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Brausejahre

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Textdaten
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Autor: Auguste von der Decken
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Titel: Brausejahre
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23–49, S. 373–376, 389–394, 405–408, 425–428, 451–455, 466–470, 483–486, 498–500, 512–514, 530–534, 547–548, 558–560, 578–582, 594–595, 618–619, 630–634, 646–648, 664–667, 680–683, 698–699, 706–708, 724–727, 741–743, 758–760, 774–776, 790–792, 808–811
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[373]
Brausejahre.
Bilder aus Weimars Blüthezeit.0 Von A. v. d. Elbe.

„Er ist da, Christel! er ist da!“ rief ein frisches hübsches Mädchen, indem es rasch die Thür eines Kämmerchens aufstieß und mehr springend als gehend eintrat.

In dem kleinen Schlafzimmer herrschte noch Dämmerung; das halbe Licht eines Novembermorgens vermochte nicht viel Helle zu verbreiten; kaum erkannte man ein einfaches, weißumhangenes Bett und einige binsenbeflochtene Stühle.

„Aber wie finster ist es noch bei Dir, Langschläferin!“ fuhr die Eintretende fort; sie ging an das Fenster, schlug die Vorhänge zurück, betrachtete fröstelnd den ersten langsam herabflatternden Schnee und trat an das Bett. Eine jugendliche Mädchengestalt richtete sich eben halb empor, öffnete groß die Augen und sagte:

„Wie früh kommst Du, Gustchen, eben graut der Tag, Tante Barbara hat noch nicht angeklopft.“

Auguste von Kalb, die Besuchende, zog einen Stuhl an die Bettkante, setzte sich und ergriff die kleine weiße Hand der Freundin.

Die beiden jungen Mädchen waren sehr verschieden; so frisch, üppig, brünett und lebhaft Gustchen Kalb erschien, so zart, blond und sanft war Christel Laßberg; ihre blauen Augen schimmerten halbversteckt unter schweren Lidern und langen gekräuselten Wimpern; das weiche Oval des Gesichtes, die ruhige Unbeweglichkeit der mattgefärbten Züge bildeten einen Gegensatz zu der lachenden, beweglichen Erscheinung der Andern.

Die frühe Morgenstunde hatte Auguste nicht verhindert, sich festlich zu kleiden, und der weiße Musselinanzug, nach der Mode des Jahres 1775 mit Falbeln ausgeputzt, sowie ein durch die schwarzen, leichtgepuderten Locken geschlungenes gelbes Band stimmten vortrefflich zu dem Roth der bräunlichen Wangen.

„Ich habe Dir unendlich viel zu erzählen!“ sagte sie hastig, mit den Fingern der Freundin spielend. „Gestern Nachmittag, nachdem Du fortgegangen warst, kam ein Expresser von meinem Bruder, welcher meldete, daß er und sein Gast die Nacht durch fahren und heute früh bei uns ankommen würden.“

„Ah! heute?“ sagte Christel, indem sie sich etwas mehr aufrichtete.

„Ja, ja! und sie sind da! Aber höre mich ruhig an, denn ich muß Dir von einer sehr wichtigen Unterredung mit Papa erzählen. Kaum war des Boten Brief eine halbe Stunde in Papas Händen, so ließ er mich rufen. Als ich eintrat, sah ich, daß die Eltern augenscheinlich eine wichtige Besprechung gehabt hatten. Frau Mama saß auf dem Thron am Fenster, und Herr Papa in seinem gelbblumigen Hausrocke ging im Zimmer umher und ruckte so arg mit dem Kopfe, daß der Haarbeutel bald über dem rechten, bald über dem linken Ohre erschien, und das hat immer etwas zu bedeuten. Ich stand und machte meinen Knix, küßte Papa die Hand und fragte, was er befehle?

Er räusperte sich, ja, er klopfte mir die Wange, und Mama wurde roth. Endlich sagte er: ‚Gusta, mein Kind, Dein Bruder kommt zurück und wird einen Gast mitbringen, der ein Freund Seiner Durchlaucht unseres allergnädigsten Herzogs ist, – daher eine Ehre für uns, ihn zu empfangen; man muß ihm das Haus angenehm machen, hörst Du, Gusta! Jugend gesellt sich gern zur Jugend, Dir wird es also dann und wann obliegen, den jungen Mann zu unterhalten.‘ – Mein Herz klopfte vor Vergnügen bei diesem Auftrage! – ‚Nun aber erheischt es meine Vaterpflicht, Dich zu warnen; dieser Doctor Wolfgang Goethe soll ein wilder, unbändiger Jüngling sein, absonderlich gefährlich für jedes wohlgebildete Frauenzimmer; hüte Dich also, nicht zu Denen zu gehören, von welchen er in Büchern schreiben kann! Hüte Dich auch, keinen Gedanken an die Möglichkeit ehelichen Bündnisses aufkommen zu lassen; denn trotzdem er der erwählte Freund unseres Herrn Herzogs Durchlaucht sein soll, ist er nur ein Frankfurter Bürgerssohn und die Verbindung mit einem solchen für ein adliges Fräulein nimmermehr zulässig.‘

Ich schwieg ergeben lauschend, der Papa fuhr, das Haupt bedächtig wiegend fort:

‚Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird dieser Herr Wolfgang Goethe für die nächste Zeit der einflußreiche Freund Seiner Durchlaucht werden. Als unser gnädigster Fürst im Winter mit dem Prinzen Constantin und Herrn von Knebel in Paris war, besuchten sie auf der Durchreise den jungen Goethe in Frankfurt. Nachher trafen sie sich wieder in Mainz und ein absonderliches Wohlgefallen an dem Doctor bestimmte unsern Herrn Herzog, ihn zu sich einzuladen; mein Sohn wurde jetzt beauftragt, ihn abzuholen; man estimirt ihn also auffällig genug; er wird hier sehr in seiner Assiette sein –‘

Papa räusperte sich: ‚Ich bin ein alter Mann,‘ fuhr er in kläglichem Tone fort, ‚meine Amtspflichten werden mir täglich lästiger, die Art und Weise der jetzigen Regierung stimmt nicht mehr zu mir, ich sehe mich nach einem Nachfolger um! Aber es ist mir nicht gleichgültig, wer meinen Platz einnimmt; das Glück des Landes hängt von der würdigen Besetzung dieses hohen Postens ab; meine Pflicht ist es, dem Herrn Herzoge einen tüchtigen Mann vorzuschlagen. Dein Bruder ist bereits Kammerjunker und hat mich in meinen Geschäften oftmals unterstützt, in [374] seine Hände möchte ich mein Amt niederlegen. Dieser Wunsch muß mit Delicatesse behandelt werden; Du, Gusta, bist aber vielleicht im Stande, durch den Günstling für Deinen Bruder zu wirken; man darf kein Mittel gering achten, das Familienwohl zu fördern! Politesse also, mein Kind, Zuvorkommenheit, aber in den angedeuteten Grenzen!‘

Ich verneigte mich mit einem: ‚wie der Herr Papa befiehlt!‘ und verließ nach seinem Winke das Zimmer?

Was sie von mir wollen, sehe ich klar genug, Christel, der Speck soll ich sein, um für den Bruder die Maus zu fangen; ich soll seinetwegen mit Doctor Goethe liebäugeln, pah! ich weiß, was ich will, und werde mein eignes Vergnügen bedenken: ist er schön, gefällt er mir, wie sein ‚Weither‘, so gehorche ich, wie weit, das ist meine Sache.

Ich schaute, als ich die Treppe hinanstieg, in’s Gastzimmer, da war Alles auf das Beste hergerichtet; ein Wachslicht auf dem Leuchter und zwei Flaschen Wein, wenn sie in der Nacht kämen. Als ich an das Fenster trat und in den Hof hinaus sah, bemerkte ich, daß man sehr gut in mein Stübchen im Seitenflügel blicken könne; also kann ich auch sein Fenster übersehen. Und nun rathe, Christelchen, warum ich nicht gleich her kam, um Dir Alles zu erzählen; rathe, was ich Wichtiges zu beschaffen hatte?“

Das stille, blonde Mädchen lächelte; „nun?“ fragte sie entgegen ohne sonderlichen Eifer.

Auguste ertrug die Ruhe der Freundin schwer:

„Rathen wirst Du es doch nicht, Du harmlose Taube!“ rief sie, „so wisse denn: ich kramte mein Zimmer um! Vor das bewußte Fenster trug ich mein Nähtischchen, auch das Spinnrad, Stuhl und Bank; ich schürzte die Vorhänge etwas höher, rieb die Scheiben klar, und ersah; mir eine Ecke, von der aus ich auch ungesehen hinüberspähen; konnte; dann nahm ich ‚Werther’s Leiden‘, sein himmlisches Buch, bei dem wir so oft süße Thränen weinten, und setzte mich, in Vorgefühlen schwelgend, auf den neuen Platz. Daß ich in dieser Nacht, wo er jeden Augenblick ankommen konnte, nur halb schlief, wirst Du begreifen! Endlich, als kaum der Tag graut, tönt ein Posthorn, ich höre das Knarren der schweren Hausthür, des Bruders Stimme auf dem Corridore, Thüren werden geschlagen, Koffer werden die Treppen herauf geschleift. Bebend vor Kälte und Erwartung stürze ich im Dunkeln an’s Fenster – da wird drüben das Zimmer hell – man hat Licht angezündet? –“

„Und Du hast ihn gesehen?“ rief Christel, sich rasch aufrichtend und mit flüchtigem Roth übergossen.

„Zwei Schatten habe ich gesehen, welche sich die Hände schüttelten, dann ging mein Bruder hinaus und die Treppe hinab nach seinem Zimmer; und nun kommt das Beste: er trat an das Fenster und sah sich um; aber das Licht stand hinter ihm, ich gewahrte nur eine Silhouette und auch die nur kurze Zeit und undeutlich, aber getrost, heute werde ich ihn ordentlich sehen! Christel, begreifst Du meine Freude? Mit ihm, dem Dichter des Werther, unter einem Dache!“

Es war schwer zu fragen, ob Christel begriff oder nicht; sie hatte die Arme über den Kopf gelegt, die großen blauen Augen mit träumerischem Ausdruck hinauf in die Falten des weißen Bettumhangs gerichtet. Als sie die Antwort schuldig blieb, wurde Auguste ungeduldig.

„Du bist stumm wie ein Fisch!“ rief sie, „warum sitze ich noch hier? Vielleicht kann ich ihn am Fenster sehen, es ist hell genug! Adieu mein kleiner Fisch, mein Goldfisch!“ fügte sie tändelnd hinzu, indem sie eine gelbblonde Locke der Freundin um den Finger rollte, rasch Christel’s weiße Stirn küßte und ebenso lebhaft, wie sie gekommen war, aus dem Zimmer eilte.

Die Zurückbleibende machte keinen Versuch, ihren munteren Gast länger festzuhalten; unbeweglich lag sie da, wie geistesabwesend. Dieser seltsame Zustand hatte sich in ihrer Kindheit oft bis zur Erstarrung gesteigert; jetzt überfiel er sie mehr wie waches Träumen; Fühlen und Denken flossen in einander. Ein süßes unklares Schauen, dem sie sich nicht entreißen mochte, trug sie weit über alle Wirklichkeit hinaus, bis sie gewaltsam aufgerüttelt oder durch zufälliges Geräusch geweckt, wieder zu sich kam und verwundert, manchmal weinend um sich blickte.

Christine von Laßberg war die einzige Tochter des weimarischen Obersten Maximilian von Laßberg. Ihre Mutter, eine Schwedin, war bei der Geburt dieses jüngsten Kindes gestorben. Ihre Brüder, bedeutend älter als sie, hatten sobald wie möglich das Haus verlassen; der alte Oberst war als einer der tyrannischsten Hausväter bekannt, und deshalb fühlten sich die Kinder nicht wohl in der Heimath.

Nach dem Tode seiner leidenschaftlich geliebten Frau nahm er seine unverheirathete Schwester, Tante Barbara, in das Haus, eine vortreffliche alte Dame, welche mit der zärtlichsten Sorgfalt die schwache kleine Nichte aufzog. Anfänglich wollte der Oberst nichts von dem Töchterchen wissen; er hatte einen eigensinnigen Grimm auf das blasse Kind geworfen; nach und nach aber, als er bemerkte, wie ähnlich Christine ihrer schönen, blonden Mutter wurde, gewann er Theilnahme, ja eine stolze Freude, an dem Mädchen. Sie war jetzt siebenzehn Jahre alt und ohne alle Beschränkung aufgewachsen. Weder Vater noch Tante hinderten sie in ihren Neigungen, und harmlos genug waren ja dieselben.

Ihre Freundschaft mit Auguste von Kalb war mehr durch die Verhältnisse, als aus Uebereinstimmung entstanden. Die Häuser der Eltern lagen neben einander, ebenso die Gärten, letztere nur durch eine Stachelbeerhecke getrennt, in der das unbändige Gustchen, stets die Besuchende, manches Stück ihrer Kleidung hängen ließ. Sowohl der alte Kammerpräsident wie der Oberst waren zu hochmüthig oder zu eigensinnig gewesen, um eine Verbindungsthür herstellen zu lassen.

Sie waren Leute der alten Zeit; sie lebten in ihren abgesonderten engen Schneckenhäusern, aus denen sie kaum hervorkrochen, um sich an einem allgemeinen, öffentlichen Interesse zu sonnen. Die Nachbarschaft hatte dazu gedient ein gewisse Spannung zwischen den beiden Häusern zu bilden, welche ihre Nahrung in einem ähnlichen Streben und gehässigen Beobachtungen gefunden hatte. Der Kammerpräsident von Kalb war Excellenz und gründete darauf Ansprüche, welche dem alten, derben Haudegen Laßberg übertrieben vorkamen. Den Kalbs schien alles zu gelingen, während es bei Laßberg vielen Kummer und Verdruß gegeben hatte. Seine Frau war früh gestorben, seine Söhne hatten in Unfrieden das Haus verlassen; die Kalb’schen Söhne dagegen waren gut untergebracht; der jüngere, als Kammerjunker beim weimarischen Hof angestellt, hatte sich vor drei Jahren mit einer reichen Frau vermählt.

Wo man vergleicht, ist der Neid nicht fern; die beiden Herren waren echte Vergleichsbrüder; sie konnten eine Schaar vom Glück begünstigter Leute unbeneidet vorüber gehen sehen, sowie aber dem einen von ihnen Gutes geschah, wurde der andere verdrießlich. Bei dem alten, zeitweise unbeschäftigten Laßberg hatte sich nachgerade eine bittere Stimmung festgesetzt, welche in schlimmen Stunden den Groll über das Schicksal auf den Nachbar übertrug.

Am 3. September dieses Jahres 1775 war die Mündigkeitserklärung des neunzehnjährigen Karl August erfolgt. Die Herzogin Mutter hatte ihm freudig die Geschäfte der Regierung übergeben, sich selbst in das Privatleben zurückziehend. Ihr Einfluß auf den Sohn und ihre Sorge für denselben blieben aber unablässig rege. Sie glaubte den kräftigen, unbändigen Jüngling am leichtesten durch eine Heirath zu zähmen, und vermochte ihn, sich am 3. Oktober mit der reizenden Landgräfin Luise von Hessen-Darmstadt zu vermählen. Das junge Paar war seit vier Wochen in Weimar und der Hofstaat für dasselbe eingerichtet.

Anna Amalie hatte ihrer Schwiegertochter zwei junge schöne Hofdamen abgetreten, die anmuthige, neckische Adelaide von Waldner und die verständige Henriette von Wöllwarth; sie selbst war vorderhand ohne Gesellschaftsfräulein. Diese Stellung bei der allverehrten Herzogin wünschte Laßberg für seine Tochter.

Zufällig hatte Anna Amalie sich tadelnd gegen ihn über Auguste Kalb ausgesprochen und der Oberst die Gelegenheit ergriffen, nach einem väterlich bescheidenen Lobe der Tochter, Christel als Hofdame zu empfehlen. Er wagte sich offen mit seinen Wünschen hervor, da er jetzt wußte, daß „die gefallsüchtige Kalb“; nicht vorgezogen werden würde.

Die Herzogin hatte sich unbestimmt geäußert, Laßberg sah, daß alles auf einen persönlichen Eindruck der Tochter ankomme, und erbat sich die Ehre, sein Kind auf dem nächsten Ball der hohen Frau vorzuführen. Anna Amalie bewilligte diesen Wunsch freundlich. Seitdem gab es keinen andern Gedanken, kein anderes Gespräch im Hause des Obersten, als Christel’s Aussichten, als [375] den Festabend, als die vortreffliche Herzogin und den Putz des jungen Mädchens. Tante Barbara mußte natürlich ihr Pflegekind begleiten; sie war nie so geschäftig, so ängstlich bedacht auf die Mode, so freudig und unruhig zugleich gewesen.

Auch Christel dachte seit dem Morgenbesuch der geschwätzigen Freundin mit unbeschreiblicher Wonne und laut klopfendem Herzen an ihre Aussichten, und diese Gedanken waren es, welche sie in eine tiefe Träumerei versenkten.

Sie hatte seit einigen Jahren Bertuch’s Bilderbuch aus der Hand gelegt und statt dessen mit leidenschaftlich erregten Gefühlen „Götz von Berlichingen“ und jetzt „Die Leiden des jungen Werther“ gelesen.

Jetzt kam Er, der Schöpfer jener Gestalten, für die ihre empfängliche Seele glühte, Er, dessen Ruf schon jetzt die Jugend begeisterte und dem Alter ein bedenkliches, staunendes Kopfschütteln abnöthigte, Er, der Freund des Herzogs, Kalb’s geehrter Gast, der als „gefährlich“ geschilderte Hausgenosse der Freundin. Ein Meer von Gedanken, von Möglichkeiten, Ahnungen und Hoffnungen fluthete über sie herab. Sie sollte, sie mußte ihm begegnen, wenn sie vor der Herzogin auf dem Ball erschien.


2.

Bald nachdem Auguste Kalb von ihrem Besuch im Morgenzwielicht zurückgekehrt war, schritt, vom Fürstenhause über den Markt kommend, ein kräftiger junger Mann dem Hause des Kammerpräsidenten von Kalb zu.

Er war von mittlerer Größe und breitem, knochigem Bau, sein dunkelblondes Haar trug er an den Schläfen in zwei Locken gerollt, nach rückwärts mit einer schwarzen Schleife zusammengebunden. Hell und fest blickte er um sich, und die kräftige Nase, sowie ein energisch geprägter Mund gaben dem Kopfe, trotz aller Jugend und aufblitzenden Leidenschaftlichkeit, etwas Fertiges, Charaktervolles. Ueber dem röthlich violetten Rock mit Stahlknöpfen, der Schooßweste und dem kurzen schwarzen Beinkleide trug er einen weiten dunkelblauen Mantel zum Schutz gegen das Schneestauben des Novembermorgens. In der Hand hielt der rüstig Zuschreitende eine Hetzpeitsche mit Hirschhorngriff, welche er, dann und wann einen Jagdpfiff ausstoßend, lustig über zwei ihn begleitende Rüden schwang, die allemal mit hohen Sprüngen und kurzem Freudengebell antworteten.

Vor der Einfahrt des Kalb’schen Hauses angekommen blieb er stehen; mit vergnügtem Lächeln sah er den von Straßburg erwarteten Landauer Staatswagen an, in welchem diesen Morgen der Kammerjunker mit dem Gaste gekommen war.

„He Philipp!“ rief der Nahende, „bist Du auch mit da? Das ist schön, was macht Dein Herr?“

Die am Wagen beschäftigten Leute traten respektvoll zur Seite, der angeredete junge Diener kam mit dem Hute in der Hand heran.

„Ja, ja, glücklich angelangt, Durchlaucht!“ sagte er schmunzelnd. „Soll ich meinen Herrn Doctor holen? Er ist oben im Gastzimmer.“

„Laß nur, Philipp!“ rief der Herzog Karl August, denn er war’s, und die breite Treppe hinanspringend, öffnete er die Thür des ihm bezeichneten Gastzimmers und stürmte hinein.

Goethe trat ihm entgegen, leuchtende Freude im Antlitz – aber so groß war der Adel dieser Erscheinung, so herrlich die blühende Schönheit dieses Auserwählten unter den Menschen, daß der Herzog einen Augenblick wie gebannt stehen blieb, in Anschauen verloren.

Dann stürzte er auf ihn zu, ihn leidenschaftlich umarmend und ein Mal über das andere jubelnd: „Bist Du da? Habe ich Dich endlich in Weimar, mein Wolf! Mein einziger Freund!“

„Mein theurer, gnädiger Herr!“ entgegnete der Andere, „Sie kommen zu mir? Kalb versprach mir, mich zu Ihnen zu führen.“

„Glaubst Du, ich hätte darauf warten können, Herzensbruder? Gestern erhielt ich durch den Boten die Kunde Deines Kommens, heute laufe ich natürlich selbst her, um zu sehen, ob Du wirklich da bist. Wie wohl wird mir bei Deinem Anblick! Ich athme auf, und Pläne freudigen Lebensgenusses strömen mir zu. Ach, ich habe zu viel Hofluft ertragen müssen!“

„Ich glaubte, Eure Durchlaucht hätten über den Wonnen des Honigmondes alles Andere vergessen?“

„Vergessen, wohl gar Dich? Bleibe mir damit und mit Deiner Durchlaucht vom Halse! Hast Du vergessen, daß wir Brüder sein wollten? Denkst Du nicht mehr an den göttlichen Abend in Frankfurt? Leute, welche per Durchlaucht reden und mir Reverenzen schneiden, habe ich genug. Mich verlangt nach einem Genossen, einem Vertrauten, der nicht unter mir, nach einem Freunde, der neben mir steht, von dem ich gewinnen mag an Lebensfreude und –“ setzte er plötzlich ernst hinzu – „an Weisheit!“

„Mein Fürst!“

„Still! Sag’ Karl, oder ich verlasse Dich und gebe Dir eine Audienz im Kreise meiner stirnfaltenden Räthe.“

„Nun denn, Karl, warum der Spott: von mir Weisheit lernen zu wollen? Von mir, den man einen Ausbund jugendlicher Thorheiten, einen Tollkopf, einen Schwärmer nennt!“

„In Deiner Tollheit, Deiner Schwärmerei liegt Weisheit; die große Weisheit der Wahrheit und Naturwärme, die ich oft mit Diogenes’ Laterne suche und nicht finde.“

„Wie! Du vermissest Wahrheit und Wärme? Sei gerecht, Karl, ein Wort nur, einen Namen halte ich Dir entgegen – Luise!“

Eine flüchtige Röthe streifte die Stirn des Herzogs, und leise seufzend entgegnete er:

„Der Name sagt viel. Aber diese erste Stunde sei dem freudigen Willkommen geweiht! Reiche mir das Glas, schenk’ ein: ein Freudengruß Deinem Hiersein!“

Die Gläser klangen, sie schüttelten einander die Hände, und wie ein Willkommengruß von oben theilte plötzlich die Sonne Schneewolken und Morgennebel, glitzerte auf den letzten Flocken, die wie feines Silber in der Luft tanzten, und strahlte warm in das Zimmer und über die freudig bewegten Jünglinge.

Karl August ergriff zuerst wieder das Wort:

„Es verdrießt mich, daß ich Dich nicht bei mir aufnehmen kann. Du weißt, das Schloß ist vor vier Jahren abgebrannt, und wir sitzen mit Sack und Pack im Fürstenhause. Ganz oben die Kanzlei, meine Gemahlin in der Bel-Etage, unten Damen, Cavaliere, Dienerschaft, was weiß ich, wer alles. Ich habe meinen alten Hofmarschall Witzleben bis zum Verzweifeln gedrückt, daß er mir ein Quärtier für Dich schaffen soll, er windet sich wie ein Wurm und schwitzt vor Angst und Diensteifer, aber ein resoluter Kehraus wird nicht gehalten; so muß ich meinen Gast bei Andern unterstellen. Ich hoffe aber, Du sollst es nicht schlecht haben bei diesen Kalbs; sie sind abhängig von mir, eigennützig, und darum windelweich. Der Kammerjunker wird Dich wie einen jungen Gott tractirt haben? Aber er weiß auch warum! Dann giebt es hier eine Tochter im Hause –“

Goethe lächelte und sein feuriges Auge schweifte zum Fenster hinüber; der Herzog fing den Blick auf.

„Ah, das weißt Du, schon?“ rief er. „Gustchen wirft wohl gar Angeln aus, laß sehen!“

Lebhaft sprang er auf, der Freund folgte, und Beide spähten vorsichtig durch das Fenster.

Ein gar anmuthiges Bild zeigte sich ihnen. Vergoldet vom Sonnenschein, eingerahmt von weißen, bauschenden Vorhängen, neben sich in der Fensterbank ein blühendes feuerrothes Geranium, saß Gustchen Kalb, eine Näherei auf dem Schooße; sie ließ eben den blitzenden Fingerhut so eifrig auf der Scheerenspitze tanzen, als ob es nichts Interessanteres auf der Welt gäbe. Ihre runde Wange brannte, die Augen leuchteten in freudiger Erregung, denn sie hatte eben die lauschenden jungen Männer bemerkt.

„Gut gemacht!“ rief Karl August überrascht, „fürwahr ein schönes Bild! Wie wird meinem Dichter? Ich glaube, sein Quartier gefällt ihm schon.“

Goethe zog den Freund vom Fenster zurück.

„Das Mädchen ist reizend,“ sagte er warm, „der erste Eindruck könnte nicht günstiger sein; was werde ich unter der schönen Hülle finden?“

Der Herzog lachte und zuckte die Achseln.

„Du wirst sehen und – siegen!“ rief er mit komischem Pathos; „aber jetzt zu etwas Anderem. Ich möchte Dich bald einführen, Dir’s wohnlich bei uns machen; Du mußt Menschen und Verhältnisse kennen lernen. Da ist vor allen Dingen meine Mutter. Ich gestehe Dir, daß sie eine kleine Pique auf Dich hat, weil Du gegen unsern alten Wieland Deine stachligen Verse losgelassen hast; aber sie ist versöhnlich, alles Große, Edle zieht sie an, steht mit ihrer herrlichen Natur in harmonischer Wechselwirkung. [376] Du wirst sie kennen und verehren lernen, wie ich es thue; zu ihr führe ich Dich bald. Meine Frau hast Du gesehen –“ Karl August stockte.

„Und bewundert!“ fügte Goethe hinzu. „Die Herzogin ist die reizendste, anmuthigste Dame, die ich kenne.“

„Später von ihr!“ rief der Herzog ungeduldig, „sehen sollst Du sie auch; wen kennst Du sonst noch hier? Ah, meinen Exmentor Görtz; der Graf möchte gern Luisens Oberhofmeister werden, aber ich habe vor der Hand der Schranzen genug. Auch meinen Bruder Constantin kennst Du; er ist und bleibt der weiche, schwärmerische Gemüthsmensch, dabei aber eigensinnig und sehr bestimmt für seine achtzehn Jahre. Eine zärtliche Neigung ist auch schon bei ihm eingezogen. Caroline von Ilten heißt seine Schöne, ein sechszehnjähriges blondes Kind, aber doch erwachsen genug, um die Liebe und Aufmerksamkeit des Prinzen mit leidlicher Grazie entgegen zu nehmen. Constantin wohnt mit seinem biederen Knebel, der noch als Hofmeister fungirt, in Tiefurt, kaum eine Stunde von hier. Was möchtest Du sonst von Weimar und seinen Menschen wissen, ehe ich Dich hinaus führe?“

Goethe zögerte dann sagte er:

„Ich sah bei einem Doctor Zimmermann, den ich mit Lavater in Straßburg traf, unter vielen Silhouetten, die wir beurtheilten, diejenige einer jungen Frau aus den hiesigen Hofkreisen. Das Gesicht hatte, trotz der Unvollkommenheit des Bildes, einen so entzückenden Ausdruck von Liebe und Güte, daß es sich mir unauslöschlich einprägte; ja es verfolgte mich, und ich träumte mehrere Nächte nach einander von dieser Frau. Ein Gesicht, das, sanft und zärtlich im Ausdruck, die Welt klar sieht wie sie ist, aber stets durch’s Medium der Liebe. Von ihr möchte ich hören, sie kennen lernen!“

„Und wer ist es? Wie heißt sie?“ fragte der Herzog gespannt.

„Es ist die Frau des Oberstallmeisters von Stein, geborene von Schardt.“

„Wie! Die Stein? Lottchen Schardt?“ rief Karl August überrascht.

Goethe erschrak. „Habe ich mich geirrt, verdient sie meine Bewunderung nicht?“

Der Herzog entgegnete ernst:

„Sie wird allgemein verehrt; Männer und Weiber nennen sie die bedeutendste Frau unseres Kreises, und gewiß haben sie Recht; für mich ist sie zu ruhig und – erschrick nicht, Freund – zu alt! Das ist ein abscheulicher Fehler, der täglich schlimmer wird!“

Goethe lächelte. „Vielleicht findet man doch nur bei einem gewissen Alter reifen, seelischen Reiz. In welchen Verhältnissen lebt die Dame?“

„Die Dame war lange Hofdame meiner Mutter, dann heirathete sie vor jetzt vierzehn Jahren den Oberstallmeister. Drei ihrer Kinder leben, sie muß dreiunddreißig Jahre alt sein; schön war sie wohl nie, aber es fehlt ihr nicht an Anmuth. Ihr Wesen hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Gesunder Verstand, Wahrheit und Gefühl sprechen aus jedem ihrer Worte, dabei ist sie graziös und freundlich, von tadellosem Tacte und immer gleich an Milde und ruhiger Würde.“

„So habe ich sie mir gedacht!“ rief der junge Dichter mit von Freude und Begeisterung strahlenden Blicken. „Ich brenne vor Verlangen, sie zu sehen! Wo kann ich sie finden?“

„Gemach!“ rief der Herzog. „Steins sind auf ihrem Gute Kochberg, näher bei Rudolstadt als bei Weimar, kaum in vier oder fünf Stunden zu erreichen. Gegen Weihnachten kommen sie zu uns. Neulich waren sie hier, um Luisen vorgestellt zu werden, da habe ich ihre Rückkehr mit dem Oberstallmeister besprochen; bist Du aber gar zu ungeduldig, so will ich in den nächsten Tagen mit Dir hinüber reiten. Laß sehen, heute haben wir Dienstag; am Freitag ist der erste Ball im Stadthause, da dürfen wir nicht fehlen; aber am Sonntag können wir frühzeitig zu ihnen reiten. Stein ist immer begierig, mir seine jungen Pferde zu zeigen, dann hast Du die Frau allein; gelegentlich hoffe ich auf einen Gegendienst von Deiner Seite“ – der Herzog hatte die letzten Worte mit einem verlegen schelmischen Ausdruck vorgebracht, welcher Goethe stutzig machte; er wollte eben eine Frage anknüpfen, als die Thür bescheiden geöffnet wurde und Philipp’s intelligentes Gesicht hereinschaute.

„Der Kammerjunker von Kalb wünscht meinen Herrn Doctor zu besuchen,“ sagte er.

Goethe sah den Herzog an; „soll uns recht sein!“ rief derselbe. Der Kammerjunker trat ein. Er war ein gut aussehender Mann in der Mitte der Zwanzig; nicht ganz so feurig und frisch wie die Schwester, sah er ihr doch ähnlich, nur war ihre kecke Selbstgefälligkeit bei ihm hinter schlauer Zurückhaltung versteckt.

Sein Anzug war mit Sorgfalt gewählt, sein Kopf wohl frisirt und gepudert und sein Benehmen so respectvoll wie möglich.

Nachdem er dem Herzoge mehrere tiefe Verbeugungen gemacht hatte, welche derselbe mit einem raschen: „Guten Morgen, Kalb!“ und kurzem Kopfnicken beantwortete, wandte er sich an den Gast, ihm eine wohlgesetzte Begrüßungsrede des Kammerpräsidenten, seines Vaters, überbringend, welche mit der Bitte schloß, ganz und gar über die Kräfte des Hauses verfügen und bestimmen zu wollen, wen man zum Diner einladen solle.

Er hatte noch nicht ganz geendet, als der Herzog rasch einfiel. „Mich vor allen Dingen! Ich will einmal gemüthlich außer dem Hause essen; dann könnt Ihr den Hofrath Wieland, meinen freundlichen Hildebrand von Einsiedel, Bertuch, Oberforstmeister von Wedel, Musäus –“

Halb mitleidig, halb lachend sah Goethe, wie bei Aufzählung der Namen, welche kein Ende nehmen wollten, das Gesicht des Kammerjunkers immer länger und betretener wurde; er fiel also dem Herzoge, der in seiner heiteren Laune nichts bemerkte, in die Rede und sagte:

„Ich möchte mich, wenn Eure Durchlaucht nichts dagegen haben, vor allen Dingen dem Hausherrn präsentiren.“

Karl August erklärte sich einverstanden; er gebot dem Kammerjunker voran zu gehen und sie anzumelden; Kalb eilte fort.

„Wir wollen uns einen ungebunden lustigen Mittag machen, lieber Junge!“ sagte der Herzog, des Freundes Arm ergreifend. „Und nun komm, der alte Perrückenstock wird sehnlichst unser harren!“

[389] Die Familie saß in zwangloser Weise beim Frühstück, und ein allgemeiner fluchtartiger Aufstand, durch des Bruders Meldung veranlaßt, brachte diesen in große Verlegenheit.

