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Seite:Die Gartenlaube (1884) 606.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)


Aber der Reiter lauschte auf bei dem Wohlklang ihrer tiefen Stimme.

Sie verließ mit gemessenem Schritt den Kahn, sein Pferd erklomm den Uferrand, und jetzt sahen Beide sich an.

Wie ein blauer Blitz traf sein Blick ihre schöne Gestalt, die hoch aufgerichtet vor ihm stand, den Kopf leicht über die Schulter ihm zugewandt; und unter ihren breiten dunkel umsäumten Augenlidern hervor fiel ein Eisesblick auf ihn.

Da erhob er, unbekümmert darum, daß das Wasser in Strömen von ihm und seinem Goldfuchs herabrann, mit vollendeter Curtoisie und Grazie die Hand grüßend zur Czapka, und ohne auf einen Gegengruß zu warten, der ihm auch nicht wurde, jagte er davon, während sie sich heimwärts wandte und unter langsamem Dahinwandeln das Zittern verbarg, das der Zorn über den frechen Lanzenreiter ihr erregte.

Sie hätte aller Welt kund thun mögen, welche Unbill ihr widerfahren war, und sie hatte keinen Menschen, zu dem sie mit ihrer Empörung flüchten konnte. Die gute Tante zu Haus würde sie nicht verstehen, kaum anhören; ihr Horizont war in der früchtespendenden Sommerzeit ausgefüllt mit Himbeersaft und Johannisbeergelée. Und für die Anfechtungen des täglichen Lebens hatte sie stets ein deutsches Sprichwort in Bereitschaft, mit welchem sie wie an festem Bergstock über die Steine des Anstoßes hinwegstieg. Mit Widerwillen dachte Ereme, daß sie zum Trost die Allerweltsweisheit vernehmen müßte: „Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.“

Aber da ragten vor ihr die Stiftsgebäude auf mit ihren spitzen Giebeln und dem schiefergedeckten Thurm. Zu Melanie wollte sie gehen. Die Stiftsdame, die immer Alles zum Besten kehrte, sollte hören, wie ihre berühmten Rufer im Streit sich betrugen. Ihr Blick glitt über den Garten, aus dem plaudernde Stimmen schallten. Zwischen Lilien und blassen Rosen, die an den ehemaligen Klostergarten erinnerten, saß ein Kreis von Stiftsdamen um eine blinkende Kaffeemaschine, mit Strickkörbchen und Nähkästchen, obenan kerzengerade die alte Pröbstin, deren kleine polirte Krücke mit silbernem Griff gleich einem Krummstab in ihrem Arm lehnte. Melanie befand sich nicht unter ihnen.

Ereme schritt über den Vorhof, die steinerne Wendeltreppe hinauf, deren Stufen mit dunklem Teppichstoff belegt waren, den in gotischem Bogen sich wölbenden Corridor entlang, bis zur Glasthür, die Melanies Wohnung abschloß.

Als sie auf den Knopf der Klingel gedrückt hatte, klapperten eilig aus der Tiefe des Ganges Hackenschuhe heran; die mit dichten Musselinfältchen verhüllte Thür öffnete sich, und eine zierliche Zofe knixte vor dem Besuch. Zugleich erschien das rosenrothe Näschen eines schneeweißen King-Charles in der Luke, der als Halsband eine breite heliotropfarbige Atlasschleife trug.

„Das gnädige Fräulein haben das gnädige Fräulein kommen sehen und lassen bedauern. Sie sind bei der Toilette,“ referirte die Jungfer. „Das Musikcorps von den Ulanen giebt ein Concert im Philosophenhain. Aber sie lassen das gnädige Fräulein bitten, sie doch dahin zu begleiten. Das gnädige Fräulein würden sich ein Vergnügen daraus machen, das gnädige Fräulein abzuholen.“

„Ich lasse danken,“ gab Ereme schroff zur Antwort. „Ich habe heute schon genug von den Ulanen gehört und gesehen.“

Sie wandte sich.

„Das gnädige Fräulein werden bedauern,“ knixte abermals die Jungfer. „Ach Darling, da bist Du. Der Kleine läuft aber auch überall nach.“ Sie nahm ihn besorgt auf den Arm. „Unterthänigen guten Tag.“

Ereme ging mit streng zusammengezogenen Brauen nach Haus.

(Fortsetzung folgt.)

Mathias Schmid.
Von Ludwig Ganghofer.

