Schirrmacher
Schirrmacher
Schirrmacher
Feuilleton
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Ein freier,
glcklicher
Denker
Kollegiale Betrachtungen
unter Schock am Tag
danach / Von Nils Minkmar
Frank Schirrmacher
cher noch eine Botschaft auf dem Mobilfon abgesandt, in Laboratorien Kaliforniens oder Bros in New York, in die
Frankfurter Redaktion oder zu einem
Mchtigen der Berliner Politik, wer
wei. Und dann versank er frmlich in
den gregorianischen Harmonien des
Chores, saugte wie ein Kind mit groen
Augen den byzantinischen Goldglanz,
den Kerzenschimmer einer anderen
Welt und den Weihrauchduft in sich auf.
Die Ergriffenheit vom Erhabenen, die
Verletzlichkeit durch das Schne versteckte dieser komplett auergewhnliche Mann gerne hinter einer coolen Maske oder seinem sarkastischen, zuweilen
auch provokanten Humor. Er tat das keineswegs aus Unsicherheit, denn unsicher war er im Umgang mit niemandem.
Wohl eher, weil er sein Kostbarstes
den Rntgenblick, der die eigenen
Schwchen und Gefhle ins Bild nahm
nicht beliebig verschwenden konnte.
Doch wenn er dann pltzlich aus dem
Gedchtnis ganze Seiten von Thomas
Mann zitierte, wenn er in einer Opernloge in Wien die Arie von Placido Domingo mal eben mitten im Applaus in
die Lyrik von Pablo Neruda zurckbersetzte oder wenn er jedes beliebige Dichterzitat der deutschen Klassik nicht nur
erkannte, sondern beilufig weiterspann, dann wurde aus dem getriebenen
Manager und Macher im Handumdrehen ein Liebender mit groer Zrtlichkeit fr die Werte der Kultur. Man musste nur Ohren haben zu hren.
Fhlte Schirrmacher sich in allzu groer Harmonie unwohl? Ich empfand das
zuweilen so, und er mag die bestndige
Irritation als Lebensform jedes geistigen
Menschen des Journalisten und Diagnostikers der Gegenwart allzumal begriffen haben. Sein Tempo war halsbrecherisch, und er wollte wenigstens merken, dass man versuchte mitzukommen.
Und dennoch hatte dieser Mann wie fr
die Verstelungen von Diskursen auch
fr die Beziehungen zwischen Menschen
ein unglaubliches Gespr. Wer von seinen Leuten in der Redaktion sich unwohl fhlte oder Probleme hatte, wer im
Freundeskreis mit wem fremdelte, wer
einen unpassenden Ton traf das spielte
immer mit; da hatte er, der gerne den
Strrischen spielte, ein soziales Elefantengedchtnis. Intellektuell sollte es um
ihn brodeln, alle sollten von seiner Aufregung und Euphorie etwas mitbekommen, keiner sollte routiniert oder gar gelangweilt vor sich hin wursteln. Einzig
Trgheit war ein Laster, das vor ihm keine Gnade fand. Und doch sah er sich immer in der Verantwortung, dass die Zeitung, dass die Redaktion, dass seine Leute sich auf seinen Weitblick und seine
Frsorge verlassen knnen.
Ob er sich selbst, ob er sein eigenes
Wohlbefinden ebenso in den Mittelpunkt stellte? Ob seine Bcher und Projekte, sein bestndiges Vernetzen von
Menschen und Jonglieren mit Ideen, ob
seine innige Euphorie fr neue Kpfe
und Ideen ihn nicht bers menschliche
Ma hinaus antrieben? Nach einem
schweitreibenden Rundgang durch das
Geheimarchiv des Vatikans und dem Anblick all der staubigen Urkunden aus
zweitausend Jahren konnte er hoffnungslosen Blickes auf sein Mobilfon starren
und lakonisch feststellen, dass in diesen
Stunden dreihundert Mails und Botschaften bei ihm eingetrudelt seien. Dann
machte er sich beim Kaffee mit einer
Hand quasi nebenbei daran, all diese Information zu durchforsten und in produktive Bahnen zu lenken. Und seine Augen glnzten sofort wieder wie bei einem groen Kind, wenn ihm das gelang.
Ruhe gab es fr ihn so gut wie keine.
In solchen Augenblicken simultaner
Aktivitt und eigentlich waren solche
Momente der Regelfall wirkte es, als
sei ein Leben fr diesen Mann nicht genug. Als wollte er gleichzeitig zwei, drei
geistige Existenzen fhren und zwischen
ihnen hin und her zappen in die jeweilige Welt derer, die nun mal schwerer sind
von Begriff.
Der Wiener Schriftsteller Heimito
von Doderer hat fr einen solchen Menschen den Begriff Apperzeptionsgenie
geprgt. Das ist jemand, der in Sekundenbruchteilen Zusammenhnge und
Schwingungen ersprt, die andere Menschen in Jahren nicht mitkriegen. Ohne
Frank Schirrmacher gekannt und erlebt
zu haben, ist es schwer, sich dieses Phnomen in all seiner Pracht, aber auch seiner Gefhrdung berhaupt vorzustellen.
Wenn er sich vom systematischen Chaos seines Schreibtischs in der Frankfurter Redaktion in die Arbeitswelt seines
Hauses in Potsdam zurckzog, gab sich
Letzte Momente
Es war am Mittwochnachmittag, einen
Tag vor Frank Schirrmachers Tod, als wir
ber das Sterben sprachen. Ich fuhr am
Abend nach Zrich, um die Sterbehilfeorganisation Exit zu besuchen. Erzhlen
Sie, wenn Sie wieder da sind, ich bin gespannt, sagte er und hob die Hand zum
Abschied. Es ist das letzte Bild, das ich von
ihm habe. Wir kehren niemals wieder,
sagte er oft in einem beschwrenden Ton,
wenn ich in seinem Bro sa. Dann lehnte
er sich zurck, verschrnkte die Hnde hinter dem Kopf und fgte hinzu: Sie mssen
sich das klarmachen, hren Sie! Es war
als Aufforderung zum Wagnis gedacht, zur
Verrcktheit, was knne einem schon passieren, auer dass man das Leben verpasse. Frank Schirrmacher hat das Wissen um
die Endlichkeit auf magische Weise geMELANIE MHL
nutzt. Er fehlt.
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machten sich gleichzeitig ans Werk. Schirrmacher wollte aber auch Kritik hren, Einwnde und Bedenken, dem Davoneilen
der Zeit zum Trotz. Manchmal gab er ausdrcklich Pleinpouvoir fr jegliche Eingriffe. Grozgig bedankte er sich fr stillschweigende Verdeutlichungen und Ergnzungen. Legte man ihm den redigierten
Artikel vor, wollte er wissen, ob man es so
machen knne. Es wre ganz falsch gewesen, das fr eine Floskel zu halten.
Ich schreibe! Mit diesem Satz hatte
Schirrmacher irgendwann am Mittag die
Diskussion darber beendet, ob und in
welcher Form das Feuilleton auf eines der
Themen des Tages eingehen solle. Meistens musste er noch Herausgebergeschfte erledigen, bevor er die Tr hinter sich
schlieen konnte. Aus dem Moment heraus entstanden jene Texte, deren Gattung
sich am besten mit einem Lieblingsbegriff
jener zeitkritischen Publizistik bestimmen
lsst, mit der Schirrmacher sich noch lange polemisch auseinandersetzte, nachdem
er 1985 als sechsundzwanzigjhriger Schler Dolf Sternbergers seine Arbeit im Feuilleton von Joachim Fest aufgenommen hatte. Eingriffe waren diese Artikel.