Der alte Kammerpräsident, aus dem Kanapee aufgescheucht, entfloh mit flatterndem Schlafrock um die Ecke in die Thür eines Nebenzimmers. Er zerbrach im Verschwinden seine Thonpfeife, die funkensprühend in das Zimmer zurückflog. Seine Gemahlin, ebenso nachlässig gekleidet und mit einer Filetarbeit an der Decke des Frühstückstisches beschäftigt, brachte ein bedenkliches Klirren und Schwanken des Geschirrs hervor, der Milchtopf fiel um und ergoß seinen Inhalt; ein wohlgenährter Mops saß zornig aufrecht und kläffte wüthend die Ruhestörer an. Gustchen hielt, was zu halten war, drückte dann die Mutter wieder in ihre Ecke und hüllte sie in eine Mantille. Zur Seite wurde eine zweite Frühstücksstunde gestört, die Frau Leonore Kalb ihrem Kindchen bereitete; die junge Mutter beschäftigte sich erröthend mit ihrem Anzuge, während das kleine Wesen schreiend und zappelnd die Fortsetzung des Mahls begehrte.

Fürst und Dichter traten lächelnd unter diese Gruppen. Nach und nach beruhigten sich Lärm und Aufstand.

Die Kammerpräsidentin empfing den Besuch mit rasch wiedergewonnenem Anstande; Frau Leonore entfloh mit ihrem Kleinen; der Mops leckte die Milch, und Gustchen sowie der Bruder unterstützten die Mutter in höflichen Formen und artigen Reden.

Nach einiger Zeit kam auch der Vater in gewählterem Anzuge, doch mit aufgeregtem Schwenken des Haarbeutels wieder zum Vorschein; er suchte mit einer Menge unterthäniger Floskeln den vorhergehenden Eindruck gut zu machen und die geehrten Gäste von ihrem Werth und der ebenso unwürdigen wie zerknirschten Persönlichkeit ihres submissest ersterbenden Wirths zu überzeugen. Karl August’s frische Natürlichkeit ertrug dergleichen nicht lange; er fuhr kurz dazwischen und sagte, was er von seinen „unterthänigsten Knechten“ wollte.

„Sie müssen mir den Doctor gut halten, Präsident!“ sprach er bestimmt. „Sie müssen ihm nach Kräften unser Weimar angenehm machen. Er muß sich frei bewegen, thun und lassen können, was er mag; geben Sie ihm einen Hausschlüssel und die Kost auf seinem Zimmer, wenn er es befiehlt. Wünscht er Ihre Gesellschaft, so wird er zu Ihnen kommen; größtentheils wird er wohl bei mir im Fürstenhause sein. Diesen Mittag essen wir bei Ihnen; – Ihr Sohn sagt, daß Sie eingerichtet sind,“ fügte er freundlich zur Hausfrau gewandt hinzu – „und die Damen werden sich hoffentlich nicht ausschließen! Wir werden dann auch Ihre Frau begrüßen, Kammerjunker, die wir diesen Morgen in den süßesten Pflichten störten, und wollen munter und guter Dinge zusammen sein. Einige Winke, wen ich gern hier sehen würde, habe ich schon fallen lassen.“

Mit diesen Worten stand er auf. Alles folgte seinem Beispiele; Goethe brach eine halblaute neckische Unterhaltung mit seiner reizenden Nachbarin ab, um gleichfalls dem Kammerpräsidenten und seiner Gemahlin einige Worte zu sagen, während der Herzog sich jetzt Augusten nahte:

„Ich glaube, Frau von Werthern geborene Münchhausen ist eine gute Freundin von Ihnen?“

Gustchen sah erstaunt zu ihm auf; er aber fuhr eilig fort:

„Es freut Sie gewiß, die schöne Frau einmal zu sich einzuladen, und es würde mir angenehm sein, Ihre Freundin am heutigen Mittage hier zu sehen; gehen Sie gleich selbst zu ihr, dann wird sie gewiß kommen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich rasch um und ging. – Karl August und Goethe verließen bald darauf das Haus, um sich nach dem Witthums-Palais zur Herzogin Anna Amalie zu begeben, welche der Herzog gern für den Freund gewinnen wollte.



3.

Der alte Oberkämmerer von Göchhausen galt für den wunderlichsten Sonderling in ganz Weimar. Unverheirathet, wohlhabend, in seiner Jugend kränklich, hatte er eine ängstliche Selbstpflege, einen Cultus der Gewohnheit und Regelmäßigkeit sich zur Lebensaufgabe gemacht. Was nicht in nächster Beziehung zu seiner Person stand, existirte für ihn nicht. Er besaß ein eignes Haus an der Breiten Gasse, wo er mit Ursula, seiner Wirthschafterin, und Rohrmann, seinem Bedienten, seit etwa zwanzig Jahren in immer gleicher Weise lebte, sich auch einbildete, nie anders leben zu können. Seine Geschäfte nahmen wenig Zeit in Anspruch. Die Acten wurden jeden Morgen Rohrmann überantwortet und jeden Abend wieder abgeholt; nur einmal in der Woche mußte er in die Kanzlei, um dem Herzoge Bericht abzustatten und seine Befehle entgegen zu nehmen. Wenn er zu Hofgesellschaften befohlen wurde, ging er hin, denn er hätte es der Würde eines [390] Barons Louis Wilhelm von Göchhausen durchaus unangemessen gefunden, nicht bei Hof zu erscheinen; dies waren aber auch die einzigen Gelegenheiten für ihn, mit Menschen zu verkehren.

Außerdem widmete er den ganzen Tag seinen beiden einzigen Leidenschaften: der Ordnungsliebe und der Reinlichkeit, Tugenden, welche in seiner Uebertreibung Untugenden wurden und neben einer großen Sparsamkeit ihn ganz beherrschten.

Es konnte keine Tageseintheilung regelmäßiger sein als die des Oberkämmerers. Rohrmann erschien im Winter und Sommer um sechs Uhr, trug auf einem Teller ein Glas Wasser und sagte: „Guten Morgen, Herr Baron, es ist Aufstehenszeit!“

Dann erhob sich Herr von Göchhausen, trat unbedingt mit dem rechten Fuße zuerst auf die Erde, hustete dreimal – er wäre lieber erstickt, als daß er es sich ein viertes Mal gestattet hätte – und nahm den Schlafrock. Nun wurde der ganze Mann in möglichst gründlicher Weise gewaschen, gebürstet, gebadet, gerieben und abgespült. Dann legte er silbergraue Beinkleider, feine Strümpfe und Schuhe an, eine graue langschößige Weste, folgte, wohlgefältelte breite Jabots, ein steifes weißes Halstuch bis dicht unter die Ohren reichend, sodaß sich der kleine Kopf kaum wenden konnte; ein gleichfalls silbergrauer Rock mit breiten Taschen und glänzenden Knöpfen vervollständigte den Anzug, welchen eine gepuderte Perrücke mit zierlichem Zopf und großen Seitenlocken, sowie ein betreßter dreieckiger Hut krönte. Dann nahm der Baron seinen hohen Stock mit silbernem Knopf und schritt der Hausthür zu, um Punkt acht Uhr auf die Breite Gasse hinaus zu treten und seine erste Morgenpromenade zu beginnen. Auch die Promenade hatte ihren gewiesenen Weg und ihr ganz bestimmtes Ziel, das war die kleine Schleuse am Schwansee, auf welche er dreimal mit dem Stocke schlug und, wie nahe Arbeiter gehört haben wollten, dazu sprach: „Baron Louis Wilhelm von Göchhausen ist dagewesen!“ Dann wandte er sich und kehrte nach seinem Hause zurück. Frau Ursula hatte jetzt eine Milchsuppe und einige Schnitte Weizenbrod bereit, die er mit besonderen Feierlichkeiten genoß.

War der Tag in strengster Gleichmäßigkeit hingebracht, so erschien Abends neun Uhr Rohrmann wieder mit einem Glase Wasser und sagte: „Gute Nacht, Herr Baron, es ist Schlafenszeit!“ – Worauf der Oberkämmerer sich sofort erhob und unter dem Beistande seines Dieners das Lager suchte.

In diese wohlgeordnete Häuslichkeit paßte ein fremdes Element sehr wenig, und doch war es dem alten Herrn beschieden, ein solches bei sich aufzunehmen.

Es war etwa etliche Tage vor Goethe’s Ankunft in Weimar, als der Baron Göchhausen ungewöhnlich erregt in seinem Arbeitsstübchen auf und ab schritt. Er hielt die Bewegung zu dieser Stunde für ungesund und zürnte sich selbst deshalb, noch mehr aber der Veranlassung seiner Unruhe.

„Es geht nicht! Es geht nicht, und es geht nicht!“ murmelte er auf- und abschreitend in verschiedener Betonung vor sich hin. „Seit ihr Brief da ist, Wallungen, Unruhe, Zerstreutheit; wie soll das werden? Es reibt mich auf! – Selbsterhaltung – Nothwehr! O ihr schrecklichen Weiber! Und in einer halben Stunde!“ seufzte er stehen bleibend, die Stirn trocknend und den Blick mit verzweifelndem Ausdruck auf eine dicke silberne Taschenuhr, welche an seinem Schreibtisch hing, richtend, die eben halb acht wies. Einen Augenblick nur zögerte er noch, dann setzte er sich an den Tisch, ergriff einen langen Gänsekiel und begann zu schreiben.

„Ich werde ihr sagen,“ murmelte er, „daß meine Gesundheit mir verbietet, Besuch zu empfangen, daß sie Mitleid haben soll mit einem leidenden Greise, daß ich sie anflehe, mir den Embarras nicht aufzuladen; mit diesem Briefe schicke ich Rohrmann zur Post.“

Das Billet war gefaltet, der alte Herr klingelte und Rohrmann’s große knochige Gestalt erschien in der Thür; der Versuch eines Lächelns erhellte das pergamentartige Gesicht, als sein Herr voll überredender Güte zu ihm sprach:

„Seh Er diesen Brief, Rohrmann, derselbe muß in die Hand eines jungen Frauenzimmers gelangen, das um acht Uhr mit der Gothaischen Post ankommt. Sie will uns besuchen, heißt Luise von Göchhausen, und Er weiß selbst, Rohrmann,“ fügte er, seine, schwimmenden Aeuglein mit kläglichem Ausdruck nach oben kehrend, hinzu, „daß ich zu leidend bin, um Damenbesuch anzunehmen; wende Er also diese Incommodität von Seinem armen Herrn, und sag Er der Person mündlich, daß sie partout wieder abreisen müsse!“

Rohrmann verschwand und der Baron athmete erleichtert auf. Er begann wieder ruhig und behaglich zu werden, konnte still sitzen, schob die Feder hinter das Ohr und studirte jetzt, da er die Gefahr als beseitigt ansah, mit Muße zwei vor ihm liegende Papiere. Der Anmeldebrief seiner Nichte lautete:

„Karlsruhe, den 15. Oktober 1775.

      Theurer Oheim, Vormund und Gevatter!

Es hat sich in dieser mit Gott hinschleichenden Zeit begeben, daß Ihrer submissest Unterzeichneten Nichte – wie Einliegendes ausweist – der Stuhl vor die Thür gesetzt worden. Selbige schaut sich um in der weiten Welt und gewahrt, daß ihr verehrter Oheim in Weimar der Einzige ist, welcher gegründete Ansprüche, an ihre Person zu erheben hat. In edlem Gerechtigkeitseifer und nach dem Spruch: gebt Jedem das Seine! ist sie entschlossen, ihr Dasein dem Wohl und Penchant des ihr unbekannten, aber verehrten Herrn zu widmen.

Morgen verlasse ich Karlsruhe – das keine Ruhe mehr für mich bietet – am zweiten November mit der Gothaischen Post in Weimar anzukommen! – Bis dahin Geduld, o Sehnsucht!

Ergebenst und gehorsamst, cher oncle, Ihre devoteste

Luise von Göchhausen.“

„Das muß ein übermüthiger Satan sein,“ murmelte der alte Herr, nachdem er den Brief wieder gelesen hatte, dann nahm er das zweite Schreiben vor; es war ein großes mit markgräflichem Siegel versehenes Document und enthielt die Entlassung der Hofdame Luise von Göchhausen aus dem Dienste Ihrer Durchlaucht der Frau Markgräfin von Baden.

„Was mag sie nur für kniffliche Sachen angezettelt haben?“ fragte sich der alte Herr kopfschüttelnd. „Eine solche Hexe sich in’s Haus nehmen, brrr!“

In diesem Augenblicke ging unten die Glocke der Hausthür; „Rohrmann schon wieder da?“ dachte der Baron erstaunt und lauschte. Leichte Schritte eilten die Treppe herauf; der Oberkämmerer erbleichte, ein Zittern befiel ihn, ängstlich blickte er auf die Thür – sie wurde geöffnet und herein trat ein rasches kleines Frauenzimmer.

Sie war es! Die unabwendbare, gefürchtete Nichte, Luise von Göchhausen stand vor ihm. Und wie! Spöttischen Ernst in den geistreichen Augen, ein ironisches Lächeln um den großen Mund auf dem leichtgepuderten Haare einen weißen Musselinhut und über den braunen Reiserock ein grasgrünes Mäntelchen geworfen. Die ganze kleine Gestalt, etwas verwachsen, schien zu sagen: ja, sieh mich nur an! übersehen sollst Du mich nicht!

„Da bin ich, cher oncle!“ rief sie munter und griff nach seiner Hand, um sie zu küssen.

„Hast Du meinen Brief nicht bekommen?“ stotterte er.

„Gewiß, mein theurer Oheim!“ entgegnete das junge Mädchen, „und sein Inhalt beflügelte meine Schritte; den Leidenden zu pflegen, zu unterhalten, wird meine künftige Lebensaufgabe sein!“

Ein Schauder überlief den Oberkämmerer. „Ich kann das nicht acceptiren,“ sagte er nach Festigkeit ringend.

Luise trat zurück. „Warum nicht?“ fragte sie.

„Weil, weil –“ stammelte er, „weil ich Dich nicht kenne – und –“

„Nicht kenne?“ betonte sie scharf; ein tiefer, trauriger Ernst sank wie ein Schleier über das lustige Gesicht „Der einzige Bruder meines Vaters, mein Vormund, mein Pathe kennt mich nicht? Großer Gott, wer kennt mich denn? Dann bin ich ganz allein und verlassen auf der Welt!“

Eine augenblickliche Pause trat ein; dem alten Baron brach der Schweiß aus, es erschreckte ihn furchtbar, daß er für ein Wesen außer sich sorgen solle, ja vielleicht Theilnahme dafür gewinnen könne. Er wollte diesen ersten selbstlosen Anwandlungen entfliehen und polterte heraus:

„Warum macht Sie unnütze Streiche? Warum wird Sie fortgejagt?“

Wie Sonnenschein flog es bei diesen Worten über die Züge des Mädchens.

„Es war ein sehr guter Spaß, cher oncle,“ sagte sie, ein Auflachen kaum unterdrückend. „Um Vieles möchte ich den nicht ungeschehen machen!“

„So trag’ die. Folgen!“

[391] „Ich muß wohl.“

„Ich weiß nicht, was Du beginnen willst, denn in meinem Hause ist kein convenabler Aufenthalt für Dich. Du kannst ja nach Frankreich zu den Verwandten Deiner Mutter gehen.“ Aufathmend nach diesem Auskunftsmittel ließ er sich wieder in seinen Sessel vor dem Schreibtische gleiten.

Luise hockte zu seinen Füßen, auf einem Actenkasten und sagte: „Wie ist es möglich, daß mein Oheim von dem Ableben aller jener Verwandten nichts weiß?“

„Ein Sachwalter hat Dein kleines Vermögen unter Händen – an ihn schickte ich Alles, was von Dir einlief, nur Deinen letzten Brief bekam ich von ihm zurück,“ stotterte er.

Sie sah ihn verächtlich an. „Gut!“ sprach sie endlich ernsthaft, „kann ich nicht bei Ihnen bleiben, so, muß ich mich allein durchschlagen. Die Straße, in welcher Sie wohnen, hat mir gefallen, es wird irgendwo, etwa gegenüber, ein Zimmerchen zu vermiethen sein; dahin ziehe ich und arbeite, weil ich sonst kein Brod habe; ich werde Putzmacherin und schaffe mir ein Schild an, auf dem mit großen Buchstaben zu lesen ist: Luise von Göchhausen, Nichte, Mündel und Pathe des Herrn Barons Oberkämmerer von Göchhausen, bittet um gütigen Zuspruch als – Putzmacherin!“

Empfindlicher hätte sie ihn nicht treffen können; seinen Namen preisgeben, das vertrug er nicht! Er putzte das Licht und wandte es, um ihr Gesicht anzusehen: ob sie ihren Vorschlag ernstlich gemeint habe. Er saß da in seinem abendlichen grauen Ueberwurfe, mit den dicken Locken, den hervortretenden Augen und der langen Schreibfeder hinter dem Ohre, wie ein grau bestaubter Käfer, der prüfend sein Fühlhorn ausstreckt.

Sie dagegen glich mit ihrer kleinen, kecken Gestalt und in ihrem grünen Mäntelchen einer lustig zirpenden Grille.

„Oder,“ fuhr sie unbekümmert fort, „wenn es hier einen Hofbäcker giebt, könnte ich in seinem Laden verkaufen; vielleicht würde das seine Kundschaft vergrößern!“

Dem Baron Und Oberkämmerer schauderte es. Er rieb sich die Stirn und rang seine wohlgepflegten Hände. Sie ließ ihn, mit lachenden Seitenblicken, in selbstgeschaffenen Leiden zappeln.

Endlich sagte er: „Mir geht ein Licht auf; eine wahre Inspiration! Ihre Durchlaucht die Frau Herzogin Wittwe hat die bisherigen Hofdamen der jungen Herzogin Luise abgetreten und sieht sich nach einem Gesellschaftsfräulein um. Wenn ich meinen Einfluß aufbiete, hoffe ich Dir die Préférence zu verschaffen!“

Luisen gefiel dieser Vorschlag. Der Ruf der Herzogin Anna Amalia, als einer muntern und geistvollen Dame, war nach Karlsruhe gedrungen, und die Verhältnisse des weimarischen Hofes waren in den dortigen Kreisen oft besprochen; ja, sie hatte die jungen Herrschaften, Karl August und Luise, schon im Herbste dort gesehen. Eine Stellung bei der Herzogin sagte ihr allerdings besser zu, als der Aufenthalt im Hause des ungastlichen Oheims.

„Sie denken, daß es möglich wäre, Onkel?“ fragte sie rasch.

„Ja, ja!“ versetzte er, sein Haupt schüttelnd, soweit die hohe Cravatte dies zuließ. „Wenn nur nicht – dieser Abschied – Deine Bêtisen! Davon darfst Du nicht sprechen. Der Herzogin werde ich sagen, ich habe Dich aus väterlicher Attention aus dem badenschen Dienstverhältnisse enlevirt; so giebt es für uns Beide mehr Lüstre.“

Das junge Mädchen lächelte fein. In diesem Augenblicke schlug es von der Stadtkirche neun Uhr, und gleich darauf trat Rohrmann mit dem Glase Wasser und der allabendlichen Rede: „Gute Nacht, Herr Baron, es ist Schlafenszeit!“ in das Zimmer.

Der kleine Oberkämmerer fuhr wie von einer Wespe gestochen empor; hatte er kurze Zeit seiner Nichte einige Theilnahme zugewandt, so war er jetzt wieder der alte pedantische Egoist.

„Gute Nacht! Gute Nacht!“ rief er forteilend seiner Nichte zu.


4.

Das Gastmahl im Hause des Kammerpräsidenten von Kalb nahm einen sehr befriedigenden Verlauf.

Mit dem Aufwande aller zu Gebote stehenden Mittel war im besten Zimmer die Tafel hergerichtet. Die Kammerpräsidentin hatte mit ihrer Schwiegertochter die nöthigen Küchenanweisungen gegeben und die Dienerschaft angeleitet, während Gustchen für eine gefällige Außenseite und den Schmuck des Ganzen sorgte. Jeder grüne Zweig, den der November noch im Garten gelassen hatte, fiel unter ihrer Scheere, ja sie entäußerte sich sogar einiger Blüthen ihres dunkelrothen Geraniums, um zierliche Sträuße für den Herzog und Goethe zu binden, und gab sich dabei der Hoffnung hin, einen, vielleicht beide Sträuße zu sich zurückkehren zu sehen.

Die gewünschten Gäste waren alle erschienen. Der Herzog hatte seinen Platz neben der Frau vom Hause und der jungen und reizenden Frau von Werthern, die, auf seinen Wunsch von Augusten eingeladen, mit Freuden gekommen war.

Emilie von Werthern, gewöhnlich Milli genannt, war mittelgroß und zart gebaut, ihr lebhaftes, blitzendes Auge, die dunkle, feingezeichnete Braue, die kleine gebogene Nase, der zarte, leidenschaftlich zuckende Mund, das rasch wechselnde Farben- und Mienenspiel machten ein höchst anziehendes Ganze. Man nannte sie kokett und tadelte ihr Suchen und Haschen nach jedem Vergnügen; doch ließ sich zu ihrer Entschuldigung anführen, daß sie mit einem viel älteren, rohen Manne verheirathet und kinderlos war. Ihrer ganzen Anlage nach eine echte Enthusiastin, schien sie zu Allem fähig, wenn ihr Gefühl angeregt wurde. Für und wider Partei nehmend, auflodernd, bebend und jubelnd, liebeselig sich, anschmiegend, war sie zugleich schwankend in ihren Neigungen, zaghaft und zusammensinkend wie ein verlöschendes Strohfeuer. Eine solche Frau übte eine große Anziehungskraft auf den jungen, lebhaften Herzog. Auch dem heutigen Mittage brach die Unterhaltung zwischen den Beiden selten ab.

Dem Herzoge gegenüber saß Goethe zwischen Gustchen Kalb und Wieland. Auguste hatte sich glänzende Erfolge von dem heutigen Mittage versprochen, es blieb aber bei einigen flüchtigen Artigkeiten von Goethe’s Seite, und sie war genöthigt, sich mit den ihr verehrten rothen Geranien zu begnügen oder ihrem andern Nachbar, dem Oberforstmeister von Wedel, ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Goethe’s Theilnahme wurde durch die Bekanntschaft mit Wieland in Anspruch genommen. Obgleich beide Männer im Alter, in der äußeren Erscheinung, im Denken und Leben durchaus verschieden waren, auch schon auf dem literarischen Kriegsfuß gestanden hatten – so fanden sie Beide bei diesem ersten persönlichen Zusammentreffen doch, so viele gleiche Interessen, daß sie sich eifrig mit einander beschäftigten.

Der Hofrath Wieland zählte damals zweiundvierzig Jahre, seine zarte Gestalt, das Saubere, Wohlgepflegte der ganzen Erscheinung hatte ihm den Beinamen „die zierliche Jungfrau“ erworben, ein Titel, auf den er einigen Werth legte. Seit drei Jahren von der Herzogin Mutter nach Weimar berufen, hatte er unter Aufsicht des Grafen Görtz die Erziehung Karl August’s geleitet. Er galt wegen seiner heiteren Milde, seiner freundlichen Herzensgüte und auch als achtbarer Vater einer zahlreichen Familie bei seinem Zöglinge und besonders bei der Herzogin Anna Amalie außerordentlich viel. Man schätzte ihn als Menschen und Dichter gleich hoch und hatte den gegen ihn gerichteten Angriff Goethe’s dem jüngeren Manne übel genommen.

Wieland gegenüber, an der andern Seite der Frau von Werthern, saß der junge Hildebrand von Einsiedel, im Pageninstitute zu Weimar erzogen, seit vier Wochen aber vom Herzoge zum Hofrath ernannt. Welch ein feines, träumerisches Gesicht! welch ein Ausdruck poetischer Versunkenheit in den tiefen, dunklen Augen! Welch zierlich anmuthige Gestalt mit nachlässiger Haltung! Zerstreut spielten seine Finger mit einigen Brodkrumen oder bogen die herabhängenden Enden seiner weißen, spitzenbesetzten Cravatte in kleine Falten. Seine künstlerische Begabung war nicht unbedeutend; er liebte leidenschaftlich die Musik, spielte Violoncell mit Meisterschaft, componirte und sang, auch versuchte er sich in der Poesie, fertigte Gelegenheitsgedichte und dramatische Sachen. Die Bekanntschaft mit dem vielbesprochenen Goethe interessirte ihn, und er folgte mit großer Aufmerksamkeit der Unterhaltung ihm gegenüber.

Neben Einsiedel auf der andern Seite saß der Pagenhofmeister Musäus, jetzt Professor am Gymnasium. Ein vierzigjähriger, heiterer, harmloser Mann, aller Uebertreibung und Gefühlsschwelgerei abgeneigt; er hatte Mancherlei geschrieben und beschäftigte sich jetzt damit, die Volksmärchen der Deutschen zu sammeln und auf seine Art zu überarbeiten. Lebhaft betheiligte er sich an den literarischen Streitfragen und polemisirte eifrig gegen Lavater, dessen Lehren damals die Gemüther beherrschten und auch in Weimar enthusiastische Anhänger fanden.

[394] Endlich wurde das Mahl aufgehoben Und darauf die Unterhaltung in Gruppen vertraulich weiter geführt.

Der Herzog sprach noch, an einem Fenster stehend, mit Frau von Werthern, als Wieland mit gerötheten Wangen und begeistert blitzenden Augen zu ihnen herantrat.

„Welch ein Mensch!“ rief er lebhaft. „O mein theurer gnädiger Herr! Was soll ich Ihnen sagen? Wie ganz dieser Wolfgang beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn bin, seit ich mit diesem herrlichen Jünglinge geredet habe! Ja, meine Seele ist seit dem heutigen Mittage so voll von Goethe, wie ein Thautropfen von der Morgensonne!“

Karl August lächelte vergnügt.

„So ist es recht, mein alter Mentor,“ entgegnete er. „Liebt Euch, vertragt Euch und laßt mich mit in Eurer Liebe froh sein!“

Goethe trat in den Garten hinaus; es wurde ihm – umringt von dem jubelnden, aufgeregten Kreise, als dessen Mittelpunkt er sich fühlen mußte – zu eng und warm im Saal.

Gustchen Kalb huschte mit einem Gluthblick an ihm vorüber. Draußen schien es den beiden Erhitzten milder geworden zu sein.

Einladend lag der Garten da, beglänzt von den letzten Strahlen der scheidenden Sonne. Das Bosquet war durchsichtig kahl; rothe und gelbe Blätter flatterten an den Zweigen oder tanzten im Luftzuge auf dem Rasen.

Goethe fühlte, daß er seine hübsche Nachbarin während des Mittagsessens vernachlässigt habe, und deshalb folgte er ihr rasch.

Nach wenigen Schritten hatte er sie eingeholt und fragte jetzt geschickt das Blatt wendend: warum sie ihn fliehe?

Das junge Mädchen entgegnete schmollend: „O, um Ihnen nicht lästig zu werden!“

Sie sah recht frisch und anziehend aus in diesem Augenblicke, mit dem verdrießlich schelmischen Zug um den vollen Mund und dem unter gesenkten Wimpern hervorblitzenden Auge.

Goethe lachte und antwortete: „Soll man Ihnen glauben, daß Sie sich dieses zutrauen? Ich will Ihnen zum Trost sagen, daß dem nicht so ist. Sie sind reizend, Gustchen, und wenn Sie sich mir entziehen, so laufe ich Ihnen nach durch die halbe Welt und hole Sie ein.“

„Versuchen Sie’s!“ rief sie neckisch und flog durch die blätterbestreuten, raschelnden Gartenwege. Er folgte ihr, und obgleich sie nicht schnell und gewandt lief, so dauerte es doch einige Minuten – vielleicht wollte er es so – bis er sie einholte.

In einem kleinen Tannendickicht fing er sie, hielt sie mit beiden Armen fest, und versicherte, er werde sie nicht eher loslassen, als bis sie zur Strafe für ihren Zweifel und den Gedanken an die Möglichkeit, ihm lästig zu werden, sich mit einem Kuß ausgelöst habe.

Gustchen wand und wehrte sich freilich, aber ein Blick in seine Augen machte sie gefügig, und sie erwiderte den Kuß des schönen Jünglings mit warmer Hingabe. Dann begann sie auf’s Neue zu fliehen, und wer weiß wie oft sich das lohnende Spiel mit Haschen und Pfandgeben noch wiederholt hätte, wäre nicht plötzlich Christel Laßberg am Fenster des Nachbarhauses erschienen. Auguste war einen Augenblick erschrocken, trat aber dann mit Goethe unter das Fenster der unerwünschtem Lauscherin; hinauf nickend und winkend rief sie, in einer Anwandlung gutmüthiger Rücksicht für die Freundin, Christel möge in den Garten kommen. Gustchen führte den Genossen durch die Stachelbeerhecke.

„Was soll ich mit andern Mädchen?“ rief er halb zürnend, „genug, wenn ich Sie habe, liebes Gustchen; das blasse Mondscheingesicht am Fenster gefiel mir nicht.“

„Wir machen ihr ein Vergnügen,“ versetzte sie ihres Vortheils wohlbewußt; „das arme Ding lebt da wie im Käfig und ist so träumerisch und harmlos, daß wir plaudern können, was wir wollen, wenn wir bei ihr sind.“

Am Brunnen vor der Gartenstube traf man sich. Auguste hatte die Freundin nicht falsch beschuldigt; Christel erschien wortkarger und in sich versunkener denn je. Sie saß theilnahmlos und mit niedergeschlagenen Augen auf einer Stufe zur Seite.

Die Blicke des erregten jungen Mannes kehrten unbefriedigt von dieser farblosen Knospe zu der strahlenden Blüthe an seiner Seite zurück. Nach wenigen Versuchen, Christel mit in die Unterhaltung zu ziehen – welche alle an ihrer scheuen Einsilbigkeit scheiterten – vergaß man ihrer Nähe und gab sich einem Geplauder hin, das durch den gewährten Kuß an Wärme und Ungezwungenheit gewann und beide Theile gleich gut unterhielt.

Endlich, als es bereits anfing zu dämmern, hörte man im Nachbargarten verschiedene Stimmen, dann den Herzog laut nach Goethe rufen, worauf das junge Paar zur Gesellschaft zurück eilte.

[405]
5.

„Kind, liebe Milli, ich will Dich nicht kränken,“ sagte eine würdige, alte Dame, welche in der Ecke ihres kleinen Sophas saß. Und sanft die thränenfeuchten Wangen der vor ihr knieenden Frau von Werthern streichelnd, fuhr sie fort: „Ich weiß, daß sich viel zu Deiner Entschuldigung anführen läßt, und habe mich deswegen nie in Eure häuslichen Verhältnisse gemischt. Ja ich weiß, liebes Milchen, daß die Sitten immer lockerer werden, daß es wenige junge Frauen in Weimar giebt, welche nicht ihre ‚Geschichte‘ haben. Sie wollen ihren süßen Liebesrausch mehrmals genießen. Es giebt so viele böse Beispiele um Dich her, Du bist lebhaft, jung und hübsch“ – ein schwerer Seufzer entrang sich hier der alten Dame – „mein Sohn ist vielleicht nicht immer gegen Dich, wie er sein sollte: sieh Emilie, deshalb, aus allen diesen Gründen, welche mein armes Mutterherz beängstigen, nur deshalb rede ich jetzt so mit Dir.“

Das gekränkte junge Weib war wie geknickt mit gefalteten, vor die Augen gepreßten Händen auf das Kissen zu den Füßen der Mutter hingesunken.

Die alte Frau von Werthern hatte es bis jetzt schonend vermieden, mit ihrer Schwiegertochter deren eheliches Verhältniß zu besprechen. Sie fürchtete die festere Gestalt des Ausgesprochenen. Jetzt aber hielt sie eine Warnung für nothwendig, da man Emilien beschuldigte, sie trachte die junge Ehe ihres Fürsten zu stören, sie kokettire mit dem Herzoge, sie dränge sich in die Gesellschaft der Männer. Ihre Gegenwart bei dem Kalb’schen Herrendiner, ja, daß sie am Mittwoch Abend wieder zum Tanz dort gewesen und Karl August nicht von ihrer Seite gekommen sei, regten die alte Dame schmerzlich auf.

Es hatte immer ein inniges Verhältniß zwischen Emilien und ihrer Schwiegermutter bestanden; Alles wurde bisher zwischen ihnen besprochen, nie aber das Nächste, der Sohn und Gatte. Ob Frau von Werthern diesen Sohn liebte? Er stammte aus der ersten Ehe ihres Mannes und war von zu roher Art, als daß eine edle Frau an ihm hätte Gefallen finden können. Die Rücksichten, welche er auf seine Stiefmutter nahm, waren durch Eigennutz bedingt; das Vermögen seines Vaters reichte nicht aus, seine kostspieligen Neigungen zu befriedigen. Die Mutter war sehr wohlhabend, freigebig dazu, kein Wunder, daß er jetzt auf ihre Zuschüsse, später auf die reiche Erbschaft speculirte.

Nach dem Ausbruch verletzter Gefühle von Seiten der jungen Frau ließ die Matrone ruhig eine Zeit der Sammlung verstreichen; sie hatte besänftigend ihre Hand auf die dunklen Locken der vor ihr Knieenden gelegt und blickte mit unendlichem Mitleid auf sie herab.

Als Emilie das schmerzerfüllte Auge zur Mutter empor schlug, hätschelte diese sie wie ein Kind und sagte:

„Ich weiß ja, mein Milchen, daß er nicht gut mit Dir ist; ich weiß, daß er Schuld hat; aber wenn er auch fehlte, so möchte ich doch meinen Liebling davor bewahren.“

„Gute, gute Mutter!“ stammelte die junge Frau, sich an sie schmiegend.

„Laß uns ohne Heftigkeit die Verhältnisse besprechen,“ fuhr die alte Dame milde fort. „Ich sagte Dir schon, daß ich nichts von den groben Beschuldigungen glaube, die von Uebelwollenden ersonnen werden. Aber die Pflichten einer jungen Frau reichen weit und sind fein gesponnen; sie gleichen einem zarten, luftigen Schleier, in den ihr ganzes Wesen sich hüllen soll; entsteht nur ein kleiner Riß in dem kostbaren Gewebe, so zerrt die plumpe Hand der Menschen daran, und ohne daß die Trägerin es will oder weiß, ist ein Stückchen nach dem andern von dem feinen Stoff zerfetzt. Sie steht zuletzt da, bloß und schutzlos allen Angriffen ausgesetzt. Daher hülle Dich vorsichtig ein, mein Herzenskind, laß keine Seele ahnen, wie wenig Dein Gatte und Dein einsames Haus Dich befriedigen, und halte Deinen guten Namen unantastbar rein!“

„Und mein Glück, mein Lebensglück!“ jammerte das junge Weib leise.

