im 6. Jahrhundert etwa
mag die alexandrinische Stilentwicklung auf dieser Stufe angelangt sein.
Inzwischen hatte der syrische Einfluß als Träger der christlichen Kunstgedanken längst
die Metropole des Nildelta getroffen, und zwar so stark, daß wir von einer syroägyptischen
Schule zu sprechen berechtigt sind. Offenbar aus einer
syrischen Werkstätte in Alexandria sind einige der besten
altchristlichen Elfenbeinbildwerke hervorgegangen, die lokale
Stilmerkmale mit den syrischen Typen vereinigen. Die letz-
teren sind bis in jene Möbelbeschläge eingedrungen, so z. B.
die vergröberte Gestalt Abrahams der Berliner Pyxis (Abb.
183 u. 190).
Das Hauptwerk der syroägyptischen Denkmälergruppe ist die
im Dom zu Ravenna erhaltene kostbare Kathedra des Bischofs Maxi-
mianus (gest. 556). An diesem einzigen in seiner ursprünglichen
Zusammensetzung erhaltenen Beispiel eines altchristlichen Bischof-
stuhls erscheinen der tektonische Verband und die Verteilung der
Reliefs ebenso sinnvoll, wie die Gesamtform neu (Abb. 191). Jener
bildet ein Gerüst, das mit einem einheitlichen in der reizvollsten
Weise abgewandelten Grundmotiv verziert ist. Weinranken von ver-
schiedener koloristischer Schattenwirkung, bald flach aufgelegt, bald
tief unterschnitten, in deren Windungen die ganze christliche Fauna
der traubennaschenden Vögel und Hasen, der Hirsche, Widder, Anti-
lopen, Löwen usw. um das Stiftermonogramm und eine Vase ihr
Wesen treibt, laufen an den Querleisten entlang, an den Pfosten
und Vertikalstreifen empor. Durch diese Ornamentbänder werden
Rückwand- und lehne in größere Bildfelder zerlegt, während sich
die Reliefs an der Vorderwand und an den Seitenflächen in rhyth-
mischem Wechsel des Formats und der Relieferhebung unmittelbar
aneinanderschließen. Die vorderen Tafeln schmücken die Gestalten
der vier Evangelisten mit dem Täufer inmitten, — die Vertreter der
offenbarten Lehre. Die bevorzugte Stellung des Johannes bestätigt
die Entstehung des Denkmals in Alexandria, wo dem Täufer hohe
Verehrung als Inhaber einer Hauptkirche der Stadt gezollt wurde.
Dort wird auch dieses neue Ideal des Vorläufers geschaffen sein, in
dem der greisenhafte Christustypus des Pariser (S. 188) und Ber-
liner Diptychons (s. unten) mit dem Kostüm des ägyptischen Ana-
choreten zu einem lebensvollen Charakterbilde verbunden erscheint.
Aber auch in stilistischer Beziehung kommt kein zweites Werk den Abb. 192. Der Stadtvikar Probianus,
Elfenbeinschnitzereien alexandrinischer Richtung so nahe wie diese Diptychonflügel (Kgl. Bibi, in Berlin).
192 DIE PROFANDIPTYCHEN UND DIE BYZANTINISCHE ELFENBEINSCHNITZEREI

fünf großen Reliefgestalten, nur hat an ihnen das Herumlegen der


Falten um den Leib und die besonders am dritten Evangelisten bemerk-
bare Häufung der geschwungenen Bäusche noch nicht einen so schema-
tischen Zug wie in den späteren Denkmälern (s. oben). In den flacher
gehaltenen Reliefs, welche die Marienlegende und die Jugendgeschichte
des Herrn, seine Taten und wahrscheinlich auch seine Leiden erzählten,
wovon noch elf erhalten sind, herrscht der malerisch hohe Aufbau der
Komposition mit mehr oder weniger ausgeführter Szenerie vor. Die
syrisch palästinensische Grundlage des Zyklus blickt bald in dieser
durch -—, so z. B. wenn bei der Taufe Christi die von den Pilgern er-
wähnte Kirche am Jordan im Hintergründe sichtbar ist —, bald in ikono-
graphischen Besonderheiten, wie in der Personifikation der ,,Tochter
Zion“ beim Einzug in Jerusalem. Allein die Leidenschaftlichkeit der
Handlung erscheint gedämpft. Gemessener Ausdruck bedeutungsvollen
Geschehens durchzieht diese Bilder. Noch mehr Genuß gewährt die
Betrachtung der an den Seitenwänden in je fünf Reliefs dargestellten
Geschichte Josephs, die für die christliche Kunst Ägyptens eine beson-
dere Anziehungskraft besaß. Diese Kompositionen gewinnen durch das
Format einen mehr friesartigen und hochreliefartigen Charakter, ohne
auf die vertikale Staffelung der Reliefpläne ganz zu verzichten. Das
malerische Beiwerk der Szenerie drängt sich sogar in die niedrigsten
Tafeln ein. Die Darstellung ist voll dramatischer Spannung, hält sich
aber frei von Übertreibung. Alles wird mit feiner Abwägung des Aus-
drucks zur Anschauung gebracht: Jakobs Schmerz wie das buhlerische
Gebaren der Frau Potiphars usw. Der antiken Tradition alexandrini-
scher Kunst verdanken diese Bildwerke als weiteren Vorzug die sichere
Beherrschung der Figur in Ruhe und Bewegung und die Vermeidung
von Proportionsfehlern, Eigenschaften, wie sie auch die verwandten Denk-
Abb. 193. Der Konsul Lampa- mäler auszeichnen (Menaspyxis des Brit. Museums, Josephpyxis der
dius beim Zirkusspiel, Eremitage u. a. m.). Dagegen verbindet sich der spätalexandrinische
Diptychonflügel (Brescia). Manierismus (S. 190) in einer Folge von Reliefdarstellungen aus der
Legende des Ev. Markus (in italien. Samml. zerstreut) mit Zügen primi-
tiver Kunstanschauung, die nur eine mittelalterliche Nachbildung altchristlicher Vorlagen in ihnen zu
erkennen erlaubt.
Es bleiben nicht allzuviele christliche Elfenbeinschnitzereien übrig, die sich weder der
syrischen, noch der alexandrinischen oder syroägyptischen Schule einordnen. Außerhalb oder
zwischen beiden Richtungen steht hingegen die Masse der Konsular- und anderen Profan-
dyptichen. Ihr Stil ist von Anfang an keineswegs ein ganz gleichartiger. Daß aber der
offizielle Typus der Konsulardiptychen ein einheitlicher war, — in der Zeit, als er sich heraus-
zubilden beginnt, war das Konsulat bereits auf beide Reichshälften verteilt und hatte es von
seiner einstmaligen Bedeutung nicht viel mehr bewahrt als den Titel, — dürfen wir aus
den gleichen Obliegenheiten des Amtes, dessen Hauptpflicht die Veranstaltung und Leitung
der öffentlichen Spiele bildete, schließen. Es zwingend zu beweisen, erschwert uns der miß-
liche Zufall, daß aus dem 5. Jahrhundert anscheinend nur weströmische, aus dem 6. fast nur
oströmische Diptychen erhalten sind. Doch bestätigt das einzige abendländische des Orestes
(530) in der Tat für diese Zeit die vollkommene Übereinstimmung. Andrerseits entwickelt
sich die Komposition der byzantinischen Denkmäler sichtlich aus derjenigen der weströmischen,
die demnach auch in Byzanz vorauszusetzen ist. Hier wie dort wurde wahrscheinlich teils
von syrischen, teils von alexandrinischen Schnitzern gearbeitet.
Im 4. Jahrhundert war öfters nicht das Bild des Geschenkgebers, sondern dasjenige des Emp-
fängers Gegenstand der Darstellung und bot Spielraum für verschiedene Gedankenwendungen. Durfte
TYPEN- UND STILENTWICKLUNG DER KONSULARDIPTYCHEN 193

sich der Beschenkte literarischer Bildung oder gar poetischer Begabung


rühmen, so fehlte sicher die Muse nicht als Gegenfigur auf dem anderen
Diptychonflügel (Bruchstück vom Jahre 417 in Berlin). Das Diptychon
von Monza (S. 189) berechtigt zur Vermutung, daß solche Motive der
alexandrinischen Elfenbeinschnitzerei entstammen. Auch die Gegenüber-
stellung der Stadtpersonifikalionen des alten und des neuen Rom unter
zierlichen Arkaden auf einem Diptychon (Wien), das bereits im Zeichen
der beginnenden Rückwirkung des koptischen Stils steht, gehört noch
dieser Richtung an. Um die Wende des 4. Jahrhunderts bricht die reprä-
sentative Porträtdarstellung auf den Diptychen stärker durch. Mit der
Beziehung des schönen Flügelpaares im Domschatz von Monza, das
einen Feldherrn nebst Gattin und Sohn zeigt, auf den Vandalen Stilicho
(f 408) hat man die Entstehungszeit des Denkmals vielleicht schon gar
zu tief herabgerückt. Den Kaiser im herkömmlichen Imperatorentypus
(S. 152) mit dem Perlendiadem und dem Labarum, aber schon in nüch-
terner Wiedergabe der schwerfälligen Statur des Dargestellten — es
ist Honorius — erblicken wir auf dem Diptychon des Konsuls Probus
(406). Fortan aber wiederholen sich unausgesetzt die offiziellen Por-
träts der Geschenkgeber, und dem Künstler bleibt nur die Wahl zwischen
der stehenden oder der Sitzfigur des Konsuls. Beide Typen waren
bereits um Mitte des 4. Jahrhunderts festgestellt, und zwar durch die
Malerei (Kap. V). Die Sitzfigur in vortrefflicher Verkürzung bietet
wohl am frühesten unter den Diptychen das meisterhaft gearbeitete
Tafelpaar des Stadtvikars Probianus (Kgl. Bibi, in Berlin). Der Beamte
sitzt, von protokollierenden Schreibern umgeben, im Tribunal (Abb. 192).
Er verhandelt mit den Parteien, die vor ihm stehend gedacht, aber in
gesondertem Bildfeld unter ihm dargestellt sind. In dieser Art, die
Raumbeziehungen zu veranschaulichen (S. 187), in der Gestaltenbildung
und im Gewandstil verrät sich die Hand eines syrischen Schnitzers,
der sowohl von kräftiger Relieferhebung wie von ritzender Zeichnung
mit sicherer Berechnung Gebrauch macht. Diese Richtung steigert sich
in den Diptychen des 5. Jahrhunderts zu einem vergröberten Realismus.
Breit und schwerfällig steht schon der Konsul Felix (428) da. Unbeholfen
und plump ist Boethius (483) stehend und sitzend in der überladenen
Amtstracht mit der Geldspende zu Füßen dargestellt, wie er mit erhobe-
ner Mappa das Zeichen zur Eröffnung des Spiels gibt. Ist auch der
Künstler hier des Bewegungsmotivs schlecht Herr geworden, so weißer doch die Persönlichkeit in ihrer indi-
viduellen Häßlichkeit mit breiter, wirkungsvoller Charakteristik zu zeichnen. Hier spricht zu uns, wie aus den
jüngeren ravennatisohen Sarkophagreliefs (S. 180), der Geist der altbyzantinischen Plastik. Daß der Stil der
Konsulardiptychen sich übereinstimmend mit ihr weiter entwickelt, erhellt vollends aus der allmählichen Er-
weiterung der^typischen Komposition. Wie an der Basis des Obelisken Theodosius auf das Wagenrennen im
Zirkus herabblickt (S.166), so ist auch auf den Diptychen sehr bald das Spiel selbst unter der Porträtfigur des
Konsuls hinzugefügt worden, anfangs wohl nur in friesartigem niedrigem Reliefstreifen. Dann aber erobert
es rasch den größeren Teil der Fläche und wird zu einem aus der Vogelperspektive gesehenen Bilde, so
schon in großzügiger Raumanschauung auf der Tafel eines Konsuls (Abb. 193) aus dem Geschlecht der
Lampadier (um 480) trotz Auslassung räumlicher Zwischenglieder und trotz der Umkehrung der Größen-
verhältnisse vom Standpunkt des Beschauers (S. 168). Im Anfang des 6. Jahrhunderts kommt
wieder eine die äußere Eleganz der Erscheinung betonende, sichtlich durch alexandrinische Vorbilder be-
einflußte Richtung zur Herrschaft. Die Diptychen des Areobindus (506), Anastasius (517), Magnus (418)
u. a. m. zeigen uns den Konsul immer in ganzer Figur auf dem von architektonischem und figürlichem Bei-
werk umgebenen prunkvollen Sitze (Abb. 194). Porträtschilde des Kaisers und seiner Angehörigen, Vik-
torien und Girlanden tragende Genien fehlen selten. Die Personifikationen Roms und Konstantinopels
treten oft an seine Seite. Das Schauspiel schrumpft zusammen und wird mitunter durch den Vorgang der
Geldverteilung verdrängt. Aber wie die Hauptgestalt selbst sogar in gesteigerter, die Verkürzung ersetzen-
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. Iß
194 VERWANDTE PROFANE UND KIRCHLICHE ELFENBEINBILDWERKE

der Aufsicht auf Füße und Knie wiedergegeben


wird, so erhält sich vielfach auch die Darstellung
der Arena aus der Vogelschau. Den räumlichen
Zusammenhang verdeutlichen wieder in umgekehrter
Perspektive die zwischen die Porträtfigur und die
Gruppen von Tänzerinnen, Reitern und Tierbändi-
gern eingeschobenen Köpfe der Zuschauer.
Der wachsende Einfluß alexandrinischer Elfen-
beinschnitzerei auf die altbyzantinische tritt nicht
weniger deutlich in dem einzigen vollständigeren
fünfteiligen Profandiptychon (im Louvre) hervor
(Abb. 195). Der Kaiser, der im Mittelfeld hoch zu
Roß die Lanzenspitze auf den unterworfenen Boden
setzt — ein besiegter Leind, anscheinend ein Perser,
berührt zitternd ihren Schaft —, dem die Erde selbst
den Steigbügel hält und sein Leidherr das Bild der
Siegesgöttin im Bausch des Kriegsmantels entgegen-
trägt, während sie selbst ihn zu bekränzen naht, ist
wahrscheinlich Justinian, der gewaltige Wiederher-
steller des Imperiums. Entspricht doch der Stil des
Kopfes und der Typus der allegorischen Frauen-
gestalten den Konsulardiptychen des 6. Jahrhunderts.
Die Barberinitafel ist freilich nur ein Spätling einer
Diptychengattung, deren Einwirkung wir in den
christlichen Denkmälern spüren (S. 188), und steht
selbst schon unter deren rückwirkendem Einfluß. Die
Abb. 195. Oströmischer Kaiser als Barbarenbesieger, traditionelle Engelgruppe des Oberteils hält das Fir-
fünfteiliges Diptychon mament mit dem Brustbild Christi. Die Seitenfelder
(Paris, aus der Sammlung Barberini). des mittleren Streifens enthielten die dem Kaiser „ihre
Ehrfurcht Bezeigenden“, d. h. den Geschenkgeber und
andere höhere Beamte, — wie auf einem entsprechenden Teilstück (München). Belegt ist auch sonst die
Huldigung tributbringender Barbaren auf dem unteren Streifen (Zürich), aber die Typen, die Motive und
die eilige Bewegung der Gold, Weihrauch und Elfenbein tragenden Asiaten und Inder haben ihr Vorbild in
den huldigenden Magiern der christlichen Bildwerke und nicht etwa umgekehrt. Als Geschenke an die höchste
Persönlichkeit trugen solche Diptychen das Bild des Empfängers, auf dem anderen Flügel wohl auch das
der Kaiserin (Bruchstück mit Widmungsinschrift in Basel). Die Christen setzten dafür den „König der
Himmel“ und die „Herrin der Engel“ ein. Neben dem klassizistischen Stil lebt der altbyzantinische Realismus
in einem Diptychon des Konsuls Philoxenos (525) von abweichendem Typus fort. In den knopfverzierten Kreis-
verschlingungen, einem aus syrischen und persischen Elementen zusammengesetzten Ziermotiv, ließ er, als
Gegenbild zu seiner Porträtbüste, die Gerusia, wie die Widmungsinschrift den Senat nennt, darstellen.
Für die Gestaltungskraft der Künstler legt diese
Personifikation noch ein beredtes Zeugnis ab.
Einige andere Elfenbeinarbeiten be-
rühren sich gegenständlich und stilistisch
mit den Profandiptychen, so vor allem die
hochreliefartig gearbeitetenGestalten zweier
byzantinischen Kaiserinnen (in Florenz und
Wien), deren Kopfputz bereits die Mode des
6. Jahrhunderts (S. 158) angenommen hat.
Die übereinstimmende technische Behand-
lung, der Figurentypus und die Darstellung
Abb. 196. Einholung von Reliquien in feierlicher Pro- erweisen die gleiche Herkunft und Entstehungs-
zession, Elfenbeinrelief (Trier). zeit eines vielumstrittenen Reliefs im Trierer
BYZANTINISCHER MISCHSTIL UND PSEUDO ALEX ANDRIN ISCHE ARBEITEN 195

Domschatz (Abb. 196). Wir erblicken dort vor einer neuerbauten


Basilika, von der nicht nur die Front- und eine Langseite, sondern
auch die Rückseite mit der Apsis gleichsam in umgeklappter Seiten-
ansicht dargestellt ist, — Bauleute legen auf dem Dache noch die
letzte Hand an — eine Kreuzträgerin in kaiserlichem Ornat. Sie
begrüßt eine vom Kaiser geführte Prozession, die zwei in einem
Wagen sitzenden und ein Reliquiar auf den Knien haltenden Bischöfen
oder Patriarchen voranzieht. Es mag sich um die Niederlegung der
Kreuzreliquie in der konstantinischen Sophienkirche durch die Kai-
serin Helena handeln, enthält doch das Bogenfeld eines gegenüber-
liegenden Palasttores eine Halbfigur Christi, die man für das be-
rühmte Christusbild der Chalke (S. 150) halten möchte. Das Bestre-
ben, in der Darstellung einen weiten architektonischen Schauplatz
und den gesamten Vorgang zu umspannen, liegt in der Richtung
des altbyzantinischen Kunstwollens (S. 167), wenn auch ihr Hoch-
reliefstil an die Technik der alexandrinischen Schnitzerei anknüpft
(S. 142 u. 191). Eine ähnliche Arbeit (im Louvre), die den Evange-
listen Markus (oder Paulus?) vor den Toren einer Stadt den ver-
sammelten Würdenträgern den Segen spendend darzustellen scheint,
läßt ihren byzantinischen Ursprung ebensowenig verkennen.
Eine gewisse Zwiespältigkeit des Geschmacks beherrscht
vollends einige in flachem Relief gearbeitete Bildwerke.
So erscheint an einem vor wenigen Jahren bei Pola gefun-
denen Reliquienkasten, dessen Seiten noch unerklärte Szenen einer
Heiligenlegende schmücken, die schwere Gestaltenbildung jüngeren
ravennatischen Sarkophagen selbst in den Lämmerfiguren verwandt.
Daß diese Richtung ihre Typen aus der syrischen Kunst schöpft,
bezeugt die (Abb. 176 entsprechende) Auffassung der auf dem Deckel
dargestellten Gesetzesübergabe. Aber auch das an der gefälligen
alexandrinischen Formensprache festhaltende Flachrelief (S. 193) hat
seine Fortbildung in manchen christlichen Darstellungen der byzan-
tinischen Elfenbeinschnitzerei gefunden, z. B. auf der einen Hälfte
eines Diptychons der Sammlung Carrand (Florenz), die inmitten
der Tiere des Paradieses die kraftvolle Gestalt Adams mit zierlich
gelocktem Haar zeigt, während die andere eine Begebenheit aus dem
Aufenthalt des Paulus auf Malta (Apostelgesch. XXVIII, 1—6) in
streng realistischer Schilderung wiedergibt. Nicht ohne Erfolg wird
ein Ausgleich zwischen diesen Gegensätzen angestrebt, ja er vollzieht Abb. 197. Erzengel, Diptychonflügel
sich unbewußt in schwächeren Arbeiten, wie in einer Darstellung (London).
der Taufe Christi (Brit. Museum) vom Typus der Maximianskathedra
(Abb. 191). Die repräsentative Haltung und das breite Oval des Ant-
litzes der Engelsgestalt (Abb. 197) auf einer prachtvollen Tafel mit griechischer Widmungschrift (ebenda)
verrät die Abstammung aus dem Typenschatz der byzantinischen Profanplastik. Das reiche Faltenspiel,
das schmucke Lockengeringel, die linienscharfe Modellierung der architektonischen Zierformen hingegen
sind alexandrinische Stilelemente, während im Gewand ein lebendigeres Gefühl für Stofflichkeit (S. 180)
mitspricht. Die starken Anforderungen an die optische Wirkung des Reliefs in der Wiedergabe der Treppe
und der Verkürzung des gebogenen Beins haben ihre Parallelen in beiden Richtungen (S. 167 u. 191). Die
gedrungene Gestalt und ihr eklektischer Stil entspricht dem ausreifenden byzantinischen Geschmack des
5. Jahrhunderts. Eine Umbildung palästinensischer Ikonentypen in die pseudoalexandrinische Stilisierung
der Konsulardiptychen des 6. Jahrhunderts bezeichnen hingegen die Reliefs des thronenden greisenhaften
Christus und der Gottesmutter mit dem Kinde auf zwei Diptychonflügeln (Berlin), in denen wir die Haupt,
darstellungen der fünfteiligen Diptychen (S. 188 9) in einem dem Diptychon von Monza (S. 1901) gleich-
artigen, noch fehlerhafteren Flächenabbau wiederholt sehen (Abb. 198). Die Faltengebung verfällt an
1 3*
196 ANTEIL DES ABENDLANDES — LITERATUR

ihnen schon einem trockenen Linienspiel. Die reiche


Architektur der Muschelnische und die zierlichen
Beamtensessel geben sich als Entlehnungen (Abb.
194) zu erkennen. Buchstabenreste am beschnit-
tenen unteren Rande beider Tafeln sind anscheinend
auf das Monogramm des Erzbischofs Maximian
(Abb. 191) zu beziehen. Der Schnitzer war also
wohl ein Alexandriner, der in Ravenna oder Kon-
stantinopel gearbeitet hat, oder ein Byzantiner, der
alexandrinische Vorlagen nachbildete.
Das Abendland hat an der altchrist-
lichen Elfenbeinplastik keinen nennenswerten
Anteil. Es bleibt keine einheitliche Gruppe wei-
ter übrig, aus der eine bodenständige Kunst-
übung in Rom oder anderwärts vor der
Karolingerzeit zu erschließen wäre. Auch
einzelne derbere Apostelgestalten mit lateini-
scher Beischrift (in Paris, Rouen, Tongres,
Bologna) können sichtlich nur von syrischen
... x ...... „ oder griechischen Schnitzern, wenn auch viel-
Abb. 198. Christus und Maria in der Herrlichkeit, ° .
kirchliches Diptychon (Berlin). leicht im Westreich, gefertigt sein.
G. Stuhlfauth, Die altchristl. Elfenbeinplastik.
Freibg. i. Br. und Leipzig 1896. Archäol. Stud. hsgb. von J. Ficker, 2. Heft, hat bereits die Denkmäler
im wesentlichen richtig gruppiert, wenngleich unter der damals herrschenden irrigen Voraussetzung abend-
ländischer Schulen. Die hier vorgenommene Lokalisierung folgt im allgemeinen den von Ainalow, a. a. O.,
S. 94 ff. u. 204 ff., gewiesenen Richtlinien; vgl. Repert. f. Kunstwiss. 1903, S. 43 ff. und Sitzgs.-Ber. d. k*
g. Ges., Berlin 1906, S. 18 ff. sowie zur Begründung meiner Stellungnahme im einzelnen, besonders
Strzygowski gegenüber, Repert. f. Kunstwiss. 1912, S. 220 ff. Die Zuweisung der Lipsanothek nach Antiochia
wird gestützt durch die Ausführungen von E. Becker, Rom. Quartalschr. 1909, S. 194 ff. Für die Beur-
teilung der Maximianskathedra bietet m. E. das Monogramm einen mit ihrem Stil sehr wohl vereinbaren und
sichereren Anhaltspunkt als die Beziehung der Schenkung Ottos III. auf dieselbe, zumal in Anbetracht seiner
Wiederholung auf dem Berliner Diptychon; vgl. H. Graeven, Bonner Jahrbb. 1899, H. 105, S. 146. So erscheint
auch der neueste Erklärungsversuch von F. Martroye, Bull, de la soc. nat. des antiqu. de Fr. 1910, S. 267, ge-
künstelt. Das Reliquiar von Pola wurde veröffentlicht durch A. Gnirs, Atti e Mem. della soc. istriana di
archeol. e storia patria 1908, S. 19 ff. Im übrigen vgl. die Denkmälerpublikationen und Zusammenstellungen
von H. Graeven (2 Ser. phot. Nachbildg. aus England u. Italien), E. Molinier, L. v. Sybel, a. a. O. II, S. 228 ff.
und O. M. Dalton, a. a. O., S. 179—-214, wenngleich sie noch alle mehr oder weniger mit dem römischen
Ursprung besonders der Konsulardiptychon rechnen, wie auch die posthume Ausgabe von H. Graeven,
Heidnische Diptychen. Mitt. d. K. d. archäol. Inst, in Rom 1913, S. 198—304 (in der Datierungsfrage von
seinem Aufsatz ebenda 1892, S. 217 z. T. abweichend).
Die offiziellen Typen der Konsulardiptychen gehen als Gemeingut aller Staatskunst auch
in die Metallplastik ein. Die Sitte, aus festlichem Anlaß in Tempeln und Privathäusern
silberne Votivschilde aufzuhängen, die seit dem 4. Jahrhundert zugleich für den Gebrauch
als Schüsseln (missorium) hergestellt zu werden pflegten, erklärt uns die Bestimmung mehrerer
Silberschilde, von denen drei die Gestalten von Kaisern tragen.
Auf dem Genfer Missorium steht Valentinian II. noch in ganz antiker Pose mit Schild und Labarum,
umringt von Legionären, da, das unbehelmte Haupt vom Nimbus umrahmt. Der typischen Sitzfigur mit
beginnender Aufsicht begegnen wir bereits am Madrider Votivschilde des Theodosius (aus Estremadura),
der, von seinen Söhnen umgeben, über der zu seinen Füßen gelagerten Erdgöttin Verwaltungsbefehle erteilend,
dargestellt ist (Abb. 199). Diese Technik gibt die ganz zeichnerisch gedachte frontale Komposition durch
ein nur schwach herausgetriebenes Flachrelief, aus dem sich nur die Köpfe stärker erheben, wirkungsvoller
BYZANTINISCHE UND SYRISCHE TOREUTIK 197

wieder, als es die Elfenbeinschnitzerei je vermag,


die in einzelnen Arbeiten (Abb. 192) deutlich den
Einfluß der Toreutik verrät. Daß der Stil der letz-
teren im 5. Jahrhundert auch zu schwereren Pro-
portionen und härterer Bewegung übergeht, dafür
bietet Gewähr der Silberschild (Florenz) des Kon-
suls und getreuen Dieners Theodosius’ II. Aspar
Ardabur (434). Hier ist jede bedeutendere Relief-
erhebung geschwunden. Das jüngste Denkmal der
Reihe verzichtet ganz auf sie zugunsten der Gra-
vierung , deren Wirkung durch Vergoldung und
Nieliierung der wichtigsten Bildteile gehoben wird:
der in Kertsch gefundene Silberschild eines byzan-
tinischen Kaisers, wahrscheinlich Justinians, der
in prächtigem Staatskleide, geführt von der Sieges-
göttin und gefolgt von einem Leibwächter, zu Roß ein-
hersprengt. In der Herumwendung des Oberkörpers
erreicht die repräsentative Komposition ihren Höhe-
punkt. Technik, Tracht und Formengebung berühren
sich mit der sassanidischen Kunst. Den besten früh-
byzantinischen Stil antiker Tradition vertritt daneben
die allegorische Darstellung der India auf einer ver- Abb. 199. Theodosius d. Gr. und seine Söhne,
goldeten und zurWiedergabeihrer dunkeln Hautfarbe Silberschild (Madrid).
mit Niello belegten Schale (Ottomanisches Museum).
Auch nach dem Siege des Christentums nahm die weltliche Kleinkunst nur schrittweise
einen neuen Charakter an. Der auf dem Esquilin gefundene Toilettenkasten der Projecta (Lon-
don) vereinigt mit der Inschriftformel „lebet in Christo“ und einem auffallend an die Porträt-
schilder der altchristlichen Sarkophage erinnernden Doppelbildnis genrehaften und sogar mytho-
logischen Bildschmuck. Die darüber befindliche Gruppe der Aphrodite in der Muschel und
der Seegötter, für diese Zeit offenbar nur noch von allegorischer Bedeutung, setzt sich aus
traditionellen überschlanken Figuren zusammen. An der Hauptseite, die mit ihrem Arkaden-
wechsel und in den Akroterien Beziehungen zum architektonischen Sarkophagtypus (S. 110)
aufweist, erscheint die vornehme Dame im Begriffe sich zu schmücken. Steht schon der allge-
meine Frauentypus dem halbantiken Ideal der ^Gottesmutter auf manchen Diptychen (Abb. 198)
nahe, so berühren sich in der Szene der Heimführung der Braut die Bewegungsmotive teils
mit sepulkralen, teils mit den Typen der syrischen Pyxiden und weist auch der mit reicher
Kuppeldeckung ausgestattete Gebäudetypus nach dem Orient. Der Brautkasten der Projecta
gehört in der Tat zu einer stattlichen Gruppe von Silberarbeiten christlichen Ursprungs, die
sich durch Form, Ornament und bildliche Zusammenhänge als Exportartikel der syrischen
Kunstindustrie erweisen. Die Weinranke hat er vor ihnen voraus, das dekorative Bindeglied
ist jedoch das Strickmotiv, ein Hauptornament der jüdischen Särge, — oder, wo es noch
in seiner ursprünglichen gegenständigen Bildung vorkommt, das Motiv des Ölblattstabes.
Als solches schmückt es das bedeutsamste Denkmal der ganzen Gruppe, das Reliquiar, in dem Am-
brosius bei der Gründung der Kirche San Nazario in Mailand die Apostelreliquien niedergelegt hatte. Die
figurenreichen Reliefs riefen bei seiner Entdeckung (1894) durch die Fülle gegenständlicher Sonderzüge wie
durch die sichere und blühende antike Gestaltenbildung berechtigtes Erstaunen hervor. Wir haben hier eine
Kunst vor Augen, welche das Christuskind auf dem Schoße der Mutter noch nackt abbildet (Abb. 200), die
Magier noch im Philosophenmantel, einen der Verfolger Susannas noch jugendlich, die den Jünglingen im
Feuerofen einen flügellosen Engel beifügt und in der Lehrszene (S. 186) auf dem Deckel Christus und Petrus
neben dem porträthaften Paulus (S. 121) noch ohne individuellen Charakter wiedergibt, eine Kunst, die noch
198 ALEXANDRINISCHER UND SASSANIDISCHER EINFLUSS

Abb. 200. Das Urteil Salomos und Huldigung der Magier, Seitenreliefs des Reliquiars von S. Nazario (Mailand)
(nach Graeven, Zeitschr. f. Christi. K. 1899).

reich ist an antiken Kontrastmotiven und wieder voll naturalistischer Belebung der Gebärde, besonders in der
dramatischen Darstellung des Salomonischen Urteils (Abb. 200), und die dennoch die repräsentative Bildgestal-
tung bevorzugt. Ihre Wurzeln reichen ins 3. Jahrhundert und nach Antiochia zurück, wie auch die Ähn-
lichkeit des Danieltypus mit dem Orpheus der Pyxis von Bobbio (S.186) bestätigt. — Auf mehreren strick-
verzierten ovalen Reliquiaren (Castel Brivio, Grado, Henchir-Zaira) kommen die Bilder den gewöhnlichen
Sarkophagtypen weit näher, zeigen aber schon vergröberten Stil, zumal auf dem jüngsten (1905) aus der
Kapelle Sancta Sanctorum hervorgezogenen (Rom). Neben den Wundern des Herrn findet sich die Gruppe
der trinkenden Hirsche u. a. m. Typisch erscheint aber für diese Denkmälerreihe, der auch mehrere Kannen
(im Vatikan u. a. m.) und eine Silberphiole aus Pola (Wien) angehören, die Vereinigung der Gestalten oder
Brustbilder des jugendlichen Christus im palästinensischen Typus (S. 138) mit denen der Apostel. Die
Typen dieser Porträtfolge stehen zwischen denen der Lipsanothek von Brescia (S. 185) und mehrerer neuerer
Fundstücke aus dem Orient. An der syrischen Silberkanne von Emesa (Horns), an einem in Cypern
gefundenen Weihrauchbecken (Brit. Museum) und an einem in Kertsch ausgegrabenen sarkophagförmigen
Reliquiar (Eremitage) umgeben die Büsten der Hauptapostel den bärtigen Christuskopf mit gescheiteltem
Haar, dem sich das zwischen Engelbüsten befindliche Brustbild der Gottesmutter, am erstgenannten Stück
auch schon der christusähnliche Täufertypus (S. 191) zugesellt.
Der etwas abweichende Christustypus des Petersburger Reliquiars wiederholt sich auf
dem vatikanischen Kreuze Justins I. (518 — 527), das auch in seinen ornamentalen Moti-
ven die Fortbildung syrischer Formen erkennen läßt und die Umbiegung dieses Stils in
Byzanz veranschaulicht. Es zeigt noch das Lamm, dessen Anbringung auf dem Kruzifix
später durch Konzilbeschluß (692) untersagt wurde, auf den Kreuzarmen aber das betende
Herrscherpaar im Ornat der Staatsporträts. Dem cyprischen Weihrauchbecken haben sich
aus derselben Fundstätte, Kerynia, noch merkwürdigere Erzeugnisse altchristlicher Silber-
arbeit angereiht, die eine zusammenhängende alttestamentliche Bilderfolge darbieten.
Die Darstellung des Hauptstückes von einem ganzen Tafelgeschirr, von dem ein Teil noch daselbst,
der andere als Leihgabe in London (South. Kens. Museum) bewahrt wird, bildet die lebhaft bewegte Szene
des Kampfes Davids mit Goliath. Mehrere zugehörige Teller sind in repräsentativer fünffiguriger, allemal
vor einer dekorativen Säulenfront aufgebauten Komposition mit anderen Bildern aus der Geschichte Davids,
die kleinsten mit der Besiegung des Löwen und Bären, dem Zwiegespräch mit Jonathan usw. (Abb. 201)
geschmückt. Die ganze Folge erscheint als Erzeugnis einer jüngeren Kunstübung, die zwar einer an-
scheinend in der alexandrinischen Miniaturmalerei festgestellten Redaktion des Bildstoffes folgt, ihn aber
doch nach anderen Vorbildern umgestaltet. Den sich kreuzenden Einflüssen, die in den Beziehungen der
Komposition, des Figurentypus, der Gewandbehandlung usw. einerseits zur berühmten Pariser Psalter-
IN JÜNGEREN ERZEUGNISSEN DER ALTCHRISTLICHEN TOREUTIK 199

handschrift (Bibi. nat. Nr. 139) und der Vatikanischen Josuarolle (Kap. V), andrerseits zur Tür von S. Am-
brogio (S. 136), den Konsulardiptychen und syrischen Silberreliquiaren zutage treten, mischt sich in der
reichlichen Gravierung, in der Stilisierung des Löwenkopfes und des spärlichen Blattwerkes ein unverkenn-
barer sassanidischer Einschlag bei. Daher kommt als Entstehungsort dieser eklektischen Erzeugnisse wohl
am ehesten Byzanz in Frage, um so mehr als der cyprische Fund auch eine mit der Halbfigur des heiligen
Sergios von ausgeprägt byzantinischem Stil geschmückte Schale enthält. Als rein syrische Arbeit teilt eine
in Horns gefundene Schale (im Kunsthandel) mit den vorbetrachteten nur die dekorative Hintergrunds-
architektur, vor der sie Christus den Aposteln die heiligen Gaben austeilend in abweichender Gestalten-
bildung zeigt.
Von der hohen Blüte und dem weiten Vertrieb der christlichen Silberarbeit im Orient bis
tief nach Mesopotamien und in das Sassanidenreich hinein geben mehrere Fundstücke aus
Rußland und sogar von jenseits des Ural Zeugnis. Der wachsende Einfluß der persischen
Toreutik auf die syrische wie auf die byzantinische äußert sich in einem immer stärkeren
Hervortreten der Punzarbeit und später in der völligen Ersetzung der Treibe- oder Guß- durch
die Präge- und Schneidetechnik.
Die Anpassung an den orientalischen Geschmack ist noch eine rein stilistische in einer aus Sibirien
(Beresow) herrührenden Schale (aus der Samml. Stroganow). In ihrer Darstellung des auf dem gestirnten
Himmelsball stehenden Kreuzes, das zwei Engel bewachen (Abb. 201), ist ein echt palästinensisches Sinn-
bild der Herrschaft des Herrn über die Welt, anscheinend mit vollem Verständnis und doch ziemlich äußer-

Abb. 201. Davidszenen und Kreuzeswacht der Engel im Paradiese, byzantinisches und syrisches Silbergeschirr
(aus den Samml. von J. P. Morgan und des Grafen G. Stroganow).
200 ALTCHRISTLICHE GOLDSCHMIEDEKUNST UND BRONZEARBEIT — LITERATUR

lieh wiedergegeben. Die Behandlung der großen Köpfe berührt sich in der Schärfe der Züge und im
starren Blick mit sassanidischen Arbeiten. Orientalische Tracht und Gesichtsbildung ist vollends in die
ganz in persischer Technik ausgeführten, ein Kreisgeschlinge füllenden Darstellungen der Himmelfahrt,
Kreuzigung und Frauen am Grabe einer in Perm zutage gekommenen Silberschüssel (Eremitage) noch
jüngerer Entstehung eingedrungen.
Ungleich spärlicher ist der erhaltene Bestand altchristlicher Goldschmiedearbeiten mit
Reliefdarstellungen. Dem 5. Jahrhundert gehören wohl noch die beiden Goldamuletts von
Adana (Ottoman. Museum) mit neutestamentlichen Wunderszenen, denen kleinere Enkolpien
(Anhänger) mit getriebenen (bezw. gestempelten) Typen der Apostel, der Gottesmutter (in
Berlin, London u. a. m.) späterer Entstehung nachfolgen. Das bedeutendste, etwa gleich-
zeitige Stück aber entstammt einem seit kurzem im Berliner Antiquarium befindlichen Funde
aus Assiut (Oberägypten). Von reicher ornamentaler Durchbrucharbeit eingefaßt, zeigt das
getriebene Mittelrund dieses Enkolpions auf der einen Seite die Verkündigung, auf der anderen
das Wunder zu Kana. Die engen ikonographischen und stilistischen Beziehungen desselben
zu den Pyxiden und verwandten Denkmälern der Stein- und Holzplastik kennzeichnen seine
Herkunft und die sämtlicher zugehörigen Schmucksachen. In der Prägetechnik der Münzen
endlich, deren Stempel in der Goldschmiedearbeit vielfach nachgebildet wurden, ist z. B. ein
dem cyprischen Funde entstammendes Goldmedaillon hergestellt, das die Geburt und Taufe
Christi trägt und in engster ikonographischer Beziehung zu den palästinensischen Ampullen
von Monza (Teil II) steht (im Privatbesitz).
Es ist wohl nur der leichteren Vergänglichheit der Bronzearbeiten zuzuschreiben, daß
die Menge der feineren Stücke der Treibetechnik im Verhältnis zu den Bildwerken aus Edel-
metall hier nicht viel beträchtlicher ist. Gleichwohl übertreffen die sog. Contorniaten mit
den durchgebildeten Porträtköpfen der Apostelfürsten (Vat. Samml. in Rom) aus dem 4. Jahr-
hundert die oben erwähnten Gegenstücke im Maßstab und der künstlerischen Vollendung, obwohl
sie nur als Nachbildungen entsprechender Goldenkolpien anzusehen sind. Jüngere Amulette
gröberen Stils, Beschläge verschiedener Zeit u. dgl. bezeugen den langwährenden Kunst-
betrieb in diesen Techniken, neben denen der Guß besonders für Gerätzier gebräuchlich war*
Von der antiken Kunstübung hat ;die altchristliche Kleinplastik auch die Verwendung der
Bronze für die Rundfigur beibehalten. Aber die Statuette als selbständiges Kunstwerk tritt
noch mehr zurück als die Freifigur der monumentalen Plastik.
Auch ein Bronzefigürchen des Petrus (Berlin) ist wohl nur ein Bruchstück einer Lampe aus dem
5. Jahrhundert. Wiederholt kommt das Schiff vor, gelegentlich sogar mit Figuren oder Köpfen der Beman-
nung (Berlin). Auf einer Lampe für vier Flammen (Florenz) sitzt Christus als Steuermann am Schiffsende,
während am Bug ein Orant die Arme erhebt. Man liebte es auch, dem ganzen Gerät die Gestalt der
Taube, des Pfaues, Delphins und des Lammes zu geben, — und nicht nur bei Lampen. Als Gewicht diente
z. B. eine schöne Bronze (aus Trapezunt), die im gedrungenen Bau des Tieres den ins Rundplastische übersetzten
Typus.der ravennatischen Sarkophage (S. 181) im reinsten byzantinischen Geschmack vertritt (Berlin).
Die Silberschilde sind schon bei J. Strzygowski und N. Pokrowski, Materialien zur Archäol. Rußlands,
St. Petersburg 1892 (z. T. russisch), und neuerdings bei Venturi, a. a. O. I, S. 494 ff. zusammengestellt. Die
Indiaschale wurde von H. Graeven, Archäol. Jahrb. 1900, S. 195, Fig. 6, das Mailänder Reliquiar in d. Zeitschr.
f. christl. K. 1899, S. 1 ff. u. Taf. I und von F. de Mely, Mon. et Mem. Fond. Piot 1900, S. 63ff., pl. VII—IX
veröffentlicht; zum Stil vgl. auch Riegl, a. a. O. I, S. 106. Für den syrischen Ursprung dieser Denkmäler-
reihe ist mit Recht schon Ph. Lauer, Mon. et Mem. Fond. Piot 1906, S. 67 und 229 ff. eingetreten, ebenso
für den palästinensischen des lateranensischen Reliquiars H. Grisar, Die röm. Kap. Sancta Sanctorum, Frei-
burg i. B. 1908, S. 109. Eine weitere Abendmahlsdarstellung (nicht unverdächtig) u. a. m. aus Stuma bei
Aleppo bespricht J. Ebersolt, Rev. archeol. 1911, XVII, p. 407ff. m. Abb.; vgl. im übrigen (einschließlich der
Münzstempel) die Nachweise bei Dalton, a. a. O., S. 563—576. Der Goldfund von Assiut ist soeben bekannt
gemacht worden durch R. Zahn, Amtl. Ber. a. d. Kgl. K. Samml., Dez. 1913.
NACHTRÄGLICHE ENTFALTUNG DER CHRISTLICHEN BAUKUNST 201

Abb. 202. Die Geburtskirche in Bethlehem, Blick durch das Hauptschiff zur Apsis
(nach R. Weir Schultz, The church of the nativity at Bethlehem, 1910).

IV.
Die altchristliche Baukunst.

Wo sich die Kunst eines einzelnen Volkes oder eines größeren Kulturgebietes aus primi-
tiven oder barbarischen Anfängen folgerichtig zu höheren Formen erhebt, weist stets
die Baukunst den bildenden Künsten die Richtung, in der sie sich Hand in Hand mit ihr
entwickeln. Das Christentum aber hatte sich jene längst dienstbar gemacht, bevor eine christ-
liche Architektur entstand. Denn die Voraussetzungen lagen hier einmal ganz anders. Christ-
liche Gedanken eroberten das Reich der Phantasie weit schneller als der Kult, der sich über-
all das Gotteshaus erst schaffen muß, seine bleibende, auf feste Grundsätze und geregelte
Bräuche aufgebaute Ordnung annahm. Mit seiner Entwicklung aber gewinnt er wachsenden
Einfluß auf die Gestaltung der kirchlichen Bautypen, die sich nach ihrer Bestimmung anfangs
in zwei Hauptgattungen scheiden.
1. Die Basilika.
Der freie Zug, der durch die gottesdienstlichen Versammlungen des apostolischen Zeit-
alters und der nächsten Generation ging, machte die Gemeinden überaus anpassungsfähig
an die gegebenen äußeren Bedingungen. Die Zusammenkünfte fanden in den Häusern der
202 DIE ENTSTEHUNG DES KULTGEBÄUDES UND DER SPRACHGEBRAUCH

reicheren Mitglieder (Apostelgesch. I, 13, usw.), bei zunehmender Zahl der Bekenner wohl in
den Höfen statt. Und bis zum Ausgang des 2. Jahrhunderts war die Zahl der Christen wohl
nur in wenigen Städten so stark angewachsen, daß sie, wie in Rom, mehrere Sprengel bilden
konnten und in den Gemeinden das Bedürfnis nach besonderen Bethäusern erwachte. Um
die Wende desselben aber gab es solche schon allenthalben, das bezeugen die übereinstimmenden
Aussagen eines Hippolytus, Tertullian und Lactantius. Damals und selbst zur Zeit des Clemens
Alexandrinus und Origines haftete noch an diesen „Häusern des Herrn“ der Name der Ver-
sammlung (ecclesia) als gebräuchlichste Bezeichnung. Ihre Größenverhältnisse überschritten
wohl nicht allzu oft die bescheidenen Maße der zahlreichen noch lange fortbestehenden privaten
Oratorien. Daß erst in der langen Friedenszeit zwischen den Verfolgungen des Decius (250)
und Diokletian (303) darin ein Umschwung eintrat, spricht Eusebius mit klaren Worten aus.
Im Konstantinischen Zeitalter aber erscheint das christliche Kulthaus bereits in allen wesent-
lichen Grundzügen festgestellt. Es hatte das Ansehen eines eigenartigen Bautypus gewonnen,
wie sich das auch im Wechsel des Sprachgebrauches verrät. Fortan wird eine größere für
den allgemeinen Gottesdienst bestimmte Kirche meist „Basilika“ genannt, eine Bezeichnung,
die zu tiefgehenden wissenschaftlichen Streitigkeiten über den Ursprung dieser Bauform An-
laß gegeben hat. Doch fand dieselbe nicht überall mit gleicher Schnelligkeit Eingang. Denn
während schon das Sendschreiben Konstantins d. Gr. an den Bischof von Jerusalem Maka-
rios (326) zur Voraussetzung hat, daß die Christen allenthalben im Besitz von Basiliken
waren, erscheint Bezeichnung und Gegenstand dem Pilger von Bordeaux mehr als ein Jahrzehnt
später noch ungewohnt. Daß der neue Name von gewissen Anlagen des griechisch-römischen
Profanbaues entlehnt ist und daß eine Übertragung desselben schwerlich eingetreten wäre,
wenn die christliche Bautätigkeit nicht früher oder später an solche Räume angeknüpft hätte,
liegt auf der Hand. Aber so wenig wie vordem läßt sich deswegen in der Folge der christ-
lichen Baukunst eine ihr eigentümliche innere Entwicklung absprechen, nur besteht diese
nicht in der völlig freien Neuschöpfung von Bauformen, sondern in der Um- und Fortbildung
vorhandener nach den ihr vorschwebenden Zweckgedanken und ästhetischen Absichten.
Da der sonntägliche Gottesdienst im Anfang in Schriftverlesung und Predigt bestand
— die Abendmahlsfeier fand ziemlich lange getrennt davon abends statt —, so muß schon
bei den häuslichen Gottesdiensten sehr früh die Scheidung zwischen der Gemeinde und den
Lehrern und Leitern der Versammlung eingetreten sein. Je mehr die Stellung des Bischofs
und der Ältesten (Presbyter) eine amtliche wurde, desto festere Formen mußte diese räum-
liche Gegenüberstellung annehmen. Wo das Bedürfnis eintrat, für die Gemeinden selbständige
Gebäude herzustellen, ergab sich daraus die erste und wichtigste Raumgliederung. Als eine
Art einschiffiger Saalkirchen mit angeschlossenem, nicht aber völlig abgeschiedenem Presby-
terium haben wir uns die Bethäuser (Eukterien, bzw. Oratorien) vorzustellen, die nach dem
Zeugnis des Eusebius in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts allgemein durch weit-
räumige Gemeindehäuser verdrängt wurden, unter denen gewiß schon basilikale Anlagen zu
verstehen sind. Zweifellos aber hatten die Priester und der Vorsitzende (Proedros) schon in
den Sälen ihren ausgezeichneten festen Platz. Antiker Sitte gemäß ist dafür offenbar schon
sehr früh die halbkreisförmige Anordnung (Sigma) bevorzugt worden. Die Kathedra, die
alsbald zu einem geheiligten, mit mystischer Ehrfurcht angesehenen Gerät wurde, und die
Priesterbank entstammen der Rhetorenschule (S. 186). Auch entsprach es antiker Gewöhnung,
eine solche Bank oder Sitzstufe aus akustischen Gründen in eine Nische einzubauen. In
dieser Einrichtung liegt der Ursprung der Apsis beschlossen, erhielt sich doch der Name
DER ÜBERGANG VOM EINSCHIFFIGEN ZUM BASILIKALEN BAUTYPUS 203

der Exedra für sie noch lange im kirchlichen Gebrauch. Der Altartisch trat hinzu, als die
Abendmahlsfeier den Charakter einer rituellen Handlung annahm, was schon die Schilderung
Justins erkennen läßt. Nicht ausgeschlossen war natürlich bei bescheidenen Raumverhält-
nissen eine einfachere Gestaltung des Presbyteriums, wie sie auch später noch öfters vor-
kommt. Und sehr lange blieb sowohl der Altartisch wie die Kathedra ein bewegliches
Gerät. Gleichwohl hat der apsidale Abschluß schon bei den kleinen einschiffigen Bethäusern
typische Anwendung gefunden.
Der Übergang zur neuen Bauform war durch das wachsende Raumbedürfnis veranlaßt.
Man mag sich zunächst auf verschiedene Weise geholfen haben, einmal dadurch, daß der Saal
außerordentlich verlängert wurde (Abb. 205), vielleicht aber auch indem der Raum durch Ein-
stellung von Stützenreihen vergrößert wurde, und zwar anfangs ohne Höherlegung der Decke
des Mittelschiffs, wenngleich die Denkmäler nur unsichere Anhaltspunkte für die Annahme
einer solchen Vorstufe der Basilika bieten, wie sie in der architektonischen Gestaltung ein-
zelner spätantiker Heiligtümer (Serapeion in Milet) nachgewiesen ist. Vielmehr scheint sich
die basilikale Konstruktion zugleich mit der Dreischiffigkeit durchgesetzt zu haben. Dieses
schon von der Antike bevorzugte Schema der Raumgliederung besitzt zwar in der christ-
lichen Architektur keineswegs ausschließliche Geltung, doch bleibt es kaum fraglich, daß die
selteneren mehrschiffigen Anlagen einesteils aus einer Steigerung des Bautypus, im übrigen aber
erst aus einer nachträglichen Vervielfältigung der Nebenschiffe hervorgegangen sind. Das
ausschlaggebende, einer reicheren Lichtzufuhr genügende konstruktive Baumotiv der Über-
höhung des Mittelschiffes, das geradezu unanwendbar und unzweckmäßig gewesen wäre,
solange der Raum klein bemessen war, entstammt mitsamt dem dreischiffigen Grundplan
offenbar demselben Vorbild, dem der neue Kirchentypus seinen Namen verdankt. Das waren
sicher, zumal im Anfang, nicht sowohl die großen öffentlichen Marktbasiliken, als die dem-
selben allgemeinen Bautypus angehörenden Privatbasiliken, die, von den sogenannten ägyp-
tischen Sälen wenig unterschieden, ein überall verbreitetes Zubehör der Paläste und Pracht-
häuser der Reichen bildeten. Nichts lag beim Anwachsen der Gemeinden und in Zeiten
der Verfolgung näher, als sie dem gottesdienstlichen Gebrauch einzuräumen. In der Tat
besitzen wir gewisse Zeugnisse dafür, daß dies der Gang der Dinge war, wenn auch die ge-
sicherten Fälle der Umwandlung von Basiliken in Kirchen erst dem 4. Jahrhundert gehören.
Nur auf solchen^ Voraussetzungen kann die legendarische Überlieferung (der pseudoclemen-
tinischen Rekognitionen) beruhen, nach der ein Theophilus von Antiochia im 2. Jahrhundert
„die ungeheure Basilika seines Hauses“ zur Kirche weihte und daß hier der Lehrstuhl Petri
stand. In den Hausbasiliken fand der Kult wohl in der Regel bereits die Apsis vor, sei
es als Anbau oder als eingebaute Nische, wie z. B. im palatinischen Kaiserpalast, d. h. in
beiden auch in den erhaltenen kleinen Oratorien vertretenen Formen. Darin eben verrät
sich anscheinend der erste Einfluß solcher privaten Versammlungsräume auf die Bau-
tätigkeit der Christen. Als man dann zur freien Wiederholung der basilikalen Bauform
schritt, konnte man nach Belieben der einen oder der anderen Anlage den Vorzug geben.
Wo das zuerst geschah, wird sich schwerlich jemals ermitteln lassen. Es kommt auch nur
auf die Erkenntnis an, wo solche Versuche zur folgerichtigen Ausbildung des christlichen
Bautypus geführt haben. Die frühe und starke Ausbreitung desselben in den hellenistischen
Städten der kleinasiatischen und philistäischen Küste einerseits, im Innern Syriens andrer-
seits spricht dafür, daß diese führende Rolle Antiochia zufiel. Dort scheint jedenfalls die
zuerst im Profanbau (Spalato) vorkommende Verbindung von Säule und Bogen ihren Ur-
204 FORTBILDUNG DER CHRISTLICHEN BASILIKA

Sprung genommen und noch in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts zur wichtigsten konstruk-
tiven Neuerung geführt zu haben: zur Ausschaltung des Architravs über den Säulenstellungen
der Basilika, ein Fortschritt, der nicht nur der Statik, sondern auch der ästhetischen Aus-
gestaltung des Gebäudes zu statten kam. Dank der Höherhebung der Obermauern wurde
nunmehr auch den Nebenschiffen durch die Bogenöffnungen reichlicheres Licht zuteil. Und
ohne ihre Wirkung als begleitende Bahnen einzubüßen, wurden sie mit dem Hauptschiff zur
vollkommeneren Raumeinheit zusammengefaßt. Mit der Vereinheitlichung beginnt aber auch
die lebendigere Beseelung des Raumes.
Bestimmend für die weitere Entwicklung der neuen Bauform wurde in erster Linie
der Abendmahlskult und Altardienst. Wie das Mittelschiff durch das abgesonderte Presby-
terium, so gewannen durch ihn die Seitenschiffe ihren Zielpunkt und architektonischen Ab-
schluß. Als die im 3. Jahrhundert aufkommende Sitte, daß die Gaben von den Gemeinde-
gliedern nicht mehr auf dem einfachen Altartisch niedergelegt, sondern von Diakonen auf
besonderen Oblationarien entgegengenommen wurden, allgemeinere Verbreitung gewann, boten
sich die Eckräume neben der eingebauten Apsis gleichsam von selbst zu ihrer Aufstellung
dar. Im anderen Falle lag es nahe, vor der Altarnische einen Raumabschnitt, womöglich
mit Einschluß der beiden Seitenschiffe, zu schaffen und den Altar vorzuschieben. Viel-
leicht haben die Altarschranken erst daraus ihren Ursprung genommen. Eine stärkere Ab-
schließung des erweiterten Presbyteriums durch Wände setzte sich nicht allgemein durch.
Auch dieser Fortschritt aber wurde durch die eingebaute Apsis wesentlich erleichtert und
führte im Orient alsbald zur Entstehung gesonderter, im Anfang von der Altarnische aus
nicht unmittelbar zugänglicher Nebenräume, deren Bestimmung sich dann schied und in
ihrer Benennung nach dem Rüsttisch (Prothesis) und dem Aufenthalt der Diakonen sowie
der Aufbewahrung der Geräte und Gewänder (Diakonikon, Skeuaphylakion) ihren Aus-
druck fand. Die zu Anfang des 4. Jahrhunderts in Syrien abgefaßten apostolischen Konsti-
tutionen fordern bereits die „Pastophorien“ als unerläßlichen Bestandteil des Kirchenge-
bäudes, ohne den verschiedenen Zweck der Räume zu betonen. Auf die Dauer konnte auch
das erweiterte Presbyterium oder Bema, wie die griechische Kirche es wegen der' Erhöhung
seines Fußbodens um eine oder mehrere Stufen in der Folgezeit bezeichnet, der steigenden
Vermehrung des Klerus und dem feierlichen Gepränge des Ritus nicht überall genügen.
Wollte man es nicht auf Kosten des „Schiffes“ (apostolische Konstitutionen) vergrößern, so
blieb kaum ein anderer Ausweg, als daß es sich nach den Seiten ausdehnte, sei es nach einer
oder nach beiden. In der Tat sind allmählich immer mehr Denkmäler bekannt geworden,
die eine solche Verbreiterung aufweisen. Während sie jedoch bei den abgetrennten Nebenräumen
der eingebauten Apsis mehr oder weniger einen zufälligen Charakter behält (Abb. 206 u. 216)
und äußerst selten auf beiden Seiten auftritt, erfuhr sie bei der angebauten Apsis ziemlich
früh eine folgerichtige doppelseitige Durchbildung und wurde so der Ausgangspunkt für die
Entstehung des Querschiffes. Im drei- oder vierseitigen Umgang mancher antiken Basiliken
war schon ein solcher Baugedanke enthalten und vollends in der öfter vorkommenden Vor-
halle (Chalkidicum). Die christliche Neuerung, die gleichwohl eine bewußte Schöpfung dar-
stellt, besteht nur darin, das Querhaus in der gleichen Höhe des konstruktiven Aufbaus mit
dem Mittelschiff vor dem Presbyterium einzuschieben und es über die Längsmauern vortreten
zu lassen, woraus sich ein kreuzförmiger Grundriß ergab. In der Außenansicht zeichnet es
sich aufs deutlichste dadurch ab, daß sein Dach in gleicher oder kaum geringerer Erhebung
über den Pultdächern der Nebenschiffe dem Satteldach des Langhauses quer vorliegt (Abb. 5).
AUSGESTALTUNG DES ALTARRAUMS — LITERATUR 205

Im Innern grenzt der sogenannte Triumphbogen das letztere gegen das Querschiff ab, die
Seitenschiffe hingegen münden fast ausnahmslos frei in dasselbe ein.
Gefördert wurde diese gesamte Entwicklung vor allem durch den schon im 3. Jahrhun-
dert aufblühenden Reliquienkult, seit sich die Sitte immer mehr verbreitete, den Altar über
einem Märtyrergrabe aufzustellen oder als ein solches auszugestalten (Confessio). Damit
hängt nicht nur die Entstehung des schützenden Baldachins (Ciborium) über ihm zusammen,
sondern vor allem auch der Ursprung der Krypta, sei es nur eines unterirdischen Zugangs
zur Gruft oder gar eines ganzen Raumes unter dem höher gelegten Bema, zumal bei größeren
Denkmalbauten. Für die im Anfang willkürliche Orientierung des Kirchengebäudes kam
schon im Laufe des 4. Jahrhunderts die ziemlich streng befolgte Regel (apostolische Konsti-
tutionen) auf, daß die Apsis gegen Sonnenaufgang, d. h. meistens nach Osten gerichtet sein
sollte. Ausnahmen sind unter den erhaltenen Denkmälern sehr spärlich vertreten. Wahr-
scheinlich bewirkte ein Wechsel im liturgischen Zeremoniell, daß die früher bevorzugte Orien-
tierung des Altarraums nach Westen in der Folge der Ostung wich. Mit der wachsenden
Entfernung der Apsis und der Kathedra vom Gemeinderaum gewann endlich das zur Schrift-
verlesung wohl schon sehr früh vor den Altarschranken aufgestellte Pult mehr Bedeutung und
monumentale Gestalt. Der zweiseitige Stufenaufgang gab ihm den Namen (Ambon). Einen
dem Querschiff ähnlichen Abschluß, der weder als dessen Vorstufe noch als Umbildung des-
selben anzusehen ist, erhielt das Kirchengebäude in verschiedenen Gegenden im Trichorum.
Die frühchristliche Sitte, Basiliken auf den Cömeterien zu erbauen, konnte leicht zu einer Ver-
einigung ihres Schiffes mit den triapsidalen Cömeterialcellen (S. 27/8) führen, je enger sich
der Kult mit der Heiligenverehrung verband, indem die einfache Apsis durch den Trikonchos
ersetzt wurde.
Wie die Basilika ihrer Grundrißbildung nach von Anfang an in mehrere Typen zer-
fällt, so behielten noch manche anderen Teile ihrer Gesamtanlage einen veränderlichen, von
örtlicher Sitte und Umgebung abhängigen Charakter. Vor allem erscheint das Atrium mit
dem Brunnen (cantharus) in den meisten Gebieten als entbehrlicher Zuwachs, wenngleich
es eine ziemlich allgemeine Verbreitung und eine typische Zusammensetzung gewann.
Alle früheren Erklärungsversuche des Ursprungs der christlichen Basilika müssen aufgegeben werden.
Von neueren läßt sich weder die Kraus’sche Theorie von der Verschmelzung der Cömeterialzellen mit der
forensen Basilika mit Kaufmann, Handb. d. christl. Archäol., 2. Aufl., Paderborn 1913, S. 168 ff. aufrecht
erhalten noch die Annahme freier Neuschöpfung aus dem Kultbedürfnis mit F. Witting, Die Anfänge christl.
Architektur, Straßburg 1902. Eine klärende Übersicht der ganzen Frage, besonders im Elinblick auf die
antiken Vorstufen bietet v. Sybel, a. a. O. II, S. 278 ff. (mit d. älteren Literatur); vgl. auch Brehier, Les
basiliques chretiennes, Paris 1907. Die literarischen Zeugnisse wurden besonders von A. Hauck, Realenzykl.
für protest. Theol. u. Kirche X, S. 774 ff. (vgl. XXIII, S. 753/4) kritisch verwertet. Zur ästhetischen Würdigung
der Basilika vgl. Riegl, a. a. O. S. 30 ff. und Jahrb. d. K. K. Zentralkommission usw., 1903, S. 208 ff. und
Schmarsow, Grundbegriffe d. K.-Wiss., 1905, S. 212 ff. Über die Verbindung von Säule und Bogen handelt
Strzygowski, Studien aus Kunst u. Gesch. Fr. Schneider gewidm., 1906, S. 325 ff.; zur Entwicklung des
Altares nebst Zubehör vgl. Fr. Wieland, Mensa und Confessio und Neue Studien über den Altar, Leipzig
1905 u. 1912, sowie Kaufmann a. a. O. S. 186ff. und Leclercq bei Cabrol, a. a. O. I, 1, Sp. 183—197,
I, 2, Sp. 3155—89 und im allgemeinen a. a. O. II, Sp. 525—602 (mit vollständiger Literatur bis 1907).

Palästina, Syrien und Mesopotamien.


Wenn irgendein Gebiet eine führende Rolle in der Entwicklungsgeschichte der alt-
christlichen Basilika gespielt hat, so ist es Palästina mit Einschluß der gesamten syrisch-
philistäischen Küste gewesen, wo sich schon unter Konstantin dem Großen eine zielbewußte
206 BAUTÄTIGKEIT KONSTANTINS D. GR. IM PALÄSTINENSISCHEN KÜSTENGEBIET

Abb. 203. Überreste der konstantinischen Basilika des hl. Grabes (Grund- und Aufriß)
(nach Jeffery, Bull, de l’Inst. archeol. russe ä Constantinople, 1898).

Bautätigkeit zur Pflege des Kults an den heiligen Stätten entfaltete. Zwar lassen die Nach-
richten über die konstantinischen Gründungen (S. 202) —, denn auf sie sind wir leider in der
Hauptsache angewiesen, — deutlich erkennen, daß der basilikale Bautypus in seinen Grund-
zügen damals bereits feststand, auf seine reichere Ausgestaltung aber kann die hellenistisch-
römische Architektur Syriens und Palästinas nicht ohne Einwirkung geblieben sein. Wenn
das Atrium mit dem Brunnen hier dem typischen Bestände der Basilika anzugehören scheint,
so drängt sich uns unwillkürlich das Vorbild der monumentalen Tempelanlage von Baalbek
mit dem großen quadratischen Hofe des Sonnentempels, dem kleinen sechseckigen Vorhof
und dem prunkvollen Torgebäude auf. In Tyrus, dessen von Konstantin (um 314) erbaute
Basilika uns Eusebius in der Einweihungsrede des Bischofs Paulinus mit ihrer durch aus-
giebige Verwendung von Holzschnitzerei bemerkenswerten Inneneinrichtung eingehend be-
schrieben hat, lag der Kirche, an die sich innerhalb einer ausgedehnten Umfriedigung (Peri-
bolos) Baptisterien und andere Nebengebäude anschlossen, ein solches aus schräg zusammen-
stoßenden Stoen bestehendes Atrium mit dem Cantharus und ein Propylaion vor. Beiden
begegnen wir auch in der Schilderung der um das Jahr 335 n. Chr. errichteten Prachtbasilika
des heiligen Grabes, wo Säulenhallen die anscheinend durch „Exedren“ erweiterte Fassade
auf beiden Seiten mit der gegenüberliegenden Torhalle des angeschlossenen Propylaions ver-
banden, das den Aufstieg von dem etwas niedriger gelegenen Forum her vermittelte.
DIE BASILIKA DES HEILIGEN GRABES UND DIE ELEONAKIRCHE 207

Überreste von der Ostfront der Basilika sind in den achtziger Jahren, 1897 und 1907 innerhalb des
heutigen russischen Klosters zutage gekommen. Sie bestehen aus einer von drei Eingängen — der mittlere
fällt in die Achse der Rotunde der Anastasis — durchbrochenen Quadermauer und einigen Basen und
Stümpfen einer Säulenstellung (Abb. 203). Letztere weisen aber durch ihre Zusammensetzung wohl auf den
späteren Umbau des Modestus (nach der Zerstörung des Heiligtums durch die Perser im Jahre 614) zurück»
Wie in Tyrus, bildet das Atrium mit dem Torgebäude den östlichen Abschluß der Gesamtanlage, in Jerusalem
schon aus zwingenden Gründen der gesamten Örtlichkeit. Denn die von Konstantin erbaute Basibka schloß
sich der Ostseite eines größeren Atriums an, in oder an dem ihr im Westen der Rundbau (siehe unten) der
eigentlichen Grabes- oder Auferstehungskirche (Anastasis) gegenüberlag, und zwar mit ihrer am Fuße
des Golgathahügels errichteten (möglicherweise eingebauten) Apsis (dem sog. Hemiphärium), unter der wohl
noch im 4. Jahrhundert an der angeblichen Stätte der Auffindung des heiligen Kreuzes eine Krypta entstand,
die im Laufe der Jahrhunderte zur Größe der heutigen Kapelle der heiligen Helena erweitert wurde. Die
Kirche trug den Namen des Martyrion. Sie war jedenfalls auch von dieser Seite zugänglich, wenn es auch
zweifelhaft bleibt, ob das in jüngeren Pilgerberichten erwähnte Tor Konstantins wirklich von seinem Bau
oder erst von der Restauration des Modestus herrührte, da Eusebius davon schweigt. Dagegen scheinen
sich Reste von der Südmauer des großen konstantinischen Atriums bis auf den heutigen Tag an der Ein-
gangsseite der von den Kreuzfahrern erbauten heiligen Grabeskirche erhalten zu haben. Die ornamentalen
Friese, die über die gotische Portalfassade derselben ostwärts noch ein ganzes Stück fortlaufen, und das
Gesims, verraten nicht nur in einzelnen Werkstücken eine solche Herkunft, sondern auch in ihrer zusammen-
hängenden Anordnung, wenngleich sie schwerlich ihren ursprünglichen Platz behaupten. Doch gestatten
die Angaben der Pilgerberichte über die Abmessungen des Atriums nicht etwa, diese Wand dem Martyrion
selbst zuzurechnen, dessen Westfront vielmehr weiter nach Osten anzusetzen ist.
Die kurze, aber durchaus klare Schilderung des Baues bei Eusebius ist in wiederholten
Rekonstruktionsversuchen oft willkürlich ausgedeutet und ergänzt worden. Wir erkennen aus.
ihr, daß schon diese Basilika fünf Schiffe besaß, dagegen wohl kein eigentliches Querschiff,
sondern nur eine weiträumige, von zwölf Säulen umstellte, — möglicherweise durchbrochene
— Apsis. Das nächstliegende Vorbild für diesen Prachtbau bot vielleicht die „königliche Halle“,
welche Herodes am Südrand des Tempelberges aufgeführt hatte und von der zu Makarius,
(und noch zu Cyrills) Zeit ansehnliche Teile aufrecht gestanden zu haben scheinen. Ihre
Beschreibung bei Josephus läßt eine beträchtliche Übereinstimmung in der Raumgliederung
und im Aufbau nicht verkennen, wenngleich nur eine solche des Langhauses. Was aber ab-
weicht und was bisher am wenigsten beachtet worden ist, obwohl es die höchste Beachtung
verdient, sind die von Eusebius unzweideutig bezeugten Emporen über den Nebenschiffen der
konstantinischen Basilika. Diese ruhten auf der dem Mittelschiff (Basileion) zugewandten
Innenseite, auf mächtigen Säulen, während sich die äußeren Stützenreihen aus Pfeilern zu
sammensetzten. Die kassettierten Decken bestanden überall aus reich vergoldetem Holzwerk»
Den Ursprung der Emporen, deren frühestes Beispiel darin gegeben ist, dürfen wir vielleicht
wieder aus der Anlehnung an einheimische Vorbilder ableiten, nachdem sie durch die neuesten
Untersuchungen der deutschen Orientgesellschaft in einer Reihe palästinensischer Synagogen
(Teil Hum, Umm el Amed, Kefr Birim) als regelmäßiger Bestandteil der Innenarchitektur
nachgewiesen worden sind, wenngleich die doppelstöckigen Säulenstellungen in diesen stets
einen dreiseitigen nur die Eingangsseite freilassenden Umgang bilden. Mit diesem Ergebnis
stimmt es zusammen, daß im Talmud die berühmte Synagoge von Alexandria einer Basilika
verglichen und zugleich das Vorhandensein von Emporen für sie bestätigt wird.
In Jerusalem entstand nach dem Zeugnis des Eusebius noch ein zweiter Denkmalsbau dank
dem frommen Eifer der Kaiserin Mutter über der Höhle auf dem Ölberg, in der Christus
vor der Himmelfahrt seine Jünger belehrt haben sollte. Daß auch diese konstantinische
Eleonakirche eine Basilika von stattlichen Abmessungen mit davorliegendem Atrium war,
aber nur von dreischiffiger Anlage, haben Ausgrabungen im heutigen Benediktinerkloster
208 DIE GEBURTSKIRCHE UND ANDERE KAISERLICHE GRÜNDUNGEN

neuerdings erwiesen. Ihr fehlte augen-


scheinlich das Querschiff, die wiederent-
deckte geräumige Krypta fand dafür erst
unter der Apsis ihren Abschluß. Unter
den Überresten der Innenarchitektur mö-
gen jüngere Zutaten nicht fehlen.
Während die erwähnten Bauten und
manch andere Gründung Konstantins des
Großen, wie die Basilika im Mambretal,
untergegangen sind, steht als einzige in
Palästina die Geburtskirche von Bethlehem
noch heute größtenteils so da, wie sie von
Abb. 204. Die Geburtsbasilika in Bethlehem (Grundriß)
(nach R. Weir Schultz, a. a. O.). der heiligen Helena und dem Kaiser gleich-
zeitig mit der Ausschmückung der heiligen
Stätten Jerusalems aufgeführt worden war: als weiträumige fünfschiffige Basilika, der von
jeher die Emporen fehlen (Abb. 202 u. 204).
Das Langhaus mutet mit seinen sechs Meter hohen, schon ziemlich gedrungenen Säulen, auf denen
ein Architrav lastet, wohl am altertümlichsten an (Abb. 202), wenngleich seine glänzende Kassettendecke
durch den offenen Dachstuhl ersetzt ist. Die korinthischen Kapitelle entfernen sich vom antiken Typus
nur durch die etwas schwere Blattbildung des Akanthus und verraten nur durch die eingemeißelten Kreuze auf
den Bossen ihre Bestimmung für den christlichen Bau. Daß diesem auch das querschiffartig ausgestaltete,
erst im 16. Jahrhundert (wenn nicht gar im 19.) durch eine Zwischenwand abgesperrte Presbyterium schon
von Konstantin angefügt worden ist, was von jeher zum mindesten eine hohe Wahrscheinlichkeit für sich
hatte, da sich unter demselben die von ihm ausgeschmückte Geburtshöhle befindet, unterliegt nach den
neuesten Untersuchungen keinem Zweifel. Als Memorialbau mag es die drei kleeblattförmig angeordneten^
gleichsam ein erweitertes Trichorum bildenden Apsiden erhalten haben, die lange mit Unrecht von den meisten
Forschern einer Restauration Justinians zugeschrieben worden sind (Abb. 204). Auf ihre Rechnung ist
ebensowenig dazwischen der Basilika und dem heute verschwundenen Atrium eingeschobene dreiteilige Vor-
halle (Narthex) zu setzen. Auch von diesem Teil der ursprünglichen Gesamtanlage läßt sich wenigstens
im? Grundriß[noch ein völlig klares Bild entwerfen.
Von anderen Stiftungen Konstantins des Großen und seiner Nachfolger im Heiligen
Lande und dem syrischen Küstengebiet haben sich nur noch in Baalbek die unteren Mauer-
schichten der groß angelegten, aber wenig sorgfältig gebauten Basilika erhalten nebst vier
gewaltigen Pfeilern mit vorgeschobenen Auflagern, was schon eine Art von Überwölbung der
Seitenschiffe vermuten läßt. In Damaskus entspricht vielleicht die dreischiffige Anlage der
Seitenflügel des Hauptliwans der großen Moschee der theodosianischen Basilika des Täufers,
an deren Stelle sie erbaut wurde, der Plan und Aufbau aber ist — die südliche Längsmauer
teilweise ausgenommen, — ganz und gar erneuert. Dagegen steht hier noch das Propylaion,
in der Mitte vom Bogen durchbrochen, wohl ein Überrest eines vorchristlichen Heiligtums. Auch
manche jüngere Gründung in Jerusalem ist fast spurlos untergegangen. Von der berühmten
Zionkirche, dem sog. Hause des Kaiphas und der Basilika am Teiche Siloah zum Teil noch des
4. Jahrhunderts scheinen uns auf den Nebenseiten eines Sarkophags (Abb. 97 u. 98) Ideal-
ansichten erhalten zu sein, — aber nur unbedeutende Reste der ältesten Anlage. Im glück-
lichsten Falle vermögen wir in den Bauresten den Plan festzustellen, so z. B. bei der letzteren
und vor allem bei der von Eudokia, der Gemahlin Theodosius’ II, (um 460) errichteten Kirche
des Protomärtyrers Stephanus bei Jerusalem. An der legendarischen Stätte vor dem Damas-
kustor ist (seit 1887) durch die sorgfältigen Ausgrabungen der dort ansässigen Dominikaner
JÜNGERE KIRCHENBAUTEN IN PALÄSTINA UND IM OSTJORDANLAND 209

eine dreischiffige Basilika nebst Atrium vom Typus der Eleonakirche festgestellt worden.
Bleibt bei der letzteren der dreiseitige äußere Abschluß der Apsis noch zweifelhaft, so war
er hier tatsächlich gegeben und vermutlich auch eine später bis zur Unkenntlichkeit vergrößerte
Krypta. An syrische Bauten (s. unten) erinnern die doppelten seitlichen Zugänge. Daß wir
die Stiftung der Eudokia vor uns haben, bestätigt vor allem das Vorkommen des Korbkapitells.
Eine frühe Bereicherung des typischen Grundrisses durch Nebenapsiden beginnt sich bei der
im 5. Jahrhundert entstandenen Basilika über der Verkündigungsgrotte in Nazareth (sowie in
Jarun) anzukündigen. Und so wenig wie [dieser wird der ebenso gründlich zerstörte Bau
des hl. Theodosius (f 529) in dem von ihm gestifteten Kloster (Ter Dösi) mit seinen Pfeilerstützen
von fremden Vorbildern unbeeinflußt geblieben sein, wenngleich sein kleeblattförmiges Presby-
terium unverkennbar dem der Geburtskirche im benachbarten Bethlehem nachgebildet und
vielleicht sogar über den Seitenschiffen wie im Martyrion (s. oben) ein Emporengeschoß
eingefügt war. Andere uns nur aus den Schriftquellen bekannte Gründungen in Gaza (s. unten),
zumal des 6. Jahrhunderts, erscheinen vollends mehr als Vertreter eines byzantinischen als des
einheimischen Bautypus.
Der die Küstenlandschaft beherrschende Typus der Säulenbasilika greift noch ins Ost-
jordanland hinüber, wo er an zwei Ruinenstätten zahlreich vertreten ist. Jerasa weist nicht
weniger als sieben christliche Kirchen von stattlicher, ja zum Teil von erstaunlicher Größe
auf, ausnahmslos aus antikem Baumaterial der Antoninenzeit bestehend und fast alle in die
ausgedehnten, die Stadt durchschneidenden Säulenhallen eingebaut, so daß diese das Mittelschiff
bildeten. Außer einzelnen aufrecht stehenden Säulen sind gewöhnlich nur die Apsiden, seltener
die dreifachen Eingänge in den unteren Schichten erhalten. Ein Atrium besaß augenscheinlich
nur eine von diesen Basiliken, die sich auf die Zeit vom 4. bis zum 6. Jahrhundert verteilen
mögen. An technischer Vollendung stehen sie bedeutend zurück gegen die antiken Baudenk-
mäler, aus deren Material sie hergestellt sind. Unter byzantinischer Herrschaft erreichte
Madeba seine höchste Blüte, wie die Bauspuren von acht Basiliken und einer Rundkirche
bezeugen. j Nächst der großen, in der die Mosaikkarte Palästinas und andere schöne Reste
von Fußbodenmosaiken (s. Kap. V) zutage gekommen sind — sie besaß Atrium, Narthex und
vielleicht sogar Emporen —, lenkt hier eine zweite, dem Propheten Elias geweihte Basilika
wahrscheinlich aus dem Jahre 502 n. Chr., [das der inschriftlichen Jahresangabe 607—608
nach der Ära von Bosra entspricht, durch ihre wohlerhaltene Krypta mit symbolischem
Pavimentschmuck vor allem die Aufmerksamkeit auf sich. Die Säulenschäfte und die korinthischen
Kapitelle entstammen freilich auch in Madeba durchweg antiken Portiken.
Die Anlage der Konstantinischen heiligen Grabeskirche wurde zuletzt in zusammenfassender Weise
untersucht von A. Heisenberg, Grabeskirche und Apostelkirche, zwei Basiliken Konstantins, Leipzig 1908,
2 Bde. Sein Versuch, eine den bisherigen Annahmen entgegengesetzte Orientierung zu begründen, wurde
nicht nur von mir, Byz. Zeitschr. 1909, S. 538 ff., sondern auch von Baumstark und Stegenseck, Or. Christ.
1911, S. 272 u. 349 (mit Bez. auf die Seitenreliefs Abb. 97/8 des lateranensischen Sarkophags N. 174) ab.
gelehnt, vom erstgenannten hingegen der Voraussetzung 'einer dreischiffigen Anlage des Martyrion zuge-
stimmt; vergl. ferner L. Parmentier, Rev. archeol. 1909, II, p. 42 ff. Ober die vorhandenen Baureste handelt
überzeugend G. Jeffery, The Journal of the R. Inst, of British architects, 1910, XVII, 3, S. 754ff. u. 803ff.;
vgl. auch zu der von Strzygowski, Or. od. Rom, S. 127 ff. aufgerollten Frage Baumstark, Röm. Quartalschr.,
1906, S. 137 ff. Auf die Basilika des Herodes als Vorbild hat M. Hasak, Zeitschr. f. Christi. K. 1913, S. 130 ff.
u. 166 ff. hingewiesen. — Die Geburtskirche in Bethlehem liegt vor in monumentaler Publikation von R. Weir
Schultz (unter Mitarbeit von W. Harvey, W. R. Lethaby, O. M. Dalton, H. R. A. Cruso and A. C. Headlam),
The Church of Nativity at Bethlehem London 1910, deren Ergebnisse in gründlicher Erörterung ergänzt wurden
durch E. Weigand, Die Geb.-Kirche von Bethlehem, Leipzig 1911, Stud. über christl. Denkm., hsgb. von J. Ficker,
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 14
210 ENTFALTUNG DER KIRCHLICHEN BAUKUNST IN SYRIEN

11. Heft. Zur Stephanusbasilika vergl. M. J. La-


IVLIANOS
CHVRCH grange, S. Etienne, Paris 1874 und über die Eleona-
Insc. 236 kirche besonders H. Vincent, Revue bibl., 1911,
S. 219 ff. Die Kirchen von Madeba behandelten D. G.
Manfredi, N. Bull, di a. c. 1899, S. 149 ff. und A. Paw-
loski und N. Kluge, Bull, de l’Inst. archeol. russe ä
C-ple, 1902/3, S. 71 ff. Im übrigen vgl.’die Spezial-
literatur in der topogr. Übersicht bei Kaufmann,
a. a. O., S. 113 ff.
Nirgends hat die christliche Architektur
vor der Entstehung des byzantinischen Kir-
chentypus so eigenartige Bauformen gezeitigt
wie im syrischen Hinterlande von Antiochia
und Palästina, dieser heißumstrittenen blü-
KLAVDIANOS \ hendsten Provinz des oströmischen Reiches.
Insc. Bestehen auch bemerkenswerte Unterschiede
261
zwischen den Basiliken der bis Aleppo hinauf-
reichenden Kulturzentren des nördlichen Zen-
Abb. 205. Kirchen und Häuser in Um Djemal, tralsyrien (Djebel Barischa, Djebel Riha
Grundriß (1 :1250) u. a. m.) sowohl mit denen der benachbar-
(Ausschnitt nach H. C. Butler: Puhl, of the Princetown - Univ.
Div. II, Sect. A, P. 3). ten Basaltregionen des Hauran wie des Dje-
bel il cAla, so gehen doch gewisse gemein-
same Grundzüge durch die gesamte syrische Baukunst hindurch. Dank dem Vorhanden-
sein eines vortrefflichen Kalkgesteins hat sie den reinen Hausteinbau ausgebildet, der nicht
nur der äußeren Erscheinung der Kirchen und den einzelnen Baugliedern das charak-
teristische Gepräge verleiht, sondern teilweise auch den Aufbau und die Raumgestaltung
bestimmt. Allenthalben begegnen uns noch zahlreiche einschiffige Kirchen, von denen sich
nur die kleinsten von quadratischer Gestalt mehrfach als Baptisterien erweisen (Dar Kita).
Wie sie sind auch die rechteckigen Bethäuser öfters nur mit der einfachen angebauten Apsis
ausgestattet (Kursenteh, J1 Umtajeh und Um Djemal). Eine beträchtliche Anzahl derselben
besitzt jedoch schon das dreiteilige, vom Langhause abgeschiedene und manchmal sogar in
sich zusammenhängende Bema (Deir Nawä, J1 Anderin u. a. m.), das sie augenscheinlich dem
basilikalen Typus entlehnt und nicht etwa an diesen abgegeben haben, mögen auch schon ein-
zelne heidnische Tempel (Tychaion in Sanamen) und Profanbauten (Prätorium in Musmieh)
die von Nebenräumen umgebenene Apsis aufweisen. Die eigenartige Bedeckung solcher Bauten,
zumal im Hauran (Sameh, Sabhä, Um il Kutten, Anz), — sie besteht aus quergespannten
Bogen, auf denen eine Steindecke auflag, — läßt sich vollends nicht als Vorstufe des basi-
likalen Aufbaus ansprechen, hat sie doch für die Basilika nur in diesem beschränkten Be-
reich Anwendung gefunden (s. unten). Zugleich aber hat man, besonders in Um Djemal,
versucht, dem wachsenden Raumbedürfnis durch äußerste Verlängerung des einen Schiffes
abzuhelfen, z. B. in der Julianoskirche (a. d. J. 345) mit einfacher Apsis (Abb. 205) und in der
des heiligen Masechos mit engen Nebenräumen, sowie vielleicht auch in Afamia (Apamea) am
mittleren Orontes.
Solche Versuche beweisen am schlagendsten, daß sich die Basilika auch in Syrien im
Laufe des 4. Jahrhunderts als selbständiger neuer Bautypus durchgesetzt hat. In der Grundriß-
bildung wird — vielleicht in Nachahmung antiker Vorbilder (s. oben) — dem liturgischen
SYSTEM UND BAUWEISE DER SYRISCHEN BASILIKEN 211

Abb. 206. Saalkirche mit dreiteiligem (geradlinigen und verbreiterten) Presbyterium in Deir Seman.