Zum Beispiel der Kommentar im Feuilleton vom 4. Mai 2011 ber die uerung
von Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie
freue sich, dass es gelungen sei, Usama
Bin Ladin zu tten. Das Unschickliche
dieser Bekundung illustrierte Schirrmacher nicht nur mit einem Zitat des Sprechers von Papst Benedikt XVI., sondern
auch mit einem Stck skularer Weisheit,
einer Rge, die im Herrn der Ringe der
Zauberer Gandalf ausspricht: Viele, die
leben, verdienen den Tod. Und manche,
die sterben, verdienen das Leben. Kannst
du es ihnen geben? Dann sei auch nicht so
rasch mit einem Todesurteil bei der
Hand. Frau Merkels Satz verletzte das
Moralische im Sinne Robert Spaemanns,
das unter Menschen Selbstverstndliche.
Im Ton schlichter Sachlichkeit brachte
Schirrmacher das zum Ausdruck, mit betrbter Lakonik: Als Hitler tot war,
bedauerte man diesen Tod, weil es nicht
gelungen war, ihn vor Gericht zu stellen.
Dieses Bedauern wre auch im vorliegenden Falle angebracht.
Mit dieser Schlussbemerkung erweiterte er die Frage des moralischen Geschmacks zum Problem des politischen Urteils. Frau Merkel, die Besonnenheit in
Person, hatte sich hinreien lassen, im Sinne einer monstrsen Logik der Verteufelung zu reden, deren verheerende Wirkungen Schirrmachers Feuilleton seit dem
12. September 2001 dokumentiert hat.
Der letzte Tweet, den er am Abend des
Frank Schirrmacher
11. Juni 2014 verschickte, war ein Hinweis
auf einen Artikel im Guardian, den er in
111 Zeichen zusammenfasste. Bilanz des
Krieges gegen den Terror: Der Irak fllt in
die Hnde von Leuten, die selbst Al Kaida
zu extrem sind.
Kollegen anderer Medien und Reprsentanten des Staates betrauern ihn als Deuter der Zukunft. Sein Gespr fr Knftiges, sein Vermgen der Divination, wie
man im Altertum diese intellektuelle Begabung eines bestimmten Typs von Priestern
genannt hat, war aber die Kehrseite seines
obsessiven Interesses an der Vergangenheit. Er kannte nicht nur entlegene Spezialliteratur zur Schreckenszeit des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern suchte
auch die persnliche Verbindung ber Dokumente und Zeugen, wie der von ihm bewunderte Walter Kempowski.
Am Fall von Ernst Jnger, dem es vergnnt war, fast hundertdrei Jahre alt zu
werden, stellte Schirrmacher den Zusammenhang zwischen dem literarischen Faible fr Vorahnungen, Trume und Schicksalsmchte und der Buchfhrung ber
ein Leben dar, auf das schon der Veteran
des Ersten Weltkriegs als ein berzhliger, ein aus unerfindlichen Grnden
briggebliebener, zurckblickte. Der Intellektuelle als Seismograph: Auf Schirrmacher traf das Bild aus dem Zeitalter des Arbeiters zu. Doch wie funktionierte sie, die
so empfindliche wie przise Apparatur
zur zeitigen Warnung vor Umwlzungen
des Weltbilds?
Frank Schirrmacher nahm seine eigene
Unruhe als Symptom. Das gilt fr alle groen Debatten, die er in Bewegung gesetzt
hat: in der Bio-, Integrations- und Geschichtspolitik. Er suchte Aufklrung
durch Fachwissen oder Meinungsstreit,
weil er den eigenen Instinkten gerade
nicht vertraute, sondern sie verstehen und
gegebenenfalls korrigieren wollte. Den
Verriss, der mit der ntigen philologischen Disziplin die unmenschlichen Quellen der Gedanken von Deutschland
schafft sich ab offenlegte, schrieb Schirrmacher. Niemand verblffte das mehr als
den Verfasser des Buches, der in Schirrmachers Schriften Sympathien fr die
Islamkritik ausgemacht hatte. Aber Schirrmacher begegnete bei Thilo Sarrazin die
positivistische Wissenschaftsglubigkeit
der Generation des Vaters von Ernst Jnger wieder, die dem Sohn noch als Hundertjhrigem, wie Schirrmacher gelegentlich notierte, ein Rtsel geblieben war.
Als ich 2011 die Geschfte des Ressortleiters an Nils Minkmar weitergab, bedang
der Herausgeber sich aus, dass einer der
von mir betreuten Mitarbeiter unbedingt
weiterbeschftigt werden msse: unser
biopolitischer Kommentator Oliver Tolmein. Dass es unter dem Kostendruck im
Gesundheitswesen zu einer Ethik der Anreize zum Sterben kommen werde, hielt
Schirrmacher wohl deshalb fr ein plausibles Szenario, weil er das Programm der
Rationalisierung des Lebens als schlssig
erlebte und Angst vor der Machtlosigkeit
des Todgeweihten hatte. Ahnungen sowohl zum Gegenstand als auch zum Werkzeug der Zeitanalyse zu machen: das war
sein staunenswertes Talent.
Am 20. Juli 1993 war Schirrmacher zugegen, als Helmut Kohl und Franois Mitterrand in Wilflingen den achtundneunzigjhrigen Ernst Jnger besuchten. Jnger
sagte an diesem Tag, man denke bis zuletzt, dass man nur zwanzig Jahre gelebt
habe. Frank Schirrmacher starb mit vierundfnfzig Jahren. Knnen wir ihn lesen?
Was fr eine Frage: Lesbar sind alle seine
Texte, und mit seinen Bchern erreichte
er sogar eine neue Art von Lesbarkeit, die
dem einen oder anderen Kollegen etwas
unheimlich war. Wie der rmische Haruspex aus den Eingeweiden der geschlachteten Opfertiere die Zukunft erschloss, so
versuchte Frank Schirrmacher, im eigenen
Inneren zu lesen, was uns allen bevorsteht.
Er schuf Kultur
Jh!
Erinnerungen an das erste Mal: ein entfernter, beiderseits knapper Gru vor
etwa einem Jahrzehnt, als wir uns zufllig
bei einem Spaziergang im von ihm so geliebten Potsdam-Sacrow begegneten.
Frank Schirrmacher war kein Draufgnger, der sich an die Menschen heranschmiss. Er war eher scheu und diskret
und erst, wenn er Vertrauen gefasst hatte,
zuweilen sogar von rhrender Hilflosigkeit, die er ohne jeden Argwohn offen eingestand. Eine seiner stets von schrfstem
Verstand gekennzeichneten Analysen mit
dem Hinweis zu unterbrechen, dass er zwischendurch mal sein Hemd in die verwaschene Hose stecken solle, konterte er
mit dem Gestndnis, sein Outfit ohnehin
nur von Tchibo zu beziehen, das dem Trger dann doch keine besondere Eleganz
abntige.
Er trug seinen wachen Geist, die berbordende Intelligenz und seine gleichzeitig immer sprbare Herzenswrme nie
vor sich her. Trotzdem war er in seinem
Urteil eindeutig: Er nannte viele schreckliche Menschen beim Namen. Gleichzeitig war er vllig ideologiefrei und immer
bereit, seine Meinung zu ndern. Frank
Schirrmacher litt nicht nur in kleinem
Kreis an der Welt und strzte sich gleichzeitig lustvoll in jede Diskussion, um vor
allem Politikern klarzumachen, dass populistische Ideen und das Fehlen jeder Vision die Res publica berhaupt nicht und
ihre Reprsentanten nur kurzfristig nach
vorne bringen.