Die Matrone hatte nur an das Sollen, nicht an das Wollen und Begehren eines glühenden jungen Herzens gedacht.

„Die Pflichterfüllung wird Dich glücklich machen!“ sprach sie zum ersten Male in einem strengeren Tone.

Emilie richtete sich auf. „O, mein Leben ist jammervoll öde!“ klagte sie. „Mutter, ich wollte, ich wäre todt!“

In der vorigen Weise fuhr die Greisin fort: „Du weißt, wie ich Dich liebe! Mein Herz hängt nur an Dir, aber ich möchte Dich zehnmal lieber im Sarge sehen, als Dich wirklich einer Pflichtverletzung schuldig wissen; das würde mich elend machen und schmerzbeladen in die Grube stürzen.“

Emilie schauderte. „Nie, nie will ich Ihnen den Kummer bereiten!“ rief sie leidenschaftlich. „Ich schwöre es bei meiner ewigen Seligkeit! Nie sollen Sie sich meiner schämen; eher sterben als das!“

[406] Eine lebhafte Umarmung folgte.

„Wohlan, mein Kind,“ sagte endlich die Mutter, „so will ich Alles versuchen, um auf meinen Sohn zu Deinen Gunsten zu wirken. Er soll in Dir meine alleinige Erbin respectiren und, was er von mir wünscht, nur durch Dich, erlangen, vielleicht wird das ihn zügeln.“

Nach und nach bewegte sich die Unterhaltung der beiden Frauen in ruhigeren Bahnen.

Die alte Dame ließ sich von Haus und Garten und einer neuen Einrichtung erzählen, welche vom Rittmeister getroffen war.

Er hatte Geld gebraucht und gefunden, daß in dem der Mama gehörigen und von ihr für das junge Paar hergerichteten Hause einige Zimmer entbehrlich wären. Die junge Frau hatte sich beschränken müssen, und ein Miether war in der Person des Bergraths Moritz von Einsiedel eingezogen.

Der neue Hausgenosse – Bruder des jungen Hofraths Hildebrand von Einsiedel – war ein Mann von sechsundzwanzjg Jahren, ruhig, verschlossen, solid in jeder Hinsicht. Seine Anstellung im Bergfache hielt ihn oft Monate lang von Weimar entfernt; der Rittmeister nannte ihn seinen Philister, oder auch gar seine Schlafmütze. Einsiedel ließ sich durch keine Neckerei stören; er lächelte melancholisch und schwieg. Eifrig mit chemischen und mineralogischen Studien beschäftigt, zeigte er sich selten in Gesellschaften, tanzte gar nicht und bekümmerte sich um das schöne Geschlecht, sehr wenig.

„War der Bergrath nicht bei Kalbs?“ fragte die Matrone. „Es ist sonderbar, daß man immer den jüngeren Bruder vorzieht.“

„Hildebrand ist einmal gut angeschrieben beim Herzoge. Ich glaube, Moritz ist ihm zu verständig, zu brav.“

„Man sagt, er sei steif und langweilig in Gesellschaften?“

„Er ist kein Geck, aber er hat mehr Geist in seinem Auge, als ein Dutzend anderer Männer zusammen.“

„Es ist schade, daß ich ihn so wenig kenne; da er bei Euch wohnt, interessire ich mich für ihn.“

„O, er verdient Ihr Interesse, theure Mama!“

„Ist er artig gegen Dich?“

„Nein, er beachtet mich gar nicht, er ist immer beschäftigt; wir wechseln selten ein Wort.“

Die alte Dame fühlte sich von dieser Seite nicht beunruhigt. „Eine kleine Verehrung aus der Ferne von ihr,“ dachte sie. „Er ist zu beschäftigt, zu hypochondrisch, um einer jungen Frau gefährlich zu werden. Wenn ich nur über den Herzog ruhig sein kann, ist alles Andere nebensächlich.“ Ruhiger trennten sich die beiden Frauen.

Am Nachmittage klirrten schwere Schritte im Vorzimmer der alten Frau von Werthern, sie kannte dieselben genau und erhob sich ein wenig, um den eintretenden Sohn zu begrüßen.

Der Rittmeister von Werthern war groß, breitschultrig und etwa vierzig Jahre alt. Seine rothen und aufgedunsenen Züge, die unstäten Augen, das plumpe, derbe Auftreten sprachen von zügellosem Leben. Er schüttelte die Hand der alten Dame so heftig, daß ihr Mund sich schmerzlich verzog, und fragte dabei, wie sich seine verehrte Mutter befinde?

„Gut, mein Sohn,“ entgegnete sie. Ich freue mich, Dich wieder zu sehen; habe die Güte, Dich zu mir zu setzen, und erzähle mir von Deiner Reise und wann Du zurück gekommen bist.“

Der Rittmeister warf sich auf einen Stuhl und stieß den Mops, der sich an ihn schmiegte, mit seinen gewaltigen Sporen plump zur Seite, daß er heulend entfloh. Dann sprach er, sorgsam seinen schwarzen Bart streichend:

„Diesen Morgen in einem Trabe von Rudolstadt; habe dann gegessen, und da bin ich. Möchte ’ne Geschäftssache mit Ihnen abreden, ist ein wenig eilig. Machte nur deshalb den scharfen Ritt und riskirte den Hector – denn, um kurz zu sein, Sie werden von einem Soldaten keine lange Vorrede erwarten, Frau Mutter – ich bedarf eines Darlehns von Ihnen, um einen ausgezeichneten Handel abzuschließen. Es steht da eine Fuchsstute in Rudolstadt, in die ich keineswegs verliebt bin. Ein kapitales Thier, ganz Pferd, knochig genug für einen Reiter wie ich, aber dabei elegant; süperbe Nachhand, ein Schweifträger erster Qualität, hoch von Hals und Widerrist, Sattellage und Nieren comme il faut, gute Zäumung, ganz rein und trocken von Knochen, sechs Jahre alt; der Preis ist mäßig, und ich könnte es mir nie vergeben, wenn ich diese Gelegenheit, ein brillantes Geschäft zu machen, ungenutzt vorübergehen ließe. Stein reflectirt für des Herzogs Stall auf den Gaul, doch hat er erst einen Boten herüber geschickt; währenddem habe ich den Fuchs vorläufig bis morgen früh für mich angebunden. Ich weiß, bei Ihnen werden gewiß zwanzig Louisd’or flott zu machen sein; sobald ich das Geld habe, sitze ich wieder auf.“

Die alte Dame hatte still und unbeweglich zugehört; sie fütterte ihren Mops mit etwas Zuckerbrod und wiegte jetzt nachdenklich den Kopf.

„Die Geldgeschäfte werden mir mehr und mehr lästig,“ sagte sie ruhig, „da habe ich denn an diesem Morgen mit Emilien ausgemacht, daß sie meine Casse führen, nachsehen, größere Ausgaben bestimmen, kurz, mein Finanzminister sein soll. Ich kann nicht gleich, da es kaum getroffen, gegen unser Abkommen handeln; es wird also ganz auf Deine Frau ankommen, ob wir die erwünschte Gefälligkeit für Dich haben können.“

Der Rittmeister starrte sie an; seine Stirnader schwoll und heftig rief er: „Das ist ein Weibercomplot gegen mich! Was soll das bedeuten? Emilie, diese kleine Putznärrin bei dem Gelde! Wollen Sie lauter Unterröcke dafür kaufen?“

„Ebenso gern wie Pferde,“ sagte die Matrone gelassen.

Werthern sprang auf. Stampfend und klirrend lief er im Zimmer umher. Dann blieb er vor der Mutter stehen und fragte, sich gewaltsam beherrschend:

„Dahinter steckt etwas. Sagen Sie’s kurz, woran ich bin. Wollen Sie mich zu irgend etwas zwingen? Oder wollen Sie mich nur demüthigen und beleidigen?“

„Du hast richtig errathen, daß ich etwas Besonderes bezwecke,“ erwiderte sie. „Ich kenne Deine Bedürfnisse, kenne Deine Schätzung des Geldes und hoffe Deiner Frau zu neuem Ansehen bei Dir zu verhelfen. Du wirst mir zu gleichgültig gegen Milli; Du kümmerst Dich gar nicht mehr um sie; meine Bitten haben Dich nicht zu ihr zurückgeführt, vielleicht thut es mein Geld. Du siehst, ich spiele mit offnen Karten und hoffe mein Spiel zu gewinnen.“

„Hat sie zu klagen gewagt, diese Thörin?“

„Man braucht mir Eure Verhältnisse weder zu erzählen noch zu klagen; ich kenne sie, die ganze Stadt kennt sie. Alle Welt sieht, daß jedes von Euch seinen eignen Weg einschlägt, und das ist keine Ehe, wie sie sein soll.“

„Was geht’s die Welt an, ob wir mit einander auskommen? Ich will Freiheit! Emilie scheint sich gut zu amüsiren; mir kann eine zimperliche Frau, welche sich an mich hängt und mir vorlamentirt, nichts helfen; lassen wir sie also!“

„Denkst Du nie an Deine Pflicht, diesem jungen, schönen, Dir anvertrauten Geschöpfe gegenüber?“

Der Rittmeister zuckte die Achseln. „Frau Mutter, ich bin eilig!“ rief er, „die Moral ein anderes Mal! Verlangen Sie, daß ich meine Frau auf offenem Markte küsse, oder was soll es sein? Handeln wir!“

„Gut,“ antwortete die alte Frau mit schmerzlichen Ernst, „ich sehe, daß ich heute den rechten Weg eingeschlagen habe, mit Dir zu verkehren. Die zwanzig Louisd’or sind zu Deiner Verfügung, wenn Du mir Dein Wort giebst, während der nächsten zwei Monate Deine Frau in jede Gesellschaft zu begleiten, in welche sie zu gehen wünscht – also während dieser Zeit Dich nie über einen Tag von ihr zu entfernen.“

„Sträflich langweilig! Aber wenn es nicht anders sein kann und mir damit das Geld geschenkt ist, so bin ich im Stande, der süperben Fuchsstute das Opfer zu bringen.“

Die Mutter stand auf und ging, an ihren glänzend ausgelegten Nußbaumschrank; nachdem sie ein paar Reihen ausgeschrieben und das Geld abgezählt hatte, legte sie den sonderbaren Contract ihrem Sohne vor; dieser Unterzeichnete ernsthaft und mit langen, schwerfälligen Buchstaben seinen Namen und strich das Geld vergnügt ein.

Spöttisch auflachend rief er: „Sie wird mich nicht von ihrer Kontusche los! Die ganze Stadt soll Wunder schreien über einen so verwandelten Ehemann!“

Sein Dank war kurz und gleichgültig; er hatte sich ja das Geld verdienen müssen.

Möglichst rasch empfahl er sich und polterte mit Säbel und Sporen klirrend zum Hause hinaus.

Die alte Dame sah ihm tief betrübt nach.


[407]
6.

Den nächsten Tag brachte Goethe größtentheils bei dem Herzoge im Fürstenhause zu; es drängte ihn, der Herzogin Luise seine Aufwartung zu machen, deren Bild ihm im Glanze idealer Reinheit und edelster Weiblichkeit vorschwebte.

In einem hübsch ausgestatteten Salon des ersten Stocks im Fürstenhause saß um die Mittagsstunde Luise von Hessen-Darmstadt mit ihren beiden Hofdamen Henriette von Wöllwarth und Adelaide von Waldner. Die Herzogin war eine schlanke, fast magere Gestalt und achtzehn Jahre alt; ihr ernstes blaues Auge, ihre matte Gesichtsfarbe, die stille Gleichmäßigkeit ihrer Züge und ihres Benehmens gaben ihr etwas knospenhaft Unentwickeltes. Sie trug nach dem Zeitgeschmacke ein weißes Battistkleid, einen goldenen Gürtel, lange Filethandschuhe ohne Finger und ein umgestecktes Spitzentuch, ihr hellbraunes Haar war mit einem goldenen Kamme aufgenommen.

Die blühende, lachende Adelaide von Waldner sah neben der Fürstin wie eine Rose neben einer Lilie aus. Henriette von Wöllwarth dagegen, die, mit einem Papagei tändelnd, am Fenster stand, wäre schwer mit einer Blume zu vergleichen gewesen; sie hatte etwas durchaus Reales in ihrer stattlich schönen Gestalt und dem gescheidten, kräftig geformten Gesichte; der Blick, welchen sie jetzt auf die beiden Jüngeren richtete, schien zu sagen: „Arme Kinder, Ihr langweilt Euch entsetzlich, wenn man Euch nur helfen könnte!“

In diesem Augenblicke meldete der Lakai:

„Seine Durchlaucht der Herr Herzog und Doctor Goethe!“

Luise winkte erröthend, und die beiden jungen Männer traten rasch ein. Der Herzog eilte auf seine Frau zu, küßte mit einer gewissen linkischen Befangenheit ihre Hand, und rief strahlenden Auges, den Freund überblickend: „Da hast Du unsern Gast, Luise!“

Die Herzogin verneigte sich, ein „Willkommen“ flüsternd, der Herzog stellte Goethe den Hofdamen vor, und die kleine Versammlung setzte sich.

Die vielleicht nicht ganz geschlossene Thür aufstoßend fuhr jetzt plötzlich ein großer, langhaariger Hühnerhund in’s Zimmer und auf seinen Herrn, den Herzog, zu. Adelaide kreischte leise und faßte ihr Kleid zusammen, an dem der Hund vorbei rannte; die Herzogin blickte erschrocken und mißbilligend; Goethe stand auf, um das Thier hinaus zu lassen; der Herzog aber rief:

„Laß doch die Diana hier! Kusch Dich Alte, hier zu mir!“

Der Hund, sich umsehend, legte aber freundlich seines großen Kopf auf den Schooß der jungen Herzogin, worauf diese mit allen Zeichen des Widerwillens den Hund von sich abwehrte.

Karl August rief ihn jetzt streng zu sich, das Thier gehorchte, der Friede schien hergestellt, aber eine gewisse Mißstimmung war durch dies Vorspiel in den kleinen Kreis gedrungen.

Luise besann sich so weit, Goethe nach seiner Reise zu fragen, und dieser berichtete, wie er in Begleitung des Kammerjunkers von Kalb recht angenehm gefahren sei. Der Herzog sagte inzwischen halblaut zu Adelaide von Waldner: ob sie die Einladung zu Kalbs, zum Abendtänzchen, angenommen habe? was die Kleine, rosig erglühend, mit strahlenden Augen bejahte. Henriette von Wöllwarth hatte für diesen Abend den Dienst bei der Herzogin, und man sah es ihr an, daß sie ungern dem lockenden Tanzvergnügen entsagte.

Luise schien das leise Hin und Her, das Geplauder der Drei nicht zu bemerken; es entspann sich zwischen ihr und Goethe ein Gespräch, aus dem heimische Erinnerungen heraus klangen, die freundliche Bande zwischen den beiden Süddeutschen knüpften. Endlich fragte sie, ob er heute bei Tafel sein werde? und schien angenehm von seinem Ja berührt.

Als die Herren wieder in des Herzogs Zimmer allein waren, konnte Goethe sich nicht enthalten, seinen Gefühlen der Verehrung für die Herzogin Worte zu leihen.

Er Nannte ihr Wesen, von Anmuth und Würde getragen, ganz fürstlich und meinte, es werde einem neben ihr wie in der Kirche.

„Du hast Recht,“ sagte Karl August seufzend, „eine dumpfe, kühle Atmosphäre umgiebt sie, in der einem fröstelt!“


Der andere Gast in den Mauern Weimars, Luise von Göchhausen, hatte inzwischen das heißerwünschte Ziel in nicht allzulanger Zeit erreicht. Der Herr Oberkämmerer Baron von Göchhausen hatte seinen wichtigen Leibes- und Amtssorgen eine Stunde abgewonnen, um der Herzogin-Wittwe Amalie seine Aufwartung zu machen und ihr das junge Fräulein vorzustellen. Er wurde mit seiner Nichte gnädig empfangen, und die hohe Frau hörte sein Lob des Mädchens, die gefühlvoll vorgebrachten Versicherungen seiner „Tendresse“ für das einzige Kind des verstorbenen Bruders mit Theilnahme an.

Auf seine Bitte, die junge Dame als Gesellschaftsfräulein anstellen zu wollen, antwortete die hohe Frau mit dem Wunsche, das junge Mädchen öfter und allein zu sehen – ein sehr natürliches Begehren, da Luise bei diesem ersten Besuch fast nur durch ihr beredtes Mienenspiel sprechen konnte.

Man kam überein, daß Fräulein von Göchhausen am Donnerstag Nachmittag allein zur Herzogin kommen solle. Dieselbe hatte sehr wohl das helle Licht in den lebhaften Augen, die kaum verhaltene Heiterkeit um den Mund bemerkt und war einigermaßen gespannt, zu erfahren, was hinter den wenig harmonischen Zügen, diesem halb drolligen, halb ernsten Ausdruck versteckt liegen möge. So wartete sie mit Ungeduld auf den Tag, der ihr vielleicht eine passende Gefährtin bringen sollte. –

Der Donnerstag Nachmittag kam, die Herzogin saß in ihrem Wohnzimmer an der Staffelei; sie führte nicht ohne Geschick den Pinsel und beschäftigte sich gern mit der Kunst.

Anna Amalie, erst sechsunddreißig Jahre alt, war noch immer eine schöne Frau. Ihr lebhaft sprechendes Gesicht mit den großen dunklen Augen zeigte noch viel jugendliche Frische, und der Puder deckte kaum das glänzende Braun ihres reichen Haars, dessen zahllose Löckchen von einem goldenen Reif zusammen gehalten wurden.

Nachdem sie eine Weile eifrig gemalt hatte, hielt sie inne; der zu erwartende Besuch beschäftigte ihre Gedanken und zog sie von der Arbeit ab. Sie hatte einen Brief der Markgräfin von Baden erhalten, welche Luise warm empfahl, aber zugleich andeutete, daß sie „ensilirter“ Possen halber Karlsruhe habe verlassen müssen.

Endlich wurde das Fräulein von Göchhausen angemeldet.

Anna Amalie begrüßte die Eintretende gütig, sie beschloß jedoch die Wahrheitsliebe der ihr so warm Empfohlenen auf die Probe zu stellen und fragte zuerst: ob sie sich wohl bei ihrem Oheim fühle?

Mit einem Lächeln verhaltener Spottlust entgegnete Luise daß man alten Leuten Absonderlichkeiten zu gut halten und für jegliche Art von Gastfreundschaft dankbar sein müsse.

„Haben Sie die Markgräfin ungern verlassen?“

„O, außerordentlich ungern! Die Frau Markgräfin war stets die Huld selbst gegen mich. Hätte es nicht sein müssen, nimmer würde ich ihren Dienst aufgegeben haben.“

„Aber Sie folgten den Wünschen Ihres Oheims? Man muß das an Ihnen loben!“

„Eure Durchlaucht dürfen sich nicht in mir täuschen, so schwer es mir wird, den Oheim Lügen zu strafen; ich war gezwungen, Karlsruhe zu verlassen.“

„Wie das? Erzählen Sie, ich bin begierig, mehr zu hören. Was ließen Sie sich zu Schulden kommen?“

Luise berichtete nun des Näheren, wie sie in Karlsruhe, von den Zudringlichkeiten eines alten Prinzen und Verwandten der Herrschaften verfolgt, sich habe hinreißen lassen, demselben unter Beihülfe ihrer treuen Kammerfrau – der Schulzin – Possen zu spielen, und wie ihre Entlassung eine der Lage angemessene Nothwendigkeit gewesen sei.

„Als die Zeit meines Scheidens herankam,“ schloß sie ihren Bericht, „nahm ich bewegten Abschied von den hochverehrten Herrschaften und fuhr mit meiner Getreuen den schönen Rheinstrom hinunter. Ich machte einen Strich durch alle Weinerlichkeit, die ebenso wenig für mich, paßt wie ein verliebtes Abenteuer, und gewann die Ueberzeugung, daß die Welt allerorten schön ist, und in dieser Ueberzeugung empfehle ich mich der Gewogenheit Eurer Durchlaucht.“

Mit diesem offenen Geständniß hatte der ehrliche kecke Geist des Mädchens gesiegt: das Vertrauen der Herzogin war gewonnen.


[408]
7.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Am 7. November 1775 Abends. Um mich ist Alles still, aber in mir wogt es; die Gedanken drängen und pochen und möchten hinaus; ich sehne mich, an das Herz einer Mutter zu flüchten, der ich mein ganzes, volles Vertrauen geben könnte. Aber ich habe Niemanden so nah, so lieb, und die Gedanken müssen doch fort von meinem Herzen, das sie erdrücken. So will ich versuchen zu schreiben, was mich bewegt; Werther schrieb ja auch!

Da steht es, ich sehe es an; – ist denn eine Aehnlichkeit zwischen Werther und mir? Ich bin ein thörichtes Kind; mein Vater sagte mir es heute, als ich nach jenem Besuche nicht von der Brunnenstufe weichen wollte. – Welche Stunden süßer Träumerei! Ich hatte keinen größeren Wunsch als: Wolfgang Goethe kennen zu lernen! – O, wie mein Herz schlug, als die Hoffnung lebendige Gewißheit wurde! – Um Mittag liehen Kalbs von Tante Barbara silberne Löffel, und wir hörten, daß sie eine Gasterei hätten, daß sogar der Herzog bei ihnen esse. Vater wurde ärgerlich und sagte: wenn sie nicht einmal ausreichend Löffel besäßen, wäre es Unsinn und Uebermuth, einen Fürsten zu Tisch zu bitten. Ich schaute in Kalbs Garten; da kam plötzlich Gustchen in großem Putz gelaufen, und ihr folgte ein Mann. Das war „Er“, ich wußte es gleich! Er trug sich wie Werther; frei wallendes Haar und schlanke Glieder; war es Werther? Nein! Eher ein Götz, so männlich und stark, ein Götz im Wertherkleide; oder lieber ein König in geringer Tracht, den man meint schon mit Krone und Scepter im Goldmantel auf dem Thron gesehen zu haben. Gustchen hatte den Muth, ihn zu necken, mit ihm zu schäkern, fort zu laufen; es ist häßlich, wenn Gustchen läuft, und er beeilte sich vielleicht deshalb, sie einzuholen. Bald waren sie nahe unter meinem Fenster, bald hier, bald dort, zwischen den Bäumen mit goldnen und rothen Blättern. Sie kamen zu mir in die Laube, und da präsentirte Gustchen ihn mir mit vielen komischen, förmlichen Reden; er lachte dazu; aber als sie ihn pries und ihm viele hochtönende Titel gab, unterbrach er sie und sagte: „Welch’ üble Meinung geben Sie dem Fräulein von meiner Eigenliebe, wenn Sie ihr einreden, ich lasse mir all den Ruhm gefallen!“ – Dann wandte er sich zu mir und bat sehr artig um Vergebung, daß sie in unsern Garten eingedrungen wären.

Von Dem, was er sprach, weiß ich nicht viel mehr; ich fühlte seinen Flammenblick bis in mein verwirrtes, bebendes Herz hinein. Ich saß ihm fast zu Füßen und hätte ewig so sitzen mögen. Dann und wann, wenn er mit Auguste sprach, wagte ich es, ihn anzusehen; o, wie brannte sein Bild sich in meine Seele! Plötzlich ertönte aus Kalbs Garten ein Ruf. „Das ist der Herzog!“ sagte er und stand auf; sie grüßten mich, ich war schwindelnd wie im Traume, hätte ihn halten mögen und konnte weder ein Glied noch die Lippen bewegen; Gustchen schüttelte und küßte mich, „Kind, schlafe nicht ein!“ rief sie und sprang fort, dem Herrlichen nach. Ich aber saß da, bis Vater kam und mich ein thörichtes Ding nannte, weil ich am kalten Novemberabend am plätschernden Brunnen saß.

Am 8. November. Auch heute habe ich ihn gesehen; wieder war er mit Gustchen am Nachmittage im Garten; sie sang ein Lied und lachte dann überlaut; wie häßlich das klang! Ich nähte an meinem Kleide zum Balle und dachte, ob es möglich wäre, daß ich schön sei? Die Frage verfolgte mich peinlich; ich mußte mir Auskunft suchen. Als Barbara, wie es ihre Gewohnheit ist, mich auskleidete, fragte ich sie:

„Sage aufrichtig, Tante Barbara, bin ich schön oder häßlich?“

Sie blickte mich erstaunt an, nahm meinen Kopf in ihre lieben alten Hände, küßte mich auf Stirn und Mund und flüsterte:

„Schön wie ein Engel, mein Herzenskind!“

Ein Schauer der Freude überlief mich. – Schön wie ein Engel! – Warum soll ich mich nicht darüber freuen? Wird „Er“ mich häßlich finden? – Still, still! Der Ball kommt, und dann will ich versuchen, mit ihm zu plaudern wie Gustchen; nein! so wie sie kann ich nie sein!

Am 10. November Morgens. Heute ist der Tag! Heute! Ich kann nichts weiter sagen.

Mittags. Der Friseur ist eben dagewesen, mein Kopf ist fertig; aber wie schwer er ist, wie er schwankt! Der Puder stäubt umher, sowie ich mich bewege; ich müsse mich ruhig halten, sagte der Mann, sonst verderbe ich alles. Wie bleich ich aussehe! Tante wollte mir Schminke auflegen, aber ich litt es nicht; das Schminken ist eine Lüge, und damit gehe ich nicht vor sein Auge. Gustchen war derselben Meinung; sie freilich ist roth genug!

Nachts. Da bin ich wieder! Gottlob! Es ist vorbei! Für immer! Ich gehöre nicht unter die Menschen, ich bin verloren, hülflos, allein, wie ein Tropfen im Meere. – O, die elende, unbehülfliche Scheu! Ich habe mich meines Daseins geschämt und mich gesehnt, weit, weit weg zu sein. Und dann wieder das Glück, ihn ungehindert aus verborgener Ecke zu sehen, zu bewundern! Wie er stürmt und fliegt im Tanze, wie fest er den Arm um die Tänzerin schlingt, wie sein Auge leuchtet und seine Brust sich hebt in der Lust des Lebens und der Freude; o, wer so mit ihm genießen könnte!

Die Herzoginnen redeten mich gütig an, aber ich wußte nichts zu entgegnen; er stand in der Nähe, und ich wagte nicht, das Auge aufzuschlagen. So ließen sie mich stehen, und ich ging mit Tante Barbara in einen Winkel. Ich sollte tanzen, aber mein Vater hat vergessen, mich es lehren zu lassen, so konnte ich es nicht. Gustchen lachte, und mein Vater brummte in den Bart, nur Barbara nahm sich meiner an.

Rasch gingen die Stunden vorüber; ich sah nur ihn, ich suchte ihn mir wieder und fand seine herrliche Gestalt bald unter der Menge. Es kam eine Lust des Schauens über mich, die mich ganz vergessen ließ, wo ich sei; wie ein Geist fühlte ich mich um ihn schweben, leicht, frei, ohne Bangigkeit. Da trat mein Vater mit gerunzelter Stirn auf mich zu, er war zornroth im Gesicht, und seine Augen funkelten; ich erschrak, denn ich wußte, was das bedeute.

„Mir scheint, Du bist hier überflüssig,“ stieß er hervor. „Man mag und will Dich nicht; der alte Laßberg braucht dergleichen nicht zweimal zu hören. Er geht, er geht mit Kind und Kegel, für immer; er hat ausgespielt, er ist weggeworfen!“

So redend zog er mich heftig durch den Saal dem Ausgange zu; Tante Barbara hielt sich mit gefalteten Händen neben mir; meine Kniee bebten vor Schreck, die Lichter tanzten vor meinen Augen, ich konnte nicht mehr, ich stand still und war zum Umsinken. Da stürmte und wirbelte ein lustiges Paar heran; ich fühlte einen Anstoß der Tänzer und lag plötzlich auf dem Boden. Meine Augen waren geschlossen, mein Körper war schlaff, aber ich konnte hören und begreifen, was um mich her vorging. Seine Stimme war es, die ich hörte, sein Arm war es, der mich hielt, ich fühlte, ich wußte das.

„Schade!“ sagte er. „Das arme Kind! Wie eine geknickte weiße Rose.“

Dann riß mein Vater mich an sich, der Tanzmeister rief: „fortfahren!“, die Musik begann kräftig auf’s Neue, und weiter rauschte das wilde Leben des Balles, aus dem ich verschwunden, für das ich verloren war. Mein Vater hatte mich hinausgetragen, er wartete keine Sänfte ab, sondern hieß mich mitgehen. Er schlug seinen Mantel um mich, legte den Arm um meine Schulter und führte mich so nach unserm Hause. Keines sprach, aber im Vater tobte der Zorn, das fühlte ich. Tante Barbara hat mich wie immer ausgekleidet; sie hat mich geküßt und zärtlich getröstet, dann ist sie fortgegangen, ich aber mußte mein belastetes Gemüth diesen Blättern anvertrauen.

Was wird es weiter geben? Daß ich nicht zur Herzogin komme, ist klar, ich fühle es selbst, daß ich nicht dazu passe; aber er, er! Werde ich ihn Wiedersehen? wo? wann? werde ich je den Muth finden, mit ihm zu sprechen? Ach, und ohne ihn wie öde, wie traurig ist das Leben! Ja er ist meine Sonne; alles Nacht, kalte schwarze Nacht ohne den Strahlenden, Herrlichen! Aber da dämmert schon der Tag; o, der graue, einsame Novembertag meines ganzen künftigen Lebens!

[425] Am 11. November Abends. Heute Morgen ist die ganze Hofgesellschaft auf dem Eise gewesen, ich sah die bunte lachende Schaar zurückkommen. Mir war, als seien sie Alle aus einer andern Welt. Er ging wieder neben Gustchen. Nachher kam diese und sagte mir, daß die Herzogin ein anderes Hoffräulein gewählt habe. Sie erzählte mir, daß ihr Bruder und Goethe Nachmittags zum Prinzen Constantin nach Tiefurt führen, und daß sie dann wichtige Dinge mit mir überlegen wolle.

Der Nachmittag kam und nie werde ich jene Stunde vergessen. Wir saßen, weil es trotz dem Froste sonnig war, wieder am Brunnen. Vater hatte ich den ganzen Tag nicht gesehen; ich kenne das, wenn er einen schweren Groll zu überwinden hat, schließt er sich ein; Tante Barbara hielt noch ihren Mittagsschlaf. Gustchen war sehr zärtlich; sie ließ meine Hand nicht los und sagte mir, daß sie glücklich sei eine Freundin zu haben, der sie Alles anvertrauen könne.

„Wie findest Du ihn?“ begann sie dann.

Ich erröthete so sehr, daß mir die Thränen in die Augen traten und meine Hände bebten.

„Ah!“ sagte sie, „Du antwortest beredt genug; wie hübsch Du bist, wenn Du roth wirst und etwas Leben in Deine Mienen kommt; sähe er Dich so, dann würde er Dich nicht fade nennen. Also Du findest ihn entzückend?“

Gefoltert wandte ich mich ab.

„Er ist sehr schön!“ stotterte ich.

„Wer denn? Wir haben noch keinen Namen genannt,“ spottete sie jetzt. „Aber laß nur, alle Mädchen in Weimar sagen heute: Er! und wissen, wen sie meinen. Ja, Wolfgang Goethe hat es gestern allen angethan; Jung und Alt hat er bezaubert, der himmlische Mensch. Und nun höre wohl zu, kleine Maus, er ist mein, mein, wenn ich ihn will – was sagst Du dazu?“

Ich glaubte, ich stammelte einen förmlichen Glückwunsch und fühlte dabei, daß ich sehr blaß und schwindlig wurde.

Auguste fuhr fort: „Du gratulirst mir schon, so weit sind wir noch nicht, denn ich bin noch im Ueberlegen, wie ich’s nehmen soll.“

Ich fragte, warum sie denn noch schwanke, da sie ihn doch so liebenswürdig finde?

Gustchen lachte: „Du bist ein Kind, ein pures Kind,“ sagte sie. „Wenn eine Liebelei Ernst wird und man an eine Heirath denkt, so braucht man dazu einige kleine Nebendinge außer dem entzückenden Epouseur. Ich bin nicht einmal im Klaren über sein Vermögen; in den vier bis fünf Tagen unserer Bekanntschaft hat er nichts darüber geäußert. Dann soll sein Großvater ein Schneider gewesen sein, und eine solche Verwandtschaft darf ich meiner Familie nicht bieten. Da er nicht von Adel ist, würde ich mein Recht auf die Hofgesellschaften verlieren. Die Gunst, in der er beim Herzoge steht, läßt sich verwerthen, aber darauf ist nicht zu rechnen. Fürstengunst kommt heute und geht morgen.“

Ich hatte stumm ihren Ueberlegungen, die mich eisig durchkälteten, gelauscht; endlich fragte ich: „Aber hat er denn schon ernstlich um Dich geworben?“

„Mit Hand und Mund hat er geworben, mein Zuckerpüppchen!“ lachte sie, „wenn auch nicht mit dürren Worten und Heirathsplänen. Aber ich darf es auch, will ich ihn abweisen, nicht dahin kommen lassen, denn wenn er uns zürnt, kann das meiner Familie Nachtheile bringen. Ich muß also jetzt meinen Entschluß fassen und klug sein.“

„Solche Sachen verstehe ich nicht,“ sagte ich kurz. „Ich kann Dir keinen Rath geben.“

Aber sie wollte auch keinen Rath; sie erzählte mir, was er ihr gesagt, es war viel Artiges – aber ich fand nicht die Herzenswärme darin, welche seine Augen ausstrahlten, nicht die Gluth und Leidenschaft seines Werther’s. Ich sprach es Augusten aus, sie aber spottete, meine eigenen Worte wiederholend: „Solche Sachen verstehst Du nicht! Ich kann es nicht leugnen, daß ich sehr in ihn verliebt bin,“ fuhr sie fort. „Er ist der schönste und bedeutendste Mann in ganz Weimar; es mag unverständig sein, aber ich will die Sache weiter gedeihen lassen; mag es auch zu einer Heirath kommen!“

Gustel hat mir ein Gedicht von ihm dagelassen, davon schreib ich mir hier den Schluß:

„Ach, aber ach! Der Jüngling kam
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Zertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut sich noch:
‚Und sterb’ ich denn, so sterb ich doch
Durch ihn, durch ihn,
Zu seinen Füßen doch!‘“



[426]
8.