Bedürfnis (S. 204) gemäß die eingebaute Apsis mit Nebenräumen bevorzugt. Den Aufbau
beherrscht bereits die Verbindung von Säule und Bogen, anfangs noch ohne Keilsteinfü-
gung (Serdjilla), — nur ein einzigesmal findet sich noch der Architrav vor (Betursa). Da-
gegen ist man überall früher oder später zum Pfeilerstützensystem und zu weiter Bogen-
spannung übergegangen. Rundbogenfenster sind in reicher Anzahl in die Seitenmauern der
syrischen Basiliken eingeschnitten, und Rundbogen, die mit durchbrochenen Verschlußplatten
ausgefüllt waren, entlasten die Portale. Solche finden sich meist auch auf den Längsseiten in
doppelter Zahl und waren öfters durch kleine Vorbauten geschmückt (Abb. 206 u. 211). Das
vorgelegte Atrium begegnet uns nur ausnahmsweise, weit häufiger ein seitlich anliegendes oder
der Peribolos sowie der Narthex oder eine offene Vorhalle (Abb. 210). Ebenso ist auf Emporen fast
durchgehends Verzicht geleistet. Der schon durch die Apostolischen Konstitutionen geforderten
Trennung der Geschlechter diente vielmehr die Absonderung eines der Seitenschiffe für die
Frauen. Nicht als unentbehrliche, aber als sehr verbreitete Anbauten zu Verteidigungs-
zwecken endlich besitzen die syrischen Kirchen nicht selten Türme, die bald an der Fassade,
bald über Nebengebäuden oder auch freistehend (z. B. in Sekeah) errichtet waren, aber nirgends
über das zweite Geschoß erhalten sind.
In Nordsyrien, wo sich die Entwicklung am deutlichsten übersehen läßt, herrscht die
Säulenbasilika noch im 5. Jahrhundert vor. Den Nebenräumen fehlen meist noch die Durch-
gänge zur Apsisnische und in der Regel auch eine Vorhalle (Bakuza, Kherbet Haß, El Barah,
Ruweha, u. a. m.) Die Prothesis öffnet sich in breitem Bogen zum Nebenschiff, während in
das Diakonikon nur eine Tür Eintritt gewährt, wie es ihrem verschiedenen Zweck entspricht. In
der Folge wird mitunter eine Verbindung geschaffen (Dana, Dar Kita) noch öfter aber treten
die Nebenräume ohne eine solche zu Seiten der Apsis aus dem Gebäudekörper heraus, anfangs
noch auf gemeinsamer Sockelschicht (Kokanaja), dann völlig losgelöst (Abb. 210) und manch-
mal zu zwei- und dreistöckigem turmähnlichem Aufbau erhöht (Babiska 407, Bakuza, Betursa,
14*
212 VERBREITUNG DER SÄULEN- UND PFEILERBASILIKA IN DER NORDREGION

Turmanin u. a. m.). Bedeutende Denkmäler des gleichen Bautypus sind außer in den oben
genannten Ortschaften des Djebel Riha und Djebel Barischa durch die Expeditionen der
Amerikaner (1905 und 1909) aufgenommen worden in Baudeh (392), Ksedjbeh (414), Iblizu (431),
Kherbet il Katib (473) und weiter nördlich und nordostwärts in Deir Seman, Harab es Scherns
und das älteste nachweisliche in Fafirtin (372). Erst im 6. Jahrhundert entspricht dem gerad-
linigen Abschluß des Presbyteriums öfters auch eine rechtwinklige Gestaltung des Innern der drei
Altarräume, so z. B. in den beiden Sergiuskirchen von Babiska und Dar Kita, sowie in Bakirha,
Behio, Dehes u. a. m., womit sich gelegentlich (Haß), die auch sonst, z. B. in Serdjilla, vorkom-
mendeVerbreiterung der Seitenkapellen (Abb.206 u. 207), verbindet, besonders bei einschiffiger,
raumbeschränkter Anlage (Deir Seman). Aber trotz scheinbarer Ähnlichkeit solcher Bau-
gestaltung in der Außenansicht bleibt das Querschiff der syrischen Baukunst fremd. Der
parallele Höhenzug des Djebel il Ada im Osten bietet neben vereinzelten Säulenbauten sowohl
in seinem nördlichen Teil (Kerratin), wie im äußersten Süden (Ir Rubahe), wo vorwiegend
Basalt und Bruchstein das Material bilden, verschiedene Typen der Pfeilerbasilika, vor allem
in Anderin im Südosten. Bei ziemlich ungleicher Erstreckung sind die Stützen meist ziem-
lich weit gestellt, eng nur in der durch eine dreiteilige Turmvorhalle ausgezeichneten Kirche
von Marata in der ersteren Region. Das Querbogensystem des Hauran (s. unten) hat, von
einschiffigen Kirchen abgesehen, nur in der Apostelkirche in Idjaz (430) Anwendung ge-
funden, das der weitgespannten Längsjoche hingegen wieder in der Hauptbasilika in J1 Anderin,
die mit ihr den Grundriß mit ausgebauten Pastophorien teilt, vor ihr aber anscheinend die

Abb. 207. Basilika, Thermen, Häuser u. a. m. in Serdjilla (1: 1000)


(Ausschnitt nach H. C. Butler, a. a. O. Div. II, Sect. B, P. 3).
KONSTRUKTIVE FORTBILDUNG DES AUFBAUES UND FASSADENBILDUNG 213

Nebenapsiden in diesen voraus hat. Von diesem fortgeschrittenem konstruktiven System sowie
von dem seltenen und erst seit dem 5. Jahrhundert vertretenen Typus mit angebauter (bzw.
ausladender) Apsis bietet im 6. Jahrhundert die großartige Ruine von Kalb Luzeh im Norden
das schönste Beispiel (Abb. 208). Aber auch im Westgebiet ist der Gesamtraum der Basilika
schon früher in der Bizzoskirche in Ruweha in dieser Weise zusammengefaßt worden, wo die das
Mittelschiff durchquerenden Gurtbogen einen offenen Dachstuhl zu tragen hatten (Abb. 209).
Diese hat man in Kalb Luzeh wieder fortgelassen. Statt der Konsolen aber, die sonst die Streck-
balken der Decke zu stützen pflegen, sind hier und so auch in Turmanin und Kalat Seman
(s. unten) kurze Säulchen zwischen die dicht gestellten Fenster der Obermauer getreten.
An denselben Denkmälern gewinnt die Fas-
sade ihre monumentale Durchbildung. Die
höchste auf den abendländischen Kirchen-
bau romanischen Stils vorausweisende Schöp-
fung stellte die noch von M. de Vogüe
in den sechziger Jahren aufgenommene,
heute leider fast gänzlich abgetragene Ba-
silika von Turmanin dar (Abb. 210). Den
breiten Giebel ihres Mittelschiffs flankierten,
fast zur gleichen Höhe aufsteigend, zwei
turmartige Flügelbauten der Vorhalle, die,
von ihrem breit geöffneten Mittelraum ge-
schieden, nur nach innen zu den Seiten-
schiffen Ausgänge besaßen. Dieser Gestal-
tung des Narthex, die sich in Kalb-Luzeh
und Ruweha in einfacherem, des zweiten
Turmgeschosses und der Säulenstellung über
Abb. 209. Basilika mit Peribolos in Ruweha (1:1000)
der mittleren Terrasse entbehrendem Aufbau (nach H. C. Butler, a. a. O. Div. II, Sect. B, P. 4).
214 KIRCHENANLAGE IN KALAT SEMAN — DIE DEKORATIVEN BAUGLIEDER

wiederholt, liegt ein


uraltes Bauschema
der alt-hittitischen
Kunst (das Zilani)
zugrunde. Einer
mannigfaltigeren
Fassadenbildung be-
gegnen wir in Kalat
Seman, dem reich-
sten und eigenartig-
sten Ruinenfelde des
Nordens. Ein riesi-
gerKlosterbezirk, die
sogenannteMandra,
umschließt hier als
Hauptheiligtum eine
kreuzförmige Grup-
Abb. 210. Grundriß (1:480) und Hauptansicht der Basilika von Turmanin pe von vier durch
(Rekonstruktion nach de Vogüe, a. a. O. II). eingeschobene Eck-
nischen verbundenen
Säulenbasiliken (Abb. 211 und Tafel XIV, 2).
Den Mittelpunkt bildet ein achteckiger, von Arkaden umgebener Hof, in dessen Mitte sich die Säule
des Symeon Stylites erhebt. Wohl schon zu Lebzeiten dieses Heiligen, der auf ihr mehr als ein Jahrzehnt
büßend verbrachte, haben die Wallfahrten be-
gonnen, und nach seinem Tode (i. J. 459),
gegen Ausgang des 5. Jahrhunderts, mag die
ebenso prächtige wie gewaltige Anlage entstan-
den sein. Eine Kirche im wahren Sinne bildet
allein die Ostbasilika, in der zum erstenmal
auch die Seitenschiffe in Nebenabsiden ausmün-
den. Wir haben darin möglicherweise eine Um-
bildung des Trichorums zu erkennen. Die an-
deren drei Basiliken stehen als Hallen in engerer
Beziehung zur Säule. Die Vorhalle der west-
lichen erhebt sich über einer Freitreppe, getra-
gen von Stützmauern, die das abschüssige Ter-
rain ausgleichen, während um den nördlichen
Kreuzarm von zwei Seiten ein Portikus herum-
geführt war. Die am besten erhaltene Südfront
weist einen dreigiebeligen von breitem Bogen,
Nebenportalen und gleichen Seiteneingängen
durchbrochenen Narthex auf (Abbild. 211 und
Tafel XIV, 1).
Den einheimischen Ziergliedern der
syrischen Baukunst mischen sich in Kalat
Seman manche byzantinisierenden Motive
bei. Für die ersteren ist die Einfachheit
der Formen bezeichnend. Glatte umlau- Abb. 211. Grundriß der Mandra und vierfachen Basilika
o.o • in Kalat Seman (1:1650)
fende Gesimse deuten im Außenbau den Ab- (Ausschnitt nach de vogüe, a. a. o. ii>.
Tafel XIV

Klosterkirche in Kalat Seman


1. Fassade der Südbasilika
2, Mittelhof (Oktogon) mit Durchbücken in die Ost- und Südbasilika
DAS KONSTRUKTIVE SYSTEM DER BASILIKA IM HAURAN 215

Schluß des Erdgeschoßes und einzelner höherer Stockwerke an. Besonderer Beliebtheit erfreut sich
das Wulstprofil. Bandfriese umziehen die Fenster und Türen, werden rücksichtslos zu Stufen gebro
chen oder rollen sich zu Voluten ein (Abb. 206 u. 208). Dazu kommen runde Bossen und Konsolen
unter dem Dachansatz, an den Apsiden aber mit ihnen abwechselnd Wandsäulchen, die in Kalb-
Luzeh und Kalat Seman in doppelter Reihe übereinander stehen (Abb. 208), am letztgenannten
Ort durch das verkröpfte Zwischengesims getrennt und oben von Muscheln umgeben. An der Süd-
fassade treten hier Pfeiler vor (Tafel XIV, 1), wie auch sonst kanelliert und sichtlich bestimmt
Statuenschmuck aufzunehmen. Auf kräftiges Schattenspiel zielt vor allem der die Apsiden
umsäumende Bogenfries ab. Das Ornament (s. unten) trägt einen etwas trocknen, aber in seiner
Klarheit trefflich dem Hausteinbau angepaßten Charakter, dem sich auch das reichere byzan-
tinische Akanthusblattwerk aus technischem Materialzwang unterwerfen muß (Tafel XIV, 2).
An den Pilaster- und Säulenkapitellen (Abb. 208) korinthischen Stils läßt man die Blätter frei-
lich von jeher gern ungeschnitten. Die älteren Säulenbasiliken weisen noch öfters das dorische
und jonische Kapitell auf (Abb. 213), von denen mitunter die erstere Kanellierung annimmt.
Die jonische Schnecke und andere Formen verwachsen mit den konsolenartigen Ansätzen,
durch die man das Bauglied früh zu verstärken anfängt, zu knaufartigen Bildungen. Das
reine Würfelkapitell begegnet uns hingegen erst spät und vorwiegend an kleineren Ziersäulchen.
Die äußerste Vereinfachung erfährt die dekorative Architektur in der Basaltregion des Ostens
und Südens.
In den holzarmen Gebirgslandschaften des südlichen Zentralsyrien, deren Hauptstock
der Djebel Hauran bildet, ist man in der Ausnutzung des Bogens am weitesten gegangen,
und zwar schon sehr früh. Eine Folge von Querwänden, die im Mittelschiff von einem weit-
gespannten, in den seitlichen von engeren Bogen durchbrochen werden, ermöglichte es, den
Gesamtbau unter eine flache Steindecke zu bringen, ein System, das aus konstruktiven Gründen
die Einfügung von Emporen begünstigt. Von den einschlägigen Denkmälern entstammt jedoch
der apsislose Bau von Schakka, ja vielleicht auch der stärker veränderte mit angebauter
Apsis von Tafka (Abb. 212) noch heidnischer Zeit. In Kanawat ist in gleicher Weise eine
ältere profane Säulenbasilika mit Atrium anscheinend im 4. Jahr-
hundert der christlichen Kirche dienstbar gemacht und eine kleinere
mit veränderter Orientierung in einen anstoßenden Tempel eingebaut
worden. Häufiger ist die hallenartige Pfeilerbasilika, in der nur die
Nebenschiffe Steindecken, das mittlere in glei-
cher Höhe oder über niedriger Obermauer
einen Dachstuhl trugen (Abb. 213), meist mit
eingebauter Apsis (Umtajeh, Um il Kuttab,
Um Djemal), manchmal aber auch mit aus-
gebauter (ebenda und in Id Deir) oder gerad-
linigem Abschluß (Sabhah). Aber auch die
Säulenbasilika ist im Hauran mehrfach ver-
treten sowohl durch den gewöhnlichen Bau-
typus (Um Djemal), wie sogar mit Emporen
(Um is Surab von 48Q) und am glänzend-
sten durch die einzige fünfschiffige Anlage
Syriens in Suweda aus dem 4. bis 5. Jahr- Abb. 212. Basilika in Tafka, Grundriß und Quer-
hundert mit in der Breite der drei inneren schnitt (1:380) (nach de Vogüe, a. a. O. I.)
216 AUSSTRAHLUNG DER ANTIOCHENISCHEN BAUKUNST NACH MESOPOTAMIEN

Schiffe angeschlossenem dreiteiligem Presbyterium. Neuere Untersuchungen haben Anhalts-


punkte darüber ergeben, daß ihr sowohl im Westen wie im Süden ein Atrium vorlag.
Die Entwicklung des basilikalen Bautypus, wie sie sich ungeachtet aller örtlichen Ver-
schiedenheiten aus den syrischen Denkmälern ablesen läßt, kann ihren Brennpunkt nur in
Antiochia gehabt haben, doch müssen wir uns die antiochenische Mutterkunst nach der
dekorativen Seite ungleich reicher durchgebildet vorstellen. Sie strahlte aber auch nach
anderen Richtungen aus und hat vor allem an das früh christianisierte Mesopotamien (S. 9)
viel mehr von ihrem ornamentalen Formenschatz abgegeben. Über die Anfänge der christ-
lichen Baukunst in Edessa und seinem Hinterlande geben freilich nur die Schriftquellen Bericht.
Sie bezeugen, daß da-
V/A/A. I5~5VRAB“ selbst schon im 2. Jahr-
hundert ein heidnischer
Tempel in ein Gotteshaus
umgewandelt worden war
und daß die ,,große Kir-
che“ im Jahre des Reli-
gionsedikts von Mailand
(313) begonnen und 324
vollendet wurde, — ohne
Zweifel eine Säulenbasi-
lika, wie es von zwei wei-
teren im 4. Jahrhundert
•CHVRCHor5GGEßGIV5A,DBACCHV3- erbauten Märtyrerkirchen
•DATE:489 A-D- — die eine von ihnen
nahm 394 die Reliquien
des Apostels Thomas auf
— u.a.m. aus dem 5. Jahr-
hundertausdrücklichüber-
liefertist. Auf bedeutende
Kirchenruinen eines fort-
geschrittenen Bautypus
stoßen wir am Euphrat,
in Rusapha (Sergiopolis)
und Halebieh (Zenobia).
Die Sergiusbasilika (Abb.
214), wahrscheinlich eine
Stiftung des Kaisers Ana-
stasius (f 518), vermag
sich mit den ihr nächst-
verwandten syrischen
Bauten von Kalb Luzeh
(und Ruweha) zu messen,
weist aber innerhalb ihres
Abb. 213. Klosteranlage mit Basilika in Umm is Surab weitgestellten Pfeiler-
(Aufnahmen und Rekonstruktion nach H. C. Butler, a. a. O. Div. II, Sect. A, P. 3). Systems noch Säulenarka-
BEGINN DER EINWÖLBUNG IN DEN MESOPOTAMISCHEN KLOSTERKIRCHEN 217

Abb. 214. Die Sergiusbasilika in Rusapha, Durchblick in die Apsis


(nach Aufnahme von F. Sarre).

den auf, deren nachträgliche Einfügung angesichts der gleichzeitigen Kapitellformen mindestens
zweifelhaft bleibt. Von zwei Basiliken in Zenobia zeigt wenigstens die eine mit ihr weitgehende
Übereinstimmung in der durch äußere Strebepfeiler gesicherten Bogenkonstruktion von weiter
Spannung, und auch die andere in der Grundrißbildung mit eingebauter Apsis. Daß aber
die Säulenbasilika sogar über den Tigris hinaus verbreitet war, lehren die erhaltenen Außen-
mauern einer solchen in Mayafarkin. Mit ihrer angebauten, rechteckig ummantelten Apsis
erscheint diese ebenso altertümlich in der Anlage, wie in der Behandlung der korinthischen
Kapitelle ihrer Pilaster und verschleppten Säulen noch ganz von antikem Formgefühl beherrscht.
Gleichwohl wird man darin nicht ein Zeichen sehr früher Entstehung erblicken dürfen. Lebt
doch das hellenistische, mit Weinranken und Girlanden vermischte Akanthusornament (s. unten)
noch durch Jahrhunderte in der mesopotamischen Steinmetztechnik fort. Diese Dekoration
entfaltet sich noch üppig in den gewölbten Klosterkirchen, die sich besonders in der Gebirgs-
landschaft des Tur Abdin in beträchtlicher Anzahl vorfinden und wenigstens zum Teil bis
in die altchristliche Zeit zurückreichen.
Von den beiden scheinbar grundverschiedenen Typen der Wölbkirche sind wohl die mit
einer langgestellten Tonne bedeckten einschiffigen Säle als der ältere anzusehen, obgleich keines
der erhaltenen Bauwerke vor dem 7. Jahrhundert entstanden sein mag. Ihre Abstammung
von den flachgedeckten frühchristlichen Bethäusern ist so wenig wie die der syrischen Hallen
(S. 210) zu verkennen, zumal die Einwölbung (wenigstens bei Mar Sowo in Kakh) sichtlich
auf jüngeren Umbau zurückweist, während die übrigen Denkmäler (in Mar Augen, Kefr Zeh,
218 LITERATUR — BLÜTE DER BAUKUNST IN NORDAFRIKA

Salah u. s. w.) eher von einheitlicher Entstehung sind. Diese aber ist in zwei Fällen inschrift-
lich festgestellt, bei Mar Kyriakos (in Arnas) im 8. und bei Surp Hagop (Dschinndeirmene)
gar im 9. Jahrhundert. Der letztgenannte Bau zählt jedoch zur anderen Denkmälerreihe,
an deren Spitze Mar Gabriel steht, vielleicht schon um 500 erbaut, und der auch Mar Jakub
(in Salah), Mar Ibrahim u. a. m. sowie die Kosmaskirche in Diarbekr (Amida) mit Apsis aus
dem 7. Jahrhundert angehören. Dieser Typus, bei dem ein tonnengewölbter Saal der von
Nebenräumen umgebenen Apsis quer vorgelegt (und manchmal mit dreiseitigem Umgang
versehen) ist, könnte aus dem ersten in Folge der Schwierigkeit hervorgegangen sein, das
dreiteilige Bema mit dem einschiffigen Langhaus zu vereinigen, — wenn man ihn nicht aus
einem anderen Gebiet (Ägypten?) herleiten will. Die damit aufs engste zusammenhängende
Frage, seit wann in der kirchlichen Baukunst Mesopotamiens der Gewölbebau zur An-
wendung gekommen ist, erscheint zurzeit noch nicht spruchreif. Unzweifelhaft aber hat sie
nicht nur ihre antikisierenden und eigenartigen Zierglieder, wie die horizontal umbrechenden
und hufeisenförmigen Bogen, sondern auch manche altertümlichen Bauformen, so z. B. die
offene Apsis im Hof und die Türme, bis in das Mittelalter bewahrt.
Die Erforschung der syrischen Baudenkmäler ist im wesentlichen durch die amerikanischen Expedi-
tionen 1899, 1904 u. 1909 zum Abschluß gebracht worden (s. oben S. 21 die einschlägige Literatur). Dankens-
werte Ergänzungen brachten auch Th. Uspenskij, Bull, de Einst, archeol. russe ä cple. 1902, p. 94—214;
Abel O. Frere, Or. Christ. V, p. 223 und Prinz Joh. Georg zu Sachsen, Tagebuchblätter aus Nordsyrien,
Leipzig 1912 sowie Röm. Quartalschr. 1911, S. 72 ff. u. 160 ff. und Zeitschr. f. christl. K. XXIV, S. 113; vgl. auch
R. E. Brünnow und A. v. Domaczewski, Die Provincia Arabia III für die Haurankirchen und zur Typenfrage
Butler, Rev. archeol. 1906, S. 413 ff. Über die Edessenischen Kirchen handelte Baumstark, Or. Christ. 1904, S.l 64ff.
Genaue Aufnahmen aus Zenobia und Rusapha sind zu verdanken F. Sarre u. E. Herzfeld, Archäol. Reise im Euphrat-
und Tigrisgebiet, Berlin 1911,1, S. 136ff. u. 166 ff. und III, Taf. LVI ff. u. LXXI ff. Die Frage nach den Anfängen
der gewölbten Kirchen wurde angeregt von J. Strzygowski (u. M. v. Berchem). Amida, Heidelberg 1910, S. 217 ff.
Die Baudenkmäler des Tur-Abdin wurden von Miß G. L. Bell ebenda S. 224 ff. und Zeitschr. f. Gesch. d. Archit.
1913, Beiheft 9, der Forschung zugänglich gemacht. Vgl. ferner C. Preusser, Nordmesopot. Baudenkmäler
1911 und H. Kohl, Kars Firaun in Petra 1910, 17 u. 13. wiss. Veröff. d. d. Orient. Ges. und zur Nach-
prüfung der Zeitfrage und den Beziehungen zu Ägypten und dem Sinai S. Guyer, Repert. f. Kunstwissen-
schaft 1912, S. 483 ff.
Nordafrika und Ägypten.
So klar und vollständig wir die Entwicklung des Basilikenbaues in Syrien überblicken,
so unbestimmt bleiben unsere Vorstellungen von der kirchlichen Baukunst Alexandrias. Was
das ägyptische Hinterland an Denkmälern bietet, stellt größtenteils schon eigenartig umgebildete
Anlagen dar, aus denen wir die einfachen Stammtypen nicht zu erschließen vermö-
gen. Die genauere Durchforschung der Cyrenaica nach diesen steht noch aus. Einen

Abb. 215. Basilika von Orleansville, Grundriß. Abb. 216. Basilika von Timgad, Grundriß.
(Nach Gsell, Les mon. ant. de l’Algerie et de la Tunisie II.)
ENTWICKLUNG DES BAUSCHEMAS DER NORDAFRIKANISCHEN BASILIKEN 219

gewissen Ersatz aber gewährt Nordafrika, das sich bereits seit dem 3. Jahrhundert eines
blühenden kirchlichen Lebens erfreute. Seinen Boden bedecken zahlreiche Baureste christlicher
Basiliken. Weitaus die Mehrzahl verdankt ihre Entstehung der vorbyzantinischen Zeit. Der
Erhaltungszustand reicht freilich nirgends an den der syrischen Kirchenruinen heran, und
auf den Aufbau lassen sich daher oft nur unsichere Schlüsse ziehen. Die vorherrschende
Technik des Bruchstein- und Mörtelbaues bot nicht die gleiche Gewähr langer Dauer wie
die Quaderfügung, welche hier in der Regel nur für die Apsis und andere ausgezeichnete
Gebäudeteile zur Anwendung gelangte. Wenn in der Raumgestaltung größere Übereinstim-
mung besteht, so beruht das wohl weniger auf nachwirkenden syrischen Einflüssen, auf die
manche dekorativen Elemente, wie das an Kämpfern und Säulenbasen vorkommende Feuerrad
(bzw. die Wirbelrosette), hinweisen, als auf der gemeinsamen ursprünglichen Grundlage und
dem gleichartigen liturgischen Bedürfnis. Die parallel verlaufende Entwicklung zeigt viel-
mehr ihre ausgesprochenen Besonderheiten, bewahrt aber ziemlich lange zum Teil sehr pri-
mitive Grundformen. In der rechtwinkligen Gestaltung des apsislosen Presbyteriums hat
man freilich mit Unrecht den Urtypus der christlichen Basilika auf afrikanischem Boden
erhalten zu sehen geglaubt. Begegnet es uns hier auch schon im 4. Jahrhundert (Djemila,
Hidra), so lassen doch die meisten einschlägigen Denkmäler deutlich genug in seiner drei-
teiligen Anlage ihre spätere Entstehung und eine absichtliche Vereinfachung erkennen (The-
lepte, Henchir Guellil, Henchir Tikubai, el Beida u. a. m.), während einschiffige Saalkirchen
überhaupt nicht allzu zahlreich Vorkommen.
Als althergebrachtes Bauschema wird in Nordafrika wieder die Basilika mit eingebauter
Apsis bis in die Spätzeit fortgeführt. Die manchmal (Abb. 215) noch fehlenden Nebenräume
liegen seit dem 5. Jahrhundert regelmäßig (Benian, Thelepte, Thebessa, Lambesus, Morsotusw.)
vor (Abb. 219), und in einzelnen Fällen, z. B. in Hidra, besitzen sie auch Durchgänge zur
Apsis. Bevorzugt aber wird im allgemeinen eine Grundrißbildung, die bei gleicher Abson-
derung der Altarnische, zu der öfters durch Einfriedigung sowie durch Erhöhung des Fuß-
bodens noch mehrere Joche des Hauptschiffs hinzugezogen werden, die Apsis etwa zur Hälfte
hinausgerückt erscheinen läßt (Henchir el Atech, Tigzirt). Von den Nebenräumen wird dann
sehr oft der eine (Abb. 216) über die Flucht der Längsmauern (oder bisweilen rückwärts)
ausgedehnt (Timgad, Henchir el Azreg, Hidra, Thelepte u. a. m.). Es fehlt auch nicht an
Beispielen einer doppelseitigen Verbreiterung derselben (Henchir Resdis, Guesseria u. a. m.),
doch kommt es im Innern so wenig wie in Syrien
zu einer zusammenhängenden Querschiffbildung.
In ähnlicher Weise wird der angebauten Apsis das

Abb. 217. Basilika von Matifu (Grundriß) Abb. 218. Basilika von Damus el Caritä (Grundriß)
(nach Gsell, a. a. O. II). (nach Fr. Wieland, Ein Ausflug in das altchristl. Nordafrika, 1900).
220 VERBREITUNG MEHRSCHIFFIGER ANLAGEN — KONSTRUKTIVER AUFBAU

Diakonikon oder die Prothesis manch-


mal angegliedert (Kherbet bu Addu-
fen u. a. m.), meist sind sie aber wohl
bei ihr durch bloße Absperrung der
anstoßenden Ecken der Nebenschiffe
gewonnen worden. Diesem zweifellos
ursprünglicheren, aber im ganzen
seltener vertretenen Planschema ge-
hören einige der bedeutendsten Bau-
werke, wie die Basilika von Thelepte,
Lamigigga, Annuna (mit rechteckig
ummantelter Apsis) und die der Hei-
ligen Salsa sowie die große in Ti-
pasa an, von diesen beiden wurde die
erstere jedoch erst durch einen Um-
bau (523) auf das doppelte Maß
der älteren (dreischiffigen) Anlage
gebracht.
Eigentümlich ist der afrikani-
schen Kirchenarchitektur die Vorliebe
für eine Raumgliederung durch meh-
rere Stützenreihen, deren Zahl in sie-
ben Fällen vier beträgt, und zwar
schon bei einfachsterGrundrißbildung
in Orleansville (Abb. 215), dessen
Basilika im Jahre 325, also vor den
konstantinischen Gründungen in Pa-
lästina erbaut wurde. Dreimal kom-
men sieben Schiffe vor (Tipasa, Se-
germes, Matifu), — hier zufolge
späterer Umbauten (Abb. 217),— die
in der großen Basilika von Tipasa
durch Einfügung der mittleren beiden
Säulenreihen sogar auf neun ver-
mehrt wurden. Die Höchstzahl wird
auch von der groß angelegten, aber
Abb. 219. Klosteranlage mit Basilika in Thebessa sichtlich umgestalteten und sogar mit
(nach Gsell, a. a. O. II).
einem mitten durchgelegten Querschiff
bereicherten Kirche von Damus el Caritä (Abb. 218) bei Karthago sowie von der neuerdings
daselbst auf dem Cömeterium von Meidfa aufgedeckten „Basilika Majorum“ (z. T. aus dem
3. Jahrhundert ?) erreicht. Angesichts dieses reichen Denkmälerbestandes wird man in der
mehrschiffigen Basilika einen altertümlichen, vielleicht aus Alexandria übernommenen Bau-
typus erblicken dürfen.
Im konstruktiven Aufbau bildet die häufige Verwendung von Pfeilern neben (Abb. 219)
oder in Verbindung mit Säulen, die mit sockelartigen Basen und eigenartig umgebildeten
DIE GEGENAPSIS UND TRIAPSIDALE GESTALTUNG DES ALTARRAUMS 221

Abb. 220. Die Basilika von Thebessa, Durchblick in die Apsis


(nach Gsell, a. a. O. II).

korinthischen und jonischen Kapitellen ausgestattet waren (Abb. 220), einen hervorstechenden
Zug. Dadurch scheint oft die Spannung der durchweg gebräuchlichen Bogen verringert
worden zu sein. Wo uns gar Doppel- oder Wandsäulen begegnen, deutet die geringe Breite
der Nebenschiffe u. a. m. darauf hin, daß diese ein leichtes, vermutlich aus Töpfen zusammen-
gefügtes Gewölbe trugen (Satafie, Dar el Kus u. a. m.), wie es die Apsiden öfters aufweisen.
Emporen erweisen sich, einzelne jüngere Bauten (z. B. Tigzirt) und vor allem die Basilika
der großen Klosteranlage von Thebessa ausgenommen (Abb. 219 u. 220), als Zutat einer
späteren Zeit unter byzantinischem Einfluß (Matifu, Tipasa). Dieser monumentalste Bau
Nordafrikas bietet zugleich das seltene Beispiel eines mit Portiken fausgestatteten Atriums
(zwei weitere in Thelepte und Elenchir Tikubai), während gewöhnlich eine offene oder ge-
schlossene Vorhalle (Tipasa, Benian, Morsott usw.), manchmal auch ein einfacher Hof
(Thelepte, Hidra u. a. m.), den Zugang zu dem in drei Portalen geöffneten Langhaus vermittelt
oder nur das mittlere einen Vorbau erhält (El Hamiet, Sidi Embarek). Hier und da standen
Türme, vor der Fassade (Hidra, Thebessa). Seitliche Anbauten gehören so wenig wie in Syrien
zu den Seltenheiten.
Schon seit dem 4. Jahrhundert bildet die Orientierung der Apsis nach Osten die Regel.
Manchmal findet sich auf der Westseite eine Gegenapsis (Thelepte, Matifu), aber nicht immer
als Überbleibsel einer älteren Plangestaltung, wenigstens ist ihre spätere Entstehung in einem
Falle gesichert. Sie wurde in Orleansville erst im Jahre 475 eingebaut, um das Grab des
222 LITERATUR — VORBILDLICHE BEDEUTUNG ALEXANDRINISCÜER BAUTYPEN

heiligen Reparatus aufzunehmen, womit wohl erst die Verlegung der Eingänge an die Lang-
seiten und die Zufügung einer Empore zusammenging. Wir haben es hier und in anderen
Fällen (Damus el Caritä, Alexanderbasilika in Tipasa) offenbar mit der Hereinziehung der
sepulkralen Exedra (S. 28) in das Kirchengebäude zu tun, das man überhaupt nirgends so
uneingeschränkt für Begräbniszwecke freigab, ist doch z. B. die Basilika der heiligen Salsa
in Tipasa geradezu mit Gräbern gepflastert. Eine solche Gewöhnung erleichterte auch die
Verschmelzung der Basilika mit dem Trichorum (S. 27), das gelegentlich in ausgesprochen
kleeblattförmiger Gestaltung an die Stelle des Presbyteriums tritt (Kherbet bu Addufen), wäh-
rend es zuerst wohl an eine der Langseiten angeschlossen zu werden pflegte, wie wir das in
Damus el Caritä und noch in Thebessa bei dem weiträumigen Anbau sehen (Abb. 218 u. 219).
Als jüngere Übergangsstufe aber ist vielleicht das triapsidale Presbyterium in Matifu
(Abb. 217), eine Zutat aus byzantinischer Zeit, anzusehen, dessen in Nischen gegliederte und
säulenumstellte Hauptapsis sich noch an einem anderen Bau der Spätzeit (Dar el Kus) wieder-
findet. Der trikonche Grundriß des Presbyteriums erscheint jedoch keineswegs auf Nordafrika
beschränkt und hat schwerlich hier seinen Ursprung. Wenn wir in Oberägypten Anlagen
begegnen, die sich auch darin mit den kirchlichen Denkmälern Nordafrikas berühren, so liegt
die Annahme einer einheitlichen alexandrinischen Wurzel solcher Typen am nächsten.
Die Denkinälerforschung- in Nordafrika wurde zusammengefaßt von St. Gsell, Les mon. ant. de l’Algere
et de la Tunisie und Atlas archeol. de PAfrique, Paris 1912; vgl. auch den Auszug von Leclercq bei Cabrol,
a. a. O. I, 1, c. 658—707 (Afrique) mit vollst. Lit. bis 1904/5 und von wichtigeren Ergänzungen besonders
Gsell u. Grandidier, Atti del 11° Congr. internaz. di archeol. crist., Roma 1902, p. 51, 195 u. 225 ff. (Tipasa,.
Hidra und Thelepte) und A. Piganiol, Mel. d’archeol. et d’hist. 1912, S. 94 sowie Delattre, C. r. de l’Acad. des
inscr. et b. lettres 1907, p. 516 ff. (zur Basilica Majorum) und Ballu, Bull, du Com. des trav. hist. 1908,
p. 230 (Timgad), (Tipasa); weitere Speziallit. bei Kaufmann, a. a. O. S. 85 ff.
Ägypten selbst bewahrt heute nur noch wenige Überreste altchristlicher Basiliken. Daß
ihre Zahl jedoch eine große gewesen sein muß, steht angesichts der allgemeinen Verbreitung,
welche das Christentum alsbald bei den Kopten fand (S. 141), außer Zweifel. Von Alexandria
aus wird auch der neue Kirchentypus in das Niltal eingedrungen sein. Dort hatte die helle-
nistische Bauform jedenfalls schon früh mannigfaltige Anwendung gefunden, wenn auch die
zeitgenössischen Berichte außer den Namen der Hauptkirchen, die der Gottesmutter, dem
Täufer, dem heiligen Markus und anderen Heiligen geweiht waren, nur allgemeine Angaben
über ihre Pracht enthalten. Haben doch die Ausgrabungen in der benachbarten Menasstadt
(s. unten) ein überraschend reiches architekturgeschichtliches Ergebnis geliefert: vier unter sich
durchweg verschiedene Säulenbasiliken. Entspricht die ältere Gruftkirche des Menasheilig-
tums mit ihrer schon von zwei kleineren Rundnischen umgebenen, ausladenden Apsis im
übrigen wohl einem allgemeinen Schema der Frühzeit (S. 203) und vertritt der kreuzförmige
Prunkbau des Arkadius einen byzantinischen Typus (s. unten), so stehen daneben doch zwei
Beispiele der bodenständigen Bauweise: eine dreischiffige Cömeterialbasilika mit eingebauter
Apsis inmitten dicht angeschlossener Nebengebäude, der nicht einmal das vorgelagerte Atrium
fehlt, und vor allem die unmittelbar an die Anlagen des Heilbades angegliederte Kirche,
welche bei übereinstimmender Raumgestaltung noch eine Gegenapsis aufweist.
Im Hinterlande stoßen wir nur auf wenige Denkmäler von gleicher Bedeutung. Mit
der Cömeterialbasilika von Abu Mina stimmt im Grundriß die Kirche des Jeremiasklosters
in Sakkarah (wohl aus dem 6. Jahrhundert) noch vollkommen überein. Hier wie dort
war vorn durch eine quer eingestellte Säulenreihe eine Art Innennarthex abgesondert, in
Sakkarah aber auch ein geschlossener dreiteiliger Narthex hinzugefügt. Mit Ausnahme der
VERBREITUNG DER SÄULENBASILIKA IN ÄGYPTEN 223

Abb. 221. Die Basilika des Weißen Klosters, Durchblick zum Querschiff
(nach W. de Bock, Mater, p. s. ä l’archeol. ehret, de l’Egypte, 1901).

Zierglieder und spärlicher Mauerreste sind die in Kalkstein gearbeiteten Bauteile entführt
worden. Christliche Kirchen haben sich auch in manchem der alten Tempel eingenistet, so
z. B. in Karnak und auf der alten Insel Philä. Sie haben leider selten die verdiente wissen-
schaftliche Beachtung gefunden. Die kleine Basilika von Philä, welche eine ebenfalls einge-
baute Apsis besaß, ist abgetragen worden und nur ihre dekorativen Bauglieder sind größten-
teils erhalten geblieben. Als Kirche ist wohl auch ein größerer unregelmäßiger Bau anzu-
sehen, in dem eine breite rechteckige Nische die Apsis ersetzt. Daneben befindet sich wie im
vorigen ein Treppenaufgang, und zwei Säulenreihen bildeten das Mittelschiff, während Pfeiler-
stellungen zwei nördliche und drei südliche Nebenschiffe schieden und vermutlich Emporen
trugen.
Wie hier und in der Menasstadt lassen schon manche ältere Aufnahmen seither ver-
fallener Denkmäler deutliche Beziehungen zur nordafrikanischen Architektur erkennen. In
Hermonthis und Ibrihim sind fünfschiffige Basiliken nachgewiesen worden. Die letztere
zeigte Pfeilerstellungen zwischen den Nebenschiffen, die erstere besaß sogar eine Gegenapsis
und Emporen. Als Altarnische diente jedenfalls in späterer Zeit die von Nebenräumen
umgebene Ostapsis. Möglich ist es freilich, daß die westliche Conche hier, wie z. B. in Baal-
bek, ihren Ursprung dem Wechsel in der Orientierung der Basiliken verdankt. Allein für ihre
fortdauernde Verwendung auf afrikanischem und ägyptischem Boden müssen doch besondere
Gründe mitgesprochen haben, und zwar allem Anschein nach sepulkrale. Denn nirgends
war die Toten Verehrung so verbreitet und so mächtig wie in Ägypten. Das würde auch die
224 DIE BASILIKEN DES WEISSEN UND ROTEN KLOSTERS

bedeutende Ent-
wicklung erklä-
ren, die hier der
kleeblattförmige
Altarraum ge-
wonnen hat. Wir
finden ihn zu mo-
numentaler Ge-
staltung gestei-
gertschon in den
riesigen Basili-
ken der beiden
Abb. 222. oberägyptischen
Querschnitt durch den Trikonchos und die Nebenräume des Weißen
Klosters (1 : 325) Hauptklöster in
(nach Somers Clarke, The Christ, antiquities of the Nile Valley, 1912). der Thebäis vor,
der vom heiligen
Schenute (f um 450) angeblich aus griechischen Tempelquadern erbauten des Weißen (Deir el
Abiad) und dem Backsteinbau des darnach genannten Roten Klosters (Deir el Achmar), einer
ungefähr gleichzeitigen Gründung seines Lehrers Bishai, bei Sohag. Neuere Untersuchungen
haben uns eine genauere Kenntnis derselben gebracht.
Als gewaltige, festungsgleiche Mauervierecke von über 74 (bzw. 40) Meter Länge und nahezu halber
Breite, deren rückwärts geneigte Wände an altägyptische Tempelmauern erinnern und wie diese durch die
Hohlkehle abgeschlossen werden, liegen sie inmitten der Ebene da, hoch über dem Boden von zwei Reihen
undicht verteilter Fenster durchbrochen. Die Hauptzugänge befinden sich ungefähr in der Mitte beider Lang-
seiten (Abb. 223), doch steht heute hier wie dort das Südtor allein noch offen. Das Nordportal führte un-
mittelbar in die Basilika, welche dieser Langseite in voller Ausdehnung angeschlossen ist, auf der anderen
f aber durch eine mächtige Quadermauer von einer
langen Halle und mehreren in die Ostecke ein-
gebauten Nebenräumen geschieden wird. Die An-
ordnung der letzteren, deren Ziegelgewölbe
offenbar wiederholte Erneuerung erfahren haben,
ist im Weißen Kloster noch in den Mauerzügen
erkennbar, während das Rote Kloster ganz und
gar erfüllt ist von den elenden Behausungen
der heutigen Bewohner. Innerhalb der Basilika
hat sich im Kloster des Heiligen Schenute eine
größere Anzahl der riesigen, abwechselnd aus
Granit gearbeiteten oder aufgemauerten Säulen
erhalten (Abb. 221), auf deren korinthischen
Kapitellen wahrscheinlich ein Architrav lag, da
Bogen eine zu starke Überhöhung des Schiffes
bewirkt hätten. Da aber die Außenmauern eine
obere Fensterreihe in größerer Höhe aufweisen
(Abb. 222), waren offenbar Emporen vorhan-
den, während über der Seitenhalle die hochge-
legte Decke nur ein niedriges Bodengeschoß ge-
tragen haben kann. Eine aus Quadern aufgeführte
Treppe nahm fast die ganze Südhälfte des Nar-
Abb. 223. Grundriß der Basilika des Roten Klosters (Ost- thex ein> der im Westen der Basilika vorgelegt
hälfte) (1 :300) (nach Somers Clarke, a. a. O.). jst, aber nur im Weißen Kloster. Diesen bedeckte
VERGLEICHENDE REKONSTRUKTION IHRES URSPRÜNGLICHEN SYSTEMS 225

ursprünglich eine Balkendecke, später ein


Tonnengewölbe, darüber lag ein Obergeschoß,
doch scheinen die auf je fünf Säulen ruhenden
Apsiden an seinen beiden Enden von Anfang
an eingebaut zu sein. Die einander in der Mitte
gegenüberliegenden Türen, durch die man die
Kirche von Westen betrat, sowie die Nordtür
sind nachträglich zum Verteidigungszweck ver-
mauert worden. Wie arabische Geographen
bezeugen, war die Basilika noch im 13. Jahr-
hundert wohlerhalten. Heute dient ihr Haupt-
schiff als Hofraum, den die zwischen ihren
Säulen eingefügten späteren Klostergebäude
umgeben und die Fassade des zur Kirche um-
gewandelten Presbyteriums abschließt (Abb.
221). Durch ihre Technik und durch ihre For-
men verraten die Außenmauern, die Gewölbe
und noch manche Teile im Innern des letz-
teren, daß hier eine weitgehende Erneuerung
in arabischer Zeit stattgefunden hat. Allein Abb. 224. Vierungsturm der Basilika des Roten Klosters mit
daß die Anlage ursprünglich ist, dafür bürgt Kuppel und Apsiswölbung
die völlig gleichartige Gestaltung des Altar- (nach de Bock, a. a. O.).
raums im Roten Kloster. Das Presbyterium
erscheint in beiden Fällen wie ein selbständiger Anbau an die Basilika. Haben wir es doch mit einem Trichorum
zu tun, das durch kleinere viereckige Umräume — sie mögen als Prothesis, Diakonikon und Baptisterium gedient
haben — sowie durch den Treppenaufgang in der Nordostecke und ein vorgelagertes Querschiff zum Rechteck
ergänzt wird. Sichtlich späterer Entstehung ist zwar auch im Roten Kloster die vorgezogene Frontmauer, aber in
diese Mauer halb eingeschlossen stehen nicht nur die letzten Säulen der beiden Seitenschiffe der Basilika, sondern
zwischen ihnen auch zwei in engerem Abstande eingestellte Säulen an ihrem Platze, die zweifellos einst den
Triumphbogen trugen. Andrerseits hat sich sowohl hier wie im Weißen Kloster ein zweites noch enger
zusammengerücktes Säulenpaar im Eingangsbogen des Trikonchos erhalten. Endlich sind die mit Backstein
eingewölbten Apsiden hier wie dort mit zwei Reihen kleinerer Säulen übereinander umstellt, zwischen und
über denen sich wohl zur Aufnahme von Statuen (s. S. 150) Wandnischen öffnen (Abb. 222/3). Diese dekorative
Innenarchitektur ist erst 1907/8 von den zur Verstärkung der Wände eingebauten späteren Futtermauern
wieder befreit worden. Die Fassadenwand des Trichorums gibt sich im Roten Kloster schon durch ihre
monumentale Quaderschichtung als echter Bestandteil der Basilika zu erkennen. Pilaster mit korinthischer
Kapitellbildung und Wandnischen (bzw. Fensterrahmen) mit dem charakteristischen gebrochenen Giebel
des koptischen Dekorationsstils schmücken sie (Abb. 224) sowie auch die Front des teilweise erneuerten
turmartigen Oberbaues, die vielleicht unter den Dachstuhl des Haupt- und Querschiffes einbezogen und
von innen sichtbar war, während er das Gewölbe der drei Apsiden überragt und an der Ostseite noch seine
vollständige Verblendung trägt (Abb. 224). Im anderen Falle trug er wohl ein Zeltdach. Denn zu dem
Schluß, daß die Kuppel, die sich über dem mittleren Quadrat des Trikonchos erhebt, nicht ursprünglich
und daß dieser Baukörper größtenteils in jüngerer Technik wiederhergestellt ist, führt unabweislich dessen
innere Gestaltung. Dort erblicken wir Ecknischen, durch die das Quadrat mit dem Kuppelgewölbe ver-
mittelt wurde, und zwar mit Hilfe kleiner, ihre Konchen sowie die Fensterbogen der Wandmitte — ursprüng-
lich auch solche zweier Seitenfenster — tragenden Säulchen mit koptischen Blattkapitellen. Eine gleich-
artige Ecklösung ohne ältere Bauglieder findet sich im Schenutekloster wieder (Abb. 222). Das aber ist
eine typisch islamische Konstruktion des Mittelalters und nicht, wie von anderer Seite angenommen wurde,
ein schon in altchristlicher Zeit aus der sassanidischen Baukunst aufgenommenes Motiv.
Für das kleeblattförmige Presbyterium mit seinen säulenumstellten Apsiden wird Ale-
xandria das Vorbild geliefert haben, wenn es auch in den koptischen Klosterkirchen bedeut-
same Fortbildung fand (s. unten). Als Durchschnittstypus alexandrinischer Herkunft aber
hat sichtlich die dreischiffige Säulenbasilika mit eingebauter Apsis und schwach entwickelten
O. W u i f f, Altchristi, u. byzant. Kunst. 15
226 ENTSTEHUNG JÜNGERER BAUTYPEN AUS DER BASILIKA

Nebenräumen im Anfang die weiteste Verbreitung gewonnen, wie manche leider meist dürf-
tigen Trümmer bis tief nach dem Sudan hinauf bezeugen (Denderah, Der es Salib, Der el
Malak, Soba), während nur noch ein unsicheres Beispiel einer mehrreihigen Säulenkirche
vorliegt (Ginetti). Pfeiler bildeten wohl die Ausnahme (Geziret et Matuga) und hätten, wo
die Stützen fehlen, kaum so spurlos verschwinden können.
Mehrfach hat hingegen eine nachträgliche Umwandlung des basilikalen Aufbaues in ein System
massiver Backsteinpfeiler stattgefunden, die fast eine zusammenhängende Mauer bilden und Tonnen-
gewölbe stützen, am augenfälligsten in Abu Schennis bei Antinöe und in der Georgskirche von Nakadeh,
wo Quertonnen den Jochen der Säulenstellungen entsprechen. Durch Emporen wird eine gleiche Höhen-
lage aller drei Schiffe hergestellt. In der ersteren Art wurden dann im 6./7. Jahrhundert auch Neubauten
(z. B. in Serre im Sudan) ausgeführt, bis zur halben Mauerhöhe meist in Bruchstein oder aus altem
Steinmaterial, darüber in ungebrannten Ziegeln von Nilschlamm. In größeren Kirchen, so z. B. in der des
Symeonklosters bei Assuan scheint man aber auch später über dem Hauptschiff, dessen Spannweite die
Einwölbung nicht zuließ, den hölzernen Dachstuhl beibehalten zu haben. Dieser Bau zeichnet sich wieder
durch die Erweiterung des Presbyteriums zum Trikonchos aus, dessen Apsiden jedoch hier bereits mit dem
rechteckigen Grundriß vermittelt sind. Die Eingänge sind wie in der Regel in die Seitenmauern einge-
brochen, während die geschlossene Westwand eine kleine Gegenapsis aufweist.
Die große Masse der bekannten koptischen Kirchen gehört in ihrer bleibenden Ausge-
staltung erst dem 6. bis 9. Jahrhundert an. Die Vorliebe für ein dreiteiliges Presbyterium
(Haikal) von vereinfachter rechteckiger Gestalt mit drei Altären und für ein dem Chor vor-
behaltenes Querschiff, das jedoch nirgends aus der Flucht der Seitenmauern hinausragt, die
Einfügung der Kuppel wie überhaupt die Verquickung des basilikalen Schemas mit dem
Gewölbebau bilden ihre charakteristischen Grundzüge.
Verhältnismäßig klar, sogar noch querschifflos erscheint die basilikale Anlage in der Patriarchats-
kirche von Kairo, die über einem gewölbten Gang des römischen Kastells von Babylon erbaut und danach
Al Mucallaka („die Hängende“) genannt ist. Die in der nördlichen Säulenstellung des Hauptschiffes
statt des geraden Architravbalkens eingespannten drei Bogen und sein Gewölbe dürften freilich ihre Ent-
stehung ebenso wie ein an der Nordseite angeführtes zweites Nebenschiff erst einem Umbau des 8. oder
9. Jahrhunderts verdanken. Die gesamte übrige Anlage aber weist, von einer noch älteren Seitenkapelle
abgesehen, ins 6. Jahrhundert zurück. So alt ist in Abu Sergah, wo die Legende den Ruheplatz der heilgen
Familie auf der Flucht nach Ägypten voraussetzt, nur die kleine dreischiffige Krypta, während die
große mit Emporen und Querschiff ausgestattete Säulenbasilika, die der Kirche von Al Mucallaka oft
den Vorrang bestritt, sich den jüngeren kairenischen Heiligtümern (Amba Schanuda, Mari Mina
u. a. m.) anschließt. Eine Gründung syrischer Mönche aus vorarabischer Zeit ist uns in der Al Hatra-
kirche des Deir es Suriani in der Salzregion des Nitristales erhalten, wo sich schon im 3., wenn nicht
gar im 2. Jahrhundert Anachoreten angesiedelt hatten, und in ihr ein den oberägyptischen Kloster-
basiliken nah verwandter Bautypus. Das Trichorum erscheint hier bereits mit der Basilika vollkommen
verschmolzen, indem die Seitenapsiden — sie hatten wahrscheinlich eine neue Bedeutung für den antiphonen
Gesang gewonnen — an die Enden des Querschiffs verlegt sind. Zu solcher Umgestaltung hat wohl das
Bedürfnis nach engerem Zusammenschluß des Altarraums, dem auch hier die Apsis fehlt, mit den Neben-
räumen geführt, während das gewölbte Schiff durch eine Wand davon geschieden und in ihm wieder durch
Schranken ein vorderer Abschnitt geschaffen wurde. Über dem Presbyterium und über dem Mittelquadrat
des Querschiffs erheben sich größere, über den Pastophorien kleine Kuppeln, über dem Westende des
Schiffes eine Gegenapsis. Manche Teile mögen freilich im 9. Jahrhundert unter dem Abt Moses von Ni-
sibis erneuert sein, dem der Altarraum seinen arabeskenartigen Stuckdekor verdankt.
Kuppeln finden wir fast regelmäßig in den mannigfaltigen Mischtypen vor, wie sie die
Klosterkirchen von Amba Bischai und al Baramus im Nitristal, die aus mehreren Bauten
bestehende Gruppe von Nakadeh, die ursprünglich dreischiffige, später an der Nordseite durch
zwei Seitenschiffe erweiterte Märtyrerkirche von Esneh u. a. m. vertreten, in anderen selteneren
Fällen auch die Seitenapsiden. Am folgerichtigsten äußert sich der koptische Kunstgeschmack
LITERATUR — DIE HELLENISTISCHE BASILIKA — KLEINASIATISCHE BAUTEN 227

in den Zierformen der Architektur, in denen das antike Blattwerk des Akanthus durch sche-
matische stilisierte Bildungen abgelöst wird (s. unten).
Über die Kirchen von Alexandria vgl. die (S. 26) o. a. Lit. bei Cabrol, a. a. O. Die neuentdeckten
Basiliken von Abu Mina bietet K. M. Kaufmann, Die Menasstadt, Leipzig 1910, S. 101 und 106, Abb. 46
u. 49. Für die koptische Baukunst sind neben Somers Clarke, Christian antiquities in the Nile valley,
Oxford 1912, noch immer A. Butler, The ancient coptic churches, Oxford 1884, und A. Gayet, L’art
copte, Paris 1902, zu Rate zu ziehen sowie im einzelnen W. de Bock, Mater, p. s. ä Farcheol. ehret, de
l’Egypte, St. Petersbourg 1901, Ainalow, BuC Xpovixa 1902, S. 190 ff. und Strzygowski, Or. Christ. 1901,
S. 356ff. (Al. Hatra); vgl. ferner (zu Apa Jeremia) J. E. Quibell, Excav. at Sakkarah 1907/8, Le Cairel909,
und J. P. Kirsch, Röm. Quartalschr. 1911, S. 49 sowie (zu den Kirchen von Bawit) J. Cledat, Le monastere
de Baouit, Le Caire 1904, und bei Cabrol, a. a. O. II, 1, c. 212—23 (Baouit).

Byzanz, Kleinasien und Griechenland.


Es ist unverkennbar, daß die dreischiffige Säulenbasilika als hellenistische Schöpfung ihre
reinste und höchste baukünstlerische Ausgestaltung auf griechischem Kulturboden gefunden
hat. Im Grundriß und im Aufbau bewahrt sie hier eigentümliche, von den bevorzugten Bau-
typen des Orients und Afrikas abweichende Züge. Nicht die eingebaute, sondern die aus-
ladende Apsis bildet die Regel. Von außen wird diese meist seit dem 5. Jahrhundert durch
dreiseitige, in der Folge durch vieleckige Ummantelung verstärkt. Zeitig setzt die Querschiff-
bildung ein, während die Pastophorien erst unter dem um sich greifenden Einfluß syrischer
Kultformen hinzukommen. Die Säulenstellungen, deren Wirkung gern durch Verwendung
buntfarbiger Steinarten gesteigert wird, beherrschen das Langhaus. Sie werden in den Neben-
schiffen öfters verdoppelt, im Querschiff nicht selten als Umgang fortgeführt und mit Vor-
liebe in einem Emporengeschoß wiederholt. Der Pfeiler bleibt auf konstruktiv bedeutsame
Punkte großer Monumentalbauten (Abb. 229) beschränkt.
Die treibenden Kräfte des Fortschritts liehen dem ganzen Kunstkreise, an den sich auch
das griechische Festland und die Inseln anschließen, Byzanz und
die Seestädte von Kleinasien, das sein eigentliches Hinterland bil-
det. In allen Wechselbeziehungen, die sich zwischen der Hauptstadt
und der blühenden Provinz spannen, behauptete sich in der letzteren
ein selbständiges Kunstwollen. Hier wie dort spielen dann syrisch-
palästinensische Einflüsse hinein, — das wiederholte Vorkommen des
Atriums weist früh auf solche Zusammenhänge hin —, um hier
wie dort den einheimischen Stammformen angepaßt zu werden.
Stärkeren Anregungen des Orients folgend, sondern sich aber als-
bald die Innenlandschaften ab, um dann auch auf das Küsten-
gebiet zurückzuwirken. So ergibt sich für Kleinasien, obwohl seine
zahlreichen Ruinenstätten noch nicht erschöpfend durchforscht sind,
das Bild einer ungemein reichen und vielgestaltigen Entwicklung.
Die sich rasch vollendende Christianisierung der kleinasiatischen
Städte spiegelt sich in der wiederholten Umwandlung der Tempel —
z. B. in Aphrodisias (Abb. 225) und sogar des Augustustempels
in Ankyra — in christliche Basiliken, wozu der Übergang des
Wortes Naos in den kirchlichen Gebrauch das sprachliche Wider-
spiel darstellt. Indem die Cella beseitigt, Außenmauer und Apsis ^^Tempelin AphroSs
hinzugefügt wurden, gewann man im ersteren Fall aus der Säulen- (nach Texier, Descr. del’AsieMineure).
15*
228 DER BASILIKENBAU IN BYZANZ UND DER KREUZESFÖRMIGE TYPUS

halle die dreischiffige Anlage und eine Art


Querschiff, im zweiten (und ähnlich auch in
Kalodja) wurde die Cella selbst zur Saal-
kirche mit angebautem, rechteckigem Presby-
terium umgewandelt. Reichlich verwandte an-
tike Architekturstücke geben selbst Neubauten
ihr Gepräge, so z. B. die dorischen Säulen
der schlichten Basilika von Priene, deren
Apsis wie eine eingebaute Exedra (S. 202/3)
anmutet und noch der Nebenräume entbehrt.
Die Regel bildet jedoch für die älteren Denk-
mäler die ausladende halbrunde Apsis, so
z. B. bei der Basilika auf der Agora von
Pergamon, bei der Nordkirche von Seleukeia
(Meriamlik), sowie bei der wieder auf den
Grundmauern eines Tempels erbauten Basi-
lika von Kardamena (Kos), die insgesamt
schon das Atrium aufweisen (die beiden
ersteren mit Narthex).
So ungenügend auch die Kunde von
den Anfängen christlicher Architektur am
Bosporus bleibt, so ist es doch sehr wahr-
scheinlich, daß die ältesten Gründungen Kon-
stantins im neuen Rom nicht anders aussahen
als etwa die von ihm in seiner kleinasiatischen
Residenz Nikomedia erbaute Basilika. Auch
die im Nikaaufstande verbrannte ältere So-
phienkirche soll aus einem heidnischen Tempel
entstanden sein. Da sie erst unter Konstan-
tes II. vollendet worden ist, muß jedoch zum
mindesten ein vollständiger Umbau stattge-
funden haben. Eine Basilika, wahrscheinlich
aber eine solche von stark ausgeprägter Kreuz-
Abb. 226. Doppelbasilika und Baptisterium des
Menasheiligtums, Grundriß (1 : 870) form, scheint nach neueren Quellenforschungen
(nach Kaufmann, Die Menasstadt, 1910). auch die konstantinische Apostelkirche gewe-
sen zu sein, für die vielleicht die Geburts-
kirche in Bethlehem (S. 208) das Vorbild abgegeben hat. Das angeschlossene Mausoleum hin-
gegen, das allein neben dem Justinianischen Neubau erhalten blieb, gehörte dem zentralen Bau-
typus an (s. unten). Auf Konstantin wird außerdem die ältere Irenenkirche zurückgeführt,
auf Theodosius d. Gr. die Kirche des Evangelisten Johannes im Hebdomonpalast, während
die Gründung der ehrwürdigsten beiden Gottesmutterkirchen, der Kyrosbasilika und der Blacher-
nenkirche, bereits in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts fällt. Nähere Angaben besitzen
wir nur über die Gestalt der letzteren, — dank Konstantin Porphyrogennetos. Mag selbst ihr
kleeblattförmiges Presbyterium erst unter Justinian durch Hinzufügung der Seitenapsiden bei
ihrer Wiederherstellung entstanden sein, — eine Annahme, die an sich so wenig begründet ist
DIE BASILIKEN DES P0RPHYR1US IN GAZA UND DES ARKADIUS IN ABU MINA 229

Abb. 227. Das Ausgrabungsfeld der beiden Menasbasiliken im Durchblick vom Baptisterium her
(nach Aufnahme von Reiser und Binder in Alexandria).

wie in Bethlehem, — so war doch die kreuzförmige Plangestaltung und die umlaufende Empore
wahrscheinlich auch hier von Anfang an vorhanden. Beide Baugedanken sind bezeichnend
für den byzantinischen Basilikentypus. So beherrscht hier von Anfang an ein größerer Zug
die Entwicklung. Noch früher sehen wir in zwei anderen Fällen an weit getrennten Punkten
durch das unmittelbare Eingreifen der kaiserlichen Macht von Byzanz her eine kreuzförmige
Anlage entstehen.
Als zu Beginn des 5. Jahrhunderts der Bischof Porphyrius in Gaza mit Hilfe der Kaiserin
Mutter Eudoxia an Stelle eines niedergerissenen Tempels ein christliches Gotteshaus aufzuführen sich an-
schickte, erhielt er einen solchen Plan aus Konstantinopel und zu seiner Verwirklichung Säulenschäfte aus
den Marmorbrüchen von Karystos. Bleibt hier die Gestaltung des Baues im einzelnen unbekannt, so hat
eine der erfolgreichsten jüngsten Ausgrabungen auf ägyptischem Boden die Trümmer einer Riesenbasilika
(Abb. 226/7) ans Tageslicht gebracht, die eine übereinstimmende Grundrißbildung erkennen läßt. An der
anderthalb Tagereisen von Alexandria in der Libyschen Wüste gelegenen Wallfahrtsstätte, die unter einer
um hundert Jahre älteren dreischiffigen Säulenbasilika die Gruft des heiligen Menas barg (S. 222), ließ
Kaiser Arkadius im Anschluß an deren Apsis einen Monumentalbau errichten (Abb. 226/7), dessen gesamte,
das typische Akanthusblattwerk und andere echt byzantinische Motive aufweisende dekorative Architektur
aus griechischem Inselmarmor gearbeitet ist. An Länge (60 m) übertraf die Menasbasilika, deren Glanz
noch arabische Geographen preisen, das einzige erhaltene Bauwerk dieses Typus, die Demetriuskirche in
Saloniki (s. unten), an Breite blieb sie als dreischiffiger Raum ein wenig dagegen zurück. In der Apsis
stieg man zu einer kleinen Doppelkrypta hinab, während der Zugang zu einer breiteren, in das Märtyrer-
grab einmündenden Galerie im Westen lag. Der Altar mitsamt dem Synthronos war hier mitten in das
Querschiff vorgeschoben. Das Atrium schloß sich an die Südseite der Kirche an. Außer Zweifel steht,
230 ERHALTENE BASILIKEN IN KONSTANTINOPEL UND SALONIKI

daß sowohl die Nebenschiffe


wie die Säulenstellungen der
KreuzarmeEmporen trugen.
Wenn der Bautypus hier be-
reits um die Wende des 4.
Jahrhunderts kaum weniger
reich ausgebildet erscheint
als in einem jüngeren Denk-
mal in Saloniki (s. unten), so
wächst die Wahrscheinlich-
keit, daß schon mit der Kon-
stantinischen Apostelkirche
das kreuzförmige Bau-
schema in Byzanz Verwirk-
lichung gefunden hatte, muß
doch ein berühmtes Vorbild
auf die typische Ausgestal-
tung der Basilika im Sinne
der Kreuzesform seinen Ein-
fluß geübt haben.
Auf dem Boden Kon-
stantinopels vertritt den
örtlichen Bautypus heute
einzig die im Jahre 463
n. Chr. vom Patricius
Johannes Studios er-
baute Basilika des be-
rühmten Studitenklo-
Abb. 228. Basilika des Johannes Studios in Konstantinopel (Grundriß sters in verwahrlostem,
und Schnitt) wenngleich leidlich er-
(nach A. v. Millingen, Byzant. churches in C-ple, 1912). haltenem Bestände (Abb.
228). Ihre Grundriß-
bildung ist jedoch eine einfachere. Die Kreuzarme fehlen ihr. Auch die Vermutung, welche
die mit alten Türstöcken ausgestatteten Ausgänge an den Enden der Nebenschiffe nahe legen,
daß einst zuseiten der dreiseitig ummantelten (teilweise erneuerten) Apsis die Pastophorien
an das Langhaus angebaut waren, scheint sich durch die neuesten Untersuchungen (des
russischen archäologischen Instituts) nicht bewahrheitet zu haben. Dagegen haben sie zur Ent-
deckung einer kreuzförmigen kleinen Krypta geführt. Im Untergeschoß liegt ein Architrav über
weitgestellten Säulen aus Verde antico, während die etwas kleineren der Empore — (die Mehr-
zahl ist hier und dort durch hölzerne ersetzt) — mit ihren eigenartigen Kompositkapitellen
und den darauf sitzenden Kämpfern die Bogen der Obermauer aufnehmen, über der sich
der abgetragene niedrige Lichtgaden des Mittelschiffes erhob. Die Außenwände waren in
beiden Geschossen von Rundbogenfenstern durchbrochen. An die (erst nachträglich zugebaute)
dreigeteilte Vorhalle, über der die Westempore lag, schloß sich das Atrium an, von dem nur
noch die Nordmauer vorhanden ist.
Dem byzantinischen Basilikentypus sind auch die einschlägigen Denkmäler von Saloniki
zuzurechnen. Eine der Studiosbasilika ähnliche Anlage, deren christlicher Name verschollen
ist, hat sich in der sogenannten „Alten Moschee“ (Eski Djuma) nicht viel vollständiger er-
DIE KREUZFÖRMIGE BASILIKA DES HEILIGEN DEMETRIUS U. A. M. 231

Abb. 229. Die Demetriusbasilika Saloniki im Durchblick zur Apsis


(nach Aufnahme von H. Brockhaus).

halten. Ihre Nebenschiffe entbehrten anscheinend von jeher der Anbauten. Auch ziehen sich
hier die Säulenstellungen mitsamt der Empore um die Eingangsseite des Naos herum und
zeigen in beiden Geschossen Bogenverbindung und Kämpfer. Der Blattschmuck der letzteren
und die Kapitellformen weisen ins 5. Jahrhundert. Als hervorragendstes Denkmal des alt-
byzantinischen Bautypus steht daneben die Prachtbasilika des Märtyrers Demetrius da, des
Schutzheiligen der Stadt.
Zwar hat sie im 7. Jahrhundert nach vorhergegangener Beschädigung eine durchgreifende Aus-
besserung erfahren, aber sichtlich ohne Veränderung des Grundrisses und ihres Aufbaues. So bietet
sie, ungeachtet der späteren Umwandlung in eine Moschee (Kassimije-Djami), allein noch eine unmittel-
bare Anschauung von der großartigen Steigerung der basilikalen Bauform zur kreuzförmigen Emporen-
basilika, wie sie in Byzanz jedenfalls schon vor Entstehung der Menaskirche erzielt worden war (Abb.
229). Das Obergeschoß umgürtet hier den gesamten Innenraum einschließlich der beiden Seitenflügel
des Querschiffs, welche sich dicht vor der Apsis gegen das Mittelschiff erschließen. Ihre einst in voller
Höhe geöffneten Bogen sind erst durch türkische Einbauten gesperrt worden. Die Seitenschiffe sind ver-
doppelt, die fünfschiffige Anlage aber ist derart abgestuft, daß bis zum Querschiff eine zweite tiefer liegende
Empore über der niedrigen äußeren Säulenreihe hinläuft. Bei so starker Inanspruchnahme der Höhe für
den Aufbau der Nebenschiffe bleibt für den Lichtgaden wenig Spielraum. Die Verbindung der Säulen ist
ausschließlich durch Bogenschlag hergestellt. In das Stützensystem des Mittelschiffes sind — schwerlich
erst nachträglich — je zwei Pfeiler eingeschoben. Für die Kapitelle ist fertiges, aber wohl nicht ganz
gleichzeitiges Material zur Verwendung gekommen, wobei die verschiedenen Typen in symmetrischer Folge
verteilt wurden. Von der Erneuerung scheint die im Hufeisenbogen eingewölbte lichte Apsis gänzlich
unberührt geblieben zu sein, bewahrt sie doch über den Säulen, die ihre fünf hohen Bogenfenster trennen,
eine Reihe unter sich gleichartiger Akanthuskapitelle vom charakteristischen Blattschnitt des frühen 5. Jahr-
hunderts (s. unten) mit den um diese Zeit beliebten Tauben an den Ecken und hohen kreuzgeschmückten
Kämpfern. Schon sehr früh scheinen den Seitenflügeln nach Osten zu Anbauten zugefügt worden zu sein,
232 FORTBILDUNG DER HELLENISTISCHEN BASILIKA IN KLEINASIEN

die zum Teil wieder verfielen, während mehrere vor der Front und neben der nördlichen Langseite der
Kirche in verschiedener Erhaltung fortbestehende Kuppelgebäude der Lokaltradition wohl mit Recht als
Mausoleum des Heiligen, als Baptisterium u. a. m. gelten.
Den betrachteten Beispielen des kreuzförmigen Bautypus schließt sich ein weiteres im
pamphylischen Perge sowie die Ruine einer großen Basilika in Sagalassos im südlichen Klein-
asien an, über deren inneren Aufbau uns die allein noch aufrecht stehenden, aus den Qua-
dern eines Dionysostempels erbauten Außenmauern zwar keine Auskunft geben, deren Plan
mit weit vorspringendem Querschiff und dreiseitiger Apsis aber zu solchem Vergleich Anlaß
bietet. Anscheinend besaßen beide nur den Narthex. Zwei andere Basiliken in denselben
Städten kommen mit ihrem weiträumigen, aber wenig oder gar nicht vortretenden Querschiff
den römischen am nächsten. Sie weisen jedoch nicht etwa auf Einwirkungen Roms zurück,
sondern auf einen ihnen allen gemeinsamen byzantinisch-palästinensischen Stammtypus. In
beiden Kirchen von Perge, welche ihrer Bauart nach noch dem 4. Jahrhundert angehören
können, ist ein Umgang nachgewiesen mit dem Unterschiede, daß bei der einen — diese zeigt
die in Kleinasien seltene fünfschiffige Anlage — die äußeren Säulenreihen über das Querschiff
fortliefen, bei der anderen die Arkaden, wie in der Menasbasilika und Demetriuskirche, sich
um dasselbe herumzogen. Beiden war ein Atrium und der ersteren auch ein Narthex vor-
gelegt. Die Apsis ist hier wie dort von doppelten Nebenkammern umgeben und mitsamt
denselben außen geradlinig abgemauert. Diese Erweiterungen des Presbyteriums scheinen
von Syrien her in den Küstenlandschaften Eingang gefunden zu haben, wo sich die ver-
schiedenen Einflüsse kreuzen mußten. Im kilikischen Hierapolis, in Rhodiapolis in Lykien
und in Ephesus (Abb. 248) sehen wir im 5. Jahrhundert der halb oder völlig eingebauten
Apsis querschiffloser Säulenbasiliken schon die Nebenräume zugefügt. Von Byzanz her mögen
die Emporen Aufnahme gefunden haben, — im letztgenannten Bau wenigstens nachträglich,
wie die Aufgänge im erneuerten Bema schließen lassen.
Daß sie an der neuerdings aufgegrabenen großartigen
Säulenbasilika der heiligen Thekla in Seleukeia nicht
mehr nachzuweisen sind, die als Stiftung Kaiser Zenos
(t 491) an Stelle eines älteren Heiligtums über einer
noch älteren, durch dorische Säulen in drei Schiffe
gegliederten und später durch Umräume erweiterten
Höhlenkirche entstand, können die wiederholten mittel-
alterlichen Umbauten verschuldet haben. Ragt doch
nur ihre einst von ausgebauten Pastophorien (wie in
Abbildung 210) umgebene Apsis heute noch über dem
Erdboden auf. In einer fünfschiffigen Basilika des
5. Jahrhunderts in Adalia, die im 7. Jahrhundert in
eine Pfeilerkirche mit eingewölbten Nebenschiffen ver-
wandelt und noch mehrfach, zuletzt zur Moschee
(Djümanin-djamissi), umgebaut wurde, waren von jeher
Emporen da. Die weitere Entwicklung des kleinasia-
tischen Basilikenbaues verrät das Bestreben, sämtliche
Errungenschaften in einheitlicher Zusammenfassung
Abb. 230. Basilika in Gülbagtsche (bei zu verschmelzen. Davon zeugt sowohl die reiche Plan-
Smyrna)
(nach Strzygowski,.Kleinasien usw., 1903). gestaltung einer augenscheinlich noch etwas jüngeren
DIE EINGEWÖLBTE BASILIKA DES INNEREN KLEINASIEN 233

Anlage bei Gülbagtsche (Abb. 230), mit Pasto-


phorien, Narthex, anstoßendem Baptisterium
und vorgelagertem Atrium, wie auch die Ruine
einer Basilika in Kanitellidis in Isaurien, in
der bei ziemlich entsprechender Zusammen-
setzung Emporen festgestellt wurden. Bei
zwei ähnlichen, wenngleich kleineren Anla-
gen, die durch die neuesten Ausgrabungen
in Milet freigelegt worden sind, fällt als Be-
sonderheit ein halbkreisförmiger Umgang der
Apsis auf, so daß die letztere wie eine frei-
stehende Exedra anmutet. Er schließt sich
bei der vorjustinianischen (querschifflosen)
Basilika im Asklepieion an die Nebenschiffe
an, bei der Michaelskirche (von 595) nur GRUNDRISS.
--.-

in der Breite des Mittel- und vor der Apsis


abgesonderten Querschiffs, während jene hier
in Nebenräume einmünden. Die erstere hat
an der Westseite das Atrium und an der
Nordseite das Taufhaus, die zweitgenannte
ein im Norden anliegendes Atrium und an-
dere Anbauten.
Eigne Wege geht die Entwicklung des
Kirchenbaues im inneren Kleinasien. Hier
waren vollends die Einflüsse der syrischen
Nachbarprovinz und vielleicht sogar Meso- Abb. 231. Gewölbte Basilika in Bimbirkilisse
(Rekonstruktion)
potamiens maßgebend. Unterstand doch die (nach C. Holtzmann, Bim-bir-Kilisse, 1904).
Halbinsel bis um Mitte des 5. Jahrhunderts
dem antiochenischen Primat. Einen Zug kräftiger Eigenart läßt jedoch die kleinasiatische Bau-
tätigkeit auch in den Grenzlandschaften (z. B. in Ulu-Bunar und Dikelitasch in Isaurien) bis
hinauf nach Kappadokien nicht vermissen. Einen merkwürdig geschlossenen Bautypus lernte
die neueste Forschung zuerst auf dem nach seinen zahlreichen Basiliken —, es sind ihrer
nicht weniger als sechzehn, — „die Tausend und ein Kirchen“ benannten Ruinenfelde von
Bimbirkilisse am Kara-Dagh kennen. Die Holzarmut des Landes hat in diesem Gebiet ver-
hältnismäßig früh zur Einwölbung aller drei Schiffe geführt. Daß bei einschiffigen Anlagen
das Gewölbe jedenfalls schon im 5. Jahrhundert zur Anwendung kam, beweist anscheinend
die Pelemekirche am Argäus, die ein Querschiff, aber keine Vorhalle besitzt. In anderen
Fällen (z. B. in Side) wurde es wohl, wie in Mesopotamien (S. 218), erst später aufgeführt,
zumal bei den Basiliken. Gurtbogen stützten im Hauptschiff das aus Feldsteinen und Guß-
mörtel hergestellte Tonnengewölbe (Abb. 231). Der dadurch geforderten Verstärkung der
Träger bot sich die im südlichen Kleinasien seit der Kaiserzeit beliebte Doppelsäule, bestehend
aus einem Pfeiler und zwei vorgelegten Halbsäulen, als zweckentsprechendes Bauglied dar.
Doch ist die reine Säulenbasilika (ohne Emporen) sogar mitten in Kappadokien vertreten
(Gereme). Und da bei einzelnen altertümlichen Bauten, z. B. bei der sogenannten Konstan-
tinskirche in Andaval, in der Andreaskirche in Till-Köi, in Dschardak und Sivrifissar, ja
234 BASILIKENBAU IN GRIECHENLAND UND IN DER KRIM

teilweise selbst in Bimbirkilisse


das Gewölbe zweifellos erst
nachträglich den Dachstuhl er-
setzt hat, da es mehrfach auf
vorgemauerten, jüngeren Pfei-
lern aufruht, so ist jener Basi-
likentypus wahrscheinlich erst
im letzten Jahrhundert vor der
arabischen Eroberung, wenn
nicht gar nach der dadurch ver-
ursachten Zerstörung, zur Voll-
endung gelangt. Bilden das
Stützensystem und der Grund-
riß, der in der Regel eine huf-
eisenförmige, außen fünfseitig
abgeschlossene Apsis ohne die
Nebenräume aufweist — die
dreifache Apsis bleibt vereinzelt
(Mazylyk) —, sowie die Vor-
liebe für den Hufeisenbogen
Abb. 232. Gewölbte Emporenbasilika in Bimbirkilisse (Rekonstruktion) im Aufbau Sondereigentümlich-
(nach Holtzmann, a. a. O.).
keiten, so treten in der Tech-
nik des Hausteinbaues mit den einfachen Ziermotiven des Wulst- oder Bandfrieses (neben
dem eigenartigen Zungenfries) u. a. m., sowie in der Form und Verteilung der Bogenfenster
und Eingänge deutliche Beziehungen zu den Basiliken Nordsyriens hervor, vor allem aber
in der übereinstimmenden Gestaltung der Vorhalle, welche sich in einer Pfeilerstellung
zwischen zwei nur von innen her zugänglichen turmartigen Vorbauten der Seitenschiffe zu
öffnen pflegt (Abb. 231). Von dem typischen einstöckigen Aufbau machen nur die jüngsten,
wohl schon nachjustinianischen Anlagen eine Ausnahme: die allergrößte, aber am unvoll-
ständigsten erhaltene Basilika von Bimbirkilisse und die weiter nach Westen gelegene eines
befestigten Klosters (Abb. 232). Wahrscheinlich besaß wenigstens die letztere auch ein
Querschiff und im Gegensatz zu den übrigen einen zusammenhängenden, durch Flügelbauten
erweiterten Narthex mit drei Portalen, über dem die Empore herumlief. Eine Kürzung des
Langhauses, verbunden mit stärkerer Breitenentwicklung des Gebäudes, macht sich in Folge
der Einschiebung eines breiteren Raumabschnittes vor der Apsis (bezw. der Ausbildung des
dreiteiligen Presbyteriums) auch in der Basilika von Kesteli auf dem Taurus bemerkbar und
hängt augenscheinlich mit dem endgültigen Übergange zum System der Einwölbung zusammen.
Im weiteren Ländergebiet des byzantinischen Reiches behielt die ungewölbte, emporenlose
Basilika ihre typische Gestaltung. Die ältesten Kirchen Griechenlands sind im 5. Jahrhun-
dert aus antiken Anlagen durch ziemlich geringfügige Um- und Einbauten entstanden (z. B.
im Theokoleon zu Olympia). So begnügte man sich auch im Parthenon zu Athen, der dem
allgemeinen, bis Sizilien zu verfolgenden Schicksal der heidnischen Tempel (S. M. dei Greci
in Syrakus u. a. m.) nicht entging, den Ostgiebel rücksichtslos durchbrechend, mit dem Aus-
bau der Altarnische, rückte die Säulenreihen der Cella näher zusammen und verwandelte
die alte Schatzkammer in einen durch drei Eingänge mit dem Naos verbundenen Narthex.
LITERATUR — ANFÄNGE DES BASILIKENBAUES IN ROM 235

In Delphi bezeugen zahlreiche dekorative Bauglieder byzantinischen Stils, daß sich inmitten
des verlassenen Tempelbezirks im 5. Jahrhundert eine christliche Basilika erhob. Reste von
Neugründungen des 5. und 6. Jahrhunderts bewahren das Kloster Daphni bei Athen (s. Teil II),
Lai und Theotoku in Thessalien und Chalkis (in der umgebauten Agia Paraskewi).
Ebenso hat man sich auf die einstöckige Anlage an einem von Byzanz in entgegen-
gesetzter Weltrichtung weit abliegenden Punkte beschränkt, an dem dank wiederholten Aus-
grabungen im Laufe des vorigen Jahrhunderts die Überreste von einem Dutzend altchrist-
licher und frühmittelalterlicher Basiliken freigelegt worden sind: im Stadtbezirk von Theo-
dosia (Kertsch) auf dem Taurischen Chersonnes (Krim). Die unregelmäßige Bauweise läßt
zwar oft eine spätere Wiederherstellung erkennen, aber die (bisweilen noch auf den Säulen
Vorgefundenen) Kapitelle sind wieder byzantinische Arbeit des 6. oder 7. und zum Teil noch
des 5. Jahrhunderts. In dieselbe Zeit gehören auch einige Pavimente. Die ältesten Denk-
mäler —, so die größte, hart am nördlichen Meeresufer gelegene Basilika, — zeigen das
einfache Planschema des dreischiffigen Naos mit angebauter Apsis und vorgelegtem Nar-
thex, dem sich gelegentlich Nebengebäude anschließen. Nirgends begegnen uns Prothesis
und Diakonikon, wohl aber ist das kleeblattförmige Presbyterium in einer Cömeterialbasilika
vertreten. Die jüngeren Kirchen weisen meist Nebenapsiden auf.
Die Nachrichten über die konstantinischen und anderen ältesten Kirchenbauten in Konstantinopel vgl.
bei J. P. Richter, Quellen der Byz. K.-Gesch., Wien 1897, Quellenschr. N. F. VIII. Meine in der Byz. Zeitschr.
1909, S. 554 ausgesprochenen Bedenken gegen die Anzweifelung der Kreuzesform der Apostelkirche durch
Heisenberg, a. a. O. II, S. 97 ff. finden in den Ausführungen von E. Weigand, a. a. O., S. 37 ff. kräftigen Vor-
schub. Zu den erhaltenen Denkmälern vgl. A. v. Millingen, Byz. Churches in Constantinople, 1912 sowie im
allgemeinen Ch. Diehl, Manuel d’art byz., S. 83 ff. Die typische Bedeutung des kreuzförmigen Grundrisses
wurde treffend hervorgehoben von G. Millet bei Michel, Hist, d'art I, 1, S. 127 ff. Die genauen Aufnahmen der
Menasbasiliken liegen vor bei K. M. Kaufmann, a. a.O., S. 76 ff. u.84ff. Zur grundlegenden Zusammenfassung
von Strzygowski, Kleinasien ein Neuland der K.-Gesch., Leipzig 1903, vgl. meine kritische Besprechung in
der Byz. Zeitschr. 1904, S. 552 ff. Wichtige Ergänzungen und neue Untersuchungen brachten seither H. Rott,
Kleinasiat. Denkm., Leipzig 1908; Stud. üb. Christi. Denkm., hsgb. von J. Ficker, 5. u. 6. Heft; W. Ramsay
and G. L. Bell, The thousand and one Churches, 1909 (Bimbirkilisse); Th. Wiegand u. H. Schräder, Priene,
Berlin 1904, S. 480 ff.; F. Knoll, Jahresh. des Österr. archäol. Inst. 1907, S. 74 ff. (Ephesus); S. Guyer, Archäol.
Jahrb. (bzw. Anzeiger) 1909, S. 442 ff. (Meriamlik); Th. Wiegand, Abhandl. der Kgl. Akad. d. Wiss. 1908 u.
1911 (Anhang), S. 29 ff. u. S. 34 ff. (Milet); Strzygowski, AsX-nov xf\c, \ax. %cu etfvoX. ‘Etaipictq 1889, S. 711
(Chalkis); A. Wace u. J. Droop, The Annual of Brit. School at Athens 1906/7, S. 315 ff. (Theotoku u. Lai);
zu den Basiliken der Krim endlich D. Ainalow, Denkm. des christl. Chersonnes, Moskau 1905, I (russisch).
Im übrigen vgl. die Literaturübersicht bei Kaufmann, Handb., S. 106 ff. sowie (für Griechenland und die
Inseln) S. 95 ff.
Rom und das Abendland.
Der Denkmälerschatz Roms läßt nicht jenes stetige Wachstum der basilikalen Bauform
erkennen, von dem in jeder Provinz des Ostens die Kirchenruinen noch in ihrer Zerstörung
zeugen. Selbst wenn man in Anrechnung bringt, daß gerade die anderthalbtausendjährige
Erhaltung im kirchlichen Gebrauch das Aussehen der römischen Basiliken in der mannig-
faltigsten Weise verändert hat, ergeben die gemeinsamen ursprünglichen Züge nicht das Bild
eines einheitlichen bodenständigen Typus. Wie das gesamte Abendland, nimmt auch die
Elauptstadt des Westreichs zunächst die Bauformen des hellenistischen Kunstkreises, in der
Folge — mit weniger Bereitwilligkeit als andere Städte, auch solche des Orients auf. Zufällige
Umstände wurden hier mehr als irgendwo bestimmend, als im Jahre 312 der gewaltige Um-
schwung eintrat, der der Christengemeinde Roms Scharen neuer Anhänger zuführte. Neben
einer Reihe großartiger Neugründungen hatte er die Erschließung zahlreicher größerer Privat-
236 DIE KONSTANTIN ISCHEN BASILIKEN AN DEN GRÄBERN DER APOSTELFÜRSTEN

basiliken für den christlichen Gottesdienst zur Folge.


Zählte man auch in der Hauptstadt schon seit dem 2. Jahr-
hundert 25 kirchliche Titel, so bezogen sie sich doch sicher

Abb. 233. Die Basilika des heiligen Petrus, Grundriß (nach Alfarono)
(nach O. Dehio und O. v. Bezold, Die kirchl. Bau-K. d. Abendlandes I).

meist auf kleinere Saalkirchen oder Oratorien, wie sich noch einzelne erhalten haben (S. Balbina,
S. Andrea). Von Anfang an steht in Rom die neue Baubewegung im Zeichen des aufblühen-
den Märtyrer- und Heiligenkults. Zugleich aber war der Blick, besonders bei den Stiftungen
Konstantins des Großen und seiner Nachfolger auf Jerusalem gerichtet. Dem Gedächtnis
der Hauptmärtyrer Roms, der Apostelfürsten, wandte sich des Kaisers erste Fürsorge zu. Über
dem Grabe des Petrus, das die Christen unweit der legendarischen Stätte seines Leidens ver-
ehrten, entstand die gewaltige (100 X 27 Meter messende) Petersbasilika (vollendet unter Kon-
stantes II.), das ehrwürdigste Heiligtum des Abendlandes bis zum Anbruch der Neuzeit.
Trotz aller Baufälligkeit wagte erst ein Julius II., den Gedanken ihres Abbruchs zu verwirk-
lichen und den Platz für Bramantes Neuschöpfung freizugeben. Baukünstlern und Malern
der Renaissance, vor allem den Aufnahmen Alfaronos (Abb. 233), verdanken wir eine klare
Anschauung von dem Gesamtbau.
Die heutige dreischiffige Unterkirche —, die sogenannten vatikanischen Grotten, — bezeichnet das
Niveau, auf dem sich einst die fünfschiffige Anlage ostwärts von dem über der Gruft gelegenen, in den
Vatikanischen Hügel eingebauten Presbyterium in einer Länge von 100 m und in einer Breite von 27 m
ausdehnte. Über den Säulen des Mittelschiffs lag ein Architrav, während die Säulenstellungen der Neben-
schiffe Bogenverbindung zeigten. Nach dem Atrium mit dem vielgerühmten Cantharus — von diesem rührt
der riesige antike Pinienzapfen im ersten Hofe des Vatikanischen Palastes her — öffneten sich fünf Portale.
Spätere Anbauten, darunter das Oratorium Johanns VII., schlossen sich an dasselbe an, zu denen von
außen eine breite Freitreppe emporführte (Abb. 233). Aus der ganzen Zusammensetzung und Gliederung
des Baues spricht deutlich das Vorbild der palästinensischen Denkmalsbauten (S. 207/8). Das Gebälk der
Altarschranken ruhte gar auf sechs von Konstantin geschenkten, gewundenen, angeblich dem jüdischen
Tempel entstammenden Säulen (S. 175), deren Zahl später verdoppelt wurde. Aus solcher Anlehnung
erklärt sich vielleicht auch die Aufnahme des Querschiffs mit dem von zwei jonischen Säulen getragenen
Triumphbogen (Abb. 5). Bevor durch Papst Damasus dem Nordarm desselben der Anbau des Baptisteriums
und am Südende eine Durchgangshalle zu den hier entstehenden (in der Folge dem Apostel Andreas und
der hl. Petronilla geweihten) Mausoleen des theodosianischen Kaiserhauses zugefügt wurde, überragte es
kaum die Breite des Langhauses.
UMWANDLUNG VON PALASTSÄLEN UND PRIVATBASILIKEN IN KIRCHEN 237

Abb. 234. Die Basilika S. Paolo fuori le mura, Grundriß und System nach Innenansicht von 1823
(nach Dehio und v. Bezold, a. a. O. und nach alter Zeichnung).