Wenn wir der allseitigen, tiefinnerlichen Hinneigung zum Volksthümlichen gewahr werden, welche unsere ganze deutsche Kunst von heute, und die Malerei besonders, kennzeichnet, und wenn wir gleicherzeit unter Jenen Umschau halten, welche auf dem Gebiete dieser letzteren Kunst als die hauptsächlichsten Förderer jener volksthümlichen Richtung erscheinen, so fällt uns eine eigenartig interessante Thatsache in die Augen, die uns als Beweis gelten kann, daß solch eine Vorliebe für volksthümliche Stoffe keine willkürliche, malerische Moderichtung ist, sondern eine den Entwicklungsgang der modernen Malerei bedingende und aus diesem selbst bedingte nothwendige Erscheinung. Fast zu gleichen Zeitläuften hat sowohl im nördlichen Deutschland wie aus dem südlichen Deutschthum je ein Künstlerpaar sich herangebildet, von denen jedes einzelne für die malerische Darstellungsweise des volksthümlichen Lebens mit dem anderen in parallelem Sinne bahnbrechend wirkte: Benjamin Vautier und Ludwig Knaus – Franz Defregger, der Allbekannte, und Mathias Schmid, der meisterliche Schöpfer der „Karrenzieher“, des „Herrgottshändlers“ und der „Austreibung der Zillerthaler“.

Diese Analogie geht aber noch weiter. Wie wir innerhalb des ersteren Paares Vautier und Knaus das gleiche, schöne Ziel von verschiedenen individuellen Standpunkten aus erstreben sehen, so finden wir auch bei Defregger und Schmid eine ähnliche Unterscheidung der künstlerischen Individualität. Defregger, dessen Leben und Schaffen Fr. Pecht in Nr. 1 des vorigen Jahrgangs eingehend gewürdigt hat, steht bei Betrachtung des Lebens seines heimathlichen Volkes mehr über demselben, sein stillsinniges, der fröhlichen Schönheit bedürftiges Auge gleitet gerne über den Ernst und die schneidenden Conflicte desselben hinweg, es verweilt mit Vorliebe bei den freudvollen, lachenden Bildern, die dieses Leben in seinen glücklichen, sorglosen Stunden zeigt – und da solch ein liebliches Kleinleben sich gar wenig mit der majestätischen Großartigkeit der Hochlandsnatur verträgt, so fühlt sich Defregger auch wesentlich unter dem Dache der Sennerhütte und in der traulichen Bauernstube so recht zu Hause.

Mathias Schmid, der mit voller Seele an der Scholle hängt, die ihn geboren, steht mit seinem ganzen Fühlen und Denken inmitten seines Volkes, all dessen Wohl und Wehe in seinem tiefsten Herzen mit- und nachempfindend. Durch diese Stellung wird er in gewissem Sinne zum Parteigänger für das Glück seiner lieben Tiroler – freilich zum Parteigänger im edelsten Sinne des Wortes, da er daneben doch der objective, von den lautersten ästhetischen Grundsätzen getragene Künstler verbleibt, der das aus seiner Betrachtung des Lebens sich ergebende subjective Empfinden, wenn er es in Linien und Farben übersetzt, stets zu maßvoller und formenschöner Ruhe abzuklären weiß. Ob er die Tragik schildert, mit der die gewaltige Natur der Berge das Dasein ihrer Bewohner stündlich bedroht, ob er sich in seinen Werken aus berechtigtem Zorne gegen die seiner Heimath in geistigem Sinne feindlichen Elemente wendet, nie wird er zum vielredenden Prediger, immer bleibt er im Rahmen des jeweiligen Stoffes, immer schlicht und wahr, aber auch schön in dieser Wahrheit – und gerade dadurch ergreift und erschüttert er am tiefsten, gerade dadurch macht er für seine Lieblinge die edelste und ausgiebigste Propaganda.

Liegt es nun so in der Natur der Sache, daß Mathias Schmid seine vollsten Wirkungen in der Darstellung ernster Stoffe erzielt, deren menschlich psychologische Seite er mit dem Charakter einer großartigen Scenerie stets meisterhaft in Eines zusammenzustimmen weiß, so ist ihm doch auch der Blick und die Empfänglichkeit für die heiteren Seiten des wechselvollen Lebens im Dorfe nicht versagt.

Schmidts Heimath ist das schwermüthige, düstere Paznaunerthal; die Berge, die es geleiten, sind hoch und rücken so eng zusammen, als mißgönnten sie den Menschen, die zu ihren Füßen wohnen, ein längeres Weilen der täglichen Sonne; wo das Auge emporgleitet über die schroffen Felsgehänge, begegnet es aller Orten jenen wustbedeckten Stätten, darüber die Lawinen die Zerstörung niedertrugen bis ins Thal; die schmale Wiesenflucht desselben wird durchrauscht von den schäumenden, bösartigen Wassern der Trisanna, an deren Ufern sich eine Martertafel an die andere reiht.

Inmitten solch einer wohl gewaltsam zum Ernste hinlenkenden Natur, in dem kleinen Dorfe See, darin ein paar hundert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_606.jpg&oldid=- (Version vom 27.11.2022)