In dämmeriger Sonntagsfrühe brach der Herzog mit dem Freunde auf, um seiner Ungeduld genug zu thun und mit ihm nach Kochberg, dem Gute des Oberstallmeisters von Stein, hinaus zu reiten. Ein Reitknecht mit Frühstücksvorräthen in den Holstern folgte.

Der Thorwärter mußte seinen Morgenschlaf abschütteln und das streng geschlossene Gatterthor der Stadt öffnen, dann trabten sie draußen in den Morgennebel hinein. Sie ritten schon lange schweigend neben einander, als mit wundervoller Farbenpracht die ersten Sonnenstrahlen durch glitzernde Reif- und Nebelgebilde brachen. Das siegreiche Tagesgestirn warf leuchtende Blicke der Huld über die starre Fläche. Die feinen Eiskrystalle an Gräsern und Zweigen schimmerten in blendender Pracht, das geringste Gebüsch glich einem Märchenwalde, die hohen weitästigen Tannen wurden zu zauberischen Pyramiden. Während die Sonne höher stieg, den Nebel zertheilte, unterwarf und des Himmels zartes Blau durchglühte, blieb die Ferne noch in weichen Farbentöuen. Gerade stieg der Rauch aus den zur Seite liegenden Gehöften auf und gewann, gegen die klare Himmelsbläue gesehen, rosige Tinten.

Der Herzog nahm das Gespräch auf: „Wir haben in den nächsten Tagen noch einen Gast zu erwarten; ich glaube, ich erwähnte desselben nur flüchtig. Es ist auch so recht eigentlich kein Gast, denn ich habe ihn zum Kammerherrn ernannt. Noch vor meinem Regierungsantritt lernte ich in Bayreuth den etwa dreißigjährigen Siegmund von Seckendorf kennen, der früher in sardinischen Diensten stand. Er hat Deinen Werther in’s Italienische übersetzt, dichtet, componirt und schien mir in den Kreis zu passen, welchen ich mir zur richtigen Erfassung eines frohen, gesunden Lebensgenusses zu bilden trachte. Hoffentlich wird der gewandte, vielseitige Mann Dir gefallen. Möchte er sich mit uns einleben!“

„Ich bringe ihm eine reine Empfindung entgegen und hoffe alles Gute,“ sagte Goethe schlicht. „Mir thut es nur leid, wenn ich sehe, daß Du zwischen Dich und die Herzogin immer mehr Leute stellst.“

Das freudig belebte Gesicht des jungen Fürsten verfinsterte sich. „Ich kann mit ihr zu keinem Verständniß, keinem rechten Herzenston kommen. Mein Verlangen geht nach einem frischen, schönen, schnellkräftigen Wesen. Luise ist so verschlossen, so formvoll, so talentlos; eine Aureole der Langeweile umgiebt sie, ein Parfüm der Correctheit, das mir zuwider ist.“

„Ein Weib kann, um begehrenswerth zu erscheinen, in allen Zügen und Formen des Wesens weich sein. Besitzt sie auch nicht Deine rastlose, geistesdurchleuchtete Lebensfülle, so ist sie doch eine tief innerliche Natur, eine reizvolle Knospe, die für Dich zu erschließen Dir hohen Gewinn bringen wird. Du darfst nur nicht Nachlassen, Dich um sie zu mühen.“

„O Mentor!“ rief der Herzog mit leichtsinniger Fröhlichkeit. „Wenn die Kühle wüßte, welch ein Sachwalter sie vertritt! Dir schenkte sie vielleicht ein Lächeln, das heißt, wenn die Dehors und ihre langnasige Oberhofmeisterin, die Gianini, es allergnädigst gestatten möchten. Pah, mich fröstelt, laß uns den Gäulen die Sporen geben!“

Die Pferde griffen munter aus; gegen neun Uhr wurde in Berka gefrühstückt und gefuttert, dann ging es mit frischer Lust über Blankenhayn auf Kochberg zu.

Bald nach elf Uhr langte man vor dem überbauten Thorweg an, der auf den Gutshof führte.

Die Herren ritten ein.

Ein breiter mit einzelnen Ulmen besetzter und von Gebäuden umgebener Wirthschaftshof nahm sie auf. Geradeaus, vom Hof durch einen Graben getrennt, lag das schloßartige Herrenhaus; überschritt man die Grabenbrücke, so führte eine breite von zwei kleinen Thürmen flankirte Treppe auf einen inneren mit Steinplatten belegten Hof, den die von der Herrschaft bewohnten Baulichkeiten einschlossen.

Als die Reiter vor der Grabenbrücke hielten, waren sie bereits von dem Oberstallmeister von Stein bemerkt worden, der zu ihrer Begrüßung herbeieilte. Der Herzog stellte seinen Begleiter vor und erfuhr, daß auch Rittmeister von Werthern mit Gemahlin als Gäste anwesend seien. Man fand die Gesellschaft in einem behaglich erwärmten Salon, wo die Damen den Eintretenden von einem Frühstückstisch entgegen kamen. Der Herzog küßte beiden Damen die Hand, erwiderte den Gruß Werthern’s und führte der Hausfrau seinen Freund zu.

Dieser hatte sogleich die schlanke Frauengestalt vor sich mit prüfenden Blicken überflogen.

Ja, sie war es! Das waren die weichen, durchgeistigten Züge, die ihn in ihren unvollkommnen Umrissen schon so wunderbar gefesselt hatten und ihn nun doch, anmuthbelebt, wie ein ganz Neues, Unerwartetes überraschten. Da war weder Fülle noch Farbenreiz, weder Jugend noch Regelmäßigkeit der Züge, aber mehr als alle vollkommene Schönheit, eine seelische Innigkeit des Ausdrucks, die unwiderstehlich – den, der solche Sprache verstand – zu diesem Weibe hin zwang.

Der Hausherr hatte auf dem Frühstückstische Couverts für die Neuhinzukommenden bereit legen lassen. Der Herzog setzte sich zu Milli von Werthern, Goethe gewann einen Platz an der Hausfrau Seite und konnte nun ihr zartes Profil, das so lange schon in seinen Gedanken lebte, genau studiren.

„Und was verschafft uns denn das Vergnügen dieses charmanten Zusammentreffens?“ fragte Karl August, den Madeira an die Lippen führend, mit schelmischem Augenzwinkern seine Nachbarin.

„Die neue Fuchsstute!“ lachte Frau von Werthern, indem sie ihren Gatten ansah.

„In der That, Durchlaucht,“ erklärte Herr von Stein beflissen, „ist jener capitale Gaul wohl nicht ganz unschuldig an der Ehre dieses Besuchs.“

„Natürlich hätte ich den Fuchs lieber geritten,“ sagte Werthern, „da sie aber mit wollte und ich ja gerade des Gauls halber ein brillanter Ehemann bin – das Nähere erlassen mir wohl die Herrschaften – blieb mir nichts anderes übrig, als die Mähre einzuspannen, denn ich mußte Stein neidisch machen und sie nochmal vorreiten. Und da sind wir!“

Emilie hatte erröthend und mit gesenkten Blicken die unzarten Anspielungen ihres Gatten hingenommen. Dem jungen Fürsten schwoll das Herz, er erbarmte sich ihrer und lenkte rasch das Gespräch auf andere Dinge.

Dann kamen die drei Stein’schen Knaben in den Salon, um dem Herzoge ihren Diener zu machen; man scherzte mit ihnen und besonders Goethe wußte die Kinder bald an sich zu fesseln.

Nach dem Frühstück brannte den Pferdeliebhabern der Boden unter den Füßen. Werthern war glücklich, seine neue Errungenschaft, die er eigentlich dem Herzoge und Stein weggeschnappt hatte, jetzt in vortheilhafter Weise vorführen zu können; er witterte etwas von der Möglichkeit eines guten Geschäfts und stürmte hinaus, um rasch satteln zu lassen.

Der Herzog fragte Milli, ob sie nicht von der Passion ihres Mannes angesteckt sei, und bat sie mit auf den Hof zu kommen. Sie war einverstanden und schlüpfte in eine purpurrothe Sammetjacke mit schwarzem Pelzbesatz, die ihr vortrefflich stand; so schloß sie sich den hinausgehenden Männern an.

Goethe aber bat Frau von Stein, ihm zu gestatten, daß er bei ihr im Zimmer bleibe, da seine Liebhaberei für Pferde nicht sonderlich groß sei. Sie bewilligte freundlich seine Bitte und führte ihn in ein kleines nach dem Garten gelegenes Wohngemach. Hier saßen sie zusammen in der tiefen Fensternische und plauderten bald lebhaft.

Während draußen der vielbesprochene Fuchs und nach ihm die bevorzugten Insassen des Stein’schen Stalls in allen Gangarten vorgeführt, kritisirt oder bewundert wurden, schlang sich drinnen wie aus feinen, goldenen Fäden ein Band, das zwei edle, nach Verständniß ringende Menschenseelen dauernd verknüpfen sollte. Da die beiden älteren Knaben zu ihrem Hofmeister zurückgekehrt waren, spielte der kleine dreijährige Fritz, gleich einem Symbol jenes Bandes, von einem zum andern. Sein kindliches Geschwätz, seine Ansprüche füllten harmlos eine gedankenvolle Pause oder gaben mit einem drolligen Einfall der Unterhaltung eine andere Wendung. Was hatte Goethe dieser Frau alles zu sagen! Nie war er sich so innerlich reich erschienen wie in ihrer Nähe.

Dann traten die Fragen des praktischen Lebens an die Hausfrau heran; ein Diener kam und wollte wissen, welches Gedeck, welches Silber, welchen Wein sie heute dem Herzog zu Ehren bestimme?

[427] Frau von Stein erhob sich, um mit einer Entschuldigung den Gast zu verlassen; er bat, sie begleiten, ein bischen mit hausvatern zu dürfen; mütterlich gütig willigte sie ein; lief doch auch Fritzchen durch Küche und Keller mit, warum sollte sie dem neuen jungen Freunde nicht willfahren? Es war Alles so zweifellos sicher, was sie und wie sie’s that! Wie gern fügte er sich dem Zauberbanne dieser Natur ein!

Jetzt ging es von den fächerreichen, geschnitzten Leinenschränken mit der hochgeschichteten Haushaltswäsche zum Speisezimmer mit seinen Silber-, Glas- und Porcellanvorräthen, von da zur Wirthschafterin in die Küche, und sogar mit einem Laternchen in den Weinkeller, wo sie ihm die Sorten wies, Werth und Verwendung erklärte, und von wo er ihr die Flaschen für den Mittagsbedarf herauf tragen durfte. Wie freute ihn die geordnete Fülle des lange bestehenden Hauses!

Dann schlug sie vor, ihm den Park zu zeigen. Sie hüllte sich in einen Shawl und führte ihn von dem quadernbelegten Hofe durch einen Gang über eine gedeckte Brücke, auf der sie den Schloßgraben überschritten. Ein freier Platz, jetzt weißbestäubt von Reif und Schnee, lag vor ihnen, zur Seite ein schöner Gartenpavillon mit breiter, vasenbesetzter Treppe, hinter dessen Säulen man Glasthüren schimmern sah; rechts lag eine Grotte mit mächtiger Epheuwand, deren dunkles Grün noch nicht ganz vom Schnee bedeckt war. Weiter hin ging es zu einem Karpfenteiche, auf dem eben Herr Kästner, der Hauslehrer, mit Karl und Ernst das Eis versuchte. Von hier aus zogen sich zahlreiche kleine Gräben durch die Anlagen, von weißen Brücken überwölbt; hügelig dehnte sich der Park, mit alten Bäumen bestanden, weit hinaus, sodaß es bald mehr ein Wald als Garten schien, in dem man lustwandelte.

Sie kehrten nun in’s Haus zurück, und bald darauf rief eine kräftig geschwungene Glocke die ganze Gesellschaft zur Tafel.

Nach Tisch fand der Herzog Gelegenheit, den Freund zur Seite zu nehmen und zu fragen: ob seine Erwartungen erfüllt wären.

„Uebertroffen, hundertmal übertroffen, mein lieber gnädiger Herr!“ rief dieser warm. „Ein solches Weib kann Einen aus allen Strudeln empor halten. O, ich möchte in dreifachem Feuer geläutert werden, um ihrer Liebe werth zu sein!“

„Nimm Dich in Acht!“ lachte Karl August, „die Liebe zu einer Frau ohne Schönheit soll die dauerhafteste sein! Uebrigens wird es Dir nach dem, was Du mir eben gestanden hast, nicht unerwünscht kommen, daß wir noch ein paar Tage bleiben; ich habe zu morgen mit Stein eine Jagdpartie verabredet; Wertherns wollen in der Frühe zurück, da er Dienst hat.“

Es war Goethen, als solle er dem Herzoge um den Hals fallen, solch ein Gnadengeschenk war ihm diese Hoffnung, solches Glücksgefühl gab ihm die Aussicht auf die nächsten Tage.

Glückseliges Drängen und Verlangen des glühenden jungen Dichterherzens, dem sich mit einer neuen Liebe eine neue Welt aufthat!


9.

Es war Anfang Februar und das Treiben der Wintervergnügungen flott im Gange, als der Rittmeister von Werthern eines Abends, mit Emilie aus einer Gesellschaft vor seinem Hause ankommend, in ironischem Tone sagte:

„So, meine heißgeliebte Gemahlin, da wären wir!“ Er schloß die Hausthür auf, ließ sie eintreten und fuhr fort: „Eben elf Uhr; solch ein angebrochener Abend ist schändlich langweilig; ich gehe noch in den ‚Erbprinzen‘, mit Dero Permiß, meine Gnädige!“

Eine Entgegnung nicht abwartend, schloß er hinter seiner Frau das Haus zu, steckte den Schlüssel in die Tasche und stampfte pfeifend durch den Schnee dem erwähnten Wirthshause zu.

Emilie ging im Flure an einen Tisch, auf welchem ein kleines Oellämpchen brannte, um ihr daneben stehendes Licht an demselben zu entzünden und damit ihr Schlafzimmer aufzusuchen. Sie hatte sich in der Gesellschaft sehr gut amüsirt; vom Herzoge war sie wie immer ausgezeichnet, die anderen Männer folgten denn hohen Beispiele, sie war, das fühlte sie, die gefeiertste Dame ihres Kreises, und doch kam sie leer, verwirrt, tief innerlich unbefriedigt zurück. Jetzt wieder, als sie daran dachte, daß Werthern nichts für sie gehabt habe, als Ironie und Kälte, durchschauerte sie’s so schmerzlich, daß ihre Hand bebte, als sie den Docht ihres Lichts dem des Lämpchens näherte, und siehe da, der starre Docht des Lichts verlöschte die schwache Flamme der Lampe!

Das war damals, wo es keine Zündhölzer gab, eine große Unannehmlichkeit.

Ein leiser Angstruf entfuhr ihr, sie fürchtete sich im Dunkeln und dachte zugleich mit Schreck an das Gezänk ihres Mannes, wenn er, spät nach Hause kommend, das gewohnte brennende Lämpchen nicht an seinem Platze finden würde. Was beginnen? Ihr Mädchen schlief auf dem Boden, des Dieners Quartier lag am Pferdestall auf dem Hofe. Hier unten gab es nur ihren Miether, den Bergrath von Einsiedel, und allerdings, durch die Fugen seiner Stubenthür schimmerte noch Licht; sie wußte, daß der fleißige Forscher bis spät in die Nacht hinein arbeitete, aber um die Welt hätte sie nicht an sein Zimmer klopfen und ein Fünkchen Licht erbitten mögen.

Sie entschloß sich also im Dunkeln die Treppe hinauf zu tappen und den Zorn ihres Mannes über sich ergehen zu lassen, und so schritt sie in der Richtung vor, in welcher auf dem dunklen Flure ihrer Meinung nach die Treppe liegen mußte.

Die Richtung war aber verfehlt; sie stieß an den Korb mit Holz, der neben einem Kamin stand, und klappernd fiel der überhäufte Korb um. Bebend vor Schreck lehnte sie daneben an der Wand, als die Thür ihres Hausgenossen sich öffnete und der Bergrath von Einsiedel mit dem Lichte in der Hand heraustrat. Er sah sich mit seinem ruhigen Blicke suchend um.

„Ach, Sie sind es, Frau von Werthern,“ sagte er in artigem Tone. „Ihnen ist das Licht verlöscht; warum haben Sie mich nicht gerufen, ich bin ja so gern zu Ihren Diensten.“

Nach diesen Worten zündete er ihr Licht und auch das Lämpchen an. Sie war an den Tisch herangetreten, ihr Mantel lag neben dem Holzkorbe, ein Spitzentuch, das sie um den Kopf getragen hatte, war zurückgefallen, ihre Wangen brannten und ihre schönen Augen erhoben sich mit demüthig innigem Ausdrucke zu den seinen. Er sah sie mit bewegten Mienen an; sie las in seinen Blicken, daß er sie reizend finde. In Gesellschaften wurde sie weniger tief von diesem Tribut männlichen Wohlgefallens berührt, weil sie daran gewöhnt und dies die übliche Münze im Kleinhandel der Koketterie war. Hier aber, in nächtlicher Stille und Einsamkeit, diesem ernsten Gelehrten gegenüber, der ihr bisher scheinbar gar keine Beachtung gegönnt hatte, berührte sie dieser Ausdruck seiner Züge bis in’s tiefste Herz hinein. So standen sie ein paar Sekunden, ohne daß es Beide recht wußten, im stummen Anschauen neben einander.

Endlich sagte er mit unsicherer Stimme:

„Darf ich Ihnen eine gute Nacht wünschen?“ verneigte sich und ging.

Sie hauchte: „Ich danke Ihnen!“ nahm ihren Mantel über den Arm und stieg die Treppe hinan.

Er folgte ihr – die Thürklinke in der Hand – mit seinen Blicken.

Da – fast war sie oben angekommen – fiel ihr das Licht vom Leuchter, rollte ein paar Stufen hinunter und erlosch. Sie schrie laut auf, und er stürzte vor, es aufzuraffen und ihr noch einmal anzuzünden.

Der Treppe gegenüber lag ihre Zimmerthür; er öffnete sie, und Beide standen jetzt neben dem runden Tisch vor ihrem kleinen Kanapee. Er setzte ihr Licht auf den Tisch und sagte lächelnd:

„Jetzt sind Sie in Sicherheit. Sind Sie recht froh gewesen heute Abend? Ich glaube, man ist jetzt lustig in Weimar.“

„Ein tolles Treiben, von Einem zum Andern,“ entgegnete sie mit dem Tone der Abneigung, die sie in der That in diesem Augenblicke und diesem Manne gegenüber für die rauschende Geselligkeit empfand.

„Was haben Sie in der nächsten Zeit vor?“ fragte er weiter.

„Morgen, am Sonntage, Schlittenfahrt nach Tiefurt zum Kaffee, Abends wahrscheinlich noch Tanz. Montag am Morgen bei Steins Theaterprobe; Abends Gesellschaft bei Oberhofmarschall von Witzleben. Und am Dienstage ist ja die große Maskerade.“

[428] „Ich möchte auch einmal vergnügt sein und mit Ihnen tanzen, obgleich ich´s kaum noch kann –“ sagte er, verloren in ihren Anblick, und fast wie zu sich selbst sprechend. „Verrathen Sie mir Ihr Costüm auf der Redoute, und verschmähen Sie mich nicht, wenn ich komme, um eine Tour zu bitten.“

Sie sagte ihm, daß sie als maurische Fürstin erscheinen werde, und versprach mit strahlendem Lächeln, soviel mit ihm zu tanzen, wie er möge.

„Gut denn!“ rief er, indem er rasch ihre Hand an seine Lippen zog, „so will auch ich einmal froh sein und in derselben Weise glücklich, wie es Andere sind!“ Mit diesen Worten stürmte er fort.

Seltsam bewegt ja mit laut klopfenden Pulsen ging Emilie zur Ruhe und suchte vergebens, der Bewegung Herr zu werden, welche diese unerwartete Begegnung verursacht hatte.

[451]
10.

Am Dienstag Nachmittag stand Luise von Göchhausen in ihrem kleinen Zimmer im Wittthumspalais neben einem Tisch, auf dem ihre alte Schulzin eben das von ihr gefertigte Maskeradencostüm für die junge Herrin ausbreitete. Luise war klug genug zu wissen, daß sie sich nicht wie schlankgewachsene, schöne Mädchen kleiden dürfe; ebenso wußte sie, daß man ihre kleine Gestalt, ihre schiefe Schulter unter allen Verhüllungen heraus erkenne; es kam für sie also nur darauf an, etwas Drolliges, Originelles zu erfinden. Sie hatte einen feuerrothen Domino gewählt, und um dieser Wahl etwas Charakteristisches zu geben, wollte sie ein „Flämmchen“ vorstellen. Sie hatte sich eine spannenlange Flamme malen und diese an einem goldenen Reif befestigen lassen, welchen sie um den Kopf trug, dazu nahm sie nur eine schwarze Florbrille und keine Maske; wozu diese Unbequemlichkeit, zu erkennen war sie ja doch!

Sie fand, indem sie jetzt ihren Stirnreif vor dem Spiegel anprobirte, daß die Flamme ihr nicht übel stand, das kecke Gesichtchen sah koboldartig, aber pikant darunter hervor.

„Hör mal, Altsche,“ sagte sie jetzt überlegend zur Schulzin, „der Herzog hat ehgestern in Tiefurt und gestern Abend bei Witzlebens wiederholt versichert, ich werde nicht auf die Maskerade kommen, er spielt mir also, davon sei überzeugt, irgend einen Possen. Ich war diesen Morgen in der breiten Gasse. Onkel Wilhelm geht auch zu der Hofmaskerade, er sagte, daß er ein sehr würdiges Costüm bereit habe. Ich stellte ihm vor, daß er von meiner herzoglichen Portechaise profitiren und den Thaler für seine Sänfte sparen könne; wenn er meinen Trägern eine Kleinigkeit gäbe, wäre das ausreichend. Er solle auch zuerst hinbefördert werden. Dies alles leuchtete ihm sehr ein. Nun müsse ich mich aber bei ihm ankleiden, sagte ich, denn sonst könne ich die Portechaise nicht dorthin bestellen. Er war’s zufrieden, und ich hoffe, wir ziehen so den Kopf aus der Schlinge! So wie es dämmert, nimmst Du meine Garderobe und gehst voran. Um fünf Uhr entläßt mich die Herzogin, dann folge ich Dir unbemerkt; wenn also der Herzog irgend einen Schabernack plant, mir die Thür zunageln oder sonst einen Unsinn machen will, ist der Vogel ausgeflogen.“

„O je, wie Du klug bist, Kind,“ sagte die alte Zofe mit vor Bewunderung glänzenden Augen.

„Der Träger sind wir doch sicher?“

„Ich habe sie bestellt, sie ließen noch niemals warten; nun muß ich natürlich noch vorgehen und sagen, daß sie zu unserm Onkel kommen.“

„Thue das! Und – mir liegt doch sehr daran auf dem Balle zu sein – wie wär’s, wenn wir eine Viertelstunde später die Portechaise nach der breiten Gasse bestellten, die der Oberkämmerer gewöhnlich nimmt? denn sieh nur den aufgelösten Schnee, gehen könnte ich in Ballschuhen keinenfalls. Läßt uns also die Hofportechaise auf Ordre des Herzogs im Stich, so kann die gemiethete erst Onkel und dann mich hintragen.“

„Das ist ganz vernünftig bedacht, aber Du wirfst einen Thaler hinaus.“

„Lieber das, als meine Wette mit dem Herzoge verlieren.“

Die Schulzin ging, um die beiden verschiedenen Sänften zu bestellen, und machte sich dann heimlich, unter einem großen Regenschirm, mit dem in ein Tuch geschlagenen Anzug ihrer Dame auf den Weg zur Wohnung des Herrn von Göchhausen.

Zur festgesetzten Zeit standen Oheim und Nichte festlich gekleidet im Zimmer des alten Herrn.

„Wie findest Du mich, Luise?“ fragte er, indem er sich selbstgefällig von oben herunter beäugelte.

Er stellte einen Malteserritter in Gala vor; über weißen Seidenschuhen mit rothen Hacken trug er weiße seidene Strümpfe und ein ebensolches Beinkleid; ein Wams von schwarzem Sammet mit Kette und Kreuz, ein großer weißer Mantel mit dem achtspitzigen [454] rothen Ordenskreuz und ein Barett mit wallenden Federn vervollständigten die kostbare Tracht. Etwas komisch sah allerdings die kleine magere Gestalt des alten Männleins und das röthliche Gesicht mit den vorstehenden wasserblauen Augen in diesem Pomp aus.

Luise versicherte ihm jedoch, daß er seinem Namen und seiner Stellung alle Ehre mache, was ihn sehr zu freuen schien.

Gleich darauf meldete Rohrmann die Ankunft der Hofportechaise.

„Bitte, benutzen Sie dieselbe zuerst, lieber Onkel,“ sagte die Nichte artig, „Ehre dem Ehre gebührt!“

Bon enfant!“ rief der Alte, „ich habe auch wenig goût für dies Warten, es regt meine Nerven auf!“

Rohrmann legte noch einen Pelzmantel über den dünnen, weißwollenen des Maltesers; er winkte seiner Nichte einen Kuß zu und verließ das Zimmer.

Unten hatte Ursula diensteifrig die kurze Strecke des Straßenpflasters mit etlichen Strohmatten belegt. Jetzt hielt sie einen mächtigen Regenschirm über das federnnickende Haupt ihres Gebieters, so wurde er von den beiden alten Dienstboten in die Sänfte gepackt. Es rann von den Dächern; auf der Erde standen dunkle Wasserpfützen, in denen sich das schwache Licht der über den Straßen an Stricken hangenden Oellaternen spiegelte, ein hohler Wind fuhr um die Ecken, aber in der kleinen Stadt herrschte, in Anlaß der Redoute, ein lebhafteres Treiben als sonst.

Die Portechaise schwankte jetzt in gewohnter Weise davon, und Rohrmann kehrte mit Ursula, stolz auf den vornehmen und vornehm beförderten Gebieter, in’s Haus zurück. Bald darauf kam auch die Miethsportechaise und brachte Luise als Flämmchen glücklich auf die Maskerade.

Das Fest war schon im besten Gange, als sie anlangte. Alle möglichen und unmöglichen Zeiten und Nationen hatten ihre Vertreter und Vertreterinnen geschickt. Fast alle waren in einer ganz bestimmten Charaktermaske erschienen, viele sehr unkenntlich und vermummt, andere in vortheilhaftem Putz und nur mit kleiner Flormaske versehen. Es war auch üblich, sich in zurückliegenden Zimmern, wo Dominos, Masken und Costüme zu haben waren, im Laufe des Abends umzukleiden und so ganz unerwartet wieder zu erscheinen, die Bekannten zu necken und allerlei Scherze in’s Werk zu setzen. Dies alles wurde mit der größten Wichtigkeit, ja einem wahren Feuereifer betrieben.

Luise von Göchhausen suchte mit ihren scharfen Augen nach dem Herzoge; sie brannte darauf, sich ihm vorzuführen und ihn mit dem Verlust seiner Wette zu necken. Endlich gewahrte sie einen germanischen Häuptling mit dem Bärenfell auf der Schulter, geschnürten Sandalen und einem hohen Helm mit Adlerfittichen. Es war eine sehr stattliche Maske, und obwohl dieselbe eine das Gesicht völlig deckende Larve mit langem Bart und großer Nase trug, glaubte sie doch den Herzog zu erkennen. Der Germane unterhielt sich angelegentlich mit einer schönen, maurischen Fürstin, die, nur wenig maskirt, sehr kenntlich als Milli von Werthern war.

Sie drängte sich an ihn heran, haschte nach seiner Hand und schrieb seinen Namen hinein. Sowie er ihrer ansichtig wurde, geriet er in Erstaunen, vergaß seine Verpuppung und rief mit einem deutlich unter der Maske hervortönenden Gelächter:

„Ei der Teufel, da ist sie ja wirklich! Diese dummen Kerls, und ich hatte sie doch so genau instruirt!“

„Vermuthlich dero Banditen, denen ich mit meinem Flämmchen nach Hause geleuchtet habe!“ sagte sie spöttisch knixend. „Gestatte also, wilder Krieger!“

„Armin, direct aus dem Teutoburger Walde,“ schaltete er ein.

„Nun denn, Armin, Fürst der Cherusker, gestatte, daß ich armes Flämmchen neben Dir weiter brenne.“

„Aber wie, in aller Kobolde Namen, hast Du vortrefflichstes Feuerzeug, meine wohl dressirten Sänftenträger ihrer Pflicht, ihrem schuldigen Gehorsam abwendig gemacht?“

„Deine Palankinbeförderer, o edler Germane?“ fragte sie erstaunt.

„Nun ja, die Hofportechaisenleute.“

„Himmel! Haben Durchlaucht denen arge Aufträge für mich gegeben?“ rief sie mit plötzlichem Erschrecken, indem sie sich angstvoll suchend nach ihrem Onkel, dem eleganten Malteser, umschaute.

„Still hier mit Deinen Titeln, Flamme, halt Maskenordnung; aber komm in ein Nebenzimmer, es scheint etwas quer gegangen zu sein, was wir aufklären müssen.“

Sie drängten sich zusammen aus dem Gewühl. In einem Winkel angekommen sagte er:

„Ist nicht, nachdem Ihr zehn Schritte im Gange waret, Dein Sitz zusammen gebrochen, der Portechaisenboden heraus gefallen, haben sich darauf Deine Träger nicht in Trab gesetzt, dadurch Dich genöthigt mit durch den Schmutz zu laufen, und Dich, bei fest geschlossener Thür, trotz alle Deinem Geschrei, in den Portechaisenstall getragen, den sie hinter Dir verriegelten?“

„Alles dies Schreckliche muß meinem armen Onkel, dem Oberkämmerer von Göchhausen geschehen sein!“ rief Luise, indem sie ihre Hände halb lachend, halb weinend zusammen schlug.

„Den Kukuk auch, das wäre Pech! Den also haben sie beim Wickel genommen, der kam in der Hofportechaise?“

„Ja, Durchlaucht, er, und ich bitte dringend, ihm so schnell wie möglich Hülfe zu senden!“

Der Herzog eilte fort, und Luise ging mit beschwertem Gewissen, obwohl sie sich unschuldig fühlte, die Herzogin Mutter aufzusuchen.

Sowie der Herzog vorhin die schöne Maurin verlassen hatte, war ein anderer Mann zu ihr heran getreten und hatte sie um den Tanz gebeten. Es war ein Beduine, mit weißem Mantel, Waffen im breiten Seidengürtel und bräunlicher Maske.

„Wir sind Landsleute, schöne Zoraide,“ flüsterte er mit innigem Tone, „wohnst Du auch jetzt in der Alhambra, stammst Du doch aus den heißen Gefilden Afrikas so wie ich, der Wüste Sohn. Welch ein Glück, Dich plötzlich im fernen Norden zu finden!“

Bei diesen Worten legte er seinen Arm um ihre feine Taille, zog sie fest an sich und flog mit ihr in den Reihen der Tänzer dahin.

Goethe hatte sich in der Tracht eines Eremiten möglichst unkenntlich gemacht; sein eigentliches Costüm war das eines Troubadours; jetzt floß ein weißer Bart von einer runzelvollen Maske herab, und die Kapuze seiner dunklen Kutte deckte seine braunen Locken. Er wußte, daß Frau von Stein als Ritterfrau kommen werde, er wollte sie, die ihn auch als Troubadour vermuthete, necken und ihr dann ein zärtliches Gedicht geben, das er in der Nachmittagsstunde für sie hingeworfen hatte. Jetzt spähte er mit prüfenden Blicken nach ihr aus.

„Suchst Du mich, würdiger Vater?“ lispelte plötzlich eine sanfte Stimme an seinem Ohre, und ein runder Frauenarm schob sich in den seinen.

„Also hast Du mich doch erkannt, Geliebteste?“ entgegnete er.

„Wie sollt’ ich nicht?“ fragte die Ritterfrau dagegen, und ging an seinem Arme mit ihm weiter.

Es beglückte ihn, daß die Theure ihn unter der Hülle herausgefunden hatte, daß sie ihm die Gunst schenkte, sich zu ihm zu gesellen. Er sprach zu ihr von der Sympathie ihrer Seelen; von der Seligkeit, sich im Schwarm der großen Menge abzusondern, hier sich verständnißvoll nah zu fühlen, unter der Maske unbeobachtet zu ein.

„Mein Herz ist doch immer bei Ihnen, Liebe, Einzige, die mich glücklich macht, ohne mir weh zu thun,“ sagte er zärtlich. „Doch auch nicht ohne Schmerz lebt sich’s in Deiner Nähe, denn Du leidest nicht immer meine Liebe, und meine ganze Seele ist doch voll von Dir. Sieh, diese Zeilen schrieb ich Dein gedenkend.“

„Gieb!“ lispelte seine Gefährtin. Er steckte ihr ein Papier zu, welches sie in ihrer an einer Kette herabhängenden Tasche barg.