Die Grabstätte des Paulus an der Ostiensischen Straße war durch Konstantin den Großen in eine kleine
Basilika eingeschlossen worden, deren Apsis im Westen an der Stelle des seither nie verrückten Grabaltars
(Confessio) lag. Als der im Jahre 386 begonnene, aber erst unter Honorius vollendete Prachtbau an ihre
Stelle trat, strebte man sichtlich danach, die Petersbasilika in freier Nachahmung zu übertreffen. Das
Querschiff erscheint weiter, überragte jedoch anscheinend die Breite der Basilika (Abb. 234). Die ostwärts
umgelegte Apsis griff noch in das Atrium des älteren Heiligtums hinein. Und eben diese Teile von S. Paolo
fuori le mura bewahren allein bis in die Gegenwart ihren ursprünglichen Bestand, — an dem freilich
wiederholte Restaurationen (besonders im 13. Jahrhundert) schon manches verändert hatten, — nachdem die
Feuersbrunst des Jahres 1823 das Langhaus bis zum Triumphbogen fast vernichtet hat. Die Erneuerung des-
selben in den alten Maßen (120X60 m) mit reicher Kassettendecke statt des offenen, einst in Vergoldung
schimmernden Dachstuhls, mit der architektonischen Wandgliederung und den modernen Papstbildnissen —
die geretteten alten Mosaikporträts birgt das Museum von S. Paolo — gibt zwar ein glänzendes, aber doch
nur allgemeines Abbild des großartigen Denkmals wieder. Einen fortgeschrittenen Charakter trägt das
Bogensystem mit seinen korinthischen Säulen. Der Front war ein quadratisches Atrium vorgelegt.
Das gleiche Grundschema der Raumgliederung war auch in zwei anderen leider im
Barockzeitalter völlig verballhornten konstantinischen Gründungen zur Anwendung gebracht,
was um so bedeutsamer erscheint, als in beiden Fällen ältere Privatbasiliken in Kirchen ver-
wandelt worden sind. Zu dem von Konstantin dem römischen Bischof geschenkten Palast
der Laterani ließ angeblich seine Gattin Fausta die fünfschiffige Basilika von S. Giovanni
in Laterano, die päpstliche Hauskirche des Mittelalters einrichten. Von ihren Säulenstellungen,
die noch zum Teil in Borrominis Innenarchitektur stecken, geben uns ältere Aufnahmen eine
Anschauung. Wie das Baptisterium (s. unten), so ist wohl auch das längst wieder ver-
schwundene Atrium erst damals hinzugekommen. Im Palatium Sessorianum, das Konstantins
Mutter Helena bewohnte, wurde in einem antiken Saal, dem wahrscheinlich schon die Apsis
fast in voller Breite vorlag, der kleineren Raumverhältnisse wegen nur eine zweifache Säulen-
reihe eingestellt. Das Querschiff hingegen wurde nicht einmal in diesem Bau fortgelassen,
238 ENTSTEHUNG UND ERHALTUNG DER JÜNGEREN BASILIKEN ROMS

der schon durch seinen Namen — er heißt nach der in ihm niedergelegten Kreuzreliquie
noch heute S. Croce in Gerusalemme — die Beziehungen in diesem Bau zu den heiligen
Stätten Palästinas verrät. Er besaß sogar als erste römische Basilika Emporen. Erst durch
den späteren Umbau sind diese und alle älteren Teile der Kirche mit Ausnahme des Pavi-
ments und einer Anzahl von Säulen beseitigt worden.
Der rasch um sich greifenden Besitznahme antiker Profanbasiliken durch die Kirche
verdankt der christliche Basilikentypus Roms nicht am wenigsten die Hinneigung zu präch-
tiger Weiträumigkeit. Die Breite des Hauptschiffes, gegen das die Nebenschiffe in ihrer
Entwicklung besonders dort sehr zurücktreten, wo man an der Dreiteilung festhielt, und die
weiten Säulenabstände bewirken, daß das Licht den gesamten Innenraum durchflutet.
Noch vor Ausgang des 4. Jahrhunderts wurde auch die vom Konsul Junius Bassus (i. J. 317 n. Chr.) er-
baute Basilika dem Apostel Andreas geweiht, an deren Stelle — sie ist leider im Jahre 1686 niedergelegt
worden und nur ihre Dekoration in den Aufnahmen Giuliano da S. Gallos (s. unten) bewahrt geblieben —
sich jetzt S. Antonio erhebt. Noch früher, unter Liberius, war die Basilika Siciniana in den Besitz der
Christen übergegangen, wo sich zwischen den Gegnern und Anhängern des Papstes Damasus nach dessen
Wahl zu seinem Nachfolger blutige Zusammenstöße abspielten (i. J. 366). Vielleicht ist dort das Quer-
schiff mitsamt dem Triumphbogen erst hinzugekommen, als Sixtus III. den vergrößerten und mit Mosaiken
neu ausgeschmückten Bau unter der Einwirkung des Ephesischen Konzils (430 n. Chr.) der in ihrer gött-
lichen Würde anerkannten Gottesmutter weihte. Das auf ionischen Säulen ruhende gerade Gebälk geht in
seinem System vielleicht noch auf den antiken Profanbau zurück. Von seinem Gemäuer und von den rö-
mischen Dachziegeln sind beträchtliche Reste in der christlichen Basilika enthalten, andrerseits bietet sie
in ihrem Innern in Rom das einheitlichste und reichste Bild einer altchristlichen Kirche (Tafel XV), in das
sich die goldschimmernde kassettierte Decke und durch die Renaissance erneuerte dekorative Gliederung
der Obermauern harmonisch einfügen. Seit dem 7. Jahrhundert führte sie nach der Reliquie der heiligen
Krippe, welche in einer Art Krypta geborgen und verehrt wurde, den Namen S. Maria ad Praesepe. Die
ursprünglich offene, wahrscheinlich noch derZeit des Liberius entstammende Apsis wurde erst im 13. Jahr-
hundert geschlossen. Vollkommen verändert ist die äußere Gestalt der Basilika, der unter Benedikt XIV.
eine Barockfassade vorgebaut wurde. Nicht die geringste Spur weist heute auf ein Atrium hin.
Vom Architrav hat die kirchliche Baukunst Roms anscheinend noch in Neugründungen
des 4. Jahrhunderts Gebrauch gemacht, und zwar in Verbindung mit verborgenen flachen Ent-
lastungsbogen in S. Prassede und in S. Marja in Trastevere. Im übrigen haben beide Basiliken
(im 9., bzw. im 12. Jahrhundert) eine tief eingreifende Umgestaltung erfahren. Bogenverbindung
treffen wir bereits in S. Pietro in Vincoli über kannelierten dorischen Säulen an, die zweifellos
einem antiken Bauwerk entstammen. Der Grundriß aber entspricht dem typischen römischen
dreischiffigen Basilikenschema, das Presbyterium ausgenommen, das mit seinen Nebenapsiden
keinesfalls vor die von Pelagius II. (J* 590) vorgenommene Restauration zurückreichen kann,
kam doch bei den Restaurationsarbeiten im Jahre 1876 unter dem erhöhten Fußboden die alte
Apsis zwischen der späteren und dem Altar zutage. Sie gehörte dem unter Sixtus III. zur
Erinnerung an die Gefangenschaft des Petrus, dessen Kette die Hauptreliquie der Kirche bildet,
von Eudoxia wiederhergestellten, aber schon im 4. Jahrhundert bestehenden und anfangs allen
Aposteln geweihten Heiligtum. Von der Einwölbung des Chores, an der die Renaissance schuld
trägt, abgesehen, bietet dieses im Innern einen so wenig veränderten Anblick wie nur noch
eine der stadtrömischen Basiliken. S. Sabina auf dem Aventin, die in System und Raum-
gliederung sehr ähnliche Stiftung eines illyrischen Presbyters Petrus aus dem Jahre 425 n. Chr. —,
wie die Mosaikinschrift an der Innenwand der Fassade bezeugt, — hat in ihrem querschiff-
losen Presbyterium ebenfalls eine gewisse Umgestaltung durch spätere Hinzufügung einer Neben-
apsis u. a. m. erfahren, dagegen ihren offenen Dachstuhl und das Schnittmosaik der Bogen
bis heute bewahrt. S. Pudentiana, nach der Überlieferung als Oratorium im Hause des Gast-
Tafel XV.

Das Hauptschiff im Durchblick zur Apsis.

S. Maria Maggiore (Rom)


ALS UNTERKIRCHEN ERHALTENE UND WIEDERENTDECKTE BASILIKEN 239

freundes Petri (S. 39) schon im 2. Jahrhundert gegründet, besitzt außer der mosaikgeschmück-
ten Apsis (unten) nur zwölf Säulen von dem ursprünglichen, unter Siricius gegen Ausgang
des 4. Jahrhunderts hergestellten basilikalen Aufbau. Wie unter ihrem Fußboden die Mauer-
züge mehrerer antiker Säle nachgewiesen sind, so liegt auch die Apsis der Unterkirche von
S. Clemente, in der wir die schon von Hieronymus erwähnte, im 4. Jahrhundert zum Gedenken
des dritten Nachfolgers Petri erbaute Basilika zu erkennen haben, über einem römischen Hause,
das wahrscheinlich zuerst als Oratorium und später als Confessio diente. In diesem hatte vor dem
Christentum der Mithraskult eine Stätte besessen. Schon im frühen Mittelalter durch Zwischen-
mauern verbaut, wurde die von den Normannen zerstörte Basilika im Anfang des 12. Jahrhun-
derts durch eine Oberkirche mit neuem Atrium überhöht und gänzlich aufgegeben, im schmäleren
Neubau aber wurden die Schranken und Ambonen des Sängerchores wieder verwandt, wenn-
gleich in einer sichtlich im Dekorationsstil der römischen Cosmatenkunst fortgebildeten Zusammen-
setzung. Noch umfänglichere antike Wohnräume sind durch neuere Ausgrabungen in den
Jahren 1887 und 1901 neben und unter zwei Kirchen entdeckt worden, deren Architektur ebenfalls
mittelalterlichen oder Renaissancecharakter angenommen hat, wenngleich ihre Gründung ins
5. Jahrhundert, vielleicht noch weiter hinaufreicht: bei S. Cecilia das vermeintliche Haus des
legendarischen Bräutigams der Heiligen Valerius und die Casa Celimontana unter der ehemaligen
Basilika S. Giovanni e Paolo (S. 59). Als Krypta in ihrer ganzen dreischiffigen Zusammen-
setzung noch ziemlich wohlerhalten unter dem mittelalterlichen Neubau ist die von Symmachus
(t 514) erbaute kleine Basilika von S. Martino ai Monti. Die Confessio mit halbkreisförmigem,
unterirdischem Umgang wie bei der ersteren u. a. m. wurde durch Ausgrabungen (seit 1909)
auch bei der neben dem Neubau des 12. Jahrhunderts in 6 m Tiefe aufgedeckten weiträumigen
Apsis von S. Crisogono (in Trastevere) nachgewiesen, deren Anlage wohl noch bis ins 4. Jahr-
hundert zurückreicht.
Die größte Überraschung brachte 1899 die Wiederauffindung von S. Maria Antiqua, der
ältesten römischen Muttergotteskirche, auf dem Forum. Wir haben es da mit einer in die
Bibliotheksräume des Augustustempels eingebauten, im Mittelalter in Verfall geratenen und
schließlich verschollenen und verschütteten Basilika mit Atrium und dreiteiligem, in den römischen
Mauern angelegtem Presbyterium zu tun. Ihre Entstehung fällt, nach den frühesten hier
erhaltenen zahlreichen Fresken zu schließen, nicht später als in das 6. Jahrhundert. Dem-
selben Zeitalter verdankt S. Maria in Cosmedin ihre Umwandlung aus einem antiken Korn-
speicher in eine Kirche, nicht hingegen ihr jetziges durch eine vortreffliche Restauration wieder-
hergestelltes Aussehen, das vielmehr, die antiken Säulen ausgenommen, das einheitliche Gepräge
des Cosmatenstils (12. Jahrhundert) trägt. In den Gründungen Gregors L, S. Maria in Aracoeli
und S. Saba, und in den unter seinen Nachfolgern erbauten Basiliken von S. Giorgio in Velabro
und S. Quattro Coronati haben tiefeingreifende Umbauten verschiedener Epochen das Bild der
ursprünglichen Anlage noch viel mehr verwischt, von anderen, zum Teil viel älteren Titular-
kirchen ganz zu schweigen (S. M. in Dominica, S. Nereo ed Achilleo u. a. m.). Der basilikale
Typus erhält sich jedoch noch in den stattlicheren Bauten des 9. Jahrhunderts (S. Prassede,
S. Cecilia), um in der Folgezeit langsam in den romanischen Baustil überzugleiten. Eine
Sonderstellung unter den altchristlichen Kirchen Roms nimmt S.Cosma e Damiano ein, entstanden
durch Vereinigung zweier antiker Kultgebäude, einer Rotunde und eines Saales, in den eine
Quermauer mit offener Apsis zur Abtrennung eines Matronäums für die Frauen eingebaut wurde.
Um die stadtrömischen Sprengel zog sich ein Kranz von Cömeterialbasiliken herum,
deren Mehrzahl heute in Ruinen daliegen (S. Stephano, S. Silvestro u. a. m.). Unter ihnen
240 RÖMISCHE CÖMETERIALBASILIKEN — BASILIKEN IN UNTERITALIEN

Abb. 235. S. Lorenzo fuori le mura, Durchblick aus dem Bau des Sixtus in die ältere Basilika.

bietet die bescheidene Anlage von S. Sinforosa trotz weitgehender Zerstörung das augen-
fälligste Beispiel dafür, wie an eine einfache cella trichora (S. 27), um dem wachsenden Be-
dürfnis des Märtyrerkults zu genügen, eine Basilika in umgekehrter Orientierung mit ihrer
von zwei Nebenräumen umgebenen Apsis gleichsam angeschoben wurde. Dieser Vorgang,
eine Parallelerscheinung zu der auf afrikanischem Boden beobachteten Entwicklung (S. 222),
spiegelt sich auch in der Baugeschichte einer der größten und besterhaltenen Cömeterial-
kirchen Roms (Abb. 235).
Unter Konstantin d. Gr. gegründet, wurde S. Lorenzo fuori le mura gegen Ende des 4. Jahrhunderts
auf dem tieferen Niveau des Märtyrergrabes mit westlich gerichteter Apsis erneuert, dieser Basilika aber,
da das ansteigende Terrain eine Erweiterung nach Osten verwehrte, schon durch Sixtus III. eine neue größere
im Westen vorgelegt, deren Apsis die Confessio von der Gegenseite her berührte. Darauf stattete Pelagius II.
(f 590) die östliche Kirche mit Emporen aus. Vielleicht schon damals (und nicht erst durch Honorius III.)
wurde die Doppelapsis niedergelegt, der Fußboden der älteren Basilika erhöht und diese zum Chor der
Gesamtanlage umgewandelt, im Westen aber eine neue Vorhalle angebaut. Im inneren Aufbau bewahren beide
Teile ihr ursprüngliches System mit dem geraden Gebälk, nur verrät der Architrav und der gemischte Bestand
der Säulenkapitelle in der Ostkirche überwiegend antike Herkunft. Im Gegensatz zu S. Lorenzo erscheint
die zweite große Cömeterialbasilika von S. Agnese wie in einem Zuge und nach einheitlichem Schema geschaffen
Hier steht uns ein Neubau vor Augen (Abb. 236), aufgeführt von Symmachus (f 514) oder Honorius I. (f 638)
an Stelle der von Konstantina, der Tochter Konstantins d. Gr. gegründeten Kirche, deren Apsis unter dem
Hauptaltar in gleicher Schicht mit den oberen Galerien des Cömeteriums (S. 47/8) nachgewiesen wurde. Mit
VERBREITUNG DER BASILIKA IM ÜBRIGEN ITALIEN 241

seinen um die Westseite herumgeführten Emporen, deren


Säulen, wie auch die größeren unteren, die Bogen durch
Vermittlung des Kämpfers aufnehmen, und mit seinem
niedrigen Lichtgaden gibt er sich als echter Vertreter des
byzantinischen Basilikentyps (S. 228) zu erkennen, sollten
auch die ausgebauten Nebenräume des Presbyteriums eine
spätere Zutat sein.
Aus den spärlichen Überbleibseln altchrist-
licher Basiliken im übrigen Italien läßt sich, Ra-
venna ausgenommen, eine örtliche Entwicklung noch
weniger ablesen als in Rom. Beachtung verdient
eine Basilika in Porto (Ostia) als Beispiel für die
Verwendung der Apsis (bezw. Exedra) mit Umgang.
Einer konstantinischen Stiftung, welche mit den
Prachtbasiliken Roms wetteiferte, durfte sich Nea-
pel rühmen. Die im Mittelalter und in neuerer
Zeit stark veränderte, aber noch größtenteils neben
dem gotischen Dom erhaltene Memorialkirche der heiligen Restituta
besaß ursprünglich fünf Schiffe, von denen die äußeren in Kapellen
verwandelt sind, mit einfacher ausladender Apsis und anstoßendem
Baptisterium (s. unten). Sie war über den Grundmauern eines
Apollontempels in nordsüdlicher Orientierung erbaut und anfangs
Christus, den Aposteln und Märtyrern geweiht. Ihr zur Seite lag
eine vom Bischof Stephanus im 5. Jahrhundert aufgeführte dreischif-
fige Basilika mit Atrium. Einen bemerkenswerten Rest eines etwas
älteren Denkmals, der Basilika Severiana, — heute die einzige in
Säulenstellungen geöffnete Apsis, — birgt der Neubau von S. Giorgio
Maggiore. Dieselbe Bauform war anscheinend in der großartigen
Basilika, welche um die Wende des 4. Jahrhunderts vom Bischof
Paulinus zu Nola an die Memoria des heiligen Felix in umgekehrter Grundriß und System
(nach Dehio und v. Bezold a. a. O.).
Orientierung angebaut worden war, mit einem Trichorum verei-
nigt, und zwar hatten die Nebenapsiden nach der poetischen Beschreibung des Erbauers die
Bestimmung der Prothesis und des Diakonikon. In Unteritalien bewahrt noch das alte Capua
in seinem Dom von einer angeblich konstantinischen Basilika einige Säulen und gerades Gebälk,
in Mittelitalien S. Salvatore in Spoleto das altchristliche System der Säulenstellungen und
die Apsis sowie Bestandteile der ursprünglichen Fassade.
Unverkennbar erscheint, wie in fast allen diesen Gründungen, der Einfluß des helle-
nistischen Ostens auch in den Denkmälern der oberitalienischen Kaiserstädte des 4. und
5. Jahrhunderts. Mehr als eine allgemeine Vorstellung von der ersten Anlage vermögen wir
freilich auch bei den ehrwürdigsten Basiliken Mailands nicht zu gewinnen. Überaus einfach
war die ursprüngliche Plangestaltung der Märtyrerkirche S. Ambrogio, deren Außenmauern
noch teilweise die alten sind, mit Ausnahme der gegen 800 n. Chr. umgebauten Chorseite.
Durch neuere Untersuchungen wurde die Standweite der im Mittelalter beseitigten beiden
Säulenreihen festgestellt, sowie die Lage der früheren Apsis. Der wenig erhöhte Altarraum
war offenbar nur durch Hinzuziehung der ersten Arkade gewonnen worden, deren erhaltene
Säulenstümpfe, in die späteren Pfeiler eingeschlossen, zwei Stufen über dem Niveau des
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 16
242 BASILIKENBAU IN RAVENNA BIS THEODORICH DEM GROSSEN

Langhauses liegen. Dem ganzen


Aufbau nach gehört noch der Zeit
des heiligen Ambrosius die an das
Südschiff angeschlossene Kapelle
des heiligen Viktor (s. V. Kap.) an.
Eine zweite Gründung des mailän-
dischen Kirchenvaters ist in der
Frührenaissance anscheinend gänz-
lich erneuert und in der Grundriß-
bildung frei ausgestaltet worden.
Die ausgesprochene Kreuzform von
S. Nazario macht es jedoch wahr-
scheinlich, daß die im Jahre 386
n. Chr. zum Gedächtnis der Apostel
erbaute Kirche ihr Vorbild in derkon-
stantinischen Apostelkirche (S.228)
hatte. Von den übrigen ambrosiani-
schen Kirchenbauten (Sta. Faustina,
Ecclesia maior u. a. m.) ist jede
Spur verwischt.
In der kirchlichen Architektur Ra-
vennas, das seit Verlegung der west-
römischen Reichshauptstadt nach
der adriatischen Flottenstation eine
zweihundert Jahre währende Kunst-
blüte entstehen sah, reichen sich voll-
ends das Abendland und der Osten
die Hand. Es ist schon byzantini-
Abb. 237. Die Stadtbasilika von Salona, Grundriß (darunter scher Einfluß, den wir in den Stif-
eine ältere Basilika und eine spätere kreuzförmige Kirche)
(nach G. Bervaldi, Rom. Quartalschr. 1912). tungen einer Galla Placidia und
ihrer Nachfolger spüren, wenngleich
die Namen auch hier noch die Beziehung auf die heiligen Stätten Jerusalems festhalten.
So schloß sich der kreuzförmige Bau ihres sog. Mausoleums (s. unten) mit seiner Vorhalle
einst an den Narthex der Basilika S. Croce an, von der heute noch ein Teil des im
Mittelalter umgestalteten Langhauses nebst Apsis getrennt von jenem erhalten ist. Den Namen
der Anastasis führte eine schon unter Honorius durch den Bischof Ursus erbaute fünf-
schiffige Basilika, die ausschließlich durch eine alte Planskizze bekannt ist. Der seit dem
18. Jahrhundert ihren Platz einnehmende Dom enthält von ihr kaum mehr als ein paar Säulen
des Hauptschiffes und Triumphbogens sowie die unzugänglich gewordene kreisrunde Krypta,
der sichtlich die hl. Grabeskirche (S. 247) zum Vorbild gedient hat. Von der ebenbürtigen
Basilika Petriana etwas jüngerer Entstehung gibt nur die Chronik des Agnellus (um 839) Kunde.
Andere Gründungen des theodosianischen Kaiserhauses (S. Agata, S. Giovanni Evangelista,
S. Francesco) und noch einzelne Bauten Theodorichs (S. Spirito, S. Maria Maggiore) deren
Grundrißbildung zum Teil in der Hinzufügung der Pastophorien einen wohl durch kirchliche
Beziehungen vermittelten syrischen Nebeneinfluß verrät, sind in einer durch nachträgliche Ein-
DIE BASILIKEN ISTRIENS UND DALMATIENS 243

Wölbung der Schiffe oder noch stärkere Eingriffe veränderten Gestalt auf uns gekommen. Als
glänzende Zeugen dieser späteren Blütezeit bieten hingegen die beiden Apollinariskirchen bis
heute einen nahezu unverfälschten Gesamteindruck (s. Teil II).
Eine rege christliche Bautätigkeit entfaltete sich auch an der istrischen und dalmatinischen
Küste der Adria schon vor den Stürmen der Völkerwanderung. Die Mehrzahl der erhaltenen
Denkmäler in den älteren Metropolen Aquileja und Grado, in Triest, Parenzo usw. entstammt
zwar erst dem justinianischen oder einem noch jüngeren Zeitalter (s. Teil II), doch weisen
die genannten und einzelne andere Städte außer den alten Mosaikfußböden ihrer erneuerten
Dome noch manche frühchristliche bemerkenswerte Baureste auf. So unterliegt es keinem
Zweifel, daß die in den mittelalterlichen Bau von S. Giusto in Triest einbezogene nördliche
Basilika einer altchristlichen Doppelkirche eine eingebaute Apsis mit Nebenräumen besaß, wie
auch die Zweitälteste in Parenzo. Zwei eigenartige Anlagen des 5. Jahrhunderts wurden neuerdings
in der Umgegend von Pola entdeckt, wenngleich fast nur noch in den Grundmauern. Die kleine
Grabkirche des heiligen Hermagoras (bei Samagher) war mit einem mehrfach an kleinasiatischen
und byzantinischen Bauten (Abb.37, 230, 242) belegten Narthex mit apsidalen Seitenabschlüssen
und mit offener Vorhalle ausgestattet. Noch bedeutsamer aber erscheint die Gestaltung des Pres-
byteriums der Cömeterialbasilika von Pola. Hier scheint die Apsis noch als freistehende Exedra
in einen rechteckig abgeschlossenen Raum eingebaut (S. 202/3, 228 u. Abb. 230) gewesen zu sein,
— und zwar nicht als vereinzeltes Beispiel. Ist doch die gleiche Einrichtung unlängst sowohl in
zwei Ruinen im benachbarten Nesactium, als auch sogar in einem kreuzförmigen einschiffigen Bau
in Teurnia (Kärnten) festgestellt worden. An der Küste Dalmatiens finden wir endlich an einem
bedeutenden Mittelpunkt kirchlichen Lebens noch Reste mehrerer größerer Basiliken. In Spalato
(Salona) kamen i. J. 1903 die Grundmauern der bischöflichen Hauptkirche Seite an Seite mit der
schon vor über fünfzig Jahren freigelegten Ruine des Baptisteriums und seiner Nebengebäude
zutage (Abb. 237). Bei der Fortführung der Grabungen ergab sich letzthin, daß sie neben einer
Basilika der konstantinischen Zeit mit ausladender Apsis und an ihrer Nordseite ausgebautem
Diakonikon nebst Atrium vom Bischof Esychius (f um 426) vollendet wurde und daß an Stelle
der ersteren im 6. Jahrhundert ein kreuzgestaltiger Neubau entstand. Auf dem benachbarten
Gräberfeld von Monastirine ist seit dem Jahre 1900 eine Cömeterialbasilika aufgedeckt worden,
die in denselben Jahrzehnten inmitten einer zahlreichen Gruppe von Memorien erbaut ist
(S. 29), eine zweite schon 1901 bei Marusinac. Diese letztere hatte von jeher Pastophorien,
während bei der Bischofskirche die Prothesis erst nachträglich zugefügt und das Diakonikon
vom rechten Seitenschiff abgetrennt wurde. Sie und die erstere zeigen gleichwohl eine reichere
Gestaltung des Presbyteriums, als sie uns sonst im adriatischen Gebiet begegnet. Während
in Monastirine vom Langhause ein breites Querschiff durch eine Mauer abgeschieden war,
besaß jene eine durchbrochene Apsis mit halbkreisförmigem Umgang und durch Brüstungen
und Säulenstellung im Hauptschiff abgeschiedenem Vorraum, — eine Anlage, die sich
unverkennbar mit verschiedenen Denkmälern in Kleinasien und Italien (S. 233 und 241) be-
rührt und zugleich als monumentale Ausgestaltung der einfachen Vorstufe anmutet, welche
sich in den freistehenden Exedren der oben erwähnten adriatischen Baudenkmäler so lange
behauptet hat.
So herrscht bei aller Vielgestaltigkeit der Entwicklung zwischen den entferntesten Punkten
der altchristlichen Welt Übereinstimmung im einfachsten Grundschema und in den Urformen
des basilikalen Bautypus (S. 202/3), der sich schon vor der gesteigerten Bautätigkeit der Friedens-
zeit allenthalben durchgesetzt haben muß.
16*
244 LITERATUR — WESEN UND GEBRAUCHSZWECK DES ZENTRALEN BAUTYPUS

Der römische Denkmälerbestand und die literarischen Zeugnisse sind vereinigt bei Marucchi, Ele-
menti dell’archeol. crist. III; erneute Nachprüfung bietet A. Frothingham, The monum. of Christ. Rome, New
York 1908; einzelne Nachträge von Leclercq vgl. bei Cabrol, a. a. O. I, 1, Sp. 958—962 (Agnes) und II, 2,
Sp. 2733—2779 (Cecile); A. C. Taylor and J. P. Richter, The golden age of dass. Christ, art., London 1904,
S. 40, (S. M. Maggiore); L. Nolan, The bas. of S. Clemente, Roma 1910; Marucchi, N. Bull, di a. c. 1 907, S. 218
(S. Agnese) und 1911, S. 5 ff. (S. Crisogono); Chr. Hülsen bei W. de Grüneisen, Ste Marie Antique, Rome 1911,
S. 70 ff. Im übrigen vgl. Kaufmann, a. a. O., S. 211 und die Spezial-Lit. für das gesamte Italien S. 97 ff.
Ergänzungen über S. Restituta in Neapel brachte A. Sorrentino, Atti della R. Accad. di archeol. lett. e b.
arti di Napoli 1908, S. 45 ff; über Nola vgl. H. Holtzinger, Zeitschr. f. bild. K. 1885, S. 135 ff.; zu Spoleto,
W. Hoppenstedt, Die Basilika S. Salvatore bei Spoleto, Halle a. S. 1912; für Mailand Leclercq bei Cabrol,
a. a. O. I, 1, Sp. 1442—1462; C. Ricci, Ravenna Bergamo 1902, It. artist. I (vgl. auch Teil II). Die Basiliken
von Aquileja, Grado, Pola wurden zusammenfassend bearbeitet von W. Gerber, Altchristl. Kultbauten
Istriens und Dalmatiens, Dresden 1912; im einzelnen vgl. dazu A. Gnirs, Jahresh. d. Österr. archäol. Inst. 1910,
Beibl. S. 95 und Jahrb. d. k. k. Central-Comm., N. F. IV, 1906, S. 229 ff. sowie Atti e mem. della Soc. Istria di
archeol. 1908, S. 5 ff; ferner F. Bulic, Bull, di archeol. e storia Dalmata 1903, S. 33 ff. und 1908, S. 107 ff. u. a. m.,
sowie G. Bervaldi, a. a. O., S. 133 ff. die übrige Lit. bei Kaufmann, a. a. O., S. 112 ff.

2. Der Zentral- und Kuppelbau.


Galt die Basilika bis in das Zeitalter Justinians überall als das christliche Gemeinde-
haus, so nahm die Kirche für besondere, und zwar für verschiedene rituelle Zwecke daneben
schon früh einen anderen Baugedanken der Antike auf. Aus eng begrenzten Anfängen sehen
wir den Zentralbau, den Wandlungen des Kults folgend, zu allgemeiner Bedeutung und rei-
cherer Durchbildung sich erheben. In dem Gegensatz der beiden Typen spiegelt sich die
Mannigfaltigkeit der treibenden Kräfte der christlichen Kunstentwicklung. Im Langbau, wo
die ganze Raumgestaltung wie die obere Lichtbahn des Hauptschiffes der Blickleitung zur
Altarnische dient, herrscht das Grundgefühl der Zielstrebigkeit, im Zentralbau das des Be-
schlossenseins, der Ruhe und Erhebung. Denn der Bewegungsdrang findet hier einen Aus-
weg nur noch oben, wo das einströmende Licht der Kuppel Befreiung verheißt. Zentralbau
und Kuppelkirche fallen freilich nicht durchweg zusammen, zumal im Anfang. Der zentrale
Raumgedanke kann seine Verwirklichung auch durch den quadratischen oder kreuzförmigen
Grundriß finden und verbindet sich dann mit einem anderen Aufbau, dem das Oberlicht
fehlt. Allein sehr früh beginnt eine Durchdringung dieser Bautypen mit dem runden oder
polygonalen Kuppelbau, ja schließlich vollzieht sich eine Verschmelzung des letzteren mit
der Basilika und im neuen byzantinischen Kirchentypus ein Ausgleich zwischen den ästhe-
tischen Werten der Richtungs- und der Höhenachse. Diese vielgliedrige Entwicklungsreihe
aber ist ein Gewächs des Ostens, der alsbald in der Raumeinheit der Kuppelkirchen sein archi-
tektonisches Ideal erblickte. Das in der Basilika sich entfaltende Prinzip der rhythmischen
Raumgestaltung mit seiner einheitlichen Beziehung auf die Tiefe tritt dafür die christlich grie-
chische Kunst in der Folge dem Abendlande ab. So spiegelt auch die altbyzantinische Archi-
tektur die fortschreitende Durchdringung des Hellenismus mit orientalischem Wesen, die wir
in Plastik (S. 156, 163 ff. u. 174 ff.) und Malerei (s. V. Kap.) beobachten.
Eine Scheidung nach territorialen Bautypen wie bei der Basilika läßt sich für den Zentral-
bau nicht einmal im Osten durchführen. Jeder Fortschritt wird vielmehr vom Austausch der
Formen zwischen den einzelnen Gebieten begleitet. Wo gar im Abendlande eine monumentale
Kuppelkirche entsteht, greift jedesmal sichtlich der hellenistische Orient herüber, die einfach-
sten Typen ausgenommen, die bereits in heidnischer Zeit Gemeingut des antiken Kulturkreises
geworden waren. Ihr christlicher Gebrauchszweck ist im wesentlichen ein zweifacher und hängt
245
DIE EINFACHE ROTUNDE ALS MAUSOLEUM

in beiden Fällen mit dem früheren


profanen oder religiösen unmittel-
bar zusammen. Das Gemeinsame
im Gegensatz zur basilikalen Ge-
meindekirche ist, daß hier der ein-
zelne gleichsam im Mittelpunkt
des Raumes steht, sei es als Täuf-
ling oder als der Dahingegangene,
— Vollendete. Für das christliche
Taufhaus (Baptisterium) und für
die christliche Gedächtnis- oder
Grabeskirche (Memoria) boten die
heidnischen Nymphäen und als
Baderäume dienenden Rotunden
einerseits, die Mausoleen anderer-
seits die Vorbilder, ja sie mögen
mitunter nur ihre Besitzer gewech-
selt haben. Besonders die zweite
Gebäudegattung lieh der Entwick-
lung die Triebkraft dank der wach-
senden Bedeutung des Märtyrer-
kults, die solchen Kirchen den
Namen des Martyrion eintrug. Abb. 238. Agios Georgios (sog. Rotonda) in Saloniki, Ostansicht.
Zur Fortbildung des Zentralbaues
aber führte die sich daraus ergebende Verschmelzung der Heiligenverehrung mit dem allge-
meinen Kult und vor allem die im Osten sich vollziehende Wandlung des letzteren. Das
belehrende Wort trat im Morgenlande schon während des 5. Jahrhunderts gegen die zere-
monielle Liturgie der Opferhandlung mit ihren wiederholten Einzügen der Priester und Dia-
konen aus dem Presbyterium in den Naos mehr und mehr zurück. Ein unverkennbares An-
zeichen des Umschwungs bildet in der Entwicklung des zentralen Bauschemas die Anfügung
der Apsis, der erste Schritt seiner Annäherung an die basilikale Bauform. So weit hat gelegent-
lich auch das Abendland dem feierlichen Altardienst im Zentralbau Genüge geleistet.
Wurden dieselben Bautypen ohne Unterschied des rituellen Gebrauchszwecks von der
Antike übernommen, so muß die kunstgeschichtliche Betrachtung sich um so mehr an die kon-
struktive Entwicklung der ersteren halten. Allenthalben begegnet uns die einfache Rotunde,
deren Kernmauer zur Verstärkung der Konstruktion sowie zur Erweiterung des Raumes
durch gewölbte Nischen unterbrochen wird, wie sich das besonders für die Aufstellung der
Sarkophage in den Memorien empfahl, so z. B. in Rom das leider nur noch trümmerhafte
Mausoleum der heiligen Helena (Torre Pignattara) und die Rotunden neben der alten Peters-
kirche (S. 236 u. Abb. 233) oder in Ravenna das Grabmal Theodorichs (Abb. 22/3). Der Osten
hat sogar dieses Urschema aller Rundbauten in größeren Verhältnissen angewandt. Eine
altchristliche Gedächtniskirche des Propheten Elias, die in byzantinischer Zeit erneuert zu
sein scheint, stellt die Grabmoschee der osmanischen Sultane in Brussa dar. Die gewaltigste
,,Rotunde“ aber besitzt Saloniki in seiner Kirche des heiligen Georg (Hortadji-Djami), viel-
leicht noch aus dem 4. Jahrhundert, bei deren Erbauung anscheinend sogleich an die dem
246 DIE GEGLIEDERTE ROTUNDE MIT INNEREM STÜTZENKRANZ

Abb. 239. S*a Costanza (Rom), Durchblick aus dem Umgang in den Kuppelraum.

Eingang gegenüberliegende, die übrigen an Breite übertreffende rechteckige Nische die Apsis
mit vorgelagertem Tonnengewölbe, das von außen durch zwei Strebepfeiler gestützt wird,
angefügt wurde (Abb. 238). Angesichts der verschiedenen Mauerschichtung der Umfassungs-
mauer und des Anbaues ist jedoch dessen spätere Entstehung nicht ganz ausgeschlossen.
Die weite Spannung der Kuppel (24 Meter) bedingte eine außergewöhnliche Dicke (6 Meter)
des Mauerzylinders, der als Widerlager noch höher aufsteigend ein deckendes Zeltdach trägt.
Bei einem erst nachträglich in eine Kirche verwandelten antiken Bau von solchen Abmessungen
würde die Scheitelöffnung des Opäon, wie sie das Pantheon aufweist, schwerlich fehlen. Auch
spricht sich die Bestimmung des Denkmals zur Heiligenkirche besonders deutlich im Kuppel-
mosaik aus (s. V. Kap.).
Rundbauten mit innerem Stützenkranz, der die Kuppel trägt und von einem gewölbten
Umgang umgeben ist, sind gewiß schon aus der antiken Baukunst hervorgegangen, wenngleich
uns nur christliche Beispiele dieser bereicherten Form erhalten sind. In konstruktiver Hinsicht
bedeutet die Ablösung des Tambours von der Außenmauer kaum einen Fortschritt über jene
Anlagen, bei denen die letztere in dicht aneinanderstoßende Nischen aufgelöst erscheint, wie
in der sogen. Minerva Medica in Rom. Um so größer ist der ästhetische Gewinn der gestei-
gerten Raumwirkung und der abgestuften Beleuchtung. Davon gibt Santa Costanza (Abb. 37
u. 239) einen vollen Eindruck, den wir im Geiste noch durch die verschwundene, aber in Auf-
DIE ANASTASIS UND ANDERE RUNDKIRCHEN IN JERUSALEM 247

nahmen gerettete Dekoration des Mittelraumes (s. V. Kap.) ergänzen müssen. Das Licht strömt,
wie sonst bei den kleineren Rotunden, nur durch den Fensterkranz der Obermauer ein, und wenn
auch das Kuppelgewölbe vielleicht im Scheitel nicht konstruktiv zusammengeschlossen war,
so stand es doch keinesfalls offen. Oströmische Einwirkungen verrät das eigenartige Bauglied,
das zwischen dem Bogenansatz und den zwölf gekuppelten Säulenpaaren vermittelt und sich
einerseits als ein Rest des antiken Gebälks, auf der anderen Seite aber als Vorstufe des byzan-
tinischen Kämpfers kennzeichnet. Die Außenansicht ist ihrer monumentalen Wirkung durch
den Verlust des Säulenumgangs beraubt. Angeblich eine Stiftung Konstantins, diente der
Bau zuerst als Baptisterium der Basilika der heiligen Agnes, später als Mausoleum seiner
Tochter Konstantina (t 354). Ein Gegenbeispiel findet diese Rotunde in der Kirche Sta
Maria Maggiore zu Nocera (Abb. 6), die aus einem Baptisterium des 4. Jahrhunderts ent-
standen ist, doch liegt hier über den sechzehn korinthischen Doppelsäulen — ein Paar vor
der Apsis ist im Mittelalter beseitigt worden — ein nur wenig überhöhtes Kuppelgewölbe
unmittelbar auf, um in beträchtlicher Höhe plötzlich in eine von Fenstern durchbrochene, mit
einem Tambour ummantelte Kuppel von kleinerem Radius überzugehen: wahrscheinlich eine
spätere Zutat, wie die kreuzgewölbte Apsis. Die ursprüngliche Konstruktion war vermutlich
noch auf das Opäon berechnet, was eine im Achteck geordnete Säulenstellung, die ein Schutz-
dach des Taufbeckens zu tragen hatte, zu bestätigen scheint.
Die Bauform der Rotunde mit kreisförmiger Säulenstellung als Kuppelträgerin hatte
bereits in der heidnischen Architektur des hellenistischen Orients eine noch reichere Glie-
derung des Aufbaus angenommen. Von dem unter Arkadius zerstörten Rundtempel des Mar-
nion in Gaza scheint bezeugt, daß er eine Kuppel mit weit geöffnetem Opäon über einem
zweistöckigen Säulenumgang trug. An solche Vorbilder werden sich die von Konstantin d. Gr.
und seinen Nachfolgern in Jerusalem gestifteten zentralen Anlagen angeschlossen haben, von
denen uns wieder die oben betrachteten, sowie einzelne jüngere Denkmäler (s. unten) im Abend-
lande vereinfachte Abbilder bieten.
Bei der auf dem Ölberg errichteten Himmelfahrtsrotunde — sie wird bereits von der Pilgerin Etheria
unter dem Namen des Imbomon erwähnt und von der Eleonakirche (S. 20) unterschieden — war sogar
der von zwei Portiken umgebene Mittelraum vollständig unbedeckt —, wenn wir der Beschreibung des
Pilgers Arculph glauben dürfen, der allerdings wohl einen Neubau, und zwar erst nach der Perserver-
wüstung sah. Da jedoch unter die Nachahmungen der Ölbergkirche nicht nur die Gedächtniskirche des
Entschlafens Marias, von der das gleiche berichtet wird, sondern auch andere Zentralbauten zu rechnen
sind, wie die Kirche der heiligen Dreieinigkeit in Nicäa» in der das erste Konzil stattgefunden haben soll,
so ist auch für das Vorbild mit größerer Wahrscheinlichkeit nur eine im Scheitelpunkt offene Kuppel anzu-
nehmen. Noch weit schwierigere Fragen erheben sich angesichts der Überlieferung über die konstantinische
Anastasis, welche das heilige Grab einschloß und nach Eusebius gleichsam das „Haupt“ der um den
Golgathahügel gruppierten Heiligtümer (S. 207) bildete. Im Laufe der Zeit hat sie sicher Veränderungen
erfahren, von denen nur der Kern unberührt blieb, wenigstens bis zum Einfall der Perser (614 n. Chr.).
Diesen bildete das „Denkmal“, das nach den übereinstimmenden Angaben der Quellen ein Teil des natür-
lichen Felsens war, der die „Höhle“ enthielt. Es wurde durch einen mit silbernem Gitterwerk gesperrten
Säulenkranz, über dem sich auf Bogen ein durchbrochenes Kegeldach aus vergoldetem Gebälk erhob, vor
dem Zudrang der Menge geschützt. So stellen die in Jerusalem gefertigten Ampullen von Monza in vollem
Einklang mit den Hinweisen der Pilger das Grab in der Szene der Begegnung der Frauen mit dem Engel
dar (Teil II). In anderen Bildwerken erblicken wir eine einfache Rotunde, in der offenbar das ursprüng-
liche Grab Christi. Zu Konstantins Zeit aber war jenes schützende Gehäuse vielleicht noch nicht von einer
Mauer eingeschlossen, da Eusebius nur von den „auserlesenen Säulen und der übrigen Pracht“ spricht, und
noch der Pilgerbericht der Etheria anzudeuten scheint, daß es vom Atrium aus zu sehen sei. War es aber
schon damals von einem mehrreihigen Säulenumgang umschlossen, der zweifellos eine zentrale Kuppel (oder
wenigstens ein Zeltdach) trug, so wird für das 6. Jahrhundert durch das Breviar eines Anonymus u. a.
248 NACHBILDUNGEN DER ANASTASIS UND MAUSOLEUM KONSTANTINS

Zeugnisse die über dem Grabe errichtete Rundkirche


ausdrücklich beglaubigt und von dem vergitterten
Innenbau unterschieden. Einen Plan besitzen wir je-
doch erst aus der Zeit nach der Wiederherstellung der
von den Persern zerstörten heiligen Stätten durch
Bischof Modestus, entworfen nach den Angaben des
Angelsachsen Arculph (S. 247) durch den Abt seines
Klosters Adamnanus. Im erneuerten Bau erscheint das
Denkmal selbst mit dem Grabe im Inneren sichtlich am
stärksten verändert, und zwar in Gestalt einer geschlos-
senen kleinen Rotunde (oder einer noch kleineren Ädi-
cula?), die im Nordosten und Südosten von je vier
Türen durchbrochenen konzentrischen drei Ringe hin-
gegen, zwischen denen breite Bahnen umliefen, befanden
sich jedenfalls an der Stelle des früheren doppelten
oder dreifachen Umgangs und mögen
größtenteils noch aus den alten Säulen-
stellungen (und der Außenmauer) be-
standen haben. Über dem inneren erhob
sich die Kuppel, getragen von zwölf
Pfeilern (oder Säulen) von ungewöhn-
licher Größe, die wahrscheinlich eben-
falls der ursprünglichen Anlage ange-
hörten. Dieser innere Stützenkranz hat
noch zweimal nach vorhergehender Zer-
störung des Heiligtums durch die Sara-
zenen einen Wiederaufbau durchge-
macht, durch Konstantin IX. Mono-
machos im 11. Jahrhundert und durch
die Kreuzfahrer. Der äußere Umgang
ist gänzlich verschwunden, während
die Ringmauer des Modestus mit ihren drei Altarnischen und in ihr möglicherweise sogar ältere Bestand-
teile in die von den Franken errichtete, bis heute erhaltene gotische Kathedrale eingegangen sind (S. 207).
Unter den zahlreichen Nachahmungen der heiligen Grabeskirche — die große Mehrzahl
derselben entstammte freilich erst dem frühen Mittelalter — darf S. Stefano Rotondo in Rom
(Abb. 240) als ihr getreuestes erhaltenes Abbild gelten. Läßt sich doch die ältere Annahme,
daß sie ein Schwesterbau einer bei Jerusalem von der Kaiserin Eudokia zu Ehren des Proto-
märtyrers für sich errichteten Gruftkirche sei, nach Aufdeckung der Stephanusbasilika (S. 208)
kaum daselbst mehr aufrecht erhalten.
Zwei tief einschneidende Restaurationen haben zwar das Aussehen des römischen Martyriums wesent-
lich verändert, der ursprüngliche Zustand bleibt aber noch erkennbar, so daß wir uns den alten Bau, der
wohl als eine der letzten Stiftungen des theodosianischen Kaiserhauses von Simplicius (f 482) geweiht wurde,
ziemlich klar zu vergegenwärtigen vermögen. So gut wie unverändert ist nur der innere Säulenkreis, der
über geradem Architrav auf hohem Tambour ein wiederholt erneuertes Zeltdach trägt. Das zur Unter-
stützung des Gebälks in die Mitte des Kreises eingestellte riesige Säulenpaar entstammt erst der Zeit
Hadrians I. (f 795). Der zweite durch Bogenschlag verbundene Ring kleinerer mit Kämpfern überhöhter
Säulen ist unter Nikolaus V. (f 1455) in die jetzige Umfassungsmauer eingeschlossen worden. Nur nach
Osten zu blieb eine Reihe von Interkolumnien offen und ein Teil der alten Außenwand mit ihrer kleinen
Apsis erhalten. Einst setzten in den beiden Hauptachsen auch an den entsprechenden Stellen drei weitere
Kreuzarme ein, durch vier höhere Säulen mit ionisch-byzantinischen Kapitellen sich nach der Mitte zu
öffnend, vom äußeren Umgang aber jederseits durch kleine Säulenpaare geschieden und sowohl sein Dach
im Aufbau überragend als auch über die untere Fensterwand der Kirche vortretend und zusammen mit
dieser und der äußeren Umfassungsmauer vier schmale Höfe einschließend.
DAS EINFACHE OKTOGON ALS MEMORIA UND BAPTISTERIUM 249

Die Eingliederung des Kreuzes in den Rundbau, die sich in S. Angelo in Perugia,
einer Gründung des 6. Jahrhunderts, wiederholt, aber durch mittelalterliche Umbauten noch
stärker verdunkelt wird, ist vielleicht schon für die Anastasis vorauszusetzen. Die Rotunde
mit reich durchgebildeten inneren und äußeren Umräumen erscheint jedenfalls noch in un-
serer lückenhaften Überlieferung als der bevorzugte zentrale Bautypus unter den konstantini-
schen Denkmalskirchen, der wohl auch im Mausoleum des Kaisers neben der Apostelkirche
(S. 228) von der kreuzförmigen Raumgliederung durchsetzt war, auf welche Weise, dafür geben
vielleicht die eben betrachteten Denkmäler einen Fingerzeig.
Gleichwohl steigt die verheißungsvollste Entwicklungslinie des Zentralbaus nicht von
dieser, sondern von einer anderen in der Antike wurzelnden Bauform zu ihrem Gipfel auf.
Schon von den Architekten der Kaiserzeit war es als ein Vorteil sowohl für die konstruktive
Zusammensetzung wie für die Gliederung des Baukörpers erkannt worden, dem Tambour poly-
gonale Gestalt zu geben. Die Überführung des Vielecks in den Kreis wußte man durch all-
mähliches Vorkragenlassen der untersten Gewölbschichten zu bewerkstelligen. Als die brauch-
barste Anlage wurde sehr bald das Oktogon bevorzugt, so z. B. für den Juppitertempel in Spalato
(s. Abb. unten). In die Kernmauer des Untergeschosses sind schon hier, wie in den Rotunden,
Nischen eingesprengt, und zwar in den Hauptachsen rechteckige, in den Diagonalen halb-
runde. Unter den Anbauten von S. Lorenzo in Mailand mag die von Galla Placidia gestif-
tete Kapelle S. Aquilino von ähnlicher Zusammensetzung, deren Eingang ein römisches
Portal schmückt, noch einen Bestandteil der antiken Thermen oder eines Palastes enthalten.
Der Taufritus, für den in den ersten Jahrhunderten das Tauchbad unerläßliches Erfordernis
blieb, hat wohl eben deshalb das achteckige Kuppelgebäude sehr früh zur typischen Bauform
erkoren, fand er es doch in den Hauskirchen vielfach als Baderaum vor. Und so hielt man
am Oktogon mit dem Becken (Piscina) inmitten fest, als sich nach dem Siege der Kirche die
Notwendigkeit einstellte, dem wachsenden Zudrang der Neubekehrten durch Errichtung grö-
ßerer Taufhäuser gerecht zu werden. Bald einer Langseite der Basilika, seltener dem Presby-
terium angeschlossen (Abb. 230 u. 237), bald ihrer Front oder dem Atrium vorgelegt (Abb. 226),
hat es als Baptisterium im Orient und im Okzident allgemeine Verbreitung gewonnen, neben der
jedoch weder die kreisrunde (z. B. in der voreuphrasianischen Basilika in Parenzo) noch die
rechtwinklige, kreuz- oder kleeblattförmige Grundrißbildung ausgeschlossen erscheint (S. 210).
Maßgebend ist das Oktogon einzig und allein für den Tambour, während es verhältnismäßig
gleichgültig bleibt, ob auch der Unterbau in seinem Äußern achtseitig abschließt, wie z. B. in der
vortrefflich erhaltenen, noch ganz dem oben gekennzeichneten System entsprechenden Taufkirche
von Albenga (Riviera) aus dem 5. Jahrhundert, oder ob in den Diagonalachsen eingeschobene
Ecknischen nicht nur den Innenraum, sondern auch den Außenbau zum (mitunter abgerundeten)
Quadrat ergänzen, um das sich manchmal noch eine Anzahl rechtwinkliger Nebenräume herum-
legen (Abb. 226 u. 243). Eine solche Grundrißbildung hatte den Vorzug, daß sich das Gebäude
leichter an die Mauerflucht der Basilika oder des Atriums anschließen ließ, wie es den Be-
dürfnissen des Kults entsprach und sowohl in Syrien (S. 210) und Palästina (Amwas, Bet
Auweda) wie auch in Kleinasien (Abb. 230 u. S. 233) bei den Baptisterien von quadratischer
Gestalt üblich war. Den wichtigsten, der Namengebung dienenden Nebenraum (das soge-
nannte Consignatorium) finden wir auch neben der älteren Menasbasilika in reicher Durch-
bildung vor, deren vorgebautes Oktogon (vom Ende des 4. Jahrhunderts) nächst dem angeblich
konstantinischen in Neapel (S. Giovanni in Fonte neben S. Restituta) wohl das frühste
christliche Beispiel (Abb. 226/7) der Ecknischenkonstruktion vertritt, seine Vorläufer aber in
250 DAS OKTOGON MIT INNEREM STÜTZENSYSTEM

den Kuppelräumen der antiken Thermen (z. B. des Caracalla und in Pompeji) hat. Diese
Raumgestaltung gewann, vielleicht aus rituellen Gründen, solche Beliebtheit, daß die Nischen
manchmal sogar als halbrunde Ausbauten dem Oktogon angefügt erscheinen. Von den Bap-
tisterien der Orthodoxen und der Arianer in Ravenna, die die zweite Form glänzend vertreten,
ist das ältere von S. Giovanni in fonte nachweislich durch Bischof Neon (um 458) aus einem
antiken Thermensaal, dessen Boden beträchtlich unter dem heutigen liegt, zum Baptisterium
umgeschaffen und mitsamt der dekorativen Innenarchitektur (Tafel XVI) wahrscheinlich auch
der konstruktive Aufbau zum Teil erneuert worden. Das zweite (S. M. in Cosmedin) wurde unter
Theodorich nach seinem Vorbild neben S. Teodoro (S. Spirito) erbaut mit einer offenbar um
des Altars willen noch beträchtlich verlängerten Diagonalapsis. Auf die Anfügung einer
solchen an eine Achteckseite hat man sich in Grado beschränkt, während in Salona eine win-
zige Apsisnische aus der Mauer ausgespart wurde (Abb. 237). In diesem etwas unregel-
mäßigen Bau nimmt bereits eine Säulenstellung, die anscheinend anfangs im Sechseck geord-
net war (an der Eingangsseite wurden aber statt einer zwei dünnere eingestellt), eine noch
später (in Aquileja) vorkommende Zusammensetzung, die Last der Kuppel auf. Sie begegnet
uns sonst nur noch in einem Bau von regelmäßiger, sechsseitiger Gestalt in Syrien (Deir
Seta). Der das Taufbecken umgebende innere Stützenkranz übernahm neben seiner konstruk-
tiven Aufgabe nun auch die des kleineren Baldachins, nämlich der Verhüllung des Bassins
durch dazwischen gehängte Vorhänge, bei gleichzeitiger Anwesenheit männlicher und weib-
licher Täuflinge. Mit der durch Ecknischen vermittelten quadratischen Gestaltung des Außen-
baues verbindet er sich mit der kreisförmigen Anordnung des Systems von Nocera (Abb. 6)
in einer stattlichen Anlage in Milet, auf deren Bestimmung als Baptisterium freilich die kleine
Apsis in der Ostwand nur einen zweifelhaften Hinweis bietet. Das Oktogon mit entspre-
chender Säulenstellung aber lag bereits im lateranensischen Baptisterium vor, in dem die
römische Tradition Konstantin die Taufe empfangen läßt. Aber erst in der Folgezeit, nicht
bei seiner Stiftung, die mit dem Umbau der Basilika (S. 237) Zusammenhängen mag, hat es
seine Innenarchitektur erhalten. Die leider völlig
entstellten hexametrischen Inschriften am Gebälk
der acht Porphyrsäulen, mit denen das in Barock-
formen erneuerte Bassin umstellt ist, nennen Six-
tus III. als Erbauer. Ursprünglich konnte jeden-
falls nur wie heute ein Zeltdach auf den Außen-
mauern liegen, da diese für eine Kup-
pel zu schwach sind. Dagegen erhob
sich im Neubau Sixtus’ III. nach alten
Zeichnungen (Abb. 241) bis in die Zeit
Pauls III. auf Bogen, welche das Ge-
bälk der Säulenstellung entlasteten
und in den gewölbten Umgang ein-
schnitten, ein Tambour und eine (wohl
erneuerte) Kuppel. Erhalten ist die
beiderseits durch Apsiden abgeschlos-
uv* f.vrtruiijr^u '
sene Vorhalle, von den Anbauten
Abb. 241. Das Baptisterium im Lateran (Rom), System zur Hilarius’ I. (*{■ 467) aber, die noch
, . r^eit ^au!f (nach
dasDehio
Skizzenbuch
und v. Bezold, a.Bramantinos
a. O.). 0 1 zeigt,
Tafel XVI

Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna


(S. Giovanni in Fonte)
FORTBILDUNG DES OKTOGONS IN KLEINASIEN 251

nur das kreuzförmige Oratorium des Evangelisten Johannes sowie das des heiligen Stephanus
(S. Venanzo).
Der innere Stützenkranz an sich war schon der konstantinischen Baukunst im Achteck-
bau so wenig wie in der Rotunde ein fremder Gedanke. Er hatte sogar schon im soge-
nannten Oktogon von Antiochia eine viel großartigere Verwirklichung gefunden (331 n. Chr.).
Diesen hochbedeutsamen Bau, wohl die älteste großräumige Kuppelkirche, beschreibt Eusebius
eingehend genug, um erkennen zu lassen, daß ihr Stützensystem sowohl von apsidalen und
rechteckigen Umräumen, durch die der Umgang, wenn nicht gar der innere Raum, erweitert
wurde, als auch von einer darüber befindlichen Empore umgeben war. Die Kuppel dürfen
wir auch ohne ausdrückliche Erwähnung für ihn voraussetzen. Seinen vorbildlichen Einfluß
spüren wir bis nach Byzanz und Ravenna (Teil II). Als einen Bau höherer Ordnung von
zentralem Typus wird man sich auch das um 370 errichtete „Große Baptisterium“ von Edessa
vorzustellen haben, wenngleich es zweifelhaft bleibt, ob es dem oktogonalen oder dem System
der gegliederten Rundkirchen wie S. Constanza zuzurechnen sei. Dasselbe gilt von der uns
nur noch aus einer Beschreibung (von 1510) bekannten großen Marienkirche von Amida vom
Anfang des 6. Jahrhunderts. Aber auch ein Blick auf die Denkmäler des Memorialbaues
im benachbarten Kleinasien zeigt bis in die Grenzgebiete Mesopotamiens hinein parallele
Bestrebungen. Hier erscheint das Oktogon durchaus typisch für den inneren Aufbau, in Verbin-
dung mit achtseitigem (bezw. polygonalem) oder selbst kreisrundem Abschluß der Außenansicht.
Die rasch fortschreitende liturgische Entwicklung (S. 245) bedingt, daß nur ausnahmsweise
die Apsis fehlt und das Altargrab vielleicht noch die Mitte einnimmt (Hierapolis), während
sie öfter einer der Achteckseiten angeschlossen wird, so z. B. in Isaura, Bimbirkilisse (bzw.
Derbe) und wohl auch in Soasa. Wo der Umgang Gewölbansätze bewahrt, sind vielleicht
Emporen vorauszusetzen. Am nächsten kam dem antiochenischen Vorbilde ein gleichfalls
vom Erdboden verschwundenes Martyrion, das der Vater und Amtsvorgänger Gregors von
Nazianz um 374 n. Chr. erbaut hatte und das der Sohn in seiner Ge-
dächtnisrede beschreibt. „Auf acht geraden, gleichlangen Seiten kehrt
er (der Tempel) in sich zurück; in die Höhe strebt er mit den schönen
Säulen und zweistöckigen Hallen, sowie mit den über ihnen ruhenden
Bildwerken usw.; mit der Kuppel strahlt er von oben herab, um-
leuchtet mit reichen Quellen des Lichtes die Augenwunder, als wäre
er wirklich des Lichtes Wohnstatt.“ Solche Worte bekunden zugleich
die bewußte Hingabe an die Stimmungswerte des Bautypus (S. 244).
Ein Oktogon, das allem Anschein nach über den Tonnengewölben des
Umganges Emporen trug, ist uns in älteren Aufnahmen aus Polemona
bekannt, eine noch reicher ausgestattete Anlage aber dank neueren
Forschungen aus dem mesopotamischen Konstantina (Wiranschehr).
Aus den Resten der breitovalen Umfassungsmauer und den zwei
aufrecht stehenden gewaltigen Innenpfeilern ist der Grundriß und
...

Aufbau mit nahezu voller Sicherheit zu erschließen. Er verrät die


klare Absicht, durch den Kuppelraum ein Langschiff hindurchzulegen,
wie sie sich als eine Folgewirkung des Anschlusses der Apsis sogar
bei einstöckigen Zentralbauten beobachten läßt (Derbe): also die Abb. 242. Kreuzförm.
Gedächtniskirche zum Gemeindehaus zu entwickeln. In Wiranschehr Oktogon(Bimbirkilisse)
wird das erreicht, indem die Empore sich teilt und die beiden in (nach Holtzmann, a. a. O.).
252 DAS KREUZFÖRMIGE OKTOGON

der Hauptachse liegenden Bogen in voller Höhe offen stehen. Gleichzeitig oder vielleicht
etwas später empfand man das Bedürfnis, der Apsis einen um drei Joche verlängerten Altar-
raum vorzulegen.
Das Martyrion von Konstantina, dessen Entstehung kaum vor die dortige Bautätigkeit
Justinians (Teil II) fällt, reiht sich durch seine drei Portalvorhallen, von denen die größte die
Richtung des Schiffes aufnimmt, während die beiden seitlichen die Querachse betonen, soweit
hier das durchlaufende Obergeschoß sie hervortreten läßt, zugleich einer anderen Entwicklung
ein. Noch früher dringt, wie bei der Rotunde, so auch beim Oktogon das Kreuz in die Plan-
gestaltung ein, z. B. in Bimbirkilisse, bei einem kleineren, des inneren Stützensystems gänz-
lich entbehrenden Martyrion (Abb. 242) — mit dem Unterschiede, daß sich die Kreuzarme
dort dem bescheidneren Raum fast als gleichwertige Gebäudeteile angliedern, wobei sie und
die fünfteilig abgeschlossene Apsis zur Verbreiterung im Grundriß über Eck gestellt sind-
Aber schon lange zuvor —, denn auch das Oktogon von Bimbirkilisse gehört wohl mit der
Mehrzahl der umliegenden Basiliken (S. 233/4) einer vorgerückten Epoche an, — war eine
vollkommenere Lösung der Aufgabe gefunden, in einem leider wieder nur aus literarischer
Quelle nachweisbaren Bau. In seinem Brief an den Bischof Amphilochios von Ikonium ent-
wirft Gregor von Nyssa (f 394) in rhetorisch gefärbter, aber durchaus sachlicher Ausführung
das Bauprojekt einer kreuzgestaltigen Märtyrerkirche, zu deren Herstellung er geschulte
Werkleute und Baumaterialien erbittet. Dem Oktogon, dessen von einer Spitzkuppel über-
wölbter Tambour auf einer im Achteck geordneten Säulenstellung zu ruhen kam, sollten sich
in den Diagonalachsen Muschelnischen, in den Hauptrichtungen aber rechteckige Räume an-
schließen, von denen einer wohl mit der Apsis ausgestattet zu denken ist. „Die Verbindung
der Räume ist“ nach Gregors Worten „so hergestellt, wie man es durchgängig bei dem
kreuzförmigen Grundriß findet.“ Und doch ist dieser gewiß nicht erst aus dem Oktogon
entwickelt, vielmehr ist das letztere offenbar erst mit dem älteren Schema verquickt worden,
das als Abart des Trichorum (S. 27/8), dem wir noch in Bimbirkilisse begegnen, durch Um-
setzung eines orientalischen Grufttypus in einen Freibau entstanden ist, — um die Kuppel zur
Überwölbung der Vierung verwendbar zu machen. Finden sich doch einzelne Beispiele von
einfacherer Gestaltung noch aus spä-
terer Zeit, wie das berühmte Mauso-
leum der Galla Placidia in Ravenna,
das nach den neuesten Untersuchun-
gen erst in der zweiten Hälfte des
5. Jahrhunderts von einem unbekann-
ten Stifter der Kreuzesbasilika(S. 242)
angefügt worden ist. Hier bedeckt
eine Hängekuppel (bzw. eine Art
Kreuzgewölbe, das auch eine ähn-
liche Anlage neben S. Maria For-
mosa in Pola aufweist) den viersei-
tigen Mittelraum.
Daß das Oktogon eine gleich-
artige Verbindung mit der kreuzför-
migen Basilika (S. 228 ff.) eingegan-
Abb. 243. Baptisterium in Kalat Seman, Nord- und Westseite. gen ist, läßt sich »weder durch ein
BASILIKALE FORTBILDUNG DES ZENTRALEN BAUTYPUS 253

erhaltenes Bauwerk, noch durch ein unzweifel-


haftes Zeugnis beweisen, wohl aber wurde es
durch Annäherung an die basilikale Bauform
zum Grundelement eines neuen Bautypus. Voll-
endet sich auch das System des letzteren erst
unter byzantinischer Führung, so setzen sich
doch auch auf syrischem und kleinasiatischem
Boden die Bestrebungen fort, welche das Okto-
gon von Wiranschehr so deutlich verrät, ja sie
bilden die unmittelbare Vorstufe für die weite-
ren in Konstantinopel erfolgenden Fortschritte.
So unentbehrlich waren die Nebenräume des
Presbyteriums in syrischen Basiliken für die
neuen Formen des Gottesdienstes geworden,
besonders für den sogenannten großen Einzug
der Priester und Diakonen mit den heiligen
Gaben aus der Prothesis durch den Naos in
den Altarraum, während dessen der feierliche
„Cherubimgesang“ erschallt, daß wir in Mud-
jeleia selbst in einem Baptisterium den unvoll-
ständigen Stützenkranz des Oktogons mit dem
Rechteck des dreiteiligen Bema zusammenge-
Abb. 244. Kirche des heiligen Georgios (Esra),
schlossen sehen. In Miräjeh ist dieses dem durch-
Grundriß und Schnitt (1:400)
gebildeten Achteck und in der Erzengelkirche (nach de Vogüe, a. a. O. I).
in Falul (a. d. J. 527) sogar einer Rotunde
angegliedert. Besser vermittelt erscheint der Anschluß desselben an zwei bedeutenden Zentral-
bauten im Hauran, von denen der eine in Bosra laut Inschrift im Jahre 511 den Heiligen
Sergius, Bakchos und Leontius geweiht, der andere in Esra durch den Presbyter Johannes
im Jahre 515 dem heiligen Georg erbaut wurde, der ihm zuvor in einer Vision erschienen
war. Hier (sowie in einem quadratischen Bau in II Anderin) ist ein dreiteiliges, dort gar
ein fünfteiliges Presbyterium an das durch Ecknischen, von denen die östlichen zu den Pasto-
phorien Zutritt gewähren, zum Quadrat ergänzte Bauschema angerückt, das bereits im
Baptisterienbau typische Geltung gewonnen hatte (S. 249). So ist schon die am Südende
der Mandra (S. 213/4) gelegene Taufkirche in Kalat Seman mit einer größeren Apsis und
einem (heute halbverfallenen) äußeren Umgang (Abb. 243) ausgestattet, doch fehlen ihr noch
die Nebenräume des Bema und das innere Stützensystem. Letzteres sowie der darüberliegende
Aufbau zeigt in Esra und Bosra nicht unwesentliche Verschiedenheiten.
In Esra haben wir es mit einem reinen Oktogon zu tun, an das sich ein mit Steinplatten flach ein-
gedeckter Umgang anschließt (Abb. 244). Durch Überkragung wird es in das Sechzehneck und dann in ein
Zweiunddreißigeck übergeführt. Die helmförmige, aus Bruchstein aufgemauerte Kuppel freilich von ausgeprägt
orientalischem, fast spitzbogigem Profil verdankt ihre Entstehung einer späteren, vielleicht sogar einer sehr
späten Erneuerung. Daß aber eine Kuppel (und nicht etwa ein Zeltdach) von Anfang an gegeben war,
verbürgt die sorgfältige Überführung des Vielecks in den Kreis. Sie mag von ähnlicher Gestalt und in
der schon für das Martyrium in Nyssa (s. oben) durch Gregor bezeugten Technik der Ziegelwölbung
(„ohne Lehrgerüst“) hergestellt gewesen sein, die wir wohl für alle größeren Zentralbauten Syriens am
ehesten voraussetzen dürfen, wenngleich sie nirgends Überbleibsel hinterlassen zu haben scheint. Während
jedoch in Esra im übrigen der Bau wohlerhalten ist und noch heute seiner Bestimmung dient, bleibt das
254 ENTSTEHUNG DER KUPPELBASILIKA IN KLEINASIEN

System der Kirche von Bosra mehr oder weniger


zweifelhaft, da sie schon seit alters verfallen ist, hat
sich doch in ihren Ruinen noch eine kleine Basilika ein-
genistet, die später dem Bedürfnis der zusammenge-
schmolzenen Einwohnerschaft genügte. Diebedeutenden
Abmessungen sprechen immerhin zugunsten der Rekon-
struktion (von de Vogüe) mit einer umlaufenden Em-
pore. Wie dem Umgang, so war hier wohl auch dem
Tambour die Rotunde zugrunde gelegt, aber in der
Abstufung des konstruktiven Systems im Stützenkranz
und in der erweiterten Grundrißbildung blickte doch
anscheinend das Oktogon durch. Als technische Be-
sonderheit des syrischen Hausteinbaues fällt die reich-
liche Verwendung der verzahnten Quaderfügung auf.
Ein noch stärkerer Ausgleich zwischen
Abb. 245. Zentralbau (Mausoleum?) in Rusapha,
Grundriß zentraler und basilikaler Anlage als in Syrien
(nach Sarre u. Herzfeld, Monatsh. f. K.-Wiss. 1909). ist in zwei Baudenkmälern Mesopotamiens er-
zielt worden, wenngleich anscheinend unter Ver-
zicht auf die Kuppel, an deren Stelle wohl eine Holzkonstruktion vorauszusetzen ist, so daß
man hier eher von der Erweiterung einer Basilika zum Zentralbau zu sprechen berechtigt
ist. In einer der Sergiusbasilika (S. 216) gleichzeitigen Kirche in Rusapha, in der wir viel-
leicht das Mausoleum des Heiligen zu erkennen haben, schließt sich an das zusammen-
hängende dreiteilige Bema ein gestrecktes Rechteck von entsprechender dreischiffiger Raum-
gliederung an, dessen Mauern an allen drei Seiten in der Mitte flach ausgebaucht sind (Abb.245).
Die Scheidemauern im Inneren wiederholen diese Grundrißbildung in kleinerem Maßstabe,
doch scheinen ihre Ausbauchungen nicht aus geschlossenen Wänden, sondern eher aus halb-
kreisförmigen Säulenstellungen bestanden zu haben. Das Ganze mutet wie ein mit basilikalen
Nebenschiffen und verbindendem Innennarthex ausgestattetes Trichorum an, dem eine Apsis
mit Nebenräumen angefügt wurde. Die geringe Mauerstärke läßt aber auch für das Mittel-
schiff nur auf Bedeckung mit einem Dachstuhl schließen. Ein zweites Beispiel dieses eigen-
artigen Bautypus von noch größeren Abmessungen scheint in der jakobitischen Marienkirche
von Amida vorzuliegen, von dem sich jedoch nur der ursprünglich wohl mit einer Kuppel
über oktogonaler Pfeilerstellung überwölbte quadratische Raum vor der Apsis sowie einzelne
Reste der geschweiften Außenmauern des großen Baukörpers erhalten haben. Der in diesen
Fällen verwirklichte Baugedanke aber ist schwerlich im Zweistromlande geboren, sondern
weist eher, wie die basilikale Architektur dieses Gebiets (S. 216 ff.), auf Antiochia zurück.
Dann erklärt sich vielleicht auch die ähnliche, im Abendlande völlig einzigartige Bauge-
staltung von S. Lorenzo in Mailand, aus einer ursprünglichen Anlage desselben antiochenischen
Typus, die erst später zur Kuppelkirche (Teil II) ausgebaut wurde. Aber auch die Kuppel
ist in Syrien schon in altchristlicher (wenn nicht in frühislamischer) Zeit mit der Basilika
in enge Verbindung gesetzt worden und zwar in dreifacher Zahl zur Bedeckung des Haupt-
schiffs in einem später zur Medresseh(-Halebijeh) umgestalteten Bau in Aleppo. Steht dieser
auch für sich da, so waren die Voraussetzungen für ihn doch durch eine Entwicklung ge-
geben, die wir seit dem 5. Jahrhundert sich in Kleinasien anbahnen sehen.
Entschiedenen Fortschritt in dieser Richtung läßt wohl zuerst ein Monumentalbau in
Koja Kalessi (Isaurien) erkennen, der einen gewissen Anspruch auf den Namen einer Kuppel-
basilika erheben darf. In ihm ist einem praktischen und ästhetischen Bedürfnis Genüge
DENKMÄLER DES NEUEN MISCHTYPUS 255

j._t_c_:_
geschehen, das sich im basilikalen Bautypus seit |

Einführung der Emporen geltend machen mußte. 1 UrtnU


f/ül
Tr w
Sobald der Lichtgaden durch die Emporen in seiner j
-1 s-
Erhebung beeinträchtigt wurde (S.230 u. Abb. 229), ’S“

konnte er die Nebenschiffe nicht mehr ausreichend y , , ‘v[_


erhellen. Mit der stärkeren Durchbrechung der w ® ff
i j? (M

Außenwände, zu der man sich in Syrien und in


Kleinasien bald entschlossen hat, wurde andrer- i

' .-mS
seits das ästhetische Übergewicht der beherrschen-
den mittleren Lichtbahn über die im Halbdunkel
liegenden Seitenschiffe noch mehr abgeschwächt.
Einer stärkeren Überhöhung des Mittelschiffs in
seiner ganzen Länge aber standen konstruktive
Bedenken entgegen. Es lag um so näher, auf einem
anderen Wege Abhilfe zu suchen, als der Kunst-
geschmack des Ostens immer mehr dahin zielte,
die Tiefenachse dem Höhenlot unterzuordnen. Zwei-
fellos hat die ästhetische Wirkung der Kuppel zu
ihrer Einfügung in den basilikalen Aufbau einen
ebenso starken Anstoß gegeben, wie der Übelstand
der verminderten Lichtzufuhr. Daß sich aber da-
Abb. 246. Kuppelbasilika (Koja Kalessi),
mit ein neues, nicht leicht zu bewältigendes kon- Grundriß und Schnitt
struktives Problem auftat, liegt an der ältesten (nach A. C. Headlam, Journ. of hell. Stud. Suppl. Pap. II).

erhaltenen Kuppelbasilika zu Koja Kalessi (Abb.


247) in Isaurien klar zutage. Sie gehörte einem Kloster an, von dessen Gebäuden noch
manche Reste, so z. B. das prächtige Schmuckportal der Umfassungsmauer (Abb. 126) auf-
recht stehen, ln der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts dürfte, nach den dekorativen Baugliedern
zu schließen, die Kirche errichtet sein.
Ihr Hauptschiff setzt sich aus zwei an die monumentale Fassade angeschlossenen, mit Steinplatten
über hufeisenbogenförmigen Gurtbogen gedeckten Jochen und einem gleich langen Mittelraum zusammen.
Dann folgt ein Querschiff und die von Nebenräumen umgebene eingebaute Apsis, während die innerhalb
Kleinasiens hier zum erstenmal vertretenen Nebenapsiden (Abb. 211 u. 217) vor das erstere, d. h. an die Enden der
Seitenschiffe verlegt sind. Über diesen liegen Emporen, über ihren Obermauern aber erhebt sich im Mittel-
raum noch ein turmartiger Aufbau, der keine andere Bestimmung haben konnte, als eine Holzkuppel oder
ein Zeltdach zu tragen. Durch Ecknischen, die mit Hilfe auf vorgekragten Konsolen stehender Säulchen
hergestellt sind, wird zunächst die Überführung des Rechtecks in das Achteck bewerkstelligt, ein Verfahren,
das eine unverkennbare Übereinstimmung mit dem typischen Bauschema der Baptisterien (S. 249) verrät und
wohl auf eine weit verbreitete hellenistische Bauweise zurückgeht. Die geringe Mauerstärke des Turmes und
das Fehlen von Bauschutt aber machen es unwahrscheinlich, daß der erstere wirklich ein Kuppelgewölbe
aus Ziegeln oder gar aus Mauersteinen trug.
Ein Schwesterbau der Basilika von Koja Kalessi ist bis heute noch nirgends zweifelsfrei
nachgewiesen. Zweifelhaft bleibt jedenfalls die konstruktive Einfügung der Kuppel auch in
der ungefähr gleichzeitigen Kirchenruine von Jürme (Galatien), von der leider nur der Narthex
hinter der bemerkenswerten Fassade und die wohl schon eingewölbten ersten beiden Joche
in besserer Erhaltung dastehen. Viel eher dürfen wir ungeachtet der noch stärkeren Zer-
störung bei einem Bau in Alaya Kilisse (Lykien) aus Ansätzen von seitlichen Tonnengewölben
an der Stirnwand der Apsis sowie aus ihrem verhältnismäßig kurzen Abstand von der (bis auf
256 VERMITTLUNG DER KUPPEL MIT DEM QUADRAT

Abb. 247. Doppelkirche mit Atrium (Ephesus), Grundriß


(nach Knoll, Jahresh. d. öslerr. archäol. Inst. 1907).

die untersten Schichten verfallenen) Frontmauer auf einen richtigen Kuppelbau von basilikaler
Anlage zurückschließen, dessen Entstehung nach Ausweis der Kapitelle und anderer Zierglieder
ebenfalls noch in das 5. Jahrhundert fallen muß. Und der zweiten Hälfte desselben gehört
in der Tat bereits eine vollentwickelte Kuppelbasilika in Meriamlik an, wo sich zwischen der
flachgedeckten Vorderhälfte der Kirche und der Apsis der von tonnengewölbten Nebenschiffen
umgebene quadratische Kuppelraum einschiebt. Dieser Bau aber ist mitsamt seinem Narthex
und vorgelegten Atrium, das auf der Westseite durch einen zweiten, halbkreisförmigen Vorhof
abgeschlossen wird, von ganz einheitlicher Zusammensetzung und stimmt zugleich in seinen
Zierformen mit dem vom Kaiser Zeno (f 491) gestifteten Neubau der Theklabasilika (S. 232)
völlig überein. So entsteht die Frage, ob die Einfügung der Kuppel in den basilikalen Aufbau
nicht schon dem Eingreifen der byzantinischen Baukunst zu verdanken sei. Ein solcher Zweifel
gewinnt vollends einem Denkmal gegenüber an Berechtigung, in dem uns der ausgereifte Bau-
typus vor Augen steht und das doch noch einige Züge mit der Zenonischen Kuppelbasilika
gemein hat. Mit einer solchen Anlage, die sichtlich in einem Zuge vollendet wurde, haben
wir es bei der großen Marienkirche von Ephesus zu tun (Abb. 247). Ihr Name ist durch
die Inschrift eines Bischofs Hypatios aus der Zeit Justinians gesichert, nicht jedoch die gleich-
zeitige Entstehung, da die nachträgliche Anbringung derselben neben dem Hauptportal nicht
ausgeschlossen ist. Andrerseits wird man ihr System schwerlich hinter den Bau von Meriamlik
zurückschieben dürfen, nimmt doch die Kuppel hier bereits die zentrale Stellung ein. In der
Hauptachse wurde sie beiderseits augenscheinlich schon von breiten Tonnengewölben gestützt,
während der Seitenschub der mächtigen Tragepfeiler wie dort auf die tonnengewölbten schmalen
Seitenschiffe abgeleitet wurde. Reicher gegliedert und zugleich konstruktiv verstärkt durch
gewölbte Nebenräume erscheint auch das Bema, dem Narthex aber legt sich wieder ein Atrium
mit halbkreisförmiger, über seiner Bodenfläche erhöhter und von engen Seitenkammern um-
gebener Apsis auf der Gegenseite vor, dessen Erstreckung freilich die Maße desjenigen von
Meriamlik um so mehr übertraf, als der zweite Narthex erst zugleich mit den jüngeren Ein-
bauten von ihm abgesondert worden ist.
Der wichtigste Punkt der Konstruktion bleibt leider sowohl in Meriamlik wie in Ephesus
unaufgeklärt: die Frage nämlich, in welcher Weise diese Kuppeln von beträchtlicher Spann-
weite mit der Aufstellung der Pfeilerstützen im Quadrat vermittelt waren. Eine Möglichkeit
würde die Annahme bieten, daß sie schon hier auf durchgebildeten Hängezwickeln auflagen,
was freilich eine Errungenschaft zur Voraussetzung hätte, die sich weder in Byzanz noch in Klein-
URSPRUNG UND VERBREITUNG DER ECKNISCHEN — LITERATUR 257

asien an Monumentalbauten vor der justinianischen Zeit nach weisen läßt. Zwar ist unbestreit-
bar diese Lösung schon an heidnischen Bauten der Kaiserzeit, in denen ein zentrales Quadrat
sich nach allen vier Seiten in Bogen öffnet (in Musmieh, Gerasa u. a. m.), gefunden und im
kreuzgestaltigen christlichen Bautypus (S. 252) fortgebildet worden, der sich gelegentlich
durch vier eingeschobene Eckräume im Außenbau zum Rechteck erweitert (Aladja Jaila), aber
dann handelt es sich bestenfalls um sogenannte Hängekuppeln von kleinem Durchmesser. Der
altchristliche Ursprung größerer kleinasiatischer Kreuzkuppelkirchen (z. B. in Sardes und
Philadelphia) hingegen (bezw. der konstruktive Aufbau selbst) steht nirgends außer Zweifel.
Ein anderer Erklärungsversuch nimmt deshalb für die Kuppelbasilika als typische Ecklösung
Trompen (Ecknischen) an, wie sie bereits in Koja Kalessi an dieser Stelle eingeschoben waren
(Abb. 236). Daß der Bautypus in dieser Gestalt von Kleinasien her noch in altchristlicher
Zeit tatsächlich eine weitreichende Verbreitung gewonnen hat, wird durch die Erhaltung zweier
ihm nahe verwandten Denkmäler in Mesopotamien sehr wahrscheinlich. Die Hadrakirche in
Majafarkin hat nach Grundrißbildung und Aufbau ihre nächsten Gegenbeispiele in den
byzantinischen Kuppelbasiliken des 6. und 7. Jahrhunderts (s. Teil II) und scheint sich ihnen
auch zeitlich mit ihrer dekorativen Architektur noch nahe anzuschließen. Wie ihre Kuppel,
die mitsamt den Hauptpfeilern eingestürzt ist, über dem Quadrat errichtet war, ist zwar nicht
mit Gewißheit auszumachen, aber aus einem gleichnamigen und kaum viel jüngeren Bau in
Kakh doch ziemlich sicher zu erschließen, obgleich dieser nach dem abweichenden Schema des
Trikonchos mit säulenumstellter Apsis, also wohl nach dem Vorbild der ägyptischen Kloster-
kirchen (S. 224), angelegt ist. Hier ist noch der ursprüngliche tamburartige quadratische
Baukörper über der Vierung bis zum Dachansatz erhalten und im Innern mit den Ecknischen
ausgestattet, mag er nun vor der leider seit einigen Jahren erneuerten Steinkuppel schon ein
altes Kuppelgewölbe oder ein Zeltdach getragen haben. Aber man wird nicht so weit gehen
dürfen, diese Art der Ecklösung, die in der islamischen Architektur später allgemeine Auf-
nahme findet, deswegen von den primitiveren Trompen von kegelförmigem Durchschnitt der
sassanidischen Paläste (Firuzabad und Sarvistan) abzuleiten, die nur ein ähnliches Auskunfts-
mittel, wenn nicht gar eine Nachahmung der antiken Form in anderer Bautechnik, darstellen.
Für den Zentralbau im allgemeinen vgl. die grundlegende Typenscheidung bei G. Dehio und G. v.
Bezold, Die kirchl. Bau-K. d. Abendlandes, Stuttgart 1884, S. 18ff. (mit d. ält. Lit.), sowie die Zusammenfas-
sung auf Grund der neueren Forschung bei Diehl, a.a. O. S. 33 ff. u. 86 ff.; Sybel, a.a. O. II, S. 306 ff. und Kaufmann,
a. a. O., S. 215 ff.; den Gebrauchzweck betreffend P. Kirsch, Die Christi. Kultgebäude im Altertum, 1908 und
Leclercq bei Cabrol, a. a. O. II, 1, c. 382—469 (Baptistere) ; zur ästhetischen Würdigung Riegl, a. a. O., S. 24 ff.
u. 34 ff., und Schmarsow, a.a. O., S. 196 ff. Von den konstantinischen Rundkirchen haben die Anastasis
und das kaiserliche Mausoleum weitere Erörterungen hervorgerufen, besonders durch Baumstark, Or. Christ.
V, S. 255 ff. und Heisenberg, a. a. O. I, S. 164 ff. und II, S. 106ff.; vgl. auch meine Gegenbemerkungen,
Byz. Zeitschr. 1908, S. 549 und (S. Stefano Rotondo betreffend) S. 555 ff. Im einzelnen gibt über die er-
haltenen Denkmäler Syriens, Kleinasiens usw. die oben (S. 218 und 235) zusammengestellte Spezialliteratur
Auskunft. K. Friedenthal, Das kreuzförmige Oktogon, Karlsruhe 1908, bietet neben einer guten Würdigung
des Baues von Bimbirkilisse eine von B. Keil bei Strzygowski, Kleinasien usw., S. 77, erheblich abweichende
Rekonstruktion des Martyrion vou Nyssa, die jedoch kaum von derjenigen Lethabys und unabhängig auch
von mir in der Byz. Zeitschr. 1904, S. 556 ff. begründeten mit zentralem Stützenkranz den Vorzug verdient.
Die Voraussetzung dieser Bauform für die konstantinische Apostelkirche u. a. Monumentalbauten ist durch
E. Weigands Interpretation der Quellen (s. oben S. 235) hinfällig geworden. Daß die Überführung des
Quadrats durch die Kuppel mittels Ecknischen in den ägyptischen Klosterbauten ursprünglich sei, ist durch
die neuesten Untersuchungen von Somers Clarke (s. oben S. 227) widerlegt. Strzygowskis Hypothese über
den Ursprung der Kuppelbasilika aus der Klosterkirche, der ich noch a. a. O., S. 560 zustimmen konnte, ver-
liert dadurch ihre wichtigste Stütze und läßt sich so wenig wie die „Persische Trompenkuppel“, Zeitschr.
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 17
258 SYRISCHER HAUSBAU UND ALTCHRISTLICHE KLOSTERANLAGE

für Gesch. der Archit., 1909, S. 1 ff. gegen die Einwände von E. Herzfeld, Orientalist. Lit. Zeitg., 1911,
S. 397ff. (auch die Bauten von Rusapha und Amida betreffend) aufrecht erhalten. Die neueste Nachprüfung
der Frage durch J. Rosintal, Pendentifs, Trompen und Stalaktiten, Berlin 1912 (Diss.), hat wohl den kon-
struktiven Unterschied der verschiedenen Ecklösungen klargestellt, die genetische Abhängigkeit der alt-
christlichen (bzw. hellenistisch-römischen) Ecknische von der persischen Trompe aber nicht erwiesen.