Seine ewige Neugier auf Widerspruch,
ausgefallene Ideen und jede Form von
Nonkonformismus hat mich immer wieder fasziniert. Wer ihm um 2.42 Uhr in
der Frh eine SMS sandte, konnte zumeist mit einer Antwort vor dem Morgengrauen rechnen. Nie gerierte er sich als
Besserwisser der er natrlich in Wirklichkeit war , sondern blieb in seinem
Wissensdurst fast kindlich naiv. Er freute
Professorin fr Betriebswirtschaftlehre.
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
sich, wenn einem Gast der von ihm kredenzte Wein schmeckte, um Stunden spter zu erfragen, wie man denn eigentlich
den Lidl-Pinot-Grigio von einem groen
Riesling unterscheiden knne.
Immer war er auf der Suche nach neuen
Erkenntnissen, um die ihm zuweilen ewig
trge erscheinende Gesellschaft nach vorne zu bringen. Walter Benjamins Definition vom fertigen Werk als der Totenmaske der Konzeption schien ihn rastlos anzutreiben, immer neue Debatten anzustoen von den demographischen Vernderungen bis zu seiner letzten groen Sorge,
dass Google und Co. uns auf so gefhrliche Weise beherrschen werden, wie wir
uns das noch gar nicht vorstellen knnen.
Dieser Mann war etwas ganz Besonderes. Ein brillanter Intellektueller, gewiss.
Aber gleichzeitig ein origineller, humorvoller und vor allem sehr, sehr treuer
Freund.
Und gerade deshalb bin ich ber seinen
pltzlichen Tod so unendlich traurig.
Aber dann schaue ich auf ein Foto, das
vor einigen Monaten entstand.
Wir waren beide auf ein sehr schnes
Fest geladen, das nur einen Nachteil hatte: Es bestand Verkleidungszwang und
uns verband (nicht nur) die Aversion gegen Maskenblle.
Tapfer entschieden wir uns trotzdem
fr uns geme Kostme: Er bestand auf
dem Outfit eines Ordnungshters mit Pickelhaube aus der nur vermeintlich besseren Zeit kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, und ich gab den West-Berliner Schupo aus den sechziger Jahren. Keiner war lcherlicher verkleidet als wir,
und so beschlossen wir am Ende des
Abends, knftig gemeinsam nur noch als
Dick und Doof bei den einschlgigen Kostmfesten einzulaufen.
Frank hielt das fr eine glnzende
Idee: Dann mssen wir uns auch nicht
mehr verkleiden.
Gnther Jauch ist Fernsehmoderator.
abenteuerlich sprunghafte Themenfindungen samt deren ffentlicher Ausbeutung immer wieder daherkamen als
reine Kindheits-Performance um
gleich in die ihm entsprechende Vokabelkiste zu greifen.
Ich wei nicht, wie ihn die, die andauernd mit ihm oder gegen ihn zu tun
hatten, erlebten. Ich wei nur, dass er
in meinem Zuschauer-Bewusstsein nie
als reifer Mann gewirkt hat. Zu reifen
das mag auch fr das und das gut sein.
Schirrmacher hat von berraschungen
gelebt. So wie eben Kinder uns von
einer berraschung in die nchste jagen. Und wenn sie uns nicht mehr berraschen, sind sie erwachsen. Dann
kann man mit ihnen rechnen, auf sie
zhlen.
Ich hatte in keiner Phase unserer gelegentlichen beruflichen Kontakte das
Gefhl, ich knne mich auf ihn wie auf
einen Parteifreund verlassen. Auch
wenn er dann FR mich war, war er immer seine eigene Partei. Und das war,
weil er immer hervorragend sachlich
operierte, sowohl sympathisch wie achtenswert. Dass er im Jahr 2002 ReichRanicki mir vorzog, verstehe ich heute
besser als damals.
Ich hatte nicht gengend Kontakt
mit Schirrmacher, um behaupten zu
knnen, er habe auch sich selbst immer
wieder berrascht. Dann musste er seinem jeweils neuesten Einfall entsprechen, das kann anstrengend gewesen
sein. Ohne dass ihn einer hetzte, hat er
sich vielleicht selbst gehetzt. Mit dieser
Vermutung will ich nur sagen, er ist so
berraschend gestorben, wie er gelebt
hat. Jh! Da denkt man unwillkrlich:
Wenn ich ihn fter gesehen htte, htte
ich versucht, ihn zu bremsen. So aber
kommt die nackte Nachricht ins Haus.
Und ich bin bestrzt.
Martin Walser ist Schriftsteller.
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(weil die in Polen billiger waren) in der Tasche hatte. Ich wei nicht, wie man das
Berhrende dieses Ereignisses anders ins
Bild bringen kann als durch pures chronologisches Referat: ein junger Jude, der genau zwanzig Jahre nach seiner Deportation mit seiner Frau nach Deutschland zurckkehrt, die Familie unterdessen ermordet, die Familie der Frau unterdessen ermordet und er bringt Chopin-Partituren
mit als Gastgeschenk. Gnter Grass, den
Reich-Ranicki in Polen fr einen bulgarischen Spion hielt, hat einiges davon im
Tagebuch einer Schnecke erzhlt.
Wir alle haben ihn erst kennengelernt,
als er auf der Hhe seines Ruhms und seiner Macht war. Sein Humor und seine
Schlagfertigkeit waren atemberaubend,
auch seine Respektlosigkeit. Sehr berhmte Politiker drangen darauf, in der Frankfurter Anthologie Gedichte zu rezensieren. Sie alle, ohne Ausnahme, bekamen
Variationen der gleichen Antwort: Es
muss in diesem Land mglich sein, dass
es etwas gibt, woran sich die Politik nicht
vergreift. Den Literaturteil der F.A.Z.
hat er erfunden und, wie es ein Schriftsteller einst sagte, aus einem Fnfzehn-Quadratmeter-Zimmer die literarische Welt
regiert. Seine Forderungen an eine hochtheoretisch, von den 68er-Jahren adornitisch geprgte Redaktion waren eindeutig: Klarheit, keine Fremdworte, leidenschaftliches Urteil. Als ich hierherkam,
sagte er einmal, haben die Redakteure
die Gedichte ihrer Tanten gedruckt.
Es ist ihm, in der zweiten Lebenshlfte,
in diesem Land kein Unrecht geschehen,
wie er selbst einmal sagte; aber der Betrieb mit seiner Eifersucht und seiner
Kleinlichkeit hat ihm manches versagt.
Natrlich htte er den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels verdient: Wenn
einer Frieden gestiftet hat, in der verwundeten oder korrumpierten deutschen Literatur der Nachkriegszeit, dann war es
Marcel Reich-Ranicki.
Ich habe achtundzwanzig Jahre mit
ihm zusammengearbeitet, lange Zeit in allerengster Nhe. Er liebte das Telefon
und htte, wre er jnger gewesen, das Internet als ideales Instrument seiner Eigenschaften Neugierde, Freude am Klatsch
und permanentes Informiertsein geliebt. In Ermangelung von E-Mails nutzte
er das Telefon. Und wie einst im polnischen Versteck glaubte er stets, er msse
Spannung selbst in den alltglichsten Gesprchen erzeugen, um den Gesprchspartner in Aufregung und Laune zu bringen. Grundstzlich begann ein Telefonat
mit Stzen wie Sie wissen, nicht, was
sich abspielt. Oder: Ganz Deutschland
diskutiert nur eine Sache, und Sie haben
noch immer nichts gemerkt. Ach, es war
herrlich, denn es war der permanente Protest gegen Langeweile und Mittelma.