Er fuhr fort: „Die Liebe zu Dir hält mich über dem Wasser, elend wär’ ich als Hofmann! Mich wundert, daß nicht die Meisten gar Kröten und Basilisken werden; das Gekriech, die Liebedienerei hört nicht auf. Oft denke ich, auch der Schmutz ist glänzend, wenn die Sonne darauf scheint, und nehme Alles hin; ich seh’s aber als Vorbereitung an, und nur durch Dich bin ich gestählt und dauere aus.“

Indem er so mit ernster Empfindung zu seiner Begleiterin redete, erstarrte er plötzlich. Er gewahrte die Herzogin Luise, die als Vestalin prächtig und edel in langen, goldgesäumten Gewändern dastand, ganz kenntlich, nur mit einer Florbrille. Und neben ihr eine Ritterfrau, ähnlich der, welche er am Arm führte, [455] aber völlig bekannt für ihn nach Haltung und Formen. Auch sie trug nur eine kleine Halbmaske, sodaß er den weichen, feingeschweiften Mund, das zarte und runde Kinn der angebeteten Frau ganz deutlich erkannte. Ja, sie war’s, Charlotte von Stein!

Aber wem hatte er denn sein tiefstes Herz enthüllt, wer hatte sich an ihn gedrängt, sein Gedicht empfangen? Rasch wandte er sich zu seiner Dame, aber diese, ihn scharf beobachtend, hatte ihre Doppelgängerin erkannt, und leise, während er sich ganz in’s Staunen versenkte, hatte sie ihren Arm aus dem seinigen gezogen und war im Gewühl verschwunden.

Er suchte ihr nachzueilen, aber das Gedränge war augenblicklich zu groß, des Tanzmeisters Commando hemmte ihn, neu antanzende Paare kamen ihm entgegen. Einmal glaubte er noch ihr schwarzes Sammetmützchen in der Ferne zu sehen. Dann hieß es:

„Nicht so stürmisch, heiliger Mann!“

„Was führt Dich aus Deiner stillen Klause unter die fröhliche Menge?“

„Hüte Dich, in die Fallstricke der Welt zu fallen und den jungen Schönen nachzulaufen!“

Als er sich endlich am Ausgange des Saals befand, als er die Freiheit fand, sich in den Nebenzimmern umzusehen, war die Gesuchte nirgends zu finden.

Verdrossen und nicht mehr aufgelegt, den beabsichtigten Scherz mit der Geliebten auszuführen, ging er sich umzukleiden, und fand sich in dem schönen Costüm eines Troubadours in geschlitzter Seide, mit zurückgeschlagenem Spitzenkragen und dem an kirschrothem Bande umgehängten Saitenspiele, bald wieder im Saale ein.

Die Gesuchte stand noch immer neben der herrlichen Vestalin.

Er flüsterte Frau von Stein zu, daß er ein Ausgeraubter, ein Betrogener sei, er bat sie, ihn lind zu behandeln, damit er sich, innerlich verwundet, an ihrer heilenden Nähe wieder herstellen könne.

„Armer Bertrand de Born!“ sagte sie laut, „also unter die Räuber seid Ihr gefallen? Nun tröstet Euch mit der Lehre, daß wir Kleinode nicht in dieser bunten und gefährlichen Welt offen vorzeigen dürfen, und daß Vorsicht stets noth thut.“

In diesem Augenblicke, während die Instrumente zu einem neuen Contretanze gestimmt wurden, kam ein Bauer mit einer pausbackigen ganzen Larve vor dem Gesichte auf die Herzogin Luise zu und forderte sie zum Tanzen auf.

Die hohe Frau dankte und sagte auf das Andrängen des Fremden:

„Ich tanze mit keinem Unbekannten.“

„O, erhabene Römerin,“ rief der Mann mit fremdlautender Fistelstimme, „weshalb kommst Du denn auf das Fest der Gleichheit, der Narrheit, der Lustigkeit, wenn Du von alle Dem nichts wissen willst?“

„Ich komme als Zuschauerin, lästiger Fremdling,“ entgegnete sie hoheitsvoll.

„Du wirst dem Leben und das Leben wird Dir gleichgültig bleiben, wenn Du nur von fern zu stehen wagst. Noch einmal bitte ich Dich, sündige nicht gegen die Gesetze dieses Festes! Genieße diese seltsame Welt wie sie ist und wirf Dich mit mir in ihre Strudel!“

„Nein; geh’, Zudringlicher!“

„Hochmüthiges Weib!“ sagte der Bauer mit gereizter, nicht mehr verstellter Stimme, und lüftete für einen Augenblick die Maske – es war der Herzog. „Dacht’ ich es doch,“ fuhr er ärgerlich fort, „als ich Dich so steif hier angenagelt sah, daß Du unsere Fröhlichkeit, unsere Späße unter Deiner Würde findest!“

„Mein Gemahl sollte zufrieden mit mir sein, daß wenigstens ich es weiß, was man seiner Stellung schuldig ist!“ rief die Herzogin ebenfalls in bitterem Tone.

„Ho, ho! also ich weiß es nicht? Hör’ meinen Grundsatz: nur Der hält ängstlich die äußere Form der Würde fest, der sie nicht wirklich behaupten kann!“

Goethe hörte mit Bedauern diesen Wortwechsel; rasch legte er seine Mandoline zur Seite, trat zur Herzogin heran und bat sie, ihrem Gemahle zu beweisen, daß sie auch mit den Fröhlichen genießen könne, indem sie mit ihm tanze. Zögernd folgte sie seiner Aufforderung, worauf der Bauer mit der Ritterfrau sich anschloß.

Als Goethe die Herzogin wieder an ihren Platz zurückführte, schritt eine kokett gekleidete französische Bäuerin mit hoher, weißer Flügelhaube Und bauschigem, geblümtem Kleide, am Arme eines eleganten Coeurkönigs, in dem man unschwer Herrn von Seckendorf erkannte, an ihm vorüber.

Sich auf ihrem hohen Absatze wendend, sah sie sich nach ihm um und flüsterte die ersten Reihen seines im Irrthum verschenkten Gedichts mit spöttischem Ton ihm zu:

„Sag’, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag’, wie band es uns so ganz genau?
Ach, Du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau!“

Erregt sprang er ihr nach; mit einer ihm nur allzu wohlbekannten Geberde warf sie ihm eine Kußhand zu und flog mit ihrem Cavalier in der Tanzcolonne davon. Es war Auguste von Kalb!

Neben dem Herzoge aber stand jetzt das Flämmchen.

„Hoher Herr!“ sagte es lustig, „wie Du Dich auch verstecken magst, mein Spürsinn findet Dich heraus. Beruhige mich, haben die Schergen Deines Zorns das unschuldige Opfer aus dem Portechaisenstalle erlöst?“

„Sei getrost, edelmüthige Flamme, das Opfer liegt in seinem Bette und trinkt Camillenthee, um sich von seinem Abenteuer zu erholen.“

„Und mein Titel, der Gewinn meiner Wette?“

„Wahrlich, Du hast Dich an Heldenmuth dem Armin ebenbürtig bewiesen, so heiße also von heute an – Thusnelda!“

[466]
11.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Januar 1776. Es hat eine schwere Zeit auf unserm Hause gelastet. Vater war düsterer und bitterer als jemals vorher; nach dem unglücklichen Ballabend ist er tagelang nicht aus seinem Zimmer gegangen. Tante Barbara mußte ihm das Essen in die Vorstube setzen, und zum Dienst meldete er sich krank. Als dann gegen Weihnachten mein Bruder sich mit dem Vetter Wrangel ansagte, und beide junge Männer aus ihrer kursächsischen Garnison herüber kamen, konnte er nicht wohl umhin, wieder am Familientische zu erscheinen, er that’s und ich glaube, er ist seitdem weniger finster.

Gustchen war viel bei uns und vergnügte sich mit den beiden Officieren, die sie auch hinaus zu locken wußte: damit sie ein paar willfährige Tänzer mehr habe, wie sie mit kecker Zuversicht eingestand.

Ich bin so recht versunken, ohne Saft und Kraft, und viel gescholten. Alle zerren und necken an mir, ich aber kann’s nicht ändern, ich muß still im Schatten weiter träumen. Sie halten mich aber doch für abwesender, als ich bin. Dicht daneben saß ich, als Erich Wrangel zu meinem Bruder sagte:

„Es gefällt mir gerade an ihr, daß sie so rührend einfältig ist, wie ein junges, weißes Täubchen, dem man den Hals umdreht, ohne daß es Arges merkt.“

Mein Bruder lachte und vertheidigte mich; es war mir aber zu gleichgültig, um darauf zu achten. Ja, für ihre Sprache bin ich einfältig, und von der meinen wissen sie nichts; die versteht nur Er, mein hoher, erhabener Dichter. Daß er fort ist aus meiner Nähe, daß ich ihn nicht sehe, nicht höre, das ist’s was mich lahm, träumend und einfältig macht! Er zog in die Belvedere-Allee, und so ist meine Sonne untergegangen.

Im Februar. Gustchen muß doch die Heirath nicht wollen; neulich zuckte sie die Achseln, als von ihm die Rede war, und sagte: „Er wird langweilig!“ – Er! Das ist zum Lachen. Er langweilig; lieber Himmel, ich glaube, Auguste verliert den Verstand! Sie machte sich auch viel mit dem Vetter zu schaffen, und als sie hörte, daß er ein großes Majorat zu erwarten habe, sagte sie:

„Schatz, sei brav und tritt ihn mir ab, ich sehe, sie wollen ihn mit Dir zusammen thun, aber Gräfin, reiche Gräfin sein, paßt besser für mich als für Dich; Du träumst ja doch Dein Leben hin!“

Ich entgegnete ihr, daß sie meinetwegen alle Grafen der Welt heirathen könne, daß ich aber weder für mich noch für sie über den Vetter Erich verfüge.

„Bist Du doch vielleicht in den hübschen, blonden Jungen verliebt?“ fragte sie lauernd; aber ihr prüfender Blick fand mich kalt wie Eis. Nun sind die Beiden längst fort, und Auguste kommt seltener.

Am 14. Februar. Heute ist hier im Hause etwas Wunderbares geschehen. Das Hoffräulein der Frau Herzogin-Mutter ist hier gewesen und hat es erreicht, mit Vater zu sprechen. Er hörte höflich zu, und ich weiß doch, daß er innerlich gegen die Göchhausen gewüthet hat. Die kleine Dame fing es sehr geschickt an, ihn zu versöhnen. Nachdem sie viel Artiges von der Herzogin ausgerichtet, sprach sie so gütig über mich, daß ich ganz beschämt wurde. Endlich kam sie auf den unglücklichen Ballabend, an welchem ich vorgestellt wurde, und mit voller Unbefangenheit sagte sie:

„Wenn der Herr Oberst seine Husaren dem Landesherrn in der Manege vorführt, so denke ich, sie müssen etwas reiten können?“

„Den Stock auf die Kerls, wenn sie’s nicht können,“ brummte mein Vater.

„Ebenso erwartet die Frau Herzogin, daß ein junges Fräulein, welches ihr auf einem Balle vorgeführt wird, etwas tanzen kann.“

„Ah, war es das?“ fragte er aufathmend.

Sie wurden nun sehr bald einig, daß ich bei dem Hoftanzmeister Unterricht haben müsse. Fräulein von Göchhausen empfahl sich; sie reichte meinem Vater die Hand zum Kuß hinauf, und er neigte wirklich seinen grauen Schnurrbart darüber. Hätte das nie gedacht! Tante Barbara lächelte mich selig an; es war, als hätte uns das kleine Fräulein die liebe Sonne im Pompadour in’s Haus getragen. Und ich? O, wie bin ich glücklich, daß ich nun doch zu ihm, in den Kreis, in dem er Leitstern und Herrscher ist, eintreten darf!

[467] Am 16. Februar. Der Hoftanzmeister Adam Aulhorn ist hier gewesen. Welch ein redseliges, behendes Männlein! Er wäre mir zuwider, wenn er mir nicht zu so Großem verhelfen sollte. Wie verlegen und linkisch fühlte ich mich, als er mich ein paar Versuche machen ließ! Er aber sagte, ich sei biegsam wie ein Schilfrohr, das im Winde schaukelt, und zierlich, wie eine Libelle, die über den Wellen dahin schwebt. Vater schien zu lächeln, und die gute Barbara schlug außer sich vor Freude in die Hände.

Am 17. Februar. Nun ist’s aus; nun ist alles aus! Wie ein Aschenregen sinkt düstere Trauer über das Leben; kein Mund darf mehr lächeln, kein Herz mehr freudig klopfen; wenn die Sonne scheint, ist’s ein Irrthum. Der Edelste, Herrlichste, den Gott in diese Zeit gestellt hat, er ist dem Verderben verfallen! Ja so ist es, es kann nicht anders sein! Dies kann Gustchen nicht gelogen haben, sie hat es mir, von seiner Hand geschrieben, gezeigt. Er hat alles in ahnender Seele voraus gewußt, im Werther geschildert; jetzt wird sein prophetisch Vorempfinden zur schrecklichen Wahrheit an ihm selbst! O, könnte ich mich in seinen Weg werfen, könnte ich ihn anflehen umzukehren, oder könnte ich ein Sühnopfer für ihn sein!

Auguste hat mir ein Abenteuer mit ihm auf der Maskerade erzählt. Goethe machte ihr eine glühende Liebeserklärung, aber er hielt sie für eine Andere, für – die Frau des Oberstallmeisters, die er anbetet. O, mir ahnte das längst! Ich schrie auf, als Auguste dies Schreckliche aussprach. Es ward dunkel vor meinen Augen, ich sank im Stuhl zurück. Auguste beachtete das nicht, sie plauderte weiter; lange Zeit hörte ich nichts von dem, was sie sagte, endlich konnte ich wieder begreifen. Sie berichtete, wie sie den Abtrünnigen schlecht behandle, wie sie Nichts von ihm wissen wolle; daß jetzt der gewandte Kammerherr Siegmund von Seckendorf ihr huldige, ihr nicht ganz gleichgültig sei, daß sie aber sehen wolle, welche Position er am Hof finde, ehe sie ihm Hoffnung auf ihre Hand gebe.

Endlich stammelte ich: ob sie mir das Papier zeigen könne, auf dem seine Liebeserklärung für die Andere stehe. Sie zog es sogleich hervor.

„Das führe ich als Waffe gegen ihn bei mir!“ sagte sie schadenfroh. „Damit will ich ihm noch oft die Hölle heiß machen.“

„Gieb!“ bat ich.

Sie reichte es mir; ich raffte mich mit ganzer Kraft zusammen; ich las und versuchte zu begreifen. Ja, er beschrieb seine Gluth, seine Zärtlichkeit. Gustchen lachte höhnisch; sie wagte es, über ihn zu lachen! Das sollte sie nicht! Verzweiflung erfaßte mich, ich mußte ihn vor dem Hohn dieses Mädchens schützen – und zerriß, ehe sie es hindern konnte, das Papier in kleine Fetzen. Gustchen schrie gellend auf und überhäufte mich mit Vorwürfen.


12.

Acht Jahre lagen zwischen der Zeit, da Goethe, ein unreifer Jüngling, krank und muthlos seine Studien in Leipzig beschloß und zu seiner Wiederherstellung in das elterliche Haus nach Frankfurt heimgekehrt war. Unter den zahlreichen Erinnerungen an Leipziger Bekanntschaften blieb auch ein anmuthiges Mädchenbild in seinem Gedächtniß bewahrt. Damals war die von ihm in anonymen Gedichten Gefeierte kaum dem Kindesalter entwachsen, aber als Künstlerin bereits angestaunt und angebetet. Jetzt war sie aus der holden Knospe zur voll entwickelten Blüthe, aus der viel versprechenden Anfängerin zur Meisterin in der Kunst des Gesanges emporgewachsen.

In den oberen Räumen des stillen, von weitem Park umgebenen Häuschens, welches der Leipziger Kunstgärtner Probst verwaltete, hatte sie damals ihr zurückgezogenes Heim aufgeschlagen. Schon nahte der Frühling, aber düster schauten noch die kahlen Bäume des Gartens in die Fenster hinein.

Die Sängerin saß am Clavier, sie hielt die Stirn mit der Hand bedeckt und war in Träumerei versunken. Endlich fanden sich ihre Finger auf den Tasten, leise irrten sie darüber hin, bildeten eine sanfte, traurige Melodie und gingen dann in ein Gebet aus Hasse’s Oratorium „Elena al Calvario“ über. Jetzt begann sie auch zu singen, und mit immer größerer Macht und Innigkeit klang ein Flehen um Erlösung aus den Banden schweren Leids von den jungen schönen Lippen.

Während dieses ergreifenden Liedes öffnete sich leise die Stubenthür und ein rundes Mädchengesicht, von blondem Haar umrahmt, schaute mit freundlichem Ausdruck herein. Als die Sängerin geendet hatte, eilte die Lauscherin auf ihre Freundin zu. Es war Wilhelmine Probst, die Tochter des Kunstgärtners.

„Reichardt war ja nur kurze Zeit bei Dir,“ sagte sie neugierig, „er rannte unten im Flur wie toll an mir vorbei, habt Ihr Euch gezankt?“

„Es ist die alte Geschichte, Mienchen, er bat um Liebe, der arme Junge.“

„O Himmel, also doch! Wie bin ich froh, kein Mann zu sein und Dich also innig lieben zu dürfen, so viel ich mag!“ rief das dicke kleine Mädchen, die hohe Gestalt der Freundin umfassend.

„Ja freilich,“ lächelte Corona und küßte sie auf die Stirn, „wärst Du ein Jüngling, müßte ich Dich von mir entfernen.“

„Wie alle,“ seufzte die Kleine. „Arme Corona, gebunden und doch frei; schmerzlich gefesselt an einen Entsetzlichen und doch mit sehnendem Herzen allein gelassen!“

„Sei still, Mienchen, Du weißt, es schmerzt mich, daran erinnert zu werden; wir dürfen nicht davon sprechen,“ bat die Sängerin mit einem tiefen Seufzer.

In diesem Augenblicke hörten die Mädchen Schritte auf der Treppe, denen ein starkes Anpochen an die Thür folgte. Gleich darauf öffnete sich dieselbe und ein großer, schöner Mann erschien auf der Schwelle. Sein dunkles Auge durchflog den Raum, aber der Blick haftete, während er sprach, über den Köpfen der erstaunten Mädchen im Leeren.

„Bist Du die Sängerin Corona Schröter?“ fragte er.

„Ich bin’s!“ entgegnete diese dem Unbekannten, der sie duzte, erstaunt einen Schritt entgegen tretend. „Was wollen Sie?“

Der Mann zog langsam eine schwarze Sammetschleife aus seinem Busen und sagte:

„Du weißt, von wem ich komme, entferne Deine Gefährtin, damit ich Dir die Worte unseres Meisters überbringe.“

Corona war erbleichend zurückgetreten.

„Wilhelmine – geh!“ stammelte sie bittend.

„Wieder von ihm? Muth, Corona!“ flüsterte die kleine Freundin und verließ das Zimmer.

„Was befiehlt er mir?“ fragte jetzt die Sängerin bebend und legte die Hände auf ihre Brust.

„Er läßt Dir sagen, daß eine Forderung an Dich ergehen wird, Leipzig zu verlassen, daß er Dir befiehlt, jener Forderung zu folgen.“

„Ich soll Leipzig verlassen! Wohin soll ich gehen?“

„Das wirst Du zur rechten Zeit erfahren; mir liegt nur ob, Dir seinen Befehl auszurichten, Dir, demselben zu gehorchen.“

„Ist er hier? – Da er Sie schickt, wird er also nicht selbst zu mir kommen?“

„Wir haben nichts zu fragen, nichts zu antworten; Gehorsam ist unsere einzige Pflicht!“

Nach diesen Worten entfernte sich der Unbekannte und ließ Corona in einem Taumel von Bestürzung und Neugier zurück. Stärker denn je fühlte sie sich unter dem Druck eines fremden, sie gänzlich unterjochenden Willens.

Der Unbekannte hatte mit starken Schritten das Haus verlassen; er verfolgte eine den Garten kreuzende Allee und erreichte einen an der Gartenmauer sich hinziehenden Gang. Als er sich in demselben umsah, kam ein großer hagerer Mann auf ihn zu. Schwer konnte man sagen, ob der Fremde alt oder jung sei. Er trug schwarzen Sammet, die feinsten Brüsseler Spitzen und bot in seiner vornehmen, ernsten Erscheinung das Bild eines Hofmannes.

„Hast Du Corona gesehen?“ fragte er den herankommenden Jüngeren.

„Ja, Herr Graf.“

„Und willfährig gefunden?“

„Durchaus. Ich staune Deine Macht an, mein hoher Meister. Wie hast Du nur dies stolze Weib gezähmt?“

Nach kurzer Pause entgegnete der Graf: „Herrschaft über Andere erringt nur Der, welcher sich zuerst selbst beherrscht. Aus der Ueberwindung meines sinnlichen Ichs ward ich ihr Herr. Aber ich werde Dir noch bessere Beweise meiner Kraft geben. Deinem völligen Gehorsam sollen sich nach und nach beseligende Geheimnisse erschließen.“

[468] Sie verließen in lebhaftem Gespräche mit einander den Garten. – –

Etwa zu derselben Morgenzeit, in der gestern der junge Componist Reichardt zu der Angebeteten gesprungen war, schritt heute Goethe’s elastische Gestalt durch die Kieswege des Ziergartens auf das Gärtnerhaus zu. Vielleicht war eine ähnliche Ungeduld in ihm, wie gestern in dem liebesehnenden Musiker.

Corona trat ihm in ihrer edlen Schönheit imponirend entgegen – und empfing denselben Eindruck von seiner Persönlichkeit. Als er seinen Namen nannte – flog ein warmes Roth über ihre bewegten Züge, und sie streckte ihm erfreut wie einem alten Bekannten beide Hände entgegen.

„So bin ich also nicht ganz vergessen?“ fragte er mit leuchtendem Blicke.

„Sie haben dafür gesorgt, daß man Sie nicht vergessen konnte, Sie herzerschütternder Poet! Wie haben Sie meine ganze Seele mit Ihrem Werther erfaßt! Und wie deutlich ist mir dabei das Bild des schlanken Studenten wieder lebendig geworden!“

Sie fragte, was ihn her führe, und er richtete ihr den Auftrag des Herzogs und Anna Amaliens aus, die, sich nach einer echten Künstlerin sehnend, beschlossen hätten, sie unter vortheilhaften Bedingungen für Concerte und Komödien nach Weimar zu berufen.

Corona wechselte, während er sprach, in großer innerer Bewegung die Farbe. So hatte also doch ihr geheimnißvoller Gebieter vierundzwanzig Stunden früher gewußt, was ihr bereitet wurde! Sie erfuhr, daß Goethe gestern Abend angekommen sei; sie bat ihn, sich zu besinnen, wann und wo er von seinem Vorhaben gesprochen habe. Er versicherte, dasselbe sei zwischen den Herrschaften und ihm ein Geheimniß geblieben, und fügte lachend hinzu, um ihren sichtlichen Ernst, der ihn seltsam berührte, zu zerstreuen:

„Soll man Dich nicht auf’s Schmählichste berauben,
Verbirg Dein Gold, Dein Weggehn, Deinen Glauben!“

Er gedachte nicht eines Briefes an Lavater, dem er vor mehreren Wochen – entzückt von des Herzogs Absicht – geschrieben hatte, daß man die holde Künstlerin, welche er einst schwärmerisch verehrt, auf seinen Rath nach Weimar berufen wolle.

Ihr Benehmen bei seinem Vorschlage erschien ihm rätselhaft; sie beruhigte aber sein mißmuthiges Erstaunen mit einer unbedingten Zusage. Er ging oft zu ihr, und sie kamen bald überein, daß Corona im Herbste nach Weimar übersiedeln solle.

Als nach langem Geplauder an einem der nächsten Tage Goethe endlich Abschied nehmen mußte, sagte er:

„Ich harre des Herbstes mit Sehnsucht, der mir in Ihnen die Freuden des Frühlings und Sommers bescheeren soll; aber jetzt, da ich scheide, geben Sie mir ein kleines Andenken, ein Pfand, holde Freundin – welches mir Ihr Kommen verbürgt. Schenken Sie mir die Sammetschleife, die Sie stets während dieser beglückenden Zeit unseres Wiedersehens getragen haben. Dieser Schmuck gefällt mir ohnehin nicht an Ihnen; er scheint mir ein Fleck auf Ihrem reinen Bilde.“

Er streckte die Hand nach der erbetenen Gabe aus, die ihm unbedeutend und nur in seinem Sinne werthvoll erschien.

Die Künstlerin aber erblaßte, trat zurück und legte die Rechte schützend über ihre schwarze Schleife. Mit bebender Stimme entgegnete sie:

„Fordern Sie nicht dies Band, ich kann es Ihnen nicht geben! Eine fremde Hand darf es nie – niemals berühren!“


13.

Eine frisch gestärkte weiße Zipfelmütze über dem röthlichen, alten Gesichte, sorglich in ein weißwollenes Negligé verpackt, die Hände resignirt über seinem Bäuchlein auf der Bettdecke gefaltet, so lag der Oberkämmerer von Göchhausen seit dem entsetzenbringenden Maskeradenabend in seinem weißumhängten Bette, der schweren Folgen für seine Gesundheit harrend, die da kommen sollten, aber nicht kamen.

Der Herzog hatte gleich am andern Tage den Oberhofmarschall von Witzleben zu Göchhausen geschickt, um sein Bedauern über ein unglückliches Mißverständniß ausdrücken zu lassen, dessen Opfer er geworden sei. Dann sandte er ihm seinen Leibarzt Doctor Friedrich Hufeland, der nach einer Untersuchung seines Zustandes unumwunden erklärte: Herr von Göchhausen sei durchaus gesund, er möge ruhig zu seinen früheren Lebensgewohnheiten zurückkehren. Vier Wochen im Bett sich auszuruhen und mögliche schlimme Folgen abzuwarten, schien dem alterirten Gemüthe des Scheinpatienten sicherer, und so lag er seitdem gottergeben da. Jeden Morgen kam der Kammerherr von Seckendorf, um nach seinem Befinden zu sehen und Serenissimus Bericht abzustatten. Auch Graf Görtz kam oft, und so machte sich’s bald, daß ein kleiner Kreis von Gesinnungsgenossen vor dem Krankenlager des höchst gesunden alten Herrn sich zusammen fand. Es gab längst im Stillen eine Verbindung Solcher, die dem wilden Genietreiben am Hofe abhold waren, die dem zurückhaltenden Benehmen der jungen Herzogin lebhaft zustimmten und schon das Wesen der Herzogin-Mutter zu zwanglos schalten.

Graf Görtz hatte früher vergeblich versucht, der Mutter den ihr so ähnlichen Sohn zu entfremden, ihn in andere Bahnen zu lenken, ihm die Exklusivität seiner Lebensstellung recht an’s Herz zu legen. Karl August dürstete aber vor allen Dingen danach recht mit ganzer Kraft und Seele Mensch zu sein, und hierauf den Stand des Fürsten als seinen eingeborenen Beruf treu auszufüllen. Daß er nicht Mensch mit andern sein, daß er die Liebe nicht begehren, sich der Freundschaft nicht in die Arme werfen, Jugendlust nicht genießen sollte, wie Andere auch, das vermochte der Erzieher ihm mit aller Mühe nicht beizubringen.

Im großen Uhrwerke des menschlichen Verkehrs finden die hemmenden Gewichte immer ihren Platz! Bald gründete Görtz eine Partei. Es gelang ihm sogar, leise Zeichen der Zustimmung von den geachtetsten Männern der Stadt, dem Minister von Fritsch und dem Oberhofmarschall von Witzleben, zu erlangen.

Seckendorf war anfänglich als Eindringling vermieden, man hatte erwartet, er werde als Literat und Componist den Genies und ihrem Treiben in die Arme werfen. Dem war aber nicht so. Er hatte mit Vorsicht alle äußeren Punkte seiner Stellung geordnet und zeigte sich jetzt als ein Hofmann von feiner Form und kühler Zurückhaltung.

Luise von Göchhausen war am Morgen nach der Maskerade zu ihrem Oheim geeilt, um in wirklicher Besorgniß nach ihm zu sehen. Rohrmann und Ursula empfingen sie mit rücksichtslosem Zorne. Sie wollten ihr den Weg in’s Allerheiligste des leidenden Gebieters versperren, aber Luise, unerschrocken wie immer, drang durch und versuchte, wenigstens den Alten von ihrer Unschuld zu überzeugen. Da sie dies Bemühen mit zähem Eifer fortsetzte, tagte es endlich in dem Begriffsvermögen des Oberkämmerers, und er fing an, sie gnädigst alle Tage ein Stündchen auf dem Stuhle vor seinem Bette zu dulden.

Trafen sich die mißvergnügten Hofherren bei Göchhausen, den sie seit jenem Abenteuer innerlich zu den Ihren zählten, so waren sie sämmtlich zu loyale Vasallen der Krone, um an das gesalbte Haupt selbst zu rühren. Längst hatten sie sich ein willkommenes Object ihres Zorns in Goethe ausersehen, von dem alle begangenen Tollheiten, alles wilde, tadelnswerthe Genietreiben ausgehen sollte. Graf Görtz besonders war es, der nicht aufhören konnte, auf diesen „Verderben des allergnädigsten Herrn“ hinzuweisen.

„Dieser Mensch,“ sagte er eines Tages, als er mit Seckendorf bei dem Patienten zusammentraf, „der in seinem Götz den Aufruhr gepriesen, im Werther den Selbstmord vertheidigt und jetzt sich sogar mit dem alten Magister Faust beschäftigen soll, welcher im Bündniß mit dem Teufel stand – dieser frivole Scribent vergiftet mit seinen laxen Grundsätzen das jugendliche Gemüth unseres allergnädigsten Herrn.“

„Es ist nicht zu verkennen,“ nahm Seckendorf das Wort, „daß die wunderlichsten Dinge hier durch den Gebrauch sanctionirt werden. Ich habe sehr bald gesehen, daß meine rothen Absätze und meine Hofmanieren hier Contrebande sind. Hetzpeitschen, Reitstiefel und polnische Schnürenröcke, wallendes Haar und die sogenannte Werthermontirung, das sind die Requisiten zu der Farce, die dieser Günstling uns nach seinem Sinne aufführen läßt!“

„Ja, er und wieder er!“ rief der Hofmarschall in rücksichtsloser Bitterkeit. „Wie werden wir ihn los, diesen Stein des Anstoßes?“

Hier wurden die drei Männer durch ein leises Kichern in ihrer Nähe erschreckt. Sie blickten zur Seite und sahen Luise [470] von Göchhausen, die, hinter ihrem großen Fächer hervor blinzelnd, offenbar längst als Zuhörerin ihrer Unterredung an der Eingangsthür gestanden hatte. Sie kam näher, nickte ihrem Oheim zu und sagte:

„Also unser schöner Faiseur mißfällt den Herren? Aber ist er’s denn nicht, der unserer engbrüstigen Geselligkeit den eigentlichen Lebensodem einbläst? Ja, er regiert, giebt Regenwetter und Sonnenschein und hat auch mehr Lebensart und Geschäftsklugheit als alle Hofschranzen und politischen Kreuzspinnen zusammengenommen in Leib und Seele. So lange Karl August lebt, richten die Pforten der Hölle nichts gegen ihn aus!“

Sie hatte offenbar in der Heftigkeit mehr gesagt, als sie wollte; ihre klugen Augen flammten, und sie stand in ihren kleinen Hackenschuhen fest da.

„Kind, Kind! wie Du mich alterirst!“ rief Göchhausen.

Der Kammerherr verbeugte sich artig gegen die Dame, schob ihr einen Stuhl hin und sagte mit feiner Ironie:

„Das schöne Geschlecht erbarmt sich gern des Gescholtenen; besonders wenn es sich um einen verführerischen jungen Herzensstürmer handelt; ein überaus liebenswürdiger Zug!“

„Es mag auch die Sympathie der Eingewanderten für einander sein, denen das strenge Behüten eines convenablen Tons am hiesigen Hofe weniger am Herzen liegt,“ sagte der Graf mit mehr Bitterkeit.

„Lediglich Ueberzeugungssache, meine Herren!“ rief das Hoffräulein unerschrocken.

Göchhausen war längst, entsetzt über die Aufregung, in sein Kissen zurückgesunken; tastend suchte er seine Pulsschläge zu zählen.

Die beiden andern Herren verbeugten sich stumm gegen die Vertheidigerin des abwesenden Dichters, und traten vom Bette zurück, an dem Luise jetzt, mit Erkundigungen nach dem Ergehen des Patienten, Platz nahm. Dann räumte sie das Feld, da sie wohl fühlte, daß die eben ausgetauschte, ernste Meinungsverschiedenheit einer weiteren unbefangenen Unterhaltung nicht günstig sei.

[483] Abends war ein kleiner auserlesener Kreis bei der Herzogin Anna Amalie versammelt. Goethe wollte den von Lavater so warm empfohlenen Schweizer Christoph Kaufmann einführen, Lavater hatte diesen jungen Mann „Gottes Spürhund“ genannt und hinzugefügt: er sei ein Mensch, der nach seiner äußeren Ausrüstung und den Gesetzen der Physiognomik zu Folge Alles könne!

Der Herzog, Frau von Stein, Luise von Göchhausen, Wieland und Hildebrand von Einsiedel waren bereits zugegen. Man saß um einen Tisch, auf dem einige Wachskerzen brannten und verschiedene Bücher und Silhouetten umher lagen. Die Damen schürzten Filet oder strickten; Luise leitete daneben die einfache Bewirthung mit Wein, Brod und Fleisch, Kuchen, Aepfeln und Nüssen. Sie hatte soeben, bevor Goethe kam, noch erregt von ihrer Begegnung am Nachmittage beim Oheim, von der Abneigung gesprochen, die man in gewissen Kreisen gegen den Dichter hege. Die kleine gescheidte Person war keine milde Natur; sie lebte vielfach im Kampfe, und es fiel ihr nicht ein, die zu schonen, welche ihr feindlich gegenüber standen.