3. Der altchristliche und spätantike Profanbau.


Während das römische Haus noch im 4. Jahrhundert in Plangestaltung und Bedeckung
die Fortdauer antiker Tradition erkennen läßt (S. 59/60) und die Palastbauten der Kaiser-
zeit in Rom dem verminderten Bedürfnis vollauf genügten, nimmt in den führenden Kunst-
provinzen des Orients auch der Profanbau im Zeichen des Christentums einen neuen
Aufschwung. Die verödeten Städte Syriens bieten uns das Bild einer hochentwickelten und
bei aller Mannigfaltigkeit in der Gruppierung der Gebäude typisch orientalischen Haus-
architektur. In dieser herrscht dieselbe reine Hausteintechnik vor, welche den syrischen
Basiliken ihr Gepräge gibt, doch bestehen wieder gewisse Unterschiede zwischen den Bau-
typen des Nordens (Abb. 248) und der südlichen Landschaften. Hier erreicht die mitunter
(z. B. in Medjel und Safijeh) turmartige, mehrstöckige Anlage im Hinterhause sogar die
Zahl von vier Geschossen, denen in gleicher Höhe zwei an der Front entsprechen (Um
Djemal). Die Loggien und die offenen Säulen- und Pfeilervorhallen zu ebener Erde finden
sparsamere Verwendung. Im nördlichen Syrien hingegen wurde diese weniger geschlossene
Bauweise, zu der auch außen angebaute Treppen gehören, bevorzugt (Kerratin, Serdjilla,
Dellosa u. a. m.). Das Haus selbst legt sich durchgängig mit seinen Wohnräumen und Neben-
gebäuden um drei oder vier Seiten eines Innenhofes herum (Abb. 205 u. 207) und besitzt meist
nur ein den Frauen und Kindern vorbehaltenes Obergeschoß. Das Ganze erinnert durch
diese Zusammensetzung an das altägyptische Haus mit seinem im Hofviereck allseitig von
Wirtschaftsräumen umgebenen Wohngebäude.
Dasselbe Schema hat in altchristlicher Zeit eine vorbildliche Bedeutung für den Klosterbau
der morgenländischen Kirche weit über die Grenzen Ägyptens hinaus gewonnen. Daß die
ersten Siedlungen der Mönche (Lauren) eine entsprechende Anlage hatten, wird freilich wohl
eine auf Rückschlüssen beruhende Vermutung bleiben. In der Mehrzahl der erhaltenen großen
altchristlichen Klosteranlagen fällt der Hof noch nicht, wie im mittelalterlichen byzantinischen
Klosterbau (und wie in Daphni
bei Athen anscheinend seit der
Gründung im 5. Jahrhundert) mit
dem befestigten Peribolos zusam-
men, dessen nur städtische oder
kleinere Klöster (Abb. 213) ent-
behrten. In Syrien schließt er sich
in der Regel einer Seite der Kirche
an und ist an den anderen um-
geben von den Wohngebäuden, bei-
spielsweise sogar in der Mandra
von Kalat Seman (Abb. 211), wo
diese zum Teil eine Höhe von drei
Abb. 248. Syrisches Haus (Mudjeleia) (Rekonstr. nach de Vogue a.a.o. i). Stockwerken hatten (ihre Bestim-
NUTZBAUTEN UND BEFESTIGUNGEN IM ORIENT 259

mung im einzelnen ist noch unklar). Ähnlich war anscheinend auch die ursprüngliche
(im 8. Jahrhundert veränderte) Anordnung im Jeremiaskloster in Sakkarah, während in der
Menasstadt die Koinobien mit ihren Wirtschaftsräumen gesonderte Baugruppen im Norden
der Doppelbasilika bildeten. Dagegen lagen in den großen oberägyptischen Klöstern bei
Sohag (S. 224) und Bawit Zellen, Memorien und Vorratshäuser rings um die Basiliken ver-
streut innerhalb der weiten (im Roten Kloster und in Bawit noch teilweise erhaltenen) Um-
fassungsmauer. In Assuan waren die Zellen teilweise in einem großen, auf einer höheren Ter-
rasse über der Kirche gelegenen und wie diese zur Verteidigung eingerichteten Hauptgebäude
vereinigt. Eine einzigartige Gruppierung endlich zeigt das Kloster von Thebessa, wo sie
die Basilika in dichtem Anschluß umgeben (Abb. 219) und die Wirtschaftsräume in einen
vor ihrer Front liegenden großen Hallenbau verlegt waren.
Eine neue, ebenso umfassende Aufgabe hatte die christliche Baukunst bei der Herstellung
ausgedehnter Absteigequartiere (Pandochien oder Xenodochien) besonders bei den vielbesuchten
Wallfahrtsstätten zu lösen. Hier wie dort gewann der Saalbau für Speiseräume, Kranken-
häuser u. a. m. eine bedeutende Entwicklung, nicht selten durch zwei Geschosse hindurch.
Hier wie dort wurde durch ausgemauerte offene Teiche (Abb. 219) oder gedeckte Behälter
(Abb. 213) eine reichliche Wasserversorgung geschaffen. Vor allem besitzt Syrien mehrere
großartige Herbergen dieser Art in Deir-Seman, Turmanin, Dana. Im Abendlande wurde ein
(leider wieder verschüttetes) Xenodochium (wohl des Pammachius) in Porto in den sechziger
Jahren aufgedeckt. Von den durch Konstantin d. Gr. bei der Apostelkirche gestifteten Wohl-
tätigkeitsanstalten vollends in Byzanz geben nur die Schriftquellen Kunde. Antike Lebens-
gewohnheit und Bautradition bestimmt noch in stärkerem Maße die Badeanstalten, wie sie
uns besonders in Syrien durch die im Jahre 473 erbauten stattlichen Thermen von Serdjilla
(Abb. 207) und eine bescheidenere Anlage in Mudjeleia bekannt sind. An der Südseite des
Auskleidesaales mit eingebauter Musiktribüne befinden sich dort das Tepidarium, das von
einer angeschlossenen Zisterne gespeiste Schwitz- und Warmbad und ein quadratischer Heiz-
raum. Eine benachbarte zweistöckige Loggia, das sog. Cafe, gehörte wohl als Unterhaltungs-
raum dazu. Im Heilbad der Menasstadt war der große Saal einerseits von den über einem
Heizkeller gelegenen Hypokausten, auf den übrigen Seiten aber von den halbkreisförmigen
Piscinen umgeben, die noch in das Südschiff der anliegenden, zwei Schöpfstellen enthaltenden
Basilika (S. 222) Übergriffen.
Ihre mit Eck- und Tortürmen besetzten Mauern haben die großen Klöster, wenigstens
in Syrien (Abb. 211), dem römischen Festungsbau entlehnt, bildeten sie doch selbst vielfach
Stützpunkte an gefährdeten Stellen des Landes. Als Vorbilder lagen die am Wüstensaum
entlang bis gegen Arabien vorgeschobenen Grenzkastelle des Limes nahe genug, von denen
sich mehrere noch gut erhalten haben (II Habat, Kasr il Abiad, Kasr il Bacik, Der il Kahf,
el Kastal u. a. m.). Sie sind durchgehends nach demselben Plan als befestigte, von einem
Graben umgebene Lager angelegt, und zwar im Quadrat, das zum mindesten an den Ecken,
manchmal aber auch dazwischen durch vortretende rechteckige Türme verstärkt wird und
sich in den Hauptachsen in zwei oder vier Toren öffnet. Mitunter erscheint dieser Typus
bei größeren Verhältnissen durch eine den hellenistischen Städten mit ihren Hallenstraßen
(S. 209) nachgebildete Innenarchitektur bereichert, so schon in Schehbeh (um 249) und im
Lagerkastell Diokletians bei Palmyra. Er hat noch den ommajadischen Kalifen bei der
Erbauung ihrer Wüstenschlösser (M’schatta, el Tuba u. a. m.) als Muster gedient. Zur Stadt-
befestigung (von 350 zu 250 Meter im Geviert) erweitert aber findet er sich schon am Anfang
17*
260 ANTIOCHENISCHER EINFLUSS IN RUSAPHA UND SPALATO

Abb. 249. Schmuckfassade des Nordtores von Rusapha


(nach Aufnahme von F. Sarre).

des 6. Jahrhunderts am Euphrat in Rusapha wieder. Als neue —vielleicht dem Backsteinbau
entstammende — Bauform springen hier an den Ecken Rundtürme vor, während größere
und kleinere vier- und einzelne dreiseitige abwechselnd die Mauern durchsetzen, hinter denen
auf Arkaden ein Wehrgang umläuft. Von den Toren haben die drei der Nord-, Süd- und
Ostseite ein größeres Vorwerk, bestehend aus einem von Seitentürmen eingefaßten Hof und
einer äußeren Tormauer mit einfachem Portal. Dem Nordtor ist vor den drei inneren Portalen
auf hohen (heute im Erdreich steckenden) Sockeln eine Schmuckfassade von fünf Säulenarkaden
ungleicher Scheitelhöhe (Abb. 249) vorgeblendet, eine zweifellos im hellenistischen Formen-
schatz der antiochenischen Kunst (S. 110) wurzelnde Dekoration. Ihrem ornamentalen Stil
nach erscheint sie und damit der gesamte Mauerzug den Kirchen im Innern der Festung
(S. 254) nahezu gleichzeitig.
Mit dem großartigsten erhaltenen Lagerkastell greift dieser Typus in das Abendland
hinüber. Der Diokletianspalast in Spalato (Abb. 250) spiegelt aber zugleich in seiner Gesamt-
anlage anscheinend den antiochenischen Palastbau dieses Kaisers getreuer wider, als man
bisher geahnt hat, verrät er doch in manchen Einzelgliedern, wie den Konsolsäulchen des
Haupt- (bzw. Goldenen) Tores (Abb. 250 unten) syrische Bauformen und tragen doch manche
Werkstücke orientalische Steinmetzmarken.
Während aber dort das kurz zuvor auf der Orontesinsel erbaute Schloß von einer Ringmauer um-
geben war, hat man in Spalato auf das Rechteck des Lagerkastells (von 215 zu 175 Meter im Geviert)
zurückgegriffen und dasselbe durch sehr starke Türme gesichert, von denen je zwei achteckige drei Tore
DIE ANLAGE DES DIOKLETIANSPALASTES IN SPALATO 261

Abb. 250. Diokletians Palast (Spalato), Längsschnitt, Grundriß und Aufbau der Nordfront
(nach Adam, bzw. de Beylie, L’habilation byzantine. 1902).
262 NEUGESTALTUNG VON BYZANZ NACH HELLENISTISCHEM VORBILD

flankieren. Nur dem vierten an der unmittelbar über dem Meeresufer aufsteigenden Südfront fehlen sie.
Die von den ersteren ausgehenden, von Pfeilerarkaden begleiteten Hauptstraßen teilen die Gesamtfläche in
zwei Hälften und halbieren wieder die nördliche von diesen, die wahrscheinlich jederseits von einem größeren,
als Kasernen und Werkstätten dienenden Gebäude eingenommen war, während ringsum an der Außenmauer
weitere Räume zur Unterbringung der Besatzung mit vorgelegten Arkaden herumliefen. In der Längsachse
führt die Hauptstraße südwärts vom Kreuzungspunkt in größerer Breite zwischen Säulenarkaden auf eine
Giebelfront mit dahinterliegendem mosaikgeschmücktem Kuppelsaal zu, der das Vestibulum des eigentlichen
Palastes bildete. Neuere Schürfungen haben in den Grundmauern die Verteilung der Räume innerhalb des
letzteren genauer erschlossen. Durch das in der Mittelflucht sich anschließende Tablinum wurde er in zwei
etwas ungleiche Baugruppen geschieden, von denen die westliche die Wohnräume des Kaisers, einen großen
Bibliothekssaal und die Thermen umschloß, der östliche die Gemächer der Kaiserin, ein Triklinium u. a. m.
Eine rückwärtige Verbindung zwischen beiden wurde durch einen an der Südmauer in voller Länge hin-
streichenden, gewölbten und mit einer luftigen Säulengalerie und Söllern überbauten Wandelgang hergestellt.
Von alledem ist fast nichts mehr über dem Erdboden erhalten wohl aber stehen noch auf dem breiten, von
Säulenstellungen umgebenen Vorplatz der Palastfront der schmucke kleine Juppitertempel am Westende und
ihm gegenüber das irrtümlicherweise dafür geltende Oktogon mit seinem (vermutlich einst überdachten)
Säulenumgang: — in Wahrheit wohl das kaiserliche Mausoleum.
Der profanen Baukunst waren die bedeutendsten Aufgaben in den neuen Hauptstädten
der beiden Reichshälften gestellt, aber sowohl in Konstantinopel wie in Ravenna stehen nur
noch spärliche Reste der kaiserlichen Paläste und anderer oberirdischer Anlagen aufrecht.
Ein Gesamtbild des alten Byzanz vermitteln uns einzig und allein die Beschreibungen der griechischen
Historiker in ihrer Beziehung auf die sicheren topographischen Anhaltspunkte der Örtlichkeit. Schon bei
der Neugründung der Stadt nach ihrer Zerstörung durch Septimius Severus im Jahre 196, vollends aber
bei ihrem Ausbau durch Konstantin d. Gr. sind die Prinzipien des hellenistischen Städtebaus zur Anwendung
gebracht worden, wenngleich die Einteilung in vierzehn Regionen vom alten auf das neue Rom übertragen
wurde. Die Hauptstraße, die sogenannte Mese, die sie als Triumphalweg fast in ihrer ganzen Länge durch-
schnitt, — noch heute ist ihr Straßenzug kaum verschoben —, fand ihren Abschluß beim Hippodrom durch
das Milion, ein Tetrapylon mit Kuppelbekrönung, wie es in Saloniki in seinem Triumphtor (S. 161), Palmyra,
Gerasa, Lattakieh und andere Städte des Orients besaßen. Sie kreuzte, von Siegesdenkmal zu Siegesdenkmal
fortschreitend, alle monumentalen Plätze der Metropole: das Forum des Arkadius und das Forum Tauri
mit den Säulen jenes und des Theodosius (S. 168) und zuletzt das konstantinische, an dessen Stelle noch
die „verbrannte Säule“ aufragt, welche ein für Christus ausgegebenes Standbild des Sonnengottes (S. 158)
trug, während die halbkreisförmigen Portiken, die statuengeschmückten Brunnen (S. 149) und der gewaltige
Rundbau des Senats mit seiner von einem mächtigen Bogen durchsetzten Tempelfront schon im frühen
Mittelalter untergegangen sind. Die zu beiden Seiten die Mese begleitenden ,,Troadensischen Säulenhallen“
waren in Backsteinmanier durch gereihte Kuppelgewölbe gedeckt. Solche Hallenstraßen aber kennen wir
durch die Beschreibung des Rhetors Libanius schon aus Nikomedia und Antiochia und aus den Städtebildern
der Mosaikkarte von Madaba (s. V. Kap.) Beim Milion, wo die Mese endete, schloß sich an das Hippo-
drom der große Kaiserpalast an. In der Beschreibung Prokops und späterer Schriftsteller freilich, vor
allem im Zeremonienbuch des Konstantin Porphyrogennetos, erscheint er bereits durch Justinian und die
nachfolgenden Kaiser dem gesteigerten Bedürfnis gemäß vergrößert. Die von Konstantin erbauten glän-
zenden Staatsgebäude seiner Hofhaltung aber verraten einen ähnlichen großen Zusammenhang wie die
Schöpfung Diokletians (s. oben).
Seine Hauptfassade kehrte der Palast dem an der Südseite der Agia Sophia gelegenen Augusteonplatze
zu, und zwar mit dem ,,Chalke“ genannten Teile, vor dem eine von einem zweiten Geschoß überhöhte Hallen-
front (Abb. 196) hinlief. Der Name war von dem ehernen Tor der dahinter liegenden Torhalle, die von
Justinian nach dem Nikaaufstände mit einer Kuppel wiederhergestellt wurde, auf den ganzen Bezirk über-
gegangen. In diesem waren den Prunkräumen des Gerichts- und Empfangssaales (Konsistorium) und des
Trikliniums der neunzehn Speisebetten die von Kirchen und Kapellen durchsetzten und von Höfen, darunter
dem sogenannten Tribunal, umgebenen Gebäude dreier die Palastbesatzung bildenden Truppenkörper, der
Scholarier, Exkubiten und Kandidaten vorgelagert, während der gewaltige Audienzsaal der Magnaura mit
dem ,,Throne Salomos“ auf einer sich ostwärts anschließenden Terrasse lag. Unverkennbar tritt wieder-
holt und besonders in seiner dreischiffigen, mit Emporen und drei Apsiden ausgestatteten Anlage die Nach-
DIE DENKMÄLER DER STADTBEFESTIGUNG UND WASSERVERSORGUNG 263

ahmung kirchlicher Bauformen hervor. Der Zeit Konstantins gehörten auch die mit antiken Kunstwerken
reichgeschmückten Bäder des Zeuxippos an, durch die die Chalke mit dem Hippodrom zusammenhing, die
jedoch schon beim Nikaaufstande (526) niederbrannten, und das sogenannte Kathisma vor demselben mit mehre-
ren Festsälen im unteren, und der kaiserlichen Loge, von der eine Doppeltreppe zu den Plätzen der Senatoren
hinabführte (S. 166 u. Taf. XII, 1), im Obergeschoß. Hinter der Chalke aber breitete sich am Hippodrom entlang
und mit ihm in Verbindung stehend der „Daphne“ genannte innere Palast aus, der die kaiserliche Behausung
umschloß und dessen Mittelpunkt der Prunksaal des Augusteos bildete. Dort befand sich auch ein Oktogon
mit sogenannten Kiton. An die Südseite des Hippodroms stieß die in den Palastbezirk mit eingeschlossene
Basilika des heiligen Stephanus an, von deren Emporen die Kaiserin und ihre Frauen in späterer Zeit das
Schauspiel nur durch die verhängten Fenster beobachten durften (vergl. dagegen Abb. 163). In der Folge
erfuhr diese konstantinische Anlage eine bedeutende Erweiterung nach Osten und Süden (siehe Teil II).
Das rasche Wachstum des neuen Rom machte schon um die Wende des 4. Jahrhunderts
eine Vorschiebung der Stadtmauer, die das meerumspülte Dreieck der Hauptstadt von der Land-
seite her sicherte, erforderlich und fand seinen fortifikatorischen Abschluß in der Erbauung
einer neuen großartigen, von Toren und gewaltigen Türmen durchsetzten Doppelmauer in
den Jahren 400 bis 452. Im Zuge der Triumphalstraße wurde zugleich das konstantinische
Goldne Tor — es ist heute mitsamt der älteren Landmauer verschwunden — schon unter
Theodosius d. Gr. durch ein gleichnamiges Schmucktor ersetzt, das in der Flucht der zuerst
erbauten neuen Hauptmauer gelegen und später durch ein ganzes Kastell verstärkt, bis heute
den äußeren Zugang zum „Schloß der sieben Türme“ bildet. Zwar sind von den drei tonnen-
gewölbten Durchgängen der eigentlichen Torwand die seitlichen vermauert, aber zu beiden
Seiten treten noch in voller Erhaltung, — nur der krönende Wulstfries mit den Adlern an
den Ecken ist verstümmelt —, zwei pylonenähnliche Türme von gleicher Höhe das Tor be-
schützend vor. Die Gesamtanlage sowie die jeder dekorativen Gliederung der ungebrochenen
Mauerflächen entbehrenden Bauformen verraten eine bewußte Abwendung vom griechisch-
römischen Typus des Triumphtores und den unverkennbaren Einfluß des ägyptischen Archi-
tekturstils. Eine Dekoration, in der sich das antike Gebälk einem symmetrischen System von
ornamentierten Blendarkaden hellenistischen Ursprungs (S. 260) einfügte, diente, zwei Reihen
mythologischer Reliefbilder umrahmend, dem um vierzig Jahre später entstandenen Propylaion
der niedrigeren Vormauer zum Schmuck.
Nächst den Befestigungen haben die verschiedenartigen Anlagen zur Wasserversorgung
der Metropole die anderthalb Jahrtausend am besten überdauert. Zwei Hauptleitungen führten
ihr in altbyzantinischer Zeit das Trinkwasser zu, die eine schon seit hadrianischer Zeit von
dem Quellgebiet des Hydralisflusses, die andere seit Konstantin d. Gr. vom Hochplateau am
Schwarzen Meer. Die letztere tritt parallel mit dem Lykosbach ein und wird durch den
ursprünglich mehr als kilometerlangen Aquädukt des Valens, einen malerischen, aber kon-
struktiv wenig bedeutsamen Bogenbau, dessen drittes Stockwerk von den Türken abgetragen
wurde, über den Taleinschnitt zwischen den äußeren und zentralen Regionen der konstanti-
nischen Stadt hinweggeführt. Im Innern der Stadt regelten Wassertürme die Zuteilung zu
den Brunnen und Sammelbecken, die schon im 4. Jahrhundert zur Vorsorge für die trockene
Jahreszeit und für den Fall der Belagerung angelegt wurden. Dienten diesem Zwecke anfangs
vorzugsweise große offene Teiche, deren noch drei erhalten sind, die Zisternen des Mocius,
des Aspar und die Arcadiaca, von denen die erstgenannte in der reinen Quaderfügung ihrer
Wände die vollkommenste Übereinstimmung mit den vorbildlichen syrischen Anlagen dieses
Typus verrät, — so mehrten sich seit dem 5. Jahrhundert vor allem die gedeckten Behälter.
Die angeblich unter Konstantin d. Gr. von Philoxenus erbaute älteste derartige Zisterne mag
noch ein römischer Pfeilerbau wie die unter der Sophienkirche angelegte und eine größten-
264 ÜBERNAHME DES ALEXANDR IN ISCHEN ZISTERNENTYPUS — LITERATUR

Abb. 251. Syrisches Kirchenportal


(vom Baptisterium in Babiska)
(nach d. Gipsabguß der amerikau. Exped. in Berlin)

teils zerstörte in Nikomedia ge-


wesen sein. Aber schon unter Ar-
kadius und Theodosius II. ent-
standen die ersten Zisternen mit
Säulen als Gewölbstützen nach
alexandrinischem Vorbilde, von
dem sie sich nur dadurch unter-
schieden, daß man wegen des har- 11ly '4' 4;
ten Felsbodens gewöhnlich auf eine
größere Tiefe und auf die Errich- fei 14 m
•V
tung mehrerer nur durch Gurt- A'j
bogen verbundener Säulensysteme fv*'
übereinander verzichtete. In einer r
•V'
bei der Moschee des Sultans Selim &
-•

f
erhaltenen, noch halboberirdischen 'Äj
Anlage ist wahrscheinlich eine
Gründung der Pulcheria aus dem

Jahre 421 zu erkennen. Ihre Fort- 1L


bildung findet diese Konstruktion im
justinianischen Zeitalter (s.Teil II).
Über die Casa celimontana (S. 60) nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung berichtet.
Leclerq bei Cabrol, a. a. O. II, 2, Sp. 2832—2870; vgl. auch N. Bull, di a. c. 1909, S. 144. Für den
Profanbau des christlichen Orients liegt der Versuch einer zusammenfassenden Behandlung bei L. de Beylie,
L’habitation byzantine, Paris 1902, vor. Für die einzelnen Länder bietet die (S. 218 und 227) o. a. ein-
schlägige Literatur weiteres ausgiebiges Material. Ebenso auch für den Klosterbau und Festungsbau,
besonders Somers-Clarke, a. a. O. S. 105 ff., sowie A. Ballu, Le monastere byz. de Tebessa, Paris 1897
(etwas hypothetische Rekonstruktion); eine kurze Übersicht gibt Kaufmann, a. a. O. S. 226 ff. und 233 ff.;
vgl. auch Diehl, a. a. O. S. 126 ff. und 180 ff. Über Rusapha vgl. Sarre, a. a. O. S. 99 ff. und S. Guyer
im II. Bande des o. a. Reisewerks von Sarre und Herzfeld (im Druck); Strzygowski, Amida, S. 285 ff.
(über die Blendfassade, Türme und Toranlage). Die Ergebnisse seiner grundlegenden Untersuchung über
das Goldne Tor und die Mauern von Konstantinopel, Jahrb. d. archäol. Inst. 1893, S. 1 ff. erfahren gewisse
Verschiebungen durch A. v. Millingen, Byzantine Constantinople, London 1899, S. 40 ff. u. 59 ff., und E. Wei-
gand, Mittl. d. archäol. Inst, in Athen 1914 (in Vorbereitung). Die Aufnahme der Zisternen ist zu verdanken
Strzygowski und Forchheimer, Die byz. Wasserbehälter in Konstantinopel, Wien 1893. Byz. Denkm. II.
Eine neue Rekonstruktion des Kaiserpalastes unternahm J. Ebersolt, Le grand palais de C-ple et le livre
SYNTHETISCHE NEUBILDUNG DES ALTCHRISTLICHEN ORNAMENTS 265

des Ceremonies, Paris 1910, doch erhebt J. Bury, Byz. Zeitschr. 1912, S. 224 ff. gegen wichtige Punkte
wohlbegründeten Widerspruch. Über die durch den Brand von 1912 freigelegten Baureste (Treppenhaus
und Grundmauern) vgl. Ebersolt, C. r. de PAcad. d. inscr. et b. lettres 1913, S. 31 ff., sowie zum Hippo-
drom zuletzt A. Thiers, a. a. O. S. 138 und Th. Wiegand, Jahrb. d. K. d. archäol. Inst. 1908, S. 1 ff. Über die
Topographie von Byzanz vgl. im allgemeinen E. Oberhummer bei Pauly-Wissowa, Realencyklop. d. klass. Altert.
Wiss. IV, 1, S. 963 ff. Die Beziehungen des Diokletianspalastes von Spalato zum antiochenischen beleuchtet
Strzygowski, Studien aus K. m. Gesch. Fr. Schneider gewidmet, Freiburg i. B. 1906, S. 328 ff. Eine Klärung
des Tatbestandes wurde neuerdings erzielt durch G. Niemann, Der Palast Diokletians in Spalato, Wien
1910, sowie durch die Untersuchungen von E. Hebrard u. J. Zeiller, Le palais de Diocletien ä Spalato, Paris
1912 und Mel. d’archeol. et d’hist. 1911, S. 247 ff.

4. Die Bauornamentik und die Zierglieder der altchristlichen Architektur.


Wie in jeder schöpferischen Stilepoche macht auch in der altchristlichen das Ornament
eine Neubildung durch. Führend tritt hier wieder, wenigstens bis in das 5. Jahrhundert, die
syrisch-palästinensische Kunst hervor. Die hohe Begabung der semitischen Rasse für das
Dekorative mußte mit dem wachsenden Anteil des Syrertums einen tiefgreifenden Einfluß auf
das christliche Kunstschaffen gewinnen, dem die industrielle Blüte des gewerbfleißigen Landes
mächtigen Vorschub leistete. In Syrien begegnete die hellenistische Dekoration schon in vor-
christlicher Zeit einer reichen einheimischen Ornamentik. Nunmehr aber begann in Antiochia
und seit dem konstantinischen Zeitalter vor allem in Palästina ihre innigste gegenseitige Be-
fruchtung. In dem Maße aber, als sich zwischen den Bildungsgesetzen beider ein Ausgleich
vollzog, entsprang ihrer Vermischung eine Fülle neuer Gebilde. Ein beständiges Auflösen
und Neuzusammensetzen treibt hier mit den gegebenen Elementen sein Spiel.
Das geometrische Ornament des alten Orients hatte in Syrien
die weiteste Verbreitung, und diese Schöpfungen einer mit abstrakten
Formen spielenden Phantasie gewinnen in der christlichen Kunst
ein neues, reicheres Leben.
Als Unheil abwehrende Symbole zierten die geflügelte Sonnenscheibe,
die Rosette, das kreuzförmige Sonnenrad oder die Wirbelrosette und der sechs-
strahlige Stern der Istar die Portale der Häuser. Daß ihnen noch immer
eine mehr als dekorative Bedeutung beiwohnte, lehrt ihre allmähliche Er-
setzung durch die christlichen Embleme, die oft mit einer Angleichung der
letzteren, des Kreuzes und des Monogramms Christi, an jene älteren Mo-
tive Hand in Hand geht (Abb. 252). Um den Türrahmen oder über den
Sturz zieht sich manchmal das altmesopotamische Flechtband in sehr ver-
schiedenartiger Behandlung hin (Zebed, Behio, el Barah). Reichere Abarten,
wie das Zopfgeflecht und das Kettengeflecht, deren Hauptdomäne die male-
rische Ornamentik der Fußbodenmosaiken bildet, und die daraus abgeleiteten
Schleifenmotive sind auch der dekorativen Plastik nicht fremd (Abb. 251).
Aber keine von ihnen erlangte so allgemeine Bedeutung, wie die schon früh
der hellenistisch - römischen Kunst übermittelte Umformung des einfachen
Flechtbandes zum Kreisgeflecht (S. 194), in dem die Verknüpfung der Kreise
von einem regelmäßigen Größenunterschiede derselben begleitet wird. Bot
sie doch, abgesehen vom Reiz des rhythmischen Wechsels, die Möglich-
keit, den Bandstreifen zum flächenfüllenden „unendlichen Muster“ zu ent-
wickeln. Der Herkunft der „syrischen Räder“ blieb sich auch das Abend-
land bewußt. Vom Aneinanderreihen der Kreise, wie es sich aus dem Flecht-
bande ergab, schritt man zu Überschneidungen und zu konzentrischer An-
ordnung fort und gewann dadurch neue, aus sphärischen Gebilden zusam- Abb. 252. Syrische Ziersteine
mengesetzte ornamentale Einheiten. Durch Ausschaltung einzelner Verbin- (nach Abgüssen der amerikan. Exped.
dungen oder Durchsetzung mit Kreuz- und Gittermotiven ließen sich solche im Kais.-Friedrich-Museum in Berlin).
266 GEOMETRISCHES UND PFLANZENORNAMENT IN SYRIEN UND PALÄSTINA

Abb. 253. Kindersarkophag aus Ravenna (im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin).

Kreismuster zu überaus verschlungenen Systemen (Abb. 253 rechts) steigern. Aus den sich überschneidenden
Kreisen gehen andrerseits lanzettförmige Gebilde und aus der verschiedenartigen Verbindung von Halb-
kreisen der Bogenfries (Abb. 208 links) und die Bogenzinnen hervor, die einem Spitzenbesatz vergleichbar
die Portale umsäumen und manchmal unten umbrechend weiterlaufen (Abb. 251). So wird dort auch das ein-
fache Kreisbogennetz (Abb. 253 links) seinen Ursprung haben, das auf den Brüstungen der Altarschranken u. a.m.
— anfangs wohl in Durchbrucharbeit durch die Holzschnitzerei — sowohl im hellenistischen Osten (z. B. in
Priene und Milet) wie auch in Rom, Ravenna und dem ganzen Abendlande die allgemeinste Verbreitung
fand und als sogenanntes Transennenmuster in mannigfaltiger Weise zum Wellenliniengeflecht abgewan-
delt wurde. Allein die Kreislinie behauptet nicht unbestritten die Vorherrschaft. Auch an geometrischem
Netzwerk sich kreuzender Linien war die syrische Kunst nicht arm. So bewahrt sie nicht nur das Zick-
zack und das altmesopotamische flächenfüllende Sechseckmuster, sondern auch das schlichte Rautengitter
und das einfache Rautenband bis in die christliche Zeit hinein und fügt ihm gern das einem techni-
schen Motiv entsprossene Knopfornament als Füllung hinzu. Die Berührung mit der griechischen Kunst
führte in den Mäandergeflechten und gewissen polygonalen Flächenteilungen diesem orientalischen Typen-
bestande der unendlichen Muster neue Elemente zu. Treffliche Proben solcher aus Achtecken, Quadraten,
Kreuzen und dergleichen mehr gebildeten Flächenfüllungen (Abb. 133) sind uns in den Resten der rück-
seitigen Täfelung der Tür von Santa Sabina bewahrt geblieben (S. 138). In den Mäandergittern (Abb. 255)
verweben sich vielfach das neue Kreuzessymbol und das uralte des Hakenkreuzes, endlich aber entspringt
daraus das T-Geflecht, das in der byzantinischen wie in der islamischen Ornamentik fortlebt. Völlig aus-
gebildet zeigt es schon ein ravennatischer Kindersarg neben anderen syrischen Flächenmustern (Abb. 253
links). Eine noch mannigfaltigere Mustersammlung dieses Motivenschatzes aber bieten noch die einem früh-
ommajadischen (wenn nicht gar altchristlichen) Bau entstammenden Wandsäulen der seldschukischen großen
Moschee in Amida (Diarbekr), sowie die Holzgitter des Mimbar in Kairuan, einer Arbeit des 9. Jahr-
hunderts (aus Bagdad).
Allein die syrisch-palästinensische Kunst besaß auch ein Pflanzenornament, bevor sich
die klassische Dekoration des Akanthus und der Palmette über das Land verbreitete. Kommen
doch neben dieser von je her grobnaturalistisch aufgefaßte, mitunter an geradem Zweige an-
sitzende oder frei gereihte Blatt- und Fruchtmotive vor (z. B. in Si, Suweda u. a. m.). Traube,
Wein- und Efeu- oder Feigenblatt werden bevorzugt. Am üppigsten hatte sich, — allerdings
schon unter dem Nebeneinfluß hellenistischer Formen, — der Pflanzendekor in Palästina
entfaltet, zumal die religiöse Anschauung die Aufnahme figürlicher Plastik ausschloß.
Die der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts angehörenden Särge aus den sogenannten
Königsgräbern von Jerusalem bieten einen wahren Schatz von Naturformen, die der griechischen Kunst
von Hause aus fremd sind, mögen nun in den kugeligen oder zapfenförmigen, glatten oder geriefelten
Früchten Paradies- und Granatäpfel, Zitronen, Pflaumen, Oliven, oder wer weiß was alles, zu erkennen
sein. Deutlich gekennzeichnet sind Eicheln, Trauben und von den letzteren unterschieden eine Art Zapfen.
Zweifelhaft bleiben auch neben verschiedenen Rosetten einige Blütenmotive lilienähnlicher Form. Das
spärliche Blattwerk zeigt dennoch reichliche Abwechslung von Eichen-, Ölbaum- und Efeulaub. Und wie
UMBILDUNG DES KLASSISCHEN AKANTHUS- UND RANKENORNAMENTS 267

das letztere schon hier die charakteristische Umbiegung der Spitze (Abb. 252 unten) aufweist, so erscheinen
auch manche Weinblätter eigenartig stilisiert. Aber alle diese Elemente sind einer antiken Ranke aufgepfropft,
deren magere Bildung den klassischen Geschmack der augusteischen Zeit noch überbietet, wenn sie auch
an jeder Gabelung die traditionellen Blatthülsen bewahrt und aus einem (bzw. einem zweifachen) Akanthus-
wurzelblatt zu entspringen scheint. In der flechtbandarligen Führung der Doppelranke im Mittelstreifen
kommt das starke Symmetriegefühl des Orients ebenso entschieden zu Werte wie in dem immer wieder in
ihren Füllmotiven durchklingenden dreiteiligen Schema. Außer den schon bemerkten Elementen fällt hier eine
Art gesprengter Palmette mit dem auch sonst schon vertretenen Dreiblatt inmitten auf. Die Ölblattstäbe der
von Strickleisten (S. 197) umsponnenen Nebenstreifen sind wieder in lauter dreiblättrige Büschel aufgelöst.
Ähnliches findet sich auch in Zentralsyrien (Siah, Haß, el-Barah). Andrerseits dringen manche
Motive der einheimischen Flora wie die Eicheln, die Zapfen u. a. m. in das üppige spätantike Akanthus-
ornament ein, das in den folgenden Jahrhunderten auch Syrien überschwemmt und an den Bauten von
Baalbek, Damaskus und Palmyra aufs reichste wuchert. Gleichzeitige Denkmäler Zentralsyriens nehmen
z. T. noch mehr davon auf, während der Akanthus sich an ihnen dem Blattwedel nähert (Schakka, Kanawat).
Bald bemächtigt sich semitisches Kunstwollen auch der klassischen Formen und beginnt
sie untereinander und mit den lokalen zu vermengen und zu verschleifen. Die Antike hatte
ihm bereits darin vorgearbeitet. In der dekorativen Architektur des südlichen Kleinasien
waren das Akanthusblatt, das sich schon früh vom Säulenkapitell auf das Antenkapitell und
von diesem weiter auf den Karnies überträgt, und die Palmette, die von jeher an der Sima
ihren Platz hatte, in Wechselbeziehung zueinander getreten. Die einzelnen Blattzungen der
Palmette werden sozusagen akanthisiert, und zwar sogar im Verbände der wechselständigen
intermittierenden Palmettenranke (Adalia und Termessos). Solche Mischformen fanden in
Syrien Eingang (Damaskus) und gelangten von Antiochia auch nach Spalato. Mannig-
faltige Spielarten, bei denen man schwanken kann, ob man sie noch als Palmette oder als
ein ihr angeglichenes, stark aufgelöstes Akanthusblatt anzusehen habe, schmücken die
ornamentalen Bruchstücke der konstantinischen Denkmalsbauten in Jerusalem. (S. 207.) Sie
sind hier in einer auf den Kontrast mit dem Tiefendunkel der Ausschnitte berechneten
Modellierung gearbeitet, die sich bereits in Baalbek und Palmyra herausbildet. Der Schnitt
des Akanthus ist, wie auch dort und schon in Kleinasien, vorwiegend breitzackig und scharf.
Tiefe Schattenfurchen bezeichnen die Rippen. Im 2. und 3. Jahrhundert vollendet sich auch
die in der älteren Kaiserzeit beginnende Akanthisierung der fortlaufenden Ranke, indem
deren Stengel nun gänzlich mit den begleitenden Halbblättern verwächst. Die entwickelte
Akanthusranke wird zur Grundlage des syrischen und damit nicht nur des gesamten christ-
lichen, sondern teilweise auch des islamischen Rankenornaments der Arabeske.
Wie schon vorher das semitische Stilgefühl auf sie zu wirken beginnt, verrät ein palästinensisches Denk-
mal des ersten bis zweiten Jahrhunderts. Den Giebelschmuck des Grabes der Richter (S. 18) bildet eine in
symmetrischen, nach der Mitte zu ansteigenden Wellen bewegte Ranke. Der Stiel bleibt noch auf weite Strecken
frei und erscheint bandartig flach gepreßt, das aus dem Akanthus abgeleitete Blattwerk aber liegt wie aus-
gebreitet da. Selbst das Wurzelblatt, das die Form des plastisch gedachten Akanthuskelches bewahrt, zeigt
die Mittelrippe. Der gleiche Zug zum Flachornament ergreift in der christlichen Architektur Syriens nun
auch die ausgebildete Akanthusranke. Zugleich aber wird als zweite Kraft der an geometrischen Zierformen
erstarkte Trieb zur Schematisierung der Pflanzenmotive wirksam. So entsteht schon in der üppigen Dekoration
von Baalbek und Palmyra eine neue Abart der Rosette, die in aller naturalistischen Verhüllung die Nach-
ahmung der alten Wirbelrosette (Abb. 252) nicht zu verleugnen vermag. Und dasselbe Vorbild übt offen-
bar seinen anregenden Einfluß auf die Fortbildung der Akanthusranke selbst, wenn sich die Blattspitzen
in den Einrollungen bald immer mehr in gleichmäßigem Rhythmus nach der Mitte umlegen, die durch ein
an der Spitze ansitzendes Blüten-, Frucht- oder ein andersartiges Blattmotiv hervorgehoben wird. So ent-
steht die überaus beliebte Wirbelranke (Abb. 251 und Tafel IX).
Neben dem neuen Rankentypus erhalten sich mit dem Kleeblatt (Haß), dem umgebo-
268 WEINRANKENORNAMENTIK UND TIEFENDUNKEL

genen Efeublatt, Teilen des zerlegten Akanthus-


blattes (Serdjilla, Kalb-Luzeh) versetzte Abarten
der griechischen Palmettenranke, die sich längst
im Gesamtgebiet der Mittelmeerkultur in allen
Techniken eingebürgert hatte und in der syri-
schen Textilkunst eine wichtige Rolle spielt. Das
Aufblühen dieser trägt ohne Zweifel viel dazu
bei, daß die dem orientalischen Kunstgeschmack
zusagende Regelmäßigkeit der Formen in der
Dekoration wieder so stark um sich greift. Der
dekorativen Plastik bieten sich die Teile des
Akanthusblattes dar, wo es gilt, nach geometri-
schem Prinzip ein kleineres quadratisches, ein
rundes, rhomboidales oder selbst ein dreieckiges
Feld zu füllen (Richtergräber). Aus ihnen hat
die christliche Kunst Syriens als Hauptmotiv
die Kreuzrosette gebildet, die sich bald in nor-
maler, bald in diagonaler Stellung leicht jedem
Rahmen anschließt und bei aller Einfachheit
der Grundform reiche Möglichkeiten der stilisti-
schen Durchbildung zuläßt (Abb. 252). An den
Karniesen aber trennen sich die beiden Hälften
der gesprengten Akanthuspalmetten völlig, um
mit den Nachbarhälften zu neuen kelchartigen
Gebilden (Abb. 249) zu verschmelzen.
Dem Akanthus macht in Syrien die ein-
heimische Weinranke den Platz streitig. Ihre
Abb. 254. Pfeiler aus Acre (Venedig). reizvolle Bildung und ihre sinnbildliche Bedeu-
tung verschaffte ihr in christlicher Zeit nament-
lich im malerischen Flächenschmuck die weiteste Verbreitung. Doch hatte sie in Kleinasien
und in Syrien auch in die Ornamentik der antiken Architektur längst Eingang gefunden.
In Baalbek wie in Palmyra liegen bereits die Typen der einfachen und der doppelten flechtbandartig
gekreuzten oder geknoteten Weinranke vor. Beide Arten kennt auch die zentralsyrische Dekoration der
christlichen Denkmäler und dazu noch eine dritte, völlig ungriechische (Suweda), bei der die Ranken gegen-
ständig vom aufstrebenden Rebstock abzweigen. Blattschnitt und Rankenführung werden oft einer här-
teren Stilisierung in gezackter oder gebrochener Linie unterworfen und folgen dem allgemeinen Zug der
Abflachung. Doch lebt daneben auch die plastisch naturalistische Behandlung fort, die sich wie in der
Schnitzerei (Abb. 191) gern mit der Tiefendunkelkomposition verbindet (Mgarah). Wie kein zweites Element
eignete sich die Weinranke für vertikale Zierglieder, besonders seit sie in der Vase einen anmutigen Wurzel-
schmuck gewonnen hatte (Abb. 254). Ein weiterer Schritt führte dahin, ihren Doppelstamm in symmetrischer
Ausladung weiter auszubreiten oder gar die Einrollungen nach den Seiten flächenfüllend ausranken und sich
in der Mittellinie verflechten zu lassen. Für beide Formen war das Schema bereits in der Akanthusdekoration
gegeben, wenngleich die strenge Konfiguration der zweiteiligen aufsteigenden Akanthusranke selbst erst auf
syrischem Boden geschaffen zu sein scheint (Palmyra). Dem Vorbilde der Weinranke folgten alsbald die
Mischtypen der Palmetten- und Dreiblattranke in der aufstrebenden Bewegung — gelegentlich entspringt
sogar die Efeuranke (Abb. 252) aus einer Vase —, um unter Verzicht auf die volle Symmetrie in freierem
Rhythmus auf- und abzuwogen (el Barah).
FORMENVERMISCHUNG UND SASSANIDISCHER EINFLUSS 269

Wie Antiochia wahrscheinlich im 4. und 5. Jahrhundert ein Hauptherd der christlichen


Architekturentwicklung im Orient blieb, so war es wohl auch das eigentliche Sammelbecken,
in dem alle Elemente hellenistischer und orientalischer Ornamentik zusammenströmten und
sich mischten. Daß der antiochenische Dekorationsstil den zentralsyrischen an Formenreichtum
übertraf und zugleich den reineren antiken Geschmack bewahrte, beweist das zähe Fortleben
klassischer Akanthusformen in Mesopotamien (S. 217). Daneben stoßen wir auch dort
(Abb. 249) auf die neuen Teilmotive (S. 267) sowie auf die strenger stilisierte Weinranke.
Aber auch diese begegnet uns noch in frischester naturalistischer Behandlung an einem auf
Tiefendunkelwirkung gearbeiteten Wulstfriese in Amida (jakobitische Marienkirche) und in
anderen Spielarten an den alten Bestandteilen der dortigen Moscheefassade (S. 266) und in
Arnas (Mar Kyriakos). Hier und an weiteren Stellen (Kakh, Majafarkin) gehen andrer-
seits mancherlei Flechtbandgeschlinge mit schematischer Rosettenfüllung mit ihr und mit ver-
schiedenartigen Palmettenranken Hand in Hand. Und doch hat sich in der mesopotamischen
Bauornamentik gewiß nur eine Auswahl der gebräuchlichsten Motive erhalten. Welche phan-
tastischen Neubildungen bei der Vermischung der Elemente innerhalb des reichen Formen-
schatzes der antiochenischen Kunst entstehen mochten, dafür geben die beiden Pfeiler von
Acre (Abb. 254) — nach guter Tradition wurden sie im Jahre 1258 n. Chr. aus dem dortigen
Kastell der Genuesen mitgebracht und in Venedig neben S. Marco aufgestellt — einen
sicheren Maßstab.
Der Meister hat sich in einem der darauf befindlichen Monogramm als Antiochener bezeichnet (die
Lesung seines Namens hingegen bleibt noch zweifelhaft). Seine Arbeit, ein Spätwerk altchristlicher
Dekoration, steht sichtlich schon unter dem Einfluß der kräftig erblühten neupersischen Kunst. Nicht nur
das unorganische Aufeinandersetzen einer Reihe größerer und kleinerer Akanthuskelche verrät in den
wunderlichen Gebilden, welche das Pfeilerkapitell schmücken, die Nachahmung des sassanidischen Palmetten-
baumes, noch augenfälliger tritt die Anlehnung an die sassanidische Flügelpalmette in dem in ein Ranken-
dreieck eingeschlossenen zentralen Motiv hervor, nur sind die Flügel in schmächtige Akanthusblätter um-
gesetzt, und der von ihnen umgebene Ball ist in die Wirbelrosette verwandelt. Mit einem weiteren Halb-
blätterpaar ausgestattet, krönt diese eigenartige Blüte auch die beiden Endigungen der geknickten Ranke.
Das den Akanthus durchsetzende Dreiblatt kommt in den Rankenverbindungen an den Ecken selbständig
zur Geltung. Weinlaub und Traube bewahren an den Pfeilerflächen eine ungleich frischere naturalistische
Auffassung, doch drängt sich das Unorganische auch hier besonders in der Bekrönung des wieder ver-
wachsenden Doppelstammes durch den Granatapfel und in der Vereinigung der Vase mit dem Wurzelkelch,
auf der Nebenseite aber in der bandartigen Rankenbildung ein.
Aber auch die Umsetzung des Weinblatts in andere Formen war in Syrien früh im
Gange. Schon in der vorchristlichen Kunst Palästinas wird es akanthisiert (Nikephoria), in
diokletianischer Zeit in mehrere Blattwedel aufgelöst (Palmyra).
In der Holzschnitzerei, wo sich der stilisierende Trieb noch freier betätigen konnte, begegnen wir an
der Tür von S*a Sabina (S. 138) bereits ganz arabeskenähnlichen Formen, in denen wir doch an ihrer drei-
lappigen Bildung und an den vielen kleinen Winden, die sich auf das Blatt selbst übertragen, entnatura-
lisiertes Weinlaub erkennen müssen. Daß dieser Blattypus in der Kleinkunst eine allgemeinere Verbreitung
gefunden hat, beweist auch ihr Vorkommen an dem Kreuze Justins I. im vatikanischen Schatze. Dieselben
Blätter und entsprechende Halbblätter zweigen hier an Stengeln von baumähnlichen, aus gefiederten Kelchen
aufgebauten Pflanzenkandelabern ab oder füllen losgelöst die Zwickel der Kreuzarme, ein schlagendes
Beispiel des Übergreifens syrischer Ornamentik nach Byzanz. Die füllhornähnlichen Ranken mit ihren
kolbenförmigen Blattzungen finden sich auf einem Bronzetäfelchen kleinasiatischen Fundorts (Ephesus) wieder.
Von der Schematisierung werden auch die sogenannten Blattstäbe ergriffen. Aus dem
antiken Laubstrang wird ein fischgrätenähnlicher Stab (el Barah), und die gleiche Umbildung
erfährt der Lorbeerkranz, bis ein Zickzackband daraus entsteht (Abb. 252). Umgekehrt werden
rein architektonische Zierglieder wie die lesbische Welle (S. 138 u. 187) oder der Eierstab
270 DURCHDRINGUNG DES GEOMETRISCHEN MIT DEM PFLANZENORNAMENT

(Abb. 165 u. Taf. XII, 2)


in allerlei Palmetten- oder
Blütenmotive aufgelöst. Die
Durchsetzung geometrischer
Muster mit dem Pflanzen-
ornament und umgekehrt
zieht immer weitere Kreise.
Die Achterverschlingung, ein
Schleifenmotiv der antiken Kunst, in dem
sich öfters dieBänderder Kränze verflech-
ten, wird an der Tür von Sta Sabina durch
Ranken gebildet, anderwärts aber durch
Bänder oder kreuzförmige Schlingen mit
eingestreuten Blattrosetten. Aus drei ver-
schlungenen Achtern wird eine Band-
rosette geschaffen, die in der byzan-
tinischen Kunst bis in das zweite Jahr-
tausend fortlebt.
Es kann nicht befremden, daß die
in Kalk- oder härteren Gesteinarten
ausgeführte Dekoration der zentralsyri-
schen Kirchenbauten nur spärliche Pro-
ben dieser Art bietet. Das eigentliche
Gebiet, wo das Bandgeflecht selbst sich
der gebrochenen Linienführung der Qua-
dratgitter oder Rautennetze anpassen
mußte, wo diese Muster sich mit Akan-
thusblättern erfüllten, war die Holz-
schnitzerei. In Syrien hatte dieselbe
vorzugsweise für die innere Kirchenaus-
stattung zu sorgen. Bestanden doch so-
gar in der von Konstantin erbauten Basi-
lika von Tyrus die Altarschranken nach
dem Zeugnis des Eusebius aus Holz.
Die Durchbruchtechnik der Schnitzerei
aber hat wohl in Byzanz und Ravenna
im Marmor Nachahmung gefunden,
— dagegen nicht im spröden Mate-
Abb. 255. Dekorative koptische Skulpturen (aus Bawit
und Medinet el Fajum), Brüstungen und Friese
rial der einheimischen Steinmetzarbeit.
(im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin). Außer durch literarische Zeugnisse wird
die hohe Blüte einer erfindungsreichen
Holzschnitzerei in Syrien auch dadurch bestätigt, daß uns dieselben Muster z. T. noch auf
dem geschnitzten Mimbar von Kairuan (S. 266) begegnen.
Nach allen Weltrichtungen ausstrahlend, trifft der Einfluß der syrischen Ornamentik
in breitem Strome Ägypten. Die Vermittlerin wurde in der malerischen Flächendekoration die
ENTWICKLUNG DER KOPTISCHEN ORNAMENTIK UNTER SYRISCHEM EINFLUSS 271

Weberei, für die dekorative Plastik aber wie für die figürliche (S. 145) die Holzschnitzerei.
Vereinzelten Denkmälern dieser Technik, die sich noch in Syrien selbst vorfinden (Mar
Eljan bei Palmyra), steht im Nillande eine Fülle neuerer Funde gegenüber, wenn in ihnen
auch ein etwas abweichender lokaler Geschmack zur Geltung kommt. Kreis-, Rauten- und
Quadratnetze mit Akanthusblattfüllung, Kränze und vertiefte Bossen mit Rosetten und stern-
förmigen Verschlingungen und alle Rankenarten bilden auf Holztafeln, Möbelteilen, Konsolen,
Pfosten u. dgl. den typischen, meist in tiefem Schnitt, manchmal auch durchbrochen ge-
arbeiteten Schmuck. Der bevorzugte Rankentypus der koptischen Schnitzerei ist die Wein-
ranke in fortlaufender Wellenbewegung, bei der von der Gabelung reichlicher Gebrauch
gemacht wird. Das Weinblatt nimmt mit Vorliebe Formen länglicher, wedelartiger Bildung
(Abb. 255) an. Andere Ranken von abstrakter Stilisierung dienen für schmälere Schmuckleisten,
während in der Steinplastik die Akanthusformen vorherrschen.
Die typische koptische Abart der Akanthusranke läßt freilich das Grundelement kaum noch erkennen.
Dieses verdankt offenbar seine Entstehung der Übertragung des fischgrätenähnlichen Laubstrangs, der
bereits im Kranze einer Krümmung unterworfen wurde (S. 271) auf die Blattranke, wodurch sie zur ge-
zackten Wedelranke wird. Bald begleiten wenige längere Wedel in gleichmäßigem Schwünge den von ihnen
durch eine doppelte Streifung unterschiedenen Rankenschaft zu konzentrischer Einrollung (Abb. 255), bald
umschließt eine Anzahl kürzerer Wedel nach Art der Wirbelranke ein zentrales Blüten- oder Fruchtmotiv oder
gar eine Traube. Doch fehlt es weder an Beispielen eines breitlappigeren Blattschnitts noch an Einmischung
von Efeu-, Drei- und anderen Blättern. Wo der Akanthus seine ursprüngliche Gestalt am reinsten bewahrt,
wie an Karniesen und Kapitellen (s. unten), zeigt er Formen von trockner, an geometrische Stilisierung
streifender Eleganz. Die prächtigste Art der Rankenfüllung geben halbe und ganze Tierfiguren ab: Löwen,
Hirsche, Antilopen, Wildschweine u. a. m., womit schon die syrische und hellenistisch-römische Kunst voran-
gegangen war. Die weiche Natur der ägyptischen Kalk- und Sandsteine fördert eine der Holzschnitzerei
verwandte Technik und leistet der gedrängten und wie aus der Fläche ausgestochenen, wenig modellierten
Dekoration (Abb. 255) den besten Vorschub. Die Tiefendunkelkomposition der Holzschnitzerei hat daher in
Ägypten eine allgemeinere Anwendung gefunden als in der syrischen Steinplastik. Aus demselben Grunde
spielt hier auch die Flechtranke eine größere Rolle.

Abb. 256. Byzantinische Brüstungsplatte in Venedig (S. Marco).


272 ANEIGNUNG DER SYRISCHEN ORNAMENTIK DURCH BYZANZ

Ein höheres Stilgefühl gibt der


Fortbildung des syrischen Formen-
schatzes in Byzanz ihre Richtung.
Wird es doch wie in der figürlichen
Bildnerei (S. 170) noch aus einer
zweiten, rein griechischen Quelle ge-
nährt. Eine kleinasiatische Unter-
strömung wirkt hier von Anfang an
der allzu willkürlichen Vermischung
der Motive ausgleichend entgegen.
Der Akanthus behauptet im prokon-
nesischen Kunstkreise seine grund-
legende Bedeutung für die architekto-
nische Dekoration. Aber die von
syrischen Steinmetzen mitgebrachten
Elemente ergeben doch auch hier ent-
wicklungskräftige Keime einer neue-
ren Formenbildung.
Ein charakteristisches Beispiel, wie
sich beide Richtungen vereinigen, liefert
die Dekoration des Ambon von Saloniki
(Abb. 124/5). Die auf Tiefendunkel gear-
beitete Wirbelranke des Wulstes, deren
Einrollungen teils Rosetten oder Erucht-
motive, teils Tierfiguren bilden, überbietet
durch üppigere Fülle des Akanthus die
syrischen Vorbilder. Die Weinranke ist in
verschiedenartiger Behandlung verwen-
Abb. 257. Gebälk und Kapitell der Studiosbasilika (Byzanz). det: an den Seitenbrüstungen in freier
naturalistischer Bewegung aus Vasen her-
auswachsend in stark durchbrochenem und unterschnittenem Hochrelief, unter dem Wulst der Vorderseiten
hingegen fortlaufend mit ziemlich gleichmäßiger Füllung durch Blatt und Traube in reinem Flachrelief.
Was aber sämtlichen Motiven ein von den syrischen Gegenbeispielen merklich abweichendes Stilgepräge
verleiht, ist der kleinzackige, stellenweise sogar mit dem bloßen Bohrer hergestellte Blattschnitt sowohl des
Weinlaubs, wie des Akanthus am Blattfries über dem Wulst und an den Säulenkapitellen, eine Stilisierung,
deren Vorstufen in der kleinasiatischen und prokonnesischen Plastik vorliegen (S. 170 und 173). Sielassen
sich aber auch in der Architektur diokletianischer
Zeit etwa seit der an Kapitellen in Spalato
und Rom (Sta Maria Antiqua, Sta Costanza und
S. M. in Cosmedin) bis zu ihrem ersten Auftre-
ten in Byzanz am Propylaion des Goldnen Tores
verfolgen (S. 263).
Den ganzen syrischen Motivenschatz bieten
uns auch die ravennatischen Sarkophage dar.
Einzelne von ihnen, so z. B. der schöne, erst nach-
träglich mit der Namensinschrift des Erzbischofs
Theodorus (f 691) versehene Sarg (Abb. 180)
haben ausschließlich ornamentalen Schmuck, wäh-
rend sich dieser bei anderen auf eine Langseite, Abb. 258. Pfeilerkapitell der Studiosbasilika (im Kaiser-
auf die Schmalseiten oder wohl gar auf ihre Friedrich-Museum in Berlin).
ENTSTEHUNG NEUER SPIELARTEN DES AKANTHUSBLATTWERKS 273

Rundgiebelfelder beschränkt (S. 182). Am erstgenannten u. a. m. wird die Weinranke mit ähnlich scharf-
gezacktem Blattwerk, wie an der Kanzel von Saloniki, von einem zierlichen Pfauenpaar auf der einen Seite,
von kleineren Vögeln und einem Hasen auf der anderen belebt. Neu ist hier nur das Kreuz über ihrer
Gabelung-. Aber der kreisförmige Schwung- und der rundliche Stamm der Rebe haben die schwere Eleganz
byzantinischer Formensprache angenommen, die auch die Lorbeerkränze und verschiedenen Monogramm-
typen des Deckels zeigen und die sich an anderen Sarkophagen sogar auf die Bewegung der Dreiblattranke
überträgt. Wo die letztere als Wellenranke fortlaufend das Giebelfeld umsäumt, behält sie hingegen die
magere, leichte Bildung und führt in bunter Abwechslung neben dem Dreiblatt alle palästinensischen Füll-
motive mit sich: Paradiesäpfel, Granatblüten, Kleeblätter usw. (S. 266), während schon in den Nischen-
umrahmungen des Ambon von Saloniki (Abb. 124) und vollends in der byzantinischen Kapitellplastik
(s. unten) in jedem Bogen eine kleine Volutenendigung wiederkehrt.
Den Hauptbestand der ornamentalen Neubildung liefert in Byzanz trotz dieses starken
Einschlags fremder Motive die Entwicklung des Akanthus. Die unausbleibliche Vermischung
seiner verschiedenen Typen führt im Laufe des 5. Jahrhunderts zu weiterer Vervielfälti-
gung der Spielarten, nachdem schon im 4. die rundlappige Bildung gegen die scharfzackige
zurückgetreten war, sei es, daß die Blattlappen in kleineren Sägezacken abschließen oder
breit auseinander gezogen und flachgepreßt werden. Dieser an der Akanthusranke ausge-
bildete Blattschnitt (S. 272) greift nun zugleich mit der syrischen Rankenführung um sich.
Auf einer frühen Zierplatte (Abb. 256), die ihren Weg nach S. Marco gefunden hat, wächst
die symmetrisch verdoppelte, breitzackige, noch im antiken Geschmack von Blatthülsen durch-
setzte Wirbelranke, von deren fortlaufender Rippe selbständigere Blatteile abzweigen, aus
einem bewegten kleinzackigen Wurzelblatt hervor, und ihre Einrollungen werden von gleich-
stilisierten Wirbelrosetten gefüllt. Die Hinneigung zu bewegten Blattformen gibt sich hier
(und in schwächerem Grade an den Seitenbrüstungen des Ambon von Saloniki) auch in der
schrägen Lage der gereihten Blattlappen des Rahmens kund. Sie führt einerseits — z. B.
am Gebälk des Atriums der Studiosbasilika (Abb. 257) — zur Umsetzung der Wirbelranke
in die flachere Bildung des breitzackigen Akanthusblattes mit vertieften Rippen, so daß es
die Ranke vollkommen durchwächst, andrerseits, wie in Syrien (S.267 ff.), zur stärkeren Ablösung
einzelner Lappen vom Vollblatt. Und indem die Einziehungen zwischen diesen immer tiefer
greifen, die dadurch verdünnte Rippe aber in rankende Bewegung gerät, entsteht aus dem
weichen rundlappigen Akanthus, der neben dem scharfzackigen jederzeit fortlebt, ein neuer
Blattypus, dem der treffende Name des tangartigen beigelegt wurde. Ein Pfeilerkapitell aus
derselben Kirche vereinigt diese nebeneinander hergehenden Arten der Blattstilisierung (Abb. 258).
Aus dem Akanthusblatt werden dann unter Angleichung an die syrisch-palästinensischen
Motive vor allem an das Dreiblatt, eine Reihe neuer, palmetten- oder kelchähnlicher Elemente
gewonnen. Die fortlaufende Wellenranke, wie die intermittierende Ranke, beblättert sich so-
wohl mit diesen Blattlappen und Dreiblättern des breitzackigen, wie mit den mehrspitzigen
Einzellappen des kleinzackigen Akanthus (Abb. 257). Der Flächenfüllung dient vorzugsweise
der tangartige Akanthus sowohl in weicher wie in scharfzackiger Stilisierung. Die allge-
meine Umbildung des Pflanzenornaments in der christlichen dekorativen Plastik wird unver-
kennbar von einem einheitlichen Grundzug beherrscht: das Blattwerk nimmt dank der fort-
schreitenden Unterdrückung jeder selbständigen plastischen Einzelform mehr und mehr das
Ansehen eines gleichmäßig geschichteten Flächenbelags an mit unterschnittenen oder aus-
gestochenen Umrissen und entsprechender Innenzeichnung auf schattenfangendem Grund.
Wie es dadurch an optischer und koloristischer Wirkung gewinnt, so wird es zugleich außer-
ordentlich anpassungsfähig an die neuen tektonischen Formen. Paart sich doch damit
in der dekorativen Architektur ein Streben nach Verstärkung der konstruktiv bedeutsamen
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 18
274 UMBILDUNG DER ANTIKEN ZIERGLIEDER

Zierglieder durch Herstellung einer möglichst geschlossenen Grundform. Diese parallele Ent-
wicklung bewirkt eine vollkommene Umbildung der antiken Gebälk- und Kapitellformen in
dem Maße, als der Bogen- und Gewölbebau das Übergewicht gewinnt.
Bis zur Entstehung neuer Typen herrschen noch das ganze 4. Jahrhundert hindurch neben
den antiken gewisse Übergangsformen und beide Arten erhalten sich in beschränkter Verwendung
noch weit über die justinianische Zeit hinaus. Im konstantinischen und theodosianischen Zeitalter
erfreut sich eine Dekoration besonderer Beliebtheit, die das Kannelurenmotiv auf die krönenden
Bauglieder, sowohl Säulen- und Pfeilerkapitelle, wie Gesimse, anwendet. Die Kanneluren-
friese, — vielleicht eine hellenistische Nachschöpfung der ägyptischen Hohlkehle, —hatten schon
in die römische Architektur Eingang gefunden, aber der eigentliche Herd, wo das Motiv
vom Karnies auf das Anten- und dann auf das korinthische Säulenkapitell überspringt, war
anscheinend das südwestliche Kleinasien. Dort begegnet es uns auch noch an christlichen
Denkmälern (Aladja-Jaila, S. 257). Die üppigste Entfaltung muß es in Nikomedia gefunden
haben, wo Gesimsstücke, deren Kanneluren bereits durch Pfeilspitzen getrennt werden, und
Kapitelle jeder Größe umherliegen, die teilweise noch eine Reihe Akanthusblätter bewahren (wie
in Abb. 259), der Mehrzahl nach aber des Blattschmucks schon völlig entkleidete. Dieselben
Formen kehren an den unter Theodosius und Arkadius errichteten monumentalen Denkmälern
der jüngeren Residenz des Ostreichs wieder (Tafel XII, 1), ja noch am Gebälk der Studios-
basilika (Abb. 257), wo auch die Säulenstellungen der Emporen Kompositkapitelle von ähn-
licher Zusammensetzung tragen.
Von den älteren Ziergliedern des antiken Gebälks erweist sich der Eierstab (S. 270) in
massiger Bildung und mit den pfeilähnlichen Zwischenstegen (Abb. 261) als das langlebigste,
während die lesbische Welle völliger Zersetzung verfällt (Abb.256 u. 260) und der Zahnschnitt
sich lockert. Nur als Rahmenleiste gewinnt der letztere durch Verdoppelung und schräge Ab-
kantung für dekorative Zwecke ein neues Leben. Einem eckigeren Schnitt wird endlich auch
der Astragal, besonders in der Kleinkunst, unterworfen. Die Architektur findet für die auf-
gegebenen Architrav- und Friesformen vor allem Ersatz in der geschwellten Bildung des
syrischen Wulstfrieses, der den Druck des darauf lastenden Baukörpers ungemein wirksam
veranschaulicht. Um ihn für das Auge durch die malerischen Kontraste des Tiefendunkels
zu beleben, dienen die mit ihm zusammen über-
nommene, aber in zierlichem streng byzantini-
schem Geschmack durchstilisierte Wirbelranke des
Akanthus (Abb. 125) oder das traubenschwere
Rebengewinde (S. 269).
Eine vollkommene Umwälzung wird in den
Kapitellformen durch die Verbindung des Bogens
mit der Säule hervorgerufen. Die syrische Bau-
kunst hat dem Bedürfnis nach Verstärkung des
Auflagers für den Bogenansatz noch wenig Rech-
nung getragen (S. 215). Die Erfindung des
Kämpfers, der dieser Forderung zuerst Genüge
leistet, gehört Byzanz. Begegnet er uns doch
überall, wo sich byzantinischer Einfluß geltend
Abb. 259. Kanneliertes Kompositkapitell aus macht. Die Vorstufe desselben ist schon in der
Byzanz (im Kaiser-Friedrich-Mus. in Berlin). konstantinischen Architektur gegeben, nämlich in
URSPRUNG DES KÄMPFERS UND DES JONISCH-BYZANTINISCHEN KAPITELLS 275

jenen Gebälkstücken, die in Sta. Costanza auf je zwei gekuppelten Säulen liegen und durch ihre
Zusammensetzung aus Architrav, Wulstfries und Gesims sich noch deutlich als Teile des antiken
Epistyls zu erkennen geben (Abb. 239). Die Vereinfachung der Form zum ungegliederten Trape-
zoid mag der Zerteilung des größeren Aufsatzstückes in würfelförmige Glieder, welche zur Über-
höhung einzeln stehender Säulen dienen konnten, gefolgt sein, da auch eine Profilierung des
Oberteils noch spät genug an den Ursprung des ganzen Gebildes gemahnt (s. Teil II). Am
frühesten treffen wir das letztere in den Menasbasiliken (S. 229), wo es vielleicht unter
Anregung des ägyptischen Tempelbaues, der über den Säulen ein solches Bauglied von
prismatischer Form besitzt, zur Ausgleichung des Druckes zuerst eingeführt worden ist. Der
trapezoidale Aufsatz bekleidet sich dann in der kirchlichen Architektur noch im 5. Jahr-
hundert mit Blattwerk, ja er nimmt im 6. sogar figürlichen Reliefschmuck an (s. Teil II).
Wenn endlich im 6. Jahrhundert (s. Teil II) der Kämpfer selbst zum Kapitell wird, so er-
scheint dieser letzte Schritt nur als natürliche Folge einer Entwicklung, die sich langsam
vorbereitet, wie wir das an den Wandlungen spüren, die die älteren Kapitelltypen schon im
Laufe des 5. Jahrhunderts erfahren.
Das antike jonische Kapitell verschmilzt alsbald unter Ausschaltung seiner Deckplatte mit dem Trapezoid
zu einem Stück und erfüllt in der neuen jonisch byzantinischen Form von anfang an mühelos die Aufgabe
der Vermittlung zwischen Mauerfortsatz und Säulendurchschnitt. Der Kämpfer, den in frühen Beispielen
in Rom (S. Stefano), Syrakus (S. Giovanni), Chalkis (Agia Paraskewi) und zum Teil noch in Saloniki
(Eski Djuma und Agios Demetrios) nur Kreuze oder Monogramme schmücken (Abb. 241), nimmt Ranken- und
Mattwerk auf (Saloniki) und bewahrt solche Motive auch an vergröberten jüngeren Erzeugnissen (Abb. 260).
Wohl erst seit dem 6. Jahrhundert erhält er das S-förmig geschwungene Profil, worauf sich die Gesamtform
mit jeder Art von Profilierung bis in das Mittelalter forterbt (s. Teil II).
Stärkeren Widerstand setzt das korinthische und das antike Kompositkapitell der Umbildung im Sinne
des Kämpfers entgegen. Geht es zuletzt auch eine um so innigere Verschmelzung mit ihm ein, so erhält sich
doch die reine Grundform fortdauernd neben allen Neubildungen. Daß sich der noch |in konstantinischen
Bauten (Abb. 202 und 239) bevorzugte antike weichlappige Akanthusschmuck in reicher plastischer Durch-
bildung am längsten im äußersten Osten Mesopotamiens (Abb. 249 und S. 269) erhält, ist kunstgeschicht-
licher Zufall, zumal sich ihm hier noch das Girlandenmotiv verbindet, das in der übrigen christlichen Bau-
ornamentik nur ganz vereinzelt fortlebt. In der byzantinischen Kunst erfährt das korinthische (bzw. Komposit-)
Kapitell eine durchgreifende Umstilisierung. Beide Arten des Blattschnitts werden darauf angewandt. Der
kleinzackige ist charakteristisch für das in der
ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts vorherrschende,
von Mailand und Nordafrika, bis zur Krim ver-
breitete theodosianische Kapitell, an dem nicht
nur diebeiden Blattreihen, sondern auch die schräg
gestellten Akanthuslappen des Torus diese Stili-
sierung zeigen (Abb. 261). Statt des Eierstabes
läuft oben zwischen den Voluten meist eine durch-
brochen gearbeitete Reihe von Blattspitzen oder
eine intermittierenden Ranke herum. Bisweilen
schiebt sich ein Kreuz in ihre Mitte. Einer jünge-
ren Spielart verleiht die Steigerung zu noch fei-
nerem, sägezackigem Schnitt und die Hinzufügung
von Halbblätterpaaren — sie wachsen allmählich
aus kleineren Blattzacken der älteren Form (Abb.
261) von unten auf — zu jedem Blatt ein fast über-
zierliches Gepräge (Abb. 257). Im 6. Jahrhun-
dert lebt zwar diese verschiedenartige Behandlung
des Akanthus fort, der Kapitelltypus als solcher Abb. 260. Jonisch-byzantinisches Kapitell (aus S. Marco
aber wohl nicht allzu lange. Viel länger bleibt in Venedig). 18*
276 FORTBILDUNG DES KORINTHISCHEN UND DES KOMPOSITKAPITELLS

Abb. 261. Kompositkapitelle mit theodosianischem und windbewegtem Akanthus (aus Venedig und Ravenna).

das korinthische und das Kompositkapitell mit dem breitzackigen Blattschnitt im Gebrauch, der, schon an den
Pilastern des Goldenen Tores (S. 263) und in der Menasbasilika (S. 229) ausgebildet, bis gegen Ausgang
des 7. Jahrhunderts nur eine unbedeutende Verdauung erfährt, wenngleich er um Mitte des 5. an der Säule
Marcians (f 457), und dann wieder in der justinianischen Dekoration (s. Teil II) zeitweise eine viel elegan-
tere Bildung annimmt.
Eine wichtige Rolle spielen schon am theodosianischen Kapitell Vogel- und Tierfiguren, von denen sich
anscheinend zuerst die kaiserlichen Adler an Stelle der Eckvoluten über dem oberen Blattkranz einfinden
(Abb. 259). Zugleich mit dem kleinzackigen Blattschnitt tauchen auch Köpfe oder Vorderleiber von Lämmern
und Widdern auf, wie sie schon die römische, wenn nicht gar die hellenistische Kunst wahrscheinlich in
Anlehnung an altorientalische Vorbilder einzufügen liebte, während ein Akanthuskelch meist das Füllmotiv
der Mittelbosse bildet. Später treten Pfauen oder Hähne hinzu, Löwen und andere Vierfüßer oder Fabel-
wesen mischen sich dazwischen ein, so daß von der Oberhälfte des Kapitells das Blattwerk fast verschwin-
det. Inzwischen vollzieht sich — zum Beispiel schon an den Adlerkapitellen vom Propylaion des Goldenen
Tores (S. 263) — wohl in Nachbildung des Korbkapitells (s. unten) der für die Gesamtform maßgebende
Zusammenschluß der Spitzen des oberen und schließlich auch des unteren Blattkranzes zu einem stegartigen»
mit dem Perlstab verzierten Ring.
Das Streben nach verstärkter Massenform hat zu einer weiteren Umbildung des theodosianischen
Kapitells geführt. Indem das in der Malerei und wohl auch
im Relief (S. 54 und Abb. 41 u. 256) schon vorher gegebene
Motiv des bewegten Akanthusblattes auf das Kapitell über-
tragen wird, erscheinen die Blätter des letzteren wie vom
Winde bewegt. Dem ältesten Beispiel der um 421 n. Chr.
angelegten Zisterne des Arkadius (S. 264) folgen jüngere
aus Nicäa und aus der Herkulesbasilika in Ravenna mit dem
Monogramm Theodorichs (Abb. 261). Neben dieser kompo-
siten Spielart mit gleichsam aufgeklapptem Akanthus aber
steht eine zweite, rein korinthische der Agia Paraskewi in
Chalkis, der Markuskirche in Venedig u. a. m. (s. Teil II)
mit sehr feinzackigem Schnitt (S. 275), bei der die Blätter
sich durchweg nach einer Seite umlegen. Sie ist schon am
Pilasterkapitell des Petrus Chrysologus (Ravenna) und einem
anderen in Rom (S. M. Antiqua) vorgebildet. Dagegen
mögen ein paar syrische Gegenbeispiele mit schräg liegenden,
Abb. 262. Byzantinisches Korbkapitell (aus glatten oder weich gelappten Blättern (Betursa und Kalat
S. Marco in Venedig). Seman), — vollends aber, einzelne jüngere Stücke von über-
URSPRUNG UND ENTWICKLUNG DES KORBKAPITELLS 277

reicher Blattbildung in Jerusalem und Aleppo (Medresseh el Halawijeh) ihre Entstehung eher dem rückwir-
kenden byzantinischen Einfluß verdanken. Gleichwohl erscheint angesichts dieses verschiedenartigen und weit
zerstreuten Denkmälerbestandes die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Typus seinen Ursprung in
Antiochia hat und in Byzanz sich nur eine Umbildung gefallen lassen mußte.
Die Umformung des antiken Blattkapitells vollzieht sich sichtlich durch Angleichung an neue mas-
sigere Kapitelltypen. Von diesen war, wie oben angedeutet wurde, das sog. Korbkapitell als ältere Schöp-
fung anscheinend schon in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts völlig ausgebildet. Seine Entstehung ist
bis jetzt nur teilweise aufgeklärt. Zweifelhaft bleibt, ob die Vorstufen in der römischen Kunst liegen, in
der vereinzelt etwa seit dem 2. Jahrhundert verwandte Bildungen Vorkommen, oder ob ihre orientalischen
(assyrischen) Vorbilder von der byzantinischen Kunst in freier Neuschöpfung abermals nachgeahmt worden
sind. Beiden Reihen ist das die Unterhälfte bekleidende Korbgeflecht gemein, nur wird es bei den antiken
Stücken aus Rom (und Tusculum) in Relief, bei den prokonnesischen Arbeiten in Durchbrucharbeit ausge-
führt. Auch kommt das die Mitte umschnürende doppelte Strickmotiv (bzw. der Ölblattstab) manchmal
noch bei den letzteren vor. Größere Verschiedenheit besteht hingegen im Schmuck der Oberhälfte des
Kapitells. Bei den ersteren wird er ebenfalls meist durch ein Gitter- (bzw. Flecht-)muster gebildet, in
einem Falle jedoch durch einen Kranz von aufstrebenden schilfähnlichen Blättern, eine Zusammensetzung,
die an die vor dem Salomonischen Tempel aufgestellten Säulen Jakhin und Boas erinnert. Waren diese
auch längst zerstört, so mag es doch in Palästina sogar noch in byzantinischer Zeit mancherlei Nachbil-
dungen dieses Typus gegeben haben. Und daß die byzantinische Kunst ihn in der Tat daselbst aufge-
nommen hat, wo die prokonnesischen Steinmetzen reiche Beschäftigung fanden, dafür spricht das wieder-
holte Vorkommen des Korbkapitells an den dortigen Bauten. Mit dem Korbgeflecht verbindet sich an diesen
Stücken der kleinzackige Akanthus, der bei den älteren (S. 209) die Oberhälfte bekleidet, an jüngeren
(Anastasis, El-Aksa) aber sich manchmal sogar in doppeltem Blattkranz herumlegt. Anderwärts (in
Konstantinopel, Saloniki, Ravenna) werden die Adler und die
übrigen Tierfiguren des theodosianischen Kapitelltypus (s. oben)
mitsamt dem Blattwerk oder auch ohne dasselbe mit dem Korb-
geflecht verquickt, und zuletzt (s. Teil II) wird gar das letztere
durch die Akanthus- oder selbst durch die Weinranke ersetzt, —
so daß nur noch die Kesselform des Ganzen den Zusammen-
hang mit dem Korbe wahrt. Diese byzantinischen Mischformen
haben dann auch in der koptischen Kunst Nachahmung gefunden
(Abb. 263 oben). Andrerseits aber treffen wir sowohl in Ägypten
(Bawit) wie in Syrien (Turmanin) und Mesopotamien (Da...a,
Majafarkin) vielfach Beispiele, die nur das Flechtwerk und das
Strickmotiv aufweisen und so das Fortleben des einfacheren
palästinensischen Stammtypus bis in die nachjusiinianische Zeit
bezeugen. Auf die Entstehung solcher kesselförmigen Kapitelle,
die mit dem jüngeren Kämpferkapitell (s. Teil II)
eine wohl nur zufällige Ähnlichkeit haben, scheinen
aber zugleich wieder örtliche Sonderformen orienta-
lischer Kunsttradition anregend eingewirkt zu haben,
spricht doch schon Eusebius von Kesseln, welche die . <■■■'.
zwölf Säulen in der Apsis des Martyrium (S. 207)
bekrönten. Im Menasheiligtum (S. 229) u. a. kopti-
schen Kirchen begegnen wir ebenfalls kämpferähn-
lichen Kapitellen, die vielleicht altägyptischen Lotos-
kapitellen nachgebildet sind, da sie statt des Akanthus
glatte anliegende Eckblätter tragen. Daß sich zwischen
allen diesen Typen Angleichungen vollziehen, ist die
unausbleibliche Folge eines allgemeinen Entwicklungs-
gesetzes der bildenden Kunst. Mit dem Korbkapitell
teilen sie durchweg die korinthische Deckplatte. Das
Vorkommen solcher Kapitelltypen am Nil oder in Syrien Abb. 263. Koptisches Korb- und Kesselkapitell
von einer für das Kalk- oder Sandsteinmaterial sicht- (im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin).
278 WEITREICHENDER VERTRIEB DER NEUEN TYPEN — LITERATUR

lieh vereinfachten schematischen Formengebung beweist daher bereits die Rückwirkung der byzantinischen
Kunst und nicht etwa den selbständigen Ursprung der Gesamtform aus dem Orient. Provinziale Nach-
ahmungen haben sich besonders in Ägypten erhalten, so z. B. einige kesselförmige Kapitelle (in Sakkarah
und Heluan), die den breitgezweigten Akanthus ohne Voluten statt des Flechtwerks in wedelartiger koptischer
Stilisierung aufweisen (Abb. 263 unten).
Die Überschau dieses reichen Formenschatzes überzeugt uns, daß hier eine zusammen-
hängende bodenständige Entwicklung vorliegt, die von dem Triebe beherrscht wird, die Formen
zu biegen, zu verschmelzen und ineinander überzuführen. Die gestaltende Erfindung gehört
dem stilbildenden Geist der griechischen Werkstätten der Prokonnesos, der die fremden Elemente
völlig aufzusaugen wußte. Durch sie wurden in einem Großbetrieb ersten Ranges die Küsten-
länder vom taurischen Chersonnes bis Mauretanien versorgt, wo die Basiliken von Theodosia
und die Moschee von Kairuan noch heute die Gegenspiele zu den in Konstantinopel, Ravenna
und Venedig erhaltenen Stücken darbieten.
Eine grundlegende Untersuchung über die Entwicklung des geometrischen Ornaments in der spät-
antiken und altchristlichen Kunst steht noch aus. Strzygowski (und v.Berchem), Amida, S. 1 54ff. leitet die daselbst
vertretenen mannigfaltigen Rapportmuster zu ausschließlich von mesopotamischen Elementen (Svastika) ab
und verkennt die Bedeutung des hellenistischen Einschlags (Mäander und Polygonalsysteme); vgl. dazu
Amtl. Ber. d. Kgl. Mus. 1 914, Mai). Für die Fortbildung der Akanthusornamentik in der römischen und byzanti-
nischen Kunst bleibt noch immer A. Riegl, Stilfragen, Grundlegung einer Gesch. d. Ornaments, Leipzig 1893,
S. 248ff. u. 272 ff. wegweisend mit Ergänzungen Spätröm. K. Industrie I, S. 36 ff. u. Beitr. zur K. Gesch., F. Wick-
hoff gewidm., Wien 1903, S. 1 ff. Dagegen sind sowohl die Weinranke als auch die übrigen syrisch-palästinen-
sischen Motive bisher zu wenig berücksichtigt worden; vgl. zur ersteren Strzygowski, Jahrb. der Kgl. Pr.
K.-Samml. 1903, S. 291 ff., sowie zur Vermischung der Motive und zum sassanidischen Einfluß in der antio-
chenischen Kunst Or. Christ. 1902, S. 421 ff. Die palästinensische Pflanzenornamentik behandelt E. Weigand,
Byz. Zeitschr. 1914 (in Vorbereitung und z. Z. noch unzugänglich); das wichtigste Material bieten schon
F. de Saulcy, Voyage autour de la Mer morte etc., Paris 1850/1, und N. Kondakow, Eine archäol. Reise
in Syrien und Palästina. St. Petersburg 1 904 (russisch). Für Baalbek und Spalato vgl. die Werke von
Frauberger und Adam; zur Kannelurenornamentik O. Wulff, Amtl. Ber. d. Kgl. Mus. 1912,Januar. W. v. Alten,
Gesch. des altchristl. Kapitells, München und Leipzig 1913, gibt eine klärende Zusammenfassung des Gegen-
standes und hat vor allem den orientalischen Ursprung des Korbkapitells sichergestellt; vgl. dazu auch
W. v. Grüneisen, Or. Christ., N. F. 1912, S. 281 ff. L. Brehier, Nouv. archives des miss, scientif. N. S. 1911.
S. 19—105, geht den verschiedenen Techniken und Typen der byzantinischen Dekoration nach, ohne die gene-
tische Erklärung erheblich zu fördern. Im übrigen vgl. zu den einzelnen Motiven O. M. Dalton, Byz. art
and archaeol. S. 684-713 (mit der gesamten Spezialliteratur).

Abb. 264. Quadrat- und Kreisgeflecht mit Akanthusfüllung,


Marmorschranke in Ravenna (Dom).
DIE VORSTUFEN DER KIRCHLICHEN WANDMALEREI 279

Abb. 265. Josua und der Engel des Herrn vor Jericho (a. d. Vat. Josuarolle)
(nach A. Munoz, II Rotulo di Giosue, Cod. e Vat. sei. 19071.

V.
Die altchristliche Malerei seit Konstantin dem Großen.
Der Sieg des Christentums und die wachsende Bedeutung der Kirche erhält den glänzend-
sten Ausdruck in einem neuen Stil der monumentalen Malerei, der das Mosaik als wir-
kungsvollste Technik in seinen Dienst nimmt. Daß dieser Stil nicht aus der älteren sepulkralen
Malerei herauswächst, wird uns nirgends so klar wie in Rom, wo wir vielmehr seine neuen Typen
schon in die Katakombenfresken des 4. Jahrhunderts eindringen sehen (S. 82 ff. u. 85 ff.).
Auch hat er mit ihrer älteren naiven Symbolik nichts gemein. Der neue Darstellungsgehalt
muß sowohl nach der historisch-dramatischen wie nach der liturgisch-repräsentativen Richtung—,
denn diese beiden Seiten zeigt der kirchliche Bildschmuck schon in vollster Entfaltung, — auf
Vorstufen geformt worden sein, die sich z. T. unserer unmittelbaren Kenntnis entziehen. Aus der
dekorativen Wandmalerei des christlich antiken Hauses mit ihren bildnismäßigen und genre-
haften Elementen ist die kirchliche hervorgegangen. Und die Ersetzung des heidnisch-mytho-
logischen Bildstoffes durch christlichen hat da bereits ihren Anfang genommen. Wo aber
hatte dieser Bildstoff seine vorbereitende Gestaltung gefunden ?
Die Verbildlichung der biblischen Ereignisse hatte in einer anderen Technik längst be-
gonnen und eine bedeutende Höhe der Entwicklung erreicht, bevor die Kirche darnach ver-
langte. Unmittelbar aus der literarischen Überlieferung entsprang die künstlerische Neu-
gestaltung. Die altchristliche Buchmalerei besitzt teilweise eine ältere Tradition als die er-
zählende Wandmalerei. Sie muß daher in der Betrachtung vor dieser berücksichtigt werden,
obgleich wir keine illustrierten Handschriften aus so früher Zeit kennen und weitaus die Mehr-
zahl der erhaltenen sogar weit jünger ist als die ältesten monumentalen Gemäldezyklen.
280 URSPRUNG DER ANTIKEN UND CHRISTLICHEN BUCHMALEREI

Die altchristliche Miniaturmalerei.