Einen wie ihn werden wir nicht wiedersehen. Es stimmt nicht, dass jeder ersetzbar ist. Manche werden im Tod zur dauernden Abwesenheit, und er ist nun eine
solche. Ob die deutschen Autoren, die
unter ihm litten, wissen, dass dieser
Schmerz eine Art Existenzbesttigung
war? Es ist nicht schn, verrissen zu werden. Aber es bedeutet unendlich viel,
wenn eine Gesellschaft der Meinung ist,
nichts sei gerade wichtiger als das neue
Buch von Gnter Grass, Martin Walser
oder Wolfgang Koeppen. Das hat er geschafft und eine Prominenz erreicht, in
der er, noch auf der Ebene des Supermarkteinkaufs, als Literaturkritiker mit
dem Begriff der Popularitt selbst verschmolz. Ich kenne Sie, ich kenne Sie,
begrte ihn einmal ein Verkufer oder
Tankwart, so ganz genau ist die Geschichte nicht zu rekonstruieren, ich kenne Sie
aus dem Fernsehen. Sie sind doch der Robert Lembke.
Marcel Reich-Ranicki ist tot. Alle seine Anekdoten, Leidenschaften, Kritiken
sind jetzt nur noch Bestandteile unserer
Erinnerung. Erst dadurch sprt man,
was dieser groe Mann fr ein Geschenk
war; kein ffentliches Unglck, wie es
in Thomas Manns Lotte in Weimar
ber Gre heit, sondern ein Glck.
Man wsste so gerne, dass er das jetzt
liest. Und, wie er es bei unserem letzten
Geburtstagsartikel tat, in leicht gedehnter und sachlicher Weise sagt: Jaaaa, ich
halte es fr mglich, dass ich nach meinem Tode eine Legende werde. Das ist
er geworden. Mehr als das: eine reine
Freude darber, dass er war, noch in der
Trauer, dass er nicht mehr ist.
Dieser hier unverndert abgedruckte Artikel erschien am 19. September 2013 in dieser Zeitung.
tel, in denen von Humaniora, Aufklrung, Vernunft und auch vom Gottesstaat
geredet wurde und genau das sollen sie
auch. Wiedemanns Geisteskrankheit tritt
in diesen durch und durch diskursiven Roman ein wie eine Naturgewalt. Die Beschleunigung ist nicht nur ein Erzhlprinzip des Romans, sie ist das Abbild der politischen Dynamiken, die lngst den Kontinent ergriffen haben.
Ohne es auszusprechen, kndigt der
Roman im Jahre 1913 eine neue Epoche
an, die weit ber den Donnerschlag des
Ersten Weltkriegs hinausweist. Natrlich
war Thomas Mann kein Hellseher. Aber
um die Zahlenkonfusion komplett zu machen er begann den Zauberberg zwar
1913, aber das Kapitel, das heute vor hundert Jahren spielt, schrieb er erst knapp
zehn Jahre spter: zu einem Zeitpunkt,
als, besonders in Mnchen, niemandem
entgehen konnte, dass die Wiedemanns
den Krieg berlebt hatten.
Das alles wre nicht aufschreibenswert, wenn es sich nicht im Kosmos des
Romans ereignen wrde. Der Zauberberg ist nicht nur seit Generationen fr
jeden Leser eine lebenslange Verfhrung,
der Welt ein fr alle Mal abhandenzukommen: ein Leben auerhalb von Erwartungen und Ansprchen anderer, ein Dasein,
der Selbsterkenntnis und Liebe gewidmet, wobei auch diese Liebe vergeblich,
aber keineswegs lebensgefhrlich ist. Der
Roman ist aber vor allem das groe Dementi eines alten Traums von Aufklrern,
Bildungsbrgern und Geistes-rzten aller Art: der Hoffnung, der Mensch knne
einen Zustand der Reflexion und Verin-
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zieht. Aber auch sein Scheitern war ehrgeizig und blieb, wie etwa bei der Rttin, auch dann noch merkwrdig, wenn
man es nicht gegen die Gre des Anfangs aufrechnete. Gynt trumte von Gyntiana und Grass, wie man wei, von einer
Gesellschaft sozialer Demokratie. Verwundert sieht man heute, aus dem Abstand der Jahrzehnte, wie ungebrochen
sein knstlerisches Selbst in das politische Bewutsein eingewandert ist. Aber
aus der Distanz kann man auch erkennen,
wie sehr die Rolle vorgegeben und durch
seine Art, sich selbst produktiv zu machen, geradezu erzwungen wurde.
Der Wahlkampf fr die SPD stand unter
dem verfremdeten Motto Walt Whitmans
(Dich singe ich Demokratie), des groen
Epikers der Vereinigten Staaten. Nichts berechtigt zu der Annahme, da Grass in
dem Erfinder des amerikanischen Selbstbewutseins weniger gesehen htte als die
Spiegelfigur des eigenen Ehrgeizes. Er meditiert ber Entwicklungshilfe, globalen
Warenverkehr und warnt vor schlechten
Zeiten. Bald schon findet die Kritik den
Selbsthinweis und nennt ihn Peer Gynt in
allen Gassen.
Doch da hat sich das Selbstportrt schon
wieder verndert. Im Februar 1973 zieht
er, im Rckblick auf den Wahlsieg Willy
Brandts, vor der SP in Wien seine Siebenjahresbilanz. Er sagt demokratische
Geschichten voraus, teilt mit, da er Vorsorge getroffen hat, warnt, da man demokratisch fett sein und dennoch die Zukunft verlieren knne kurzum, im Augenblick des Triumphs redet nicht mehr der
Blechtrommler, jetzt redet Joseph, der
dem Pharao die Trume deutet. In Sprockhvel versucht er, Betriebsrte fr die Geschichte der Arbeiterbewegung zu interessieren. Wir lasen Gerhart Hauptmanns
Schauspiel ,Die Weber.
Frank Schirrmacher
acht, Kiefernwald. Ein Waldbrand hat gewtet. Alles verkohlt, alles Untergang. Gynt,
aufs hchste bedroht, wird angeklagt von den Gedanken,
die er nicht gedacht, den Losungen, die er
nicht gesprochen, den Liedern, die er nicht
gesungen, den Trnen, die er nicht geweint, den Taten, die er nicht getan man
kann nichts mehr auf ihn geben, schon ist
er verloren, da scheint Rettung auf. Zum
Gesang von Glaube, Liebe, Hoffnung erlst und entschuldet ihn seine Geliebte,
die jahrzehntelang auf ihn gewartet hat.
Glaube Liebe Hoffnung heit das Kapitel in der Blechtrommel, in dem Oskar
Zeuge der Reichskristallnacht wird.
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Frank Schirrmacher
Das ganze Feuilleton fieberte mit Schirrmacher bis zur groen Verffentlichung
am 31. 1. 1986. Und die deutsche Intelligenz hing an Schirrmachers Lippen, als
er feststellte: Die Nacht vom 19. zum 20.
Mai 1910, in der Europa ein letztes Mal
vom Halleyschen Kometen hysterisiert
wurde, ist der geschichtlich fassbare Augenblick, wo ngstliche Erwartung nicht
in Schrecken oder Befreiung, sondern in
Enttuschung umschlgt. Und damit
geht es um die Struktur einer heute wieder so beraus populren apokalyptischen Phantasie, die in dieser Nacht vor
76 Jahren, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, ein Urmotiv verlor. Der Halleysche Komet wurde fr mich zum Symbol,
wie aus einer Kombination aus Intellekt
und Leidenschaft Deutungshoheit wird.
Begeisterungsfhigkeit als Treibstoff
das hat Frank Schirrmachers gesamtes
dreiigjhriges publizistisches Wirken geprgt. Und seine Feinde und Neider fast
um den Verstand gebracht. Sie konnten
nicht verstehen, dass es keine Taktik war,
sondern brennendes Interesse, mit dem
dieses groe Kind auf die Welt schaut.
Frank Schirrmacher ist immer und bis
ganz zuletzt ein groes Kind von schlitzohrigstem Ausma geblieben. Das war
seine Strke. Alle Groen bleiben Kinder. Ich kenne keinen einzigen wirklich
Groen, der erwachsen ist.