Der Herzog lachte laut auf. „Es ist der Neid,“ sagte er spöttisch, „der ekle Brodneid, der sich allerorten breit macht. Ob ich einen neuen Ankömmling in meinen Hundezwinger lasse oder meinen Schranzen einen Besseren vorziehe, es giebt das gleiche Gekläff; aber den Herrn fallen sie Beide nicht an. Sie zausen sich nur unter einander, und Der, über den sie jetzt herstürzen, ist den schäbigen Kerls gewachsen, das glaubt mir!“

Wieland, der in seiner schönen Wärme für Goethe jeglichen Angriff auf den Freund als persönliche Beleidigung nahm, nannte den Hofmarschall den schiefsten, allerschwächsten und der Natur mißlungensten Menschen, den es je gegeben.

„Nur immer radical vorwärts, mein tapferer Oberonsänger!“ lachte die Herzogin zufrieden. „Sie wissen, daß auch mir der Graf zuwider ist, denn er legte es darauf an, mir meinen Sohn zu entfremden.“

Ein warmer Blick mütterlicher Liebe traf den neben ihr sitzenden Karl August. Dieser ergriff ihre volle weiße Hand und küßte sie herzlich, dann sagte er:

„Das wird weder dem Görtz noch sonst Jemandem gelingen. Uebrigens ist der Hofmarschall mir doch mit einer gewissen Treue attachirt, wie so eine Art Hausspitz.“

Wieland schnitt ein Gesicht, sagte aber nichts, da in diesem Augenblicke Doctor Goethe mit seinem Gaste angemeldet wurde.

Aller Blicke, Aller Herzen öffneten sich ihm und flogen ihm entgegen!

„Da bringe ich den Empfohlenen,“ sagte er, seinen Begleiter dem Herzoge und der Herzogin vorstellend.

Es war der Unbekannte, welcher in Leipzig Corona aufgesucht hatte.

Christoph Kaufmann, anscheinend in den Zwanzigern, war ein blühender, kräftiger Mensch in Schweizertracht.

Herzog und Herzogin begrüßten freundlich die Gäste, man machte ihnen Platz am Tische, und sie setzten sich zu den Uebrigen.

Der Herzog begann den Ankömmling über Lavater zu fragen, und Kaufmann pries ihn in begeisterten Worten.

„Sie haben bei ihm die Grundsätze der Physiognomik studirt?“ fragte der Herzog.

„Er hat sie an mir studirt. Nach einer Normal- oder Idealform bilden sich alle Gesetze. Er hat dieselbe in mir verkörpert gefunden. Ich bin das ‚Urphänomen‘ und ausersehen, Jahrhunderte zu überdauern.“

Man sah sich erstaunt an. Die Göchhausen bot dem „Urphänomen“ mit Lachen ein Glas Wein.

„Ich danke Dir, Lichtkernchen,“ sagte er ernsthaft, „ich genieße nur Urstoffe, Wasser oder Milch.“

Kaufmann entwickelte seine Theorie vom menschlichen Lichtkernchen. Er schilderte, wie das körperliche Häusel von innen eingehe und zuletzt als dünner Beleg ein Feuerrad umfange. Wie aus diesem sich Fühlfäden nach rückwärts ausstreckten zu den lichtstarken Genossen der Vergangenheit, um mit denselben zu verkehren.

„Alle Wetter, das wäre!“ rief der Herzog halb spöttisch, halb neugierig angeregt. „Sind Sie denn solch ein Feuerrad mit gla­céledernem Ueberzuge, das mit anderen, äußerlich zu Grunde gegangenen starken Lichtleibern wieder in Verbindung treten kann? Oder zu Deutsch: bilden Sie sich ein, mit Verstorbenen communiciren zu können?“

Feierlich neigte der Fremde den schönen Kopf zur Bejahung.

„Ich hoffe,“ sagte er schwärmerisch bewegt, „bald so weit himmlisch umgebildet zu sein. Schon ein Jahrhundert arbeite ich daran.“

„Ein Jahrhundert!“ rief der Herzog staunend, „wie alt halten Sie sich denn?“

„Ich stand mit einem früheren Menschenalter in Verbindung und bin bestimmt, in einem späteren fortzuwirken!“

Alle sahen sich fragend, lächelnd, ungläubig an. Der Wundermann fuhr fort:

„Als Gottes Spürhund ziehe ich durch die Lande und suche reine, kindliche Menschen, die ich wittere mit meiner ihnen verwandten Kraft – durchsichtig wie Glas seid Ihr alle meinem Auge! – Den Reinen muß ich helfen, ihren Lichtkern in die Schwingungen des Feuerrades zu bringen und sie hierauf dem Meister zuführen.“

„Also verschiedene Grade giebt es in Ihrer seltsamen Wissenschaft?“

„Ja, verschiedene. Willst Du, o Fürst, den ersten Meister aller Zeiten in diesem Wissen kennen lernen?“

„Lavater?“ fragte die Herzogin gespannt und nahm diese Frage von aller Lippen.

„Nicht er! Er kann nur ahnend fühlen, wo ein Sturmbrand des Lichts im erdklebigen Stoff gefangen weilt. Nein, ein Höherer, ein ungebundenes Feuerrad geistigen Wirkens, vom aschirdnen Stoff knapp umschlossen, das alle Dimensionen durch glüht, er ist’s, den ich meine!“

„Und wer wäre das?“ fragte der Herzog gespannt.

„Meine Lippen dürfen seinen Namen nicht nennen! Frage das schönste Weib, welches Dir während dieses Jahres Rundgang begegnet – sie trägt als Stempel seiner Herrschaft eine schwarze Sammetschleife vor dem Busen – diese ist auserkoren zwischen Dir und ihm zu vermitteln.“

Des jungen Fürsten Augen blitzten.

„Der lichtreiche Unbekannte scheint nicht so gleichgültig gegen hübsche, erdklebige Schalen zu sein, wie man solchem Ueberwinder derselben zutrauen sollte!“ rief er scharf mit lautem Auflachen. „Ich gestehe, daß vorläufig solche ‚Schalen‘ mir sehr wohl gefallen, mögen sie nun von innen heraus, in Ihrem Sinne, mein Prophet, dünn oder dick sein.“

„Du täuschest Dich selbst,“ erwiderte Kaufmann. „Kannst Du ein Auge schön finden, aus dem Dir keine verständnißreiche Seele als Lichstern entgegen strahlt? Denk die schönste Form von innen verdunkelt, geistig umnachtet, und Dich schaudert, ihrer Reize froh zu werden.“

Der Herzog verstummte sinnend; es lag Wahres in dieser Behauptung des Fremden.

Hildebrand Einsiedel knüpfte eine Frage nach der schönen Leibeignen des Lichtfürsten an, bei der Goethe verständnißvoll vor sich hinlächelte. Kaufmann aber brach auf, ungezwungen wie bisher nur nach seinem Belieben handelnd, und überhörte weitere Anreden. Er sagte, er dürfe einem einzelnen Thun nicht mehr Zeit und Kraft gönnen; wichtige Arbeiten warteten ihrer Erledigung.

„Nun, Sie werden doch heute Abend nicht viel mehr thun, wir haben halbzehn Uhr,“ sagte die Herzogin mit einem Blick auf ihre Rococopendule.

„Ich schlafe nie, hohe Frau,“ entgegnete der wunderliche Mann. „Wer dem Lichtkern zum Wachsthum verhelfen will, darf der grobfaserigen Masse keine Herrschaft einräumen.“

„Entsetzlich!“ rief Amalie und schlug staunend die Hände zusammen. „Sie schlafen nicht, Sie Aermster, da müssen Sie ja krank werden.“

[484] „Ich bin nie krank, ja ich vermag jeden Kranken zu heilen, der Vertrauen zu mir faßt.“

Er verbeugte sich und verließ mit würdigen Schritten das Gemach. Man athmete auf, als der Druck seiner wunderlichen Persönlichkeit aufhörte.

„Da hat uns Lavater einen närrischen Kauz gesandt!“ rief der Herzog. „Aber interessant ist solcher Gesell doch; ich werde mich näher in seine Theorien einweihen lassen.“

„Man weiß nicht, ob’s der Mühe werth ist,“ sagte Goethe.

„Allerdings, Ungereimtheiten hat er vorgebracht,“ lachte Luise von Göchhausen, „die hundert Elephanten nicht wegschleppen können!“

„Alles in Allem,“ sagte Wieland, „ist man hungrig geworden auf etwas Natürliches, Lustiges, Irdischhandgreifliches.“

Das war nach der ungesunden Aufregung das einzig richtige Gefühl.


14.

Der Herzog Karl August hatte sehr bald erkannt, daß sein genialer Freund nur mittels eines ernsten Lebensberufes dauernd in Weimar und an seine Person zu fesseln sei. Mochte Goethe noch so wild mit ihm darauf los wüthen, wenn es galt im Ballsaal, auf dem Eise, oder zu Pferde der vollen Jugendlust genug zu thun, niemals machte er ein Hehl daraus, daß er Besseres brauche, daß er nicht ohne geregelte Beschäftigung leben könne. Aber auch in dem jungen Herzoge lag ein fester Grund edler Pflichttreue. Ihm würde kein Freund genügt haben, welcher seine volle Befriedigung aus der Dinge Oberfläche geschöpft hätte, und so begriff er auch des Andern Bedürfen.

Längst sann er also darüber nach, was er zu bieten habe, wie er Goethe’s Stellung in Weimar festigen und durch einen Beruf ausfüllen könne. Er wußte, daß er mit der Anstellung dieses vielbeneideten und vielgescholtenen Fremdlings einen Sturm im Kreise seiner Beamtenwelt heraufbeschwöre; aber er war Mannes genug, seinen Willen durchzusetzen.

Seit zweiundzwanzig Jahren war der Minister von Fritsch der gewissenhafte Leiter der Regierung; dieser, der von Goethe nichts als eine flotte, geniale Außenseite kannte und seine Zuhörerschaft im Conseil stets gemißbilligt hatte, widersetzte sich auf das Ernstlichste seiner Anstellung im Staatsdienste. Ja er bat, wenn dieselbe stattfinden solle, um seinen Abschied.

Der Herzog erklärte aber, daß sein Beschluß, den Doctor Goethe in sein Geheimes Conseil einzuführen, feststehe, und bat, daß sein Minister sich mit dieser Maßregel aussöhne. Nachdem auch die Herzogin Anna Amalie, welcher Fritsch während ihrer Regentschaft treu zur Seite gestanden, sich bittend an ihn wandte, gab der alte Staatsmann nach, und Goethe’s feierliche Einführung in’s Conseil als Legationsrath wurde zur Thatsache.

So war dem Herzoge nun der Besitz des Freundes gesichert.

Goethe, dieser menschenkundige, umfassende Geist, wußte sich auch bald durch sachlich ernste Ruhe, durch respectvolle Unterordnung unter die erfahrenen älteren Beamten, eine gute Stellung im Conseil zu verschaffen und die praktischen Fragen und Sorgen der Regierung kennen zu lernen.

So wie diese Angelegenheit geordnet war, sann der Herzog darauf, des Freundes äußeres Behagen noch fester zu begründen, [485] als bisher. Die beschränkte Wohnung in der Belvedere-Allee konnte auf die Dauer nicht genügen.

Bertuch’s Gartenhaus am Stern hatte Goethen einst besonders wohl gefallen; an einem Wege gelegen, der nicht weit vom Thor sich an den Wiesen der Ilm hinzog, mit einem freundlichen Blick auf die Stadt, einem baumreichen, aufsteigenden Garten war es ein gar freundlicher Sommersitz. Diesen Garten tauschte der Herzog für den Freund ein, und beglückt ging Goethe daran, sich mit Philipp das neue Heim einzurichten.

Es war im Mai, die Bäume grünten und blühten, die Wiesen an der Ilm schimmerten, mit zahllosen gelben Blumensternen besäet, in satter Smaragdfarbe; der Fluß schien klarer und munterer als bisher an den Baumwurzeln des Ufers dahin zu rauschen, der Himmel wölbte sich in dem tiefen Blau eines köstlichen Frühlingstages, die Vögel jubilirten in den Zweigen, und Spaziergänger zogen in Schaaren aus dem Stadtthor und den Weg an Goethe’s Gartenhause vorüber. Eine schlanke, vornehme Frauengestalt mit einem kleinen Knaben an der Hand war unter ihnen. Goethe hatte sie von seinem Altan aus bemerkt, er eilte hinunter und kam ihr freudestrahlend an seinem Gartenpförtchen entgegen; die schlanke Frau folgte seiner Einladung und trat mit dem Kinde bei ihm ein. Er nahm den Kleinen auf den Arm, herzte ihn und erzählte, daß in seinem Garten prächtige Blumen für den lieben Jungen gewachsen seien, die er alle pflücken dürfe. Der kleine Fritz von Stein lachte hell auf vor Vergnügen und zappelte, um zur Erde zu kommen, damit er hinaus auf die Terrassen unter die blühenden Bäume laufen könne.

Hinter dem hellgetünchten kleinen Hause befand sich ein gegen Staub und unberufene Gaffer wohlgeschütztes Plätzchen. Knospendes Jelängerjelieber rankte an der Hauswand hinauf, eine Bank und ein Tisch standen daran; vor sich hatte man den schattigen und doch sonnig durchleuchteten Garten. Freundliche Lichter hüpften unter den bewegten Zweigen über Blumen und Moos, und unter ihnen das jauchzende Kind in seinem Sammeleifer, die Händchen voll grüner Herrlichkeiten.

Die beiden Menschen am Hause, die sich so wohl verstanden, hatten noch wenig gesprochen, sie schwelgten in der wonnigen Natur und in dem Glücke des Zusammenseins.

„Ich fühlte eine heiße Sehnsucht nach Dir, und da sah ich Dich kommen, es war eine schöne Erfüllung!“ sagte Goethe mit tiefem Gefühle.

„Der gestrige Abend bei Baron Reinbabens lag mir schwer im Sinn,“ entgegnete Charlotte von Stein, ihre weiche Gemüthsstimmung bemeisternd. „Ich wollte einmal ruhig mit Ihnen unsere, Ihre Lage erwägen, deshalb kam ich heute.“

„Ich habe auch die Nacht durch manches Knäulchen Gedankenzwirn auf- und abgewickelt.“

„Ich dachte mir’s. Sie wissen, daß ich Sie schätze, Sie lieb habe wie einen jüngeren Bruder, oder älteren Sohn! – Aber warum dies große, warme Gefühl, das in meinem Herzen erstanden ist, da es eben am Zuschließen war, in irgend eine irdisch übliche Form gießen? – Genug, daß mich Ihr Wohl wie etwas Eignes interessirt; daß ich sogar ohne Bedenken, wenn wir allein sind, Formen, übliche Trennungszeichen menschlicher Beziehungen als überflüssige Schranken zwischen zwei Seelen, die [486] so tief verbunden sind, fallen lasse; daß ich Dir das schwesterliche Du gebe, und es mit süßer Freude von Dir annehme. Dies Alles, mein Wolfgang, mein Freund, gehört aber nicht vor den Richterstuhl der tadelsüchtigen, ewig mißverstehenden Menge, die ja für unsere tiefe Sympathie kein Organ hat, die Alles, was uns reinigt und begeistert, mit dem Maß unwürdiger Koketterie oder Liebelei mißt und danach abthut. Also, thörichter, unvorsichtiger Liebling! Sei auf Deiner Hut vor dieser spitzzüngigen großen Welt und hüte Deine glühenden Dichterworte vor Denen, die sie nur mit Spott aufnehmen.“

Sie hatte warm und mit Anmuth gesprochen; er hielt schon lange ihre linke Hand zwischen seinen beiden Händen gefangen; während sie, in der Rechten einen blühenden Fliederzweig schwingend, mit graziösem Tändeln ihre Worte begleitete, sah er ihr glücklich lächelnd in das feine, bewegte Antlitz. Sie fuhr nach einer kleinen Pause fort:

„Die Herzogin Luise, bedrückt von ihres Gatten sichtlicher Kälte gegen sie; Dir anfänglich mit Wohlwollen entgegenkommend, hat jetzt den Einflüsterungen des Grafen Görtz Gehör geschenkt, sie hält Dich für ihren Rivalen, für den Verführer ihres Gatten, der ihr sein Herz entfremdet, und sieht Dich mit eifersüchtigem Uebelwollen an.“

„Mich? Der ich sie so herzlich verehre?“ rief Goethe erstaunt.

„Ja, es ist so. Wie unwillkommen Du den Beamten im Conseil warst, ist Dir kein Geheimniß geblieben. Der Boden ist also unsicher und glatt unter Deinen Füßen und Vorsicht, wohlüberlegtes Auftreten ein Gebot der Klugheit. Diese Vermummungen, diese geistreichen, improvisirten Scherze, wie gestern Abend, sind in solchem Kreise nicht erlaubt.“

„Erlaubt ist, was gefällt!“ lachte er.

„Erlaubt ist, was sich schickt,“ entgegnete sie bestimmt.

Auch er ward jetzt ernster.

„Sollen wir denn immer und überall entsagen und uns beschränken?“ rief er unmuthig. „Der Herzog hat mich an sein Geschäft gebunden; aus der Liebschaft ist eine Ehe geworden! Ich habe hier zu Wieland, Knebel, Einsiedel und Anderen eine gute, reine Stellung. Mein Freund Herder wird noch herkommen, so bin ich gedeckt und biete allen Hofschranzen die Spitze. Ich will und bedarf kaum mehr, wenn Du mich nicht los läßt, Geliebteste, denn die Sicherheit meines Verhältnisses zu den einmal Erwählten, mir Gegebenen kann ich nicht entbehren.“

„Du darfst und wirst nie an mir zweifeln,“ sagte sie innig. „Was ein treuer Mensch dem Andern sein kann, bin ich Dir immerdar! Laß mich Dir eine Stütze sein, geliebter Freund! Verstehe meine Ruhe, wenn wir zusammen unter Menschen sind; ich darf ja nicht zeigen, wie hoch ich Dich halte!“

Er küßte ihre Hand wiederholt und dankte ihr mit flammenden Liebesworten. Eine frische Männerstimme rief jetzt seinen Namen, er sprang auf und eilte dem Herzoge entgegen.

„Ah!“ lachte Karl August schelmisch, „gewiß ein ästhetisches Conseil, das ich störe? Bitte um Verzeihung, bin aber verteufelt gern mit von der Partie und sehe nicht ein, warum ich mich an diesem goldenen Frühlingstage ennuyiren soll.“

Er setzte sich zu den Beiden, die ihn artig begrüßten.

Das Gespräch wandte sich bald auf Christoph Kaufmann. Goethe erzählte, daß Kaufmann bei einem Manne, den er seinen Herrn und Meister nenne, in Kassel sei, daß er aber mit dem Gedanken umgehe, noch einmal nach Weimar zurück zu kehren.

„Und wie heißt der Mann, bei dem dieser wunderliche Gast sich aufhält?“

„Graf von Saint Germain; er ist ein berüchtigter französischer Abenteurer. Landgraf Friedrich von Hessen, der den Mäcenas spielt und die üppige französische Wirthschaft führt, zieht solche Geister an. Uebrigens giebt es auch Leute genug, die auf des Grafen Wunderthaten und übernatürliche Künste schwören.“

„Ich möchte auch nicht Alles ablehnen, was nicht klar vor mir liegt,“ sagte der Herzog mit sinnendem Ausdruck, „und jenes ofterwähnten Meisters Bekanntschaft würde mich höchlich ergötzen. Görtz soll an den Hofmarschall von Bischofshausen in Kassel schreiben und wegen jenes Grafen Saint Germain, den Du als Protector Kaufmann’s nanntest, anfragen.“

„Das wird dem sehr gelegen kommen,“ sagte Goethe trocken.

Frau von Stein sah ihn befremdet an, dann ftagte sie:

„Sie scheinen einen Wunsch oder gar die Absicht jenes Wundermannes vorauszusetzen, hierher zu kommen? Wie verstehe ich den Argwohn des Dichters diesen phantastischen Leuten gegenüber? Hat Ihr Prophet Lavater nicht unter Kaufmann’s Silhouette geschrieben: ‚Er kann, was er will!‘ Hat er ihn nicht für einen außergewöhnlich begabten Menschen erklärt?“

„Allerdings hat er das!“ rief Goethe auflachend, „als Beweis, daß auch Propheten irren können.“

„Nun, streiten wir nicht,“ sagte der Herzog besänftigend. „Ich für meinen Theil lasse diese curiösen Adamssöhne noch nicht fallen; wir wollen auch nicht übersehen, daß sich in unserer Zeit Mancherlei für sie regt. Man rüttelt von allen Seiten an Pforten, die in dunkle Tiefen der Natur führen, und vielleicht wird sich hier oder da ein lichter Spalt aufthun. Mit einem jener Absonderlichen in nähere Berührung zu treten, könnte mich baß gaudiren!“

„Nur in der Kunst keine Dunkelheiten und dem Leben abgewandte Spitzfindigkeiten!“ rief Goethe erregt. „Mein Bestreben, meine unablenkbare Richtung ist: dem Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben; wer das sogenannte Poetische, das Imaginative zu verwirklichen sucht, verirrt sich vom Ziel abwärts. Und sonach ist mir alles dämmerig Unnatürliche verdächtig.“

„Wenn man sich seltsame Käuze in der Nähe ansieht, ist man ihnen und ihrer ganzen Richtung ja nicht mit Haut und Haaren verfallen!“ lachte der Herzog; damit stand er auf und fragte, ob Frau von Stein ihn mit dem Freunde zurück begleiten werde?

Die kleine Gesellschaft schlug, unter fortgesetztem Geplauder, den Weg zur Stadt ein. Es begegneten ihnen öfter ehrerbietig grüßende Spaziergänger, die, obwohl die Sonne schon im Sinken war, doch noch auszogen, den schönen Abend im Freien zu genießen.

“Da kommen ein paar bekannte Damen,“ sagte Frau von Stein zu den lebhaft redenden Männern. „Es ist Auguste Kalb mit der kleinen Laßberg, die so lange krank war.“

„Klein nennen Sie die?“ flüsterte der Herzog, „sie ist ja eine schlanke Elfe und viel größer als das dicke Gustchen.“

Man trat den jungen Mädchen entgegen, und Frau von Stein fragte nach Christels Gesundheit. Mit niedergeschlagenen Augen stammelte diese, daß es ihr wohl gehe.

Der Herzog neckte Auguste mit den „Flammenküssen“ der scheidenden Sonne, die, „ihren Lilienteint umwerbend, Unheil anrichten würden“.

Gustchens warme bräunliche Haut färbte sich höher bei diesem leicht erkennbaren Spott, und sie wehrte sich in lebhafter Weise.

Goethe vermied es seit jenem Redoutenabend, ihr Artigkeiten zu erzeigen, er wandte sich also zu der eben Genesenen und sagte ihr einige theilnehmende Worte. Hohe Gluth wechselte mit Todtenblässe auf den feinen Zügen des bebenden Mädchens, und sie vermochte sichtlich kein Wort der Erwiderung hervor zu bringen. Unter ihren beinah geschlossenen Wimpern quollen Thränen hervor, und gleich darauf mußte Frau von Stein die Schwankende in ihren Armen auffangen.

Die Herren erschraken, man sprach davon, sie nach Goethe’s Hause zu tragen, eine Sänfte zu holen und dergleichen mehr. Bald aber richtete sich Christel mit großer Selbstbeherrschung auf, versicherte, indem ihre Farbe wiederkehrte, ihr sei Wohl, und verabschiedete sich hastig von der Gesellschaft, indem sie den Arm ihrer Begleiterin nahm.

Die beiden Männer sahen sich erstaunt und kopfschüttelnd an, und Goethe sagte:

„Welch seltsamer Windzug der Freundschaft führt diese beiden Seelen zu einander? Wie kommt’s, daß gerade die sich ihre Gefühle geben? Gustchen eine derbe und bis auf den Grund hohle Natur, und daneben diese fest geschlossene Knospe, diese Sensitive, die bei jeder Berührung erzitternd in sich selbst zurück schreckt, süßleidender Sentimentalität hingegeben. Nur die leeren Häuser stehen offen und die reichen sind geschlossen!“

[498]
15.

Die alte Frau von Werthern war in der letzten Zeit mit dem Betragen ihrer Schwiegertochter außerordentlich zufrieden gewesen.

Emilie hatte es sogar neuerdings abgelehnt, in dem Goethe’schen Singspiel „Erwin und Elmire“ – von der Herzogin Amalie in Musik gesetzt – die Hauptrolle zu übernehmen, zu der man sie, neben Mademoiselle Rudorf, auf den besonderen Wunsch des Herzogs bestimmt hatte. Sie zog sich erst zurück, nachdem schon ein Paar Proben abgehalten waren, und brachte die Gesellschaft in einige Verlegenheit. Sic schützte aber Unwohlsein vor, und in der That konnte man ihr glauben, so seltsam bewegt, wechselnd in Farbe und Ausdruck wie jetzt, war sie früher nie gewesen. Auguste von Kalb trat nach einigen koketten Winkelzügen für sie ein und machte nun mit dem Kammerherrn von Seckendorf das zweite Paar.

Ließ auch Emiliens Verfahren an Rücksichtnahme einiges zu wünschen übrig, so verzieh ihr die Schwiegermutter in dem tröstlichen Gefühl, daß sie den bösen Zungen, die ihre Beziehungen zu dem jungen Fürsten bespöttelten, diesmal keine Ursache zu schlimmen Bemerkungen gebe. Auch daß Emilie viel zu Hause blieb, still für sich in der Gartenlaube saß, sich höchstens von dem ungefährlichen Bergrath von Einsiedel vorlesen ließ, diente zur Beruhigung der alten Dame. Sie empfand es als ein um so größeres Glück, daß Milli plötzlich so verständig geworden war, als ihr Gatte sie ärger denn je vernachlässigte.

Der Rittmeister hatte mit der Fuchsstute ein gutes Geschäft gemacht und schwamm im Ueberfluß; die Zeit der contractlichen Rücksichtsnahme für seine Frau war überstanden, er lebte jetzt also um so wilder, war oft Tage und Wochen lang auf Nachbargütern, zu dienstlichen Ritten oder Jagdpartien entfernt und bekümmerte sich wenig um beide Damen.

Emilie schien die Empfindlichkeit über ihres Mannes Benehmen abgelegt zu haben. Wenn er früher Tage lang nicht nach Hause kam, oder Abend für Abend in’s Wirthshaus ging, hatte sie sich schweigsam mit Thränen in den Augen abgewandt. Jetzt fand er sie immer gleichmüthig gestimmt. Raffte er sich zu einer Art Entschuldigung über sein Ausbleiben, seinen Lebenswandel zusammen, so pflegte sie zu entgegnen: er solle doch ja nach seinem Gefallen leben und ihretwegen sich nicht beunruhigen. Kurz, sie machte es jetzt beiden Theilen recht und war ihm eine so bequeme Frau, daß er anfing, sie auf seine Weise gern zu haben.

Es war an einem warmen Junitage, als Emilie mit ihrer Filetarbeit in der verschnittenen Lindenlaube saß, welche ihr den kleinen Stadtgarten so angenehm machte. Dies Fleckchen hinter dem von Häusern eingeschlossenen Hofplatz, eingehegt von einer Nachbarmauer, an zwei Seiten von andern Gärten umfaßt, war trotz seiner Enge, seiner Ein- und Abgeschlossenheit ein Paradies für die junge Frau geworden. Ein Paar schmale, von Buchsbaum und Lavendel begrenzte Wege, ein alter hoher Apfelbaum voll Staar- und Sperlingsgezwitscher, einige Taxusfiguren, ein Beet mit starkduftenden Narcissen und etwas Gebüsch gab die ganze Herrlichkeit ab. Die Lindenlaube war auch mehr einem Vogelbauer ähnlich, als einem Aufenthalt im Freien, sie hatte eine ringsum laufende Bank und einen runden, den mittleren Lindenstamm umfassenden Tisch, an dem Emilie jetzt ihr Nadelkissen zu einer endlosen Filetarbeit festgeschraubt hatte. Sie ließ aber oft die Hände sinken und schaute ungeduldig nach der kleinen Lattenthür, die auf den Hof führte; es war ersichtlich, daß sie Jemand erwartete.

Endlich öffnete sich das Pförtchen, und Moritz von Einsiedel trat in den Garten; das hübsche Gesicht der jungen Frau wurde bei seinem Erscheinen von einem hellen Roth der Freude übergossen. Er kam zu ihr in die Laube, küßte ihr die Hand und setzte sich neben sie; ein Buch, das er mitgebracht hatte, auf den Tisch legend.

„Sie sehen ernster aus als sonst, Herr von Einsiedel,“ sagte Emilie, ihn ängstlich beobachtend. „Habe ich irgend etwas gethan, das Sie verdrießt? Als Sie gingen, waren Sie mit mir zufrieden, weil ich die Rolle der Elmire auf Ihren Rath abgegeben hatte.“

„Es war verständig von Ihnen, daß Sie mir folgten; seien Sie ferner vorsichtig, auch wenn ich nicht da bin, Sie zu warnen.“

„Müssen Sie schon wieder verreisen?“ rief sie erschrocken.

Er seufzte, sah sie an und murmelte gepreßt: „Ja, auf lange Zeit.“

Sie schrie fast auf: „Gehen wollen Sie? Um Gottes willen, was haben Sie vor?“

„Ich komme, dem Rittmeister die Wohnung zu kündigen, da ich ganz fort will,“ sagte er hart und trocken.

Emilie war sichtlich keines Wortes mächtig, endlich brach sie in Schluchzen aus. Sie legte ihren Kopf in beide Hände und weinte laut, während ihr Körper krampfhaft bebte.

Diesen rückhaltlosen Ausbruch der reizbaren Frau hatte er nicht erwartet. Auch seine Farbe wechselte; er flehte sie an, sich zu beruhigen, er wolle ganz, ganz rückhaltlos offen gegen sie sein, dann müsse und werde sie ihm Recht geben. Er zog ihr die Hände von den Augen, küßte ihre thränenfeuchten Finger, sprang dann plötzlich auf, machte einen raschen Gang durch den kleinen Garten und kehrte beruhigter zu ihr zurück.

Sie erwartete ihn bleich mit weitgeöffneten, fragenden Augen.

„Was treibt Sie fort,“ stammelte sie, „warum wollen Sie mir das anthun? Sie wissen ja, wie glücklich ich war, wenn Sie mir vorlasen, mit mir plauderten! Ich war nicht mehr vergnügungssüchtig, nicht mehr anspruchsvoll. Diese Laube war meine Welt. Ich konnte jetzt meine Schwiegermutter und Werthern zufrieden stellen, aber nur, weil ich glücklich war durch den Verkehr mit Ihnen.“

Es lag etwas Schlichtes, Rührendes in ihren Worten und in der demüthigen Weise, in der sie sprach.

Er setzte sich ihr gegenüber; ernst und doch voll Milde und Liebe sah er das bebende junge Weib an, dann sagte er mit tiefem Athemzuge:

„Ich fühlte lange, daß ein rettender Entschluß für uns Beide gefaßt werden müsse. Täglich konnte ich Sie weniger entbehren, Emilie. Seit dem Winter fingen plötzlich meine Gedanken an, sich nur auf Sie zu richten. Ich war nicht mehr derselbe, ich konnte nicht bei meinen Büchern aushalten. Immer dachte ich daran, wie ich Ihnen begegnen könnte. Seit einigen Wochen trafen wir uns täglich. Anfänglich ergab auch ich mich dem Reiz dieses Verkehrs ohne Gegenwehr, dann ward mein Zustand, wenn [499] ich nicht bei Ihnen war, ein peinvoller Kampf. Wohin führte uns diese Neigung, der wir uns überließen? – Es ward nichts zwischen uns ausgesprochen, aber wir wußten, wir fühlten Beide, bei jedem Blick, jedem Laut, jeder Berührung, wie theuer wir einander waren. – Ich bin kein gewissenloser Phantast, Emilie; ich will uns nicht in’s Elend stürzen. Ich bin ein Mann, der ernst mit sich und seinen Leidenschaften ringt. Fest sagte ich mir: bis hierher und nicht weiter! Dann fragte ich mich: was thun? Wie der gefährlichen, der wachsenden Empfindung, entgegentreten oder ihr entrinnen? – Da bot sich mir die nöthige Umkehr in der Form einer jahrelangen Trennung. – Mir wurde kürzlich von einer Compagnie zur Ausbeutung afrikanischer Goldbergwerke ein günstiges Anerbieten gemacht. Unter anderen Verhältnissen würde ich meine Stellung hier nicht aufgeben, jetzt thue ich es Ihret-, unsertwegen, Emilie. Es ist ein rettender Ausweg, den ich mit blutendem Herzen, aber getrieben von der Nothwendigkeit einer Trennung einschlage.“

„Das überlebe ich nicht!“ stöhnte sie mit verzweiflungsvollem Ausblick. „Verlassen von Ihnen, was soll ich anfangen? O, könnte ich mich, doch von Werthern scheiden lassen!“

„Scheiden, scheiden!“ rief er, das Wort aufgreifend. „Scheiden, ja, das wäre nichts als ein äußerliches Bethätigen des innerlich längst Geschehenen.“

„O sagen Sie mir, was ich thun soll? Ich gehorche Ihnen, ich will nichts, als mich Ihnen unterwerfen. Soll ich zu Werthern gehen und ihm sagen, was ich wünsche? Vielleicht wird er mich schlagen, aber was schadet das! Die Mutter –“ sie stockte plötzlich, ward roth und blaß, sagte noch einmal: „Die Mutter“ – und brach dann wieder in Thränen aus.