Die Lektüre der heiligen Schriften, zumal des Alten Testaments, das die Kirche über-
nommen hatte, weckte ein neues Anschauungsbedürfnis. War doch die antike Kultur so tief
von Kunst durchsättigt, daß sich bei den Heidenchristen ein solches Verlangen einstellen
mußte. Ja, es ist nicht unwahrscheinlich, daß schon das alexandrinische Judentum unter
hellenistischem Einfluß der Miniatur in die biblischen Bücher Einlaß gewährt hatte, — ist
doch die Bekanntschaft mit diesen in synkretistischen Gemälden (s. unten) zu spüren. Jeden-
falls aber hat nicht das Christentum den ersten Schritt dazu getan, Wort und Bild zu
verknüpfen, — es folgte damit nur dem Vorgang der Antike und hat mit ihr die künstlerische
Tradition gemein, wie sie durch Material und Technik bestimmt wird. Die christliche Buch-
malerei schließt sich an den ausgebildeten Stil der antiken Illustration an. Diese aber hatte
sich zur Zeit ihrer Entstehung bereits in verschiedene Typen gespalten. In dem erhaltenen
Denkmälerbestande vertreten die ältesten christlichen Bilderhandschriften schon eine sehr
entwickelte, jüngere Werke zum Teil noch eine ältere Darstellungsform. Die Malereien der
lateinischen Versionen christlicher Bücher müssen als freie Nachahmungen nach griechischen
Vorlagen angesehen werden.
Die antike Miniatur ist eine alexandrinische Schöpfung. Sie hat in der ägyptischen
Papyrusmalerei eine ältere, ungriechische Vorgängerin. Das Schreibmaterial, das zugleich
das Bild aufnahm, und der von ihm abhängige Zuschnitt des Buches, die Rolle (Volumen),
haben auf die Darstellungsform einen maßgebenden Einfluß geübt. Der älteste Rest einer
griechischen illustrierten Papyrusrolle aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. (in Paris, Bibi. Nat.
Suppl. 1294) — er enthält einen unbekannten Roman — weist noch getreu dem System der
ägyptischen Totenbücher eine transversale Kolumnenteilung auf und mitten im Text an be-
liebiger Stelle eingeschobene Figuren ohne Umrahmung und Hintergrund. Aber sehr bald
muß die grundlegende Änderung eingetreten sein, daß der Text quer über die ganze Breite
der Rolle geschrieben wurde. Dadurch mußte die Umwandlung der Miniatur in ein von
einfachem farbigem Rahmen umschlossenes, malerisch ausgeführtes Bild wesentlich gefördert
werden, besonders sobald statt des Papyrus das für solche Behandlung besser geeignete
Pergament in Gebrauch kam.
Allein der Buchmalerei stand auch ein zweiter Weg der Entwicklung offen und wohl
noch früher. Es entstanden reine Bilderhandschriften ohne Begleittext oder nur mit kurzen
Beischriften, in denen sich die Darstellung ohne jede Unterbrechung in der ganzen Länge
der Rolle fortspann, gehörte doch das friesartige Prinzip der fortlaufenden Schilderung zum Erb-
teil des hellenistischen Stils. In der antiken Reliefplastik von den ilischen Tafeln bis herab zu
den oströmischen Triumphalsäulen (S. 168 ff) herrschte bereits diese Darstellungsform, welche
die ganze Folge der Ereignisse auf zusammenhängendem Schauplatz vorführt. Die Illustration
der epischen Dichtung wird der „kontinuierenden“ Darstellungsweise Eingang in die Miniatur-
malerei verschafft haben. Die einförmige Wiederholung von Kämpfen und Schiffsszenen,
wie sie namentlich der zweite vatikanische Vergilkodex, aber auch die Ilias der Ambrosiana
bietet, wird uns erst völlig verständlich, wenn wir ihre Bilder gleichsam als Kopien einer
zusammenhängenden Vorlage ansehen, die man, in einzelne Szenen zerlegt, wieder mit dem
vollständigen Texte in Verbindung zu bringen suchte. Und solchen Vorbildern ist die christ-
liche Miniatur alsbald gefolgt. Eine Pergamenfrolle, deren Malerei sich mit der Illustration
der antiken Epen im Gegenständlichen auffallend nahe berührt und sichtlich eine Anlehnung
DAS EPISCHE ROLLENBILD UND DIE VATIKANISCHE JOSUAROLLE 281

an jene antiken Rollenbilder verrät, führt uns wie eine Art Wandelbild die Geschichte des
jüdischen Kriegshelden Josua vor Augen. (Vat. Bibi. Pal. Gr. 431.)
Anfang und Ende des Volumens fehlen, aber die wichtigsten Ereignisse der Eroberung Kanaans
(Buch Josua, III—X) sind darin enthalten. Die Israeliten durchschreiten mit der Bundeslade den Jordan und
errichten an seinem Ufer das Steinmal (Taf. XVII, 1). Wiederholt sendet Josua Kundschafter aus. Er besiegt die
Feinde, erobert und zerstört ihre Städte Qai, Jericho u. a. m. Grausam werden die feindlichen Könige
hingerichtet. In rechtsläufiger Richtung reiht sich Szene an Szene, den Siegeszug des auserwählten Volkes
vergegenwärtigend. Der Standpunkt des Beschauers zu den perspektivischen Ansichten der Gebäude und
Berge liegt immer rechts. Die eingeschobenen Stadtbilder, Altäre und Architekturen, über denen Bäume ihr
Laubdach ausbreiten, bringen allein eine gewisse Trennung der Vorgänge und Abwechslung in den Schau-
platz hinein. Dieser baut sich nach Art der hellenistischen Reliefbilder als bergiges Terrain auf in dem
Sinne, daß oben Gebäude und Figuren, besonders die häufigen Lokalpersonifikationen, wie in die Ferne
zurückgeschoben erscheinen. Hinter den Felsen unten brechen die jüdischen Heerhaufen hervor. So gibt
der Künstler überall zusammenhängende Anschauung in einer Technik von einzigartiger Einfachheit und
dennoch von vollkommen malerischer Wirkung. Die gesamte Szenerie und zahlreiche Figuren und Gruppen
sind in einem einheitlichen, lichtbraunen Grundton ausgeführt, auch die Umrisse nur in leichter, sicherer
Pinselzeichnung gegeben. Jede Form ist aber in den Schatten treffend abgestuft und unter Beobachtung
einheitlicher Lichtführung so kräftig mit Weiß gehöht, daß die volle Illusion der Körperlichkeit zustande
kommt. Die wenigen Lokalfarben: Eisenblau, vorwiegend für Helme und Panzer, etwas Gelb und Purpur-
violett für die Mäntel, könnten unbeschadet der überzeugenden Bildwirkung (Abb. 265) fehlen. Wie in ihrer
Technik so nimmt die Josuarolle auch durch ihre objektiv erzählende, sich nirgends an den Beschauer
wendende Vortragsweise eine Sonderstellung ein. Über vereinzelte Anläufe zur frontalen Komposition,
einmal z. B. wo Josua Botschafter empfängt, kommt sie nicht hinaus. Seine imponierende Gestalt ist zudem
hier so gut, wie wenn er seinem Kriegsvolk anfeuernd voranschreitet (Taf. XVII, 1), in der Pose und Erscheinung
des antiken Feldherrn aufgefaßt. Überhaupt bewahrt der Figurentypus noch den wohlverstandenen kräftigen
Körperbau der Antike. Die Zeichnung arbeitet noch mit der, wenn auch hie und da mißglückten, Ver-
kürzung. Bewegung und Handlung bleiben überall klar, spannend und doch maßvoll. Gleichwohl verraten
gewisse Motive, daß die zugrundeliegende Redaktion des Bildstoffes einer Zeit angehört, in der das
christliche Element schon seine ikonographische Ausprägung gefunden hatte. In der Szene, wo der Engel
des Herrn Josua erscheint (Abb. 265), ist in der Gestalt Michaels der antike Kriegertypus mit Flügeln aus-
gestattet. Das Kunstideal des gerüsteten Erzengels erscheint hier vorgebildet. Einer der wenigen nicht-
griechischen Züge ist auch die zweimalige Wiedergabe Josuas, der mit dem von ihm noch nicht erkannten
Engel spricht und ihm, plötzlich erleuchtet, zugleich zu Füßen liegt. Die klassische Kunst kennt eine solche
Figurenwiederholung zum Ausdruck der kurzen Zeitfolge des Geschehens nicht, dagegen war sie der
syrisch-palästinensischen Ikonographie geläufig (S. 139).
Alles das schließt wohl eine Entstehung des Urtypus dieser Bildrolle vor dem 5. Jahr-
hundert aus. Daß sie selbst aber eine Kopie ist, die wegen der bemerkten Mängel der
Zeichnung um hundert Jahre oder noch später anzusetzen sein dürfte, lehrt der Vergleich
mit der mittelalterlichen, byzantinischen Illustration des Buches Josua in den sog. Oktateuchen,
die sichtlich auf derselben Redaktion fußen, wird sie doch im Gegenständlichen gelegentlich
durch diese berichtigt. Die kurzen Namensbeischriften in reiner Unziale gehören mit der
Malerei zusammen, die begleitenden Textzusätze in mittelalterlicher Kursive sind erst im
9. oder 10. Jahrhundert an einem früheren Aufbewahrungsort der Handschrift hinzugefügt
worden. Die Technik scheint noch die Malweise der Papyrusminiatur nachzuahmen.
Mit dem Übergange vom Volumen zum Kodex, der sich im kirchlichen Gebrauch der
heiligen Schriften seit dem 4. Jahrhundert vollzieht und in der Entstehung des Apostel-
typus mit dem Buche (S. 133 u. 146) seinen künstlerischen Ausdruck findet, wurde auch die
Illustration gezwungen, sich mehr und mehr der Buchform anzupassen. Die malerische
Ausschmückung der Pergamentcodices mit dem davorgesetzten Porträt des Autors war an
sich nichts Neues. Aber daß die Einfügung von Bildern in oder zwischen die Textseiten
282 DER BILDSCHMUCK DES KODEX UND DIE QUEDLINBURGER ITALA

des Buches den illustrierten Rollen gegenüber eine Neuerung bedeutete, dafür liegen in der
christlichen Miniaturmalerei die deutlichsten Anzeichen vor. Die ältesten Reste eines illustrierten
alttestamentlichen Textes gehören— zufälligerweise — einer lateinischen Handschrift an: vier
Blätter der Itala genannten ersten abendländischen Bibelversion, die (seit 1865) aus der Deckel-
verkleidung verschiedener Quedlinburger Rechnungsbücher des 17. Jahrhunderts, nicht ohne
Verlust eines guten Teils ihrer Deckfarben, abgelöst wurden. Der paläographische Schrift-
charakter weist in das 4. Jahrhundert, der rein antike Stil ihrer Bilder wohl noch weiter
zurück. Und dieser Kodex verrät, daß die christliche Miniatur damals erst auf dem Wege
ist, sich ihren Platz im Buche zu suchen.
Drei Seiten tragen je vier Miniaturen, die von einem einfachen roten Rahmenstreifen umschlossen
und voneinander getrennt sind. Auf einer vierten sind zwei Miniaturen von doppelter Breite in der
gleichen Weise eingefaßt. Text und Darstellung gehören dem Königsbuch an, sie greifen aber über den
ersteren hinaus. So beobachten wir, wie die Bilder gewöhnlich noch in dem Maßstabe, an den sie in einem
früheren Stadium engerer Verbindung mit der Schriftkolumne des Textes innerhalb des Kodex und noch
früher der Rolle gebunden waren, aus dem Zusammenhänge mit der Schrift ausscheiden, um sich auf besonderen
Seiten anzusammeln und bald breiter zu entfalten. Ziemlich ausführliche Vorschriften für den Maler, die
unter der abgeblätterten Farbe zum Vorschein gekommen sind, geben Einblick in den Entstehungsgang des
Buches. Sie lassen keinen Zweifel daran, daß der Schreiber seine Arbeit zuerst getan und auch dem Maler
die leitenden Anweisungen gegeben hat, aber offenbar nur als Anhaltspunkte für die Anordnung und viel-
leicht auch für die Auswahl der Szenen nach einer gegebenen Vorlage. Die Miniaturen vertreten eine von
der Darstellungsweise der Josuarolle grundverschiedene, der einfachen Einfügung der Figuren in den Text
noch sehr nahestehende und doch schon durchaus malerische Bildgestaltung. Ob Saul auf der Suche nach
der Eselin seines Vaters zwei Männer am Grabe Rahels trifft, die ihm die Auffindung des Tieres melden
oder gemäß der Weissagung Samuels den Propheten begegnet (1. Sam. X, 2 u. 10), ob Samuel ihn dem Volke
vorstellt oder dem Opfernden seine Verwerfung mitteilt und beide gemeinsam Gottes Langmut anflehen
(Taf. XVII, 2 u. 3), immer treten nur wenige Figuren in weiten Abständen vor einfachem Hintergründe auf.
Die frontale Stellung herrscht durchaus vor, vor allem bei sämtlichen Nebenfiguren, doch werden auch
die Hauptpersonen höchstens in Dreiviertelwendung gegeben, — selbst in der bewegten Szene, wo Saul
den enteilenden Samuel vergeblich am Mantel zurückzuhalten sucht. Das seitliche Agieren der Gestalten
ohne wirkliche Profilstellung wirkt wie eine ständige Rücksichtnahme auf den Beschauer.
Es muß in hohem Grade überraschen, daß wir hier schon so früh einer ausgebildeten
frontalen, wenngleich durchaus nicht zentralen Komposition begegnen, und beweist, daß sie
ihren Ursprung in der christlichen Kunst nicht erst dem orientalischen Einfluß verdankt.
Er hat ihr nur zum Siege verholfen (S. 137 ff.). Es liegt auf der Hand, daß die älteste
christliche Miniaturmalerei bei der Illustration der heiligen Schriften unter verschiedenen
Anregungen stand. Bei der Königsgeschichte handelte es sich nicht, wie im Buche Josua,
um einen Helden und um Wiederholung ähnlicher Vorgänge, also um eine innere Wesens-
verwandtschaft mit der epischen Dichtung. Hier standen sich mehrere Antagonisten in
dramatisch zugespitzter Handlung und gleicher Rollenverteilung gegenüber. Und in der Tat
erinnern die Miniaturen der Quedlinburger Itala an nichts so lebhaft wie an die pompe-
janischen Gemälde, in denen unmittelbar das antike szenische Schauspiel dargestellt ist. Die
Gestalten treten etwas vor oder zurück, je nach ihrer Bedeutung. Die Illustrationen antiker
Dramen waren, wie noch die mittelalterlichen Terenzminiaturen lehren, von der Anschau-
ung des szenischen Bildes unwillkürlich beeinflußt, in dem der Schauspieler sich in jedem
Augenblicke möglichst zum Beschauer wendet. Dieser Stil aber war der Verallgemeinerung
fähig und besonders geeignet zu bildmäßiger Zusammenfassung weniger in den Text ein-
gefügter Einzelgestalten. In die christliche Buchillustration kann er nur in einem Kunstzentrum
hineingetragen worden sein, wo das literarische Interesse mit der Kunst so innig Hand in
Tafel XVII

1.

1. Josua errichtet nach Durchschreitung des Jordan das Steinmal und läßt das Volk beschneiden
(aus der Vatikanischen Josuarolle)
2. Saul am Grabe Rahels und sein Zusammentreffen mit den Propheten
(aus der Quedlinburger Itala)
3. Samuel kommt zum opfernden Saul, Gebet der Beiden und Herbeiführung Agags }
EINFLUSS DER DRAMENILLUSTRATION AUF DIESE U. A. MINIATURENFOLGEN 283

Hand ging, wie in Alexandria. So fehlt es auch im einzelnen nicht an Zügen, welche auf
den Anschluß der Italaminiaturen — oder vielmehr ihrer Vorlage — an die alexandrinische
Dramenillustration hinweisen.
Die Erscheinung des lanzenbewehrten Saul im goldnen Panzer mit dem Purpurmantel und der Stirn-
binde mutet uns an wie die eines heroischen Königs. Wie ein Agamemnon oder Priamus fährt Samuel auf seiner
Biga nach Gilgal (Taf. XVII, 2). Aus dem ,,Haufen Propheten“ der Bibel ist in der Überschrift der Gruppe ein
„Chor der Propheten“ geworden (Taf. XVII, 3). Diese und sogar der Hohepriester Samuel sind jugendlich auf-
gefaßt, wie es der ältesten, alexandrinischen Richtung der christlichen Kunst entspricht. Ein gewisses Maß
künstlerischer Freiheit ist übrigens dem Meister der Quedlinburger Itala nicht abzusprechen. Deutlich äußert
sich ein Streben, die Szenerie auszugestalten und das Bild perspektivisch zu vertiefen. Die einfache Stand-
fläche, auf die von den Figuren Schlagschatten fallen, wird mit dem hohen Horizont des antiken Rahmen-
bildes verquickt. Wo wir diesen anzunehmen haben, bedeutet uns ein rosiger Querstreifen, der jedes Bild
wie Abendrot durchzieht. Darüber breitet sich reines Himmelblau aus, darunter gewöhnlich ein grauer
Hintergrundston, mitunter aber auch der bräunliche Boden. Gebäude erscheinen stets hinaufgerückt, so das Tor
von Gilgal (Taf. XVII, 3) und vor allem der Tempelbau Salomons im letzten erhaltenen Bild. In den Abner-
szenen (2 Samuelis III, 27•—32) ist gar der ansteigende Beden für die Anbringung eines zweiten Figuren-
planes nutzbar gemacht. So zielt alles darauf ab, die malerische Illusion des geschlossenen Bildes zu
steigern, wo früher nur die Figuren und der Grund des Blattes gegeben waren. Durch und durch male-
risch ist auch die Modellierung des reich abgetönten Inkarnats. In der Farbengebung machen sich kolo-
ristische und sogar rein dekorative Neigungen stark bemerkbar. Zu den feinen Harmonien von zartem
Blau und dunklem Rosenrot, lichtem Gelb, Blaugrün und komplementärem Ziegelrot tritt reichliche Ver-
goldung hinzu, nicht nur für Rüstungen, Waffen, Musikinstrumente und andere Geräte, sondern sogar für
die Lichter der Faltenkämme in den Gewändern.]
Ziemlich nahe stehen noch der malerischen Entwicklungsstufe der Italaminiaturen die
Reste einer in verstümmeltem Zustande erhaltenen Redaktion des Pentateuch, der sogenannten
Cottonbibel. Auch sie lebt in der byzantinischen Kunsttradition (Mosaiken von S. Marco)
fort, als eine geschlossene, von dem syrischen Typus abweichende Bilderfolge. Die Hand-
schrift trägt den Namen ihres langjährigen Besitzers, dessen wertvolle Bibliothek im Jahre
1731 größtenteils ein Raub der Flammen wurde.
Zu den halbverkohlten Fragmenten von 250 Bildern im British Museum kommen die leidlich stil-
getreuen Kopien von zwei Miniaturen in Paris
(Abb. 266). Die noch erkennbaren Darstellun-
gen aus der Genesis zeichnen sich durch ein-
fache, aus wenigen Figuren mit vorwaltender
Zuwendung zum Beschauer bestehende Kompo-
sition aus. Andrerseits ist die Gestaltenbildung
etwas gedrungener und der Gewandstil ver-
gröbert, wenngleich er die Goldlichtung bewahrt.
In jeder Hinsicht aber bleibt die ruhige Auf-
fassung der Antike sehr nahe, bis in einzelne
Züge des Gebarens, des Kostüms und der szeni-
schen Umgebung hinein. Während der Hinter-
grund im allgemeinen in einem bläulichen Luft-
ton gehalten ist, finden wir, z. B. bei der Ehe-
schließung Nasors und Malkas, — nach griechi-
scher Sitte faßt jener die Braut am Handgelenk,
und als Mittler steht ihr Vater Arran zwischen
beiden, — eine Tempelfront wie im vatikanischen
Vergib Weitere Elemente antiker Szenerie bilden
der Vorhang und dieder hellenistischen Bühneent-
stammende Tür in den Bildern, wo AbrahamHagar Abb.266. Erschaffung der Pflanzenwelt (a. d. Cottonbibel)
in sein Schlafgemach führt, der Bewirtung der drei (nach H. Omont, Facsimiles des miniatures d. mscr. gr. de la Bibi. nat. 1902).
284 VERMISCHUNG DER BEIDEN RICHTUNGEN IN DER PSALTERILLUSTRATION

Engel und anderen mehr. Bei der Erscheinung Gottes vor Abraham ist außer den drei Engeln der jugend-
liche Christus mit Kreuznimbus dargestellt, ebenso auch bei der Erschaffung Evas. Für die Herkunft
dieser Genesisredaktion aus Alexandria fällt besonders ins Gewicht, daß sie unter den fast zerstörten
Miniaturen die Familie Noahs in der Arche und in der Geschichte Josephs die Pyramiden als Korn-
speicher dargestellt zeigt. Die Bilder sind in einfacher Umrahmung unter dem in schöner Unzialschrift
des 5. oder 6. Jahrhunderts geschriebenen Text angeordnet.
Die beiden Richtungen der altchristlichen Miniaturmalerei, deren Gegenpole die Josua-
rolle und die Itala bezeichnen, vermischten sich im Bildschmucke anderer biblischer Bücher.
Dazu kamen die Anregungen der hochentwickelten, antiken Tafelmalerei. Für die Mehrzahl
der alttestamentlichen Schriften ist wohl schon in Alexandria in lebhafter Wechselwirkung
mit der syrischen Kunst der Stammtypus festgestellt worden, der noch in byzantinischer oder
abendländischer Tradition fortlebt. Aber wir vermögen kaum eine solche alexandrinische
Grundredaktion ganz rein herauszuschälen. Die vollständigste und unmittelbarste Anschau-
ung von der zu malerischer Bildwirkung entwickelten illusionistischen Buchmalerei Alexandrias
des 4. bis 6. Jahrhunderts bietet der prachtvolle Pariser Psalterkodex (Bibi. Nat. 139) aus
dem 10. Jahrhundert, der zweifellos eine altchristliche Vorlage in sehr getreuer, wenn auch
mehrfach mißverstandener und zum Teil stark vergröberter Nachbildung wiedergibt. Eine
Bilderfolge aus der Geschichte Davids von auffallend repräsentativer Szenengestaltung liegt
ja schon den Reliefs der Tür von S. Ambrogio (S. 137) zugrunde, daß dieser Stoff aber
alsdann eine lebhaftere Dramati-
sierung erfahren hatte, bestätigen
die mit den Pariser Miniaturen in
der Komposition, z. B. der Goliath-
szene, der Salbung u. a. sich nahe
berührenden cyprischen Silber-
schalen (S. 198/9). Dem Text ist
im Kodex ein Zyklus von Voll-
bildern vorgebunden, dem einzelne
Szenen von gleichem Format aus
der Geschichte des Moses, der
Könige und Propheten in ähn-
licher, reich verzierter Umrahmung
zugefügt sind, — vielleicht nur
der Rest einer vollständigen Bibel-
illustration (zu den sogenannten
Oden).
Die sorgfältiger ausgeführten Bil-
der halten sich ziemlich frei von byzan-
tinisierenden Zügen (s. Teil II) und er-
innern an pompejanische Wandgemälde.
Überall werden die Vorgänge von echt-
antiken Personifikationen begleitet. Die
Melodie sitzt in felsiger, durch die
Gestalt eines ruhenden Berggottes be-
lebter Landschaft dem Leier schlagen-
den David zur Seite, und Echo läßt
Abb. 267. Besiegung und Tod Goliaths (a.d. Pariser Psalter N. 139) aus dem Hintergründe seinen Gesang
(nach Omont, a. a. O.). widerhallen (s.Teil II). Die Stärke feuert
DIE ANTIKEN ELEMENTE IN DEN PARISER PSALTERMINIATUREN 285

ihn an, dem Löwen das Lamm zu entreißen,


die Kraft berührt seine Schulter, wie er,
dem Lanzenwurfe Goliaths ausweichend,
seine Schleuder schwingt, während die Prah-
lerei entflieht (Abb. 267). Als König um-
geben ihn Weisheit und Prophetie. Die Reue
steht neben ihm, wo er nach Nathans Rede
in Zerknirschung niederfällt. Ebenso steht
Euche, das Gebet (S. 99), neben dem die
Arme ’gen Himmel erhebenden Hiskia. Syri-
sche Kunsteinflüsse treten in den Moses-
bildern hervor. Der Übergabe des Gesetzes
auf dem Sinai (Abb. 268) —, wieder be-
wohnt eine Gottheit die malerische Bergland-
schaft, — liegt sichtlich der durch Hinzu-
fügung einer Gruppe von Israeliten erwei-
terte Bildtypus der Berufung (S. 139) zu-
grunde. Auch zeigt der Durchzug der Juden
durch das Rote Meer weitgehende Überein-
stimmung mit dem entsprechenden Relief
der Holztür von S<a Sabina (S. 139), zu-
gleich jedoch in der am Boden dasitzenden
Gestalt der „Wüste“ und im Dämon der
„Tiefe“, der Pharao hinabzieht, ausgespro-
chen alexandrinische Elemente. Anna er-
scheint in syrischer Frauentracht mit man-
telartigem Kopftuch, Samuel unter den Söh-
nen Isais im Greisentypus mit dem lang auf
die Schultern herabfallenden Haar. Allein
die formale Auffassung bleibt davon fast unbeeinflußt. Die kraftvoll gebauten Gestalten finden ihre
nächsten Verwandten in Pompeji, in der Josuarolle, der auch der motivreiche Faltenwurf der Gewänder
entspricht, oder an der Maximianskathedra (S. 192). Die Kriegergestalten der Kampfszene (Abb. 267)
unterscheiden sich kaum von den Typen der ersteren. Die danebenstehende Gestalt der Nacht mit über dem
Haupt geblähtem Mantel neben dem betenden Jesaias und andere Personifikationen mit halbentblößter Brust
erinnern an alexandrinische Beinschnitzereien (S. 189). Der fackeltragende Genius der Morgenfrühe ist
vom gleichen kräftigen Schlage wie die dunkelfarbigen Berggötter. In der Goliathszene verdient die sichere
Beherrschung der bewegten Figuren nicht weniger Anerkennung als die geschickte, die beiden Momente
übereinander zwischen hochgebauten Gruppen und wirkungsvollen Kontrastfiguren zusammenfassende Kom-
position. Antiker Geist spricht aus der mannigfaltigen Szenerie, die sich bald aus einem architektonischen
Hintergründe zusammensetzt, öfter noch den Charakter der hellenistischen Landschaft mit ihren Felsstufen,
ihrem großblättrigen Gebüsch und ihren heiligen Säulen bewahrt, oder beide Elemente ineinanderfügt. In
den Naturformen und in der Vegetation herrschen gebrochene Töne neben grünen und blauen vor, während
sich an den Gestalten ein reicher Kolorismus entfaltet. Die Farbengebung freilich ist wohl am meisten ver-
fälscht, aber die grell belichteten Klippen oder Treppenstufen und im Schatten liegenden Mauerfluchten lassen
noch eine vom Kopisten schlecht verstandene einheitliche Lichtführung erkennen. Blauer Himmelsgrund
oder rosiges und dunkles Gewölk schließen nach oben die Bilder ab, mit wenigen Ausnahmen, in denen der
spätere byzantinische Goldgrund eindringt.
So bezeichnet die Psalterillustration den Gipfel bildmäßiger Auffassung in der alt-
christlichen Miniaturmalerei. Den neutestamentlichen Bilderzyklus — die Buchillustration
Alexandrias stand darin jedenfalls unter syrisch-palästinensischem Einfluß, ohne ihren eigenen
Geschmack ganz zu verleugnen, — bewahrt uns eine die Wunder und die Passion Christi
illustrierende Bilderfolge eines Pariser Kodex der Homilien Gregors von Nazianz (Bibi.
Nat. N. 510), durch die eine alexandrinische Vorlage hindurchblickt. Aber das byzantinische
286 DIE KALENDERILLUSTRATION UND DIE KAISERBILDER

Element behauptet in ihm so sehr das Über-


gewicht, daß er erst später Berücksichtigung
fsl
(^1
aim
finden kann (s. Teil II). Eine reiche Quelle für
die Kenntnis der alexandrinischen Buchmalerei
fließt dafür noch auf einem anderen Gebiet
Kf ata i n 7/ / V «-VM ;i literarischer Produktion des ausgehenden Alter-
tums, in dem das christliche Element sich mit
profanem Bildstoff vereinigt. Diente doch die
Miniatur schon im antiken Leben praktischen
und wissenschaftlichen Zwecken. So liegt uns
Mt NS- rXNUSK M TVT AUCE'iTc?
lvn mLi cmsams im uh'^ M\j 1 PIAiTbNXCiS H.AIAVC noch im Chronographen vom Jahre 354 n. Chr.
4« c f l vfl rju- Auf
bi»>'gerAuru ■ jeii/ ■ R. j*w
Aimi A^n ahi ,x . Ml . 4«k* j>tAi - jfini- Va/- /*<•/' der griechische Festkalender in einer Fassung
AIrttf. /rl>y<ir< .
Aiul rrwy?anfirti . m ff. yn+.r~
Al ^ » f A’p t c >»i i,
4m« AurrliAM v- >/<•* r'Vp
vor, die man ihm in Rom durch Hinzufügung
MchT* wAt-no Jmm t-v-ai Atu XIIII- AOd ■»'■#■•
offizieller Typen gegeben hat. Das Widmungs-
iim cr»Ahn K ^/r k*/ • a^v- |31{ XI" khl-»+-
Alc«r .\|*-*"l l <I,i. ( xu^-i«A • ;x- k'Al-«^- blatt verrät, daß das untergegangene Original
für einen christlichen Besitzer namens Valen-
4,* fVntr» //l Al. c h f* ect-*L
tl IUI A (f* »r.Avi . och
v| • kl »“Af
»i^ue'Ail
lum» Älltl HfnfAf • VI • I^K -n*u. tinus bestimmt war. Die späten in Wien, Brüssel
At i«Jm JllM \Ltfp*OA*\-XV-k*l 4r<
ALcm#/' Tccf mI« und Rom befindlichen Kopien gehen zunächst
Im Uf Tl XV«I- A£»i- IAH'"
4iiu titi - in- k*l- mV auf eine ebenfalls verlorene, sehr getreue karo-
lingische Nachbildung zurück.
Den hellenistischen Monatsbildern sind vier Städte-
personifikationen vorgesetzt, außer Rom und Konstan-
Abb. 269. Geburtstagstafel der römischen Kaiser
tinopel Alexandria, dessen Bedeutung als erste Getreide-
(a. d. Chronographen v. 354 n. Chr.)
(nach Strzygowski, Die Kalenderbilder des Chronographen vom exportstadt des Reiches ein beladenes Kornschiff ver-
J. 354, Berlin 1888). deutlicht, und das zu kurzem Glanze erhobene Trier.
Auf den letzten Blättern erblicken wir den Augustus
Constantius und den Cäsar des Westreichs Constantius Gallus, als Konsuln in der goldgewirkten Toga
picta und mit den übrigen Amtszeichen ausgestattet und nur durch die Stellung unterschieden, in den neuen
Typen der offiziellen Beamtendarstellung (S. 192). Augenscheinlich ist diese Erweiterung des Typenbestandes
der alexandrinischen Kalenderillustration im oströmischen Reichszentrum erfolgt. Aus Alexandria aber
kommen auch die dekorativen Motive, jene rahmen-
artigen Säulenstellungen und Scheinarchitekturen der
spätantiken Wanddekoration, die in der Folge in
die christliche Buchmalerei eingehen. Auf dem Zier-
blatt mit der Geburtstagsfolge der römischen Kaiser,
ist das spätere System der christlichen Kanonestafeln
schon vorgebildet. Noch fehlt ihm der überreiche
ornamentale Schmuck orientalischen Charakters.
Lorbeerstrang, Eierstab und dergl. mehr bilden,
wie auf den Konsulardiptychen (S. 193), den Grund-
bestand des Ornaments. Als Nischenschmuck dient
außer der Muschel noch die flächenfüllende Akan-
thusranke (Abb. 269).
Daß Kaiserbilder sogar in kirchlichen
Handschriften die Eingangsseiten zierten, be-
zeugt Johannes Chrysostomus. So weist die
Abb. 270. Zerstörung des Serapeion durch den Patri- kaiserliche Familiengruppe in einem kopti-
archen Theophilos (a. d. Papyrus d. Samml. Goleniseew) schen Fragment des Buches Hiob in Neapel,
(nach Strzygowski und A. Bauer, Eine alexandrin. Weltchronik 1905). das noch ins 5. Jahrhundert gehören mag, auf
DIE ILLUSTRIERTE WELTCHRONIK U. A. CHRISTLICHE LEHRBÜCHER 287

das Vorbild der Porträts zurück, welche zu


öffentlicher Ausstellung in die Provinzen ver-
sandt zu werden pflegten. Haltung und Tracht
der Dargestellten erscheint repräsentativ, aber
in der Wiedergabe der Köpfe in allerdings nicht
mehr ganz verstandener Dreiviertelansicht gibt
sich noch antike Schulung kund.
Das Christentum konnte sich über die antike
Wissenschaft so wenig hinwegsetzen wie über
die griechische Philosophie. Durch die Aner-
kennung des Alten Testaments als einer welt-
geschichtlichen Quelle wurden unzählige' Fragen
geweckt. Wie ließ sich das antike Weltbild mit
dem biblischen in Einklang bringen, wenn die
Wahrheit in der Bibel enthalten war? Wie fügte
sich der Verlauf der Weltgeschichte in den
Zusammenhang der Heilsgeschichte? Alexan-
dria blieb dank seinem alten schulmäßigen Be-
triebe wissenschaftlicher Forschung der frucht-
barste Boden, auf dem neue, christliche Lehr-
bücher der Weltgeschichte und der Weltbeschrei-
bung entstanden und ältere Werke aus den ver-
schiedensten Wissenszweigen, durch mancherlei Abb. 271. Weltgerichtsbild (a. d. Vat. Kosmas-
kodex N. 699)
Zusätze erweitert, dem christlichen Gebrauch (nach C. Stornaiolo, Le miniat. della topogr. crist. di Cosma
zugeführt wurden. Mit der schriftlichen Beleh- Indicopleusta. Cod. e Vat. sei. 1903).

rung aber ging in ihnen das Bild Hand in


Hand, und dem Zwecke der Veranschaulichung gemäß behielt in dieser Art Schriften die
älteste, rein illustrierende Richtung der Miniatur die Oberhand. Eine alexandrinische Welt-
chronik, deren Abfassung in den Anfang des 5. Jahrhunderts fällt und deren Illustration
wohl noch etwas später ihre grundlegende Redaktion erfahren hat, ist neuerdings aus den
Fetzen einer oberägyptischen Papyrushandschrift rekonstruiert worden. Ihr Bildschmuck stellt
eine sichtlich vergröberte Wiederholung des verlorenen Archetypus dar.
Von den Szenen, die zu beiden Seiten neben den Text gesetzt sind, zeigen einige wenige noch eine
schwächliche Aktion. In der Regel sind die Gestalten in voller Vorderansicht nebeneinander gestellt und
in der typischen Weise (S. 282) nur durch den Gestus der Rede oder der Anbetung zueinander durch
den Blick in Beziehung gebracht. Das hellenistische Grundelement tritt gegen den Einfluß der syrischen
Ikonographie und den primitiven koptischen Geschmack fast gänzlich zurück und seine traditionellen Motive,
wie z. B. die allegorischen Frauenbüsten der Monate, sinken zu Schemen herab. An die Urgeschichte schloß
sich die Geschichte der jüdischen Könige und der Prophetenkatalog an, dann folgten als Vertreter des
heidnischen Königtums gekennzeichnete Gruppen von Halbfiguren, hierauf die Jugendgeschichte Christi, der
Ausgang des Täufers und die Passion. Den Schluß bildete die Geschichte des römischen Kaisertums bis
zur Zerstörung des Serapeions unter dem Patriarchen Theophilos zu Beginn der Regierung des Honorius
(Abb. 270), was auf nahezu gleichzeitige Entstehung der Chronik in der Sphäre des ägyptischen Mönchtums
schließen läßt. Von den einschlägigen Darstellungen haben sich die beträchtlichsten Reste erhalten, die
erkennen lassen, wie der Maler auch solche Vorgänge durch bloße Vorführung der Hauptpersonen oder
durch einzelne schematisch bewegte Figuren veranschaulicht.
Das hervorragendste Werk aus der Reihe ähnlicher Lehrschriften, eine Art Christ-
288 DIE CHRISTLICHE TOPOGRAPHIE DES KOSMAS INDICOPLEUSTES

licher Enzyklopädie, ging um Mitte des 6. Jahrhunderts aus der Feder des alexandrinischen
Kaufmanns Kosmas des „Indienfahrers“ (Indikopleutes) hervor. Seine „christliche Topo-
graphie“ blieb in Byzanz das ganze Mittelalter hindurch ein vielgelesenes Buch und liegt
uns noch in mehreren Abschriften vor. Sie war, wie die weitgehende Übereinstimmung ihrer
Miniaturen und die im Text enthaltenen Hinweise erkennen lassen, von Anfang an illustriert.
In künstlerischer Hinsicht steht die Handschrift der vatikanischen Bibliothek (N. 699) aus
dem 9. Jahrhundert an der Spitze, wenn auch jüngere (Laurentianus und Sinaiticus) einen
Überschuß an Bildern aufweisen.
Kosmas hat in seinem Lebenswerk weniger die Ergebnisse eigener Reisebeobachtungen als die Früchte
seiner großen Belesenheit in der Bibel und in der antiken Literatur zusammengefaßt. Er war ein kompi-
ierender, zugleich aber nach anschaulicher Abklärung der Vorstellungen strebender Geist. Was sich an
geographischen, chronikalischen und statistischen Tatsachen der antiken Weltkunde mit der heiligen Schrift
vereinigen ließ, hat er dem Lehrgebäude eingefügt. Es bedeutet freilich einen wissenschaftlichen Rückschritt,
wenn Kosmas die Vorstellung vom Weltsystem auf die Autorität der Bibel zu begründen sucht. So verwirft
er die Anschauung der Antike von der sphärischen Gestalt der Erde und des Weltalls und greift auf den
altjüdischen Volksglauben von mehreren Himmeln zurück, ja er sucht allen Ernstes den Bau der Welt aus
dem Abbilde der mosaischen Stiftshütte zu erklären. Diese kosmographische Exegese aber entstammt
antiochenisch-mesopotamischer Quelle. Anscheinend sind in dieselbe auch uralte chaldäische Vorstellungen
vom Weltgebäude eingeflossen, die Kosmas nach seinem ausdrücklichen Geständnis durch Mar Aba, den ihm
befreundeten Patriarchen der nestorianischen Kirche Mesopotamiens, vermittelt wurden. Wie seine durch ver-
schiedene Diagramme veranschaulichte Lehre auf die künstlerische Darstellung Einfluß gewinnt, zeigt sich in
der Komposition des Weltgerichts. Da thront Christus inmitten der glänzenden Behausung des tonnenförmig
gewölbten ersten Himmels, darunter stehen die Engel auf dem zweiten und noch tiefer die Menschen auf der
Erde, während aus der Unterwelt die Köpfe der Auferstehenden herausragen (Abb. 271). Eine kunst-
geschichtliche Tradition von tausendjähriger Tragweite, die streifenförmige Anordnung der Komposition
des Jüngsten Gerichts, hat in der Miniatur der christlichen Topographie ihre Wurzel. Die Anordnung
der Figuren nähert sich manchmal noch mehr einem abstrakten Schema, so vor allem auf dem Blatte, das
David mit seinem danebenstehenden Sohne Salomo nach Art und in der Tracht eines byzantinischen Kaisers
thronend und umgeben von den Chören der Sänger darstellt. Diese sind als Kreise gebildet, in die kleinere
Figuren wie die Speichen eines Rades eingeordnet sind. Allein da Kosmas für sein Werk sehr verschieden-
artige bildliche Vorlagen benutzt hat, so ist auch das geschlossene Bild der entwickelten alttestamentlichen
Bibelillustration oft vertreten, das in seinem Rahmen —, hier durchweg einer einfachen roten Borte, —
zusammenhängende Anschauung geben will. Wenn die Szenerie dabei fortfällt, so trägt erst die jüngere
Kopie an dieser Rückbildung der malerischen Bildgestaltung Schuld (s. Teil II). Gleichwohl erkennen wir
aus der Figurenverteilung auf verschiedenem Niveau und aus den Andeutungen der Örtlichkeit, daß den Szenen
aus dem Leben Moses, dem Abrahamsopfer oder der Bekehrung Pauli Vorbilder von vollkommen durchgebil-
deter, malerischer Auffassung vorausliegen. Öfters sind zwei Momente der Handlung in denselben Rahmen ein-
geschlossen, in dem Jonasbilde, das noch ganz dem Typus der sepulkralen Malerei (S. 68) entspricht, sogar
drei. Diese in der vatikanischen Handschrift bevorzugten biblischen Szenen illustrieren die Ausführungen über
den Parallelismus der beiden Testamente (S. 8). Doch herrscht auch in der christlichen Topographie die reprä-
sentative Vorführung von Einzelgestalten vor. Manchmal sind sie zu Reihen zusammengestellt und wohl schon
nach Art wirklicher Ikonen (siehe unten) umrahmt. Durch die Auswahl und durch die scharfe Ausprägung
der ikonographischen Typen zieht die eigenartige Komposition der heiligen Sippe, die uns, wie eine ähnliche
Reihe schon in der Weltchronik des Papyrus Goleniscew als Abschluß des Prophetenkatalogs, den Täufer
in der Mitte, über ihm die Halbfiguren Symeons und Annas, rechts Zacharias und sein Weib Elisabeth
mit Christus und Maria zur Linken vereinigt zeigt, die Aufmerksamkeit besonders auf sich. Als christus-
ähnliche Prophetengestalt, der die asketischen Züge (S. 191) noch fehlen, ist der Täufer aufgefaßt. Das
eigenartige Christusideal (Abb. 271) mit kurzem, ungeteiltem Bart und gescheiteltem, schlichtem Haupthaar
hängt wahrscheinlich von einem lokalägyptischen Ikonentypus ab. In den Greisenköpfen des Symeon und
des Zacharias sind bereits bleibende Typen der byzantinischen Kunst ausgeprägt. Für die heiligen Frauen
dient noch unterschiedlos ein von der Antike abgeleitetes Ideal. Die in oder neben den Text gesetzten Einzel-
figuren von Patriarchen, Propheten und Aposteln, wohlgebaute, großköpfige und breitschultrige Gestalten
ÜBERTRAGUNG DER ALEX ANDRIN ISCHEN BUCHILLUSTRATION NACH BYZANZ 289

in trefflich abgewogener Stellung, tragen den alexandrinischen Kunstcharakter am reinsten zur Schau.
Die jugendlichen Köpfe bilden die Mehrzahl. Die der Josuarolle und dem Pariser Psalter verwandte
Gewandbehandlung hat in den späteren byzantinischen Kopien eine etwas härtere Faltenbrechung ange-
nommen, während die typischen Schwächen ihrer Figurenbildung in der vatikanischen kaum hervortreten.
Zum vollständigen Bildschmuck der christlichen Topographie gehören in den reicher
illustrierten Abschriften des 11. und 12. Jahrhunderts (s. oben) auch Tierbilder mit echt
hellenistischen Motiven, wie das vom Löwen zerfleischte Roß, Pflanzendarstellungen und
geographische Landschaftsbilder. Wir besitzen aber auch Miniaturen einzelner naturwissen-
schaftlicher Lehrbücher, die in Alexandria entstanden und illustriert worden waren.
Aus derselben Quelle wie die kartegraphischen Aufnahmen bei Kosmas stammt noch die mittelalter-
liche byzantinische Illustration der Schriften des Ptolemäus (z. B. im Kodex N. 754 des Athosklosters
Watopädi). Höheren Wert besitzt der im 10. Jahrhundert kopierte chirurgische Traktat des Apollonius
von Kitium (f 60 v. Chr.) der Laurentiana (L XXV, 7), nicht sowohl durch seine ziemlich stark verzerrten
anatomischen Figuren, als wegen der ständigen Verwendung der Fahmcnarchitektur der Kanonestafeln.
Zwar mischen sich in diese auch Elemente mittelalterlicher Ornamentik ein, den Hauptbestand ihrer
Dekoration aber bilden ornamentale Motive, die der altchristlichen syrischen Buchmalerei und den koptischen
Stoffen geläufig sind. Eine ziemlich stilgetreue Kopie eines hellenistischen Originals ist der Pariser Kodex
der Dichtungen des Nikander über die giftigen Tiere und die Heilmittel gegen Schlangenbiß und Insekten
(Bibi. Nat. 247 Suppl.). Abbildungen von Tierfiguren und Pflanzen sind in den Text desselben eingestreut,
dazu flüchtende Gestalten von Landleuten, der Jäger, der das Gehölz durchschreitet, und Schlangengeschichten
aus der griechischen Mythologie. Nirgends wird vcm Rahmen Gebrauch gemacht, wenngleich sich die
szenischen Elemente wiederholt bildartig zusammenschließen. In malerischem Gewimmel sind die sterbenden
Titanen, aus deren Blut die Schlangen geboren werden, auf dem Himmelsgrunde dargestellt. In Ägypten,
dem Lande des Tierdienstes, ist endlich im 2. Jahrhundert der Physiologus entstanden, das christliche
Tierbuch, dessen byzantinische Redaktion (s. Teil II) noch manche altchristlichen Elemente bewahrt.
Das Vorhandensein so vieler mittelalterlicher Kopien von altchristlichen und sogar von
antiken alexandrinischen Miniaturenhandschriften führt unabweislich zum Schlüsse, daß man
in Konstantinopel noch in später Zeit einen Vorrat aus illustrierten Büchern des ausgehenden
Altertums aus Alexandria besaß. Die Erklärung dafür liegt in der geschichtlichen Tatsache
der Berufung dortiger Gelehrter nach Byzanz und der Einrichtung der Bibliothek im Okto-
gon durch Konstantin d. Gr. Daß die alexandrinische Tradition sich in der altbyzantini-
schen Kunstübung der Buchmalerei unmittelbar fortsetzte, ergibt sich aus einer annähernd
datierten Handschrift, die ebenso sicher am Bosporus ausgeführt ist, wie sie andrerseits den
deutlichsten Zusammenhang mit der alexandrinischen Richtung der Miniaturmalerei offen-
bart. Es ist das Pflanzenbuch des gelehrten Arztes Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert,
geschrieben und ausgemalt für eine vornehme Dame während der ersten Regierungszeit Ju-
stinians. Dieser Dioskurideskodex ist wahrscheinlich im 16. Jahrhundert durch einen kaiser-
lichen Gesandten aus Konstantinopel nach Wien mitgebracht worden. Seine einstige Be-
sitzerin, Juliana Anicia, hatte sich besonders durch die Erbauung und Ausschmückung der
Kirche des Märtyrers Polyeuktos den Ruhm hoher Frömmigkeit und edler Freigebigkeit er-
worben. Den Textillustrationen gehen ein Zierblatt mit der symbolischen Gestalt eines Pfaues
und fünf Vollbilder voraus. In diesen liegt die künstlerische Bedeutung des Denkmals.
Die einleitende Folge von Zierseite, Autorenbild, Dedikationsbild und Titelblatt ist zweifel-
los eine herkömmliche. Wie der Text des Dioskurides nur eine Auswahl seiner Pflanzen-
beschreibungen mit den zugehörigen Bildern umfaßt, sind auch die auf der ersten Blatt-
lage von stärkerem Pergament ausgeführten Malereien auf Grund älterer Vorlagen zusam-
mengestellt worden. Es ist freilich nicht zu erwarten, daß sich ein in Byzanz hergestelltes
Buch als ganz stilreines Erzeugnis alexandrinischer Kunst zu erkennen gebe. Syrische
O. Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 19
290 DIE MINIATUREN DES WIENER DIOSKURIDES

Nebeneinflüsse und der lokale Geschmack


sprechen mit, ohne jedoch das Grundele-
ment zu verdunkeln.
Eine neue Komposition stellt nur das Wid-
mungsbild (Abb.272) mit der Gestalt der Juliana
dar. Zwischen diesem und der Zierseite sind vier
Miniaturen, gewissermaßen ein vervielfältigtes
Autorenbild, eingeschoben. Dioskurides wird im
Kreise berühmter Fachgenossen und in seiner
persönlichen Tätigkeit vorgeführt. In Alexandria
war durch die literarische Forschung der Ptole-
mäerzeit die Zusammenstellung berühmter Dich-
ternamen unter dem Bilde des Siebengestirns
(„Pleias“) aufgekommen. Die Kunst hat sich früh
dieses Gedankens bemächtigt und diese Art Grup-
penporträt auf Philosophen und Gelehrte aus-
gedehnt (Ärzteversammlungen in den Caracalla-
thermen und in Pompeji). Dem Maler des Wiener
Dioskurides lagen zwei solche Bilder vor, die er
beide übernahm. Vierzehn griechische und römi-
sche Ärzte mit dem Kentauren Chiron beginnend,
Abb. 272. Danksagung der Künste an Juliana Anicia der in der ersten Miniatur den Ehrenplatz ein-
(nach E.Diez, Die Miniat. des Wiener Dioskurides. 1903Byz. Denkm. III). nimmt, bis auf den um 200 n. Chr. verstorbenen
Galen, sind hier in zwei Gruppen vereinigt. Viel-
leicht sind diese Gegenbilder für eine größere naturwissenschaftliche Enzyklopädie geschaffen, sind doch Aus-
züge aus den Schriften des Nikander und des römischen Arztes Rufus zugefügt und die Pflanzenbilder anschei-
nend dem von Dioskurides benutzten Werk des Krateuas entlehnt. Alle vier aber sitzen in der zweiten Ärztever-
sammlung mit zwei älteren alexandrinischen Ärzten in lebhaftem Gespräch um Galen herum, ohne daß Diosku-
rides hervorgehoben wäre. ImVorbild war die Szenerie wahrscheinlich anschaulicher ausgemalt. Die byzantinische
Kopie, die nur das Sitzgerät bewahrt, läßt sich am abstrakten Raumschema der vertikalen Staffelung genügen
und verwertet es hier zum erstenmal in der Miniaturmalerei dekorativ zur Einführung des Goldgrundes. Zwei
weitere Bilder zeigen Dioskurides und seine Hauptentdeckung: die Nutzbarmachung der Mandragorawurzel
für den Heilzweck. Zwei allegorische Frauengestalten erläutern ihren Sinn. Im ersten (Abb. 273), wo ein Hund,
durch den man allein der Pflanze habhaft werden zu können glaubte, an ihrer starken Wirkung verendet, ist
Heuresis, die Erfindung, zugegen. Hierauf arbeitet Dioskurides in einem Lehrsaal mit Nische und Portikus
in Gegenwart der Epinoia, des Nachdenkens, seine Beschreibung aus, gleichzeitig aber ist ein Maler im
Begriff, die menschenähnliche Wurzel abzuzeichnen. Anschaulicher könnte die innige Verbindung der
wissenschaftlichen Arbeit mit der Miniaturmalerei gar nicht bestätigt werden. Dem hellenistischen Bildstoff
dieser Doppelszene mischt sich im Dedikationsbilde ein byzantinisches zeremonielles Element bei. Juliana —
ihr Name ist in die inneren Rahmenzwickel eingeschrieben — sitzt hier in purpur- und golddurchwirkten
Gewändern der Hoftracht mit dem kaiserlichen Kopfputz (S. 158) in der förmlich eleganten Haltung der
Kaiser oder Konsuln da, wie jene so oft, von zwei Nebengestalten umgeben. Ihr zu Füßen liegt die Ge-
schenkgeberin, in Proskynese da, ein Motiv der zeitgenössischen Sitte, das hier zum erstenmal in das
gegebene Kompositionsschema eindringt. Aber der Personifikationen kann die Darstellung nicht entbehren,
wenn sie auch ziemlich verblaßt sind. Aus Pothos, dem Liebesgott des Verlangens, ist das „Verlangen der
Baulustigen“ geworden, und das Buch, das er ihr darbringt, trägt die Inschrift „Danksagung der Künste“.
Voll Anteil sieht die „Hochherzigkeit“ zu, die „Einsicht“ mit der Schriftrolle aber weist nach oben, von
wo alle Belehrung kommt. Sind schon diese Gestalten im Sinne alexandrinischer Allegorie ausgeklügelt, so
schlägt vollends die gleiche Tradition mit überraschender Frische in den Zwickelbildchen des Rahmens
durch, wo auf dem himmelblauen Grunde antike Putten nach pompejanischer Weise tischlern, bauen, malen
und meißeln. Einer anderen Kunstströmung hingegen entstammt das goldene Rahmengeflecht. Die In-
einanderschachtelung geometrischer Figuren zur Flächengliederung ist zwar der Antike geläufig, aber die
Durchsetzung des Systems mit dem Flechtband, wie auch manches andere Motiv des Rahmenschmuckes
DIE ANFÄNGE DER CHRISTLICHEN BUCHMALEREI IN SYRIEN 291

der vorhergehenden Bilder, vor allem das


regenbogenfarbene Rautenmuster (Abb.
273), weist auf die syrische Buchillustra-
tion (s. unten) zurück. Aber auch die spä-
tere Buchmalerei von Alexandria hat sich
schwerlich gegen solche Elemente ableh-
nend verhalten. An das alexandrinische
Vorbild schließt sich endlich auch die Aus-
führung der Miniaturen in reiner Deck-
farbenmalerei von prächtiger koloristischer
Wirkung und sorgf ältiger Modellierung an,
wie sie auch der vatikanische Kosmas bietet,
aber kaum eine Handschrift syrischen Stils.
Ist von den vorbetrachteten Bilder-
handschriften auch nicht eine einzige
in Alexandria selbst entstanden, so
vermitteln sie uns doch als mehr oder
weniger stilgetreue Kopien eine allge-
meine Anschauung von der Entwick-
lung seiner christlichen Buchmalerei.
Viel unsicherer bleiben alle Vermu-
tungen über die Anfänge der Illu-
stration der heiligen Schriften in Sy- Abb. 273. Die Entdeckung der Mandragorawurzel durch
rien, zumal für das Alte Testament. Dioskurides
War die syrische Miniaturmalerei (nach Aufnahme von J. J. Tikkanen).

eine Tochter der alexandrinischen,


oder ist sie aus eigener Wurzel entsprossen? Zwar besitzen wir aus Syrien und Mesopo-
tamien sogar mehrere Originalhandschriften mit reichlichem Bildschmuck, aber sie stehen
schon am Ausgang der altchristlichen Zeit und vertreten daher den ausgereiften, ja zum
Teil schon einen vergröberten Stil und geben daher keine Auskunft auf solche Fragen. Auf
Grund von allgemeinen Erwägungen und Rückschlüssen aber läßt sich doch mit einiger
Wahrscheinlichkeit die Antwort erteilen, daß es in Antiochia an selbständigen Ansätzen
hellenistischer christlicher Buchmalerei nicht gefehlt haben kann und daß der alexandri-
nische Einfluß daselbst und vor allem in Palästina erst die weitere Entwicklung bestimmt
hat. Andrerseits bildet die syrische Miniatur schon im 5. Jahrhundert ihren ausgeprägten
eigenen Stil aus, der sich in der Folge mehr und mehr mit orientalischem Kunstwollen er-
füllt. Außer mehreren jüngeren und sogar recht späten bodenständigen Erzeugnissen spie-
geln schon einzelne frühmittelalterliche abendländische Denkmäler (s. unten) diese letzte Ent-
wicklungsstufe, wenngleich in freierer Auffasung, wieder.
Auf Antiochia scheint besonders eine sehr altertümliche Illustration des Psalters und der ihm an-
gehängten Oden zurückzuweisen, die ein paar in byzantinischem Stil gehaltenen Handschriften des 11. Jahr-
hunderts aus Jerusalem zugrunde liegt und als ursprüngliche Bestandteile seines Buchschmucks nur eine
Anzahl an den Anfang jedes Psalmes (bzw. der Oden) gesetzter Autorenbilder sowie mehrere streng
historische Darstellungen aus dem Leben Davids (bzw. des Moses) umfaßt. Sie hat wahrscheinlich schon
in altchristlicher Zeit in Palästina eine erste Erweiterung aus alexandrinischer Quelle erfahren. In ihr Ver-
hältnis zu den byzantinischen Stammtypen der sogen, aristokratischen und der mönchisch-theologischen Redak-
tion ergibt sich aber erst im Zusammenhänge mit der mittelalterlichen Miniaturmalerei (s. Teil II) ein deut-
licherer Einblick. In formaler Hinsicht trägt sie den Charakter einer (nachträglich überwiegend in den
19*
292 ILLUSTRATION DES ALTEN TESTAMENTS IM SYRISCHEN KUNSTKREISE

Abb. 274/275. Hiob mit seinen Freunden und Allegorie der göttlichen Weisheit (aus der syrischen Bibel
der Pariser Bibi. nat. Ms. syr. Nr. 341)
(nach Omont, Mon. et Mem. Fond. Piot. 1909).

Text eingerückten) Randillustration, wie sie der syrische Geschmack überhaupt bevorzugt. Gleichwohl sind
die Darstellungen meist in einen Bildrahmen eingeschlossen. Ein neuerer Fund hat aber den Beweis ge-
liefert, daß es in Syrien auch eine bildmäßig behandelte Miniaturenfolge hellenistischer Richtung des
gesamten Textes der sogen. Peschito-Bibel gegeben hat. Eine vor wenigen Jahren von der Pariser National-
bibliothek (Ms. syr. Nr. 341) erworbene Handschrift bewahrt noch 23 von 30 alttestamentlichen Bildern.
Die Mehrzahl sind auch hier Einzelgestalten der Propheten, die in antiker Manteltracht und in nicht mehr
ganz richtig verstandener antiker Standweise mit der Schriftrolle in der Linken als Autorenbilder die
Buchanfänge bezeichnen. Bei Ezechiel kommt Handlung hinein: die Erweckung der Totengebeine mittels
des Stabes. Durchweg aber ist der Hintergrund illusionistisch in blauvioletten, rosigen und gelben Luft-
tönen wiedergegeben,— so auch bei Josua, der offenbar aus dem Zusammenhänge eines größeren Schlacht-
bildes mitsamt der Sonne herausgelöst ist, deren Lauf er hemmt, und bei Moses mit der Gesetzesrolle.
Außerdem enthält der Kodex noch fünf vollständige Szenen aus dem Pentateuch (zu Exod. V,‘ 1—5;
Num. XVII, 1—9 u. XXI, 8/9) sowie am Anfang des Buches Hiob und der Sprüche Salomonis. Hellenistische
Bildgestaltung beherrscht noch die erste, die Moses und Aaron in dramatisch bewegter Handlung vor
Pharao zeigt, sowie die Darstellung Hiobs mit seinen Freunden (Abb. 274), während Aaron mit den Stämmen
Israels und die Geschichte der ehernen Schlange schon in repräsentativer Komposition vorgeführt werden. In
ganz monumentaler Auffassung ist vollends das letzte Bild gehalten, wie es auch aus kirchlicher Symbolik
geschöpft ist. Die göttliche Weisheit erscheint hier in dreifacher Gestalt verkörpert: durch Maria, die
einem verbreiteten Ikonentypus entsprechend, den Immanuel als das fleischgewordene Wort in der Aureole
vor ihrer Brust hält, und durch die Nebengestalten Salomos links und einer weißgekleideten Frau mit
rotem Mantel und dem Kreuzesszepter rechts, wohl einer Personifikation der Kirche (Abb. 275). Der
ikonographische, der stark verflüchtigte stilistische und am zuverlässigsten der paläographische Charakter
der Handschrift erweist ihre späte Entstehung (nicht vor dem Ende des 7. Jahrhunderts).
Da dem Pariser Kodex die Illustration zur Genesis, zum Königsbuch und Psalter
fehlt, läßt sich leider über die Beziehungen dieser Redaktion zu den alexandrinischen Minia-
turenfolgen derselben Bücher nichts ausmachen, obgleich ihre hellenistische Grundlage
PALÄSTINENSISCHER URSPRUNG DES NEUTESTAMENTLICHEN BUCHSCHMUCKS 293

nicht zu verkennen ist. Zweifellos aber gab es in Syrien neben ihr noch andere alttesta.
mentliche Bilderzyklen, darunter auch in Rollenform. Eine alttestamentliche Bilderfolge von
ausgesprochen orientalischem Stil vermögen wir noch im Ashburnham-Pentateuch (s. unten),
wenn auch anscheinend in abendländischer Überarbeitung, nachzuweisen. Auf eine helle-
nistische Bilderrolle weist hingegen die in byzantinischer Umprägung erhaltene Genesis-
illustration (s. unten) zurück. Die Verschiedenheit der beiden Redaktionen schließt ihre
Entstehung in demselben Kunstkreise nicht aus, denn nirgends bestanden wohl so gegen-
sätzliche Richtungen nebeneinander wie in Syrien mit seiner stark gemischten Bevölkerung.
Ihren eigentlichen Schwerpunkt hat die christliche syrische Buchmalerei alsbald in der
Illustration des Neuen Testaments gefunden. Ihren Ursprung hat diese wohl in Palästina,
wo das lebhafte örtliche Interesse für die neutestamentliche Geschichte sich früh in einer
apokryphen griechischen Literatur verdichtet hat (S. 10), der sich gewiß auch die künst-
lerische Darstellung bald zugesellte. Die Nachwirkung solcher illustrierten Apokryphen ist
in manchen Denkmälern der Plastik (S. 127 ff.) und sogar noch in der mittelalterlichen Buch-
malerei sowohl des Orients (syr. Ev. a. d. XIII. Jh. im Brit. Mus., N. 26) wie des Abendlandes
(Nikodemos Ev. in Madrid) zu spüren. In Palästina erhielt aber auch der neutestamentliche Ka-
non seine bleibende äußere Einrichtung für den kirchlichen Handgebrauch, indem Eusebius die
Parallelstellen der Evangelien nach Perikopen auf den einleitenden Kanonestafeln zusammen-
stellte. Und an die letzteren hat sich der Buchschmuck des Neuen Testaments wohl sogleich
angeschlossen, bilden sie doch einen selten fehlenden Bestandteil desselben. Andrerseits bot im
heiligen Lande seitdem konstantinischen Zeitalter die kirchliche Monumentalkunst auch der Buch-
malerei reiche Anregungen. Ihre Typen deren Zwecken gerecht zu machen und sie vor-
wiegend als Randillustration weiterzubilden und bis nach Mesopotamien zu verbreiten, mach-
ten sich die Klöster zur Aufgabe. Das Fehlen älterer Handschriften erlaubt aber auch hier
nicht, die Entwicklung selbst zu verfolgen. Das Endergebnis allein liegt klar vor Augen.
Zwei syrische Evangelien lehren uns einen einheitlichen Typus des neutestamentlichen
Buchschmucks kennen und offenbaren eine starke Nachwirkung der antiken Tradition, wie
sie auch in der pseudosyrischen Genesisredaktion (s. unten) zu spüren ist. Von beiden ist
uns die Herkunft bekannt und von der wichtigeren und berühmteren steht sogar das Ent-
stehungsjahr fest. Das syrische Evangeliar der Laurentiana wurde laut Nachschrift im
Jahre 586 nach Chr. Geb. in der mesopotamischen Stadt Zagba vom Kalligraphen Rabula
ausgemalt. Ihn haben wir wohl in~dem Mönch der Titelminiatur zu erkennen, der die
Hände auf die Schulter des Heiligen zur Rechten des thronenden Christus legt, sich gleich-
sam seiner Fürsprache anvertrauend, in seinem Gegenüber wahrscheinlich den Abt des
Klosters, Johannes, in beiden aber rassenechte Vertreter des syrischen Asketentums. Über
der Gruppe erhebt sich auf zwei Pilastern das pyramidale Dach eines Ciboriums der landes-
üblichen Form. Dieser Aufbau mit seinem reichen Beiwerk ist den Kanonesarchitekturen
nachgebildet, welche die Mehrzahl der folgenden Blätter schmücken und in der zweiten
Handschrift, einem aus dem Kloster Mar-Anania (in Mardin) herrührenden Evangeliar
der Pariser Nationalbibliothek, denselben breiten Raum einnehmen. In den syrischen Minia-
turenhandschriften hat das architektonische Rahmenwerk der hellenistisch-römischen Buch-
malerei (S. 286) eine eigenartige dekorative Fortbildung gefunden.
Die Arkaden sind auf drei bis vier Bogenstellungen zur Aufnahme der Parallelstellen der Evangelien-
concordanz vermehrt, aber sie haben zugleich ein phantastisches Aussehen angenommen. Der Hufeisen-
bogen hat sich eingestellt. Über halbrunden oder zugespitzten Giebeln wachsen Bäumchen, sprießen Gräser
294 ILLUSTRATION DER SYRISCHEN EVANGELIARE IN PARIS UND FLORENZ

Abb. 276/277. Christus und die Hämorrhoissa, Abendmahl und Einzug in Jerusalem (Randillustrationen
der Kanonestafeln in den syrischen Evangeliaren der Pariser Bibi. nat. und der Laurentiana)
(nach Murioz, Mon. d’arte I, 1) (nach Venturi, Storia dell’arte ital. I).

und Blumen in ganz naturalistischer Wiedergabe auf, zu der die streng symmetrische Anordnung um ein
zentrales Motiv in charakteristischem Gegensatz steht. Zu beiden Seiten fliegen und sitzen Vögel da-
zwischen: Tauben, Pfauen, Störche, Rebhühner u. a. m. Neben den Säulenbasen liegen und stehen Elirsche
und Lämmer, welche Blätter rupfen, traubennaschende Hasen und andere Tiere von symbolischer Bedeutung.
Von den teilweise figurierten Säulenkapitellen abgesehen, wird die Dekoration durchweg von neuen Motiven
bestritten, und zwar vorwiegend von solchen des reinen Flachornaments, wenngleich das Pariser Evangeliar
dieselben sparsamer verwendet und daneben noch mehr antike Elemente aufweist. Flächenfüllende Muster
ersetzen meist die Muschel oder das antike Akanthusgeranke der Bogenfelder. Rauten und abgestufte
Kreuze, kreis- und lanzettförmige Motive, Abarten des Mäanders, Zickzackstreifen und Bänder zieren die
Bogen und das Gebälk. Ihr Ursprung aus der Textilkunst ist nicht zu verkennen. Der Freude an bunten
Farbenwirkungen verdankt das reizvolle Irisrautenband (Abb. 273) seine Entstehung. In und über dem
Giebelfelde erscheint das Kreuz und das Monogramm Christi. Was an pflanzlichen Gebilden übrig bleibt,
erfährt eine Auflösung und Neuzusammensetzung, so vor allem die Wellenranke. Das Herzblatt wird zum
Stabe gereiht. Und solche Motive dienen sogar als Pilasterfüllung.
Beiden Handschriften gemein sind auch die Randminiaturen, welche Szenen des Neuen Testaments
meist ohne engere Beziehung zum Text durch wenige Figuren illustrieren. Diese einfache Art ihrer Ver-
anschaulichung beruht offenbar auf sehr alter Tradition. Sie zeigt noch manche Beziehungen zum sepul-
kralen Bilderkreise und besonders in dem altertümlicheren Evangelium von Mar-Anania engen Zusammen-
hang mit dem antiken Stil. Von den erhaltenen Bildern desselben stimmt die Mehrzahl mit den entsprechen-
den bei Rabula ziemlich nahe überein (Abb. 276/7). So sind hier wie dort bei der Verkündigung die stehende
Maria, die das Spinngerät hält, und der Engel zu beiden Seiten der Kanones verteilt. Die Vermehrung der
Brote und Fische (S. 96 u. 111) erscheint durch Fortfall der Apostel vereinfacht. Der überschießende Rest weicht
in der Ausführung von Rabula ab oder fehlt ihm gänzlich. Doch findet dieser vollständigste Zyklus ander-
IKONOG RAPMISCHER U. STILISTISCHER CHARAKTER DES R ABUL A-EVANG ELI ARS 295

weitige ikonographische Parallelen in Denk-


mälern des antiochenischen Kreises, so z. B.
für Herodes, der den Kindermord befiehlt 186,
für Maria neben der Krippe (S. 118u.l30) und
Christus im Gespräch mit der Samariterin
(S. 112) oder für das Wunder in Kana, bei
dem das Wasser in die Krüge eingefüllt wird
(S. 128u.200). Syrisch-palästinensischen Ty-
pen schließen sich die Heilungdes Gichtbrüchi-
gen u. a. m. an. Dazu kommen ganz neue
Wendungen,gelegentlich wohl auch aus freier
Erfindung. Den Blinden führt ein Knabe, ein
Krüppel hockt am Boden. Auf Befehl des
Herrn holt Petrus den Stater aus dem Maul
des Fisches. Jonas liegt in voller Gewandung
— der kirchliche Geist mit seiner Scheu vor
dem Nackten macht sich hier geltend — neben
der Stadt Niniveh. Diese Szene und die Ge-
setzesübergabe an Moses hat ihren Platz
über den Kanonesarkaden, wo sonst regel-
mäßigdie Einzelfiguren von Propheten: Aaron
mit dem aufgeblühten Stab, David mit der
Harfe usw. stehen. Die Zweiteilung der Dar-
stellungen bildet in den Wundern die Regel.
Die Szenen der Passion stellt der Künstler
hingegen nach der Zeitfolge, dem linksläufigen
syrischen Schriftzuge entsprechend, einander
gegenüber, das Abendmahl, wo die Hand- Abb. 278. Himmelfahrt (aus dem Rabula-Evangeliar)
lung liturgisch als die Austeilung des Brots (nach Ch. Diehl, Justinien et la civ. byz. au VI s. 1901).
aufgefaßt und die ganze Apostelschar zu
einer hochgestaffelten Gruppe zusammengedrängt ist (Abb. 277), dem Einzug in Jerusalem, den Tod des
Judas dem Verrat. Nur beim Verhör steht wieder Christus allein Pilatus und dem Diener mit dem Wasser-
becken gegenüber. Überall ist die Komposition auf ihren einfachsten, typischen Ausdruck gebracht. Die
lechnik ist flott bis zur Flüchtigkeit wie auch in der Pariser Handschrift.
Das Evangeliar des Rabula enthält außerdem vier Vollbilder, welche in feierlicher, zentral gebauter
Komposition Kreuzigung, Himmelfahrt, Herabkunft des Heiligen Geistes und eine Apostelversammlung
darstellen. Auffassung und Ausführung bleibt hier auch eine malerische. Grüner Boden mit dunkleren
Schlagschatten, abgetönte blaue Bergferne, rötlicher Widerschein des Sonnenlichts und bläulicher Mond-
schimmer auf den Wolken finden in den erstgenannten beiden Szenen verständnisvolle Wiedergabe. Die
Modellierung der Gestalten wird durch aufgesetzte Lichter gehöht. Wie lebendig der bildmäßige Illu-
sionismus in der hellenistisch-syrischen Buchmalerei noch so spät nachwirkte, kann nicht greifbarer zum
Ausdruck kommen. Gehen die Kompositionen doch in letzter Linie auf das Vorbild der palästinensischen
Mosaiken oder kirchlichen Wandfresken zurück, wie ihre ikonographischen Übereinstimmungen mit den
Ölampullen von Monza (Teil II) erkennen lassen. Dort werden die Kreuzigung und die Frauen am Grabe
in derselben Weise vereinigt. Der historische Bildinhalt ist freilich in der Doppelszene des Rabula-Evange-
liars ein mannigfaltigerer. Sie bietet nicht nur das früheste Beispiel der unabgekürzten Darstellung des
Gekreuzigten im purpurfarbenen Kolobion, sondern es enthält außer den heiligen Frauen auch schon Lon-
ginos mit der Lanze und Stephaton mit dem Essigschwamm und die Gruppe der würfelnden Krieger. Ebenso
ist die Geschichte der Auferstehung dramatischer ausgestaltet. Aus dem Grabbau, der inmitten eines
Gartens steht, brechen Strahlen hervor, deren Gewalt die Wächter zu Boden schleudert. Und dem Gespräch
mit dem Engel entspricht als Gegenbild die Begegnung der Frauen mit dem Auferstandenen. Besonders
nahe steht das Himmelfahrtsbild (Abb. 278) dem Ampullentypus. Nur der Thron fehlt, und hochaufgerichtet
fährt Christus ’gen Himmel. Bereichert ist die Szene durch das der syrischen Phantastik entsprungene
Motiv des Cherubwagens und durch die Gestalten der beiden Engel, die ihren Zuspruch an die Männer
296 DIE MINIATUREN DES ETSCHMIADSIN-EVANGELIARS

Abb. 279/280. Christus mit den Apostelfürsten und Huldigung der Magier
(nach Strzygowski, Das Etschmiadsin-Ev. Byz. Denkm. I).

von Galiläa richten. Hier und auch im Pfingstbilde nimmt bereits Maria als Vertreterin der Kirche auf
Erden die Mitte der Apostelschar ein. So kann es nicht überraschen, unter einer der ersten Kanones-
arkaden des Rabulakodex dem völlig ausgebildeten Ikonentypus der Hodegetria zu begegnen, der Gottes-
mutter im Purpurkleide und -mantel, die das Kind auf dem linken Arme tragend auf dem edelstein-
geschmückten kaiserlichen Prunkschemel dasteht. Auf zwei anderen Blättern erblicken wir je zwei und
zwei gepaarte Evangelisten, einmal stehend, das andere Mal sitzend mit aufgeschlagenem Buch und ent-
falteter Rolle. Der erste Typus scheint eine christliche Neuschöpfung der syrischen Kunst zu sein, in der
die Bedeutung des Kodex hervortritt. Im zweiten ist das antike Autorenbild (S.289ff.) zum kirchlichen Ideal des
schreibenden oder sinnenden Evangelisten umgeprägt, wie es in die mittelalterliche byzantinische und abend-
ländische Kunst übergeht. Daß diese Figuren semitische Rassenmerkmale verraten, ist bei einem Maler, der
im Eingangsbilde so realistische Porträts seiner Volksgenossen zu schaffen wußte, wohl begreiflich. Der Typus
Christi schwankt bei ihm zwischen einem schwarzhaarigen mit längerem Bart und einem blonden, 'kurz-
bärtigen, dem älteren historischen, den das Pariser Evangeliar noch ausschließlich aufweist. Und während
dort Maria das blühende antike Oval bewahrt, hat ihr Antlitz bei Rabula die schmächtige Bildung, die
geschwungenen, dunklen Brauen und den kleinen Mund des syrischen Frauentypus angenommen. Ein der
Antike fremdes Element durchsetzt hier die traditionelle Kunstform. Die Bewegungen sind lebhafter und
naturalistischer geworden, der Stand oft unsicher, der Körperbau bald übermäßig schlank, bald klein und
schwächlich, in die Faltengebung kommt unharmonische Häufung oder Glätte, alles bekannte Stileigentüm-
lichkeiten der christlich-syrischen Kunst (S. 130/1 u. 188/9).
Behauptet die hellenistische Tradition in den eben betrachteten Handschriften das Über-
gewicht, so tritt der syrische Stilcharakter in verstärktem Grade hervor in den Resten zweier
anderer Evangelien. Diese sind in einem unter dem Namen des Etschmiadsin - Evangeliars
bekannten Kodex, dessen Buchdeckel das vielleicht von einer jener Originalhandschriften her-
rührende fünfteilige Diptychon (S. 188) bildet, mit einem im Jahre 986 durch den Kalli-
graphen Johannes geschriebenen und illustrierten armenischen Text vereinigt. Der Vergleich
mit seinen Randminiaturen läßt nicht einmal die Möglichkeit offen, daß die fünfzehn vor-
MANNIGFALTIGKEIT DER SYRISCHEN EVANGELIENILLUSTRATION 297

gebundenen, in flüchtigerer Technik auf dem weißen Pergamentgrunde ausgeführten Minia-


turen Kopien von der Hand desselben Schreibers nach einer syrischen Vorlage sein könnten.
Sie gehörten vielmehr der einen Originalhandschrift an.
Die Dekoration der Kanonestafeln, des Titelblatts und der darauffolgenden vier Bilder verrät die
allernächste Verwandtschaft mit der Rahmenarchitektur des Rabula-Evangeliars. Aber wenn der bunte
Zierat der Bogen hier noch leichter geworden ist, so sind die Stützen echte, gedrungene Säulen von grünem
oder rotem Marmor mit korinthischen Blattkapitellen. Das zehnte Blatt der Folge bietet gar in sonder-
barer perspektivischer Verschiebung einen kleinen viersäuligen Rundbau mit geschweiftem, vom Kreuze,
das auf einer Kugel ruht (S. 199), bekröntem Spitzdach, wohl ein Sinnbild der Kirche. Der jugendliche
Christus auf dem Throne mit den Apostelfürsten (Abb. 279) und die stehenden Evangelisten der nächsten
Seiten geben sich als die malerischen Gegenbilder der schlanken und steifen Figurentypen syrischer Elfen-
beinpyxiden mit dem scharfen Blick und der vereinfachten straffen Faltengebung der Gewänder (S. 189)
zu erkennen, wie auch die von einfachem Rahmen umschlossene thronende Maria — bedeutsam als frühestes
Beispiel der betenden Gottesmutter mit dem Kinde auf den Knien — als eine in die Miniatur übersetzte
Ikone. Und das letzte, leider schadhafte Blatt dieser Handschrift stellt in gleicher Umrahmung das
Abrahamsopfer in der typischen Komposition der Pyxiden (S. 188) dar. Von der zweiten syrischen Vorlage
bewahrt das Etschmiadsin-Evangeliar nur noch vier angehängte Bilder. Nur eins, die Taufe Christi, weist
einen breiten Rahmen mit Vögeln und als Eckstücke Evangelistenköpfe auf, jedes aber einen geschlossenen,
landschaftlichen oder architektonischen Hintergrund. Trotzdem gehen das Taufbild und die nach einem
Schema komponierten Szenen der Verkündigung an Zacharias und Maria mit den Randminiaturen des
Rabula-Evangeliars eng zusammen. In der Magieranbetung sind die Gestalten zu derselben symmetrisch
pyramidalen Gruppe vereinigt wie auf der Marientafel des Diptychons von Murano (S. 189) und erscheint
der hieratische Charakter der Hauptfiguren noch dadurch gesteigert, daß das Kind von einer Aureole
umgeben ist, die Maria hält. Ein gemeinsames Vorbild der monumentalen Malerei muß beiden Denk-
mälern zugrunde liegen. Auf den Stil der Mosaiken weist auch die eigenartige Hintergrundsarchitektur
mit ihren umgeklappten Giebelfronten und der Muschelnische über Marias Thron zurück. In den Ver-
kündigungsbildern kehrt je die Hälfte eines solchen Baues mit der gleichen Perlen- und Edelsteinzier
der Bogen und Säulen wieder. Ungeachtet ihrer zeremoniellen Auffassung übertreffen diese Schlußbilder aber
noch die Miniaturen der ersten Handschrift im ausgeprägt orientalischen Rassencharakter der Köpfe. Nicht
nur die Magier sind echte Semiten, sondern auch im Christus- und Marienideal, ja selbst im Engeltypus,
ist die Erinnerung an die Antike fast verwischt. Gleichwohl sind beide Evangelien schwerlich jünger als
der Rabulakodex, zum mindesten aber reicht ihre ikonographische Tradition bis ins 5. Jahrhundert zurück.
Denn selbst im Taufbild begegnen wir noch dem jugendlichen Christus, und die Kanonesarchitekturen sind
noch nicht in den rein ornamentalen Schmuckstil umgebildet.
Die Redaktion der ersten Miniaturenfolge des Etschmiadsin-Evangeliars scheint beson-
ders in den angrenzenden Gebieten Armeniens früh Verbreitung gewonnen zu haben, denn
sie wiederholt sich mit wenigen Abweichungen in einer Handschrift des Armenischen Patriar-
chats in Jerusalem, die im 8. oder 9. Jahrhundert in einem Kloster der Landschaft Taron
entstanden ist. In den dekorativen Kompositionen zeigt diese nur beträchtliche Verderbnis,
in den Darstellungen der Evangelisten, Marias und des Abrahamsopfers hingegen die ganze
Unbeholfenheit des armenischen Kopisten. So tiefe Unterschiede bestanden in Syrien zwischen
den einzelnen Lokalschulen. Eine vollständige Anschauung von der syrisch-palästinensischen
Evangelienillustration ergibt sich aus allen diesen Überresten um so weniger, als die erhal-
tenen Handschriften mit Ausnahme der Pariser dem mesopotamischen Kunstkreise entstammen.
Das Rabula-Evangeliar aber bezeugt gleichwohl, daß es eine Folge von Vollbildern zu den
Hauptvorgängen der Heilsgeschichte gegeben haben muß, von denen es selbst nur eine kleine
Auslese aufgenommen hat, und der monumentale Stil dieser Szenen steht in unverkennbarem
Zusammenhänge mit der kirchlichen Kunst von Palästina. Die Tradition einer palästinen-
sischen Redaktion des neutestamentlichen Buchschmuckes lebt in reicherem Bestände fort in
der mittelalterlichen byzantinischen Miniaturenmalerei (s. Teil II) und anscheinend auch in
298 DIE MINIATUREN DER WIENER GENESIS UND IHRE VORLAGE

einzelnen späten syrischen Handschriften, unter denen ein Kodex im Markuskloster in Jeru-
salem (N. 5) mit den Darstellungen des Abendmahls, der Kreuzigung, der Frauen am Grabe,
Himmelfahrt und des Pfingstwunders — einige Szenen sind abhanden gekommen — oben-
an steht.
In Nordsyrien oder in einer Nachbarprovinz Kleinasiens suchen manche Forscher bis
heute auch den Ausgangspunkt mehrerer zusammengehöriger, aber zweifellos schon in alt-
christlicher Zeit weit verbreiteten Bilderhandschriften. Die Entstehung in einem hellenistischen
Kunstzentrum kommt vor allem für die Wiener Genesis in Frage, über deren Herkunft nur
feststeht, daß sie sich vor ihrer Einverleibung in die Wiener Hofbibliothek im 17. Jahrhun-
dert in Oberitalien befunden hat. Sie ist, wie ihre nächsten Verwandten, ein Purpurkodex,
d. h. in silbernen und goldenen Unzialen auf purpurgefärbtem Pergament geschrieben. Der
Text ist erst zuletzt hinzugefügt und überläßt fast die Hälfte jedes Blattes der Malerei. Die
Miniaturen aber zeigen bei unverkennbarer Einheitlichkeit des Stils eine nichts weniger als
gleichmäßige Durchführung.
Wir erblicken auf den ersten Seiten den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradiese in einer
mehrere Momente (Genesis III, 8 und 24) zusammenfassenden, von einem roten Farbenstreifen umrahmten
Darstellung. Den Hintergrund bilden hier die Bäume. In der Sintflut, die mit ihren kühn verkürzten
Figuren an die Schlangengeburt im Nikander (S. 289) erinnert, und bei der Erscheinung des Regenbogens
wird sogar der gesamte Grund zum Bilde ausgestaltet. Schon vorher aber, in der Szene, wo Noah mit
den Seinen die Arche verläßt, und dann in der Geschichte Abrahams und Lots ändert sich die Darstellungs-
weise, indem der Verlauf der Handlung, so z. B. Eliesers Auszug und seine Ankunft in Mesopotamien, — in
zwei Bildstreifen geschildert wird —, gelegentlich auf einer Seite mit einer sie verbindenden Felstreppe. Die
Zweiteilung setzt sich auch im Leben Jakobs fort, doch behält in den idyllischen Szenen der untere Streifen
den malerischen Hintergrund eines sanft ansteigenden Abhanges, auf dem die Herde weidet, während in
den Josephsszenen oben und unten meist nur noch ein schmaler Bodenstreifen die Figuren und das spärliche
Beiwerk trägt, um schließlich wieder vollkommen malerisch, wenngleich flüchtig durchgeführten Bildern
(Abb. 281) zu weichen. Diese Verschiedenheit der Behandlung erklärt sich zum Teil daraus, daß die
einzelnen Blätter an mehrere Maler verteilt worden waren. Doch haben diese in derselben Schreibstube
und anscheinend nach der gleichen Vorlage gearbeitet. Denn die Wiener Genesis vertritt, wie mittelalter-
liche byzantinische Kopien ihrer Typen beweisen, eine einheitliche Redaktion. Und vieles spricht dafür, daß
jenes Original, dessen Illustrationen für den Purpurkodex aufgeteilt wurden, eine Bilderrolle war. In kon-
tinuierendem, vollkommen illusionistischem Stil war darin mit optischer Verkleinerung vieler in den Hinter-
grund, d.h. nach oben, zurück-
geschobener Gruppen, bald
ein früherer Augenblick dar-
gestellt,bald dernachfolgende.
Es lebte darin noch die ganze
Frische antiker Schilderung,
enthält doch selbst das ver-
schlechterte Abbild eine Fülle
künstlerisch bewegter Figuren
in mannigfaltigen Wendungen,
plastisch verstandene Profil-
gestalten und Profilköpfe, ver-
kürzte Arme und verschränkte
Stellungen (Taf. XVIII, 1).
Die Szenerie entsprach dem
in sich zusammenhängenden
Schauplatz der Josuarolle
Abb. 281. Pharaos Traum und Josephs Traumdeutung (§• 281). Aus der Art, wie
(nach A. v. Hartei und F. Wickhoff, Die Wiener Genesis, Wien 1901). sich die Kopisten ZU dieser
URSPRUNG DERSELBEN UND DER SCHWESTERHANDSCHRIFTEN AUS BYZANZ 299

Vorlage verhielten, ergaben sich die schon bemerkten Unterschiede der Komposition. Wenn der eine die
Szenen bildmäßig, aber meist rahmenlos ausführte, sei es daß er sich auf eine Vordergrundsgruppe
beschränkte, sei es daß er daneben eine Tiefenbewegung, wie beim Gastmahl Pharaos oder bei der Rück-
kehr von Josephs Brüdern nach Ägypten, wiedergab, so fügte ein Genosse den Rahmen in anderen
Fällen hinzu, entlehnte aber dem Vorbilde nur die Figuren und einen Teil der Szenerie, wie in den Para-
diesesbildern. Dagegen gaben wieder andere den landschaftlichen Hintergrund für den oberen (bezw. hin-
teren) Plan auf, oder gar für beide, übernahmen aber die rahmenlose streifenförmige Szenenfolge. Bald
folgt die Handlung hier dem ansteigenden Felsterrain in die Tiefe, bald spinnt sie sich in rückläufiger Rich-
tung fort. Neben den Felsstufen verdient das eigenartige Brückenmotiv, das die Szenen des Übergangs
Jakobs über das Wasser bei Pniel und seinen Kampf mit dem Engel verknüpft (Taf. XVIII, 1), Beachtung
als Musterbeispiel malerischer Zwangsperspektive. Es wiederholt sich zugleich mit der Kämpfergruppe auf dem
folgenden Bilde und beweist dadurch am schlagendsten die freie Benutzung ein und derselben Vorlage durch
zwei Künstler. Selbst die Umkehrung des perspektivischen Maßstabes tritt gelegentlich zur Erzielung
räumlicher Bildeinheit ein. So sieht Pharao im Traume die vierzehn Kühe vor sich, d. h. unten, und so
stehen daneben bei der Traumdeutung Josephs die kleineren fünf Gestalten der Traumdeuter in Rückenan-
sicht zuunterst, also vorn (Abb. 281). Nicht einmal bei völliger Auflösung des Zusammenhanges der
beiden Bildstreifen, wie bei der Verklagung Josephs durch Potiphars Frau, verliert sich die perspektivische
Raumvertiefung immer restlos.
So wird klar, daß die Frage nach dem Entstehungsort der Wiener Genesis mit der
Frage nach der Herkunft ihrer Vorlage nicht zusammenfällt. Soweit sich nach einer offen-
bar freien Kopie über die letztere urteilen läßt, kommt für diese Genesisredaktion vor allem
Antiochia oder ein anderes unter unmittelbarem syrischen Einfluß stehendes hellenistisches
Kunstzentrum als Ursprungsort in Frage. Sie hat z. B. in den wiederholt vorkommenden
Buckelochsen der Wiener Genesis einen auf Vorderasien beschränkten Typus der auch sonst
vortrefflich verstandenen orientalischen Tierwelt aufgenommen. In dieselbe Richtung weisen
Einzelheiten der Architekturen, wie die von außen an den Häusern emporführenden Treppen
und die doppelten Dächer der Türme, während die schematisch behandelte Vegetation eine
nähere Umgrenzung nicht zuläßt. Deutlicher sprechen wieder die Gebärden mit ihrer Un-
mittelbarkeit, welche der syrisch-hellenistischen Kunst eigen ist (S. 130). Wie Cham auf den
trunkenen Noah hinweist, wie Elieser von Abraham Abschied nimmt, die Verlegenheitsgebärde
Jakobs, der vor den Engeln steht, die Eile, mit der Lot, seine Familie vor sich herdrängend,
das brennende Sodom verläßt, die gekreuzte Händehaltung Jakobs, der Josephs Söhne segnet,
ein Motiv, das auch im Ashburnham-Pentateuch (s. unten) vorkommt: alles das ist der An-
tike so fremd, als semitisch empfunden. Allerdings haben an mancher in derb realistischem
Sinne geschaffenen Figur wohl auch die ausführenden Künstler ihren Anteil, und dies erklärt
die weniger antikisierende Gesamthaltung einzelner Bilder. Die „Illusionisten“ bewahren die
antiken Motive der Vorlage anscheinend reiner, — gerade in ihren Arbeiten stehen aber
neben vortrefflichen Leistungen nachlässige Sudeleien, besonders in den letzten Josephsszenen.
Die eigentlichen „Miniaturisten“ schaffen freier und deshalb meist sorgfältiger.
Stände die Wiener Genesis für sich, so ließe sich schwerlich über ihren Entstehungsort
ein bestimmtes Urteil aussprechen. Auf diese Frage geben erst ihre Schwesterhandschriften
Antwort. Obgleich es sich dabei um zwei Evangelien, also um den neutestamentlichen Bilder-
kreis handelt, schließen sie sich alle untereinander so eng zusammen, wie es sonst kaum vor-
kommt. Und doch befindet sich von diesen Purpurkodices der zweite wahrscheinlich seit dem
Altertum in Süditalien, dürfte er doch aus dem der Stadt Rossano benachbarten untergegangenen
Basilianerkloster herrühren. Der letzte tauchte erst vor fünfzehn Jahren in Sinope am Pontus
auf. Die natürlichste Erklärung für eine solche Verbreitung liegt in der Annahme, daß wir
es mit Erzeugnissen der höfischen Schreibstube von Byzanz und mit kaiserlichen Geschenken
300 ENGERE VERWANDTSCHAFT DES ROSSANENSIS UND SINOPENSIS

an Kirchen und Klöster des weiten Reiches zu tun haben. So mag auch die Wiener Genesis
über Ravenna nach Oberitalien gelangt sein. Hatte Konstantin der Große noch aus dem
Orient Handschriften bezogen, so hatte er doch auch für Verpflanzung der Kunstübung nach
Konstantinopel Sorge getragen (S. 289). Und sobald wir den beiden Evangelienhandschriften
näher treten, mehren sich die Hinweise auf Byzanz.
Auf die malerische Bildgestaltung der illusionistischen Genesisminiaturen haben sie —, mit einer Aus-
nahme im Rossanensis, — bereits ganz verzichtet. Auch sind die Bilder im letzteren gänzlich aus dem
Texte ausgeschieden und zu einer die Lesestücke (Perikopen) der Passionswoche illustrierenden Folge vor
demselben vereinigt. Einzelne Verse aus den entsprechenden Kapiteln dienen zu ihrer Erläuterung. Begleitet
aber werden sie von je vier Einzelgestalten der Propheten, die uns auf entfaltetem Schriftblatt einen die
Voraussage oder Sentenz der Szenen ausdrückenden Spruch weisen (Tafel XVIII, 2 u. 3). Deutlich unterschieden
wird nur der Typus des königlichen Propheten: David (einmal im Rossanensis) oder Salomo und in etwas
abweichender Tracht Daniel (im Sinopensis). Daher kommt Jesaias dort als Greis und als Jüngling vor,
hier Moses sowohl bärtig wie jugendlich, ein Beweis, daß Sprüche und Namen erst nachträglich zugefügt
wurden und daß solche Begleitfiguren zu den typischen Elementen dieser Evangelienillustration gehörten.
Neu ist übrigens daran (S. 295) nur der monumentale Figurentypus.
Die ikonographische Grundlage des neutestamentlichen Bilderzyklus, wie er uns im
Rossanensis, allerdings weder vollständig noch lückenlos, vorliegt, zu dem das Fragment von
Sinope mit fünf weiteren Szenen ergänzend hinzutritt, bildet eine syrisch-palästinensische
Redaktion. In den Wunderszenen herrscht statt der symbolischen eine historisch realistische
Auffassung, die offenbar an bestimmte Lokalitäten anknüpft.
Zum erstenmal begegnet uns hier in der Erweckung des Lazarus die Höhle. Der Blinde wäscht sich
nach der Heilung vor einer staunenden Zuschauergruppe die Augen an einem kunstvoll gefaßten Marmor-
becken. Hier und in den Bildern des Verhörs Christi vor Pilatus, der Rückgabe der Silberlinge, des
erhängten Judas u. a. m. berührt sich die Darstellung auffallend mit den Ciboriumsäulen von S. Marco
(S. 127/8). Die palästinensische Illustration apokrypher Evangelien war die gemeinsame Quelle. Weitere
Beziehungen zum syrischen Denkmälerkreise verraten die Abendmahlsbilder des Rossanensis. Die Austeilung
der heiligen Gaben an die Apostel durch Christus als Priester hat in ihm vollends eine rituelle Ausgestal-
tung gefunden (Taf. XVIII, 2). In den Gebärden des Herantretens mit bedeckten Händen, des Erhebens der
Arme im Gebet und des Handkusses spiegelt die Komposition getreu die liturgische Handlung der Zeit
wider. Die vorhergehende historische Abendmahlsszene schildert bereits die (auch für ein Mosaik der
Sergiuskirche zu Gaza bezeugte) Ankündigung des Verrats. Das Wort des Herrn (Matth. XXVI, 23) wird
durch die Bewegung des Judas, der nach der Schüssel greift, illustriert. Johannes ist in dem Greise neben
dem Heiland zu erkennen. Damit betreten wir den Boden byzantinischer Ikonographie. Diese und mehrere
andere Kompositionen: der Einzug Christi in Jerusalem mit den drei aus dem Tor hervorkommenden und
einen Baum erkletternden Kindern, sowie die Szenen der zweimaligen wunderbaren Speisung des Volkes
und der Heilung der beiden Blinden im Evangelium von Sinope, geben die Ereignisse in der Hauptsache
so wieder, wie es für die byzantinischen Miniaturen und Mosaiken fortan typisch bleibt. Wenn sich daneben
abweichende Wendungen finden, wenn z. B. in der Geschichte vom barmherzigen Samariter dieser die
Gestalt des Herrn selbst annimmt, dem ein Engel zur Seite tritt, so beweist das nur den größeren Reichtum
des altbyzantinischen Bilderschatzes gegenüber der im Mittelalter bewahrten Auslese.
Die ikonographische Charakterzeichnung freilich ist im Rossanensis noch wenig entwickelt. Die
Individualisierung ist bei den Aposteln wie bei den Propheten nicht über die in der syrischen Kunst gege-
benen Ansätze hinaus gediehen. So steht der ziemlich langbärtige Greisenkopf des Petrus noch dem Typus
der Lipsanothek von Brescia (Abb. 182) näher als dem späteren Petrusideal. Johannes findet in der ersten
Gestalt der Maximianskathedra sein Gegenbild (Abb. 191). Beide erblicken wir wohl auch im Speisungs-
wunder des Sinopensis. Außer ihnen ist im Kodex von Rossano ein dritter Greis (Taf. XVIII,2), — zweifellos
Andreas, — immer mit denselben Zügen ausgestattet. Er hat schon das aufstrebende lockige Haar des
späteren byzantinischen Typus, von dem ihn jedoch der kürzere Bart unterscheidet. Daß ihm besondere
Beachtung geschenkt wird, bestätigt die Entstehung des Rossanensis in Konstantinopel, wo Andreas als
Apostel von Byzanz und des Pontus eine bevorzugte Stellung einnahm. Nicht einmal den Evangelisten
ist eine so bestimmte Individualisierung zuteil geworden. Den leider verlorenen Kanonestafeln ging eine
Tafel XVIII