Zum letzten Mal begegnet bin ich
Frank Schirrmacher am vergangenen
Samstag in Rom. Am Vormittag saen
wir zum Frhstck auf einem Balkon
oberhalb der Spanischen Treppe und
fhrten ein Mnnergesprch, wie wir es
so oft in den letzten Jahren so gerne getan hatten. Es ging um sehr Persnliches.
Und um Professionelles. Um letzte Dinge
und neue, groe Plne. Er war bester Dinge und voller Optimismus. Ungewhnlich ruhig, bei sich, erzhlte er, wie wichtig es sei, Erfolge zu genieen. Er freute
sich, mit seinem Buch Ego der allgemeinen Erkenntnis ein, zwei Jahre voraus gewesen zu sein. Er genoss die Durchschlagskraft seiner jngsten und vielleicht wichtigsten Debatte ber Digitalisierung und Datenmacht. Aber er plante
Neues. Ganz Neues. Man lebt nur einmal, sagte er. Es ist unsere Aufgabe, mit
unserem Leben das Maximum zu machen, er sprach von einer Mondlandungsmission. Er war ganz der Alte,
also jnger denn je.
Spter sind wir dann noch mit Dirk
Schmer zusammen in die Villa Massimo
gegangen. Und whrend wir zwischen Zypressen der stechender werdenden Mittagssonne auszuweichen versuchten, interessierte er sich vor allem fr den Stifter der Villa. Wie der Kohle-Unternehmer Eduard Arnhold aus einem Vermgen, das nicht mal eine Funote der Geschichte geblieben wre, durch die Schpfung der Villa Massimo etwas Bleibendes, Sinnvolles geschaffen hat.
Frank Schirrmacher hat als wirkungsstrkster Journalist der letzten Jahrzehnte im Feuilleton der F.A.Z. und mit seinen Bchern, Bleibendes, Sinnvolles geschaffen.
Das Wichtigste, was er so gerne gegeben und selbst so dankbar empfangen
hat, war: echte Freundschaft.
Vielleicht sprte er das und war auch
deshalb, auf dem Hhepunkt seines Erfolges, so empathisch und zugewandt wie
nie zuvor. Er wirkte gelst. Alles in seinem Leben hatte sich gefgt, gut gefgt.
Der frher so Ruhelose war angekommen. Auch an diesem rmischen Vormittag sah ich ihn in Gedanken immer wieder vor mir, auf der Terrasse sitzend, in
seinem schnen Potsdamer Haus am See.
Liebend. Und geliebt. Von seiner Tochter
Gretchen. Und seiner Frau Rebecca, die
ihm alles war. Nach den vielen ruhelosen
Jahren hatte er es endlich gefunden: das
Leben. Das Glck.
Noch als er wieder zu Hause angekommen war, schrieb er mir bester Laune eine
zukunftszugewandte SMS: Ich mchte,
dass wir unseren Plan verwirklichen.
Adriatische Stimmung des Lebens: also
mediterran sonnig. Jetzt ist er nach einem schnellen, intensiven Leben gestorben.
Mathias Dpfner ist Vorstandsvorsitzender
Weltkind
von nebenan
Er begriff, der Systemdenker
Von Hans J. Schellnhuber
Frank Schirrmacher war ausgebildeter
Geisteswissenschaftler und leidenschaftlicher Kulturjournalist. Selbstredend interessierte er sich fr die Menschen und ihre
Beziehungen zueinander. Aber er interessierte sich auch dafr, was die Menschen
mit der Welt anstellen und was umgekehrt
die Welt mit ihnen macht. Kaum ein anderes Brennglas lsst dieses Wechselspiel
schrfer sichtbar werden als der globale
Klimawandel, das Thema, das Frank
Schirrmacher und mich zusammengefhrt
hat. 2007 besuchte er erstmals unser Institut auf dem Potsdamer Telegrafenberg, wo
frher Einstein und andere JahrhundertPhysiker wie Schwarzschild und Michelson aus und ein gingen.
Begleitet wurde er von seinem zustndigen Wissenschaftsredakteur, der seinerseits mit eulenspiegelndem Scharfsinn in
der deutschen Medienlandschaft funkelt.
Schirrmacher wollte damals alles ber
den Zustand der Erde wissen: Er bohrte,
er staunte, er insistierte, er begriff! Rasch
merkte ich, dass mir, dem professionellen
Systemanalytiker, ein naturwchsiger Systemdenker gegenbersa. Frank Schirrmacher hatte die Welt als Ganzes im Blick,
die er mit der unverstellten Klugheit eines
Kindes inspizierte entzckt, fassungslos,
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Voll Dankbarkeit fr alle Liebe, Freude und Gte, die er uns in seinem Leben schenkte, nehmen wir
Abschied von meinem geliebten Ehemann, unserem Vater, Schwiegervater, Grovater und Bruder
Hermann Bahlsen
* 6. November 1927
6. Juni 2014
In Liebe
Katja Bahlsen, geb. Korkowski
Sebastian und Maximilian Kernbach
Alexander und Elizabeth Bahlsen
mit Alexandra und Taryn
Hubertus Bahlsen und Evelyn Tanner
mit Nikolai, Anuschka, Sascha und Leander
Dagmar Fortmller, geb. Bahlsen
mit Max, Pia, Loisl, Jade und Rosemond
Magda Bannister, geb. Bahlsen
Maria Bahlsen-Warning
Ursula Bahlsen, geb. Donnay
Traueranschrift: Podbielskistrae 11, 30163 Hannover
Die Beisetzung findet im engsten Familien- und Freundeskreis statt.
Bestattungshaus August Battermann, Humboldtstrae 26 C, 30169 Hannover
Hermann Bahlsen
Der Enkel des Unternehmensgrnders hat ber 40 Jahre lang das Unternehmen Bahlsen
mitgeprgt. Er trat 1954 in das Unternehmen ein und war als Mitglied der Geschftsleitung
zustndig fr ffentlichkeitsarbeit und die inlndischen Tochtergesellschaften. Darber
hinaus engagierte er sich als Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen
Ernhrungsindustrie, Prsident der Unternehmerverbnde Niedersachsen, sterreichischer
Honorarkonsul in Niedersachsen und in anderen Ehrenmtern.
Wir blicken mit Respekt auf sein Lebenswerk und sind dankbar fr das, was er fr das
Unternehmen getan hat.
Unser aller Mitgefhl gilt seiner Frau und seinen Kindern.
Werner M. Bahlsen
fr Geschftsleitung, Betriebsrat und Mitarbeiter
Bahlsen GmbH & Co. KG
Hannover
Traueranzeigen
Hermann Bahlsen
Von 1981 bis 1995 war Hermann Bahlsen Prsident
der UVN und wurde anschlieend
zum Ehrenprsidenten des Spitzenverbandes
der niederschsischen Wirtschaft ernannt.
Hermann Bahlsen hat mageblich die Positionen
der Arbeitgeber in Niedersachsen und
bundesweit im Vorstand und Prsidium
der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbnde (BDA) mitgestaltet.
Seine starke Persnlichkeit, seine Kompetenz
und sein gesellschaftliches Engagement haben
unseren Verband mageblich geprgt.
Wir werden Hermann Bahlsen ein ehrendes
Andenken bewahren. Seinen Angehrigen
gilt unsere aufrichtige Anteilnahme.
* 1. August 1950
3. Juni 2014
3. Juni 2014
In tiefer Trauer
Nils-Oliver Hackert
Charlotta Juliane Hackert
und unsere Mutter Gudrun Hackert
Wer aber den Weg der Wahrheit geht, kommt zum Lichte,
damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Joh. Ev. 3,21
Inhaber des Groen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der
Bundesrepublik Deutschland
Professor Dr. Werner Bhmer gehrte dem Bundesverfassungsgericht vom 10. Februar 1965 bis
zum Ende seiner Amtszeit am 5. Juli 1983 als Mitglied des Ersten Senats an.