„Nun?“ fragte er gespannt. „Glauben’ Sie, daß Frau von Werthern Ihnen wesentliche Hindernisse in den Weg legen kann?“

„Meine Schwiegermutter,“ stammelte Emilie, „ist ein Engel; sie besitzt alle die Tugenden, welche ihrem Stiefsohne fehlen. Sie öffnete mir ihre Arme, nahm mich in ihre Obhut und ward meine Freundin. Was sie vermochte, hat sie für mich gethan. Dafür forderte sie nur, daß ich den bösen Schein meide, daß ich einen Schleier über mein trauriges häusliches Verhältniß werfe und meinem, ihrem guten Namen jedes Opfer bringe. Mit den heiligsten Eiden habe ich ihr diese Schonung zugeschworen. Ich würde sie entsetzen, wenn ich ihr von einer Scheidung sprechen wollte. Das war es, was eben wie mit Bergeslasten auf mich fiel!“

Nach einer für beide Seelen inhaltschweren Pause sagte er:

„Sie haben Recht, eine Scheidung ist etwas Verletzendes für alle Theile. Auch ich bange davor, dies Verfahren über Sie kommen zu sehen.“

„Aber was dann?“

„Ich wähnte sagen zu können: bis hierher und nicht weiter!

Aber eine neue Stunde bringt neue Gewalten in’s Spiel; treibende, fordernde, herzbewegende Empfindungen. Eben war ich noch Herr der Verhältnisse, sicher die Wogen meines Lebensstromes theilend – jetzt schlagen mir die Sturzwellen über dem Kopfe zusammen.“

„O, daß ich Sie mit mir in diese Noth bringe!“

„Emilie! Noth? Ist das, was ich für Sie empfinde, nicht trotz Allem – Seligkeit?“

„Moritz, also doch? Also wirklich?“ jubelte sie.

„Ich bin wie aus einem Kerker an’s Licht gestiegen. Vergraben in meine Wissenschaft, suchte und fand ich nur in ihr Zweck und Ziel. Plötzlich schmückt sich in der Liebe zu Dir das Leben mit ungeahntem Reize. Ich weiß, ich fühl’s jetzt: Mann und Weib können sich hienieden das Höchste sein und geben!“

„Oder das fürchterlichste Elend bereiten,“ sagte sie jammernd.

„Ja, Du hast Recht! Es ist eine Grausamkeit, Dich, liebstes Wesen, Dich, für deren Wohl mein Vaterland aufgebe, hier in dieser unwürdigen Lage hülflos zurückzulassen, seiner, des Rohen Gewalt preisgegeben!“

Emilie stöhnte in wortloser Qual.

Er schwieg, tiefbewegt und schaute rathlos vor sich hin.

„Wäre ich doch todt;“ seufzte sie, „und läge daheim auf dem elterlichen Gut in der düstern Familiengruft!“

„Ja, es wäre, besser für Dich!“

Es war ein Seufzer der Verzweiflung und zugleich der Resignation, mit dem er diesen herben Ausspruch that.

Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, sah dann plötzlich wie von einem Entschluß erfaßt auf und sagte:

„Ich will keine Eclat machende Scheidung, aber ich will Trennung; ich bleibe nicht bei ihm! Mein guter, treuer Bruder, der jetzt das elterliche Gut bewirthschaftet, verheirathet mit einer Jugendfreundin von mir, hat mir versprochen, daß er mich aufnehmen wolle, wenn Werthern mich schlecht behandle. Ich war schon oft in Leitzkau bei den Geschwistern. Sie kennen meine Liebe und Rücksichtnahme für die herrliche alte Frau hier und billigen diese Empfindung. Ich will zu ihnen, ihnen meine Lage schildern, um ihren Beistand flehen, sie sollen mich für den traurigen Rest meines Lebens bei sich behalten.“

„Wird Deine Schwiegermutter diesen Plan der Trennung billigen?“

„Ich nehme keinen Abschied von ihr; ich theile ihr meine Absicht nicht mit! Wenn sie mich wiedersehen will, muß sie auf das Gut kommen.“

„Armes Kind, wie wirst Du es ertragen, ohne Zweck und Ziel, in der Einsamkeit begraben Dein Leben hinzubringen! O, könnten wir wenigstens die kurz gemessene Zeit vorher bei einander sein! Dann nähmen wir Beide eine glückselige Erinnerung mit in unsere Verbannung!“

Sie griff dieses Wort auf, sie versicherte ihm, er werde als Gast ihres Bruders willkommen sein; sie malte ihm aus, wie abgeschieden und sicher vor Späherblicken man in Leitzkau lebe, wie Geschwister ihnen ein paar Tage Seligkeit, ein paar Tage unbefangenen Sehens, Verkehrens, sich Liebens gönnen würden.

„Und sollte auch der Tod am Ende einer solchen Himmelswonne lauern,“ rief sie leidenschaftlich, „er würde mir willkommen sein! Was gäbe es denn noch Höheres, Herrlicheres in dieser Welt zu erleben, als die genossene Seligkeit mit Dir? Dann wüßte ich, weshalb ich geboren wurde, und wollte gern scheiden!“

Sie verfolgten ihren Plan und beschlossen, Weimar zusammen zu verlassen.

Emilie meldete sich bei ihren Geschwistern, und der Bergrath kündigte seinem Hauswirth die Wohnung, löste seine Beziehungen und richtete Alles zur Abreise ein.

Als die junge Frau über ihre angegriffene Gesundheit klagte, rieth die Mutter selbst zu einem Landaufenthalte beim Bruder.

Da eben der Hof einen begünstigten Theil der Gesellschaft zu längerem Besuche auf der Ettersburg einlud, wo mancherlei Lustbarkeiten stattfinden sollten, und auch Emilie dieser Auszeichnung gewürdigt ward, trieb die sorgliche alte Dame selbst ihre Schwiegertochter, bald nach Leitzkau abzureisen, um sich die Anstrengungen der Ettersburger Fêten nicht aufzuerlegen. Sie war entzückt von dem Verhalten ihres verständigen, folgsamen Kindes, das die Freuden der Hofgesellschaften aus Rücksichten, und wie sie meinte auf ihr Zureden, opferte, und hoffte, daß sich so nach und nach immer mehr ihre gefährlichen Beziehungen zu dem jungen Herzoge lösen würden.

Herr von Einsiedel zog aus dem Werthern’schen Hause fort; er beabsichtigte die letzte Nacht im Gasthofe zuzubringen.

Der Rittmeister war vor ein paar Tagen abgereist, um eine große Hofjagd in Sondershausen mitzumachen.

Emilie hatte sich den Wagen ihres Bruders zur Stadt bestellt, sie wollte am andern Tage Weimar verlassen; diesen letzten Abend verlebte sie bei ihrer Schwiegermutter in deren wohnlichem Stübchen, aus dem sie sich so oft Trost und Liebesbeweise geholt hatte.

„Du bist wirklich sehr nervenschwach, mein liebes Kind,“ sagte die alte Dame beim Abschiede in ermunterndem Tone zu der Weinenden. „Es ist die höchste Zeit, daß Du hier fort und auf das Gut kommst. Ich empfinde ja mit Dir, mein Schäfchen, aber um so mehr lobe ich Dich und halte Dich in Ehren! Du wirst es nie bereuen, Deiner alten, besten Freundin gefolgt zu sein.“

Das war zu viel Güte von Seiten der arglosen Frau! Emilie warf sich, ergriffen von Trennungsschmerz, ihr zu Füßen, umfaßte ihre Kniee und schluchzte laut.

Frau von Werthern erschrak. „Welche Scene, mein Kind! Keine Exaltation, ich bitte; auch meine Nerven ertragen das nicht. Steh’ auf und geh’, wir sehen uns hoffentlich bald und frischen Muthes wieder!“

Emilie sprang auf, noch einmal umfaßte sie die Mutter, küßte sie leidenschaftlich und stürzte wortlos hinaus.

[500] Am andern Morgen stand der Leitzkauer Wagen, bepackt mit ein paar Koffern, vor Emiliens Hause. Erfüllt von widerstreitenden Empfindungen, warf die Flüchtende, die auf Nimmerwiederkehr Scheidende, sich hinein. Sie hatte mit Einsiedel die Abrede getroffen, daß er zu Fuß die Stadt verlassen und draußen, an der kleinen Schleuse des Schwanensees, zu ihr in den Wagen steigen solle. Sowie sie das Thor hinter sich hatte, richtete sich all ihr Denken auf ihn. Eine wallende Freude und Spannung erfüllte ihr leichtbewegliches Gemüth, und, den Ledervorhang der Kutsche zurückschiebend, legte sie sich weit hinaus, um nach dem Ersehnten auszuspähen. Da schritt vor dem Wagen ein Mann auf die kleine Wiesenschleuse zu; das mußte er sein!

Sie gebot dem alten Kutscher aus der Heimath, bei dem Herrn drüben anzuhalten. Der Mann nickte gehorsam, schlug auf seine Gäule und fuhr auf die vor ihm befindliche Gestalt zu; jetzt hielt er dicht neben dem Wanderer. Emilie bog sich weit heraus, um ebenso rasch erschrocken zurück zu fahren.

Es war der Oberkämmerer von Göchhausen, welcher, von seinem Krankenlager erstanden, den gewohnten Morgenspaziergang machte und jetzt an der Schleuse stand; sie zerstreut aus seinen wasserblauen Augen anstarrend, schlug er mit dem Stock auf das Holz und sagte pathetisch:

„Louis Wilhelm von Göchhausen ist hier gewesen!“

Dann wandte er sich ab und schritt davon. Auf der andern Seite des Wagens aber wurde in diesem Augenblicke die Thür aufgerissen; mit raschem Satz sprang Moritz von Einsiedel zu der Geliebten herein!

[512]
16.

Ist das ein Tag!“ rief Karl August, sich im abendlichen Waldesschatten auf moosigem Gründe dehnend. „Man möchte ihn immer weiter leben und dann nochmals von vorn anfangen! He, reich Mir die Feldflasche, Wedel, laß sie füllen und kreisen, denn Ihr werdet alle durstig sein.“

Und es war in der That ein Tag, wie man ihn nicht schöner denken konnte. Des Herzogs „zappelnde Frühlingsungeduld“ zu, befriedigen, war man mit einer Gesellschaft fröhlicher Jagdkumpane Tages zuvor aus Weimar aufgebrochen. Ueber Berka und Stadt Ilm ging’s zu Pferde nach Ilmenau, wo die Besichtigung der wieder in Angriff zu nehmenden Bergwerke Hauptanlaß des Kommens und der landesherrlichen Sorge war, da die arme Bevölkerung Verdienst brauchte.

Nach einem Abendtanz im Schießhause, wo sich die Mädchen und Burschen der Nachbarschaft versammelten, denen die Cavaliere in ihren Jagdkleidern sich fröhlich gesellten, hatte man die Nacht in Ilmenau zugebracht, um heute in aller Frühe die Hirschjagd zu beginnen. Jetzt lag eine ganze „Strecke“ der edlen Thiere unter den Bäumen. Ein junger Spießer ward eben ausgeweidet, er sollte von einem gewandten Jagdgehülfen am abseits lodernden Feuer für die Abendmahlzeit gebraten werden. Man befand sich zu fern von Menschenwohnungen, um ein Nachtquartier aufzusuchen; hatte es doch auch Reiz, die laue Frühlingsnacht im Freien zuzubringen. Das Bretterhaus auf dem nahen „Gickelhahn“ sollte dem Herzog als Nachtquartier dienen, für die andern Jäger waren Laubhütten unter den Bäumen aufgeschlagen.

Auch Goethe war am Morgen mit von Ilmenau hinausgezogen, ihn reizte das Jagdvergnügen aber nicht; die Anspannung, welche dasselbe erforderte, hinderte ihn, sich der Naturbetrachtung in seiner Weise hinzugeben, und nahm ihm die Sammlung, welche er draußen in Wald und Feld begehrte.

Mit der Skizzenmappe und dem Bergstock wanderte er, dem Stande der Sonne folgend, die waldigen Berge hinan. Zuvor war die Abrede getroffen, daß er sich gegen Abend in der Nähe des Gickelhahns, wo Hallali geblasen werden sollte, zum gemeinschaftlichen Abendessen wieder einfinden wolle. So hatte er einen schönen Tag nach seinem Sinn, einen Tag recht am Herzen der Natur, den er schlendernd, beobachtend, zeichnend zubringen wollte, vor sich, und tauchte tief aufathmend in wohligem Freiheitsgefühl in das Meer von Grün ein, das ihn wie mit duftigen Wogen umfing.

Das Zeichnen war ihm eine Herzenssache, eine Beschäftigung, auf die er immer wieder mit Vorliebe zurückgriff.

Hier stieg er auf elastischem Moosteppich, dort durch raschelnd dürres Winterlaub, über Steingeröll oder ausgefahrene Geleise der Holzfuhrleute und Köhler hinan. Der Rain war mit jungen Erdbeerblüthen bedeckt; dort schwankte noch die letzte Weiße Anemone auf zartem Stengel im Luftzuge; auf sonniger Waldwiese mischten sich wilde blaue Salbeidolden mit Klee und weißen Sternblumen. An feucht dämmerigen Stellen schossen die frischgrünen Düten der Maiglöckchen mit ihren duftigen Blüthen auf, und Brombeer- und Himbeerranken kletterten im Unterholz. Lautschallend pickte der Specht, der Kukuk rief, Käfer und Schmetterlinge schwirrten lustig umher.

Endlich hatte er die freie Höhe des Berges erreicht, zu dem er aufstieg. Er stand über den bewegten Wipfeln, die zu ihm heraufstrebten, und schaute tief in saftgrüne Waldweiden, wo scheue Rehe ästen. Andere Bergeshäupter im köstlich grünen Waldmantel standen um ihn her. In blauer, sonnendurchglühter Ferne fand sich ein Durchblick zur feldbebauten Fläche, in der er einen Wasserfaden verfolgen und einen Kirchthurm erkennen konnte. Begeistert flammte sein Blick über das großartige Stück friedvollen Naturlebens, das vor ihm ausgebreitet lag, und er begann umherzuspähen, wo er das Plätzchen finden könne, nach dem er sich für seinen Stift sehnte. Die schlichte Natur schien ihm nicht zu genügen. Ihm kaum bewußt, verlangte sein plastischer Trieb nach Staffage, nach Menschenspüren und menschlichem Wirken.

Da sah er rechts in der Ferne, wie eingetaucht in grüne Wipfel, das ragende Hirschgeweih einer Försterei und beschloß, seine Schritte dorthin zu lenken. Er dachte dabei an ein frisches Glas Milch und stieg abwärts der wohlgemerkten Stelle zu.

Nach viertelstündigem rüstigem Wandern lichtete sich der Wald, und die bräunlichen Holzwände der Försterei wurden zwischen den Stämmen sichtbar.

Die Lage des Hauses übertraf seine Erwartungen; es stand auf einer Bergwiese, von der aus nach der einen Seite hin sich ein freier Blick in’s Land darbot; zur andern Seite des schlichten Holzbaues erhob sich ein schönbewachsener Fels, von dem ein Wässerchen herabsickerte und an welchen sich ein Wald mit niederem Unterholz anschloß.

Er wählte sich im Gebüsch einen Platz, nahm seine Mappe auf die Kniee und begann das friedlich hübsche Bild zu zeichnen.

Da plötzlich vernahm er eine helle Kinderstimme, und aus dem Hause hervor lief ein kleines Ding im Hemdchen mit bloßen Füßen quer über die Wiese dem Walde zu. Gleich hinterher sprang die leichte Gestalt eines schlanken Mädchens; es holte den kleinen Flüchtling ein, neigte sich, redete zum Guten, hob das Kind auf den Arm und wandte sich dem Hause zu.

[514] Dem Zeichner fiel sein voriges Gelüst nach einem Glase Milch ein, er stand rasch auf und befand sich neben dem Mädchen, bevor es noch mit dem Kinde die Hausthür erreicht hatte. Als sich die beiden Blondköpfe nach ihm umwandten, ward er überrascht von der wunderbaren Schönheit des älteren. Er glaubte nie ein so frisches, idealschönes Angesicht gesehen zu haben. Aus großen blauen Augen schaute sie ihn fragend an.

Er sagte, daß er als Zeichner komme, drüben am Waldesrande sein Geräth habe und um eine Erquickung bitte. Sie hieß ihn sich auf die Bank setzen, sie wolle nur die kleine Schwester hineintragen, dann bringe sie ihm, was er wünsche.

Einige Minuten saß er allein auf der rohgezimmerten Bank, unter den duftenden Goldlackstöcken, die im Fensterbrette standen. Der Hund legte zutraulich die kalte Schnauze auf sein Knie und ließ sich den Kopf krauen.

Bald kam das Mädchen mit Brod und Schinken, sie hielt einen Krug in der Hand und eilte zum Stalle, um frische Milch zu holen; behende war sie auch damit zurück. Sie nahm die Kleine auf den Schooß, setzte sich zum Gaste, nöthigte ihn zuzugreifen und plauderte mit ihm und dem Kinde.

„Mein Lenchen rannte mir weg,“ sagte sie. „Gelt, Schatzel, wolltest dem Vater nach? Aber durch den wilden Wald, wo die großen Hirsche sind, kann klein Lenchen noch nicht laufen!“

„Ihr Vater ist hier der Förster?“ fragte Goethe, „er mußte wohl des Herzogs Treibjagd mitmachen, und so sind Sie allein geblieben?“

Das Mädchen bejahte; es erzählte von seinen Geschwistern, die alle schon auswärts wären, daß ihre Mutter vor einem Jahre gestorben sei und daß sie nun das Kleinste groß zu ziehen habe; dabei herzte sie das Kind, und man sah, es war ihr keine schwere Pflicht.

Goethe fand, daß er von hier auf den Wald, der vor ihm empor stieg, auf die Fernsicht zur Seite und ein Stück vom Felsen einen höchst malerischen Blick habe und seine Zeichnung viel bequemer auf dem Tische vor der Försterei anfertigen könne, als drüben unter den Bäumen, mit der Mappe auf den Knieen.

Als er diese Meinung aussprach, freute sich seine junge Wirthin sichtlich und rief: sie habe sich immer gewünscht, zu sehen, wie ein Bild gemacht werde.

Das Kind spielte, während er jetzt zeichnete, zu seinen Füßen mit dem Hunde, und Gretchen, das ältere Mädchen, kam und ging, sah dem Zeichner über die Schulter, staunte seine Geschicklichkeit an und plauderte dabei voll Natürlichkeit und Anmuth.

Goethe betrachtete mit echter Künstlerfreude ihre tadellose Schönheit; ihr mattblondes Haar hing in zwei dicken Zöpfen lang über den Rücken herunter, die weichen, regelmäßigen Züge konnten nicht lieblicher sein. Endlich bat er sie, sich ihm gegenüber zu setzen, er wolle sie zeichnen. Sie hatte nichts dagegen, sie müsse nur erst ihre Kuh füttern; darauf nahm sie ihren Strickstrumpf und setzte sich nach seiner Angabe.

Als sie dann des Weiteren hin und her redeten, erzählte sie ihm, daß sie siebenzehn Jahre alt, und – mit hellem Erröthen fügte sie hinzu, daß sie einem jungen Chirurgen unten in Ilmenau verlobt sei; sie könne aber den Vater noch nicht verlassen, und ihr Bräutigam habe auch noch keine sichere Brodstelle, deshalb dürfe an Heirath noch nicht gedacht werden.

„Ja,“ sagte sie überlegend, „wenn der Herzog den Johann späterhin fest anstellen wollte, könnte mein Vater – in ein paar Jahren vielleicht mit einer guten Magd oder einer Tante von uns fertig werden, allzu bald verlasse ich ihn und mein Lenchen aber nicht.“

Als sie so erzählte und sich dabei einmal zur Seite wandte, rief sie plötzlich: „Ach, der Hansel!“ und eilte in’s Haus.

Goethe war überrascht ihrem Blicke gefolgt; er sah einen Capitalhirsch, vorsichtig äugend, drüben aus dem Walde auf die Wiese treten. Das stolze Thier hob und senkte langsam den Kopf mit dem mächtigen Geweihe, das wie eine hohe, vielzackige Krone über der Stirn aufragte. Dann schritt es sicher und vornehm langsam, hier und da wieder Umschau haltend, unter den breitästigen Buchen hervor.

Gretchet trat mit einigen Kastanien in der Schürze aus dem Hause, rief dem Hunde ein „Kusch!“ zu und ging dem Ankömmling entgegen. Der Hirsch blieb mit stolz gehobenem Kopfe, bereit zu fliehen, aber noch vertrauend, auf seinem Flecke stehen.

Das Mädchen hielt die Schürze auf und rief das schöne Thier mit Schmeichelnamen. Es folgte langsam, äugend, dann aber ruhig aus der Schürze fressend, wobei seine Freundin ihm die Backe klopfte. Als die Kastanien verzehrt waren, kam sie zurück, während der Hirsch im Walde verschwand.

Mit Vergnügen hatte der Dichter den Vorfall beobachtet. Gretchen erzählte ihm, indem sie mit heiterem Lachen ihre schweren Zöpfe zurückwarf: ihr schöner Hansel komme schon seit langer Zeit fast täglich. Zuerst habe sie ihm sein Lieblingsfutter auf die Wiese geworfen, jetzt nehme er’s zutraulich aus ihren Händen. Sie habe nur eine große Angst, daß der Herzog einmal hier im Reviere jagen werde und daß dann der prächtige Gesell daran glauben müsse.

Während sie noch hin und her plauderten, kam der Förster nach Hause. Er berichtete von der beendeten Jagd, und Goethe sah jetzt, daß die Sonne niedrig stand.

Als Förster Slevoigt erfuhr, daß der Gast zu des Herzogs Gefolge gehöre, erbot er sich, ihm die kürzesten Fußpfade zu weisen, auf denen er von hier aus zum Gickelhahn gelangen könne, und meinte, daß er quer durch den Wald, bei rüstigem Zuschreiten, in einer Stunde dort sein werde.

Goethe brach auf und reichte mit herzlichem Danke Gretchen die Hand. Er wurde vom Vater eine Strecke Wegs begleitet und mit Jagdgeschichten unterhalten, auf die er nur zerstreut lauschte. Das schöne Mädchen und das Idyll dieses Tages erfüllten seine Gedanken!

Nachdem er sich von dem gefälligen Führer verabschiedet hatte und Ruhe fand, die empfangenen Eindrücke zu verarbeiten, festigte sich in ihm der Entschluß, die Försterei nie wieder aufzusuchen, auch den anderen Männern nichts von Gretchen Slevoigt zu sagen; sie war von einer zu wunderbaren Schönheit! Besonders wünschte er sie vor dem Herzoge zu hüten. Gretchen hatte schon ihren Weg gewählt; mochte sie still wie eine Wunderblume auf der grünen, von keinem fremden Fuße entweihten Waldwiese weiter blühen, bis ihr Geliebter sie schützend an sein Herz nahm! Leise sang er vor sich hin:

„Im Walde sah ich ein Blümlein stehn,
Wie Sterne leuchtend die Aeuglein schön,
Ich wollt’ es brechen, da sagt es fein:
‚Soll ich zum Welken gebrochen sein?‘“

[530]
17.

Die Festlichkeiten auf der Ettersburg waren zur allseitigen Zufriedenheit abgelaufen. Die Hofgesellschaft kehrte nach Weimar zurück und bereitete sich auf neue gesellige Freuden vor, als eine Trauernachricht für kurze Zeit eine ernste Gemüthsstimmung unter den lustigen Weltkindern verbreitete.

Es langte von den Verwandten Emiliens von Werthern auf Leitzkow die Anzeige ihres plötzlichen Todes in Weimar an, und lief bald als Neuestes, Schreck verbreitend, von Mund zu Mund.

Die junge reizvolle Frau, bewundert und beneidet, der Ausgelassensten Eine, plötzlich dahingerafft, mitten aus dem blühenden Leben fort – es war erschütternd für alle jene fröhlichen, lebenslustigen Gemüther, die kaum jemals an ein Ende solcher guten Zeit gedacht hatten, oder doch nur an ein ganz fernes, das sich lange vorher mit grauen Locken und lebensmüder Hinfälligkeit ankündigt. Das Ergreifendste aber war ein leises Gerücht, als sei die Nachricht, daß Emilie am Schlagfluß gestorben, nicht wahr, als habe sie gewaltsam und von eigner Hand geendet.

Der so plötzlich verwittwete Rittmeister von Werthern hatte die Trauerkunde nicht einmal so früh erhalten, um zur Beerdigung hinüber zu reisen. Er schien nicht sonderlich betrübt, was Niemanden Wunder nahm, da das Verhältniß des Ehepaares zu einander kein Geheimniß geblieben war.

Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, die alte würdige Frau von Werthern persönlich aufzusuchen. Er hatte so manche frohe Stunde mit der hübschen Milli vertändelt, hatte einen pikanten Reiz in dem Kokettiren mit ihr gefunden, daß er jetzt in seinem warmen, ehrlichen Herzen sich recht erschrocken und betrübt fühlte. Mochte sein eigentliches Liebesempfinden bei jenem Verkehr auch kaum gestreift sein, so war es doch die beste Cameradschaft gewesen, welche jetzt von der rauhen Hand des Todes so plötzlich getrennt wurde. Er fand die alte Dame, bei der er seinen Besuch zuvor hatte ansagen lassen, gefaßter als er fürchtete. Sie kam ihm mit der feinsten Form entgegen; und bald waren diese beiden Menschen in einer ernsten Unterhaltung.

„Mein armer Liebling,“ sagte Frau von Werthern mit bebender Stimme, „ist früh hinweggerafft; wie sollte aber ich darüber klagen, da für mich ja ein Wiedersehen so nahe liegt. Was mich betrifft, so will ich Eurer Durchlaucht nicht verhehlen, daß ich Gottes gnädige Fügung bewundere. Jetzt darf ich es wohl aussprechen, daß dies liebenswürdige Geschöpf nicht glücklich war; ach, und sie hätte es so sehr verdient! – Wenn ich hinzufüge, daß einer jungen schönen Frau, die ohne Schutz und Stütze von Seiten ihres Gatten dasteht, Gefahren drohen, werden Eure Durchlaucht mich gewiß verstehen. Wir sind mehrmals überein gekommen, daß der Tod besser sei als ein Verirren vom rechten Wege. Sie wollte so gern brav und tugendhaft bleiben, meine kleine leichtlebige Tochter; jetzt ist sie allen Versuchungen entrückt; wohl ihr!“

„Ich fühle den Vorwurf, der in diesen Worten liegt, verehrte Frau,“ entgegnete der Herzog tief bewegt. „In seiner ganzen Schwere verdiene ich ihn aber nicht. Es war zwischen uns immer nur auf eine flüchtige Unterhaltung abgesehen; ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nie etwas gethan habe – und hoffentlich nie gethan hätte – was Emilie mit ihrem Gewissen in einen Conflict hätte bringen können. Außerordentlich bedaure ich in diesem Augenblicke mein Verhalten, da ich fürchten muß, daß es Ihnen Anlaß zu Besorgnissen gegeben hat.“

Frau von Werthern konnte dies nicht in Abrede stellen, war aber in ihrem loyalen Herzen gerührt, ja geradezu ergriffen von der Offenheit und Güte ihres jungen Landesherrn; sie gab diesen Empfindungen Ausdruck, und man trennte sich beiderseits mildbewegten Gemüths.

Karl August fühlte sich heute weich gestimmt. Nie war ihm bisher in seiner jungen Ehe das Bedürfniß gekommen, mit Luisen [531] eine Verständigung zu suchen, jetzt aber empfand er Verlangen darnach. Verheirathet, ehe er den Wunsch empfunden, hatte er den Besitz der liebenswürdigen Frau bis jetzt nicht zu schätzen gewußt. Es war nicht das Rechte zur rechten Zeit gewesen. Aber sollte sich nichts nachholen lassen? Getrieben von einem warmen Impulse, verließ er die milde alte Frau mit dem guten Vorsatz, einmal bei seinem jungen Weibe anklopfen zu wollen.

Seine Gemahlin trauerte wie er; sie hatte gleich nach ihrer Rückkehr von der Ettersburg Nachricht vom Tode ihrer geliebten Schwester – der Großfürstin Paul in Petersburg – erhalten, und ihm fiel ein, daß er sie in den letzten Tagen nur flüchtig und dann mit verweinten Augen gesehen habe. Mitleidige Sympathie und eine größere Gleichstimmung als je zuvor ließen ihn mit erwartungsvoll pochendem Herzen ihrer Thür nahen.

Luise saß in tiefes Schwarz gekleidet, die Hände im Schooß gefaltet, das feine, bleiche Haupt gesenkt, in ihrem Zimmer, dem Vorlesen ihrer Gesellschaftsdame, des Fräuleins Henriette von Wöllwarth, lauschend. Es war ein Gesang aus Klopstock’s eben erschienenen Messias, den Henriette mit kräftig ernster Stimme und einem gewissen monotonen Pathos vortrug.

Als der Herzog, den man nicht gewöhnt war um diese Stunde hier zu sehen, plötzlich eintrat, blickten sich beide Damen erschrocken nach ihm um und erhoben sich gleichzeitig zur Begrüßung; Luise sank müde wieder auf ihren Stuhl zurück, das Hoffräulein machte eine tiefe Verbeugung.

Karl August reichte seiner Frau mit theilnahmsvollem, zärtlichem Ausdruck seiner lebhaften Augen die Hand; Luise senkte ihre Blicke, die sie nur flüchtig erhoben hatte, sogleich wieder und verharrte in einer matten Apathie.

Sich jetzt zu dem Hoffräulein wendend sagte der Herzog einfach: „Ich möchte mit meiner Frau allein sein.“

Henriette sah ihn erstaunt an, so ernsthaft und ruhig war ihr Gebieter nie gewesen; sie wiederholte ihre Verbeugung und verließ das Zimmer, worauf er ihren Platz einnahm.

Jetzt blickte auch die Herzogin fragend zu ihm auf.

Als er schwieg und – wie stets, von ihrer Erscheinung, ihrem Ausdruck erkältet – nicht gleich das rechte Wort finden konnte, um eine Unterhaltung anzuknüpfen, rief sie:

„Ist etwas Besonderes geschehen? Ist wieder eine Trauerbotschaft gekommen?“

„Nein,“ entgegnete er ernsthaft, „ich dächte, wir hätten Beide genug.“

„Wir?“ fragte sie, und lehnte sich mit kühler Gereiztheit zurück. „Bis jetzt hast Du an meinem Verlust, der mich so tief schmerzt, nicht diesen persönlichen Antheil genommen.“

Er ward verlegen. Niemals sonst – nur ihr gegenüber, die es hätte vor Allen verstehen sollen, ihn behaglich zu stimmen – hatte Karl August mit einer Anwandlung von Verlegenheit zu kämpfen. Und da etwas Derartiges seiner freimüthigen Natur fern lag, seinem Blut ein fremder Tropfen war, dessen er sich gewöhnlich in derber Weise entledigte, ward dieser lästige Einfluß, der von ihrer Persönlichkeit auf ihn ausging, eine der Ursachen jener traurigen Entfremdung, welche zwischen ihnen bestand.

Karl August hatte in seiner geraden Arglosigkeit in der That gar nicht daran gedacht, daß er kaum Theilnahme von seiner Frau bei dem Verluste einer Coeur-Dame erwarten könne, die, ihrer ganzen Art nach himmelweit von Luisen verschieden, dieser gewiß sehr wenig sympathisch gewesen war. Was sollte er jetzt sagen? Sollte er plötzlich über den Tod der ihm unbekannten Schwägerin mit ihr klagen, oder sollte er seinen von dem ihren so verschiedenen Herzenskummer ihr verrathen? Sein gerader Charakter verschmähte Alles, was einer Verstellung ähnlich sah, und so erwiderte er ihr nach kurzer gedankenvoller Pause: wie er ja über den Tod der Schwester ihr sein Bedauern längst ausgesprochen, wie sie keinen eigentlichen Schmerz von ihm erwarten könne, da er die Verstorbene nie gesehen habe, und wie er jetzt betrübt zu ihr komme, um ihre Theilnahme an dem Tode der kleinen Werthern – der ihm nahe gehe – zu suchen, bei deren trefflicher alter Schwiegermutter er eben gewesen sei.

„Die kleine Werthern?“ sagte Luise kühl, „ja, ich hörte, daß sie plötzlich irgendwo auf dem Lande gestorben sei. Das mag einer so lebenslustigen Person schwer geworden sein; da sie es aber einmal überstanden hat, wüßte ich nicht, was mein Gemahl in ihr oder mit ihr verloren haben könnte?“

Sie sprach das in der allerruhigsten, gleichgültigsten Weise. Sie hätte ihn um die Welt nicht verrathen mögen, welche peinvollen Stunden eifersüchtiger Sorge sie der hübschen Verstorbenen halber schon durchlitten, wie oft sie sich gekränkt gefunden, wenn sie gesehen, daß Emilie es verstand, den Herzog zu erheitern, und wie viele Male sie die Leichtigkeit und Grazie jenes jungen Weibes zu besitzen gewünscht hatte. Sie that aber jetzt, als habe sie nie geahnt, daß der Herzog Milli bevorzuge.

Er begriff diese Arglosigkeit nicht, die er für volle Nichtbeachtung seiner selbst nahm.