3.
1. Jakobs Heimfahrt und Ringkampf mit dem Engel (nach Hartei und Wickhoff, Die Wiener Genesis)
2. Liturgisches Abendmahlsbild: Spendung des Kelches (nach Haseioff, Codex Purpureus Rossanensis)
3. Gastmahl des Herodes und Tod Johannes des Täufers (nach Omont, Facsimiles des miniat. d. mscr. gr, de la Bibi, nat.)
EINFLUSS DER MONUMENTALMALEREI AUF IHRE STILENTWICKLUNG 301

Zierseite voran, welche in den vier Verknotungen eines gemusterten Kreises ihre Brustbilder vereinigt.
Aber nur ein einziger — wohl wieder Johannes — ist durch weißes Haupthaar und Bart von den übrigen,
im männlichen Alter dargestellten unterschieden. Das von dem zweiten Evangelium erhaltene Vollbild des
Markus schließt sich derselben Auffassung und dem hellenistisch-syrischen Bildtypus (S. 296) an. Als
christliches Autorenbild gewinnt es besondere Bedeutung durch die ihm hinzugefügte allegorische Frauen-
gestalt der göttlichen Weisheit, welche die Inspiration versinnlicht, wie ihre Vorgängerinnen, die antiken
Personifikationen (S. 289ff.), die dichterische oder wissenschaftliche Geistestätigkeit. Die Sophia begegnet
uns wiederholt in mittelalterlichen byzantinischen und slawischen Handschriften als Begleitfigur der
Evangelistenbilder.
Aus den Verschiedenheiten der drei Purpurkodices erschließt sich uns die malerische
Stilbildung der altbyzantinischen Kunst noch über die Miniaturmalerei hinaus. Wir beob-
achten, wie die Andeutung des Schauplatzes immer mehr auf das Maß des Unentbehrlichen
beschränkt wird. Die schemenhaften Stadtansichten und Naturgebilde wie die Höhle des
Lazarus (s. oben) oder das Gebüsch bei der wunderbaren Speisung und der verdorrte
Feigenbaum (im Sinopensis) werden nicht anders als die Figurenkomposition auf die bloße
Standlinie aufgesetzt. Etwas reicher ist im Rossanensis die Hintergrundsarchitektur aus-
nahmsweise noch bei der Vertreibung der Händler aus dem Tempel und die landschaftliche
Szenerie des Paradiesesgartens gehalten, den Christus mit den klugen Jungfrauen betreten
hat, während die törichten vor der geschlossenen Tür stehen. Zu einem einheitlichen Land-
schaftsbilde aber erhebt sich der Meister nur einmal beim Gebet in Gethsemane. Der Stim-
mungsgehalt der Szene mag ihn bewogen haben, einer illusionistisch ausgeführten Vorlage
den nächtlichen Himmel zu entnehmen und mit ihm die grell beschienenen Felsklippen, die
eine den Genesisminiaturen völlig gleichartige Schematisierung antiker Landschaftsformen
darstellen. Aber indem die byzantinische Schule die konkrete Raumgestaltung aufgibt, lernt
sie, mit anderen Mitteln das abstrakte Raumgefühl des Beschauers anzuregen. In der ge-
wöhnlichen Streifenkomposition wird die Überschneidung aufs äußerste ausgenutzt, um das
Hintereinander zu veranschaulichen. So entstehen zusammengeballte Gruppen, in denen sich
die Deckungen bis zu drei- und vierfacher Gliedertiefe häufen. Von den hintersten Gestalten
sehen wir oft nur noch den Scheitel. Eine klärende Gegenwirkung übt schon hier gelegent-
lich die senkrechte Staffelung. Wo es aber gilt, einen dramatischen Vorgang mit starker
Rollenbesetzung zu gestalten, da bietet sie sich vollends dem Künstler als die angemessene
Darstellungsform dar, um zwei Bildstreifen zur Raumeinheit zusammenzufassen. Die Vor-
führung Christi und des Barrabas vor Pilatus (Abb. 282) ist ein Musterbeispiel eines in vor-
trefflicher Abwägung der Komposition nach den neuen Grundsätzen aufgebauten Bildes.
Während oben Priester und Volk von beiden Seiten mit dem Rufe „Kreuzige ihn“ die Hände
fordernd gegen den Statthalter ausstrecken, der mit fragender Gebärde hinabweist, — der
Schreiber protokolliert eben die Freigebung des Barrabas, — harren dort Christus und der
Raubmörder gefesselt und von zwei Liktoren und zwei Schergen geleitet des Urteilspruchs.
Außer dem Heiland und dem einen Liktor wenden sie alle das Antlitz vom Beschauer ab,
und drei von ihnen stehen sogar in Rückenansicht da. Daß sie vor Pilatus stehend ge-
dacht sind, daran läßt der aufwärts, also in die Tiefe gerichtete Blick des Mannes, der
Barrabas vorgeführt hat, keinen Zweifel. Was auf den Konsulardiptychen des 5. Jahrhun-
derts als Kompositionsprinzip herrscht (S. 193), was in der Wiener Genesis noch auf deut-
lich veranschaulichtem Schauplatz mit Umkehrung des optischen Maßstabes versucht wird
(Abb. 281), sehen wir hier in voller Abstraktion durchgeführt. Die Fläche ist durch das
Übereinanderstellen der Figuren, ihre Wendungen und Blickrichtungen zur idealen Räum-
302 VERGLEICHENDE STILANALYSE DER DREI PURPURKODICES

lichkeit umgedeutet. Ähnliches boten


ja auch die Autorenbilder des Wie-
ner Dioskurides, wo der Goldgrund
mit der hohen Staffelung der sitzen-
den Gestalten in demselben Sinne
zusammenwirkte, ein deutlicher Hin-
weis, woher diese Auffassung kommt.
Es ist die Mosaikmalerei, in der das
Prinzip seine folgerichtige Durch-
bildungerfahrenhat. Steht sie doch
ihrem Wesen nach dem Reliefstil
viel näher. So ist die Vorführungs-
szene des Rossanensis wohl un-
mittelbar abhängig von einem monu-
mentalen Vorbild, wenngleich hier
der Purpurgrund das Gold vertritt,
wie schon die Bogenlinie, die das
Bild oben abschließt, und der sym-
metrische Bau der Komposition ver-
muten läßt. In so enger Fühlung
mit dem Monumentalstil wie in By-
zanz hat sich aber die Buchmalerei
kaum in einem zweiten Kunstzentrum
Abb. 282. Christus und Barrabas vor Pilatus
(nach Munoz, II cod. Purpureo di Rossano etc. 1908).
entwickelt. Sein Einfluß erklärt die
fortschreitende Wandlung in der
Auffassung der Miniatur von den illusionistischen Bildern der Wiener Genesis bis zur reinen
Figurenkomposition des Rossanensis. Griechisches Stilgefühl meistert in diesem den syrischen
Naturalismus der Vorlage, die Naturanschauung aber bleibt eine realistische, wie sie in der Rich-
tung des altbyzantinischen Kunstwollens liegt (S. 179ff.u. 193). Der ikonographische Grundtypus
jeder Szene ist aus lebendiger Anschauung nachgeschaffen. In Bildern, wie der Erweckung des
Lazarus, wo zugleich Bitte, Wundervollzug und das Staunen über die Wirkung des Machtworts
Christi in den verschiedenen Teilnehmern zum Ausdruck kommen, und dem liturgischen Abend-
mahl (Taf. XVIII, 2), wo in der Reihe der Apostel der zeitliche Ablauf der Handlung in seine
einzelnen Momente zerlegt erscheint und die Gestalt Christi dem zwiefachen Vorgänge zuliebe
verdoppelt wird, herrscht eine unübertreffliche Ökonomie der Schilderung. Das Abendmahls-
bild weist zugleich mit seiner auf weite Blickbewegung berechneten Figurenverteilung auf
einen monumentalen Typus zurück, wie er dann auch in späteren Mosaiken wiederkehrt.
Solchen Vorzügen der Komposition gegenüber aber verraten beide Evangelien, an der
Wiener Genesis gemessen, einen großen Verlust des zeichnerischen Vermögens und an Mannig-
faltigkeit der Figurenbewegung. Verkürzungen bieten sie viel spärlicher. Umgekehrt hat
die repräsentative Auffassung zugenommen. Wenn in den Genesisminiaturen manchmal
(Abb. 281) die freiere Gruppierung noch deutlich den Zusammenhang mit der Tradition der
antiken Dramenillustration (S. 282 ff.) verrät —, ein Erbstück der letzteren ist die offene Tür,
die als Paradiesespforte in der byzantinischen Miniaturmalerei sogar über den Rossanensis
hinaus fortlebt —, so gehen im letzteren und im Sinopensis die lebhafteren Wendungen und
ÜBEREINSTIMMUNG IHRER IKONOGRAPHISCHEN TYPEN 303

Profilstellungen mehr und mehr verloren. Die Dreiviertel- und Frontalansicht überwiegt
weitaus und die Beziehung der Gestalten aufeinander mittels der Blickrichtungen streift
manchmal ans Schielen (Abb. 282). In dieser Wandlung spüren wir den wachsenden Ein-
fluß der ikonenhaften Typen des Monumentalstils, dem andrerseits die Miniatur die bühnen-
mäßige Aktion übermittelt hat. Der Ausgleich zwischen beiden Elementen hat für die Bild-
gestaltung der byzantinischen Kunst grundlegende Bedeutung. Sie verdankt ihm auch die
kontinuierende Darstellungsform mit ihrer Figurenwiederholung, von der die Blindenheilung
und die Geschichte des barmherzigen Samariters im Rossanensis charakteristische Proben bieten.
Der Stilverschiedenheit der Vorlagen ist es zuzuschreiben, wenn in der Wiener Genesis
der antike Geschmack reiner durchblickt. Was alle drei Bilderhandschriften gemein haben,
ist hingegen das eigentlich byzantinische Element, und am augenfälligsten tritt es in ihren
Fehlern und Schwächen hervor.
Die vorherrschenden Figurentypen sind die gleichen, namentlich die jugendlichen männlichen mit
schlichtem Flaar, an denen als Besonderheit eine übertriebene Wölbung des Schädels und Hinterkopfes
auffällt. Die Frauengestalten könnte man unbeschadet des stilistischen Eindrucks vertauschen. Die Greise
mit dem langen strähnigen Haar und Bart entsprechen schon dem Ideal der Patriarchen und Propheten
der jüngeren byzantinischen Kunst. Seltenere Typen, wie die Jünglinge mit lockigem Haar — so z. B. die
Engel, — finden sich hier und dort daneben vor (Taf. XVIII, 1). Ist auch die Genesis reicher an Bewegungs-
motiven, so kommen doch auch in ihr typische Stellungen wie das Übertreten oder die starke Beugung des
Oberkörpers schon reichlich zur Anwendung. In den flüchtiger ausgeführten Bildern macht sich eine echt
byzantinische Eigentümlichkeit der Gestaltenbildung, der verkümmerte Bau des Unterkörpers und der Füße,
bemerkbar. In den beiden Evangelien gewinnt die Vorliebe für das Derbe und Häßliche die Oberhand. Sie
bemächtigt sich im Sinopensis sogar des Christustypus, dessen langer Bart und dunkles Haar dem syrischen
Ideal entlehnt sind. Der Meister desselben scheut auch vor dem krassesten Ausdruck nicht zurück. Und doch
verschönt in der Miniatur, die das Entsetzen der Jünger des Täufers über seinen Tod mit fast trivialem Wirk-
lichkeitssinn schildert (Taf. XVIII, 3) noch ein Hauch antiker Anmut die Gestalt der Salome. Die Gegensätze
liegen hier noch unvermittelter als in der Genesis nebeneinander, während der Rossanensis in der Menschen-
darstellung einheitlicher und reifer erscheint. Eine gleichartige Auffassung bestimmt auch die Gewand-
behandlung der drei Handschriften. Frei von jedem dekorativen Zuge gibt sie wenige große Motive in
schlichter Natürlichkeit, und in den beiden Evangelien nimmt die Vorliebe für die Steilfalten sichtlich zu.
Diese Übereinstimmung erstreckt sich auch auf die Tracht selbst, in der Chlamys und Pänula mit dem
Idealgewand abwechseln. Zwischen die weißen Gewänder der Apostel mischt sich dadurch Rot, Blau und
Purpur ein. Christus erscheint im Rossanensis durch purpurnen Chiton und goldenen Mantel, im Sinopensis
sogar durch einheitliche goldene Gewandung ausgezeichnet. Die Falten sind mit leichtem Pinsel in schwarzen
Strichen eingezeichnet, ein Verfahren, das gelegentlich auch bei anderen Farben zur Verdeutlichung der
Form nachhelfen muß. Im allgemeinen aber ist die Technik der Schule noch eine rein malerische. Inkarnat,
Gewandung und Vegetation erfahren eine weiche Abtönung, und die Einzelheiten werden flott und breit
hingesetzt. Die Wiener Genesis besitzt sogar in ihren geschlossenen Hintergründen noch eine Fülle von
zarteren und neutralen Farbenwerten zur Wiedergabe von Boden, Luft und Ferne, bläulichen Schatten
und rötlichem Lichtschimmer.
Der Gesamteindruck, der sich aus diesen technischen und stilistischen Eigentümlichkeiten
der Purpurkodices ergibt, ist der einer sich umbildenden Kunst. Als ihre späteste mögliche
Entstehungszeit kann daher etwa die Wende des 5. Jahrhunderts angesehen werden, während
der sich auch die Stilbildung der altbyzantinischen Plastik vollendet. Alle wesentlichen Prin-
zipien des byzantinischen Stils sind damals bereits festgestellt. Die einseitige Bevorzugung
der Figurenkomposition und die Schematisierung des szenischen Beiwerks wird zur Regel,
wenn auch das künstlerische Schaffen mit dem Stift und Pinsel naturgemäß eine freiere
Komposition und eine reichere malerische Ausführung bewahrt und die abstrakte Rauman-
schauung und repräsentative Bildgestaltung sich nur in der monumentalen Kunst in voller
Strenge durchsetzt.
304 ABHÄNGIGKEIT DER ABENDLÄNDISCHEN BUCHMALEREI VOM OSTEN

Im Abendlande hat der


lateinische Bibeltext in alt-
christlicher Zeit einen reiche-
ren Bildschmuck wohl nur in
seltenen Fällen erhalten. Es
wären sonst viel zahlreichere
Überreste vorhanden. Was
wir an bedeutenden Illustrati-
onsproben lateinischer Kodi-
ces besitzen,bestätigtdieoben
ausgesprochene Vermutung
(S. 280), daß die Maler,
mögen sie Griechen oder Rö-
mer gewesen sein, ihre Ar-
beiten nach griechischen oder
orientalischen Vorlagen aus-
führten und daß die selb-
ständige Erfindung dabei
keine sehr wesentliche Rolle
spielte. Wie für die Quedlin-
Abb. 283. Heimkehr der Söhne Jakobs und Josephs Regiment in Ägypten
(nach O. v. Gebhardt, The miniat. of the Ashburnham-Pentateuch 1883).
burger Itala (S. 282), trifft
das auch für einen das Alte
und Neue Testament umfassenden Band zu, der aus dem Kloster vom Monte Amiata angeblich
als Geschenk eines Schülers des heiligen Benedikt an den Papst, — die metrische Widmung scheint
es zu bestätigen, — in den Vatikan gelangt sein soll, mit dem Unterschiede, daß die wenigen
Miniaturen desselben auf syrische Vorbilder zurückgehen. Außer dem Plan der Stiftshütte und
mehreren christlichen Emblemen weist der Kodex zwei Vollbilder auf, Esra, der die heiligen Bücher
erneuert, und Christus im kurzbärtigen Typus des Rabula-Evangeliars (S. 296) zwischen zwei
Engeltrabanten darstellend, den eine aus mehreren gestirnten Zonen bestehende Glorie umgibt,
dazu in die Ecken verteilt die vier Evangelisten und zwischen ihnen die Symbole. Eine ungleich
freiere Richtung vertritt eine Handschrift, in der semitische Bildgestaltung sich mit der unge-
schulten, aber überaus lebendigen Auffassung frühmittelalterlicher germanischer Kunstübung
paart. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, daß der Urtypus des Ashburnham-Pentateuch
(Paris) einem hellenistischen Kunstzentrum — wenngleich einem ganz anderen Volkskreise
innerhalb desselben, — seine Entstehung verdankt. Als sicher darf freilich nur die wichtigste
Tatsache gelten, daß hier eine ungriechische, sei es eine jüdische oder eine syrische, Vorlage
benutzt wurde, obgleich der Text ein lateinischer ist, — wenn nicht etwa ein syrischer Maler
in einem gallischen oder oberitalischen Kloster die Bilder ausgeführt hat.
Kurze Vorschriften für die Verteilung finden sich in ihnen vor. Der Ashburnham-Pentateuch enthält
19 ganzseitige Miniaturen, durchweg aus 2 bis 10 Szenen bestehend. Der semitische Stilcharakter tritt
einerseits in einem schrankenlosen Naturalismus hervor, andrerseits in einem ebenso augenfälligen Mangel
an formaler Gestaltung und künstlerischer Einheit in der Wiedergabe der Vorgänge sowie des Schauplatzes.
Der Zusammenhang der Landschaft bleibt unorganisch, obwohl es an natürlichen Formen nicht fehlt. Die
orientalisch anmutenden Architekturen setzen sich bei aller Mannigfaltigkeit aus Gebäuden, die von ver-
schiedenen Standpunkten und zum Teil in umgekehrter Perspektive gesehen sind, zusammen und sind so
wenig wie die Figuren mit der Standfläche in klare räumliche Verbindung gebracht, so daß die letzteren
DAS GERMANISCHE ELEMENT IN ABENDLÄNDISCHEN HANDSCHRIFTEN 305

oft wie über die Szenerie verstreut erscheinen. Zur leichteren Unterscheidung der Szenen tragen die den
Raum zwischen den Stützen der Häuser ausfüllenden farbigen Hintergründe bei. Der natürlichen Anschauung
widerspricht auch das Bestreben, gleichzeitig Außen- und Innenansicht der Häuser und Paläste, der Zelte
und der Stiftshütte zu zeigen. In ganz primitive Darstellungsformen aber fällt diese Kunst zurück, wenn
sie nicht nur in den Schöpfungsszenen das Wasser kartographisch wie einen von oben gesehenen Teich
wiedergibt, sondern sogar in den Bildern der Sintflut und des Durchzugs der Juden durch das Schilfmeer.
Auch die Staffelung der Gruppen in die Höhe überschreitet noch öfters (Abb. 283) das für das antike Stil-
gefühl zulässige Maß und findet nur in der altorientalischen Kunst Parallelen. Gleichartige Schwächen
offenbart die Figurenbildung. Die verschränkten Stellungen verraten die mangelhafte Beherrschung der
Verkürzung. Der Künstler bevorzugt die Vorderansicht und gibt sämtliche Köpfe in dieser oder in leichter
Dreiviertelwendung. Bewegte und besonders sitzende Figuren drehen doch den Oberkörper möglichst nach
vorn herum. Noch härter ist die Zusammenfügung der herabfliegenden Engelgestalten aus verschiedenen
Projektionen der beiden Körperhälften. Der bühnenmäßigen Aufstellung der Figuren kommt eine einge-
wurzelte Neigung zu repräsentativer Darstellungsweise entgegen, die selbst in der höchsten dramatischen
Zuspitzung eingehalten wird. Denn an Bewegung und leidenschaftlichem Ausdruck fehlt es den Bildern
keineswegs. Die Gebärdensprache ist vielmehr eine überaus lebhafte und impulsive. Der Gestikulation zu-
liebe werden die Hände vergrößert, wie mitunter auf den syrischen Pyxiden oder auch in der frühmittel-
alterlichen nordischen Kunst. Innerhalb des halbfrontalen Schemas erreichen die Stellungen eine erstaun-
liche Naturwahrheit. Eigenartige Bewegungsmotive, wie der schwere schleppende oder der eilige vorfallende
Schritt, das Knien mit vorgebeugtem Oberkörper und ganz individuelle Züge verleihen der Schilderung eine
fesselnde Unmittelbarkeit. Der Rassencharakter spricht sich besonders in den Typen der Weiber deutlich
aus. Ihr Kopfputz und Schmuck und die hohen Hüte der Männer, die mit palmyrenischen Grabsteinen (S. 134)
übereinstimmen, ergeben einen sicheren Anhalt für die orientalische Grundlage dieser Miniaturenfolge.
Wenn diese ganze Illustration auch noch entfernt mit hellenistischen Typen zusammen-
hängt, so durchdringt sie doch die überlieferten Bildelemente mit freier Anschauung. Ihre
Entstehung muß in einen vorgerückten Zeitpunkt fallen, wie die Wiedergabe Gottvaters im
langlockigen bärtigen Christustypus schließen läßt. Da aber der lateinische Text den Schrift-
charakter des 7. Jahrhunderts trägt, muß sie doch spätestens im 6. ihre abschließende Redaktion
gefunden haben. Von der lebensvollen Schilderung ist ein guter Teil wohl der letzten Hand
zum Verdienst anzurechnen. Und es mag wohl ein Germane gewesen sein, der die Anschau-
lichkeit der Vorgänge so zu steigern und sich gerade in den primitiven Darstellungsformen
freier zu geben wußte. Spricht doch aus vielen Bildern eine kaum zu umschreibende, aber
unmittelbar packende Kraftäußerung, die schwerlich aus orientalischer Leidenschaftlichkeit
allein entspringt. Der Ashburnham-Pentateuch ist wohl am ehesten als ein Vorläufer wesens-
verwandter Schöpfungen der karolingischen Buchmalerei aus derselben Verbindung semitischer
und nordischer Kunstauffassung zu begreifen, wie z. B. das Evangeliar von St. Medard
(Soissons) und vollends der Utrechtpsalter, wenngleich er gewiß den Stil der Vorlage viel
getreuer widerspiegelt. Nicht mehr so eng, aber doch noch unverkennbar ist der Anschluß
an den orientalischen Stammtypus bei einer wohl um ein Jahrhundert jüngeren neutestament-
lichen Handschrift. Der reichere Bilderbestand eines Evangeliars in Cambridge (Christ-
Church-College) gibt altchristliche Kompositionen in freierer Nachbildung wieder, die schon
leise Regungen selbständiger Naturanschauung verspüren läßt. Er umfaßt auf zwei Blät-
tern in einer gewiß nicht erst vom angelsächsischen Maler geschaffenen Zusammenstellung
eine Anzahl der Wunder des Herrn und eine Passionsfolge. Sämtliche Szenen sind in klein-
stem Maßstabe ausgeführt und die ersteren in die Zwischenräume der Doppelsäulen einer
Rundbogenarkade eingeschlossen, unter der der Evangelist Lukas in der charakteristischen
Stellung des antiken Autorenbildes (S. 289/90) dasitzt, durch die Beischrift und den geflügelten
Stier im Giebelfelde kenntlich gemacht (Abb. 284). Figurentypus, Aufbau und Giebelschmuck
der architektonischen Umrahmung lassen auch hier syrischen Einfluß erkennen.
O. Wu 1 f f, Altchristl. u. byzant. Kunst. 20
306 ILLUSTRATION LATEINISCHER LEHRBÜCHER UND LEHRGEDICHTE

Die spätantike lateinische Literatur der


naturwissenschaftlichen oder technischen Trak-
tate entlehnte die Typen ihrer Personifikationen
unverkennbar hellenistischen Quellen. Das ver-
raten noch die mittelalterlichen Kopien, in denen
sie uns ausschließlich vorliegen, vor allem in
einer ziemlich verbreiteten Sammlung medizini-
scher Abhandlungen. Anregungen zu selbstän-
digerem Schaffen konnte den christlichen Künst-
lern im Abendlande am ehesten die Lehrdich-
tung bieten. Und in der Tat hat die leider ver-
lorene und nur aus karolingischen und noch
jüngeren mittelalterlichen Kopien wiederzuge-
winnende Originalredaktion des bedeutendsten
christlichen Poeten Prudentius (f 410 n. Chr.)
in den rein allegorischen Vorwürfen der soge-
nannten Psychomachia, des Traktats über die
Tugenden und die Laster, eine Fülle den Text
paraphrasierender eigenartiger Kompositionen
aufzuweisen. Amor, dessen Pfeile vor der Keusch-
Abb. 284. Der Evangelist Lukas (aus dem Ev. des heit wirkungslos zu Boden fallen, der Stolz
Christ-Church College in Cambridge) (Superbia), der zu Fall kommt, die Zweikämpfe
(nach Palaeogr. Soc. Miniatures I). der Tugenden und Laster haben manchen glück-
lichen Einfall gezeitigt, den der Illustrator mit
überkommenen Figurentypen auszudrücken wußte. Wo ihm gestalteter christlicher Bildstoff
zur Verfügung stand, hat er vollends die Typen des Ostens nicht verschmäht, so z. B. beim
Isaakopfer und Besuch der Engel eine den Mosaiken von S. M. Maggiore verwandte Vorlage,
und uns dadurch einzelne sonst verlorene, aber wohlbezeugte Darstellungen bewahrt (s. unten).
Der vorstehende Überblick hält im wesentlichen die von Ainalow, Die Hellenist. Grundl. usw.,
S. 7ff., gezogenen Richtlinien ein; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903, S. 34ff. Der Einfluß der Dramenillu-
stration auf die altchristliche Buchmalerei ist bisher unbeachtet geblieben. Im übrigen sind die neuesten
Zusammenfassungen von Diehl, a. a. O. S. 229—246 und Dalton, a. a. O. S. 435—464 und aus der beim
letztgenannten verzeichneten Spezialliteratur außer den zu den Abbildungen zitierten Publikationen vor allem
die folgenden maßgebenden Arbeiten sowie Nachträge heranzuziehen. Über Buchform und Anfänge der
Illustration Th. Birt, Die Buchrolle in der Kunst, Lpz. 1907, und Strzygowski (u. A. Bauer), Eine alexandrin.
Weltchronik. Denkschr. d. K. Akad. d. Wiss. in Wien 1905, Philos.-hist. Kl. LI, S. 169 ff. mit zum Teil ab-
weichender Gruppierung der Denkmäler. Der Archetypus des Pariser Psalter N. 139 läßt sich jedoch
m. E. so wenig auf den asiatischen Hellenismus zurückführen wie die erhaltene Miniaturenfolge selbst mit
R. Berliner, Zur Datierung der Miniaturen des Cod. Par. Gr. 139, Weida i. Th. 1911, als überarbeitete
altchristliche Illustration erweisen (unbeschadet mancher treffenden Einzelbeobachtungen). Zur Entwick-
lungsgeschichte der Psalter- und Odenillustration im allgemeinen hat A. Baumstark, Or. Christ. 1905,
S. 295 ff. und 1912, S. 107ff., sowie Röm. Quartalschr. 1907, S. 157 ff., über die Forschungen von J.J.Tikannen
(s. Teil II) u. a. hinausgreifende wichtige Aufstellungen geliefert. Von ihm darf man auch bedeutsame
Aufschlüsse über die syrisch-palästinensischen Grundlagen der Evangelienillustration erhoffen, deren Ver-
hältnis zu den byzantinischen Redaktionen durch die unzureichende Behandlung des syrischen Evangeliars
aus Jerusalem (Markuskloster N. 6) von J. Reil, Zeitschr. d. D. Pal. Vereins, 1912, S. 138 ff. noch keineswegs
aufgeklärt erscheint; vgl. Baumstark, Mtsh. f. K. Wiss. 1911, S. 249 ff. sowie Or. Christ. 1911, S. 106 u. S. 135 ff.,
und 1913, S. 115 ff. u. 305 ff. St. Beissel, Gesch. d. Ev. Bücher in d. I. Hälfte d. Mittelalt., Freiburg i. B. 1906.
LITERATUR — SPÄTANTIKE UND ALTCHRISTLICHE PORTRÄTMALEREI 307

Erg. H. 92/3 zu d. Stimmen a. M. Laach, bietet nur allgemeine und z. T. (besonders hinsichtlich der Anwen-
dung der Rollenform für den neutestamentlichen Bildschmuck) anfechtbare Ergebnisse. Eine wissenschaftlichen
Ansprüchen genügende Veröffentlichung des Rabula-Ev. wird noch immer der Forschung unverzeihlicher-
weise vorenthalten (eine Überarbeitung seiner Vollbilder bleibt mir vorläufig unwahrscheinlich). Die Minia-
turen des armenischen Ev. in Jerusalem hat Strzygowski, Huschardzan. Festschr. z. lOOjähr. Best, der
Meticharisten-Kongregation in Wien 1811—1911, S. 345, bekannt gemacht*. Für den byzantinischen Ur-
sprung der Purpurcodices bin ich schon a. a. O. S. 43 mit größerer Entschiedenheit eingetreten als Ainalow,
a. a. O. S. 69 ff. Die Untersuchungen von Lüdtke und Haseloff werden neuerdings besonders durch die
vergleichende Analyse des Sinopensis von A. Munoz, N. Bull, di a. c. 1906, S. 215 ff. und a. a. O. ergänzt,
deren Ergebnisse m. E. sich demselben Schluß fügen, wie auch die von J. Poppelreuter, Kritik der Wiener
Genesis. Köln 1908. Zum Ashburnham-Pentateuch vgl. Strzygowski, Orient oder Rom, S. 32ff., und meine
Bern. K. Wiss. Beitr. A. Schmarsow gewidm. Leipzig 1907, S. 11. Die Frage nach der Vorlage des Utrecht-
Psalters hat H. Graeven, Repert. f. K. Wiss. 1898, S. 28 ff., erhellt. Zur Illustration der lateinischen wiss.
Lit. vgl. G. Swarzenski, Jahrb. d. K. d. archäol. Inst. 1902, S. 45 ff.; zu Prudentius R. Stettiner, Die illu-
strierten Prudentiushdschr., Berlin 1895.

2. Die altchristliche Tafelmalerei und die Ikonen.


Neben der Miniatur mit ihrer vorwiegend historischen oder dramatisierenden Richtung
sehen wir seit dem 4. Jahrhundert noch einen anderen Zweig der christlichen Malerei erblühen:
das Tafelbild. Sein Hauptvorwurf —, es blieb keineswegs darauf beschränkt, — ist das
repräsentative Porträt. Dank der steigenden Wertschätzung des Individuums im ausgehenden
Altertum gewann dasselbe während der Kaiserzeit bis zu den tieferen Volksschichten herab
Verbreitung. Davon zeugen sowohl die römischen Grabsteine und die ägyptischen Mumien-
porträts wie die christlichen Goldgläser (S. 69). Bei den häufigen Familienbildnissen oder
den noch beliebteren Gattenporträts bemühen sich hier die Zeichner sichtlich, mit ihren ein-
fachen Mitteln der wirklichen Erscheinung möglichst nahe zu kommen. Scheiden wir die
von der ständigen Beischrift „lebet in Christo ‘ begleiteten symbolischen Nebenelemente aus,
das Christusmonogramm und den Kranz — in späten Denkmälern erscheint sogar statt ihrer
oft oben Christus selbst in kleinerer Gestalt,
Beiden die Krone hinreichend, — so springt
die Übereinstimmung der Komposition mit
den entsprechenden antiken Porträttypen so-
fort in die Augen. Daß bei der Masse dieser
handwerksmäßigen Erzeugnisse die feinere
Durchbildung der individuellen Züge unter-
bleibt, versteht sich von selbst. Und doch
setzen uns einzelne Stücke dadurch in Er-
staunen. Wir besitzen aber auch ein auf Glas
gemaltes christliches Familienporträt von voll-
endeter Ausführung auf einem mit Edelsteinen
besetzten Kreuz in Brescia, dessen Echtheit
lange mit Unrecht angezweifelt wurde. Eine
Mutter, vielleicht die Stifterin, hat sich hier
mit Sohn und Tochter porträtieren lassen (Abb.
285). Sie steht, wie auf den Goldgläsern das
Elternpaar, als Schützerin und Pflegerin hinter
ihren Kindern, und alle drei sehen uns fast in Abb. 285. Spätantikes Familienporträt
Vollansicht mitruhigem Blicke an. DieselbeZu- (Museo Civico in Brescia).
20*
308 URSPRUNG UND DENKMÄLER DER IKONENMALEREI

Wendung zum Beschauer, verbunden mit einer stark von vorn genommenen, hoch einfallenden und
deshalb nur schmale, aber um so wirksamere Schatten erzeugenden grellen Beleuchtung, denselben
fixierenden Blick finden wir ja schon bei den pompejanischen Einzel- und Doppelbildnissen
und bei den griechisch-ägyptischen Mumienporträts. Über der Wiedergabe der durchgehen-
den Familienähnlichkeit sind dem Maler die unauffälligen individuellen Unterschiede, zumal
zwischen Mutter und Tochter, im Umriß des Gesichts, in der Größe und Lebhaftigkeit des
Auges und dem Schnitt des Mundes nicht entgangen. Das Kostüm entspricht namentlich
in der Art, wie die reich gemusterte Palla um die Schulter der Tochter gelegt und wie ihr
Haar in Wellen frisiert ist, der die Goldgläser beherrschenden Sitte des 4. Jahrhunderts.
In der Tradition der antiken Porträtmalerei wurzelt das christliche Heiligenbild, be-
wahrt doch die morgenländische Kirche sogar den sprachlichen Ausdruck der hellenischen
Kunst, wenn sie die kirchlichen Bildnistafeln „Ikonen“ nennt. Und weit in das byzantinische
Mittelalter hinein erhält sich die Technik der Wachsfarbenmalerei, die sogenannte Enkaustik.
Im Katharinenkloster auf der Sinaihalbinsel, einer vorjustinianischen Gründung, haben sich
mehrere altchristliche Ikonen durch die Jahrhunderte gerettet. Sie werden heute unter jüngeren
Erzeugnissen griechischer und orientalischer Tafelmalerei in Kiew (Museum der Geistlichen
Akademie) bewahrt.
Leider ist nur eins von Übermalung verschont geblieben, doch sind meist nur die schadhaften Teile
erneuert worden. Die stärkste Restauration weist ein Bild auf, dessen künstlerischer Wert hinter dem kunst-
geschichtlichen zurücksteht, ein nach dem Typus des antiken Gattenporträts komponiertes Doppelbildnis
eines Märtyrerpaares, wie das hinzugefügte edelsteingeschmückte, von Strahlen umflossene Kreuz beweist.
Trotz der Mängel der Zeichnung ist Individualisierung angestrebt. Die Hände reichen, wie nicht selten im
antiken Porträt, in den Rahmen hinein und halten Kreuze. Der Goldgrund allein verleiht dem Bilde eine
hieratische Färbung. Ungleich höher steht die ähnlich aufgefaßte aber breiter angeordnete Ikone der viel-
gepriesenen Märtyrer Sergios und Bakchos (Abb. 286). Auch sie halten noch bei einheitlicher Beleuchtung
die, allerdings kaum mehr verstandene, schwache Dreiviertelwendung ein, — besonders der links befind-
liche Kopf. Die patrizische Kleidung: weiße Chlamys über goldgelichtetem farbigem Unterkleid, und der
eigenartige Halsschmuck des Maniakion, ein Ring, in den drei Juwelen eingesetzt sind, das Abzeichen der
kaiserlichen Leibwächter, verbürgt die Richtigkeit der später hinzugefügten Namensbeischriften. Statt des
Kreuzes deutet hier der vom Nimbus umschlossene Christuskopf von syrischem Typus auf das Martyrium
der beiden hin. Gleichwohl ist noch der farbige blaugrüne Grund antiker Tradition festgehalten. Durch
die moderne Restauration, die sich auf
das rechte Auge des Sergios und auf
beide des Bakchos, vor allem aber auf
die Haare erstreckt, ist die individuelle
Charakteristik abgeschwächt, aber nicht
verwischt. Als tragbare Heiligenbilder
sind beide Bildtafeln in schmale Rahmen
eingefügt, die durch Schiebedeckel ge-
schlossen werden konnten. Da ihre Ent-
stehungszeit nach dem Stil kaum vor das
7. Jahrhundert fällt, kann die ausge-
prägt ikonenhaf te Auffassung nicht über-
raschen, — weit eher die Langlebigkeit
der ihr zugrunde liegenden antiken Tra-
dition.
Die ältesten Märtyrerbildnisse
unterschieden sich in Wahrheit von
Abb. 286. Die Hl. Sergios und Bakchos, enkaustische Doppelikone gewöhnlichen Porträts nur dadurch,
(Museum d. Geistl. Akad. in Kiew). daß sie Erinnerungsbilder dar-
GEDENKBILDER VON MÄRTYRERN UND KIRCHENLEHRERN 309

Abb. 287. Erweckung des Lazarus und drei lateinische Kirchenväter, Elfenbeinminiatur
(nach Munoz, N. Bull, di a. c. 1907).

stellten. Solche waren andrerseits keineswegs immer von der Glorie des Martyriums um-
flossen. In den Kirchen und Klöstern wurden Bildnisse von Bischöfen und Äbten bewahrt,
ja schon zu Lebzeiten dort angebracht. Daß bei der Entstehung der Heiligenbilder das
Bestreben, den persönlichen Charakter im Bilde festzuhalten, die wichtigste Triebfeder war,
unterliegt trotz der bald eintretenden Verallgemeinerung der Typen keinem Zweifel. „Ich habe
die Züge meines Herrn abbilden lassen“, sagt der anonyme Biograph des heiligen Pankratius,
„und wenn ich seine ehrwürdigen Züge auf dem Bilde betrachte, glaube ich leiblich mit ihm
zusammen zu sein.“ Wie er, bedienen sich auch die Kirchenväter geradezu des Ausdrucks
„Charakter“ für solche Ikonen.
Eine Art Miniaturikone vermittelt uns eine Anschauung von jenen ältesten Bischofporträts, die oft
noch eine lebendige Überlieferung bewahrten. Auf dem einen Flügel des Boethiusdiptychons (S. 193), das
schon früh als „Diptychon der Toten“ in kirchlichen Gebrauch genommen worden ist, erblicken wir innen
drei der großen lateinischen Kirchenlehrer mit übergeschriebenen Namen (Abb. 287). Die Mitte nimmt
Augustinus ein, der mit erhobener Rechten segnet, während seine verhüllte Linke das Evangelium hält,
das Hieronymus links und Gregor d. Gr. rechts mit beiden Händen tragen (s. unten), aber nur Gregor
ist durch das bischöfliche Pallium ausgezeichnet. Wahrscheinlich ist dieses dreifache Gedenkbild bald nach
seinem Tode (f 602) und vielleicht in Anlehnung an ein von ihm selbst in seiner Hauskirche auf dem
Cölius zusammen mit den Bildnissen seiner Eltern gestiftetes Porträt entstanden. Die individuell klar
unterschiedenen drei Köpfe stehen noch ohne Nimbus unmittelbar auf dem grünblauen Grund.
So kommt ein altchristliches Bischofsporträt im Berliner Museum, das aus dem oberägyptischen
Apollonkloster von Bawit herrührt, den oben betrachteten Ikonen schon außerordentlich nahe (Abb. 288).
Es ahmt in grober Temperatechnik solche gerahmten Brustbilder verehrter Persönlichkeiten nach und mag
nicht viel späterer Entstehung sein. Daß es nicht das Porträt eines Lebenden ist, beweist der Nimbus,
der in Ägypten bald jedem zur Seligkeit Eingegangenen als Lichtschein verliehen wurde, doch fehlt in der
Namensbeischrift dem „Vater“ (Abt) Abraham das Prädikat der „Heiligkeit“. Durch die Art, wie er das
schwere, mit edelsteingeschmücktem Deckel versehene Evangelienbuch trägt, kommt ein unmittelbar aus der
Anschauung des kirchlichen Ritus geschöpfter Zug in das Bild. Derselbe Realismus herrscht in der Wieder-
gabe des Kostüms, das aus dem dunkelbraunen, der Pänula entsprechenden Priestergewande und dem
schmalen, von beiden Schultern herabhängenden weißen Pallium besteht. Ein neues christliches Porträt-
schema von strengerer Frontalität, mit eigenartiger Haltung der Hände ist hier auf der Grundlage des
310 ENTSTEHUNG DES HISTORISCHEN CHRISTUSTYPUS U. A. IDEALPORTRÄTS

antiken geschaffen. Allzu hoch ist freilich die individuelle Bildnis-


treue des Antlitzes nicht einzuschätzen, geht doch der Greisentypus
mit der kahlen Stirn und dem langen weißen Bart und strähnigen
Schnurrbart durch die ganze byzantinische Kunst. Schon in den
Fresken von Bawit sind fast alle heiligen Äbte ähnlich dargestellt
worden (s. unten).
Das Idealporträt entwickelt sich erst aus dem realen.
Das Aufkommen der historischen Typen Christi, der Apostel,
der Gottesmutter vollzieht sich unter der Rückwirkung dieses
allgemeinen Bedürfnisses nach Veranschaulichung der Persön-
lichkeit. Im Bilde glaubte man sich ihrer zu vergewissern.
Zwar schlug noch ein Eusebius der Tochter Konstantins die
Bitte um ein Porträt des Herrn ab, aber daß es damals und
in gnostisch gefärbten Kreisen noch viel früher nicht nur
Apostel-, sondern auch Christusbildnisse gab, steht fest. Die
Legendenbildung von den nicht mit Händen gemachten Bildern
Abb. 288. Der Abt Abraham, kop- („Achiropoieten“), dem Abgarbild von Edessa, den Schweiß-
tisches Bischofsporträt
tüchern u. a. m., die angeblich noch zur Lebenszeit Christi ent-
(im K. Friedrich-Mus. in Berlin).
standen sein sollten, blüht schon im 4. Jahrhundert. Syrische
Versionen des gefälschten, erst in späterer Redaktion vollständig vorliegenden Briefes des Statt-
halters Lentulus an Tiberius stimmen darin, daß sie für das gescheitelte, unterhalb der Ohren in
Gelock übergehende Haar und für den kurzen zweispitzigen Bart schwarze Färbung voraussetzen,
vollkommen zu dem Christuskopf der Kiewer Ikone des heiligen Sergios und Bakchos. In den
Mosaiken begegnen uns noch weit früher verschiedene ihm verwandte Typen. Allein die neuen por-
träthaften Typen haben nicht einmal in der syrischen Kunst das ältere jugendliche Christusideal
gänzlich verdrängt (Abb. 130 u. 279). Sie üben nur eine Rückwirkung auf seinen Vorstel-
lungsgehalt. Seit dem 5. Jahrhundert wird, zumal auf hellenistischem Boden und in der
koptischen Kunst, vorzugsweise der erhöhte Gottessohn als Jüngling gebildet, und zwar nicht
nur im Zusammenhänge gewisser Bildkompositionen (s. unten), sondern auch in bildnis-
mäßiger Erscheinung. Ein Brustbild des jugendlichen Christus mit halblangem Haar, das
durch die Beischrift der „Heiland“ gedeutet wird, schmückt den Deckel eines koptischen Holz-
kästchens, dessen Seiten je zwei Engelbüsten oder Heiligen-(bzw. Apostel)köpfe ohne individuelles
Gepräge tragen (in Berlin), und bezeugt, daß es auch solche Christusikonen gegeben haben
muß. Der breite farbige Kontur, der die Nase nur auf einer Seite kräftig begrenzt, wirkt
noch immer im Sinne der Dreiviertelansicht mit ihrer betonten Schattenseite, wenngleich unver-
standen. Von Palästina ging auch der Anstoß aus, der die Ausprägung des historischen
Bildnisses Christi sowie auch der Gottesmutter zur Folge hatte. Durch das Konzil von
Ephesus (430 n. Chr.) wurde nur die schon bestehende Verehrung der jungfräulichen Mutter
des Herrn sanktioniert. Besaß Jerusalem einen jener Achiropoieten, so gab es in Bethlehem
und in Lydda berühmte Marienbilder. Auf das bethlehemitische weist anscheinend die Kom-
position der von zwei Engeln umgebenen, das Kind vor sich auf den Knien haltenden Gottes-
mutter zurück, den eine der palästinensischen Ampullen in Monza zeigt und dessen Einwirkung
auf die monumentale und auf die Kleinplastik (S. 189) so früh zu spüren ist. Als „göttlichen
Thron“, wie sie hier aufgefaßt ist, preist Maria schon der angeblich in der Avarennot des
Jahres 626 in. Byzanz entstandene, in Wahrheit noch ältere und aus Palästina entlehnte
Akathistos-Hymnus. Der Ikonentypus verdankt aber seinen Ursprung der Herauslösung einer
DAS HISTORIENBILD IN DER TAFELMALEREI 311

feierlich repräsentativen Darstellung der Gottes-


mutter aus dem Verbände einer größeren monu-
mentalen Komposition der Magieranbetung, wie sie
eins der palästinensischen Mosaikgemälde darbot
(s. unten). Indem das Heiligenbild aus der erzäh-
lenden Malerei neue symbolische Elemente aufnimmt,
entfernt es sich immer mehr von der rein porträt-
mäßigen Auffassung. Die Wiedergabe der Persön-
lichkeit in ganzer Figur bedeutet den wichtigsten
Schritt in dieser Richtung.
Wieder hat das Sinaikloster eine solche Ikone aus
altchristlicher Zeit bewahrt und glücklicherweise sogar völlig
unverfälscht. Es ist der Täufer (Abb. 289), den wir da
im Prophetentypus mit entfalteter Schriftrolle abgebildet
sehen. Der Text erläutert den Hinweis seiner Rechten auf
das in der linken oberen Ecke hinzugefügte Brustbild Christi,
dem ein zweites der Gottesmutter gegenübersteht, durch die
Worte des Evang. Joh. I, 29. Das ikonographische Motiv
des Fingerzeiges, das Cyrill von Alexandrien bezeugt, und
der Typus weist die allernächste Übereinstimmung mit der
Hauptfigur an der Vorderwand der Maximianskathedra
(Abb. 191) auf. Hier wie dort hat das Ideal des christ-
lichen Asketen der Gestalt des Täufers die charakteristischen
Züge geliehen: das wirr in die Stirne fallende lange Haar
und den ungepflegten Bart, dazu das Fell, das unter dem
Mantel den Oberkörper verhüllt. Während aber die Figur
und die Tracht eine ziemlich flüchtige und schematische
Behandlung verrät — und dasselbe gilt auch von den beiden
kleinen Rundbildern —, ist der Kopf mit echt künstlerischer
Beherrschung der enkaustischen Technik in breitester Mache
höchst wirkungsvoll ausgeführt. Die geröteten Augenlider Abb. 289. Der Täufer im Asketentypus,
und der wilde Blick versinnlichen das schwärmerische Wesen enkaust. Ikone (Mus. d. Geistl. Akad. in Kiew).
des Wüstenpredigers. Das ägyptische Mönchtum hat das
ideale Vorbild geliefert, nach dem der neue auch in der Miniatur (S. 288) vertretene Ikonentypus wahr-
scheinlich in Alexandria gestaltet worden ist.
Das Übergewicht der repräsentativen Porträtdarstellung schloß die Behandlung geschicht-
licher Szenen keineswegs von der christlichen Tafelmalerei aus. Die Kirchenväter bezeichnen
solche Bilder als „Historien“. War der Zweck solcher Historien lehrhafte Hervorhebung der
heilsgeschichtlichen Ereignisse, so konnte es auch nicht ausbleiben, daß sie zu zyklischen
Folgen vereinigt wurden.
Das älteste Stück dieser Gattung ist nur ein Fragment, das auch vom Sinai nach Kiew gelangt ist.
Ein Restaurator hat daran kaum mehr verschuldet als die jetzige stutzgiebelige Bildform. Erhalten ist die
obere Hälfte von der Gestalt der Gottesmutter, die auf einem zuäußerst am (unversehrten) rechten Rande
noch erkennbaren Lehnstuhl dasitzt, das Antlitz in Dreiviertelwendung nach links gedreht und mit der
Rechten das hochgehaltene Kind umfassend, das die offene Hand vorstreckt. Man errät leicht, daß es nach
den Geschenken hinlangt, mit denen die Magier von links herankamen. Das frische Kindergesicht und das
blühende Antlitz Marias mit den großen Augen, beide vom goldenen, später geschwärzten Nimbus umrahmt,
gehören noch der antiken Tradition, wenngleich die Gottesmutter schon das doppelte in Braun wiedergegebene
Purpurgewand mit Goldkreuz über der Stirn und goldner Ärmelverzierung trägt und ihre Züge orientalischen
Einfluß nicht ganz verleugnen können. Immerhin mag das Bild wohl noch im 6. Jahrhundert und eher in
Ägypten oder in Konstantinopel als in Syrien entstanden sein.
312 IKONEN UND VERWANDTE DENKMÄLER

Ein Abbild einer palästinensischen


Sammelikone des ausgehenden 6. Jahrhun-
derts verdanken wir der Eröffnung der fast
400 Jahre unbetretenen Kapelle Sancta
Sanctorum des Lateran im Jahre 1905.
Der Deckel eines hölzernen Reliquienbe-
hälters (Abb. 290) zeigt auf der Innenseite
im Mittelstreifen die Kreuzigung im abge-
kürzten syrischen Kompositionstypus, dar-
unter und darüber aber in zwei Bildchen
von halber Breite Geburt und Taufe Christi,
die Frauen am Grabe und die Himmel-
fahrt in lebendiger Handlung, aber alter-
tümlichem ikonographischem Bestände. Zu-
dem verrät die vorletzte Szene noch die
Kenntnis des Innenraumes der Rotunde des
heiligen Grabes, wie ihn auch die Ampul-
len von Monza aus der Zeit vor der Perser-
zerstörung wiedergeben (S. 247). Und
während Christus schon syrischen Rassen-
charakter angenommen hat, entbehren die
Apostel und der Täufer noch der stärkeren
Individualisierung, alle jugendlichen Köpfe
aber, Maria nicht ausgeschlossen, bewahren
noch fast antike Züge. Byzantinischen Stil
in vollster Reife vertritt endlich das kleine
Gegenbild der drei Bischofsporträts auf
dem Diptychon des Boethius (Abb. 287),
das die Erweckung des Lazarus darstellt
und der Illustration der Eingangsworte des
Abb. 290. Christologische Bilderfolge, Malereien auf einem Meßgebets für die Toten dient. So hängt
Reliquiar (Rom) hier die historische Einzelikone auch tech-
(nach Ph. Lauer, Mon. et Meni. Fond. Piot. 1906).
nisch noch mit der Miniatur zusammen.
Was wir im übrigen an Resten so früher Tafelmalerei noch besitzen, rührt meist aus
ägyptischen Gräberfunden her. Es sind kleinere Bruchstücke in ziemlich grober Tempera, z. T.
auch noch von enkaustischer Technik und verrohtem Stil, so z. B. der linke Flügel eines
zusammenlegbaren Altärchens aus der Sammlung Goleniscew in Petersburg mit den über-
einander dargestellten Szenen der Geburt und Taufe Christi. In Typen und Komposition der
Maximianskathedra und den Pyxiden verwandt, ist es den ganz von der syrischen Ikono-
graphie abhängigen Erzeugnissen des 6. oder 7. Jahrhunderts zuzurechnen und belehrt uns,
wie weit die Triptychonform der Ikonen in das christliche Altertum zurückreicht.
Der ikonographische und technische Zusammenhang der christlichen mit der antiken Tafelmalerei wurde
von Ainalow, But;. Xpovtxä 1898, S. 181 und 1902, S. 343 ff., sowie von Strzygowski, Or. od. Rom, S. 124 und
Eine alexandrin. Weltchronik, S. 196 ff. klargestellt. Die stilistische Entwicklung innerhalb der wichtigsten Gat-
tung verfolgt in umfassender Untersuchung W. de Grueneisen, Etudes comparatives. Le Portrait, Rom 1911,
ohne der realistischen Charakterdarstellung in der byzantinischen Kunst völlig gerecht zu werden; vgl.
G. Millet, Rev. de Part ehret. (LXI), S. 445ff., und Baumstark, Or. Christ. 1913, S. 161 ff. Über die Malereien
des Boethiusdiptychons handelte Mnoz, a. a. O. 1907, S. 5 ff. u. Tav. I. Für die enkaustischen u. a. christ-
lichen Tafelbilder im K. Friedrich-Museum in Berlin vgl. Beschr. d. Bildw. d. Christi. Ep. III. 1, N. 1604—1608
m. d. Lit. Der altchristliche Ursprung des Reliquienbehälters der Sancta Sanctorum ist von Ph. Lauer,
a. a. O. 1907, S. 97 ff. u, Taf. XIV, 2 verkannt, ungleich richtiger von H. Grisar, Die röm. Kapelle Sancta
Sanctorum und ihr Schatz, Freiburg i. B. 1908, S. 113 ff., gewürdigt worden. Im übrigen vgl. Dalton, a. a. O.
S. 316 ff. mit der übrigen Literatur.
FORTBILDUNG DES ARCHITEKTURSTILS IN DER WANDDEKORATION 313

3. Die altchristliche Monumentalmalerei und das Mosaik.


Die Erhebung des rasch anwachsenden christlichen Bildstoffes in den kirchlichen
Monumentalstil begleitet die allmähliche Vollendung des Kultgebäudes. War dieses ursprüng-
lich nur ein Teil des antiken Hauses, so ging in dasselbe das gesamte dekorative System der
profanen Wandmalerei mit seinem reichen figürlichen Beiwerk ein, das Historien, Porträts
und Landschaftsbilder umfaßte. Eine Ausscheidung begann naturgemäß zuerst bei den
mythologischen Kompositionen, an denen die Christen jederzeit Anstoß nehmen mußten. Idyll
und Bildnis hingegen und die rein allegorischen Gestalten konnten sich lange behaupten.
An solchen Motiven aber muß die häusliche und die früheste kirchliche Malerei noch weit
reicher gewesen sein als die sepulkrale (S. 61). Wie langsam sich in der ersteren die
eigentlich christlichen Symbole verbreiteten, bezeugt die Casa caelimontana (S. 59). Wo es
galt, einen profanen Raum unmittelbar dem kirchlichen Zwecke dienstbar zu machen, ging
man freilich entschiedener vor. Sehr anschaulich berichtet Asterios von Amaseia (f 410)
über die Umwandlung eines antiken Hauses in eine christliche Kirche. Die heidnischen Bilder
wurden bei dieser Gelegenheit durch christliche Geschichten ersetzt, die Porträts durch Bilder
von Heiligen, alles übrige aber blieb augenscheinlich unverändert.

Das dekorative System des kirchlichen Wandschmuckes und Paviments.


So erwuchs das künstlerische Schaffen der christlichen Maler auf dem Boden des spät-
antiken Kunstgeschmacks. Welcher Art aber war die typische Wandbemalung der späteren
Kaiserzeit in den hellenistischen Provinzen des Ostens, — das ist die entscheidende Frage
für das richtige Verständnis des altchristlichen Dekorationssystems. Soviel steht fest, daß
allenthalben die Nachahmung einer prunkvollen Täfelung aus buntem Marmor die belieb-
teste malerische Ausstattung der reicheren Häuser ausmachte. Diese Inkrustation gab der
jüngsten Phase des hellenistischen Architekturstils mit seiner herkömmlichen Einteilung der
Wand in Sockel, Feld und Fries und ihrer vertikalen Gliederung durch Pilaster oder vor-
gestellte Säulen (S. 54 u. 58) das Gepräge. Als ein neues Motiv erscheint darin die fiktive Ver-
wendung des Steinmaterials in der Form des mehrfarbigen Schnittmosaiks (Opus sectile).
Einen andern hervorstechenden Zug bildet die Einfügung einer spitzgiebligen Blendarkade
oder Nische in die gemalte Quaderfügung (Opus isodomum, S. 59). Dem basilikalen Auf-
bau gegenüber erwuchs diesem Stil die besondere Aufgabe einer künstlerischen Belebung der
toten Fläche der Obermauer, die sich als zusammenhängender Streifen zwischen die Säulen-
stellung unten und die Fensterreihe oben einschiebt. Wie glücklich sie auf dem Wege einer
zwischen beiden vermittelnden rhythmischen Gliederung des wirklichen oder gemalten Getäfels
gelöst worden ist, bevor noch das Bild hier stärker um sich griff, davon geben uns die Auf-
nahmen des Antonio da S. Gallo (f 1546) von zwei Baudenkmälern des konstantinischen
Zeitalters eine Vorstellung-,
Das eine, die im Jahre 317 n. Chr. für den profanen Gebrauch erbaute, später dem christlichen Dienst
geweihte Basilika des Junius Bassus (S. 238) ist seither untergegangen. Die Zeichnung des Renaissance-
architekten läßt uns darin ein reichgegliedertes System der Wandverkleidung ersehen, das, den Lichtöffnungen
und Säulenabständen entsprechend, auf die folgerichtige Unterscheidung von tragenden Bauteilen und bloßen
Füllungen, von raumöffnenden oder raumschließenden Flächenabschnitten begründet ist und durch lockere
oder gedrängte Verteilung der Rechtecke, durch Wechsel des Formats und der Zahl der kleineren Tafeln in
der mehrdeutigen Verkettung der Felderverbände sowohl die Einheit der Wand wie den Fortschritt in der
314 AUFNAHME DER MOSAIKTECHNIK AUS DEM PROFANEN GEBRAUCH

Hauptachse des Raumes zur Anschauung er-


hebt. Die architektonische Wirkung der flachen
*-'• i •>«. - •• •Cü*
c . v w£? . 5 M ' ■
%•,. Pilaster wird durch die Scheinperspektive eines
,/> - - ■ ■. v • ■ : viv 511 v - Konsolenfrieses unterstützt. In der zuoberst
hinlaufenden Attika tragen übereck gestellte
Pfeiler eine perspektivisch verkürzte Kasset-
tendecke. Hier, im Sockelstreifen und in den
Mauerstöcken zwischen den Fenstern, in denen
Pilaster den Zusammenhang zwischen den
unteren und oberen Trägern herstellen, nimmt
das Bild ganz bestimmte Plätze ein, aber es
besteht vorwiegend aus einer einfachen, relief-
artigen Gruppe, wo nicht gar eine Maske, ein
Medaillon, ja ein Vorhang es ersetzt. Die rein
ornamentalen Motive der Hauptzone waren
sichtlich im Opus sectile ausgeführt und wenig-
stens zum Teil auch die figürlichen Kompo-
sitionen, von denen mehrere gerettet sind, dar-
unter ein Viergespann mit dem Wagenlenker
und Tiergruppen. In dem zweiten von S. Gallo
Ü 411 U | | fctlM'? 1
..^ _ t _ ä]
aufgenommenen Bau hat eine Übertragung
desselben Systems der Flächengliederung auf
* yTU ■* 11 - - --TT A? ■ A .-‘AA eine Zentralanlage stattgefunden. Wir finden
-AL?
r.a: 41 4 •Jf die gleiche rhythmische Gruppierung der Pi-
liSUfSi
v
0
;:ß
IIP!
■ ■ A'IyM; A 1"
Ar
!i vM u
li
! . " ■Kill_
laster und Marmortafeln im Tambour von
S. Constanza wieder (Abb. 291), wo sie später
>-
4 aTGAOTG' r-zs. T --U v
■ y einer Barockdekoration (Abb. 239) hat wei-
U:ü: > -V
chen müssen. Sockel und Fensterarchitektur
5 o;aci □iBaöauö.u;. n sind hier in völlig schmucklosen Formen ge-
halten, der mittlere Streifen hingegen zeigt
reichere und nur zum Teil übereinstimmende
Ziermotive, wie die mit Läden ausgestatteten
Giebelnischen auf dem Opus isodomum. Die
Abb. 291. System der Wanddekoration in S*a Cosianza (Rom) Bilder (s. unten) aber sind infolge der An-
passung des Systems an den Kuppelraum an
(Rekonstruktion nach A. Schmarsow, Der Kuppelraum von Sta Costanza in Rom,
Leipzig 1904). das Gewölbe verbannt und dem Glasmosaik
überwiesen worden. Doch klingt der Rhyth-
mus der Wandvertäfelung in einer leichteren, aus Pflanzenmotiven aufgebauten Architektonik der Laube
(s. unten) an der Wölbung wie in einem Schlußakkord aus.
In vereinfachter Zusammensetzung bleibt die Inkrustation (S. 58) im Osten bis in das
Mittelalter hinein für die Innenausstattung des Kirchengebäudes im Gebrauch. Ihre Poly-
chromie findet eine Ergänzung in der allgemeinen Aufnahme der Mosaiktechnik für den
gesamten kirchlichen Bildschmuck, der die höheren Plätze an der Wandfläche, die Gewölbe
und in älterer Zeit noch vielfach den Boden für sich in Anspruch nimmt. Auf diesem hatte
die Mosaikmalerei schon in der hellenistischen Kunst eine reiche Ausbildung gefunden und
war dann im ersten vorchristlichen Jahrhundert auf die Wand übertragen worden, nachdem
die ursprüngliche, mit verschiedenfarbigen Steinsorten arbeitende Technik längst eine Ver-
vollkommnung durch Einführung gefärbter Glaswürfel erfahren hatte. Es kann daher nicht
befremden, daß das Mosaik mit dem gesamten dekorativen Schmuck des antiken Hauses in
das christliche Kultgebäude überging und in diesem sogleich dieselben Plätze in Anspruch
nahm. Als Steinmosaik, nicht selten in Vermischung mit Glaspasten breitete es sich auch
DIE ALEX ANDRIN ISCHE TRADITION IM CHRISTLICHEN PAVIMENTSCHMUCK 315

hier zunächst auf dem Boden aus, um im Laufe der Entwicklung von dem letzteren durch
den rein ornamentalen Plattenbelag verdrängt zu werden. Daraus erklärt es sich, daß wir
in den kirchlichen Pavimenten allenthalben noch vielfach alexandrinischen Bildmotiven be-
gegnen. Ja, aus dem Fußbodenschmuck scheint die frühchristliche Symbolik vor allem in
dem hier beliebten Seegenre reichliche Nahrung gesogen zu haben. Szenen des Fischfanges,
wie sie die Fresken von Cagliari (S. 192 ff.) und in späterer Zeit manche kirchlichen Gewölb-
mosaiken (s. unten) bieten, haben sich besonders in Nordafrika, das dem alexandrinischen
Einfluß am unmittelbarsten ausgesetzt war, sowohl in Pavimenten heidnischer als auch christ-
licher Baudenkmäler erhalten. So nehmen z. B. in Uthina in der Villa der Laberier aus
dem 1. Jahrhundert die Seestücke mehrere Felder ein. In anderen erblicken wir Ackerbau-
und Jagdszenen, — die dem kirchlichen Bildschmuck ebensowenig fremd blieben, — außerdem
aber noch mythologische Darstellungen. Von diesen ist die dreifigurige Gruppe des Dionysos
bei Ikarios als gerahmtes Bild mitten in ein größeres Feld hineingestellt, das vom freien
Geranke der Reben mit der Weinlese, wie sie auch in christlichen Malereien dargestellt wird
(S. 62 u. 84), übersponnen erscheint. In der zugehörigen Thermenanlage aus dem 2. bis 3. Jahr-
hundert taucht Orpheus unter den Tieren auf. Zu den Fischerstücken ist ein christliches
Gegenbeispiel nebst dem Sinnbild des Delphins mit dem Anker im Fußbodenbelag der Kata-
komben von ITadrumetum (S. 27) zutage gekommen. Ähnliche Mosaikpavimente haben sich
aber auch in einzelnen kirchlichen Ruinen gefunden, so z. B. in Cherchel (Caesarea) die aus
einer Vase aufsteigende Weinranke mit zwei Pfauen und Füllfiguren, daneben aber die Dar-
stellung eines von Fischen, Seesternen und Muscheln umgebenen Hippokampen. Im See-
genre christlicher Mosaikböden (Sertei, Tipasa) dürfen wir somit auch ein Erbstück der
alexandrinischen Kunst erblicken, die das
Paviment als einheitliches Bild zu gestal-
ten liebte. Bei einem in Melos gefunde-
nen Bodenbelag von Glasmosaik aus der
Kaiserzeit, das einen Fischer im Nachen
zeigt und daneben Weinrankenmotive,
erscheint frühchristlicher Ursprung gleich-
falls nicht ausgeschlossen. In Nordafrika
sind auch christliche Hirtenszenen in das
Paviment übertragen worden (Alui). Den
Guten Hirten selbst im jüngeren Typus
(S. 65 u. 148) weist sogar noch der im
Dom von Aquileja vor wenigen Jahren
aufgedeckte Mosaikboden aus dem 4. Jahr-
hundert auf, dazu in anderen Feldern
Jonasszenen und Tierstücke, sowie eine
Anzahl von Porträtschildern der Stifter.
Zu den ersteren liegen wieder die Gegen-
beispiele in nordafrikanischen Denkmä-
lern vor, sowie einmal auch Daniel mit
Ko, ,•den
,,, , ,Löwen (Henhir
Abb. 292. Msadine
Simsons und Bordj
Überlistung „ ^ ,__. Mosaikfeld
und Fesselung,
el Judi). Daß aber die alttestament- eines Paviments (Notabile)
liehen Typen der Frühzeit in das Pavi- (nach E. Becker, Malta, sotterraHea, 1913).
316 EINFLUSS DER TEXTILKUNST AUF DAS BODENMOSAIK IN SYRIEN

ment eingingen, ist am leichtesten zu verstehen, wenn die Aneignung der Technik und ihres deko-
rativen Systems sich in Alexandria vollzogen hat. Und damit scheint sogar die hellenisierte
Judenschaft vorangegangen zu sein. Hat sich doch auf Malta aus dem Fußbodenbelag einer
Villa (in Notabile) ein Mosaikgemälde von hohem künstlerischem Wert erhalten, das die Über-
listung Simsons in synkretistischer Verquickung mit Motiven der Heraklessage darstellt.
Dadurch gewinnt auch die Beziehung einer vielumstrittenen pompejanischen Groteske auf das
Urteil Salomos an Wahrscheinlichkeit, die Ableitung des gesamten ältesten christlichen Typen-
schatzes aus jüdisch-hellenistischer Wurzel (S. 68 ff.) aber an überzeugender Kraft. Doch ge-
wannen im Mosaikschmuck des Bodens Sinnbilder und andere Motive von rein dekorativer
Wirkung wohl schon früh die Oberhand. Darstellungen der Verstorbenen im Fußbodenmosaik
der Grabkapellen finden wir in Nordafrika (Sertei) wieder. Ein karthagisches Paviment enthält
über der von zwei Pfauen umgebenen Weihinschrift die größtenteils wohlerhaltenen Medaillon-
bilder von sieben inschriftlich benannten Märtyrern. Daraus mag sich die verbreitete Sitte
erklären, die Särge mit dem Mosaikporträt der Toten zu versehen (S. 27). Durch die daneben-
stehenden Kandelaber wird ihre Aufnahme in die Seligkeit ausgedrückt. Gelegentlich wurde
dieses Sinnbild auch für sich gebraucht, so z. B. neben der Mosaikinschrift der Apsis in
Orleansville, wo Delphine und die Weinranke ohne jedes figürliche Beiwerk den Schmuck der
Nebenfelder bilden. Schon hier fügt sich die letztere, die als typisches Element des früh-
christlichen Dekorationsstils allgemeine Verbreitung gewonnen hat, einer strengeren Ranken-
führung. Nirgends aber hat sich der aus einer Vase symmetrisch ausrankende Weinstock in
so stilvoller Ausführung erhalten wie im Fußbodenbelag der Apsis eines zerstörten Mauso-
leums in Ancona. Eine Begleitinschrift (aus Jesaias V, 1) verdeutlicht hier ihre hohe sym-
bolische Bewertung, die sich bis in die koptische Kunst verfolgen läßt (S. 96 u. 271). Alles
das weist auf eine ältere, vor dem ornamentalen syrischen Kunstgeschmack langsam zurück-
weichende alexandrinische Tradition hin. In Köln scheint sogar nach gut begründeter neuerer
Anschauung ein schon 1844 freigelegtes Stück von dem Mosaikboden des christlichen Gemeinde-
hauses erhalten zu sein, das einen Einblick in die mit der antiken Geisteswissenschaft innig
vertraute Denkweise der Kirche der Severerzeit eröffnet. Zeigt es doch die Brustbilder des
Sokrates und anderer griechischer Philosophen um das des Diogenes, der den Christen so
recht als Gesinnungsgenosse galt, in den größeren Feldern eines Polygonalmusters verteilt.
Umrahmt aber werden diese schon von einem durchlaufenden Flechtband, während das letztere
z. B. in Uthina (s. oben) erst als Borte des einfachsten Bodenbelags im Peristyl dient, die
eigentlichen Flächenfüllungen aber noch durchweg aus hellenistischen Liniensystemen von
reichster und geschmackvollster Erfindung bestehen.
Die führende Rolle Syriens in der altchristlichen Kunstentwicklung der Folgezeit wird
nicht am wenigsten durch die weite Verbreitung seiner Mosaikmuster im Abendlande bestätigt.
Allgemeinen Eingang gewannen, vor allem als Umrahmung, die mehrstreifigen Bandgeflechte
sowohl in spätrömische wie in christliche Pavimente, in denen sie mehr und mehr auch von
den Füllungen Besitz nehmen. So müssen im Bodenbelag der Eufrasianischen Basilika zu
Parenzo die Fische als einziges figürliches Gebilde die wenigen ihnen noch belassenen Felder
mit halbierten Schleifenkreuzen und anderen Webeornamenten teilen. Das Fußbodenmosaik
gewinnt dadurch eine einheitlichere teppichartige Zusammensetzung, deren Rückwirkung auf
die Bildmotive in einer strengeren Stilisierung und durch Symmetrie gebundenen dekorativen
Komposition hervortritt. Allein die syrische Kunst verzichtet darum noch nicht auf die Ranke
als musterbildendes Element, nur unterwirft sie auch diese in schwererer Formengebung dem
MANNIGFALTIGE PAVIMENTTYPEN IN MADABA UND JERUSALEM 317

einfacheren geometrischen Schema des


Kreisgeflechts u. a. m. Zu diesem werden
dann menschliche und Tiergestalten ein-
zeln oder in kleinen Gruppen als Füllfigu-
ren in ein festes Verhältnis gesetzt. Die
Zahl der Pavimente, welche diese beiden
Typen, teils ziemlich rein, teils in Ver-
mischung vertreten, ist durch die Ent-
deckungen der letzten Jahrzehnte im ge-
samten Gebiet von Palästina bis Mesopo-
tamien außerordentlich angewachsen.
Am längsten bekannt ist ein ziemlich voll-
ständig erhaltenes Paviment ausTyrus im Louvre,
das den Boden der zerstörten Basilika von Kabr
Hiram bedeckte. Seine breite, aus Flechtmustern
gebildete und von Flechtbändern umsäumte äußere
Bordüre enthält in der Mitte der Langseiten je
zehn verflochtene Kreise mit den Brustbildernder
Monate und Winde. Das Mittelfeld füllen die
regelmäßig gereihten Windungen derWeinranken
aus, die aus vier in die Ecken verteilten Vasen her-
vorwachsen und meist von einem Tier, manchmal
auch von einer menschlichen Gestalt eingenom-
men sind. So führt ein Putto einen mit Fruchtkör-
ben beladenen Esel daher, ein anderer, hinter dem
zwei Lämmer liegen, bläst die Flöte, und im mittle-
ren Rund scheinen zwei in der Kelter zu tanzen.
Außer Jerusalem erwies sich seit den
neunziger Jahren der Boden von Madeba
besonders ergiebig, wo fast in jeder der
zahlreichen Basiliken (S. 209) beträcht-
liche Reste von Mosaikpavimenten zutage
kamen. Dank der Vorliebe der syrischen
Kunst für strenge Musterbildung kommen
geometrische Gebilde und Bandverschlin-
gungen ebenso häufig vor, wie die Wein-
und Akanthusrankenmotive. Auch tritt Abb. 293. Orpheus unter den Tieren, Mosaikpaviment
(Jerusalem)
leicht eine an die koptischen Stoffe er- (nach Strzygowski, Zeitschr. d. D. Paläst.-Ver. 1902).
innernde Vermischung ein, derart, daß ein
rauten- oder kreisförmiges Grundmuster aus Kreuzchen, Rosetten und dergleichen Füllfiguren
oder größere Blattmotive aufnimmt, vor allem ein kurzgestieltes Efeublatt, das oft noch eine Innen-
füllung aus kleinen Blütenblättchen oder Früchten erhält. Ein vorbildlicher Einfluß der Textil-
kunst ist in dieser ganzen Dekorationsweise nicht zu verkennen. Jede der Pflanzenwelt entlehnte
Form wird den Prinzipien des Flachornaments unterworfen. Von den öfters dargestellten Frucht-
bäumen, die ganz jener Stilisierung des Efeublattes entsprechend ihr symmetrisches Astwerk auf
einer die Laubmasse darstellenden dunklen Silhouette entfalten, erfreut sich der Granatbaum der
größten Beliebtheit. Er begegnet uns auch in den Thermen von Serdjilla(S. 259) in Nordsyrien und
318 SYRISCHER EINFLUSS UND HELLENISTISCHE TRADITION IN KLEINASIEN

bildet gern nach orientalischer Kompositions-


weise das Mittelglied einer wappenartigen
Tiergruppe, so z. B. zweier Lämmer in der
Krypta der Eliaskirche zu Madeba, wo ihn
eine Rebe umrankt. In anderen Fällen steht
eine Vase zwischen Hirschen und Pfauen.
Neben den christlichen leben in Syrien auch
die sepulkralen Tierkampfgruppen der helle-
nistischen Kunst fort, z. B. wieder in Serdjilla.
Das höchste Erstaunen aber hat seinerzeit
der eigenartige Pavimentschmuck der Ma-
Abb. 294. Dürstende Hirsche am Brunnen des Lebens- rienkirche von Madeba hervorgerufen, der
wassers, aus dem Mosaikpaviment einer Basilika (Milet)
(nach Aufnahme von Th. Wiegand).
eine Mosaikkartedesheiligen Landes darstellt.
Der Mittelpunkt des Ganzen, „die heilige
Stadt Jerusalem“, ist glücklicherweise der durch die wenig sorgfältige Freilegung beförderten Zer-
störung entgangen. Die Entstehung dieses wie der meisten syrischen und palästinensischen Mosaik-
fußböden fällt anscheinend schon in die zweite Hälfte des 6. oder in den Anfang des 7. Jahrhunderts.
In Jerusalem sind eine ganze Anzahl von Mosaikböden ausgegraben worden, sowohl
mit Bandornament (z. B. im Cönaculum und am Siloahteich) und einfachen geometrischen
Mustern (am Ölberg, in der Stephanusbasilika u. a. m.), als auch mit Fischen und anderen
Füllfiguren, darunter auf einem altchristlichen Gräberfeld vor dem Damaskustor ein besonders
reicher, der in seiner Zusammensetzung die größte Ähnlichkeit mit dem Mosaik von Kabr
Hiram zeigt und eine besondere Vorliebe für Vogelgestalten verrät, — endlich aber das ein-
zige im Orient wohlerhaltene Beispiel bildmäßiger Behandlung des Paviments.
Das Hauptfeld, das eine mit Tierfiguren und Masken durchsetzte Akanthusranke und ein schmäleres
Lotosblütenband umsäumen, nimmt die Gestalt des Orpheus unter den Tieren ein (Abb. S. 292). Es ist der-
selbe Typus, der gewissen Denkmälern der Plastik (S. 145 u. 149) zugrunde liegt, wenngleich die Auswahl
der Figuren einige Abweichungen zeigt. Dem Satyr gesellt sich der Kentaur bei, manche Tiere hingegen
fehlen. Erst aus einer solchen malerischen Gruppierung, deren konkrete, räumliche Beziehungen der Mosaizist
genauer anzudeuten unterläßt, erklärt sich die merkwürdige Komposition jener Grabpfeiler. Auch das
Orpheuspaviment diente einer Grabstätte zum Schmuck, und zwar der Doppelgruft zweier heiligen Frauen.
Durch den Nimbus und die Namensbeischriften Theodosia und Georgia bezeichnet, sind beide inmitten des
unteren Mosaikstreifens zu Seiten einer Säule, die ein schematisch gezeichnetes Ziegeldach trägt, also gleich-
sam in ihrem Mausoleum stehend dargestellt. Eine Flechtbandbordüre schließt diesen und einen noch
schmäleren der Apsis vorgelagerten Streifen, dessen Rahmengeflecht die Figuren einer Löwenjagd füllen,
mit dem Hauptbild zusammen.
Die Verbreitung der geometrischen Motive bis Mesopotamien wird durch mehrere Denk-
mäler (Aleppo, Zambur) bestätigt, daneben aber erscheint in diesem Gebiet die Anbringung
von Porträtbüsten und -Figuren beliebt (Edessa).
Wie zu erwarten, greift der syrische Einfluß auch westwärts nach Kleinasien hinüber,
wo durch die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte ebenfalls eine Anzahl von kirchlichen
Mosaikböden freigelegt worden sind, — vor allem in Ephesos und Milet. Die Vorherrschaft
profaner und symbolischer Tierstücke, — so kommen z. B. mehrfach die trinkenden Hirsche
vor, — springt hier in die Augen. Andrerseits geht hier mit den Flechtbandmotiven, unter
denen auch das flächenfüllende Kreisgeflecht nicht fehlt, noch im 5. und 6. Jahrhundert eine
aus antiker Tradition überkommene polygonale Musterbildung Hand in Hand. Die voll-
ständigsten Überreste dieser Art birgt die Basilika im Asklepieion in Milet und die schönsten
SCHNITTMOSAIK IN BYZANZ — LITERATUR 319

Proben davon wiederum ihr Baptisterium


(S. 233 u. 249). In die Felder der beiden die
Piscina umfassenden Bahnen sind anschei-
nend mit bewußter Absicht einerseits lauter
Einzelgestalten wilder oder in Freiheit leben-
der Tiere, wie der Panther, der Zebustier usw.
als Füllfiguren eingesetzt, auf der anderen
Seite aber eine zweifigurige bildartige Gruppe
von Hirschen am Brunnen (Abb.294) und,
wenn man nach dem einzigen erhaltenen
Nebenfeld schließen darf, — Lämmer. In
seinem vollen Bestände freilich konnte sich Abb. 295. Huldigung der Magier und Nebenszene,
Mosaikfeld (Teano)
der christliche Bildstoff einer so untergeord- (im Museum von S. Martino in Neapel).
neten Stelle wie dem Fußbodenbelag nicht
anpassen. Gleichwohl sind im syrisch-hellenistischen Kunstkreise gelegentlich sogar einzelne
christologische Szenen demselben einverleibt worden. Ein Beweisstück dafür hat sich auf
unteritalischem Boden (in Teano) erhalten: es stellt in repräsentativer Komposition die huldi-
genden Magier in orientalischer Tracht vor Maria mit dem Kinde dar (Abb. 295) und daneben
einen noch nicht sicher gedeuteten Vorgang.
Auch in Byzanz kann dem kirchlichen Pavimentschmuck der frühchristliche Typenschatz
mit seinen idyllischen und sogar mythologischen Beigaben hellenistischer Herkunft nicht
gefehlt haben, mündet er doch, wie neuere Funde gelehrt haben, daselbst in die jüngere
Technik des Schnittmosaiks (opus sectile) ein. In dieser Technik ist bereits der durch die
russischen Ausgrabungen auf gedeckte Estrich der Studiosbasilika (S. 230) hergestellt, der
auf dem Porphyrgrunde aus zementartigem Marmorstuck eingelegte Darstellungen im Sil-
houettenstil in doppelter Flechtbandumrahmung aufweist. Dem Orpheusbilde reihen sich
hier noch ganz heidnische Szenen wie Bellerophon mit der Chimära an, außerdem aber
Motive der Jagd und des Landlebens. Gegenstücke einer etwas jüngeren Stilstufe zu den
letzteren sind aus den Mauerresten einer kleinen Kirche bei Rodosto hervorgezogen worden.
Das dekorative System des kirchlichen Wandschmucks beleuchtet Ainalow, Hellenist. Grundl. usw.,
S. 129 ff.; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903, S. 47 ff. Die Aufnahmen des A. da S. Gallo aus der Basilika des
J. Bassus und S*a Costanza haben erst durch Schmarsow, a. a. O. ihre volle Würdigung gefunden. Zu den
Pavimenten vgl. die Zusammenstellung bei Dalton, a. a. O. S. 420ff. und Kaufmann, Handb. d. christl.
Archäol., S. 433 ff., sowie das Verzeichnis der syrischen, palästinensischen und mesopotamischen Mosaik-
böden von R. Horning, Zeitschr. d. D. Palästina-Ver. 1909, S. 113 ff.; im einzelnen für die Villa der Laberier
P. Gauckler, Mon. et Mem. Fond. Piot. 1896, S. 177 ff. u. Taf. XX—XXIII; zum Simsonmosaik von Notabile
und den pompejanischen alttestamentlichen Grotesken E. Becker, Malta sotterranea, S. 77ff.; zum Kölner
Mosaik J. Poppelreuter, Zeitschr. f. christl. K. 1909, S. 231 u. 311; zumOrpheusmosaik von Jerusalem vor
allem Strzygowski, Zeitschr. d. D. Palästina-Ver. 1902, S. 139 u. Taf. 4 über die Mosaikböden in Milet Th. Wiegand,
Abhdl. d. Kgl. Pr. Akad. d. Wiss. 1908, S. 31 ff.; für die Pavimente der Studiosbasilika und von Naib-Köi (bei
Rodosto) B. Pancenko, Bull, de Einst, archeol. russe ä C-ple 1912, S. 22 ff. (S. A. des Rechenschaftsberichts).

Der kirchliche Bildschmuck der Wände und Gewölbe.


Nächst dem Fußboden waren es vor allem Gewölbe, an denen die Antike das Glas-
mosaik, untermischt mit farbigem Marmor zu verwenden liebte, in der Erkenntnis, daß durch
den Lichtreflex der gekrümmten Fläche der Reiz des Materials auf das glücklichste gesteigert
wird. Brunnennischen, die manchmal auch figürliche Darstellungen zeigen, so z. B. eine
320 ALEX ANDRIN ISCHE TRADITION IN DEN GEWÖLBE- UND WANDMOSAIKEN

gelagerte Nereide (Pompeji) oder den Waldgott Silvanus (Lateranmuseum), boten der Ent-
faltung eines prächtigeren Farbenspiels ein günstiges Feld. Die koloristische Wirkung wird
schon hier von den schimmernden blauen Gründen getragen. Der Zusammenhang des kirch-
lichen Mosaikschmucks der Apsiden und Kuppeln mit solchen Vorbildern aus den antiken
Exedren und Rotunden ist im Gegenständlichen noch vollkommen greifbar. Auch in späterer
Zeit blieb das kirchliche Mosaikbild noch oft genug auf diese seine angestammten Plätze
beschränkt.
Über manche Apsis der erhaltenen altchristlichen Bauten breiten sich die üppigen
symmetrischen Einrollungen der flächenfüllenden Akanthusranke (Abb. 269) aus. Durch
reichliche Goldlichtung zu plastischer und dekorativer Wirkung erhoben, schmückt sie, zum
Scheitel hin sich verjüngend, die Conche der seit dem Mittelalter der heiligen Rufina und Seconda
geweihten Kapelle, die ursprünglich einen Anbau des lateranensischen Baptisteriums (S. 250)
bildete. Bei einer solchen Nische konnte sich der altchristliche Mosaizist noch im 4. Jahr-
hundert damit begnügen, der gewöhnlichen Dekoration der Wölbung einige wenige christliche
Symbole hinzuzufügen: das von vier Tauben umgebene Christuslamm in einem das muschel-
ähnliche innerste Segment umziehenden Bogenfriese und herabhängende edelsteingeschmückte
Kreuze in den obersten Akanthuswindungen. Aber auch in der Hauptapsis einer der älte-
sten und größten Basiliken Roms nahm das Akanthusgeranke den breitesten Raum ein, nur
ist es hier nicht mehr in so unverfälschter Gestalt erhalten geblieben. In S. Maria Maggiore
hat Jacopo Torriti im Jahre 1295 fast den gesamten unteren und den mittleren Teil der
Apsiswölbung unter Beseitigung des früheren Schmuckes mit der Darstellung der Krönung
Marias, der anbetenden Engelchöre und der Schutzheiligen der Kirche ausgefüllt, an den
Seiten aber die Rankenverbindungen geschont. So bieten sie denn noch heute die typischen Füll-
motive der späthellenistischen und altchristlichen Akanthusranke (S. 267 u. 271) dar: Rosetten
und Akanthusblüten, an Trauben naschende Hasen und Vögel, unter denen ein paar stolze
Pfauen das Auge erfreuen (Abb. 296).
Ein weiterer Überrest desselben Apsismosaiks geht auf jenen Darstellungskreis zurück,
dessen allgemeine Verbreitung in der kirchlichen Malerei eine ebenso sichere Tatsache ist,
wie sein profaner Ursprung, der durch Torriti wenig veränderte untere Streifen mit einer
idyllischen Flußlandschaft. Vom mittelalterlichen Meister rührt hier wohl nur der Paradieses-
hügel her und in dem ähnlichen Friese des Apsismosaiks von S. Giovanni in Laterano, das
ebenfalls durch ihn eine neue Figurenkomposition erhielt, außerdem die vom Cherub bewachte
Gottesstadt im Mittelpunkt des Bildstreifens. Die Lämmer und trinkenden Hirsche hingegen
sind altchristliche Zutaten zu einem durch und durch heidnischen Genrebild. Auf dem Strome,
dessen Wasser den Urnen antiker Flußgötter entquellen, fahren Putten in Booten und Segel-
schiffen umher. Einzelne von ihnen fischen vom Felsufer aus. Einer der Knaben in S. Maria
Maggiore lenkt den von einem Schwan gezogenen Muschelwagen. Das aber sind Züge, die
wir aus Philostrats Bilderbeschreibungen und von antiken Mosaikfußböden her kennen. Mit
anderen Worten: das alexandrinische Flußidyll ist von der altchristlichen Kunst ohne Be-
denken in den kirchlichen Bildschmuck aufgenommen worden. Besitzen wir doch noch ein
wichtiges Zeugnis dafür, daß auch das Mittelschiff der Basilika über den Säulen manchmal
einen solchen landschaftlichen Fries enthielt, ein Zeugnis von um so höherer Bedeutung, als
es sich auf ein verschwundenes Denkmal des Orients bezieht und der ganzen Komposition
ausdrücklich den Namen des „Niles“ beilegt. Chorikios von Gaza gibt unter diesem Stich-
wort eine ganz entsprechende, an die Pavimente von Palestrina und Uthina (S. 315) erin-
HELLENISTISCHE UND CHRISTLICHE FLUSSLANDSCHAFT 321

Abb. 296. Apsismosaik von S. Maria Maggiore (Rom) mit Überresten des altchristlichen Akanthusornaments
und (in der Mitte umgestaltetem) Flußidyll.

nernde Schilderung von dem Mosaikschmuck der Obermauer in der Stephanusbasilika zu


Gaza. In den römischen Basiliken führt der Fluß freilich stets den Namen des Jordan,
doch hat dort vielleicht erst das Mittelalter die Umtaufe vollzogen, während die altchristliche
Kunst regelmäßig auf das Puttengenre verzichtet, wo sie wirklich den Jordan darstellen will.
Ein anderer Gewährsmann (Nilus) erwähnt Szenen des Fischfanges als einen geläufigen, wenn-
gleich verwerflichen Gegenstand der Darstellung in Kirchen und spricht dabei vom Meere.
Es beruht auf reinem Zufall, daß für den Osten solche Motive im Apsidenschmuck nicht be-
zeugt werden. Sie dürften sich allenthalben gerade im letzteren einst über eine viel breitere
Zone ausgedehnt haben. So wies eins von den kleinen Privatoratorien vorkonstantinischer
Zeit in Rom — es wurde in den siebziger Jahren auf dem Monte della Giustizia ausgegraben,
blieb jedoch leider nicht erhalten — in der unteren Hälfte der Altarnische den von Putten
befahrenen Fluß und darüber Christus zwischen den Aposteln auf. Welcher Beliebtheit sich
aber dieser Bildstoff im frühchristlichen Kirchenschmuck erfreute, erhellt vollends aus seiner
weiteren Verwendung in dem uns noch aus älteren Zeichnungen bekannten (1620 durch eine
Restauration zerstörten) Mosaikschmuck des Kuppelgewölbes' von S. Costanza.
Zu den Aufnahmen Antonios da S. Gallo (S. 314) kommen ergänzende Skizzen von ein-
zelnen Szenen des Kuppelmosaiks hinzu, welche Pompeo Ugonio und Francesco Ollanda, so-
wie ein Anonymus (Kod. Escur.) im 16. Jahrhundert aufgenommen haben. Sie geben uns eine
deutlichere Anschauung von der noch ganz aus hellenistischem Geiste geborenen Dekoration
Wulff, Altchristi, u. byzant. Kunst. 21
322 MOSAIKSCHMUCK DER KUPPEL UND DER GEWÖLBE IN STA COSTANZA

des eigentlichen Kuppelraumes.