Er hat insbesondere zur Ausformung der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes wertvolle
Impulse gesetzt und wirkte an zahlreichen wegweisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutze des Eigentums mit. Seine Richterpersnlichkeit war durch eine groe
Tat- und Schaffenskraft geprgt.
Das Bundesverfassungsgericht wird seinem ehemaligen Richter stets ein kollegiales und ehrendes
Andenken bewahren und ihm in Dankbarkeit verbunden bleiben.
Der Prsident
des Bundesverfassungsgerichts
Prof. Dr. Andreas Vokuhle
Ich liebe Dich, Herr, mehr als alles auf der Welt,
denn Du bist die wahre Freude meiner Seele.
Deinetwegen liebe ich meinen Nchsten wie mich selbst.
3. Juni 2014
Frankfurt am Main
Trauernd, aber voller schner Erinnerungen nehmen wir in Liebe und Dankbarkeit Abschied
Hendrik Hppner
Sarn Hppner, geb. Sbrich
mit Merle Feline
Die Trauerfeier mit anschlieender Urnenbeisetzung findet am Freitag, 20. Juni 2014, 10.30 Uhr,
auf dem Friedhof Frankfurt am Main-Hchst, Sossenheimer Weg 75, statt.
Matthus 20,28
Werner Kern
* 14. Mai 1927
9. Juni 2014
Arend Baumann
geb. 18. Juli 1944
Stolpmnde,
Pommern
Bundesverfassungsrichter i. R.
Major d. Res.
Trger hchster Orden und Ehrenzeichen
1927 2014
Waldorfschulverein Frankfurt/Main e. V.
Friedlebenstrae 52, 60433 Frankfurt am Main
Herr Krauch war von 1958 bis 1982 als Lehrer fr Deutsch,
Geschichte, Kunstgeschichte und als Klassenlehrer
der Klassen 10 12 bei uns ttig. Er hat mageblich
am Ausbau der Schule zu ihrer heutigen Gre mitgewirkt.
Professor
Das Bundesverfassungsgericht
trauert um den am 11. Juni 2014 im Alter von 99 Jahren verstorbenen
frheren Richter des Bundesverfassungsgerichts
Der Trauergottesdienst findet am Freitag, dem 20. Juni 2014, um 12.00 Uhr in der Trauerhalle des
Neuen Friedhofes Kln-Rodenkirchen, Srther Strae, statt.
Anschlieend ist die Beisetzung.
Ausknfte und Beratung unter: Telefon (069) 75 91-22 79 Telefax (069) 75 91-80 89 23
Informationen unter
www.deutsche-leberstiftung.de
Feuilleton
FRANKFURT ER A L LGEME I NE Z E I TU NG
S A M S TAG , 1 4 . JU N I 2 0 1 4 NR . 1 3 6 S E I T E 1 5
Eine wahre
Weltbrgerseele
Mit ihm erlischt eine wahre Weltbrgerseele, die sich dynamisch und originell
fr ein humanistisches und demokratischen Deutschland eingesetzt hat. Fr ihn
waren Kultur und Politik eine gemeinsame Plattform fr ein aufgeschlossenes intellektuelles Leben und Denken in der
Bundesrepublik.
Lord George Weidenfeld ist politischer Publizist.
Eva Menasse
Ulla Unseld-Berkwicz
Er war gut
fr unser Land
Es ist sonderbar, mit einem Menschen
befreundet zu sein, der sich zu weit oben
aufhlt und der stets zu viel zu tun hat. Gelegentlich, viel zu selten, sind wir einander nhergekommen, Frank Schirrmacher und ich. Dann war er wieder anderswo, um seinen nchsten Coup vorzubereiten. Die Nachahmung, von der der Journalismus lebt, war nie seine Strke. Die Themen, auf die es ankam, hat er gefunden,
lange bevor andere die Witterung aufnahmen. Die Platzhirsche mussten ihm folgen, ob sie wollten oder nicht. Neid, Missgunst und Bewunderung konnten nicht
ausbleiben. ber die Einsamkeit, die der
Erfolg mit sich bringt, hat er sich nicht beklagt. Lieber hat er uns von neuem berrascht. Mir gefiel diese Singularitt. Sie
war gut fr das Land, das wir bewohnen.
Die geduckte Haltung, die wir von unseren Voreltern ererbt haben, war ihm
fremd und unverstndlich. Weit und breit
ist niemand zu sehen, der seinen Platz einnehmen knnte.
Hans Magnus Enzensberger ist Schriftsteller.
Craig J. Venter
Ein Enthusiast fr
die wichtigen Dinge
Wie unendlich traurig. Frank war eine
Persnlichkeit, wie man sie selten findet
eine Beschreibung, die leider viel zu abgedroschen wirkt und viel zu oft benutzt
wird. Bei ihm trifft sie voll zu. Er war einer der wirklichen Intellektuellen dieser
Welt. Ich habe seine Energie bewundert
und seinen Enthusiasmus fr die wirklich
fundamentalen Durchbrche in den Wissenschaften. Als es mit der Berichterstattung in den Vereinigten Staaten schon
Gustav Seibt
Humorvoll auch
im grten Streit
Frank Schirrmacher konnte im Minutenrhythmus die Rollen wechseln, vom Mynheer-Peeperkorn-Ton in den hessischen
Hausmeister-Ton in den Stefan-GeorgeTon berwechseln. Wir hatten uns als Studenten angefreundet, wie man es mit 23
Jahren eben tut, auf Grund geteilter Lektren, die die anderen nicht nachvollziehen konnten. Das hie damals, zu Beginn
der achtziger Jahre: George-Kreis and
all that. Allerdings war diese Vorliebe fr
den Dichter als Fhrer und geistigen Diktator Frank lie keinen Zweifel daran,
dass er selbst dergleichen anstrebe bei
ihm schon durch seine englischen Universittserfahrungen humoristisch gebrochen. Den Vers Und er kann tten, ohne
zu berhren zitierte er mit erhobener
Stimme und unter Gelchter.
Es gbe viel zu erzhlen. Wenn ich die
besten, schirrmacherhaftesten Momente,
die wir erlebten, nennen soll, dann fllt
die Wahl auf einen wie diesen: Wir fuhren im Mrz 1990 gemeinsam zur ersten
Leipziger Buchmesse nach dem Mauerfall, und zwar im Dienstwagen, den der
junge Literaturchef selbst chauffierte, ein
dunkelblauer BMW mit der Autonummer
F-AZ. Frank liebte den tollen Dienstwagen, die Autonummer, und immer wieder
lie er in den Drfern Thringens vor den
Kindern am Wegrand die Scheinwerfer
aufleuchten. Es war eine Art Siegesfahrt,
auf der er die Weltgeschichte und zu-
Frank Schtzing
Bernard-Henry Lvy
Er war Auslser,
Genie und Gewissen
Kln, 21. Mai 2014, vor kaum drei Wochen. Ich teile mir mit Frank Schirrmacher die Bhne der phil.Cologne. Er ist in
Form. Er sprht vor Intelligenz und Kultur. Wir diskutieren ber die Ukraine und
die berwindung der Metaphysik bei
Heidegger. ber Putin und das eurasische
Projekt, das Alexander Dugin verteidigt,
der verwirrteste unter Putins Denkern.