Und schon mit dieser ältesten
uns bekannten Flußlandschaft
der kirchlichen Malerei verbin-
det sich ein christlicher Bilder-
zyklus. Aus den verschiedenen
Aufnahmen vermögen wir ein-
zelne Szenen nahezu mit Sicher-
heit zu erkennen.
Wieder breitet sich hier zu-
unterst der ruhige Spiegel des Flus-
ses, das Kranzgesimse begleitend,
aus (Abb. 291). Er ist belebt von
Vögeln und Booten. Hier fährt ein
Knabe auf dem Rücken eines Schwa-
nes, dort sticht ein anderer vom
Floß herab nach einem Polypen.
Einige führen Netze und Fisch-
körbe oder angeln auf den Felsklip-
pen sitzend, die in gleichen Abstän-
den aus dem Wasser emportauchen.
Von diesen steigt ein luftiges, durch
Abb. 297. Weibliche Bildnisbüste, bacchische Szenen und ornamentale eine aus Delphinen gebildete Gir-
Muster, Gewölbmosaiken in S*a Costanza (Rom). lande verkettetes Rankenwerk auf,
das die Kuppel wie eine Laube über-
spinnt und in zwölf Abschnitte gliedert. Karyatidenartige Gestalten, die aus Akanthuskelchen hervor-
wachsen , jede von zwei aufblickenden Panthern umgeben, tragen es. Dreifigurige Statuettengruppen
schieben sich in halber Höhe ein, wo ein horizontaler Streifen die Wölbung nochmals umgürtet und
für eine zweite Szenenreihe die Standfläche herstellt. In der unteren Reihe war sichtlich das Opfer
Kains und Abels (Abb. 107) dargestellt, daneben anscheinend der Urteilsspruch Daniels (oder eine
Lehrszene), dann angeblich das Opfer des Elias, weiterhin vielleicht Tobias (oder Petri Fischzug),
endlich das Quellwunder des Moses (Abb. 291). In der oberen Reihe, deren Bilder wahrscheinlich in
Rahmen eingeschlossen waren (wie z. B. in Abb. 38), ist ein Wunder des Herrn bezeugt und könnte
sich ein anderes Bild auf sein Gespräch mit Petrus bezogen haben, — wenngleich es eine unsichere Ver-
mutung bleibt, daß sämtliche Vorwürfe hier dem Neuen Testament angehörten. Das Band, das alle
Geschichten zusammenhielt, war wohl nicht enger geknüpft als in den Katakombenfresken, ein Um-
stand, der unleugbar zugunsten der ursprünglichen Bestimmung des Baues zum Mausoleum spricht.
Umfaßte doch die Auswahl der Szenen, wie es scheint, vorwiegend mit dem sepulkralen Typenschatz über-
einstimmende Gegenstände. Auch die leichte Umrahmung des Bilderzyklus erinnert lebhaft an die Lauben-
decken der Grabkammern (S. 51/2), wenn ihr auch ein einheitlicheres, radiales Schema zugrunde liegt.
Mit einem Wort, das Mosaik hängt im konstantinischen Zeitalter noch ganz von malerischen Vorbildern ab,
die nur in die beständigere Technik umgesetzt werden. Formensprache und Farbengebung sind dadurch
bestimmt. So bewahrt denn auch S. Costanza an den Gewölben des Umgangs noch beträchtliche Reste
der gleichzeitigen ornamentalen Mosaikbekleidung mit eingestreuten Figuren, die im Charakter der Kata-
kombenmalereien gehalten sind. Der Grund ist durchweg ein weißer (aus Palombinowürfeln zusammen-
gesetzt), die Gestalten haben den dunklen, rötlichen Fleischton, die Gewänder lebhaftere Farben. In ähnlicher
Farbenharmonie haben wir uns auch das Kuppelmosaik vorzustellen. Von den erhaltenen Gewölbmosaiken
berühren sich am nächsten mit der sepulkralen Dekoration (S. 52 ff.) zwei von Weinlaub überrankte Felder
über den in der Querachse gelegenen Abschnitten des Umgangs. Wir erblicken da die bekannten Motive der
Einbringung der Trauben auf dem Ochsengespann und der Kelterung durch tanzende Putten (S. 106 u. 141).
Die Mitte nimmt beidemal eine Porträtbüste ein (Abb. 297), die eine im goldenen, die andere im Purpur-
gewande. Wenn wir in ihnen Bildnisse der Constantina und ihres sehr viel jüngeren Gatten Constantius
DIE ZERE MONI ALB ILDER IN DEN NISCHEN DES UMGANGS 323

Gallus (schwerlich hingegen ihrer nach guter Überlieferung ebenfalls hier beigesetzten Schwester Helena)
erkennen dürfen, muß die Entstehungszeit dieser Mosaiken erst um Mitte des 4. Jahrhunderts fallen. Eine
dekorative Komposition echt hellenistischer Tradition trägt auch ein Gewölbfeld, das in anscheinend völlig
regellosem Durcheinander mit Baumzweigen, Schalen, Weinkrügen und sonstigem Zubehör eines Mahles
oder Trinkgelages wie übersäet erscheint. Selbst im Paviment trat das bacchische Element stark hervor, wie
die Darstellung eines tanzenden und eines als Silen auf dem Esel reitenden Putto, — die einzige in Zeich-
nung erhaltene, beweist, ünter den streng ornamentalen Mosaiken des Umgangs herrschen unendliche
Muster, die aus gereihten oder verflochtenen Kreisen bestehen, vor (Abb. 297). Eine unerschöpfliche Mannig-
faltigkeit figürlicher Füllmotive, schwebende Genien und Psychen, verschiedene Vogelarten, aber auch Lämmer
mit dem Hirtenstab undMilcheimer(S. 66), alles in ganz dekorativer Farbengebung, wirkt der einförmigen Pracht
des schweren Bandgeflechtes entgegen, während im einfacheren Kreisornament ein regelmäßiger Wechsel
stilisierter Blütenmotive, kleiner idyllischer Figuren und weiblicher Köpfe, die ein Kelch umschließt, stattfindet.
Einzelne Gewölbfelder zeigen endlich rein geometrische, aus Achtecken, Kreuzen und länglichen sechseckigen
oder aus vierstrahligen Sternen zusammengesetzte Polygonalmuster (S. 57/8 und 318).
Daß sich im Mausoleum der Constantina die Umfassungsmauer in ihrer polychromen
Vertäfelung dem System des Tamburs anschloß, dürfen wir auch ohne ausdrückliches Zeugnis
voraussetzen. Von den Rundnischen des Umgangs war noch zu Ugonios Zeit eine größere
Anzahl als heute mit Mosaiken ausgestattet. In den kleineren hat sich mehrfach nach Ent-
fernung des späteren Putzes das Christusmonogramm auf gestirntem Grunde, wie es jüngere
Mosaiken zeigen (s. unten), wiedergefunden. In der dem Eingang gegenüberliegenden Altar-
nische und der vorgelegten Kuppelwölbung verzeichnet Ugonio eine dem Apsismosaik von
S. Pudentiana (s. unten) entsprechende Komposition sowie die Darstellung des Christuslam-
mes mit dem Kreuznimbus, das von anderen Lämmern umgeben war in halbzerstörtem Zu-
stande. Zwei weitere, noch heute erhaltenen Szenen nehmen die einander in der Querachse
des Baues gegenüberliegenden Konchen ein und gehören ihrem Stil und ikonographischen
Charakter nach unverkennbar zusammen. Hier wie dort ist Christus in der Hauptgestalt zu
erkennen, doch erschweren tiefeingreifende Restaurationen die Deutung des einen Bildes, das
ihn auf der Erdkugel thronend zeigt. Palmen, die beiderseits aufwachsen, bedeuten uns, daß
der Vorgang sich im Paradiese abspielt. Der Herr reicht einer mit bedeckten Händen und
gebogenen Knien von links herantretenden (fälschlich als Jüngling ergänzten) Gestalt eine
Rolle hin. Christus selbst war hingegen augenscheinlich anfangs jugendlich aufgefaßt, da
die blühenden Züge des schnurrbartlosen Antlitzes mit dem langen Bart nur unorganisch
verbunden erscheinen. Da auch er in der Linken eine Rolle hält, so läßt alles auf die Über-
reichung der Krone — denn die zweite Rolle kann nur ein Restaurator erfunden haben —
an einen Apostel oder Märtyrer schließen, d. h. auf eine jener Szenen, wie sie uns im 4. Jahr-
hundert auch in den Katakomben öfters begegnen (S. 87). Eine noch erhabenere Handlung
stellt das zweite Mosaik dar, glücklicherweise in sehr viel besserer Erhaltung: die sogen.
Übergabe des Gesetzes (Abb. 298).
Ihre richtige Ergänzung ergibt sich aus zahlreichen Parallelen (S. 116, 178 u. 195) mit voller Sicherheit.
Auf dem Paradieseshügel stehend, dem die vier (jetzt nur noch drei) Flüsse entquellen, und dessen Gipfel
rötliches Gewölk umhüllt, hält der Herr zugleich mit Petrus das entrollte Schriftblatt, das (mitsamt der
Aufschrift „Pacem“ statt „Legem“) ebenso unrichtig ergänzt ist wie der zu kurz geratene Oberkörper und der
charakterlose Kopf des Apostels. In seiner Linken aber ist noch das Ende des Stabkreuzes übriggeblieben,
das er in dieser Szene zu tragen pflegt (S. 117). Der anbetende Paulus ist nur wenig verändert, und in
der Gestalt Christi steht uns vollends ein unverfälschter altchristlicher Typus vor Augen, der im Abend-
lande sonst nirgends so getreu das syrische Urbild widerspiegelt. Wir erblicken hier das „Antlitz ohne
Runzeln und Flecken“ mit der „freien heiteren Stirn“, die nußbraunen, „nach der Weise der Nazaräer“
gescheitelten, über den Ohren schlichten, darunter gelockten Haare und den gleichfarbigen kurzen, geteilten
Vollbart, die wasserblauen Augen, d. h. alle jene Züge, von denen im apokryphen Lentulusbrief (S. 310) die
21*
324 FORTGESCHRITTENER STILCHARAKTER DER NISCHENMOSAIKEN

Abb. 298. Die Übergabe des Gesetzes im Paradiese, Nischenmosaik in Sta Costanza (Rom).

Rede ist und die wir aus den Evangeliaren Rabulas und von Mar Anania kennen (S. 296). Ein grünblauer
Nimbus umschließt das Haupt, das Gewand ist purpurviolett mit goldenen Klaven. Die großartige Gebärde
der Rechten weist auf den (heute fehlenden) Phönix im Palmenwipfel hin. Die den Hügel umstehenden
Lämmer vertreten in ihrer Vierzahl die Evangelisten, während unter den Palmen, die auf beiden Seiten das
Mosaik abschließen, wie sonst in der vollständigeren Komposition, die Städte des Heils, Bethlehem und
Jerusalem, in Gestalt kleiner Rundbauten dargestellt sind.
Im weiten Sinne der Berufung der Apostel zur Verkündigung und Bewahrung des gött-
lichen Gebotes, dessen Befolgung den Lohn des ewigen Lebens verbürgt, hat das Zeremonial-
bild der antiochenischen Kirche (S. 114 u. 117) seinen Weg ins Abendland gefunden. Es
kann freilich nicht als ausgemacht, wenn auch nicht als ausgeschlossen gelten, daß es erst
bei der Verwandlung des Mausoleums der Constantina in ein Baptisterium hinzugefügt
worden ist. Geht doch durch den Mosaikschmuck sämtlicher Nischen des Umgangs, soweit
wir über ihn unterrichtet sind, dieser kirchlich liturgische Zug. Von ihnen aber ist die dem
Eingang gegenüberliegende anscheinend erst nachträglich an Stelle eines zweiten Eingangs
ausgebaut worden, um den vorher inmitten des Kuppelraumes aufgestellten Porphyrsarg
(S. 141) aufzunehmen, vor dem später der Altar zu stehen kam. Andernfalls spricht sich
in der Verteilung der älteren idyllischen und naiv symbolischen Szenen auf Gewölbe und
Fußboden —, der lehrhaften Kompositionen hingegen auf die dem Beschauer unmittelbar
vor Augen gerückten Konchen der Ringmauer, vielleicht schon eine ursprüngliche künst-
lerische Berechnung aus. In technischer Hinsicht verbindet der weiße Grund auch diese
Szenen mit der Dekoration der Tonnengewölbe und der Kuppel. Ihr Stil ist jedoch ein
FORTBILDUNG DES IKONOGRAPHISCHEN UND DEKORATIVEN SYSTEMS 325

etwas strengerer. In der menschlichen Gestalt bricht die repräsentative Auffassung mit
ganzer Stärke durch und selbst die Lämmer zeigen bei der Übergabe des Gesetzes nicht
mehr die anmutige Bildung der antiken Füllfiguren der Kreisgeflechte. Auch besteht die orna-
mentale Umrahmung der beiden übriggebliebenen Szenen aus üppigeren und schwereren Girlanden
als das Rankenwerk der Kuppellaube. Allein ein solches Nebeneinander ungleichartiger Ele-
mente braucht uns in der Übergangszeit des 4. Jahrhunderts nicht allzusehr zu befremden, zumal
wenn die Nischenmosaiken erst ein paar Jahrzehnte später ausgeführt wurden. Einen un-
zweifelhaften Hinweis auf die veränderte Bestimmung des Baues enthalten diese jedenfalls nicht.
Einen Schritt weiter in der Fortbildung des dekorativen Systems der Mosaikmalerei
führt ein Denkmal mit einem ähnlich gemischten und doch zweifellos zusammengehörigen
Bilderbestand, der die ikonographische Entwicklungsstufe der Nischenmosaiken von Sta Co-
stanza nicht übersteigt und in gleichem Maße von Einflüssen der altchristlichen Kunst des
Orients durchsättigt ist. Wir dürfen die Reste des Kuppelschmuckes des neben der Basilika
der hl. Restituta gelegenen Baptisteriums von S. Giovanni in Fonte in Neapel (S. 249) gerade-
zu als eine Arbeit syrischer Mosaizisten ansehen, in so zahlreichen Punkten berühren sie sich mit
Denkmälern des antiochenisch-palästinensischen Kunstkreises. Eine vor wenigen Jahren aus-
geführte verständige Restauration hat erst den hohen künstlerischen Wert dieser Mosaiken
in das rechte Licht gestellt. Die prächtige, durch reichliche Anwendung des Goldes gestei-
gerte Farbenwirkung vereint sich hier mit einem malerisch breiten, der Antike noch wenig
entfremdeten Figurenstil. Das dekorative System aber ist zu monumentaler Einheitlichkeit
der Anordnung vereinfacht.
Von einem mittleren Kreise, den eine breite Ringbordüre umschließt, strahlen acht radiale Keilstreifen
nach den Ecken des Oktogons aus, allerlei naschhaftem Federvolk,
über dem das Kuppelgewölbe auf- Paarweise sitzen Pfauen, Tauben
gemauert ist, so daß dazwischen und Perlhühner in der ring-
acht breitere, trapezförmige förmigen Bortenebenfrucht-
Felder entstehen. In den gefüllten Körben, und in
Radialstreifen steigen ^^ ihrer Mitte, dem heu-
Fruchtgirlanden aus (U/s tigen Eingänge
kostbaren Vasen X ./ ASIn genüber, erblicken
ge-
auf, belebt von wir einen nim-

Abb. 299. Mosaikschmuck der Gewölbe von S. Giovanni in Fonte (Neapel)


(nach E. Bertaux, L’art dans l’It. meridionale, 1904).
326 DER MOSAIKENZYKLUS VON S. GIOVANNI IN FONTE IN NEAPEL

bierten Phönix in Feuerflammen. Eine symmetrische Vogelgruppe füllt auch den oberen kleineren Abschnitt
jedes Trapezfeldes, während der größere darunter einem Bilde Vorbehalten bleibt. Von dem trennenden
Querbalken wie von der inneren Kreisbordüre hängen gereffte Vorhänge herab. Mehr als die Hälfte dieses
Gewölbschmuckes ist gänzlich zerstört, doch sind von drei Bildfeldern beträchtliche Teile erhalten. In einem
vierten ist nur noch eine sitzende Gestalt mit der Schriftrolle in der Linken vor einer Ädicula übrig-
geblieben , und von einer ihr gegenüberstehenden nicht mehr als die linke Schulter und ein Stück des
Nimbus. Hat hier ein Deutungsversuch (im Sinne der Frauen am Grabe) große Wahrscheinlichkeit, so
erlauben vollends an entgegengesetzter Stelle die verstümmelten Überreste zweier Szenen, das Gespräch mit
der Samariterin und das Wunder der Weinverwandlung festzustellen. Am vollständigsten stehen uns glück-
licherweise die beiden bedeutsamsten Darstellungen vor Augen. In der Gesetzesübergabe fehlt nur der
Oberkörper des Paulus mitsamt der Palmenkrone und der Rechten Christi, während der heraneilende Petrus
mit dem Stabkreuz im linken Arme in typischer Charakteristik und Christus in demselben, wenngleich etwas
freier wiedergegebenen, Typus wie in S. Costanza (S. 323) alle Unbilden überdauert haben. Das Nebenbild
findet ebenso leicht seine Erklärung, da es die Hauptfiguren bewahrt. Es schildert den wunderbaren Fisch-
zug Petri, eine Szene, die sich nur noch einmal in ähnlicher Auffassung im Mosaikenzyklus von S. Apolli-
nare Nuovo in Ravenna wiederfindet. In Neapel steht der jugendliche Christus links am Felsgestade, die
Rechte gegen das Wasser ausstreckend, auf dessen Höhe ein Kahn fährt. Petrus sitzt nackt darin, wie im
Evangelium (Joh. XXI, 7) berichtet wird. Doch könnte dieser Zug auch dem antiken Fischeridyll ent-
stammen, wie der Polyp und die Schildkröte, die das feuchte Element mit den Fischen teilen? Im Boote
saß, wie in Ravenna, eine zweite Gestalt am Steuer. Sie ist mit der übrigen Landschaft verschwunden.
Aus den Ecknischen (S. 249) schauen die Evangelistensymbole herab, Löwe und Engel in nahezu vollstän-
diger, der Stier in sehr viel schlechterer Erhaltung, während der Adler fehlt. Im Rücken eines jeden ent-
falten sich sechs Flügel, ungeachtet der halbornamentalen, blattähnlichen Bildung das sicherste Merkmal
der syrischen Herkunft dieser phantastischen Gestalten (S. 2 u. 186). Oberhalb der Nischen erblicken wir
den Guten Hirten, wie er ein Lamm trägt und den auf ihn zuschreitenden Lämmern oder Hirschen die
blumenbedeckte Weide und das frische Wasser weist, an den Wandflächen daneben endlich zuseiten der
Fenster, die heute bis auf eins zugemauert sind, je zwei Märtyrer, welche ihre Kronen in der Rechten
emporhalten oder mit beiden Händen erheben, um sie dem Herrn darzubringen. Die Beziehung des gesamten
Bildschmucks auf das inmitten desselben dargestellte Symbol (Abb. 299) wird dadurch verdeutlicht.
Der blaue Grund innerhalb des Kreises im Scheitel der Kuppel, wo das Kreuzmonogramm mit dem
Stamm nach dem ursprünglichen Eingang weisend
erscheint, ist gestirnt (und ebenso auch in den Eck-
nischen). Mag das Symbol der von der Gottes-
hand gehaltenen Krone über demselben an sich
noch älter sein, so hat die Einführung des Firma-
ments an dieser Stelle und des Lichtnebels, der
als grüner Nimbus seine Schlinge umzieht, ihren
zeitgeschichtlichen Grund in den Himmelserschei-
nungen strahlender Kreuze, die man im konstan-
tinischen Zeitalter wiederholt gesehen zu haben
glaubte. So berichtet ein im 4. Jahrhundert ver-
faßter apokrypher Brief des Patriarchen Cyrill
von Jerusalem dem Kaiser von einem solchen in
der heiligen Stadt am Pfingsttage beobachteten
Naturwunder.

Das Eindringen eines solchen Zuges


fügt den Beziehungen des Denkmals zur
syrischen Kunst noch ein gewichtiges Be-
weisglied hinzu. Seine Entstehung kann
nach allen ikonographischen und stilisti-
Abb. 300. Märtyrerpaar, Wandmosaik in S. Giovanni'
schen Anhaltspunkten schwerlich später als
in Fonte (Neapel)
(nach Bertaux, a. a. O.). in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts
STILVERWANDTSCHAFT DER NEAPLER MOSAIKEN UND SARKOPHAGPLASTIK 327

lallen. Daß aber das Baptisterium als Bau noch älteren, d. h. vielleicht sogar konstantinischen
Ursprungs ist, liegt durchaus im Bereich des Möglichen, gehört es doch sichtlich mit der Basilika
(S. 241) aufs engste zusammen.
Der Mosaikenzyklus des Neapler Baptisteriums zeigt in seinem Bestände wie in einzelnen
Kompositionen eine weitgehende Übereinstimmung mit den Arkadensarkophagen (S. 112 ff.) und
ihnen verwandten Denkmälern der Kleinkunst. Der sitzende Christus im Gespräch mit der
Samariterin, das Einfüllen des Wassers in die Krüge beim Wunder von Kana, die symbo-
lische Erweiterung des Hirtenbildes und die Gesetzesübergabe sind wie die Evangelistensymbole
Elemente der antiochenischen Ikonographie. Der Stil kann dem nicht vollkommener entsprechen.
Die jugendlichen Rundköpfe (Abb. 300) und die etwas gespannten Stellungen der Gestalten
vertreten die unverkennbaren malerischen Gegenwerte des Figurentypus der besagten Sarko-
phagklasse (S. 120/1). Auch die Faltengebung mit ihren breiten Flächen einerseits und manchen
scharfzügigen, hier durch härtere Linien eingezeichneten Hauptmotiven andrerseits hat in
ihrem Verhältnis zum Körper ein völlig gleichartiges Gepräge. Die Frauentracht erinnert
zugleich augenfällig an diejenige der Lipsanothek von Brescia (Abb. 182). In der weichen
malerischen Wiedergabe wirkt aber alles etwas freier, wirkt noch die Antike stärker nach.
Überaus reich ist die Abstufung der Übergänge von Licht und Schatten bei vereinfachter
koloristischer Gesamthaltung der Figuren im Gegensatz zu den farbenfreudigeren Akkorden
der Kränze, Vögel und Vasen auf dem Golde. Die Köpfe gehen sehr nahe mit dem bläu-
lichen Weiß der Gewänder zusammen, dieses aber bildet einen wirkungsvollen Kontrast zum
blauen Grunde, der hier zum erstenmal zum Träger der Komposition wird. Er ist nicht
von einheitlicher Sättigung sondern vertieft sich oft schattengleich auf einer Seite der Ge-
stalten. Die Märtyrer stehen vor heller Wand, in die ein Fenster einschneidet (Abb. 300). Die
Lichtseite der Figur aber setzt sich vom beschatteten Grunde ab. So waltet hier noch volles Ver-
ständnis für die einheitliche Beleuchtung des Raumes. Gewisse Ungleichheiten der Bilder
sind nicht die Folge verschiedener Entstehungszeit oder späterer Wiederherstellung. Sie ent-
springen dem Übergangsstil. Daß Christus als Wundertäter jugendlich, in der Gesetzes-
übergabe bärtig erscheint, hat in der Plastik desselben Kunstkreises seine vollkommene
Parallele (S. 121/2).
Eine ungezwungene Beziehung der einzelnen Szenen auf die Taufhandlung ist aus dem
Bildschmuck von S. Giovanni in Fonte schwerlich herauszulesen. Wohl aber spricht er schon
einen geschlossenen Gedankenzusammenhang kirchlicher Färbung aus: der Herr, der sich durch
seine Taten offenbart hat, ist durch sein Leiden zur Herrlichkeit eingegangen, er hat die
Apostelfürsten als Hüter seiner Lehre eingesetzt und verleiht denen, die an ihn glauben,
den Lohn seligen Lebens. Während in S. Costanza die Zeremonialbilder noch wie eine Zutat
zum symbolischen Zyklus erscheinen und es vielleicht auch sind, ist hier bereits eine Zu-
sammenfassung erfolgt.
In Neapel erscheint die feierliche Symbolik der Gesetzesübergabe dadurch gesteigert,
daß Christus auf der Erdkugel steht, aber die Komposition tritt nicht aus dem Zusammen-
hänge der ganzen Bilderreihe heraus. Die christliche Kunst hatte ihr jedoch schon damals
eine zentrale Stellung als Apsisbild der Kirche eingeräumt, so z. B. allem Anschein nach in
der alten Petersbasilika. Welcher Bauperiode (S. 236) deren Mosaik auch entstammen mag,
über das wir einzig und allein durch eine erst lange nach der einschneidenden Restauration
Innocenz III. (1216 n. Chr.) angefertigte Zeichnung unterrichtet sind, eine andere Beziehung
zwischen dem thronenden Christus und der ihn umstehenden Apostelfürsten ist hier nicht
328 VOLLENDUNG DER KOMPOSITION DER PARUSIE

wohl denkbar. Auf diese Weise ist Christus anscheinend zuerst in den Mittelpunkt der Apsis
gerückt, wo die Komposition bald mit neuen Motiven durchsetzt und ihre Bedeutung verall-
gemeinert worden ist (s. unten). Der Rang wurde ihr freilich im Anfang von einem an-
deren Zeremonialbild streitig gemacht, von der Parusie, die auch an den Arkadensarkophagen
so oft den Hauptvorwurf des plastischen Schmuckes bildet (S. 116). Wie die letztere allmählich aus
dem älteren Typus des Apostelkollegiums mit dem lehrenden Christus herauswächst, können
wir noch in den Denkmälern des kirchlichen Monumentalstils verfolgen. Die uns schon in
der Katakombenmalerei bekannte Komposition (S. 82 ff.) ist mehrfach im Kirchenschmuck
des 4. und 5. Jahrhunderts bezeugt und noch in einem Beispiel erhalten. In Neapel wies
sie das Apsismosaik der Severianischen Basilika (S. 241) auf, in S. Costanza die Hauptnische
des Umgangs (S. 323). Hier waren der Jüngerschaar zwei stehende Frauengestalten beigesellt.
Diese fehlen hingegen noch dem Mosaik der Kapelle S. Aquilino in Mailand (S. 249). In-
mitten der dichtgedrängten Reihe der Zwölf sitzt dort Christus als Jüngling mit halblangem
lockigem Haar, wie sie, in weiße Gewänder gekleidet, mit der halbgeöffneten Rolle in der
Linken, die Rechte mit einladendem Hinweis erhoben (Taf. XIX, 2). Vor den Fresken der
Coemeterien (S. 82 ff.) hat das Mosaik nur die großartigere Gebärde und das in den Nimbus
eingeschriebene Christusmonogramm voraus. Auf einen vorgerückten Zeitpunkt seiner Ent-
stehung läßt trotzdem auch die Anwendung des reinen Goldgrundes schließen, doch erlaubt
die malerisch weiche Modellierung sowie die wenig entwickelte Individualisierung der Apostel —
nur Petrus und Paulus zu Seiten des Herrn zeigen bereits ausgeprägte Charakterköpfe — das
Gemälde kaum allzu nahe an die Mitte des 5. Jahrhunderts anzusetzen. Als allegorisches
Gegenbild aus dem Hirtengenre erklärt sich dann wohl auch ein stark ergänztes Mosaik in
der zweiten Ecknische der Kapelle am leichtesten, das mehrere Hirten in bergiger, von zwei
Bächen durchströmter Landschaft lebhaft um ihre Lämmer besorgt zeigt. Rötlichgraue
Wolkenstreifen durchziehen den Goldgrund über dem Horizont. Das Kostüm der Hirten
setzt sich schon aus lebhafteren Farbentönen zusammen.
Unter der Einwirkung des palästinensischen Kults der heiligen Stätten ist der einfache
Grundtypus des Apostelkollegiums mit seinem göttlichen Lehrer (S. 82) zur großartigen Re-
präsentationsszene der Parusie fortgebildet worden, wie sie uns im Apsismosaik von S. Pu-
dentiana, einem der schönsten Roms und dem ältesten erhaltenen, vor Augen steht (Taf. XIX, 1).
Wiederholte Restaurationen (in den Jahren 772 bis 797, 1588 und 1829 bis 1832), durch die
leider die Einzelheiten starke Veränderungen erfahren haben und durch die es nicht nur des
gesammten Sockelstreifens, sondern auch der beiden äußersten Gestalten des Hauptbildes
beraubt worden ist, haben seine mächtige geistige Wirkung und seine Farbenpracht nicht
zu zerstören vermocht. Durch Heranziehung! älterer Zeichnungen und Inschriftenkopien ist
es G. B. de Rossi gelungen, die Entstehungszeit und den vollen Bestand der ursprünglichen
Komposition festzustellen. Die Ausschmückung der Apsis erfolgte darnach unter dem römi-
schen Bischof Siricius (384 bis 397) auf Kosten der Presbyter Ilicius, Leopardus und Ma-
ximus. Die richtige Deutung aber hat sich erst der jüngsten Forschung erschlossen.
Noch de Rossi glaubte die Darstellung auf die Gründung der Kirche durch den hl. Pudens, den Gast-
freund des Petrus (S. 239), beziehen zu müssen, und erkannte in den Kränze haltenden beiden Frauengestalten des
Mosaiks dessen Töchter Praxedis und Pudentiana, die Namensheiligen der einander benachbarten römischen
Basiliken, und in der Szenerie den Vicus Patricius, in dem das Haus des Pudens nach der Tradition gelegen
war. Gleichwohl deutete er den tieferen Sinn des Mosaiks schon vollkommen richtig: es sei Christus mit
seinen Jüngern im himmlischen Jerusalem dargestellt, dessen Bild der Künstler mit solchen lokalen Zügen
ausgeschmückt habe. Daß die Versammlung, der Christus auf dem edelsteingeschmückten, mit dem Purpur-
Tafel XIX

1. Christus als Lehrer der Apostel im himmlischen Jerusalem (Parusie), Apsismosaik von S*a Pudentiana (Rom)
2. Christus als Lehrer der Apostel (Parusie), Nischenmosaik der Kapelle S. Aquilino in S. Lorenzo (Mailand)
SINN UND STIL DES APSISMOSAIKS VON S. PUDENTIANA 329

kissen belegten Throne vorsitzt, auf einem konkreten Schauplatz gedacht ist, kann in der Tat keinen Augen-
blick zweifelhaft bleiben. Um das Sigma, das die Apostel einnehmen, zieht sich ein halbkreisförmiger Por-
tikus, in perspektivischer Ansicht zu beiden Seiten in seinen Maßen anwachsend, herum. Über sein Dach
hinweg fällt der Blick auf weiter entfernte Gebäude, unmittelbar hinter der Halle aber steigt über dem
Throne des Herrn ein rötlicher Felsen auf, und auf diesem ist ein mit Perlen besäumtes, mit Juwelen bedecktes,
prunkvolles Kreuz errichtet. Zum ersten Male tritt uns dasselbe hier in einem datierten Kunstwerk ent-
gegen, um fortan bald in ähnlicher Verbindung auf einem Hügel, bald auf einem dreistufigen Sockel auf-
ragepd oder von einem Baldachin überdacht in der Malerei wie in der dekorativen Plastik und in der Klein-
kunst die weiteste Verbreitung zu finden. Sein Vorbild ist jenes vielleicht schon von Konstantin d. Gr.
auf demselben Punkte, auf dem das Kreuz Christi angeblich gestanden haben sollte (S. 207), aufgestellte,
in der Folge durch Votivkreuze späterer Kaiser ersetzte Prunkkreuz, von dem verschiedene Pilgerberichte
sprechen. Ausdrücklich erwähnt es der anonyme Verfasser eines im Jahre 530 abgefaßten Breviars im
Atrium, durch das die Anastasis mit dem sogenannten Martyrion in Verbindung stand (S.207 u. 247),
doch nimmt schon Etheria am Ausgang des 4. Jahrhunderts wiederholt darauf Bezug. Den Golgathafelsen
hat der Mosaizist auch in S. Pudentiana darstellen wollen und in den ihn umgebenden Architekturen die
konstantinischen Bauten. Es dürfte gewagt sein, die letzteren im einzelnen herauserkennen zu wollen, zumal
nachdem manche Teile durch die späteren Ausbesserungen ein verändertes Aussehen erhalten haben. Im
Grunde kommt es auch nicht so sehr darauf an, ob wir nach Osten auf Vorbauten der Basilika oder nach
Westen auf die Gebäudegruppe der Auferstehungskirche blicken oder ob der Künstler, was vielleicht das
Wahrscheinlichste bleibt, in einer Art Idealansicht ohne strenge Orientierung die gefeiertsten Heiligtümer
zusammengefaßt hat; von Bedeutung ist vor allem, daß er die unzweifelhafte Absicht hatte, das himmlische
Jerusalem im Bilde des irdischen darzustellen. Die Anregung dazu boten ihm die hochtönenden Vergleiche
des Eusebius u. a. m., in denen die Bauten Konstantins mit dem neuen Zion verglichen werden. Frei er-
funden ist gewiß kein Zug in der ganzen Komposition. Auch der Portikus läßt sich auf verschiedene, von
den Pilgern geschilderte Lokalitäten beziehen, am ehesten wohl auf einen zwischen der Basilika und dem
Golgathafelsen abgegrenzten Platz, auf dem die im Martyrion bewahrte Reliquie des wahren Kreuzes Christi
vom Volke verehrt zu werden pflegte und dem Bischof am Feste der Kreuzaufrichtung die Kathedra bei
dem Prunkkreuze aufgestellt wurde.
Die Mosaikmalerei des ausgehenden 4. Jahrhunderts hat sich in S. Pudentiana der Auf-
gabe noch völlig gewachsen erwiesen, ein einheitliches Bild in Licht und Farbe zu gestalten,
ein Bild, das mit vollkommener Beherrschung der malerischen Perspektive zugleich den glück-
lichsten monumentalen Aufbau der Gruppe vereint. Durch reichliche Schattengebung heben
sich die Gestalten der Apostel in lebhaften, farbigen Tönen als nähere greifbare körperliche
Erscheinung von den blaßrötlichen Architekturen ab. Unter ihnen tritt wiederum Christus
im tiefroten, goldgelichteten Purpurgewande beherrschend hervor. Der Himmelsgrund gewinnt
durch zarte rosige und silbergraue Wolkenstreifen, aus denen er sich zusammensetzt, eine
außerordentliche Durchsichtigkeit und weicht hinter die festen Linien der Architekturen zurück.
Eine solche Lichtwirkung ist in den Denkmälern der Mosaiktechnik nie wieder erreicht worden.
Das Licht flutet in gleichmäßiger Fülle von links durch alle Pläne, die Massen sondernd
und auf den ihm zugewandten Flächen der Felsklippen, der Dachziegel, der Gitterfüllungen
und zumal der Köpfe und Gewänder aufprallend. Von dieser malerischen Gesamtwirkung
ist trotz aller Ausbesserungen wenig verloren gegangen. Dagegen bewahren nur einzelne
Kopftypen ihren echten Stilcharakter; am reinsten wohl die Apostelfürsten, deren Individuali-
sierung freilich bei Paulus einen so charakteristischen Zug wie die Glatze vermissen läßt;
nächst ihnen vor allem die bartlosen Römerköpfe links, die wie sie eine breitere Modellierung
aufweisen. Das Antlitz des Heilands ist ungleich stärker nachgebessert, aber in dem noch
halbwegs erkennbaren Typus mit dem üppigen kastanienbraunen Haupthaar und dem langen
geteilten Vollbart dürfen wir doch ein verbreitetes ikonenhaftes Christusideal erblicken, das erst
später ein mehr orientalisches Gepräge erhält (s. unten). Groß und eindrucksvoll ist die lehrende
330 DAS APOKALYPTISCHE GEGENBILD DER ERHÖHUNG DES LAMMES

Gebärde des Herrn und ebenso glücklich der Ausdruck staunender Hingabe und lebhaften
Meinungsaustausches unter seinen Zuhörern. Mit der Würde paart sich noch Freiheit der
Bewegung. Die Frauengestalten nehmen an dem geistigen Verkehr, der die Versammlung
belebt, keinen Anteil, sie stehen als bloße Begriffspersonifikationen in engster Beziehung zu
den Apostelfürsten, die sie krönen. Die Deutung, die ihrer Rolle allein gerecht wird, sieht
in ihnen die Vertreterinnen der juden- und heidenchristlichen Kirche. Begegnen uns diese
doch immer wieder in den Denkmälern des 4. und 5. Jahrhunderts (s. unten). Die Vorstellung
von dem Lehramt Christi, das sich durch die Apostel auf die Kirche überträgt, ist im Apsis-
mosaik von S. Pudentiana zum Grundgedanken der Komposition erhoben. Durch die Evan-
gelistensymbole in den Wolken werden wir an die unversiegbaren Quellen erinnert, durch die
sein Wort alle Zeit weiterwirkt. Die palästinensische Grundlage des Bildes kann nicht deut-
licher bestätigt werden als durch diese den Typen des Baptisteriums von Neapel so ähnlichen
Gestalten mit ihrer dreispitzigen Flügelbildung (S. 326), die der in Rom arbeitende Meister
freilich kaum mehr verstanden hat.
Scheint sich die Auffassung der Parusie im Sinne des Gerichts, wie wir sie von den
Sarkophagen her kennen, auf denen in der Hintergrundsarchitektur zweifellos auch ein Por-
tikus des konstantinischen Atriums zu erkennen ist (S. 116ff.), im Apsisbilde von S. Puden-
tiana zu verflüchtigen, so trägt zu diesem Eindruck wesentlich die Beseitigung des SockeP
streifens durch die Restauration des 16. Jahrhunderts bei. In diesem war der apokalyptische
Gedanke aufs klarste ausgesprochen, ja er hatte hier sogar zu einer Erweiterung des alten
Bildtypus geführt. Eine von de Rossi in der Vatikanischen Bibliothek aufgefundene farbige
Zeichnung bewahrt noch die seither zugedeckte Gestalt des Lammes auf dem Paradieseshügel.
Von oben fliegt die Taube auf dasselbe herab, von beiden Seiten schritten, wie es die Sarko-
phage öfters zeigen und wie es in den Sockelfriesen der römischen Apsiden fortan üblich
bleibt, je sechs Lämmer aus den heiligen Städten heran. In S. Pudentiana aber war der
Lämmerfries durch das Symbol des HL Geistes noch enger mit dem Hauptbilde verknüpft.
Dazu kommt ein weiterer neuer Zug, der die Beziehung zwischen dem Christuslamm und
der Gestalt des thronenden Christus verdeutlicht. Hinter dem Paradieseshügel spannte sich
ein Purpurstoff wie der Behang eines Thrones, ein unzweideutiger Hinweis auf den Thron
des Lammes im neuen Zion (Offenb. Joh. XXII, 1—3). Im Apsismosaik der Peterskirche
(S. 327) war hinter dem Hügel bereits ein wirklicher Thron eingeführt, wenn er auch sicher
ein etwas anderes Aussehen hatte, als es ihm die mittelalterliche Restauration verliehen hatte.
In dieser Erweiterung des unteren Bildstreifens tritt eine parallele Entwicklung der Bildtypen
der Gesetzesübergabe dort und der Parusie hier zutage. Im Mosaik der Peterskirche ragte
überdies auf dem Thronsitz ein mächtiges Kreuz auf.
Was in den eben verglichenen Denkmälern als symbolische Zugabe zu einem Figurenbilde
erscheint, hat in anderen Fällen um die Wende des 4. Jahrhunderts schon die Bedeutung einer
selbständigen Komposition gewonnen. Paulinus von Nola schildert in seiner Beschreibung der
von ihm zu Ehren des hl. Felix erbauten Basilika (S. 241) als Gegenstand des Mosaikbildes,
das die Apsis schmückte, das unter dem Kreuze stehende Lamm. Der Purpur und die Palme,
von denen er weiter in etwas unklarer Wendung spricht, ist nach jenen Analogien offenbar
als der Thron des Lammes und wahrscheinlich in der übertragenen Bedeutung des Sieges-
preises als Kranz zu deuten, der auch in S. Pudentiana wie in Neapel über dem Kreuze
von der Gotteshand gehalten wurde, wenn er nicht etwa das Kreuz selbst schmückte oder
wie in jüngeren Denkmälern auf dem Thronsitz lag (s. unten). Das Kreuz war überdies
DIE SYMBOLIK DES STRAHLENDEN KREUZES UND DES THRONES 331

von einem strahlenden Kreise — dem Firmament — und der letztere wieder von zwölf im
Kreise verteilten Tauben umschlossen. Dadurch erhielt der ganze allegorische Aufbau die
erforderliche Breite, um die Wölbung der Konche auszufüllen. Fehlte doch in der Felix-
basilika jedes weitere figürliche Element, den Lämmerfries nicht ausgenommen. Wie geläufig
die Tauben als Vertreter der Apostel dem 5. und 6. Jahrhundert waren, lehrt unter anderem
ein erhaltenes Mosaik von viel bescheidenerem Umfange, das sich mit der Schilderung des
Paulinus auch sonst berührt. In einer der Nischen des Baptisteriums von Albenga (S. 249) schwebt
im Scheitel des blauen, mit goldenen Sternen übersäten Tonnengewölbes das in drei sich nach
innen lichtenden Zonen eingeschlossene, selbst wieder verdreifachte Monogramm Christi. Dar-
über bildet ein kleines Golgathakreuz den idealen Mittelpunkt eines Taubenkranzes. Das
Bogenfeld der Nische enthält hingegen die Darstellung zweier Lämmer zu seiten eines
größeren edelsteingeschmückten Golgathakreuzes, das auf blumiger Wiese steht. Im 5. Jahr-
hundert, dem das Mosaik von Albenga wohl angehört, findet zwischen allen diesen Motiven
bereits ein freier Austausch statt. Daß aber von Palästina eine Strömung ausging, die da-
hin zielte, das Kreuz zum bevorrechteten Hauptmotiv im Schmuck der Apsis zu erheben,
müssen wir aus der vom heiligen Nilus in seinem Briefe an den Statthalter Olympiodoros
gegebenen Anweisungen schließen. Und auch dieser Zeuge vergißt nicht die Lichtkreise, die
das Sinnbild der Leiden des Erlösers umgeben sollen. So mächtig wirkten die Kreuzesvisio-
nen des 4. Jahrhunderts (S. 326) in der Kunst des heiligen Landes nach. Und welche Ver-
breitung jene dekorativ-symbolische Komposition in der Folge gewann, bezeugt ein weiteres
Mosaik, das im äußersten Südosten Italiens auf der apulischen Halbinsel noch heute
die Kuppel eines kleinen kreuzförmigen (im hohen Mittelalter verlängerten) Baues von typi-
scher Anlage (S. 252) schmückt. Hier in Casaranello schwebt das einfache Kreuz auf
dem helleren, inneren Rund des gestirnten Himmels. Die zwickelfüllenden Akanthusranken
aber und das Kreisgeflecht am Tonnengewölbe des östlichen Kreuzarmes mit seinen Füll-
figuren aus der Vogelwelt muten geradezu wie Bestandteile eines an die Decke versetzten
syrischen Mosaikpaviments an.
Aus der Darstellung des apokalyptischen Thrones verschwindet alsbald das Lamm, dafür
aber wird sein Bild durch neue Züge bereichert. Es war der Reliquienkult von Jerusalem,
der neben der poetischen Vision der Offenbarung Johannis die Elemente dazu hergab. Aus
dieser doppelten Anregung erklärt sich uns die veränderte Auffassung der Anbetung des
Lammes im Mosaik des Triumphbogens in S. Maria Maggiore (Tafel XX, 1). Über der
Widmungsinschrift Sixtus’ III. erblicken wir dort eine im Goldgrund ausgesparte blaue
Aureole, die Iris der Apokalypse (Offenb. Joh. IX, 2), die einen prunkvollen Thron mit dem vor
der Rücklehne aufragenden Kreuze umgibt. Von dem Sitze hängt ein blaues Tuch nieder,
und auf diesem ruht ein Diadem. Der Schemel des Thrones trägt das Golgathakreuz, davor
aber liegt die Rolle mit den sieben Siegeln, die das Lamm allein zu brechen vermag (Offenb.
Joh. V, 1—5). Da jenes Tuch uns im kirchlichen Bildschmuck noch öfter in Verbindung mit
dem Kreuz auf dem Throne begegnet (s. unten), muß es wohl in der Wirklichkeit ein Vorbild
gegeben haben, in dem dasselbe als heilige Reliquie — denn man kann darin nicht wohl
etwas anderes als das Sudarium Christi erblicken mit beiden Symbolen verbunden war.
Und das Golgathakreuz berechtigt wieder zur Vermutung, daß ein solches Kultgerät in
Jerusalem, dem Zentrum der Kreuzesverehrung, schon seit dem 5. Jahrhundert, wenn nicht
noch früher, einen Ehrenplatz in der konstantinischen Basilika einnahm. Eine dunkle Erinne-
rung daran hat sich noch in mittelalterlichen Berichten von der Verwüstung der heiligen Stätten
332 AUFNAHME DER KINDHEITS- UND MARIENLEGENDE IN S. M. MAGGIORE

durch den Perserkönig Chosru II. erhalten. Die gleiche Vorstellung liegt den altchristlichen
Denkmälern der Darstellung des göttlichen Thrones zugrunde. Sie ist in S. Maria Maggiore
in den Bestand einer Komposition eingegangen, die bei näherem Zusehen ihren Zusammen-
hang mit den älteren Zeremonialbildern und ihrem Lämmerfriese bald genug verrät. Zwar
ist nicht mehr die Übergabe des Gesetzes oder die Parusie dargestellt, sondern die Anbetung
des erhöhten Christus durch Petrus und Paulus als Vertreter der beiden Kirchen, aber die
Evangelistensymbole umgeben den Thron des Lammes, auf dessen Sichtbarmachung der
Künstler verzichtet hat, und er bleibt auch das Ziel der Blicke für die zwölf Lämmer, welche
an unterster Stelle auf beiden Seiten des Triumphbogens verteilt, sehnsüchtig zu ihm empor-
schauen. Sie stehen vor den Städten Jerusalem und Bethlehem, von denen nur die erstere
ihr ursprüngliches Aussehen bewahrt hat mit‘‘ der Edelsteinzier der Mauern (Offenb.
Joh. XXI, 19) und dem leuchtenden Kristall, der im Torbogen (Offenb. Joh. XX, 21 u. 23)
als Kreuz herabhängt.
So ist das traditionelle Apsisbild am Triumphbogen von S. Maria Maggiore nur um-
gebildet und zerlegt, um neuen Bildstoff zwischen das zentrale Symbol des Kreuzesthrones
und die Nebengruppen der Lämmerallegorie einzuschalten, 'und zwar in der Absicht, der
Gottesmutter die gebührende Berücksichtigung im bildlichen Schmuck ’des Heiligtums zuteil
werden zu lassen. Daher wurden die bedeutsamsten Ereignisse der Kindhe itsgeschichte des
Herrn, gleichsam sein Eintritt in die irdische Welt, mit seiner Erhebung und Wiederkehr in
göttlicher Herrlichkeit verknüpft. Bestimmte dieser Gedanke die Auswahl der Szenen, so ver-
raten manche überraschenden ikonographischen Besonderheiten einen ebenso starken palä-
stinenschen Einfluß, wie er in der Ausgestaltung des Thronsymbols zu spüren war.
Durchweg wird die Darstellung von der apokryphen Legende beherrscht, wie sie das Evangelium des
Pseudo-Matthaeus und das arabische der Kindheit des Herrn in Ausspinnung des Berichtes bei Lukas und
Matthaeus erzählt. Eine Schar von Engeln begleitet die heilige Familie auf ihren Wegen. Nicht weniger
als vier von ihnen sind gleich im ersten Bilde des obersten Streifens bei der Verkündigung zugegen. Die
Bewegung der fliegenden erinnert an die ähnlichen Engelgestalten der Sabinatür (Abb. 127 u. Taf. X).
Die Tracht der spinnenden Maria, die sich von der späteren durch reichen weltlichen Schmuck des Gewandes
und unbedeckten Haares unterscheidet, stimmt auffallend mit ihrer Erscheinung auf syrischen Elfenbein-
bildwerken überein (S. 186). Zwei Engel überbringen Joseph den Befehl Gottes (Matth. 11,13). Das Gegen-
bild führt uns zum ersten Male die Darstellung im Tempel vor Augen, aber nur hier spielt sich der Vor-
gang nach der Version des Kindheitsevangeliums in der Weise ab, daß Simon von einem Engel aus dem
Schlafe geweckt wird — seine Gestalt ist zu äußerst rechts nur unvollständig erhalten — und der Gottes-
mutter mit dem Kinde entgegeneilt. Die Prophetin Hannah begrüßt es mit ihrer Weissagung, während die
Priester erstaunt dabeistehen. Noch einzigartiger ist die Anbetung des Kindes durch die Magier aufgefaßt.
Es sitzt allein auf einem prunkvollen Throne, — von Engeln bewacht — inmitten zweier Frauengestalten,
von denen die eine in der Tracht mit der Gottesmutter übereinstimmt, die andere das typische spätere
Purpurgewand Marias trägt. Die Deutung der beiden ergibt sich anscheinend aus dem Vergleich des nahezu
gleichzeitigen Mosaiks, das als einziger Überrest ihres Bildschmuckes die innere Fassadenwand von
S. Sabina bedeckt. Neben der Weihinschrift des Presbyters Petrus (S. 238), der unter Cölestin I. (423—432) die
Basilika ausschmückte, erblicken wir dort die Ecclesia e gentibus (Abb. 301) und die Ecclesia ex circumcisione in
ganz ähnlicher Gewandung. Über ihnen sah noch Ciampini die Apostelfürsten. In S. Maria Maggiore sind sie
Zeuginnen der Huldigung der Weisen, welche durch ihr Kostüm als Orientalen gekennzeichnet erscheinen.
In diesem, wie im folgenden Bilde ist der offenbare Sinn der Darstellung, daß die Heiden den Herrn er-
kennen, nachdem die Propheten und der Hohepriester ihn erkannt. Das letztere bezieht sich auf die im
arabischen Evangelium berichtete Begrüßung des Kindes durch den Statthalter von Ägypten Aphrodisios,
der sich nach einem plötzlichen Wunder vor seinen Freunden zum Herrn bekennt. Ein Philosoph mit dem
Knotenstock geht an seiner Seite der von Engeln geleiteten heiligen Familie entgegen. Dafür ist das Ge-
spräch der Magier mit Herodes in den vorletzten Streifen herabgerückt. Das Forschen der Wahrsager
Tafel XX

Die apokalyptische Anbetung Christi und Szenen der Marienlegende, Triumphbogenmosaik von S. Maria Maggiore (Rom)

Der Gute Hirte im Paradiesesgarten, Mosaikbild aus dem sog, Mausoleum der Galla Placidia (Ravenna)

(nach G. B. de Rossi, Musaici cristiani)


DAS DEKORATIVE SYSTEM DER LANGHAUSMOSAIKEN IN S. M. MAGGIORE 333

nach dem Kinde gibt der Handlung eine stärkere dra-


matische Spannung. Die Schilderung des Gemetzels
hat der Künstler im Gegenbilde des Kindermordes
(S. 186) vermieden und nur die Verzweiflung der
Mütter über den grausamen Befehl des Königs, den
ein Krieger auszuführen sich anschickt, wiedergegeben.
Dadurch wurde eine vollkommenere formale Über-
einstimmung zwischen beiden Szenen erreicht.
In stilistischer Hinsicht bezeichnet das
Triumphbogenmosaik von S. Maria maggiore
eine Entwicklungsstufe, die schon einige ver-
wandteZügemit den syrischen Pyxiden (S. 188/9)
aufzuweisen hat, wiedie eilige Bewegung Simons
und die Hintergrundsarkaden in demselben Bild.
Überhaupt herrscht ein mehr reliefartiges als
malerisches Kompositionsprinzip vor, das die
Zerlegung der Fläche in mehrere Friese zur
Folge hat. Die Einführung des zusammenhän-
genden Goldgrundes — nur in der Verkündi-
gung erhält sich das Gewölk und in den folgen-
den zwei Bildern ein schmaler Streifen Himmels-
blau bedeutet einen sich vorbereitenden Wech-
sel im dekorativen Geschmack, aber die noch
ungebrochene Vorherrschaft der weißen Gewän-
der, die mit ihm keinen wirksamen koloristischen
Abb. 301. Die heidenchristliche Kirche, Wandmosaik
Kontrast ergeben und neben denen das helle in Sta Sabina (Rom).
Grün des Bodenstreifens, das lebhafte Rot der
Magierkleidung, der blaue Priestermantel des Simon u. a. farbige Zusätze nicht kräftig genug
zur Geltung kommen, beweist, daß dieser Stil erst im Werden begriffen ist. Und doch übt das Gold
schon seinen auf äußerste Beschränkung der nichtfigürlichen Bildelemente gerichteten Einfluß.
Aber die Darstellung behält in der Häufung der Figuren und in dem dadurch bedingten Maßstabe
etwas Kleinliches und erhebt sich ungeachtet der vorwaltenden halbfrontalen Wendungen in der
Szenengestaltung selten zu zentraler Komposition. Wir gehen schwerlich fehl, wenn wir als Grund-
lage der gesamten Bilderfolge die Illustration eines apokryphen Kindheitsevangeliums ansehen.
In S. Maria Maggiore breitet sich der Mosaikschmuck am frühesten unter den erhaltenen
Denkmälern auch über die Obermauern des Langschiffs aus, hier jedoch nicht in zusammen-
hängenden Friesen. Vielmehr ist an ihr noch die architektonische Gliederung der Fläche
durchgeführt nach dem traditionellen System (S. 291), daß sich der vertikale Aufbau der
tragenden Stützen in der Dekoration bis zur Decke hinauf fortsetzt, wenngleich in erneuerter
Gestalt kannelierter Wandpilaster, die auf dem mittels Konsolen vorgeschobenen Gesims auf-
stehen. Die mächtige Horizontale des Architravs klingt noch einmal in der Parallele eines
als Fensterbank hinter ihnen durchlaufenden Gurtes wieder. So entsteht ein Gerüst von echt
antikem konstruktiven Aufbau (Taf. XV), wie ihn einst auch das Mittelschiff von S. Paolo
f. le Mura aufwies (Abb. 234). Die Restauration im frühen Barockstil hat diese Kon-
struktion nur mit ihren dekorativen Formen bekleidet. Der Mosaikschmuck bewahrt innerhalb
derselben den Charakter der Füllung und zerfällt in lauter gerahmte und in sich geschlossene
334 VERHÄLTNIS DES ALTTESTAMENTL. ZYKLUS ZUM TRIUMPHBOGENMOSAIK

Abb. 302. Abraham und Melchisedek Abb. 303. Jakobs Werbung und Hochzeit
Wandmosaiken in S. Maria Maggiore (Rom).

Bilder (bezw. Doppelbilder). In den architektonischen Ziergliedern haben sich anscheinend


sogar die ursprünglichen Motive von dem Rankenfries des Gebälks bis zu den Spielformen
der lesbischen Welle in den modernisierten Umrahmungen der Bildfelder zum Teil in mehr
oder weniger freier Nachbildung bis auf die Gegenwart gerettet. Endlich aber erhebt sich
die Frage, ob diese gesamte dekorative Architektur nicht mit Einschluß der Mosaikbilder
einer älteren Zeit — etwa dem Bau des Liberius (S. 238) — angehören und die Wieder-
herstellung der Basilika durch Sixtus III., die durch eine nur noch in alten Abschriften er-
haltene metrische Inschrift der Fassadenwand bezeugt wird, vielleicht auf das verlorene Mosaik
der letzteren und auf dasjenige des Triumphbogens, wo sich die Widmung wiederholt, zu
beschränken sei. Allein aus technischen und stilistischen Gründen sind sämtliche erhaltenen
Bilderzyklen nicht voneinander zu trennen. Die Zutaten der Restaurationen des 16. und
17. Jahrhunderts, zum Teil in Malerei ausgeführt, verraten sich auch dem unkundigen Auge.
Tiefer griff in den Materialbestand eine augenscheinlich im 13. Jahrhundert unternommene
Ausbesserung (wohl wieder des Jacopo Torriti; S. 320) ein. Gleichwohl ist die Mehrzahl
der Bilder des Hauptschiffs in unverfälschtem Zustande auf uns gekommen und hat durch
sorgfältige Reinigung die Frische ihrer Farbenwirkung wiedergewonnen. Wenn zwischen dem
Triumphbogenmosaik und dem Mosaikzyklus des Fanghauses fühlbare Unterschiede bestehen,
so entspringen sie offenbar anderen, tieferen Ursachen.
Zunächst überrascht die Reichhaltigkeit des über alle Wandabschnitte verteilten Bild-
schmuckes der Obermauern. Er umfaßt die Geschichte der Erzväter Abraham, Isaak und
Jakob auf der linken und das ganze Leben Moses und Josuas auf der rechten Seite. Für
ABHÄNGIGKEIT DER BILDERFOLGE VON DER BUCHILLUSTRATION 335

diese zusammenhängenden Szenenfolgen muß es aber Vorlagen gegeben haben, und als solche
kommen nur Miniaturen in Betracht. Ihnen verdanken die Mosaikbilder des Hauptschiffes
ihre farbigere Wirkung und ihre landschaftlichen Hintergründe. Und doch durchsetzt auch
sie bereits der Goldgrund, indem er, wie in der antiken Landschaftsmalerei das Abendrot,
den schmalen blauen Himmel zuunterst lichtet. Durch die Wiedergabe des letzteren treten
die beiden üböreinandergeordneten Szenen, die der Bildrahmen in der Regel einschließt, deutlich
auseinander. Aber auch abgesehen von der Szenerie mit ihren den Horizont begrenzenden
Hügelreihen und den in steiler Perspektive herabfließenden Flußläufen ist eine Fülle helle-
nistischer Elemente aus jenen Miniaturen in die Mosaiken eingegangen. Wie eine antike
Gottheit in den Illustrationen der Ilias oder Aenei's erscheint in Wolken die Halbfigur Christi
als Vertreter des Höchsten vor Melchisedek (Abb. 302) oder ein Engel vor Josua. Der auf
seinem Bette liegende Isaak und der vor ihm stehende Jakob erinnert uns an die Totenmahl-
reliefs mit den bedienenden Knaben. Die Berufung des Moses unterscheidet sich kaum von
einem Hirtenidyll, sein Disput mit den ägyptischen Weisen in nichts von einer Philosophen-
versammlung. Die eigentlich christlichen Motive beschränken sich hingegen auf die sparsame
Anbringung eines kleinen Kreuzes, auf die Verwendung der Gotteshand und eine Art Man-
dorla, die den mittelsten der vor Abraham erscheinenden Engel umhüllt oder Moses, Hur
und Aaron vor den Steinwürfen des empörten Volkes bewahrt (Abb. 304).
Die Redaktion der zugrunde liegenden Genesisminiaturen schloß sich —, darüber lassen
die Bilder keinen Zweifel, — der dramatischen Illustrationsform an (S. 282). Die Komposition
bevorzugt die Scheidung der Parteien vor der zentralen Anordnung. Wo irgend Anlaß ist,
stehen die Träger der Handlung in Rede und Gegenrede einander gegenüber, bei der Auf-
lehnung der Rotte Korah (Abb. 304), wie bei den wiederholten Verhandlungen Jakobs mit
Laban über die Teilung der Herden, bei seiner Werbung (Abb. 303), bei der Trennung

Abb. 304. Moses und die Rotte Korah. Abb. 305. Josua bannt die Sonne
Wandmosaiken in S. Maria Maggiore (Rom).
336 HELLENISTISCHE UND ZEITGENÖSSISCHE ZÜGE IM STIL DES ZYKLUS

Abrahams und Lots und so fort. Figurenreiche Gruppen ballen sich dann dicht zusammen
(Abb. 304). Wenn eine Dreiteilung stattfindet, vermitteln öfters einzelne Gestalten zwischen
zwei Seitengruppen, selten wird der Durchblick in der Mitte gesperrt. Streng symmetrische
Dreivereine werden gern nach der Seite verschoben, wie bei der Vermählung Jakobs mit
Rahel (Abb. 303), doch wirken durch das Nebeneinanderstehen in Frontstellung oder in Drei-
viertelwendungen auf dem vorderen Plan die Szenen in hohem Grade repräsentativ, obgleich
die Bewegung oft lebhaft, ja manchmal überlebendig ist (Abb. 304). Neigungen und
Wendungen des Kopfes begleiten noch häufig, aber doch nicht überall mehr die Richtung
des Blickes. Noch wagt die Zeichnung gelegentlich so kühne Verkürzungen wie in der Ge-
stalt des auf den Beschauer lossprengenden Josua. Im allgemeinen sind die Schlachtenbilder
freilich etwas schablonenhaft ausgefallen. Daß einige Reiterfiguren an Typen der Trajans-
säule erinnern, beruht auf der gemeinsamen hellenistischen Tradition. Viel größere Bedeu-
tung haben die zeitgenössischen Elemente, die den unmittelbaren Einfluß des christlichen
Orients erkennen lassen. Sephora trägt dieselbe Kleidung wie die Gottesmutter im Triumph-
bogenmosaik, ebenso und mit noch besserem Rechte die Tochter Pharaos bei der Zuführung
des jugendlichen Moses durch seine Mutter, . die von einer Schar von Hofdamen in mo-
dischen Kostümen geleitet wird. Der ägyptischen Königstochter und Rahel hat der Künstler
die Züge des syrischen Frauentypus verliehen. Der Rassencharakter beginnt auch in den
Greisenköpfen der Patriarchen leise mitzusprechen (Abb. 302). Aber noch behauptet die ju-
gendliche Idealfigur die Vorherrschaft. Es ist der gleiche Durchschnittstypus wie in den
Szenen des Jugendlebens Christi, und die freiere Aktion verdanken die Gestalten hauptsächlich
den noch von reinerer antiker Tradition gesättigten Vorlagen. Gelegentlich dringen jedoch
schon die neuen Bewegungsmotive wie der eilige, vorfallende Schritt ein (Abb. 304).
Die den Bildern des Langschiffes zugrunde liegende Redaktion der Genesis lebt nur
in vereinzelten Beispielen in der späteren byzantinischen Miniaturmalerei fort, aber diese
reichen aus, um ihre Herkunft aus der Buchillustration zu bestätigen. Von den illustrierten
Oktateuchen des 11.—12. Jahrhunderts bietet ein vatikanischer Kodex (Vat. gr. 747) den
ersten Halt Israels in der Wüste, ein anderer in Smyrna das Quellwunder des Moses in
übereinstimmender Darstellung. Der Josuazyklus hat sehr wenig mit der vatikanischen Rolle
gemein und vertritt, wie auch die Genesisszenen, eine altertümlichere und einfachere Auf-
fassung. Man möchte sich die Vorlagen etwa den Miniaturen der Quedlinburger Itala ähn-
lich denken, in der auch gewissermaßen ein Rahmen mehrere Bilder zusammenfaßt (S. 282
u. Taf. XVII, 2 u. 3). Aber nicht in der Anlehnung an die Buchillustration an sich liegt der kunst-
geschichtliche Wert der alttestamentlichen Mosaiken von S. Maria Maggiore, sondern darin,
daß sie allein uns noch die beginnende Umsetzung der illusionistischen Bildgestaltung der
Miniaturen in abstrakte monumentale Komposition vergegenwärtigen. Ein merkwürdiger,
leicht zu mißdeutender Widerspruch geht durch diese Bilder. Während die Figuren und die
spärliche architektonische Szenerie in hellem einheitlichen Lichte stehen, wird der Hintergrund
in beträchtlichem Maße vom Golde durchsetzt, das sich keineswegs auf den Streifen über
dem Horizont beschränkt, vielmehr unter den Bergsilhouetten den Zwischenraum zwischen
dem vorderen Plan und der hügeligen Ferne erfüllt. Dagegen bildet er erst ausnahmsweise
(Abb. 302) bis oben hinauf die alleinige Folie der Gestalt. Anlaß zu einer solchen Auf-
lösung des konkreten Zusammenhanges der Landschaft in eine durchlichtete, mehr vorge-
stellte als wahrnehmbare Räumlichkeit — denn eine solche will der Goldgrund offenbar Vor-
täuschen — bot die schon den Miniaturen geläufige Verflüchtigung der landschaftlichen
STIL, TECHNIK UND ENTSTEHUNGSZEIT DER MOSAIKEN 337

Szenerie (S.298 u. 301). Und eine parallele Entwicklung läßt sich auch im Reliefstil des 5. Jahr-
hunderts beobachten (S. 139). Der Unterschied liegt einzig darin, daß sich im Mosaik deko-
rative Absichten damit verbinden, die solchen Bestrebungen zum vollen Siege verhelfen sollten.
Daß sich aber hier wie dort das gleiche Kunstwollen geltend macht, dafür erscheinen in
S. Maria Maggiore besonders die wenigen Kompositionen bezeichnend, in denen ein einheit-
liches, nach dem Prinzip des hohen Horizontes gebautes Bild den gesamten Rahmen ein-
nimmt und dennoch der Entfaltung des Goldes im Mittelgründe breiten Raum gewährt, wie
beim Gebet des Moses in der Schlacht gegen die Amalekiter oder in der ähnlichen Szene,
wo Josua Sonne und Mond in ihrem Laufe hemmt (Abb. 305). Erleichtert in beiden Fällen
das bergige Terrain den hohen Aufbau, so bietet der Durchzug der Juden durch das Rote
Meer eine Probe der Anwendung desselben technischen Verfahrens auf die in dieser Szene
traditionelle vertikale Raumprojektion (S. 139 u. 305). In anderen Bildern werden wohl gar ganz
nach der Weise der Miniaturen (S.281) vorausliegende oder spätere Zeitmomente der Handlung
in den höher liegenden Berghintergrund zurückgeschoben, so z. B. der sterbende Moses, wo-
mit sich manchmal auch eine optische Figurenverkleinerung verbindet. Allein von diesem
perspektivischen Mittel machen die Mosaiken nur spärlichen Gebrauch für Nebenfiguren.
Wenn wir von dem Umsichgreifen des Goldgrundes absehen, so würde man aus der
Technik der Mosaiken von S. Maria Maggiore kaum auf den zeitlichen Abstand eines Jahr-
hunderts von dem Mosaikschmuck von S. Costanza schließen. Mit der beginnenden Stil-
wandlung, die am Triumphbogen am deutlichsten hervortritt, geht noch keineswegs eine Be-
schränkung der malerischen Darstellungsmittel Hand in Hand. Die Formen sind durchaus
für Fernwirkung aus dem gröbsten Korn zusammengefügt. Zwischen den Glaswürfeln der
Figuren und der Umgebung besteht nur ein unbedeutender Größenunterschied. Wenige helle
und ein dunkler Stift müssen das Auge zur Anschauung bringen (Abb. 302), Schatten und
belichtete Flächen stoßen nicht nur in den Gewändern, sondern auch in den Köpfen unver-
mittelt zusammen (Abb. 303/4), auf die Entfernung ein energisches und doch nicht hartes
Relief erzeugend. Nirgends drängt sich der Kontur dem Auge auf. Kräftige koloristische
Akzente beleben die Farbengebung. Die weißen Gewänder sind bald durch bläuliche, bald
durch bräunliche, immer aber weiche, flächige Schatten abgetönt. Wohl könnte man schwanken,
ob solche und andere Züge, wie die noch leichte Gestaltenbildung, nicht eher in die Zeit
des Liberius als in die Sixtus’ III. weisen, aber auseinanderreißen lassen sich die erhaltenen
beiden Zyklen nicht. Ungeschickt genug erscheint die Weihinschrift des letztgenannten Papstes
unterhalb des göttlichen Thrones angebracht, wenn nicht erst spätere Restaurationen die Schuld
tragen, daß sie jeden der Apostel eines Fußes beraubt (Taf. XX, 1). Alles in allem neigt sich
die Wagschale doch zugunsten der späteren Entstehung des gesamten Bildschmucks, das
Apsismosaik (S. 320) ausgenommen, das sogar noch der Basilika Siciniana angehören könnte.
Denn die Hervorhebung Marias auf der Altarseite spricht für die zeitliche Nähe des Ephe-
sischen Konzils (430), wo ihre göttliche Würde die allgemeine kirchliche Anerkennung fand.
Dieser Erhöhung gab auch das untergegangene Mosaik Sixtus’ III. an der Fassadenwand
Ausdruck, das sie, mit dem Kinde thronend, von Zügen der Märtyrer umgeben, darstellte,
wie die (S. 334) o. e. Inschrift berichtet. So schloß wieder der apokalyptische Gedanke der
Anbetung den Kreis der alttestamentlichen und der gegenüberstehenden symbolisch legen-
dären Bildfolge.
Das wachsende geschichtliche Interesse der christlichen Gesellschaft an den Erzählungen
der Bibel kann nicht augenfälliger hervortreten, als es in S. Maria Maggiore durch die
O. Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 22
338 DIE TITULI UND DAS ANTITYPISCHE SCHEMA DER BILDERFOLGEN

Aufnahme einer so ausführlichen Bilderfolge der Buchillustration in die kirchliche Monu-


mentalmalerei geschehen ist. Für die Verteilung der Szenen in einzelne Wandfelder des
Hauptschiffs aber war hier vielleicht noch mehr als die Redaktion des zugrunde liegenden
Miniaturenzyklus das gegebene architektonische System (S. 291 u. 333) der Dekoration maß-
gebend. Der Einordnung des historischen Bildstoffes in den kirchlichen Wandschmuck bot
sich hier von vornherein der geeignetste Spielraum. Für die Auswahl der Darstellungen
des Langhauses aber hatten sich schon im Laufe des 4. Jahrhunderts allgemeine Grundsätze
herausgebildet, von denen dieses älteste erhaltene Denkmal als Muttergotteskirche durch die
Beschränkung auf das Alte Testament schon wesentlich ab weicht. Die typische Anordnung
lernen wir sicherer aus einer eigenartigen Gattung von Schriftquellen kennen. Das sind die
sogenannten Tituli, kurze Erläuterungen in Versen, die den Bildern vielfach zugefügt zu
werden pflegten, wie sie Paulinus von Nola (S. 241) in seinen Briefen dem Bischof Severus
von Tours mitteilt, und wie sie der Dichter Prudentius (f 405) in seinem Dittochaeum zu-
sammengestellt hat. Eine andere Serie wird nicht ohne einen Schein von Berechtigung auf
den hl. Ambrosius von Mailand zurückgeführt. Ihnen allen ist gemeinsam, daß die Malerei
aus beiden Testamenten schöpft und antitypische Beziehungen in die Gegenbilder hüben und
drüben hineinzulegen sucht. Diese Gegenüberstellung, die auch für den Osten von Epi-
phanius (f 403) und als Forderung der zeitgenössischen kirchlichen Richtung durch Nilus
Sinaiticus (S. 331) bezeugt erscheint, beruht auf der das christliche Altertum schon früh
beherrschenden Anschauung, daß das Neue Testament im Alten enthalten, d. h. gleichsam
vorgebildet sei (Cyrill von Alexandrien). Den allgemeinen didaktischen Zweck aber, dem
der historische Bildschmuck dienen sollte, spricht Gregor von Nazianz am klarsten aus,
wenn er die Malerei eine „schweigende Schrift“ nennt. Zur lebendigen Veranschaulichung
des gesprochenen und zum Ersatz des geschriebenen Wortes für die Analphabeten hieß die
Kirche die Historien im Gotteshause willkommen. Die ersten Ansätze dieser Entwicklung
reichen wohl bis in frühchristliche Zeit zurück. Das erwachende historische sowie das typo-
logische Interesse spiegelt sich schon in der jüngeren Typenschicht des sepulkralen Bilder-
kreises (S. 85). Andrerseits nahmen, wie in diesem, so auch in der neutestamentlichen Folge
des kirchlichen Bildschmucks die Wunderszenen anfangs sicher den breitesten Raum ein, wie
noch die Tituli eines Claudian im 5. Jahrhundert erkennen lassen. Im allgemeinen aber
bildete doch schon im 4. Jahrhundert eine gleichmäßigere historische Auswahl die Regel.
Die älteste von Prudentius überlieferte Folge von 24 alt- und ebensovielen neutestamentlichen
Bildern, ungerechnet die Glorie des Herrn (bzw. die unzuverlässig überlieferte Anastasis),
enthält weniges, was nicht auch sonst in der Kunst des 4. und 5. Jahrhunderts belegt wäre.
Aus dem Alten Testament bietet sie außer den Stammeltern, Kain und Abel und den Haupt-
momenten der Geschichte Noahs, Abrahams und Josephs vier Moses- und eine Josuaszene,
die Taten Simsons und Davids, und als Abschluß Hiskias Reue (S. 285). Der neutesta-
mentliche Zyklus umfaßt bereits die Geburtslegende, Taufe und Heilungswunder, Leiden und
Auferstehung des Herrn mit Anschluß des Martyriums des Stephanus und der Visionen des
Petrus und Paulus. Die unvollständig erhaltenen ambrosianischen Tituli erläutern einen
ziemlich abweichenden Bestand von 17 alt- und 4 neutestamentlichen Bildern. Andere Nach-
richten beweisen, daß in den großen Basiliken die Auswahl eine noch viel reichere sein
konnte. So war in der lateranensischen Basilika auf beiden Langwänden gewissermaßen die
zusammenhängende Geschichte des Heils von Adam bis zum Eintritt des guten Schächers
in das Paradies (als Gegenbild zur Vertreibung des ersten Menschenpaares aus demselben)
PALÄSTINENSISCHER EINFLUSS UND ERWEITERUNG DES LEBEN-JESU-ZYKLUS 339

dargestellt, wenn auch die spätere Überlieferung diesen Zyklus ohne beweiskräftige Gründe
auf eine Stiftung Konstantins d. Gr. zurückführt. Im Laufe des 5. Jahrhunderts aber hat
das antitypische System jedenfalls allgemeine Verbreitung gewonnen und besonders im Abend-
lande festen Fuß gefaßt, wo seine Fortdauer nicht nur in Ravenna (durch die Tituli des
Helpidius Rusticus aus der Zeit Theodorichs d. Gr.) und Rom (im 7. Jahrhundert durch
Beda sowie noch durch die Zyklen Johanns VII. in S. M. Antiqua und des Formosus in
der Peterskirche), sondern auch in der karolingischen Kunst (durch Alcuins Tituli und Er-
moldus Nigellus) bezeugt wird. Gleichzeitig war die neutestamentliche Bilderfolge rückwärts
durch die Vorgänge aus der Kindheit Jesu, nach der anderen Seite aber durch die Passions-
szenen verlängert worden, spiegelt sich doch zugleich mit dem Prinzip der typologischen
Gegenüberstellung auch der erweiterte Bilderbestand bereits in Frühwerken der Kleinplastik
des Orients (S. 138 u. 185). Sowohl die Marienlegende, aus der die ersteren augenschein-
lich geschöpft sind — das bestätigen die Mosaiken von S. Maria Maggiore (S.332) und die
koptischen Fresken in Abu Schennis (s. unten) —, als auch der vielfach wohl schon durch
das Kreuzigungsbild vervollständigte Passionszyklus weisen auf Palästina als Brennpunkt
dieser Entwicklung zurück. Und in der Tat verraten schon die Tituli des Prudentius engsten
Zusammenhang mit der palästinensischen Monumentalmalerei, denn nicht weniger als 8 von
seinen 48 Gemälden haben bestimmte Örtlichkeiten der heiligen Stätten zum Hintergrund
der Handlung, so z. B. der Tod des Judas den uns aus den Pilgerberichten bekannten Fried-
hof auf dem Blutacker, oder die Überschreitung des Jordan das öfters in diesem erwähnte
Steinmal (S. 281). Aber diese starke Anteilnahme an den geschichtlichen Vorgängen mußte
auch zuletzt den beengenden Rahmen der antitypischen Anordnung sprengen. Wiederum von
Palästina nimmt noch vor Mitte des 5. Jahrhunderts eine neue Strömung ihren Ausgang,
die darauf abzielt, den alttestamentlichen Bildstoff aus dem Langhause oder doch vom Haupt-
schiff auszuschließen und dafür den vollständigen christologischen Zyklus einzusetzen. Sie
hatte damals bereits Konstantinopel erreicht; so umfaßte bereits der von Pulcheria gestiftete
Mosaikschmuck der Blachernenkirche (S. 228) eine aus den Szenenfolgen der „Niederkunft
der Gottheit“, der Wunder Christi und seines Ausganges „bis zur Herabkunft des Heiligen
Geistes“ bestehende Bilderreihe. Aus dem Anfang des 6. Jahrhunderts aber steht uns noch
in S. Apollinare Nuovo in Ravenna (s. Teil II) ein Zyklus vor Augen, der einerseits die
Lehr- und Wundertätigkeit des Herrn, auf der anderen Seite aber die Ereignisse der Passion
schildert und eine dem jakobitischen (altpalästinensischen) Ritus entsprechende Illustration
zu den Perikopen der Fastenzeit bis zum Ostersonntag bildet. Tritt darin unverkennbar der
Anschluß der Wandmalerei an die Miniatur zutage, die schon in der alexandrinischen Welt-
chronik (S. 287) eine das gesamte Herrenleben begleitende Bilderfolge besaß, so ist die Kom-
position einzelner Szenen zweifellos aus den Zeremonialbildern verschiedener Heiligtümer
Palästinas geschöpft.
Die historisierende Richtung der altchristlichen Kunst war bereits in der konstantinischen
Zeit soweit erstarkt, daß sie seitdem auch auf die Apsis und wahrscheinlich auch auf die
Kuppel Übergriff. Den Anstoß dazu gab der Kult der heiligen Stätten. Palästina wurde
der Herd einer künstlerischen Bewegung, welche auf die Ausgestaltung der bedeutsamsten
neutestamentlichen Ereignisse zu monumentalen Zeremonialbildern hinarbeitete. Davon blieb
nicht nur das Alte Testament ausgeschlossen, — in der Hauptsache erhielten nur die besonderen
lokalen Erinnerungen, die sich an die Heiligtümer Jerusalems, Bethlehems, Nazareths und
anderer Wallfahrtsorte knüpften, einen erhabenen bildlichen Ausdruck. Einzelner Mosaiken
22*
340 BILDTYPEN DER DENKMALSKIRCHEN PALÄSTINAS AUF DEN AMPULLEN

in den dortigen Kirchen


gedenken schon ältere Pil-
gerberichte. Vom 9. Jahr-
hundert ab aber besitzen
wir viel ausführlichere Be-
schreibungen, die sich zum
Teil auf dieselben, damals
noch erhaltenen Denkmäler
beziehen. Das geht aus
einer anderen noch wichti-
geren Gattung von Zeug-
nissen hervor, durch die
uns zugleich eine allgemeine
Vorstellung der Komposi-
tionen vermittelt wird, so
Abb. 306. Anbetung der Hirten und unansehnlich auch die Bild-
Magier, Taufe Christi, Kreuzigung werke erscheinen, denen wir
und Auferstehung, Himmelfahrt, sie verdanken. Im Dom-
palästinensische Ölampullen
in Monza (Dom) und Berlin (Kaiser- schatz zu Monza werden
Friedrich-Museum). eine Anzahl von vergoldeten
Ölfläschchen (Ampullen)
bewahrt, der Überlieferung nai ein Geschenk des Papstes
Gregor I. an die longobardische Königin Theodolinde. Sie
verraten durch Inschriften, wie „Öl vom Holze des Lebens“,
„Segen der hl. Stätten“ u. a. m. ihre palästinensische Her-
kunft. In flachem gepreßtem Relief tragen sie, teils eine, teils
mehrere Bildkompositionen oder aber das unter einer Arkade,
— diese soll einen Baldachin (S. 329) bezeichnen, — errich-
tete Kreuz, wie es auch den Hals der übrigen Ampullen
schmückt (Abb. 306), umgeben von den Brustbildern der zwölf
Apostel. In jenen Darstellungen dürfen wir Kopien von
Mosaiken erblicken, die den Heiligtümern angehörten, bei
deren Besuch die Ampullen als Erinnerungszeichen, gefüllt
mit dem Öl der dort brennenden Lampen, ausgeteilt zu wer-
den pflegten. Die größeren Fläschchen mit bis zu sieben
Szenen werden Besuchern aller oder mehrerer Kirchen Palä-
stinas zu dem gleichen Zwecke gedient haben. Beziehen sich
doch die Bilder auf diejenigen Ereignisse, deren Gedächtnis
an den gefeiertesten Kirchen des hl. Landes haftete. Außer
der Kreuzigung und Auferstehung (S. 207 u. 247) waren
solche in Jerusalem dem Thomaswunder, der Himmelfahrt
(S. 207 u. 247) und Ausgießung des HL Geistes (S. 208)
geweiht. Das erklärt die unter der Mandorla Christi hervor-
kommende, Strahlen aussendende Gotteshand und die An-
wesenheit Marias als Personifikation der auf Erden zurück-
IKONOGRAPHIE UND KOMPOSITION DER PALÄSTINENSISCHEN MOSAIKEN 341

bleibenden Kirche im Bildtypus der Himmelfahrt. In der Nähe Jerusalems aber lag an der Stätte
der Taufe Christi, die eine neuerdings in Ägypten gefundene gleichartige Ampulla (Abb. 306) am
vollständigsten wiedergibt, die Kirche am Jordan (S.192). An dieVerkündigungund Heimsuchung
gemahnten die von den Pilgern erwähnten Kirchen Nazareths (S. 209), an die Geburt des Herrn
die konstantinische Basilika von Bethlehem (S. 208). Schon die hl. Helena soll deren Fassade mit
einem die Anbetung der Magier darstellenden Mosaik ausgeschmückt haben. Das Vorbild
der entsprechenden Ampullentypen haben wir jedoch eher in einem zuerst von russischen
Pilgern erwähnten und vom Griechen Phokas im 12. Jahrhundert näher beschriebenen Mosaik
der Geburtshöhle selbst zu erkennen. Es zeigte unter anderem auch die auf dem Stempel
in den unteren Abschnitt verwiesene grasende Herde. In der eigentlichen Geburtsszene
läßt wieder das Gitter hinter dem Lager Marias auf einen engen Zusammenhang des
Bildes mit jener Erinnerungsstätte (S. 208) schließen. Darnach bleibt kein Zweifel,
daß auch der Grabbau in der Auferstehungsszene bald die Rotunde der Anastasis (S. 247),
bald einen im Innern derselben das Grab umschließenden Überbau (Tegurium) in freier
Wiedergabe bezeichnet. Daß aber solche lokalen Züge tatsächlich in die Mosaiken dieser
Heiligtümer Aufnahme gefunden hatten, verbürgt vor allem der eigenartige Typus der Kreuzi-
gung (Abb.306). Da erblicken wir zwischen den beiden Schächern das Golgathakreuz, zu dessen
Seiten die erlösten Stammeltern knien. Über demselben ist Christus im Brustbilde dargestellt,
und zwar wie in der Regel auf den Ampullen mit langem gescheiteltem Haupthaar und
reichlichem Vollbart. Historische und symbolische Darstellungsweise sind hier miteinander
vermittelt, der Reliquienkult hat im Bilde Berücksichtigung gefunden und gewiß nicht erst
durch die Stempelschneider. Begegnet uns doch sogar im Abendlande das Hauptmotiv des
prunkvollen Kreuzes mit dem Christusbilde darüber schon in einem Apsismosaik von S. Stefano
Rotondo in Rom im 6. Jahrhundert, wo ihm die römischen Märtyrer Primus und Felicianus
als Nebenfiguren zugesellt sind (s. Teil II). Bei diesen und den übrigen Ampullentypen
liegt in der Komposition selbst eine nicht minder deutliche Aussage über die Beschaffenheit
der Vorbilder. Fast durchgängig baut sie sich in symmetrischer, meist in zentraler Anord-
nung auf. In der Doppelanbetung der Magier und Hirten (Abb. 306) steigt sie pyramidal
zur Mittelfigur der in voller Vorderansicht thronenden Gottesmutter empor. In dieser Gestalt,
die auch gesondert ganz ähnlich, umgeben von zwei Engeln als Trabanten, in einem anderen
Stempel wiederkehrt, tritt schon der Typus einer geheiligten Ikone (S. 310), die ihrerseits
vielleicht vom konstantinischen Fassadenmosaik in Bethlehem abstammt, in die Erscheinung.
Mag aber auch die Mehrzahl dieser Mosaiken erst den folgenden Jahrhunderten ihre Ent-
stehung verdanken, wie die fortgeschrittenen ikonographischen Aposteltypen und andere Züge
beweisen, so hat doch die monumentale Ausgestaltung der Szenen und diese ganze Art der
Ausschmückung der Apsiden, Fassaden und Kuppeln wahrscheinlich mit der Bautätigkeit
Konstantins in Jerusalem ihren Anfang genommen. Dadurch wird es verständlich, daß die
Mosaikmalerei in Palästina die ihr gestellten Aufgaben von vorn herein im gleichen repräsen-
tativen Stil zu behandeln lernte, den sie am Bosporus sich im Kaiserpalast für die Kompo-
sitionen feierlicher Staatshandlungen und höfischer Aufzüge (s. Teil II) geschaffen hatte. Die
fortgesetzte Fürsorge der nachfolgenden Kaiser um die heiligen Stätten aber erhielt den
Zusammenhang zwischen der aufblühenden palästinensischen Schule und den byzantinischen
Werkstätten und ließ die erstere bald zum gebenden Teil werden. Dank diesen engen Be-
ziehungen sind die Bildtypen aus den Heiligtümern von Jerusalem nicht nur in die Zyklen
von S. Apollinare Nuovo und der Apostelkirche (S. 339 u. Teil II) übergegangen, sondern
342 DIE KUPPELMOSAIKEN DER RAVENNATISCHEN BAPTISTERIEN

hat noch die mittelbyzantini-


sche Kunst einzelne von ihnen,
wie den Typus des Pfingst-
wunders aus der Zionkirche
(S. 208), bewahrt. Wahr-
scheinlich hatte sogar im
Apsismosaik des Martyrion
selbst (S. 207) eine Kompo-
sition ihr Vorbild, die wir
erst aus viel jüngeren syri-
schen und byzantinischen
Nachbildungen kennen: das
von Konstantin und Helena
gehaltene Kreuz. Dieses
Mosaik dürfte freilich erst
nach der Wiederherstellung
der konstantinischen Basilika
(S. 207) entstanden sein.
Durch das historische
Element wurde die Symbolik
keineswegs aus dem kirch-
lichen Bildschmuck ver-
drängt, vielmehr entwickel-
Abb. 307. Taufe Christi und Apostelchor, Kuppelmosaik des Baptiste-
riums der Orthodoxen (Ravenna). ten sich in ihm mehrere
Gedankenreihen nebenein-
ander weiter, um sich allmählich zu durchdringen. Vom zweiten Viertel des 5. Jahr-
hunderts an werden die Denkmäler von Ravenna, deren Entstehungszeit meist feststeht
oder nur in engeren Grenzen schwankt, unsere zuverlässigsten Führer für die Erkenntnis
dieser ikonographischen Entwicklung und der fortschreitenden Stilwandlung der Mosaik-
malerei. Die syrische Nationalität einer Reihe von Bischöfen und die Beziehungen zum
Kaiserhof von Byzanz brachten die Kapitale Westroms in engste Verbindung mit dem
Kunstschaffen des Ostens. Die Erhaltung der ravennatischen Mosaiken ist zum Teil eine
vollkommene und glücklicherweise auch bei den ältesten eine befriedigende. Wenige alt-
christliche Innenräume bewahren daher noch heute den ursprünglichen Gesamteindruck so
rein wie das Mausoleum der Galla Placidia und das um 450 durch Bischof Neon mit seiner
herrlichen polychromen Wandbekleidung ausgestattete Baptisterium der Orthodoxen (S. 250),
das die frühesten Mosaiken enthält. Das Bild der Taufe Christi (Abb. 307) ist hier in den
Mittelpunkt des Mosaikschmucks erhoben. Es ist noch unberührt von dem strengeren kirch-
lichen Geiste, der aus dem oben angeführten Ampullentypus spricht. Statt der Engel naht
der Jordan selbst in Gestalt eines antiken Flußgottes, den Herrn mit dem Gewände zu
bekleiden. Der Täufer trägt noch das Hirtenkostüm (S. 186). In seiner Linken ist der
gebogene Stab zu denken. Das Stabkreuz mag bei einer Restauration daraus entstanden
sein, durch die auch die Schale hineingekommen und die Erscheinung des Herrn, die wir
uns jugendlich vorzustellen haben, verändert worden ist. In den Einzelheiten vertritt das
jüngere Mosaik des Baptisteriums der Arianer aus der Zeit Theodorichs d. Gr. (Abb. 308)
SPIEGELUNG DER LITURGISCHEN ALTARSYMBOLIK IN DIESEN MOSAIKEN 343

die ursprünglichere
Auffassung, während
es an künstlerischer
Vollendung weit zu-
rücksteht. Eine Neue-
rung ist dort nur die
Staunen und Furcht
ausdrückende Gebärde
des J ordan, die in einer
Freske in Bawit (siehe
unten) noch gesteigert
wird. Das Mittelfeld
umschließen in S. Gio-
vanni in Fonte zwei
Zonen, in denen eine
radiale Einteilung zu-
erst mehr angedeutet
und sodann in rhyth-
mischer Gliederung
durchgeführt ist. Die
innere Darstellung
wird durch die äußere
ergänzt, sie ist ohne
diese nicht zu ver-
stehen. Nur durch
breite Pflanzenkan- Abb. 308. Taufe Christi und Apostelchor, Kuppelmosaik des Baptisteriums
der Arianer (Ravenna).
delaber geschieden,
schreiten in jener die zwölf Apostel, Kronen auf verhüllten Händen tragend, heran, und es
ist von Bedeutung, daß sich die Züge, deren Spitze Petrus und Paulus bilden, in der Fort-
setzung der Mittellinie des Taufbildes trennen und wieder begegnen. Als die ersten Täuf-
linge und Nachfolger Christi bringen sie den ihnen zuteil gewordenen Ehrenpreis dem Herrn
dar. Aber in unmittelbarer Beziehung zum Taufbild können sie gerade deshalb doch nicht
stehen. Es ist vielmehr der in apokalyptischer Herrlichkeit erhöhte Christus, dem sie huldi-
gen, — das macht ein vergleichender Blick auf das Mosaik des jüngeren Baptisteriums klar.
Da ist mitten in ihre Schar der kreuzüberhöhte Thron mit dem Sudarium (S. 331) hineingestellt.
Er befindet sich über dem Taufbild, so daß die Taube gleichsam von ihm auf das Haupt des jugendlichen
Christus sich herabzulassen scheint. Also muß der Sinn des Symbols sich zum Sinnbild der dreieinigen
Gottheit erweitert haben. In der Tat erblicken wir noch im 5. Jahrhundert in einer Mosaiklünette von
S. Prisco in Capua Vetere auf dem Throne, den die Evangelistensymbole des Adlers und Engels umgeben,
nicht nur die apokalyptische Rolle, sondern auch die Taube, die auf seiner Lehne ruht. Was diese Bedeu-
tungsentwicklung hervorgerufen hat, darüber gibt wiederum die äußere Zone des Kuppelmosaiks von
S. Giovanni in Fonte den besten Aufschluß (Taf. XVI u. Abb. 307). Viermal kehrt darin in halbdekorativer
Architekturdarstellung die Idealansicht des Altarraums einer Basilika mit dem Altartisch wieder, auf dem
stets das mit dem Namen eines der Evangelisten bezeichnete Evangelium liegt. Daneben stehen prunkvolle
Sessel. Ihre Bedeutung erschließt sich uns aus der ebenso oft wiederholten zweiten Komposition derselben
Zone, deren Mitte allemal ein Bischofsthron einnimmt, wie die mit einem Perlenkreuz verzierte Lehne, vor
allem aber der Parallelismus mit dem Altar unzweifelhaft macht. Zwischen den seitlichen Säulenstellungen,
344 DEKORATIVE ARCHITEKTURFRIESE DES CHRISTLICHEN MONUMENTALSTILS

die durch Brüstungen gesperrt sind, schweift der Blick hier ins Freie, wo auf einem Gartenplatz Pflanzen
aufwachsen. Daß die gesamte Einrichtung des Altarraumes in die Darstellung Eingang gefunden hat, ist
nur aus ihrer liturgisch-symbolischen Ausdeutung zu verstehen. Den apokalyptischen Thron des jüngeren
Mosaiks vertritt im älteren Baptisterium sein irdisches Abbild, die Kathedra und der Altartisch, weil im
Orient in der üppig aufschießenden liturgischen Symbolik deren Wurzeln wahrscheinlich bis in den Kreis
eines Cyrill von Jerusalem zurückreichen, dem Bischofsstuhl mit dem zugehörigen Altar die mystische
Bedeutung des göttlichen Thrones beigelegt zu werden pflegte. In den Nebenthronen des Mosaiks haben
wir demgemäß die Sitze der Priester zu erkennen, welche wiederum auf die Throne der Beisitzer des Herrn
bei seiner Wiederkunft, der Apostel, bezogen wurden. Seit aber die Lehre von der Dreieinigkeit im christ-
lichen Dogma durchgedrungen war, dachte man sich mit dem durch das Evangelium verkörperten Christus —,
in der alten Kirche herrschte der Brauch, das letztere auf der Kathedra aufzustellen, — auch den Hl. Geist
auf dem Throne der Herrlichkeit vereint. Die Rückwirkung dieser Symbolik macht sich bereits in den
beiden ravennatischen Mosaiken und im Mosaik von Capua in verschiedener Weise geltend.
So vereinigen sich im Baptisterium der Orthodoxen historische, repräsentative und
symbolisch-dekorative Elemente zu einer Gedankeneinheit und zugleich zu einem überaus
harmonischen Aufbau des Mosaikschmucks, in dem das tiefe Blau den Grundton für den
Goldglanz der Architekturen und des Akanthus und für die hellen und farbigen Gewänder
abgibt. Das Mosaik bedeckte auch die Bogenfelder und Zwickel über der plastischen Deko-
ration der Stuckreliefs (Taf. XVI) und die der untersten Bogenstellung. In das reiche
Rankenwerk, das sie füllt, sind an letztgenannter Stelle karyatidenartige Apostelfiguren, deren
Individualität unbestimmt bleibt, eingefügt.
In feierlicher Prozession, aber lebhaften Schrittes, bewegen sich die Gestalten der
Apostel in den ravennatischen Kuppelmosaiken, den Beschauer anblickend, gelegentlich auch
einmal sich zum Hintermanne zurückwendend und nur am Ausgangspunkte in Frontansicht
stehen bleibend. Die ikonenhafte Frontstellung der Figuren beherrscht hingegen ein kaum
viel jüngeres Denkmal, das sich zum Vergleich mit dem architektonischen Friese von S. Gio-
vanni in Fonte darbietet. Leider ist nicht viel mehr als dieser äußere Streifen von der Mosaik-
bekleidung der Kuppel von Agios Georgios in Saloniki erhalten, und überdies ist er durch
eine ganz grobe Restauration in Farbe stellenweise arg entstellt. Er zerfällt in sechs Ab-
schnitte, deren jeder ein zweistöckiges Gebäude mit vorspringenden Flügeln einnimmt (Abb.309).
Zu den Seiten und manchmal auch vor dem Mittelbau stehen zwei oder drei heilige Oranten,
die Mehrzahl derselben in die Pänula der Priestertracht gekleidet, deren dichtes Gefälte ein
frei symmetrisches Linienspiel erzeugt. Ihre Namen sind in kurzen Beischriften, gefolgt von
einem Monatsnamen, enthalten. Dieser monumentale Kalender berücksichtigt überwiegend
Heilige der vorkonstantinischen Ära, was immerhin für zeitige Entstehung des Mosaiks spricht.
Aber es weht darin schon der Geist einer Zeit, die das allegorische Element auch im Monats-
zyklus durch das kirchliche zu ersetzen trachtet. Und doch ruft er uns unwillkürlich durch
die architektonischen Umrahmungen die Miniaturen des Chronographen vom Jahre 354 n. Chr.
(S. 286) ins Gedächtnis. Die dekorativen Gebäude der Kalenderbilder erscheinen wie ein
der Wandmalerei entlehntes System, das die Vorstufe der Architekturfriese von Saloniki und
Ravenna darstellt. Es ist ein Ableger des hellenistischen Stammtypus der Wanddekoration
so gut wie die wirkliche oder nachgeahmte Wandvertäfelung der christlichen Bauten des
konstantinischen Zeitalters (S. 314). Die im vierten pompejanischen Stil entwickelten, so
üppigen Prospekte und Innenansichten waren in letzter Linie auch nur reichere Spielformen
einer einfacheren Scheinarchitektur, die in der hellenistischen Bühne ihre eigentlichen Vor-
bilder hatte. So weit weist die typische Dreiteilung des von zwei vorstehenden Nebenräumen
umflügelten Gebäudes zurück. Für die Umgestaltung des Architekturstils in der spätantiken
LANDSCHAFTLICHE SZENERIE IM KIRCHLICHEN BILDSCHMUCK 345

Abb. 309. Architektonischer Kalenderfries, Kuppelmosaik von Agios Georgios (Saloniki).