Wir erinnern uns an die Walser-Affre vor
fnfzehn Jahren, bei der er gleichzeitig
Auslser, Genie und Gewissen war. Ich erzhle, was Bubis, Ignatz Bubis, dieses lebende Denkmal des deutschen Judentums
nach dem Krieg, mir damals ber Schirrmachers Intervention in der Debatte sagte
und darber, dass sie, diese Intervention,
alles gerettet und es Bubis erlaubt habe,
nicht an Deutschland zu verzweifeln. Er
kommt auf Gnter Grass zu sprechen
Attitde und Hochstapelei, Standbild aus
Sand und Komdiant, Elefant der Literatur, ein in sechzig Jahre Lgen und Posen
eingefrorener Butt, der sich in der Verwesung als steinerner Gast, als Statue des
Commandeurs in Molires Don Juan
aufspielt, sich aber als Tartuffe erweist.
Schirrmacher ist an diesem Abend so lebendig, wie man nur sein kann. Er ist die
hchste Verkrperung dieser vom Untergang bedrohten Gattung, der groen Publizistik der europischen Ideen. Nun ist
dieser groe Lebendige gestorben. Die
Gattung droht, noch etwas schneller unterzugehen; Europa und die Kultur trauern.
Bernard-Henry Lvy ist Philosoph..
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Feuilleton
SEITE 16 S A M S TAG , 1 4 . JU N I 2 0 1 4 NR . 1 3 6
F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Frank Schirrmacher mit der ARD-Moderatorin Anne Will (links) und der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel auf dem Empfang dieser Zeitung nach der Buchmesse im
Oktober 2011 in Frankfurt
Foto Frank Rth
Stationen
eines
Herausgebers
Die Verleihung des Ludwig-Brne-Preises an Frank Schirrmacher, hier mit seiner Frau
Rebecca Casati (links), Michael Gotthelf, Petra Roth und Necla Kelek, 2009
Foto dpa
Jeder Buchmessenempfang begann mit einer stets sehr kurzen, sehr pointierten Rede
von Frank Schirrmacher, so auch jener im Oktober 2013.
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Ignatz Bubis, Salomon Korn und Martin Walser diskutieren im Bro des Herausgebers nach Walsers umstrittener Rede in der Paulskirche 1998.
Feuilleton
FRANKFURT ER A L LGEME I NE Z E I TU NG
S A M S TAG , 1 4 . JU N I 2 0 1 4 NR . 1 3 6 S E I T E 1 7
Er hat recht
behalten
In ihm lebte
Marcel nach
Seit dem Tod von Marcel Reich-Ranicki im September letzten Jahres haben
wir viel darber geredet, wie sehr er
uns fehlt und was es eigentlich ist, das
uns fehlt. Jetzt, so kurz nach Reich-Ranickis Tod, ist er selbst jh aus dem Leben gerissen worden. Mit Frank Schirrmacher wird Reich-Ranicki nun ein
weiteres Mal begraben, weil er in
Schirrmacher nachlebte. Kaum eine Situation, in der wir uns nicht schnell
mit einem nachgeahmten typischen
Marcel-Wort und einem Augenzwinkern verstndigt htten. Wir vermissten an Marcel, was hierzulande nicht
besonders verbreitet ist: das Unangepasste, sein Temperament, seinen
Esprit, den Ruhestrer, seine Lust am
Literaturbetrieb und die Garantie,
dass es nie langweilig ist mit ihm.
Diese Eigenschaften wertzuschtzen bedeutet, sie auch weiterzutragen.
Mit Frank Schirrmachers Tod ist wieder ein Akteur mehr dieser unspieigen Lebensart verlorengegangen. Als
leidenschaftlicher Aufklrer nahm er
die relevanten globalen Menschheitsfragen furchtlos in Angriff. Mit kindlicher Neugierde und aller ihm zur Verfgung stehenden Macht hat er nahezu
einzelkmpferisch die Themen vorangebracht, die ihm am Herzen lagen. Er
war ein unentwegt laufender Motor.
Seinen Platz als stets besorgter und
warnender Zeitgenosse hat er eingenommen wie keiner zuvor.
Viele Vorhaben, auf die er so erwartungsvoll hingefiebert hat, werden
jetzt wohl unerfllt bleiben. Ich habe
einen groen Freund verloren. Wo
jetzt seine Inspiration hernehmen?
Im Gesprch mit Gnter Grass ber seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS, Sommer 2006
Zu Hause in
zwei Welten
Der Journalist und der
Buchautor / Von Jo Lendle
Zeitungsverlage und Buchverlage verbindet eine seltsame Verwandtschaft,
die mehr ist als der geteilte Nachname
Verlag. Frank Schirrmacher verstand
beide Welten von Grund auf, als Herausgeber und Autor lebte er in beiden.
Einmal jhrlich lud er die unterschiedlichen Geschwister zum F.A.Z.-Buchmesseempfang, und dann standen
Buch- und Zeitungsmenschen beieinander und erzhlten den anderen Familienmitgliedern, was aus ihnen geworden war. Zu vorgerckter Stunde konnte man den Gastgeber inmitten einer
Schar Titanic-Herausgeber sehen, in
erregter Diskussion und aus dem Augenwinkel war nicht zu entscheiden,
wer hier wem die Welt des Publizierens erklrte.
Diese Neugier machte ihn aus. Die
Regel, dass wachsende Macht einhergeht mit wachsender Angst vor
Neuem, galt fr ihn nicht. Bei allem
Verstndnis fr die Macht behielt er
seine frappierende Leidenschaft, die
grundstzlichen Vernderungen verstehen zu wollen, denen wir uns unterwerfen. Es gab in diesen Jahren viele
beraus grundstzliche Vernderungen, und Frank Schirrmacher hat sie
fr uns zugespitzt. Es ist ein Jammer,
dass er die kommenden nicht begleiten wird.
An dem Tag, als er das komplette
menschliche Genom in seinem Feuilleton ausbuchstabierte, habe ich in einer einzigen Sekunde kapiert, wie
man a) eine Zsur markiert, was
b) Zeitungmachen mit Kunst zu tun
hat und bekam c) auf ganz unbiologische Weise eine Ahnung davon, was
die Genom-Entschlsselung bedeutet.
Drei Lektionen vor dem Frhstck
ein guter Grund, die Zeitung aufzuschlagen. Sein Name wird auf der Titelseite dieser Zeitung fehlen: Es ist kein
Zufall, dass die Herausgeberleiste in
Antiqua-Kapitlchen steht, als kme
sie direkt aus der Werkstatt rmischer
Steinmetze: Jede Serife zeigt die Spur,
wo ihr Meiel ansetzt. Frank Schirrmachers Name ist diesem Feuilleton eingemeielt, man wird Steine entfernen
und neu aufbauen mssen, um ihn zu
ersetzen.
Jo Lendle ist Hanser-Verleger.
Giovanni di Lorenzo
ie Frage sollte mglichst beilufig klingen: Wussten Sie eigentlich, dass Gnter Grass in der
Waffen-SS war? Niemand hatte
es gewusst. Seine Gegenfrage kam
schnell, er stellte sie spter auch dem Nobelpreistrger, als wir in dessen Garten
beim Interview zusammensaen, und es
sollte die ganze Debatte ber die wichtigste, die entscheidende Frage bleiben. Mehr
als sechzig Jahre lang hatte Gnter Grass
ber seine Mitgliedschaft in der Waffen-
ren eins waren. Die Machtfrage faszinierte ihn auch in der Literatur, nicht nur als
Gegenstand der Literatur, sondern im Akt
des Lesens selbst. Worin Franz Kafkas literarisches Genie bestand, definierte er einmal so: in der absoluten Kontrolle ber
den mehrfachen Schriftsinn nicht nur fast
jedes Satzes, sondern fast jedes Wortes.
Der Satz findet sich in dem Artikel, mit
dem Frank Schirrmacher die Feuilletonserie Kafkas Stze erffnet hat. Die Idee,
Kafkas 125. Geburtstag mit einer Feuilletonserie zu begehen, in der Schriftsteller
und Kritiker jeweils ber einen Satz, ber
ihren Lieblingssatz von Franz Kafka
schreiben sollten, hatte ihm zunchst
nicht gefallen. Es konnte mhsam sein,
ihn zu berzeugen. War er gewonnen, stellte er sich ganz hinter die Sache und bernahm das Steuerruder.
Aber fahren mssen Sie! Am Hamburger Flughafen wartete ein Mietwagen auf
uns, eine groe Limousine, wir knnten
doch wohl nicht im Kleinwagen bei Gnter Grass vorfahren, hatte er noch in
Frankfurt gesagt. Als Beifahrer hatte er
groe hnlichkeit mit Marcel Reich-Ranicki: schnell gelangweilt und ohne groes Zutrauen in die Fhigkeiten seines
Chauffeurs: Die Ampel da vorne wird bestimmt gleich rot. Immer wieder stellte er
die Frage: Warum erst jetzt?
Gnter Grass blieb die Antwort schuldig. Er sagte wenig mehr als: Das musste
raus, endlich. Auf der Rckfahrt redete
Frank Schirrmacher viel ber diesen einen Satz, als wollte er ihn interpretieren,
wie er zwei Jahre spter den ersten Satz
von Kafkas Roman Der Prozess interpretiert hat. Aber der Satz eignete sich nicht
zu einer solchen Exegese. Vier Worte
Grass. Sie gaben wenig her.
Neunzehn Worte Kafka. So lautete damals die berschrift zu seinem Kafka-Artikel. Kafka, so heit es darin, habe einmal
seinem Tagebuch anvertraut, dass es in all
seinen Texten darum gehe, dass jemand
stirbt, dass es ihm sehr schwer wird, dass
darin fr ihn ein Unrecht und wenigstens
eine Hrte liegt. Rein logisch betrachtet,
so schrieb Frank Schirrmacher damals, sei
diese Haltung natrlich absurd, denn
schlielich msse alles irgendwann sterben: Doch weil der Mensch leben und
nicht sterben will, berwindet er die Logik
und schafft Literatur, Erzhlungen vom Paradies und der Vertreibung daraus, die
nicht logisch, aber notwendig sind.
Er war immer der jngste unter den Weisen, und das wird er jetzt auch bleiben.
Mit 54 stirbt man nicht, mein Lieber.
Aber seine Atemlosigkeit ist dem Herz
wohl schlecht bekommen. Frank Schirrmacher tot? Niemals. Zu jung zum Sterben, so, wie er fr alles zu jung war, fr
das, was er dachte, was er schrieb, wie er
schrieb, was er durchschaute. Manchmal
fragte man sich staunend, woher ein junger Mann so viel intellektuellen Durchblick haben konnte und so viel Talent, seine Erkenntnisse zu formulieren. Wahrscheinlich war er etwas ganz Altmodisches, ein sptgeborenes Genie.
Er war kein Journalist, er war ein
Geist, der die Welt reflektierte, der Entwicklungen erkannte und benannte, der
aus jedem, mit dem er sprach, herausholte, was er wissen wollte, um am Ende klger zu sein als alle anderen seiner Generation. Und er war klug genug, sich nicht
auf ewig festzulegen. Nicht rechts, nicht
links und schon gar nicht in der Mitte. Je
nach Sachlage eben. Ein unabhngiger
Geist, der sich nicht nach Moden richtete,
sondern seine eigene Agenda setzte und
damit frher als andere erkannte, wohin
die Welt sich drehte. Und wenn er durch
war mit einem Thema, dann strzte er
sich mit derselben Besessenheit auf das
nchste. Nicht weil er ein Thema suchte,
sondern weil die Themen ihn suchten, geradezu heimsuchten.
Ich habe ihn 1990, kurz nach dem Fall
der Mauer, zum ersten Mal getroffen, auf
einer Konferenz im Cecilienhof in Potsdam. Er sprach mich an auf einen Satz,
den ich in der Nacht des 9. November in
einem Fernsehkommentar gesagt hatte,
nmlich, das sei der Tag gewesen, an
dem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging.
Er konnte sich begeistern, fr das, was andere dachten und schrieben, fast mehr
als fr das, was er selbst dachte. Bis zur
Eitelkeit uneitel. Es war, als sei der Werbeslogan der F.A.Z. allein auf ihn ge-
Rosarote
Barbie-Laster
Kindern gab er alles /
Von Christian Geyer
Von Erfahrungen wie der folgenden
knnten auch andere Kollegen erzhlen, die dann und wann ihre Kinder
mit in die Redaktion brachten. Frank
Schirrmacher lie dann alles stehen
und liegen, um sich mit dem jeweiligen
Kind zu beschftigen. Aber was heit
hier beschftigen?
Als meine Zwillinge noch im Kleinkindalter waren und ich sie fters mit
in den Feuilletonflur nahm, war es
nicht mglich, am Herausgeberzimmer vorbeizugehen, ohne dass
Frank Schirrmacher herausgeschossen
kam und die beiden Mdchen so berschwnglich begrte, als habe er den
ganzen Tag nur auf sie gewartet. Er verstand es, Kindern das Gefhl zu geben,
irgendwie ja einer von ihnen zu sein,
sie eigentlich immer schon gekannt zu
haben, und sprach und scherzte und
lungerte mit ihnen auf eine Weise herum den Vater dabei vor den Kindern
gensslich foppend , die kindlich und
erwachsen zugleich war.
Das war ganz unnachahmlich, weit
weg von allem Auf-Kind-Gemache,
wie man es auf Spielpltzen und bei
Kaffeerunden so oft von Erwachsenen
erleben kann. Diese Widmung Knall
auf Fall kam so rundweg von Herzen
mal ausgelassen, mal selbstironisch altvterlich , schien ihn fr Augenblicke
rundum glcklich zu machen, auf vollkommen ungebrochene Weise, egal,
aus welchen Beschftigungen ihn die
kindlichen Strenfriede gerade herausgerissen hatten. Nach ein paar Minuten setzte Frank Schirrmacher dann
eine bedeutungsvolle Miene auf, gebot
Stillschweigen und ffnete seinen
Schreibtisch oder Wandschrank, um
mit grtmglicher Umstndlichkeit irgendein bombastisches Geschenk hervorzuholen und den beiden mit diebischem Vergngen zu berreichen.
Meistens waren es ins exzentrische Extrem getriebene Kinderfreuden: nicht
eine Tte Weingummi, sondern eine
riesige Schssel bis obenhin mit Weingummi gefllt; nicht eine Barbiepuppe, sondern ein berdimensionaler rosaroter Laster voller dieser Puppen;
nicht ein einzelnes Kinderprachtbuch,
sondern ein Karton mit zwanzig, dreiig Pixi-Minikinderbchern. Diese Sachen hatte er immer bei sich im Bro
parat und lange vorbereitet, ohne zu
wissen, wann der nchste Kinderbesuch sein wrde.
Meine Tchter waren begeistert von
diesen Vorstellungen, dabei jedes Mal
neu zutiefst verwundert ber die Auerordentlichkeit der Formate, mit denen sie es bei den Geschenken zu tun
bekamen, als breche im Herausgeberbro regelmig das bernatrliche in
ihre Welt hinein, und konnten all das
Zeug kaum schleppen, wenn wir wieder die Zeitung verlieen. Wussten
wir, wie uns geschah? Es waren Wonnemomente fr alle die Kinder, den
Vater und den Wohltter, der diese Fhigkeit im berma besa: ein Kind
zu bleiben. Wir haben doch nie richtig
danke gesagt, sagten mir meine Tchter gestern unter Trnen.