Malerei und im Mosaik gewannen aber gewisse neue Motive alsbald eine hervorragende
Bedeutung. Es kann uns nicht wundern, wenn die Bauformen und die Innenausstattung der
kirchlichen Architektur in jenes ältere System eindrangen. Das Mosaik von Saloniki geht
in der Ausgestaltung des Gebäudes noch über das ravennatische hinaus, bewahrt darum
aber auch nicht mehr dessen schlichte Klarheit. Der Mittelraum ist immer als ein von einer
Konche bedeckter Pavillon gestaltet, unter dem sich der Altartisch, ein Brunnen oder ein
anderes kirchliches Gerät befindet. Bald glauben wir von außen in eine durchbrochene
Apsis, bald von innen in eine Nische hineinzusehen. Der Oberbau steht damit in der Regel
ebensowenig in Einklang. Unzweifelhaft ist nur die Absicht des Mosaizisten, unserer Phan-
tasie kirchliche Räumlichkeiten vorzutäuschen. Die Zierglieder derselben verraten in der
Verwendung von edelsteingeschmückten, neben kannelierten und gebrochenen Spiralsäulen
und Rundgiebeln, Muschelkonchen und reichen ornamentalen Friesen den Geschmack für
prunkvolle Formen. Den Abschluß in der Gestaltung solcher Idealansichten des Heiligtums
aus Elementen der Wirklichkeit bezeichnen die älteren, von griechischen Inschriften beglei-
teten Teile der Langhausmosaiken der konstantinischen Basilika von Bethlehem (s. Teil II),
wo auch die Kuppel- und äußere Dachbildung über den Durchblicken ihre Wiedergabe
gefunden hat und sogar noch in höherem Grade den Charakter der architektonischen Perspek-
tive bewahrt, während die Säulenstellungen in der Art der Kanonesarkaden der Handschriften
zur Umrahmung von Schriftkolumnen dienen. Darunter erblicken wir jedoch wie in Ravenna
und Saloniki das auf dem Altar ruhende Evangelium. Und, wie am erstgenannten Ort, sind
diese Bildarchitekturen von Pflanzenkandelabern umgeben. Haben auch die letzteren hier
346 DIE MOSAIKEN DES SOG. MAUSOLEUMS DER GALLA PLACIDIA

schon die unter sassanidischem Einfluß in Antiochia aufkommende unorganische Stilisierung


(S. 269) angenommen, so entstammen sie doch als Motiv wiederum einer hellenistischen
Dekoration, die noch weit in die christliche Kunst hinein fortlebt. Der antiken Landschafts-
malerei hat diese außer den Jagdszenen und dem Seegenre auch die Gartenbilder entlehnt.
Und daß diese echt alexandrinische Gattung in Syrien ebenso beliebt war, beweist noch das
Zeugnis des Chorikios von Gaza, der in der Sergioskirche einen von Apsis zu Apsis fort-
laufenden Fries beschreibt. Von Vögeln belebte Fruchtbäume waren daselbst wie an Wegen
entlang gereiht. Die christlichen Denkmäler bewahren zwar nirgends mehr ein Ganzes dieser
landschaftlichen Szenerie, sondern höchstens einzelne Elemente in den Pavimenten (S. 317),
aber eine gewisse Anschauung davon vermitteln uns ältere Aufnahmen der Mosaiken der großen
Moschee von Damaskus aus dem 7. Jahrhundert, die leider größtenteils dem Brande von
1893 zum Opfer gefallen sind.
Mit dem Erstarken des palästinensischen Einflusses verschwinden die profanen Motive
mehr und mehr aus dem Monumentalstil. Die Figurenkomposition duldet nur soviel szenisches
Beiwerk, als in die Bildsymbolik völlig eingeht. So verschieden aber auch die Bestimmung der
altchristlichen Baudenkmäler erscheint, wiederholen sich doch in ihrem Bildschmuck die
gleichen Gedankengänge. Im sogen. Mausoleum der Galla Placidia in Ravenna (S. 252) ist
ihre Auswahl und Anordnung der Grabkirche angepaßt. In diesem einzigartigen Raume
fühlen wir uns so unmittelbar in jene Zeit versetzt, von ihrem religiösen und ästhetischen
Empfinden so nahe umweht, wie sonst nirgends (Abb. 310). Daß der kreuzförmige Anbau der
Basilika S. Croce (S.252), der erst in verhältnismäßig später Zeit den Namen des Märtyrer-
paares S. Nazaro e Celso führt, als Grabstätte für Mitglieder der kaiserlichen Familie aus-
ersehen war und auch gedient hat, scheinen die Mosaiken selbst zu beweisen, mag seine
Entstehung und Ausschmückung auch nach der Lebenszeit der Galla Placidia fallen, ja man
wird ihn noch möglichst nahe an die Mitte des Jahrhunderts heranrücken wollen, wenn man
dem Stil der Bilder Rechnung trägt. Er ist noch durchsetzt von Zügen antiker Tradition,
wenn auch völlig beherrscht von dem auf Pracht der Farbe gerichteten neuen Geschmack.
Der tiefblaue Ton des Mosaikgrundes umfängt alle Flächen und Wölbungen oberhalb der strahlenden,
rötlich gelben Stuckbekleidung der Wände, die heute die ursprüngliche Marmorvertäfelung ersetzt. Im
westlichen Kreuzarm, durch den man die Kapelle betritt, und im gegenüberliegenden breitet sich darüber
ein aus goldnen und farbigen Sternen bestehendes Kreismuster einem kostbaren Stoffbelag vergleichbar aus.
Diesseits bildet eine üppige Fruchtgirlande den Abschluß, während der entgegengesetzte und die seitlichen
Tragebogen durch einen plastisch aufgefaßten Mäander und ein Gitterornament hervorgehoben werden.
Ein leichtes Band flattert in Rankenwindungen an den Schildbogen der Obermauer empor, zwischen die
sich die Zwickel der goldgestirnten Hängekuppel herabsenken. Hier ruhen auf Wolken die Evangelisten-
symbole, im Scheitel des Gewölbes aber erscheint das strahlende Kreuz (S. 326). Dorthin blicken auch die
Apostel empor, die paarweise an jeder der vier Wandflächen einander in fiktiven Muschelnischen gegenüber-
stehen, unter ihnen Petrus und Paulus in scharf ausgeprägtem Typus. Die Verquickung der Muschel mit
dem Adlerkopf mit ausgebreiteten Flügeln, neben dem Perlenkränze herabhängen, weist auf den kleinasiatisch
antiochenischen Kunstkreis (S. 110) zurück. Das viermal wiederholte Sinnbild der trinkenden Tauben, das
uns wie ein antikes Stilleben anmutet, macht den Gedankenzusammenhang der Darstellungen noch klarer.
Es ist das Wasser des ewigen Lebens, von dem die Apostel getrunken haben und nach dem die Verstor-
benen dürstet. Auf diese nehmen die symbolischen Gruppen in den Bogenfeldern der beiden seitlichen
Kreuzarme Bezug, wo wir zwei Hirsche auf einen Brunnen zuschreiten sehen (Psalm 41, 2). Dem um-
rahmenden Blattwerk des Wasserspiegels entwachsen symmetrische Akanthusranken und ebensolche Wein-
ranken, in die — wohl um die Zwölfzahl der Apostel zu ergänzen — jedesmal eine karyatidenähnliche
Gewandfigur mit Schriftrolle eingestellt ist, steigen in den anschließenden Quertonnen von beiden Seiten zu
dem umkränzten Monogramm im Scheitel auf (Abb. 310). Die in der Hauptachse des Raumes liegenden
IKONOGRAPHISCHER UND STILISTISCHER CHARAKTER DES BILDSCHMUCKS 347

Abb. 310. Sog. Mausoleum der Galla Placidia (Ravenna), Durchblick nach Osten.

Bogenfelder der anderen beiden Kreuzarme sind durch zwei bedeutsamere Kompositionen ausgezeichnet.
Über dem Eingänge sitzt in felsiger Landschaft der Gute Hirte im Purpurgewande mit goldenem Stabkreuz
in der Linken inmitten seiner Herde (Taf. XX, 2). Er liebkost das neben ihm stehende Lamm, die übrigen
Tiere umgeben ihn in frei symmetrischer Gruppierung. Ähnliche Darstellungen kannte schon die ältere
sepulkrale Malerei (Abb. 50). Auch entspricht die blühende Schönheit des langlockigen Jünglingskopfes
noch ganz der hellenistischen Auffassung des Heilands (S. 90 u. 110). Aber das Purpurkleid und das
Kreuzeszepter sind aus den feierlicheren kirchlichen Repräsentationsszenen in das Hirtenidyll eingedrungen,
dessen mystischer Sinn sich dadurch dem andächtigen Beschauer tiefer einprägt. Das Gegenbild stellt uns
den Märtyrer Laurentius vor Augen, dem das theodosianische Kaiserhaus seit Galla Placidia (S. 249)
besondere Verehrung entgegenbrachte, wie er auf dem Wege zum Flammentode, das mächtige Stabkreuz als
Siegeszeichen des Martyriums und das offene Evangelium in Händen tragend, dahingeht. Ein geöffneter
Schrein, in dem wir vier mit den Namen der Evangelisten bezeichnete Bücher erblicken, sagt uns zum Über-
fluß, daß es der geistige Besitz des christlichen Glaubens ist, den er als Diakon verwaltet hat und für den
er Zeugnis ablegt. So waren auch in S. Maria Maggiore zu Füßen der Märtyrer die Marterwerkzeuge
348 DARSTELLUNGEN VON MARTYRIEN IN DER WANDMALEREI

eines jeden dargestellt (S. 337). Die begeisterte Hingabe des Lebens, nicht den grausamen Vorgang
der Hinrichtung hat die Malerei des 5. Jahrhunderts in solchen Bildern zur Anschauung bringen wollen.
Gleichwohl spüren wir in diesem Heiligenbilde den neuen kirchlichen Geist noch stärker als im Sinnbilde des
Guten Hirten.
Die Mosaiktechnik spricht im Mausoleum der Galla Placidia in ihrer breiten und weichen
Formengebung noch immer die Sprache der Malerei. Eine reiche Skala von Halbtönen ver-
mittelt die Übergänge zwischen Lichtern und Schatten sowohl in der Gewandbehandlung
wie in der Modellierung der Köpfe. Durch dunkle Linien werden nur die Faltentiefen oder
straffgespannte Züge des Stoffes hervorgehoben. An den nackten Teilen gibt der Kontur
vollends nur den Randschatten wieder. Selbst der auf ziemlich nahe Sicht berechnete Kopf
des Guten Hirten schließt sich in seiner illusionistischen Zusammensetzung aus wenigen un-
gleich geformten Farbenflecken noch ganz der Technik der Mosaiken von S. M. Maggiore
in Rom an. Die Sitzweise der Gestalt und die Stellung einzelner Fämmer verrät noch eine
gewisse Herrschaft über die Verkürzung. Ein schematisierender Zug macht sich hingegen
bereits in der Wiedergabe der landschaftlichen Formen bemerkbar. Und während der Grund
des Bildes durch die Anwendung des Himmelsblau von der dekorativen Auffassung der
übrigen Darstellungen abweicht, sind die belichteten Flächen des Gesteins und die Lichter
der Pflanzen ganz so wie die Akanthusranken und die Muschelnischen dort durch Gold auf-
gehellt. Wunderbar leuchten auch die weißen und lichtblauen Gewänder der Apostel aus
dem tiefen Blau des Grundes hervor. In diesem gesteigerten dekorativen Kolorismus, in dem
stilisierten Aufbau der Felslandschaft und wohl auch im Festhalten am antiken Christus-
ideal beginnt innerhalb des allgemeinen syrisch-hellenistischen Hauptstromes, in dem die Stil-
verwandtschaft der ravennatischen Mosaiken mit denen des Baptisteriums von Neapel und
mit den römischen ihren Grund hat, eine neue Oberströmung sich bemerkbar zu machen,
deren Ursprung im byzantinischen Geschmack zu suchen ist. Wenn sie noch so schwach
erscheint, so findet das seine naheliegende Erklärung darin, daß im 5. Jahrhundert die monu-
mentale Malerei auch in Byzanz noch mehr als die Plastik (S. 174 ff.) im Banne der füh-
renden syrisch-palästinensischen Kunst stand. Der Kaiserhof von Ravenna aber hat die
künstlerischen Kräfte für seine Unternehmungen wohl in erster Linie vom Bosporus bezogen.
Die Denkmäler Ravennas bieten daher vollgültigen Ersatz für die untergegangene gleich-
zeitige byzantinische Kunstblüte. An Pracht und Umfang wurden sie gewiß noch von den
Schöpfungen der oströmischen Kaiser übertroffen, an harmonischer Wirkung ist ein höherer
Triumph der Farbe kaum möglich als im schlichten Bau des ravennatischen Mausoleums,
das ihr Schimmer wie mit einem Abglanz himmlischer Herrlichkeit erfüllt.
Die altchristliche Malerei übte keineswegs immer die gleiche Zurückhaltung in der
Darstellung des Martyriums der Heiligen wie hier. Auch das einzige erhaltene Beispiel
eines solchen Bildes in der Casa Celimontana (Abb. 68) reicht noch nicht an die Berichte
mancher Kirchenväter über die von ihnen gesehenen Gemälde heran, in denen die Kunst
bereits in realistischer Ausmalung aller Grausamkeiten schwelgte. Gregor von Nyssa beschreibt
die an den Wänden oder im Fußbodenbelag einer Basilika bei Amaseia dargestellte Zer-
fleischung des Theodoros Tiron, Prudentius die Erdolchung des nackten und gebundenen
Cassianus durch seine Schüler, eine Szene, die sich bis in die mittelalterliche Illustration
seiner Dichtung (S. 306) forterbt, und andere Martyrien. Die Wandmalerei folgte darin
nur dem Vorgänge der Tafelmalerei, welche in der ausführlichen Wiedergabe der Feiden der
Heiligen dem Beschauer nichts ersparte. Auf einem Leinwandbilde in Chalkedon, das in
EINDRINGEN DER HEILIGENPORTRÄTS AUS DER TAFELMALEREI 349

vier Szenen das Martyrium


der hl. Euphemia behan-
delte, sah man nach der
Beschreibung des Asterios
von Amaseia (f 410), wie
die Henker der Märtyrerin
die Zähne ausschlugen, und
zuletzt den brennenden
Scheiterhaufen mit der Ge-
stalt der Betenden.
Auf den Einfluß der
Tafelbilder ist auch das
Eindringen der Märtyrer-
porträts als ältester Hei-
ligenbilder in den Bild-
schmuck der Kirche zu-
rückzuführen (S. 186). An-
fangs vielleicht nur frei auf-
gestellt oder in die Wand
eingelassen, wurden sie als-
bald durch die Wandma-
lerei nachgebildet und end-
lich in das Mosaik über-
tragen. Mit der Aufnahme
der Porträts Lebender in
die Kirche, wie es z. B.
Abb. 311. Erzengel und Evangelistensymbole, Christus-, Apostel- und
Paulinus von Nola von Heiligenporträts, Gewölbmosaik der Erzb. Kapelle (Ravenna).
sich selbst bezeugt, hängt
es noch aufs engste zusammen, wenn die Schüler des Epiphanius in Cypern das Bild-
nis des Heiligen in einem eigens zu seinem Gedächtnis errichteten Bau anbringen ließen.
Der Fall, daß eine ganze Anzahl Lokalheiliger im Mosaikschmuck einer Kapelle vereint
erscheinen, steht uns noch im Oratorium des hl. Victor (S. Satiro) in S. Ambrogio zu Mai-
land vor Augen. Während das von einem Kranz umgebene Brustbild dieses Märtyrers vom
Gewölbe herabblickt, in dessen Zwickel sich die Profilköpfe der Evangelisten in reliefartiger
Wiedergabe verteilen, sind an den Seitenwänden die Bischöfe Ambrosius zwischen Gervasius
und Protasius, deren Reliquien der erstgenannte in die Kirche übergeführt hatte, und Maternus
inmitten des von ihm beigesetzten Märtyrerpaares Felix und Nabor in Vollgestalt dargestellt.
Und während ihre ganze Erscheinung schon eine Abschwächung plastischer Anschauungs-
weise verrät, ist in der scharfen Zeichnung der Köpfe ein hoher Grad individueller Charak-
teristik erreicht. Bei solchem Bemühen um unmittelbare Lebenswahrheit fehlt hingegen noch
das Symbol der Heiligkeit, — der Nimbus. Der Stil dieser Mosaiken läßt trotz der gröberen
Technik auf ihre Entstehung im 5. Jahrhundert schließen. Auch findet das Nischenmotiv
hier in ähnlicher Form wie im sogenannten Mausoleum der Galla Placidia Verwendung. In
Ravenna tritt das porträthafte Element wiederum besonders stark in einem Denkmal hervor,
das auch zu dem letzteren manche Beziehungen ikonographischer Art aufweist: die Kapelle
350 HERVORTRETEN DER BYZANTINISCHEN STILRICHTUNG IN RAVENNA

des erzbischöflichen Palastes, — die sicher mit Unrecht den Namen des Petrus Chrysologus
trägt. Ein zweifellos dem Bau zugehöriges, wenngleich nicht im Verbände desselben auf-
gefundenes Pilasterkapitell mit Evangelistensymbolen bietet nur den ersten Namen, diesen
führten aber nicht weniger als vier ravennatische Bischöfe. Der Akanthusschnitt desselben
rechtfertigt im Einklänge mit dem Stil der Mosaiken am ehesten die Zuweisung an den
dritten von ihnen. Ein Denkmal vom Ende des 5. Jahrhunderts, seiner Lebenszeit, haben
wir allem Anschein nach vor uns, aber ein unvollständiges.
Von dem Mosaikschmuck der beiden erhaltenen Räume ist im hinteren kleineren Gemach nur noch
ein Rest des reichen Gewölbemusters, das Vögel zwischen kreuzförmigen Blütenrosetten enthält, und die
obere Hälfte eines einzigartigen Christusbildes an der rechten Schmalwand übriggeblieben. Der jugendliche,
langgelockte, mit der gespangten Purpurchlamys bekleidete Heiland trägt auf der Schulter das Stabkreuz
und hält mit der verhüllten Linken das offene Buch mit monumentalen Schriftzügen empor (Joh. XIV, 6).
Gleichsam als Wegweiser ist er hier aufgefaßt. Im quadratischen Vorraum ist die Wölbung von derselben
Komposition wie in S. Nazaro e Celso eingenommen (Abb. 311), doch haben in ihren Diagonalachsen die
vier Engel der Apokalypse (Offenb. Joh. VII, 1) — sie standen wohl ursprünglich wie die Victorien der
Antike (Abb. 13) auf Kugeln, die durch Restaurationen beseitigt worden sind, — als Träger des Christus-
monogrammes, das an Stelle des Kreuzes getreten ist, Aufnahme gefunden und die Evangelistensymbole
sind nach den Zwischenplätzen verrückt. Den besterhaltenen und wichtigsten Bestandteil der Mosaiken
aber bilden die Porträtschilder der vier Tragebogen des Gewölbes, in denen am vorderen und hinteren jedes-
mal Christus im jugendlichen Galiläertypus (S. 185) zwischen sechs Aposteln, zur Rechten hingegen (zum Teil
restaurierte) Märtyrer und links ebensoviele hl. Frauen mit dem Monogramm inmitten dargestellt sind.
Nicht nur die Form der Umrahmungen und der wiederholt gebrauchte blaue Grund, sondern auch die ganze
Auffassung trägt bildnisartigen Charakter, der in der Beschränkung auf die zumeist in schwacher Drei-
viertelwendung ohne Hände mit fest auf den Beschauer gerichtetem Blick wiedergegebenen Büste zutage
tritt (S. 308). Zudem wird die schärfste Individualisierung angestrebt, der als wirksamstes Ausdrucks-
mittel eine kräftige, aber in ihrer Farbigkeit keineswegs harte Konturzeichnung dient. Wir gehen schwerlich
fehl, wenn wir darin, wie in der rücksichtslosen Charakterzeichnung der jüngeren ravennatischen Sarkophage
(S. 182), den Ausfluß byzantinischen Kunstwollens erblicken. Tragen doch die weiblichen Heiligen, deren
Züge innerhalb des durchgehenden einheitlichen Rassen- und Gesellschaftstypus eine feinere Abwandlung
keineswegs vermissen lassen, das zeitgenössische Hofkostüm, goldgewirktes Obergewand mit Perlenschmuck
am Halse und im Haar und darüber den weißen Schleier. Nur Felicitas ist durch das später gebräuchliche
Gewand der Gottesmutter, wohl die Tracht der gottgeweihten Jungfrauen, ausgezeichnet.
Ein Beispiel der Anbringung von Porträtbildern der Apostel an hervorragender Stelle
bot nach dem Zeugnis eines alten Stiches (von 1690) das untergegangene Triumphbogen-
mosaik von S. Sabina in Rom. Dort waren vierzehn Medaillons um das im Scheitel befind-
liche Brustbild Christi an der Bogenöffnung entlang verteilt, während die typischen Dar-
stellungen der Gottesstädte (S. 324) die Zwickel füllten. Tauben, die von ihnen her der
Mitte zuflogen, ersetzten, wie in Albenga (S. 331), den Lämmerfries, die Porträtschilde die
Vollgestalten der durch die beiden übrigen Evangelisten (oder zwei andere Heilige) erwei-
terten Apostelschar. Unter dem Einfluß des um sich greifenden Heiligenkults gewinnt im
Laufe des 5. Jahrhunderts die ikonenhafte Auffassung in der Monumentalmalerei immer
breitere Bedeutung, wenn auch tiefere, aus dem religiösen Geistesleben entspringende Vor-
stellungen noch das Wachstum der symbolischen Kompositionen bestimmten. Am Triumph-
bogen behauptet die apokalyptische Anbetung ihren Platz, aber die Erscheinung des Herrn
in menschlicher Gestalt kommt hier zugleich mit der Darstellung eines neuen Moments auf.
In S. Paolo fuori le Mura in Rom (Abb. 234) erblicken wir, — wenngleich in einer durch
wiederholte Restaurationen (die letzte und umfassendste nach dem Brande von 1823) sehr
beeinträchtigten Erhaltung, — zum ersten Male die vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse
(Offenb. Joh. IV, 4 u. 10), wie sie dem Herrn ihre Kronen darbringen (die Figuren der
FORTBILDUNG DER APOKALYPTISCHEN BILDSYMBOLIK 351

Hauptapostel sind modern). Auch ist hier nicht mehr das Lamm auf dem göttlichen Thron
dargestellt, vielmehr umgeben die Evangelistensymbole (und zwei wohl später hinzugefügte
Engel) das kolossale Brustbild Christi. Eine von Strahlen durchschossene Aureole schließt
es ein und steigert seine visionäre Wirkung. Aber so wenig im einzelnen auf die Bildung
der Züge Verlaß ist, steht uns darin doch sicher ein ikonenhafter Typus, dem die damalige
Christenheit hohe Verehrung zollte, vor Augen. Ob der Ausdruck fast düsterer Erhabenheit,
den hier das palästinensische bärtige Christusideal mit dem gescheitelten langen Haupthaar
angenommen hat, vielleicht einer Fortbildung desselben durch die altbyzantinische Kunst zu
verdanken sei, läßt sich nicht unbedingt, aber doch mit hoher Wahrscheinlichkeit bejahen.
Denn mit Galla Placidias Hilfe hatte Leo der Große (f 461 n. Chr.) die Ausschmückung
des Triumphbogens der Paulsbasilika durchgeführt. Ein Gegenbeispiel, dessen Entstehungs-
zeit freilich zweifelhaft bleibt, es reiht sich vielleicht erst den jüngeren römischen Denkmälern
verwandten Inhalts (s. Teil II) an — bot die konstantinische Basilika in Neapel (S. 241),
deren Triumphbogen noch im 18. Jahrhundert offenbar an Stelle eines abgefallenen Mosaiks
ein apokalyptisches Wandgemälde trug: Christus auf dem Throne, umgeben von Seraphin und
brennenden Kandelabern, dazu die vierundzwanzig Ältesten. Das Apsismosaik von S. Paolo
ist schon im Mittelalter unter Innocenz III. und seinen Nachfolgern durch byzantinische
Künstler und nach dem Brande von 1823 auf Grund einer kurz vorher angefertigten Zeich-
nung gänzlich erneuert worden. Nichtsdestoweniger mag die Darstellung des von den Apostel-
fürsten und zwei Evangelisten umstandenen Christus auf dem Throne sich im Grundschema
an ein ähnliches altchristliches Vorbild anlehnen, wie es die Altarnische der alten Peters-
kirche schmückte (S. 330). Begegnet uns doch die Komposition der Gesetzesübergabe (bzw.
der Parusie) in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts noch immer als das typische Apsis-
bild in mehreren römischen Kirchen, deren Mosaiken wir teils aus alten Aufnahmen, teils
aus Beschreibungen kennen. Die einfachere Fassung, in der Christus auf dem Paradieses-
hügel steht, war in S. Andrea in Catabarbara vertreten, während er in S. Agatha in Suburra
und in der im Jahre 471 ausgeschmückten Basilika des Junius Bassus inmitten der Apostel
auf der Erdkugel thronte. Weitere Gegenbeispiele für beide Kompositionen boten zum Teil
mit individuellen Zutaten in Ravenna die Petersbasilika und die Kirchen S. Giovanni Evan-
gelista und Sta Agatha (hier schon mit den Erzengeln), während in S. Croce das Taufbild
den bevorzugten Platz einnahm und die Darstellung des Herrn auf dem Paradieseshügel
mit den Hauptaposteln über der Tür ihre Stelle gefunden hatte. Indem das Zeremonialbild
der antiochenischen Kirche allenthalben fast kanonisches Ansehen als Hauptgemälde inner-
halb des Bildschmucks der Basilika erlangte, verallgemeinerte sich sein ursprünglicher
tendenziöser Sinn immer mehr durch Vermischung mit neuen Motiven.
Blicken wir zurück auf die erhaltenen Werke der kirchlichen Mosaikmalerei, so erscheinen
diese wenigen weit zerstreuten und zum Teil verstümmelten Denkmäler nur als spärliche
Trümmer einer überaus fruchtbaren und entwicklungskräftigen Kunstübung zweier Jahrhun-
derte von erstaunlicher Einheitlichkeit. Der durchgehenden Übereinstimmung ihres ikono-
graphischen Darstellungsgehalts steht die Tatsache einer ebenso gleichmäßigen technisch-
stilistischen Entfaltung ihrer Ausdrucksmittel zu einem neuen christlichen Monumentalstil
gegenüber. Wir beobachten, wie das von der Antike überkommene, die malerische Model-
lierung nachahmende Verfahren (S. 322,327 u. 337) mit der fortschreitenden Ersetzung des Stein-
materials durch das farbige Glas mehr und mehr einer vereinfachten Technik Platz macht
(S. 348 u. 350), welche dem letzteren seine besonderen Wirkungen abzugewinnen lernt. Er-
352 TECHNISCH-STILISTISCHE ENTWICKLUNG DER MOSAIKMALEREI

laubt die Leuchtkraft und der Schimmer der Farbe, in diesem Material die Form mit den
Mitteln einer strengeren Linienzeichnung andeutend wiederzugeben, so führt sie auf der an-
deren Seite zu einem Verzicht auf illusionistische Veranschaulichung der konkreten Räum-
lichkeit zugunsten einer abstrakt dekorativen Raumanschauung. Zu den fest umrissenen und
klar gegliederten, nicht aber in greifbarer Körperlichkeit durchgebildeten Silhouetten bilden
die durchscheinenden tiefblauen und die lichterfüllten Goldgründe die notwendige Ergänzung.
Gemeinsam bewirken sie eine Vergeistigung der Erscheinung, wie sie aus dem innersten
Drange der visionären christlichen Phantasie geboren ist und zugleich am vollkommensten
dem Bedürfnis des farbigen Flächenschmuckes dient. Es liegt auf der Hand, daß diese
folgerichtige Stilwandlung sich zuerst in einem mehr oder weniger geschlossenen Kunst-
kreise angebahnt haben muß. Alexandria mit seiner illusionistischen antiken Kunsttradition
ist dieses Verdienst schwerlich zuzuschreiben, zumal die alexandrinischen Motive im kirch-
lichen Mosaikschmuck alsbald zurückgedrängt werden. Viel größer ist die Wahrscheinlichkeit,
daß jene Entwicklung ihren Ausgang von Antiochia nimmt, dessen Typenschatz wir in den
frühesten kirchlichen Mosaikzyklen (S. 322 u. 327) wiederfinden und das im Verein mit Palästina
der gesamten christlichen Welt seit dem 4. Jahrhundert die Zeremonialbilder zum Schmucke
der Apsiden und Kuppeln geliefert hat. Ist doch die Blüte der „Glasbildnerei“ in Nord-
syrien bis in islamische Zeit sowohl in der Literatur wie auch durch die Denkmäler (S. 346)
bezeugt. Antiochenische Mosaizisten werden auch für die Werkstätten im Heiligen Lande
und in Byzanz sowie in Italien die Hauptkräfte gestellt haben, nur so erklärt sich das Fort-
leben derselben ikonographischen Typen in den römischen (S. 324 u. 328) und ravennatischen
(S. 339 u. Teil II) Bilderfolgen. Daß aber in der Folge, besonders in Byzanz (bezw. in den
ravennatischen Mosaiken schon im Baptisterium des Neon, S. 343 u. a. m. S. 350) eine selb-
ständigere Richtung aufkommt, die durch einen schwereren Figurentypus und realistische
Auffassung vor allem der porträthaften Köpfe der altbyzantinischen Plastik artverwandt er-
scheint, kann als Ergebnis der fortschreitenden Entwicklung nicht befremden.
Zugleich mit der Entfaltung des neuen Monumentalstils vollzieht sich eine von Schritt
zu Schritt zu verfolgende Umbildung der malerischen Ornamentik. Der hellenistische Grund-
bestand der Motive, von dem die Gewölbmosaiken von Sta Costanza (S. 322) eine so reiche
Auslese enthalten, behauptet während dieser Zeit noch das Übergewicht über die allmählich
vom Orient eindringenden Elemente, aber die allgemeine Verschiebung des Geschmacks in
der Richtung auf das feierlich Prächtige und Gebundene unterwirft sich auch die ersteren.
Den einfachen klassischen Flachornamenten: dem Mäander, laufenden Hund, den Palmetten-
ranken u. dgl. begegnen wir bis in das 5. Jahrhundert gelegentlich noch in den Umsäumungen
der Bildfelder und Friese (Abb. 301 u. Taf. XX, 2). Der naturalistische Pflanzendekor der
Antike erfährt eine Stilisierung, die den Eindruck des Üppigen und Schweren betont und
sich öfters mit Goldlichtung verbindet. So treten in der Gliederung der Decke an die Stelle ge-
fälliger Blumenkandelaber großblättrige Girlanden und gedrungene Fruchtschnüre (Abb. 298/9
u. 310), mitunter auch als Kranz das Mittelrund im Scheitel des Gewölbes umschließend,
beispielsweise in der von Hilarius (t467) ausgeschmückten Kapelle des Ev. Johannes beim
lateranensischen Baptisterium, in Agios Georgios in Saloniki u. a. m. (Abb.308). Aber auch
der Akanthus dient noch im 5. Jahrhundert dem gleichen Zweck im Aufbau der stützenden
Träger eines laubenähnlichen Gerüstes, nur hat er, mit älteren Beispielen verglichen (Taf. XVI
u. Abb. 291), in demselben Maße wie dieses an Fülle und Gewicht zugenommen. Vollends
erhält sich neben der Weinranke die symmetrisch verzweigte Akanthusranke mit ihren Ein-
DAS ORNAMENT DER MALEREI UND SEINE UMBILDUNG 353

rollungen als typisches Motiv der Flächenfüllungen (Taf. XVI u. XX, 2 und Abb. 296). Von
den Goldgründen hebt sie sich im naturfarbigen Grün wirksam ab, auf dem Blau wird sie
durch Goldlichtung hervorgehoben oder noch öfter das ganze Gebilde in Gold modelliert.
Ihren plastischen Charakter bewahrt die Blattbildung gleichwohl auch in diesem glänzenden
Material, wo nicht etwa der verflachte Rankentypus des Teppichstils der syrischen Pavimente
unmittelbar -übernommen wird (S. 331). Orientalischer Einfluß macht sich in der Aufnahme
der symmetrisch entrollten Weinranke geltend, zumal wenn sie zugleich mit dem Palmbaum
auftritt, wie am Gewölbe der Priscuskapelle in Capua. In reicher Abwechslung mit dem
Akanthus und mancherlei Blütengezweig füllt sie die unlängst freigelegten Zwickelfelder der
Agia Paraskevi (Eski Djuma) in Saloniki, die das einzigartige Beispiel eines rein ornamentalen
Mosaikschmucks der Basilika bieten. Nur im Orient begegnen wir in den wohl schon einer
etwas jüngeren Epoche entstammenden Mosaiken der Geburtskirche von Bethlehem auch dem
malerischen Gegenbeispiel des Palmettenbaumes, wie wir ihn unter sassanidischem Einfluß
bereits in der Dekoration antiochenischer Reliefplastik entstehen sahen (S. 269). Erst später
greift jedenfalls die unorganische Verquickung des Pflanzenornaments mit den technischen
Motiven der orientalischen Goldschmiedekunst stärker um sich, gefördert durch den gestei-
gerten Kolorismus und die Bevorzugung des Goldes in der Mosaikmalerei. Aber schon in
den Mosaiken des 5. Jahrhunderts hat sich aus diesem Formenschatz die typische Borte mit
dem regelmäßigen Wechsel von Edelsteinen in ovaler und rechteckiger Fassung und je zwei
Perlen eingebürgert (Abb. 296 und Taf. XX, 1). Dagegen bleiben ihnen im allgemeinen die
Eiechtbänder und manche anderen Motive des textilen Flachornaments wie das Efeu- (bezw.
Herz)blatt der syrisch-mesopotamischen Kunst noch fremd. Einfache Blütenrosetten tauchen
zuerst in einer Nischenumrahmung der Priscuskapelle (s. oben) auf und schon in reicherer
Zusammensetzung und Verteilung als diagonales Streumuster an den Gewölben des sog.
Mausoleums der Galla Placidia (Abb. 310). Fortan mehren sich die Anleihen bei der Textil-
kunst, denen z. B. auch die Quadrat-, Sechseck- und Kreisnetze an den Nischenleibungen
der Rotonda in Saloniki mit ihren stilisierten Vogelsilhouetten von Enten, Wachteln u. a. m.,
Fruchtmotiven u. dgl. (Abb. 309) zuzurechnen sind.
Daß in der monumentalen Stilbildung der christlichen Malerei etwa seit der Wende
des 4. Jahrhunderts die Mosaiktechnik führende Bedeutung gewinnt, erlaubt die in ihren
Denkmälern erkennbare Entwicklung kaum noch zu bezweifeln. Die ungleich spärlicheren
Überbleibsel der Wandmalerei dieser Epoche bestätigen es vollends und lassen uns den Ver-
lust größerer Freskenfolgen leichter verschmerzen. Unter den seltenen Katakombenfresken
des 5. Jahrhunderts in Rom erscheint eine Gestalt wie die heilige Cäcilia in S. Callisto
(Abb. 36) den Typen der königlichen Frauen im Mosaikenzyklus von S. Maria Maggiore
(S. 336) stilverwandt, d. h. wohl schon von ihnen abhängig. In Syrien haben sich nur
vereinzelte Bruchstücke dekorativer Malerei erhalten, Wasservögel, Weinranken u. a. Pflanzen-
motive darstellend. Die hellenistische Tradition, der sie entstammen, erweist sich durch ihr
Eindringen in den malerischen Schmuck des Ommajadenschlosses Kuseir Amra (s. K. des
Islam) noch nach Jahrhunderten als lebenskräftig. Aber auch die christliche Ikonographie
muß sich in der Wandmalerei des gesamten Landes einer außerordentlich fruchtbaren Pflege
erfreut haben, wie aus den nachwirkenden syrischen Stileinflüssen in den mittelalterlichen
kleinasiatischen Höhlenfresken (s. Teil II) und in der koptischen Kunst hervorgeht. Ägypten
allein aber bewahrt noch einen größeren Bestand von Wandgemälden des 5. bis 7. Jahr-
hunderts, der uns eine klare Vorstellung von der Stilentwicklung der koptischen Malerei
Wulff, Altchristl. u. byzant. Kunst. 23
354 UNTERGEORDNETE BEDEUTUNG DER WANDMALEREI

dieser Zeit gewinnen läßt. Lang-


same Auflösung der antiken Formen-
sprache in primitive Kunstformen
unter gleichzeitiger Aneignung der
syrisch - palästinensischen Bildtypen
gibt ihr wie in der Plastik (S. 143ff.)
das Gepräge. Die Kenntnis dieser
Bildfolgen ist den seit dem Anfang
unseres Jahrhunderts geführten Aus-
grabungen in Bawit, Sakkarah u. a.m.
zu verdanken. Gehören sie auch fast
durchweg nur kleineren kapellen-
artigen Bauten (bezw. Mausoleen)
an, so spiegelt sich doch in ihnen
sowohl der Bildstoff wie das dekora-
tive System des kirchlichen Wand-
schmucks.
Abb. 312. Zeremonialbild (unvollständig) und Davids Kampf
mit Goliath, Wandfresken in Bawit Ein Gemisch verschiedenartiger Ele-
(nach J. Cledat, Le monastere de Baouit 1904). mente weist schon die rein ornamentale
Dekoration des Sockels, der Wandfläche
und des Deckenbelags auf. Wie Bruchstücke des letzteren (besonders aus Abu Girgeh in der Mareotis)
bezeugen, blieben an dieser Stelle die hellenistischen Polygonalmuster (S. 318) beliebt, in denen einzelne
größere Felder Fruchtmotive, Fische, Vögel u. dgl., die kleineren meist Blattwerk enthalten. Gele-
gentlich greift diese Art Ornamentik auch auf die Wand über. Öfter aber ahmt die Bemalung hier
eine buntfarbige Vertäfelung nach, sei es ein geometrisches Muster oder aber und vorzugsweise am Sockel
ein Schnittmosaik, das nicht nur ineinandergeschachtelte Rauten- und Rechteckfelder, sondern auch aus Vasen
aufwachsende Flachranken und größere Tierfiguren als Füllungen aufnimmt. Doch herrscht auf der mitt-
leren Wandfläche im allgemeinen die textile Planzenornamentik vor. Noch immer kommt hier das diago-
nale Grundschema der älteren hellenistischen Streumuster zur Anwendung (S. 57/8), aber durchlaufende Blatt-
stäbe bringen die Aufteilung der Fläche in Rautenfelder weit strenger zum Ausdruck (Abb.312). Da dieselben
Gittermuster noch in Kuseir Amra (s. oben) fortleben, andrerseits manche Füllmotive, wie das gestielte Efeu-
blatt oder die Blütenrosetten, auch der syrischen Buchornamentik geläufig sind, sind sie offenbar durch die
Weberei (s. unten) der koptischen Kunst aus dem Orient zugeführt worden. In der Tat gibt sogar mit-
unter die Wandbemalung einen gefältelten Behang mit gemusterten Stoffen ganz realistisch wieder (Sakkarah).
In den oberen Friesstreifen treten neben die antiken Mäanderornamente die syrischen mehrreihigen Band-
geflechte, um sich ebenso üppig zu entwickeln wie in der dekorativen Plastik. Der figürliche Bildschmuck
bleibt gewöhnlich auf die Oberwand und auf die selten fehlenden Apsidennischen beschränkt. Er läßt in
wenigen Fällen noch einen Zusammenhang mit dem sepulkralen Bilderkreise (S. 93 ff.) erkennen. Einmal
begegnen uns noch die drei Jünglinge im Feuerofen (Sakkarah), anderwärts Jonas (Bawit),Daniel(Athribis)u.a.
Oranten, so z. B. eine anmutige Frauengestalt auf der Blumenflur des Paradieses in Abu Girgeh, — da-
selbst auch schon der heilige Menas. Ägyptische Heilige, zumal die großen Äbte und oberägyptischen
Büßer wie Pachomios, treten uns immer wieder und meist in ganzen Gruppen entgegen. Einzelne von
ihnen erscheinen auch als Reiterheilige herausgehoben aus der Sphäre des Klosters in das ideale Reich
einer mystischen Phantastik, die den Kampf gegen die Dämonen des Bösen in Sinnbildern ausspinnt. So
fliegt in Bawit ein Engel mit dem Siegeskranze hinter dem in jugendlicher Schönheit dargestellten berit-
tenen Phoibammon her. Eine andere Freske ebenda schildert die Erlegung einer Teufelin durch Sisinnios,
während Alabastria, eine weibliche Spukgestalt mit Flügeln und Schlangenschwanz, mit der Gebärde des
Schreckens entweicht. Ein Kentaur und verschiedene Tiere vervollständigen das Bild. Daß in solche Kom-
positionen Elemente aus dem Horusmythus einfließen, spricht auch für die symbolische Auffassung der
Jagdszenen, in denen Löwe, Flußpferd oder Gazellen Vorkommen. Den starken Einschlag gnostischer Sym-
KOPTISCHE FRESKEN IN BAWIT, SAKKARAH U. A. M. 355

bolik in dieser volkstümlichen Mönchskunst bestätigt das Orpheusbild und die älteste Darstellung einer
Sibylle (Bawit). Derselben alexandrinischen Kunsttradition entstammen noch die Personifikationen christ-
licher Tugenden (S. 98), die daselbst eine Reihe von Rundfeldern bereits im einheitlichen Typus von Engel-
büsten füllen (Abb. 2), wie sie in Sakkarah anscheinend in der Bedeutung von Erzengeln zum fort-
laufenden Figurenfries gereiht sind. Aus der kirchlichen Kunst unmittelbar entlehnt aber ist das schwebende
Engelpaar mit dem Kreuzesmonogramm einer anderen Kapelle. Brustbilder und Vollgestalten von Pro-
pheten mit 'entfaltetem Schriftblatt, denen sich auch einzelne andere Persönlichkeiten wie Zacharias oder
der heilige Georgios zugesellen , haben zweifellos die gleiche Herkunft mit ihren Gegenbeispielen in der
Buchillustration (Taf. XVIII, 2 u. 3) gemein. Dasselbe gilt vom alt- und neutestamentlichen Bildstoff. So
schmückt in Bawit eine Folge von Szenen aus dem Leben Davids, das bisher nur auf Grund der Tituli (S. 338)
dem kirchlichen Typenschatz zugerechnet werden konnte, den Fries einer größeren Kapelle (Abb. 312). Die
Anordnung der einzelnen Bildfelder, die durch andere, mit Mäandermotiven gefüllte Quadrate getrennt
werden, erinnert hier unverkennbar an die Verteilung solcher Zyklen im Wandschmuck der Basiliken
(S. 338), so frei auch diese flüchtigen Kompositionen ihre Vorbilder wiedergeben mögen. Eine zusammen-
hängende Reihe von Szenen aus dem jugendleben des Herrn und der Legende des Täufers weist eine
kleine Unterkirche bei Abu Schennis (S. 226), vielleicht erst aus dem 7. Jahrhundert, auf, doch treffen wir
einzelne neutestamentliche Bilder schon in verschiedenen Kapellen in Bawit an, so z. B. die Verkündigung
(sowie auch in Abu Girgeh), die Geburt des Herrn, die Heimsuchung, den Kindermord, das Kanawunder
und die Taufe Christi. Das lebhafte Interesse für die Gottesmutter, das sich in dieser Auswahl verrät,
und das vielleicht schon in den älteren, größtenteils von einem mittelalterlichen Bilderzyklus aus ihrem
Leben überdeckten Fresken der Hatrakirche im Deir es Suriani (S.226) selbständigen Ausdruck gefunden hatte,
bezeugen auch mehrere repräsentative Kompositionen, die Maria mit dem Kinde, bald von Engeltrabanten
umgeben, bald inmitten der heiligen Äbte thronend oder stehend, darstellen. Sie trägt es einmal nach
Art der Hodegetria (S. 296), ein andermal sogar schon wie in späteren Ikonentypen, indem sie die seine
Gestalt umschließende Mandorla hält. Die bedeutsamste Darstellung aber bietet eine Apsisnische in Sak-
karah in dem traditionellen Typus der nährenden Mutter (S. 72). Ebenda ist auch schon die abgekürzte,
aus ihrem Brustbild und zwei Engelbüsten bestehende Komposition (S. 198) belegt. Eine Anzahl von
Apsiden schmückt endlich hier wie dort als zweites feierliches Zeremonialbild, in dessen Mittelpunkt die
Gestalt des erhöhten Christus rückt, die Himmelfahrt im syrisch-palästinensischen Typus (S. 295 u. 340). In
dieser Szene mußte den koptischen Christen ihre monophysitische Gottesvorstellung am vollkommensten verkör-
pert erscheinen, nachdem die Komposition wohl schon in der syrischen Kunst ihre Fortbildung durch Verteilung
der Evangelistensymbole um die von Engeln getragene Aureole gefunden hatte. Gleichwohl bewahrt sogar
in Bawit eine Freske noch den Cherubwagen, von dem in der Folge höchstens die Räder übrigbleiben. Die
Oberhälfte des Bildes, die als sogenannte Majestas allgemeine Verbreitung erlangt, verbindet sich schon
hier und in Sakkarah manchmal mit den 24 Ältesten (S. 350) der Apokalypse oder mit auf gereihten Lokal-
heiligen im unteren Streifen. Nur am letztgenannten Ort aber trägt Christus die Züge des bärtigen
palästinensischen Ikonentypus (S. 310), während er in Bawit immer mit dem jugendlichen Idealkopf helle-
nistischer Tradition (S. 310) wiedergegeben wird. Verschönt überhaupt noch ein Hauch griechischer
Anmut einzelne Gestalten und Köpfe der Jünglinge und weiblichen Typen, so wird freilich in den späteren
Fresken der Ausdruck immer leerer und härter, wie auch die Bewegung mehr und mehr in der typischen
Frontalität der primitiven koptischen Kunstanschauung (S. 147 u. 287) erstarrt. Die Technik arbeitet durch-
weg mit den einfachsten Mitteln. Sie füllt die Umrißzeichnung mit einheitlichen Lokaltönen und wendet
nur für die Köpfe leichte Halbschatten an. Künstlerische Wirkungen erreicht sie vor allem durch die
Farbengebung, in der sich eine Vorliebe für Gelb, helles Grün und rötliche Töne auf weißem Grunde
geltend macht, wie in manchen Mustern der koptischen Stoffe.
Das zähe Fortleben der verhauten antiken Formensprache begründet die stilistische
Eigenart dieser Wandmalereien.
Zum Ersatz für das bisher unentbehrliche Denkmälerwerk von de Rossi, Musaici crist., Roma 1899,
ist in Vorbereitung J. Wilpert, Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchl. Bauten vom 4. bis 8. Jahr-
hundert (für 1914). Über die Entwicklung des kirchlichen Monumentalstils und seine Denkmäler handelte
grundlegend Ainalow, Die Mosaiken des 4. und 5. Jahrhunderts, St. Petersburg 1895 (russisch) sowie Hellenist.
Grundl. usw., S. 129 ff.; vgl. Repert. f. K. Wiss. 1903, S. 47 ff. Seitdem kamen die feinen Beobachtungen über die
malerische Stilbildung von Riegl, Spätröm. K. Ind. I., S. 125 ff. und einige Einzeluntersuchungen hinzu.
Die Hypothese von F. Jubaru, Arte 1904, S. 457 ff. über den bacchisch paganen Charakter des Mosaik-
23*
356 LITERATUR — DIE DENKMÄLER DER TEXTILKUNST

Schmucks von S. Costanza bedarf entschiedenerer Berichtigung, als ihr durch R. Michel, Die Mos. von S. Con-
stanza in Rom, Leipzig 1912, Stud. üb. Christi. Denkm., hsg. v. J. Ficker, H. 12, zuteil wird, der (entgegen
der hier S. 247 befolgten Annahme) die nachträgliche Umwandlung des Baues in ein Baptisterium (vielleicht
unter Bonifacius I.) wahrscheinlich gemacht hat, nicht jedoch die Beziehung der Nischenmosaiken auf den
Taufritus. Der symbolische Bedeutungsgehalt der sog. Traditio erfährt auch durch L. v. Sybel, Der Herr
der Seligkeit, Marburg 1913, keine wesentliche Verschiebung. Daß der Mosaikenzyklus von S. Giovanni in
Fonte in Neapel früher und einheitlicher Entstehung ist, hat A. Munoz, Arte 1908, S. 433 mit Recht geschlossen,
wenngleich es nicht der Annahme verschiedener Werkstätten bedarf. Zur Erklärung und Zeitbestimmung
der Mosaiken von S. Aquilino und S. Vittore in Mailand vgl. zuletzt P. Toesca, La pitt. e la miniat. nella
Eombardia, Milano 1912, S. 8, 14 u. 21 ff., sowie auch für Albenga. Die gleichzeitig von Ainalow, a. a. O.
S. 34 ff. und von H. Grisar, Anal. Romana, 1895 I, S. 564 ff. nachgewiesene Beziehung des Apsisbildes von
S. Pudenziana auf die hl. Stätten konnte auch durch A. Heisenberg, Grabeskirche u. Apostelkirche, I,
S. 141 ff. und A. Stegenseck, Or. Christ. 1911, S. 280 ff. nicht bis ins einzelne ausgedeutet werden. Die
Entwicklung der apokalyptischen Bildsymbolik ist von mir, Die Koimesiskirche in Nicäa, 1903, S. 211 ff.
erörtert worden; zu den Kreuzesvisionen vgl. auch Ainalow, a. a. O. S. 140ff. und Hellenist. Grundl., S. 199;
zur Maiestas meine Ausführungen bei Th. Wiegand, Milet. III., 1, Der Latmos., Berlin 1913, S. 193 ff.
Über die Entstehung der historischen und typologischen Bilderfolgen und die Tituli handelt neuerdings
J. Reil, Die altchristl. Bildzyklen des Leben Jesu, Straßburg 1912. Stud. über christl. Denkm., hsg. von
J. Ficker, H. 10, dessen Ergebnisse jedoch z. T. in Folge zu später Datierung der Bildwerke der Kleinplastik
nicht zutreffen. Zum Dittochaeum des Prudentius und palästinensischen Einfluß vgl. Baumstark, Byz.
Zeitschr. 1913, S. 177 ff.; zu den Ampullentypen Ainalow, Hellenist. Grundl., S.168, sowie Repert. f. K. Wiss.
1903, S. 51 und Amtl. Ber. d. Kgl. Mus., Berlin 1914, N. 8, Mai; über die Mosaiken der Zionkirche und des
Martyrion Baumstark, Or. Christ. 1904, S. 121 ff. u. bei Dölger, Konst, d. Gr. u. seine Zeit, Rom 1913, S. 217ff.
Die Hypothese von J. P. Richter and A. Cameron Taylor, The golde age of classic Christian art., London
1904, über die Entstehung der Zyklen von S. Maria Maggiore im 2. Jahrh. hat sich nicht durchzusetzen
vermocht. Ausreichend bietet das Abbildungsmaterial erst S. Scaglia, I musaici ant. della bas. di S. M. Mag-
giore, Roma 1910. Neben J. Redin, Die Mosaiken d. Ravennat. Kirchen, S. Petersburg 1896 (russisch) hat
auch die 2. Aufl. von J. Kurth, Die Mos. von Ravenna, München 1912, wenig Bedeutung; wichtige Einzel-
beiträge bieten hingegen G. Gerola, Felix Ravenna 1911—14 (vor allem zur Datierung des Bildschmucks
d. Erzb. Kapelle, S. 570) und H. Dütschke, Ravennatische Studien, S. 285 ff. (zum Laurentiusmosaik). Im
übrigen vgl. Kaufmann, Handb. d. christl. Archäol., S. 336 ff. und Dalton, a. a. O. S. 322 ff., sowie zu den
koptischen Fresken, S. 282 ff. und Diehl, a. a. O. S. 65 ff., endlich die letzten Ausgrabungsberichte von
A. Breccia, Soc. archeol. d’Alexandrie. Serv. du Musee en 1912 (Abu Girgeh).

4. Die spätantike und altchristliche Textilkunst.


Die Einwirkung der Textilkunst auf die monumentale Malerei und ihre Ornamentik
wird völlig glaubhaft und begreiflich, zumal in Ägypten, angesichts des unerschöpflichen
Reichtums der dortigen Grabfelder an Überresten spätantiker und altchristlicher Weberei.
Vor unserem Auge ersteht aus den Funden von mehr als drei Jahrzehnten das Bild einer
erstaunlichen Blüte dieses Zweiges der Kunstindustrie. Noch ist es freilich der Forschung
nicht gelungen, den Schatz so reinlich zu sichten, daß wir seine Entwicklung klar zu über-
sehen imstande wären. Erst die Hauptgruppen lassen sich heute nach den augenfälligsten
Unterschieden des Materials, der Technik, des Bildstoffs, der ornamentalen Motive und des
Stiles sondern, und nur vermutungsweise läßt sich die Mehrzahl derselben als bodenständiges
Erzeugnis des Nillandes ansprechen, während einzelne Gattungen sich anscheinend als ein-
geführte syrische Ware zu erkennen geben oder zum mindesten als Nachahmungen von
solcher. Aber selbst diese oberflächliche Gruppierung führt schon zum Ergebnis, daß in der
Textilkunst so gut wie in der Plastik und Malerei des christlichen Ägyptens eine ältere
hellenistische Kunstrichtung nicht nur langsam vergröbert und versimpelt, sondern auch
gleichzeitig von orientalischen Einflüssen zersetzt und überwuchert wird.
DIE TECHNIK DER KOPTISCHEN WOLLENWIRKEREIEN 357

Abb. 313. Koptische Wollenwirkereien j(im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin) und syrisches Seidengewebe
(in der Cap. Sancta Sanctorum)
(nach Ph. Lauer, Mon. et Mem. Fond. Piot. 1906 XV).

Der koptischen Textilkunst eigentümlich ist die Technik der Wirkerei, bei der die leinene Kette —
der Aufzug erfolgt am ägyptischen Webstuhl in senkrechter Richtung — mit dem wollenen Schußfaden im
wahren Sinne des Wortes umwickelt wird. Dieses der Gobelinarbeit verwandte Verfahren erscheint bereits
in den aus heidnischen Grabfunden herrührenden Stoffen nicht selten zu voller Bildwirkung durchgeführt,
ur größere, teppichähnliche Stücke dieser Art (z. B. im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin) wurde an-
heinend das alexandrinische Puttengenre bevorzugt. Aber auch bei den großfigurigen Darstellungen ist
358 ENTWICKLUNG DER BILDMOTIVE — DIE SEIDENWEBEREI

öfters schon der Leinengrund ungedeckt geblieben und die Gestalt sowie das Ornament der breiten Rand-
borten allein in Wolle gearbeitet. Im letzteren kommt besonders der Lorbeerstrang (Abb. 313) und die
Weinranke in hellenistischer Stilisierung, diese manchmal sogar noch in ziemlich naturalistischer, malerischer
Behandlung, reichlich zur Anwendung. Die figürlichen Typen sind durchweg dem bakchischen Kreise ent-
nommen. Die halbentblößten oder von fliegenden Gewändern umhüllten weiblichen Gestalten stellen ver-
größerte Abbilder der Tänzerinnen, Nereiden usw. dar, wie wir sie auf den in Alexandria zutage gekom-
menen Knochenschnitzereien (Abb. 189) erblicken. Daraus ergibt sich Entstehungsort und -Zeit (3./4. Jahr-
hundert) dieser Gattung. Es sind größtenteils eigens zur Umwicklung der mumifizierten Leichen herge-
stellte Tücher. Den gewöhnlichen Schmuck bildeten jedoch bei diesen breite Randborten aus Purpurwolle,
mitunter auch noch runde oder quadratische Einsätze mit Masken und anderen kleineren Darstellungen
von Vögeln, Fruchtkörben u. dgl. mehr. Weibliche Leichentücher tragen öfters diagonale Streumuster
aus stilisierten Blumenmotiven, wie die im Leben gebrauchten Obergewänder. Das Unterkleid war meist
mit breiteren Besätzen am Halse, unteren Saum und den Ärmeln verziert, die männliche Tunika vor allem
mit den von der Schulter bis gegen den Gürtel herab- und von unten in Winkeln um die runden Kniestücke
hinauflaufenden streifenförmigen Claven und meist quadratischen Ärmeleinsätzen. Hier wird der in
Silhouettenmanier verarbeitete Purpur ohne oder mit spärlichen farbigen Zusätzen bevorzugt. Unter den
figürlichen Typen der Innenfelder (Abb. 313) überwiegen wieder die bakchischen, während in den Bordüren
die Weinranke vorherrscht. Aus dem Weinblatt werden jedoch manchmal auch größere palmettenartige
Zierstücke gebildet (Abb. 313), — ebenso geometrische aus dem Mäander. Die antikisierende Formen-
gebung kennzeichnet einen reichen Bestand dieser Purpurwirkereien noch als Erzeugnisse des 4. und einzelne
Stücke wohl gar des 3. Jahrhunderts. Bieten sie doch gelegentlich noch mythologische Szenen sowie
Orpheus, dagegen keine unzweifelhaft christlichen Darstellungen. In der Folge mehren sich die farbigen
Bestandteile, während der Purpur schlechter wird und eine braune oder schwärzliche Färbung annimmt.
Doch lebt diese Dekoration augenscheinlich noch durch das ganze 5. Jahrhundert fort und macht die Rück-
bildung der menschlichen Gestalt bis zur völligen Erstarrung in geometrischen Formen (Abb. 313) mit,
eine Entwicklung, die auf die allgemeine Verbreitung der Technik über das koptische Hinterland schließen
läßt. In nachkonstantinischer Zeit kommen buntfarbige Einsätze und Borten mehr und mehr in Gebrauch,
bei denen der Grund durchgehends rot oder braunrot gedeckt zu werden pflegt und die .Figuren und
Ornamente in Gelb, Grün, Violett und Blau ausgeführt werden. Beide Elemente wechseln ihren Charakter
infolge des Eindringens neuer Motive, vorwiegend christlicher Darstellungen und des Herzblütenornaments.
Dieser Geschmackswechsel vollzieht sich unter dem unverkennbaren Einfluß der syrischen
Seidenweberei, deren Blüte schon für die Mitte des 4. Jahrhunderts bezeugt ist. Die Verarbei-
tung der Seide, welche schon seit der ersten Kaiserzeit von China über Zentral- und Vorderasien
teils als Gespinst, teils in Gestalt gröberer Stoffe in das Mittelmeergebiet eingeführt wurde,
hatte sich in der Folgezeit nicht nur nach Ägypten, sondern sogar bis Italien verbreitet.
Einen reichen Bestand früher Seidenwebereien haben besonders die Grabungen in Antinoe geliefert.
Sie tragen größtenteils mehrfarbige Rauten- und Streumuster aus Blüten- und Rankenmotiven, wie sie auch
in den Wirkereien (s. oben) und in der textilen Freskenornamentik (S. 354) Vorkommen. Der Technik
nach •— diese besteht in der typischen Köperbindung — gehören aber auch eine Anzahl von Stoffen mit
figürlichen Darstellungen mit ihnen eng zusammen, die sich in Kirchenschätzen des Abendlandes erhalten
haben (Nereidenstoff von Sitten, Mänadenstoff von Sens u. a. m.). Es herrscht hier noch einseitige Wieder-
holung (bzw. Reihung) der Motive. Die weitere Entwicklung führt hingegen zur streng symmetrischen
Bildgestaltung hin, durch die eine Vereinfachung des technischen Verfahrens, der sog. Fadenumschlag,
ermöglicht wird. Der Fortschritt läßt sich am deutlichsten an den offenbar allgemein verbreiteten Reiter-
stoffen beobachten. Die ständig wiederkehrende Gruppe berittener Bogenschützen auf der Löwenjagd, der
sie den Namen verdanken, ist auf den ältesten Stücken (in South-Kens.-Mus.) noch einzeln, bei den
übrigen schon in symmetrischer Verdoppelung in die Kreise des Grundmusters eingeschlossen. Gewisse
orientalische Züge der Tracht, vor allem aber die unverkennbare Entstehung des letzteren aus dem flächen-
füllenden Kreisgeflecht (S. 265 u. 316/7) lassen auf syrischen Ursprung dieser Gattung zurückschließen, wo
die erhaltenen Beispiele auch z.T. gearbeitet sein mögen. Dem Formenschatz der syrischen Pflanzenornamentik
entstammen augenscheinlich auch die eigenartigen Ranken mit ihren farbig gestreiften Herzblüten und
Efeublättern mit umgebogener Spitze (S. 267), die als Füllung der Kreisbänder dienen und nur vereinzelt
durch das aus den Mosaiken bekannte Girlandenmotiv (S. 352) ersetzt werden (Maasstricht). In dieselbe
SCHEIDUNG DER SEIDENSTOFFE NACH TYPEN UND HERKUNFT 359

Richtung weist noch entschiedener ein buntfarbiger größerer Stoffrest aus der Kapelle Sancta Sanctorum
mit christlichen Szenen sowohl durch die besonders reiche Durchbildung der Herzblütenranke wie vor allem
durch seine zwickelfüllenden größeren Palmetten (Abb. 313). In ihrer flächenhaft gegliederten und unorga-
nisch geschachtelten Zusammensetzung macht sich neben dem syrischen Geschmack wie in ähnlichen Ge-
bilden der Relief- und Mosaikornamentik (S. 269 u. 353) deutlich neupersischer Einfluß geltend. Die reihen-
weise abwechselnden asymmetrischen Bildtypen der Verkündigung und Geburt Christi (Abb. 313) entsprechen
der entwickelten syrisch-palästinensischen Ikonographie des 5./6. Jahrhunderts. Und doch erweist die nur
hier vollkommen klar durchgeführte Verknüpfung der Kreise das höhere Alter dieses kostbaren Über-
bleibsels syrischer Seidenweberei im Vergleich mit allen erhaltenen Reiterstoffen, von denen die jüngsten
in Mailand (S. Ambrogio) und Köln (S. Cunibert) schon eine starke Rückwirkung der inzwischen von der
sassanidischen Kunst umgebildeten und mit Bestandteilen ihrer Ornamentik (hl. Baum) versetzten Kompo-
sition verraten. So gut wie sie könnten aber auch einzelne ältere Gewebe, auf denen noch das Ornament weniger
verflaut erscheint, in Syrien gearbeitet sein. Andrerseits sind zweifellos auch die Reiterstoffe in Ägypten
nachgewebt worden. Die ägyptischen Fundstücke haben jedoch anscheinend immer, wie die Wollwirkereien,
als Einsätze gedient und enthalten daher nur ein einzelnes Kreisfeld, oder sie bilden vollständige Clava-
turen von je zwei Streifen mit runden Anhängen. Wenn auf einer solchen (im Kaiser-Friedrich-Museum
in Berlin) neben löwenjägern zu Fuß Nereiden auftauchen, so liegt die Vermutung ihrer alexandrinischen
Herkunft nahe. Aber auch in Achmim wurden solche Seidenclaven gefertigt, wie die daselbst gefundenen,
öfters mit dem Namen des Zacharias als Werkstattmarke gezeichneten, nur in zwei Farben ausgeführten
Reste mit Reiterfigaren, Tiergestalten u. dgl. beweisen. Ihr Stil ist koptisch gefärbt und reicht bis ins
7. Jahrhundert herab, trägt doch ein verwandtes Stück (in Fondon) bereits arabische Schriftzüge. Dem-
selben Fundort entstammen größtenteils die sog. Palmettenstoffe, bei denen das Rautengitter zwar durch
antike Rankenmotive gebildet wird, der aus symmetrisch abzweigenden Blättern und krönender Blüte be-
stehende Palmettenbaum aber das typische Füllmotiv (auch großer Kreisfelder) abgibt. Seine größeren
Blätterpaare zeigen wieder die charakteristische Umbiegung der Spitze und lassen besonders in ihrer Um-
ränderung den Einfluß des sassanidischen Pflanzenornaments erkennen. Ebenso stehen die jüngsten Stoffe
aus Antinoe und manche ihnen verwandte Seidengewebe mit christlichen Darstellungen (Danielstoff in Düssel-
dorf, Josephstoff in Sens, Simsonstoff in Fondon) schon unter der unverkennbaren Einwirkung syrischer
und neupersischer Vorbilder. Von diesen erscheinen endlich auch die ältesten erhaltenen Erzeugnisse der
schon im 4. Jahrhundert begründeten kaiserlichen Webereien von Byzanz abhängig, unter denen der Purpur-
stoff der Aachener Palastkapelle mit der Darstellung einer in fiktiver Frontansicht (bzw. seitlicher Staffe-
lung) gesehenen Quadriga im Stile der jüngsten Konsulardiptychen (S. 193) obenan steht. Durch den bedeu-
tenderen Maßstab und die zweifarbige Ausführung des Musters von den ersteren unterschieden, bewahrt
er dennoch im Kreisrahmen ein verflüchtigtes Herzblütenornament.
Daß die jüngere koptische Wollenwirkerei von der orientalisierenden Weberei nachhaltig
beeinflußt ist, erhellt aus verschiedenartigen Nachbildungen der Typen und Ornamente der
letzteren. Die Reiterstoffe sind von den Kopten mit ihrem zeichnerischen Unvermögen sogar in
Seide nachgewebt worden (Düsseldorf), ungleich öfter aber begegnen uns die Gestalten von
Reitern in asiatischem Kostüm auf den späteren Wollstoffen (Abb. 313). Aber auch die Reiter-,
Jäger- und Tiertypen antiker Tradition finden sich auf selteneren Resten wieder, die sich in
ihrer zweifarbigen Zusammensetzung und zum Teil sogar in der Köperbindung als augen-
fällige Nachahmungen von Seidengeweben zu erkennen geben (Abb. 313). Schließlich gibt es
(z. B. in Berlin) einzelne in Seide gewirkte Stücke des orientalisierenden Stils mit der typischen
kreisförmigen Umrahmung der seidenen Reiterstoffe. Die letztere wird ganz allgemein mit
ihren Herzblattpalmetten und umgebogenen Efeublättern in die Wollenwirkerei aufgenom-
men, das Innenfeld aber erhält oft als Füllung eine alt- oder häufiger eine neutestamentliche
Szene (Abb. 313). Das weist auf Bildwebereien von der Art des lateranensischen Seiden-
stoffes als Vorlagen zurück. Die Komposition ist freilich manchmal kaum noch aus den
verballhornten buntfarbigen Gebilden wiederzuerkennen. Aber gerade diese Verzerrung bis
zum Geometrischen ist nur verständlich als Folgeerscheinung fortgesetzter Wiederholung der
Typen, die in der Tat mehrfach in Dubletten erhalten sind.
360 BEDEUTUNG DER CHRISTLICHEN BILDWEBEREI — LITERATUR

Wie verbreitet innerhalb der christlichen Welt schon um die Wende des 4. Jahrhunderts
die Sitte war, das Gewand mit biblischen Darstellungen zu schmücken, davon zeugen die
tadelnden Worte eines Chrysostomus, der die ihr Huldigenden mit umherwandelnden bemalten
Wänden vergleicht, und weitere Zeugnisse des Asterios von Amaseia u. a. m. Trotzdem er-
hielt sie sich bis in die byzantinische Kunst hinein (s. Teil II) und gerade in den Kreisen des
Hofes und der höchsten Beamten. Auch die kaiserlichen Bildnisse wurden in die Kleider
eingewirkt oder eingewoben, wie manche Denkmäler erkennen lassen (sog. Diptychon des Stilicho
in Monza), zweifellos also in die kostbarsten Stoffe. Vorhänge nahmen sogar großfigurige
Szenen auf. Daß die Seidenweberei daran beteiligt war, ist nicht nur aus der wachsenden
Prachtentfaltung im kirchlichen Kult zu schließen, sondern scheint wieder durch eine eigen-
artige Gattung spärlicher erhaltener koptischer Gewebe bestätigt zu werden, die kaum einem
anderen Zweck gedient haben können. Es sind das mit Hilfe von Modeln ein- (bzw. zwei-)
farbig bedruckte Leinenstoffe, die entsprechende Seidengewebe nachzuahmen scheinen, so z. B.
als bekannteste der sogenannte Moses- und der Petrusstoff in Berlin und mehrere Stücke mit
Szenen der Marienlegende in London (South. Kens.-Mus.). Die Erzeugnisse ägyptischer und
syrischer Textilkunst fanden zweifellos auch in Byzanz und im Westen starken Absatz und
spielten keine unwichtige Rolle als Vermittler der palästinensischen Ikonographie.
Die vollständigste Übersicht der bisherigen Forschungen über die altchristliche Textilkunst bietet
Dalton, a. a. O., S. 577 ff.; vgl. auch Kaufmann, a. a. O., 2. Aufl., S. 569 ff. Neuerdings ist der gesamte
Stoff gesichtet worden durch O. v. Falke, Geschichte der Seidenweberei in Europa, Berlin 1913, I, S. 13 ff.
Abweichend von seinen Anschauungen glaube ich jedoch am syrischen Ursprung der Reiterstoffe festhalten
und zum mindesten den Seidenstoff mit den christlichen Szenen der Sancta Sanctorum als originalsyrische
Arbeit ansehen zu müssen, wie überhaupt a.a.O. der Anteil von Alexandria an den erhaltenen Denkmälern wohl
auf Kosten Syriens zu groß bemessen erscheint. Der Bestand bedruckter Leinenstoffe erfuhr seither eine
Vermehrung um mehrere schöne Stücke mit Marienszenen u. a. m. durch die Veröffentlichung von W. Lethaby,
Proceedings of the Soc. of Antiquaries 1912, XXIV. S. 286 und A ner. Journ. of archaeology 1913, S. 570ff.

Im I. Teil ist zu berichtigen:


S. 20, Z. 19 (v. oben) 160 n. Chr. statt v. Chr.
S. 21, Z. 2 (v. unten) 1899/00 statt 1899/40.
S. 49, Z. 8 (v. unten) 1902 statt 1912.
S. 61 ein sachlicher Irrtum: der Name Jona (nicht Noah) hat im Hebräischen die Wort
bedeutung „Taube“.
S. 61, Z. 1 u. 17 (v. unten) die Hinweise Tafel IV statt Abb. 68.
S. 147, Z. 21 (v. oben) Al Mu'allaka statt Al Mucallaka
S. 158, Z. 16 (v. unten) Christus- oder statt Christus- und
S. 215, Z. 14 (v. oben) das statt die.
S. 232, Z. 22 (v. oben) Abb. 247 statt 248.
S. 237, Z. 9 (v. unten) In dem statt Zu dem
S. 240, Z. 22 (v. unten) (S. 207 u. 210) statt (S. 20)
S. 289, Z. 21 (v. unten) von statt aus.
■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■BGlSSns■■■■■■■■■■■

JULIUS BÖHLER, MÜNCHEN


HOFANTIQUAR SR- MAJ. DES KAISERS UND KÖNIGS
KGL. BAYER. HOFANTIQUAR
BRIENNERSTRASSE 12

AN- UND VERKAUF WERTVOLLER GEMÄLDE


ALTER MEISTER UND KOSTBARER ANTIQUITÄTEN

Kunsthandlung Abels G.m.b.H: Köln


i S Schildergasse 107-109 □ Tel. A 2978

SPEZIALGESCHÄFT
rar feine gerahmte und ungerahmte Bilder,
alte Stiche, Oelgemälde
.

EIGENE RAHMENFABRIK UND VERGOLDEREI


,

MONATLICH WECHSELNDE AUSSTELLUNGEN .... EINTRITT FREI


Das neue, von Professor EMANUEL VON SEIDL erbaute

KUNSTHAUS BRAKL MÜNCHEN


enthält die»größte u. auswahlreichste Ausstellung hervorragenderGemälde erster Münchner Meister.

BRAKLS KUNSTHAUS MÜNCHEN JSSSfäTiES


den illustrierten Katalog, der auch in jeder nächstgelegenen Buchhandlung zu haben ist.

NEUE KUNST - MÜNCHEN


The New Art HANS GOLTZ, Odeonsplatz 1 L’Evolution Nouvelle

Auslieferung der
Gemälde und Zeichnungen Vertretung

GRAPHIK von van Gogh bis zu den Expressionisten


in Deutschland für

von Emst Ascher


L. Schelfhout Plastik • Keramik Georg Kars
Eduard Vallet Bernhard Hoetger
und
Graphik von Leibi bis auf unsere Tage
Egon Schiele
Emil Zoir Holländische Emil Zoir
Batik-Arbeiten von A. Wegerif -Gravestein

Der blaue Reiter . . . M. —.50 Illustrierte Kataloge Georg Kars . . M. -.50


Egon Schiele ...... 1.— Amiet und Giacometti . M. —.50 Moriz Melzer -.50
Moderner Bund Schweiz „ —.50
Emil Zoir.„ —.50 Wilh. Rümann -.50

__ s
Bernhard Hoetger . . . „ 1.— II. Gesamtausstellung . 2.- H. Heuser . -.50 s
1 * oht. ms

"i o. Juli m

- 8. M. 198C
1 0. Nov. 1970

6/ 4-

Endt Roubinger
Buchbinderei
M'
* ;;i

lifesijfät " ■
m
I . •-
•«’PpÄp^Äi
:*&-£?■( h-:.;*■>'; ;.;,s ■ - :-i &£#$£ > h Mi; WjJT
I, iS#
iffj
*' >h ...2^5-4 |MS|®
llgl ■ •

:;
- ■ - '.a;V;', h : ,-. ,..p «fÄa.,,......
- '* ’ * ' " '*

>V. .? Äf . : v:r..hh£-]^h-v«*
L'I
•'■'S ‘ V- •• '■ *:v '■ W Vf -v,7'a :'h"ivV■ '• 'U.•' *V^' -*y-
WW, ,, ,
xh ;:<V' -vh^hh&hV^Vh- &3pP -smiü 5»£^fc
v%v: ■ •■■■'. x ' >' .'• -.1VW $'V'V^VV><h:* V» - ’■- ■ '
■■ .-• < V» ••*?.-"*'.> • -' ■ s<"-'Sj'.',5C'-

•-‘ V\-.:^'
kuimks iMMm. ...^*;\«»«_
a-
SVSJß;

ISi HiMi ■-S#?“ ■ %r- - i«£ä*


xW>.
-
- **;•$£&:: ’j'Ä-',\: fSP§g
H
'-. V/' •
;: *.?:
•m«i
' <Q«

V,
»
C£&> ■’*& »rfäft'- - •■ j.vSfesi5^ -X
x-y:Vrf>‘ -®!2*&:

::v;^- !äv^t?Ä figSmki.


mm

m -i-
- V ».

•pf? ; r
-• ,/ ■ " - ••/-: mmm&ßfo
r.y *■■-■//'■■ y?y ? •J-1‘ >' k .

ms
^;s#^....-, ,T

j'ftmseis wi

’ ^>. ? lyÄ /.,*, • Ji > ,' ■. f ^ ^

Kg»t|ip
. ^ . ' v- y. ?u"'*fy^iSk&
ßüßiAt -x-oV :4b .»'r* P
? - *SB&s&8!t*\t ~h ^SsS ji

Hm.„...vi.. ■■

st: .'■
.-, . „,
r;^V-: ;V:C'A‘ -

Ü
TB»
hx; . >>X^. ^ S
;f|ir - ■ ‘j|g
,;■ TAx-'--'r'-'-’h' f

I ?’ 1
1 y. "hx
■Söii^pÄS''
xrx;hf -hhh ;"h ?Wlhhx#-hhXÄx hvW£#hhhh m-m
•- '•■'.•'Xv.'Ä->'h,j*>i$bh -i-.Ä. .^iSs: hXh^^h^^'Xj&xxxf

. -■ -’hi-'h^hh' ..,^..,,, y- y&? •4;


;&"•:; “ • V-H^tjsSHe^/^wwSkv.1^ ...
... ... ...' .X.*<'*h". *'•>,‘‘t- S'*

.*-, - zy ..
x. hxxi;-': ' ;^:x.xxvv:hixh; /h1 . ., .-^
y, . h"':/■ -^-y''x yfK,^1
.' > - :i*$&sk

mk 4 Hil. X iw<,--"! ■ Xv' ... . .,^1


• ■ ;x^x mm

tä&M

|g^^p|r ’,.■•' x?sx:


.
n
;5>>:.-r'tv
iifp®

■ ..-* V +.vSt'-, ■>;,*

^&r^-mSSsmst- •■ ■ -,.^. —^.-: -y:m®


Klm
-- > ^.- ..••%<.-i.s«;

. Jv :•/??- ■•?■ • \-h' “ •


mMSBi.r^„
‘ '• v:*t-Xs.^
• '* äV
>>r^;s
pyyMM
im&SMSß
imm
hv.^h- •••-.-
h^jß < ,c. -.,.
? .• •■“->.>•■-• i'--" h -;■. V:^v-' ".''* "':•' 'V« “
II
'-. h.-x- •■ xh-x-h' —h • v‘ vli •: '■'■■■■■*'';x/v .\/h-'a^'. xvx.? - .£. '-h*.-''‘■•h; :w*®-‘sSE
' ’XX:# ’•' X --'h V ^:'.v. ”* h^v-X. j '-rtt r, ■ '-;.%■ .xhs.^ ’%

sÄ^^
y . •••'•••••■ • "'X‘v «SÄ
';M
h^Sh'^hxxrfh;;^
isä’:

ÜSU3
im
: yt .:^---: * h#-S2.h

«Km
Ääü wm
*r aefciß.
Pp-ii
• ': '
>h'sh..
' Ki iu

^mmrn
••»., X3YS
m Ä
S:Vivw>x,-XX;..
. v?:^; SSBCÄäi-^rS5
... I

mm
;3l-s'

• : ^-:v
Tafel III

- - - :r v ,***™mammt
•"' - — .. *“ .• .- •■•■•— ... • ' ^;i

Ls
im lünglinge im Feuerofen
aus der Priscilla-Katakombe

inisches Fischmah!
r Lucinagruft (nach J. Wilpert)

Das könnte Ihnen auch gefallen