„Wenn ich froh und lustig bin,“ sagte er jetzt in verdrießlichem Tone, „willst Du nichts davon hören; wenn mich etwas betrübt, ist Dir’s einerlei; ich möchte wissen, wann wir uns einmal in derselben Empfindung begegnen, und ob wir uns jemals verstehen werden?“

Dieser Vorwurf berührte das Herz der jungen Frau auf das Schmerzlichste, da er die Wahrheit traf; die Wahrheit, welche sie anerkennen mußte, so sehr sie auch darunter litt. Was sollte sie aber thun? Wie konnte sie mit ihm über den Tod einer Frau trauern, deren Hinscheiden ihr doch die größte Erleichterung verschaffte! Sie war viel zu rein, viel zu stolz, sich mit der Lüge einer solchen Trauer zu beflecken, und fand in ihrem hülflosen Ungeschick keinen anderen Ton, als den kühler Gleichgültigkeit. Ihre geringe Anlage für unbefangene, liebenswürdige Gefühlsäußerungen wurde aber unter den ihr beschiedenen Verhältnissen weder geweckt noch gepflegt. Karl August besaß nicht die Zartheit und Consequenz, um ihr Empfinden heraus zu locken und zu schonen. Ihre scheue Zurückhaltung, ihr Festhalten an der anerzogenen strengen Form langweilten ihn; er wollte heitere, ankömmliche, derbe Menschen! – Wagte sie sich einzelne Male mit leisen Symptomen ihres Empfindungslebens hervor, so beachtete er dieselben, an stärkere Reizungen gewöhnt, gar nicht, verschüchterte sie, widersprach ihr und beging täglich Dinge, die sie – wenn sie es gewagt hätte, ihn streng nach ihrem Sinne zu beurtheilen – Rohheiten und Tactlosigkeiten genannt haben würde. Sie liebte ihn aus Pflichtgefühl – eine davon abweichende Neigung wäre dieser Natur nicht möglich gewesen – und empfand es stets als Schmerz, ihm ihre Liebe nicht zeigen zu können. Aber ebenso wie ihr Sein einen Druck auf ihn ausübte, so empfand sie in seiner Nähe die Scheu der zarten Seele vor der Möglichkeit einer von ihm ausgehenden harten Berührung.

Auch diesmal fanden Beide keine Verständigung.

Der Herzog ließ sich, halb aus Aerger und Eigenwillen, jetzt noch lobender über die Verstorbene und betrübter über den Verlust aus, welchen er mit ihr erlitten, als er vorher gewollt hatte. Er sagte mehr, als er empfand, sagte, daß er Milli gern gehabt habe. Luise ärgerte ihn mit ihrer kühlen Passivität, mit der er nichts anzufangen wußte. Hätte er sie doch aufstacheln, beleben, einmal zur Heftigkeit reizen, bis auf den Grund zur vollsten Offenheit erschließen können! –

Sie war ein Wesen, das er nicht begriff; ihr schweigendes Zurückweichen hielt er für Trotz, ihr stilles Dulden für Kälte, er glaubte, es liege nur an ihrem mangelhaften guten Willen, sich ihm so warm und offen zu geben, wie er sie zu finden begehrte.

Als er sie jetzt wieder so weit in sich verscheucht sah, daß sie bewegungslos mit niedergeschlagenen Augen dasaß, kein Wort sprach, kaum zu hören schien, sprang er auf, murmelte zwischen zusammen gebissenen Zähnen: „Automat!“ und stürzte fort.

Er fühlte sich so sehr in seinem innerstern Gleichgewicht gestört, daß er aus eigener Kraft kein Behagen wiederfinden konnte und sich mächtig gedrängt fühlte, ein Aussprechen mit dem verständnißvollen Freunde zu suchen. Unverweilt eilte er nach Goethe’s Gartenhaus am Stern hinaus, um sein Herz vor dem Getreuen auszuschütten. Es war ein schöner, warmer Sommerabend; Goethe begoß seine neben dem Häuschen gelegenen Blumenfelder. Sowie er, sich von seiner Arbeit aufrichtend, dem heranstürmenden Herzoge in’s Gesicht sah, las er in dessen erregten Zügen, daß etwas Besonderes vorgefallen sein müsse. Prüfend und fragend senkten sich seine Blicke in die Augen des Andern.

„Komm, Wolfgang,“ sagte der Fürst gereizten Tones, „laß Deine Blumen und schenke mir die Wohlthat einer liebevollen Linderung meiner Herzensdürre.“

Er nahm Goethe’s Arm und zog ihn unter die Bäume, auf schattigen Terrassenwegen hinan, auf denen sie in der Stille und [532] Einsamkeit eines Waldpfades mit einander allein waren und wo nichts des Herzens, freie Sprache hinderte.

„Und nun –,“ so schloß Karl August, sein ehrliches Bekenntniß – „nun komme ich zu Dir, um einen gesunden Athemzug zu thun, des Grimms ledig zu werden Und mich mit mir selber zurecht zu finden. O, warum sind doch zwei so verschiedene Naturen an einander gekettet!“

„Und die Fürstin ist so verehrungswürdig,“ sagte Goethe mild. „Mitleidig sehe ich sie auf ihrer einsamen Höhe; ohne Talente, ohne Wirksamkeit auf Andere, abgeschlossen, schwerlebig, aber rein und klar wie Bergwasser.“

„Und ebenso unangreiflich, unter den Händen kühl verrinnend. Man kann ebenso gut Wasser mit der Scheere schneiden, wie Eindruck auf diese Natur machen! Dagegen das arme Ding, die Milli! Ein immerwährendes Schillern, Reizen, Ausweichen und Entgegenkommen; ein Spielzeug in lustig wechselnden Formen. Sie war mir nicht so werth wie Du, ich habe sie kaum recht lieb gehabt, aber sie wird mir in jeder Gesellschaft fehlen, und mein Herz kommt mir leer vor, wie ein ausgeblasenes Ei.“

„Könnte man doch in dasselbe die rechtmäßige Bewohnerin, Dein Weib, triumphirend hinein führen! Fände sich doch eine Hülfe, Euren Mißklang zur Harmonie zu lösen! Aber Alles bleibt bei der Herzogin in verschlossener Knospe. Das Zugeschlossene schließt Alle zu, das Offene öffnet, vorzüglich wenn Hoheit in Beiden wohnt. Trotz Allem ist Luise ein Engel!“

„Ho ho!“ rief der Herzog und sah den Freund scharf an.

„Das war ein starker Ausdruck! Gehst Du zur feindlichen Partei über?“


18.

Der Herbst kam. Es war beschlossen, in Tiefurt ein Erntefest zu begehen; der ganze Hofkreis sollte – zu einer ländlichen Maskerade ausstaffirt – dort erscheinen und sich in ungebundener Weise ergötzen. Das kleine Kammergut Tiefurt, an beiden Ufern der Ilm gelegen, gehörte der Herzogin-Mutter, die hier dem Prinzen Konstantin mit Knebel seinen Wohnsitz angewiesen hatte, aber selbst oft auf Wochen mit Thusnelda draußen war. Sie ließ dann nach ihrem Sinn arbeiten und bessern und die Umgebung mehr und mehr verschönern. Wieland, der hier oft bei seiner Gönnerin weilte, nannte den Park einen so holden Zauber, daß er ihn gegen das allerbrillanteste Stück der Feenwelt nicht vertauschen möchte!

Das Schlößchen, eigentlich nur ein zweistöckiges Wohnhaus mit fünf Fenstern in der Front und einem Wirthschaftsgebäude, wurde von prächtigen Kastanien beschattet; wilder Wein deckte das Nebengebäude und die Mauer, welche den Oekonomiehof absonderte. Unten wohnte Knebel mit seinem Prinzen und einem Kammerdiener. Auf der andern Seite des Flurs lagen ein paar Gastzimmer, von denen das beste vorwiegend für den Herzog bestimmt war. Oben befanden sich die Gemächer der Herzogin, der Göchhausen und einige Gesellschaftsräume.

Die Herzogin Luise hatte zu dem heutigen Feste mit ihrem Hofstaat absagen lassen; nur Henriette von Wöllwarth, die dienstfreie Hofdame, durfte erscheinen. Luise hielt sich seit jener unerfreulichen Berührung mit ihrem Gemahl, unter dem Vorwande in Trauer zu sein, streng abgeschlossen und brütete in Trostlosigkeit über der fürchterlichen Bitterniß jenes Bekenntnisses Karl August’s: der Neigung für die Verstorbene. Luisens reine Natur konnte darüber nicht hinauskommen; sie nahm die übermüthige Knabenlaune ihres Gatten für ebenso heiligen Ernst, wie solcher ihr ganzes Empfinden beseelte, und zog sich tief verletzt immer mehr von ihm und in sich selbst zurück.

Die Herzogin Amalie war recht erleichtert, daß Luise mit ihrem Hofpersonal ihr harmlos lustiges Fest nicht stören werde. Es hatte zwei Uhr geschlagen, um drei erwartete man die Gäste aus Weimar. Alles war vorbereitet, und die Herzogin ging in ihr Schlafzimmers um Toilette zu machen. Die Göchhausen stieg mit ihr die Treppe hinan, da ihr kleines Gemach nicht weit von dem der Herzogin lag.

„Komm mit zu mir herein, Thusnelda,“ sagte Amalie, „Du wirst immer noch fertig.“

Das Hoffräulein trat mit in das Zimmer der Herrin. Demoiselle Kotzbue, die hübsche Kammerfrau der Herzogin, hielt deren ländlichen Putz bereit. Während sie ihr den Puder aus dem Haar bürstete, dasselbe mit rothen Bändern in zwei starke Zöpfe flocht und sie stattlich als Wirthin und Pachtersfrau herausstaffirte, plauderte die Herzogin mit der Vertrauten.

„Deine Schulzin schläft diese Nacht natürlich im Wirthschaftshause,“ sagte sie zunächst zu der Göchhausen. „So leid mir’s thut, Kotzebue,“ fuhr sie dann fort, „Sie müssen auch dahin; wir brauchen hier jedes Winkelchen für die Gesellschaft. Ihre Kammer wird Damengarderobe. Für den Herzog, für Goethe, Wieland, Einsiedel und Steins sind unten die Zimmer fertig, sie bleiben ein paar Tage hier.“

Thusnelda Göchhausen schlüpfte in ihr Gemach, wo die Schulzin sie eilig in ein drolliges kleines Bauernmädchen umwandelte.

Der Herzog, Constantin, Goethe, Wieland und Einsiedel hatten sich, in ihrem ländlichen Putze einander belachend und neckend, schon auf dem Rasenplatze vor dem Hause eingefunden.

„Solch eine Maskerade bei hellem Tage, im Sonnenscheine, zwischen grünen Bäumen und anderen Wirklichkeiten, ist ein Götterspaß!“ rief der Herzog mit jugendlicher Heiterkeit. „Nie sah ich einen würdigeren Erbonkel, als hier unsern liebwerthesten Gevatter Wieland. Ein gediegeneres Prachtstück von einem Dorfältesten kann man sich nicht denken!“ fügte er, den Hofrath halb umarmend, hinzu. „Und unser süßer Constantin sieht aus, als wolle er, von seiner Lina angelächelt, ein weiß Lämmlein am Seidenbande auf die elysische Weide von Camillenblumen und Rosenblättern führen!“

Der schlanke Prinz schnitt ein Gesicht und wandte sich ab, ihm war es so durchaus Ernst mit seiner sentimentalen Gemüthslage. Er empfand tiefer als der burschikose ältere Bruder und trachtete voll heiliger Scheu darnach, die lebhaften Regungen seines jungen Herzens zu verhüllen.

Mittlerweile fuhren die ersten Wagen der Stadtgäste in der Allee herauf, und zugleich trat Anna Amalia mit der Göchhausen, Herrn und Frau von Stein und Knebel, Alle in ländlichem Putz, vor die Thür. Die beiden Steins sollten Hofknecht und Magd vorstellen, die Göchhausen war Kleinmädchen – wie sie selbst sagte: Kükenlise –, Knebel aber galt für den Hausherrn und Pachter und spielte eine recht würdige Figur mit seinem breitschößigen Rocke und den rothen Tragbändern auf weißem Hemde.

Die Gäste, welche mit ihren Rollen und dem Festprogramm vertraut waren, fuhren unter Winken und freudigen Zurufen am Schlosse vorbei auf den Pachthof, wo jeder Wagen mit Musik empfangen wurde. Ihnen schlossen sich einzelne Gefährte an, die Gäste brachten, welche am Erntezuge nicht betheiligt waren.

Wieland hatte sich mit zu den Hausgenossen gesellt, während der Herzog, Constantin, Goethe und Einsiedel, durch ein Mauerpförtchen nach dem Wirthschaftshofe schlüpfend, dort die Ankömmlinge begrüßten und ihren Festzug ordneten.

Es währte nicht lange, so war Alles bereit. Blasend schritten einige Dorfmusikanten voran, denen der ganze Aufzug folgte. Zuerst kam der mit vier Pferden bespannte Erntewagen, auf dem Auguste von Kalb und Henriette von Wöllwarth mit dem Erntekranze saßen; bunte Bänder flatterten und Blumengewinde hingen von oben herunter. Auf dem vordersten Sattelpferde ritt der Herzog als erster, auf dem andern Goethe als zweiter Fahrknecht. Mit Rechen, Sicheln, Garben, grünumwundenen Schäferstäben, Netzen, Körben und anderen Geräthen folgte nun eine erlesene Schaar jugendlicher Theilnehmer; Alle in ländlich buntem Anzuge, phantastisch herausgeputzt.

Man nahm Aufstellung; während die Musik ein lustiges Stückchen blies, stiegen die Reiter ab, halfen den beiden Mädchen vom Wagen und trugen den Erntekranz zu dem Herrn und der Herrin. Es folgte ein Anreden- und Antwortenspiel, welches, von Hildehrand von Einsiedel verfaßt, munter von den Betheiligten vorgetragen, Sinn und Zweck der Auffahrt darthat und die Gesellschaft angenehm unterhielt. Den Schluß machte die Aufforderung der Herrin: zum Danke für die Erntemühen Bewirthung und Tänzchen anzunehmen.

Der Herzog als Großknecht antwortete für die Uebrigen: die Einladung freue sie herzlich. Das Spiel war zu Ende, und eine angenehme, heitere Unterhaltung folgte.

[547] Weißgedeckte Tische standen im Fluge unter den Kastanien des Tiefurter Parkes und füllten sich, als der Erntezug zu Ende war, mit Tassen, Kuchenkörben und Kaffeekannen; die dörfliche Musik verstärkte sich zur herzoglichen Capelle, nahm in einem Seitengebüsch Aufstellung, und die Gäste begrüßten sich lachend und scherzend in zwanglosem Verkehr. Man fand Platz, wie man ging und stand, die bäuerlich gekleideten Damen schenkten selbst den Kaffee ein, und alle ließen sich’s wohl sein.

So scheinbar unwillkürlich und absichtslos sich die Gäste auch zusammen gefunden hatten, so waren sie doch sämmtlich Leute aus der großen Welt, verknüpft durch verstohlene Beziehungen unter einander, oder getrennt durch Antipathien, die größtentheils von andern geahnt und berücksichtigt wurden und so Jeden zu Jeder führten, wie der Zug des Herzens es forderte.

Hier saß der schöne Wedel, als stämmiger Jägersmann, neben Henriette von Wöllwarth, der er seit einiger Zeit huldigte, und die ihm heute in ihrem grünen Rock und ihrem knappen Mieder, mit dem klugen, frischen Gesicht unter der grünbebänderten Haube, besonders gut gefiel. Sie benahm sich auch nicht so kühl, wie er sie sonst gefunden hatte, und er begann, sich ihr gegenüber mit ernsthaften Plänen zu tragen.

Ein neues Brautpaar in seiner Nähe erhöhte seine Lust zu einem gleichen Vorgehen. Es war dies Karoline Ilten’s ältere Schwester mit ihrem Bräutigam, dem Lieutenant von Lichtenberg; dieser, sonst ein rauher Mann und ganz Husar, that heute als Schäfer recht zart und lieb mit seiner Schäferin.

Prinz Constantin war bei der Rollenvertheilung zur Führung der Schäferpaare bestimmt; da aber die Herzogin seine ernsthafte Neigung für Karoline nicht billigte, hatte sie ihm eine andere Dame gegeben und das betrübte Linchen als Fischerin mit Herrn von Seckendorf verbunden. Constantin ließ nun den Kopf hängen, gestattete seinen Augen einen Verkehr, der ihm persönlich abgeschnitten war, und konnte seinen Mißmuth kaum verbergen, so sehr auch Fräulein von Klinkowström, das er führte, sich um seine Aufmerksamkeit bemühte.

Der Herzog flatterte unstät umher; er war durchaus nicht schwermüthig, solche Stimmung lag seinem heitern, derben Wesen fern, ihm fehlte aber der rechte Anreiz zum Fröhlichsein.

Wenn er an Luise dachte, geschah es mit dem Gefühl der Erleichterung, daß sie nicht da sei; Milli war auch halb vergessen, aber er neckte hier und da unbewußt schärfer als sonst, er blieb nicht lange auf demselben Platz, ihn verlangte darnach sich auszutoben, toll lustig zu sein, die Stunde zu nutzen und zu genießen.

Dort saß die jung vermählte Schwägerin der Frau von Stein, Sophie von Schardt, geborene Gräfin Bernstorf aus Holstein; ein zartes, liebliches Weib, der die süße Kinderseele aus den großen, fragenden Augen blickte.

Hier versuchte Frau von Stein, Goethe zu dem braunen Trank zu überreden, der ihm zuwider war. Die ließ sich dann – während er ihr die Kaffeekanne abnahm und sie der blonden Karoline von Ilten darreichte – an seiner Seite festhalten.

„Ihr Getränk mag ich nicht,“ sagte er und fügte mit innigem Blick hinzu: „überlassen Sie die Hebepflichten den Misels, die sich was drauf wissen, zwischen den Gästen herum zu hüpfen, und gönnen Sie mir ein Viertelstündchen Wohlsein in Ihrer Nähe. Schier hab ich einen Pik auf mich, daß ich Ihnen so gut bin, da Sie mir immer aus dem Wege gehen, wie soll ich’s aber ändern?

„So lassen Sie’s beim Alten,“ sagte sie herzlich. „Ich weiche Ihnen nicht mehr aus, als ich muß; Sie wissen, daß man sich in der guten Gesellschaft nicht absondern und ausschließen darf; sind wir mit einander allein, dann können wir uns in unsere Plauderei versenken.“

„Dich sehen, liebste Frau, ist für mich Alles!“ flüsterte er, sich zu ihr neigend. „Du bist die einzige unter den Weibern, die mir eine Liebe in’s Herz giebt, welche mich glücklich macht.“

„Die Herzogin winkt!“ rief sie sich erhebend und eilte, von Amalien einen Auftrag entgegen zu nehmen und auszurichten, dann aber, auf den Wunsch der hohen Frau sich neben, sie zu setzen.

Der Herzog ließ sich jetzt neben Goethe nieder.

„Da sie Dir doch abspenstig gemacht ist, deren Farben Du innerlich trägst,“ sagte er neckisch, „kannst Du Jeden hier dulden. Wenn ich nur wüßte, bei welchen schönen Augen ich mich herum lügen und trügen soll! Gustchen ist heute nicht übel – Bauermädel wie’s sein muß – die macht einem das Liebeln bequem; vielleicht komme ich nachher bei der Hüpferei besser vorwärts.“

Der Kaffee war getrunken, die Musik spielte einen Ländler. Der Herzog sprang auf, wählte Auguste von Kalb und war mit ihr der Erste und Unermüdlichste auf dem grünen Plan. Auch Goethe warf sich der Lust des Tanzes mit frohem Jugendmuth in die Arme.

Als sich die Freunde in einer Pause wieder trafen, rief Karl August:

„Mein nußbraun Mädel hat mich angewärmt, sie spielt die Gurli pompös, und da es heut Maskerade ist, hab ich so natürlich ein Durcheinandrium von Unsinn und Zärtlichkeit geschwatzt, daß ich beinah mir selber glauben könnte!“

„Ja!“ erwiderte Goethe mit freudigem Auflachen, „man muß den Lebensrausch im geselligen Strudel vor sich her peitschen und die sinkende Lust immer wieder aufjagen!“

Und vorwärts ging es, diesem Grundsatze getreu, sowie die Musik auf’s Neue intonirte.

„Eben habe ich mit Thusnelda gewalzt,“ sagte der Herzog, sich die erhitzte Stirn trocknend, worauf er Goethe’s Arm nahm und einen schattigen Bosquetweg mit ihm verfolgte.

„Der Hafer, sticht das kecke Ding; sie ist noch eitel Uebermuth ihres glücklichen Entrinnens halber, damals im Winter. Es läßt mir keine Ruhe, ich muß ihr einen Streich spielen. Diesmal soll sie mir nicht entkommen, denn alle Chancen sind für mich. Hör’, sie soll für diese Nacht ihr Quartier einbüßen; es ist Niemand im Hause, der ihr aushelfen kann, und ich sehe sie schon demüthig kümmerlich in einem Winkel hocken. Morgen früh wollen wir dann die übernächtige Bäuerin abfassen, sie in’s Grüne schleppen und mit ihr einen Rundtanz auf dem thauigen Rasen halten!“ Er brach in ein übermüthiges Gelächter aus.

Als Karl August sich anschickte zur Gesellschaft zurückzukehren, sah er seinen Bruder, in zärtlichem Gespräch mit dem geliebten Linchen, den Laubengang heraufkommen; sowie das vertiefte Paar seiner ansichtig wurde, errötheten Beide lebhaft. Karolinchen zog den Arm aus dem ihres Cavaliers und schlüpfte in den nächsten abzweigenden Weg, Constantin aber blieb stehen und erwartete den Herzog.

„Na, mein Junge,“ sagte dieser herankommend, „werden da wieder verbotene Früchte genascht?“

„Du hast gut reden, Karl,“ entgegnete der Prinz bitter, „Dir ist so früh das süße Eheglück gewährt, daß Du ein sehnendes Herz gar nicht zu begreifen weißt und eines Unglücklichen nicht noch obenein spotten solltest.“

Der Herzog war nicht aufgelegt, sentimentale Regungen zartsinnig zu behandeln. Kurz auflachend, sagte er:

„Tröste Dich, Kleiner, das Glück, eine Gemahlin zu haben, ist nicht so groß.“

„Da würde ich gewiß anderer Ansicht sein,“ entgegnete Constantin innig.

„Vielleicht hat Luise noch eine wohlerzogene, vermögliche Prinzeß Cousine, mit der man Dich versorgen könnte.“

„Ich danke!“ rief der Andere kurz und folgte seiner holden Freundin.

Wieder war eine Weile getanzt, als die Pause eintrat, welche dem Abendessen voranging, das gleichfalls an den Tischen unter den Kastanien eingenommen werden sollte. Der Herzog hatte – vielleicht in einem Anfall neckischer Laune gegen den Freund – sich zu Frau von Stein gesellt und diese zwischen sich und Knebel eingefangen, worauf Goethe der Aufforderung Hildebrand’s von Einsiedel willfahrte, mit ihm durch die Anlagen zu gehen.

Sie waren achtlos des Weges auf einen Hügel im Park gelangt, von dem aus sie einen schönen Rundblick hatten und [548] auch die Dorfstraße hinauf sehen konnten, an der Gehöfte zerstreut im Grünen unter Bäumen und Büschen lagen.

Auf der Dorfstraße kam ein bestaubter Reisewagen durch ausgefahrene Geleise daher geschwankt; ein Frauenkopf neigte sich heraus; zwar war die Entfernung noch zu groß, um Gesichtszüge zu unterscheiden, er schien aber jung und anmuthig:

„Komm, Hildebrand, die schöne Reisende müssen wir begrüßen!“ rief Goethe; derbe Lebenslust kam über ihn, mit einem Satze sprang er von oben über die Hecke auf den Pachthof, riß von dem festlich geputzten Erntewagen, was er an Blumenguirlanden fassen konnten und rannte über den Hof zum Thor hinaus auf die Landstraße. Einsiedel that ihm alles nach.

Da standen nun die idyllisch geschmückten schönen Jünglinge, die Arme voll Blumen, mit lang nachschleppenden Gewinden, und warteten tief athmend, bis der Wagen herankam.

„Laß uns sie ansingen,“ flüsterte Goethe dem Gefährten zu und stimmte sein Lied vom Haideröslein an, Einsiedel sang mit:

„Sah ein Knab’ ein Röslein stehn,
Röslein auf der Haiden.
War so jung und morgenschön,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah’s mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein roth,
Röslein auf der Haiden!“

Indem sie laut jauchzend die letzten Reihen wiederholten, stürmten sie den müden Pferden entgegen, die verdutzt stehen blieben. Die jungen Männer warfen ihre Blumengewinde in und über den Wagen und schauten hinein.

Zwei halb erschrockene, lächelnde Mädchengesichter tauchten hinter dem Ledervorhang auf. Es war Corona mit ihrer Freundin, der blonden Gärtnerstochter, die aus Leipzig kamen und nach Weimar übersiedelten.

Goethe’s Wiedersehensfreude in diesem Augenblicke begeisterter Stimmung war hinreißend feurig; er küßte wiederholt der schönen Sängerin die Hand und bat sie, auszusteigen und an dem Fest theilzunehmen; daß sie willkommen sei, wolle, er verbürgen.

Er hatte aber nicht mit der weiblichen Eitelkeit gerechnet, die in diesem Falle das Schicklichere traf. Corona erklärte, daß es unmöglich sei, in ihren bestaubten Reisekleidern vor dem festlich geputzten Hofkreise zu erscheinen.

„Nun, dann geleiten wir Sie ein Stück Weges!“ rief Goethe entschlossen. Er hatte des Gefährten nicht geachtet; ein fragender Blick Corona’s zur Seite belehrte ihn über sein Versäumniß. Sogleich bat er die Unachtsamkeit zu verzeihen und stellte den Hofrath und Kammerherrn von Einsiedel vor.

Beide sahen sich sekundenlang groß an; es spiegelte sich der Eindruck, den sie auf einander machten, in ihren leuchtenden Blicken.

„Sie sind uns ein hochwillkommener Gewinn, schöne Künstlerin!“ rief der junge Hofmann begeistert. „Möchte Ihr Sein in unserem Kreise diesem festlich sonnigen Tage gleichen, an dem uns das Glück zu Theil wird, Sie zu empfangen!“

„Sie fallen aus der Rolle, mein dörflicher Galan!“ erwiderte Corona lächelnd, „oder sind in diesem glücklichen Landstriche Alle, bis auf Fischer und Bauern herab, poetisch gebildete Leute?“

Bevor man ihr antworten konnte, trat grüßend ein Lakai heran und meldete: er sei von der Herzogin ausgesandt, die beiden Herren zu suchen; man erwarte sie an der Abendtafel.

Nur ungern trennten sich die jungen Männer von der schönen Reisenden. Mit einem allseitigen: auf baldiges Wiedersehen in Weimar! schied man von einander.

„Corona ist da!“ rief Goethe dem Herzoge zu, ein Wort, das mit verheißungsvollem Klange an den Tafeln wiedertönte. Hildebrand von Einsiedel aber setzte sich still an seinen Platz, er war sehr zerstreut und wortkarg gegen seine Nachbarinnen.

Der Abend brach endlich herein; Windlichter und bunte Lämpchen im Parke halfen der Mondsichel ein magisches Halblicht verbreiten. Man erhob sich, noch ein Tänzchen ward versucht, dann aber drängten die älteren Personen zum Aufbruche; die Wagen fuhren vor, mancher Händedruck wurde gewechselt, hier und da ein verstohlener Kuß im Bosquetschatten – und das schöne fröhliche Fest war zu Ende.

Den fortrollenden Wagen nachsehend, standen die Hausgenossen und Gäste, welche hier Quartier bekommen hatten, vor der Hausthür.

„Komm, Thusnelda, ich bin todtmüde,“ sagte die Herzogin zu ihrer Getreuen, „wir wollen uns zur Ruhe begeben.“

Das Hoffräulein schickte sich an, mit einigen ihrer drolligen Knixe und: „Gute Nacht! Gute Nacht!“ rufend, der Gebieterin zu folgen.

„Seien Sie nicht grausam, Tuselchen,“ sagte der Herzog bittend, „uns schon jetzt zu verlassen; gehen Sie noch einmal mit durch den Park, ich kann noch nicht in’s heiße Bett; lassen Sie uns noch plaudern, kritisiren, dumme Schnäcke machen. Wer versteht das besser als Sie? Um unsere Tugend nicht in Gefahr zu bringen, soll Freund Wolf uns begleiten. Gelt, wir geben ein lustiges Kleeblatt?“

„Bist Du nicht allzu müde, so thue ihm den Willen,“ sagte die Herzogin gütig. „Aber höre, poltere nicht in Deiner Kammer, wenn Du herein kommst, ich muß Ruhe haben!“

Die Göchhausen war bereit, des Herzogs Wunsch zu erfüllen; sie verabschiedete sich von ihrer Gebieterin; die anderen Hausgäste zogen sich in ihre Zimmer zurück, und das kleine Hoffräulein wanderte lachend am Arme des jungen Fürsten, Goethe auf ihrer andern Seite, in den Park hinaus.

Man löschte eben eine der bunten Lampen nach der andern aus, die Dienerschaft räumte die Tische fort und verschwand auf dem Wirthschaftshofe. Die lustigen Drei tauschten in unerschöpflicher Laune kernigen Blödsinn gegen einander aus, untermischt mit treffenden Witzen, und das Wortgefecht, das Necken und Scherzen wollte kein Ende nehmen. Endlich standen sie wieder vor der offenen Hausthür und traten ein, die Letzten, welche noch wach waren. Zwei Wachskerzen brannten auf einem Seitentische. Der Herzog überreichte mit einem zierlichen Complimente seiner Dame die eine und Goethen die andere. Dann sagte er mit ironischer Betonung:

„Wir wünschen dem süßen Fräulein, das wir morgen noch als ‚Kükenlise‘ sehen werden, eine entzückende Nacht!“

„Die Kükenlise verschwindet mit Hans und Peter, den Großknechten, denen ich gleichfalls gute Nacht wünsche!“ entgegnete das junge Mädchen, die Treppe hinauf steigend.

„Sie verschwindet nicht!“ lachte der Herzog, „und macht morgen früh, in selbiger Gestalt, mit uns ein Tänzchen auf dem Rasen!“ Er reckte sich dabei, blies das Licht der Göchhausen aus und folgte rasch dem voran gegangenen Freunde.

„Ich werde auch so meine Kammer finden!“ rief sie ihm nach. Ein schallendes Gelächter und das Geräusch des Zuschließens der Thür folgte.

Auf die Treppe fiel ein schwacher Mondstrahl; die Göchhausen stieg guten Muthes hinauf und bog leise, um die Herrin nicht zu stören, in den jetzt ganz finsteren Gang, an dem ihr Zimmer lag.

Sie fuhr mit den Händen an der Wand hin, um tastend ihre Thür zu finden – aber da, wo ihre Thür ganz sicher sein mußte, wo sie immer gewesen – war alles glatt, kein Holz, kein Schloß, kahle ebene Wand!

Es überlief sie kalt, wie bei einem Spuk. Wo war ihre Kammerthür geblieben? Sie tastete noch einmal – vergebens! Sie kehrte zur Treppe zurück, um sich in dem matten Lichtschimmer zu erholen, sich zu besinnen, gewann die Ueberzeugung, daß sie verkehrt gegangen sei, sich geirrt habe, und ging nochmals zurück, um auf’s Neue zu suchen und ebenso vergeblich umher zu tasten. Jetzt ward ihr klar, daß ihr so oder so ein Streich gespielt worden, daß die Artigkeit der jungen Männer eine List gewesen sei, daß man sie in eine Falle gelockt habe. Sie entschloß sich also, in einem Lehnstuhle oder auf einem Sopha der Gesellschaftszimmer zu übernachten, suchte die Thüren, fand sie aber sämmtlich abgeschlossen.

Was blieb ihr übrig? Es war Niemand im Hause, den sie wecken oder belästigen mochte; fröstelnd und müde setzte sie sich auf die oberste Treppenstufe. Pläne, sich an den beiden Schelmen zu rächen, besonders dem Herzoge über kurz oder lang einen Possen zu spielen, stiegen in ihr auf, dazwischen nickte sie öfter ein, raffte sich wieder zusammen, um nicht hinunter zu fallen, und erwartete mit Sehnsucht den ersten Tagesschimmer.

Als sie dann in dem Gange, der nach ihrer Kammer führte, etwas erkennen konnte, machte sie sich auf, den geheimnißvollen Grund ihres Ausgeschlossenseins zu erkunden.

Siehe da – ihre Thür war zugemauert!


[558]
19.

Nach dem Schloßbrande 1774 hatte man, um dem Kunstbedürfnisse des Hofes, besonders der Herzogin Anna Amalie, zu genügen, zuerst im Fürstenhause auf einer kleinen Bühne französische Stücke gegeben. Als dann Goethe die Leitung der gesellschaftlichen Freuden in die Hand nahm, wurde in dem Saale eines Hauses an der Esplanade eine größere Bühne aufgeschlagen und schon im vorigen Winter zu verschiedenen Aufführungen deutscher Stücke benutzt. Es spielte da vor einer gewählten Gesellschaft wer irgend Talent besaß, gewöhnlich aber gaben die Kammersängerinnen sowohl im Singspiele wie auch im Drama die Hauptrollen.

Mit dem Eintreffen Corona Schröter’s erhielt die Theaterlust neue Nahrung. Die Künstlerin richtete sich mit ihrer treuen Wilhelmine häuslich ein und trat bald unter großem Beifall in Concerten und Hofgesellschaften auf.

In derselben Weise wie im vorigen Jahre folgten auch in diesem Winter die geselligen Freuden, gleich einem Fries bunter Märchengestalten, einander auf dem Fuße. Alle die künstlerisch wirksamen Menschen ersannen täglich Neues und fanden von allen Seiten Beifall und Verständniß für jeden geistreichen und poetischen Gedanken.

Wie die einsame Trauerweide im einem Garten voll blühender Blumen, voll fruchttragender Bäume stand die Herzogin Luise zwischen der lebensfrohen Menge. Entschiedener noch als im ersten Winter ihrer Ehe mied sie die Freuden der Geselligkeit. Immer noch unter dem Vorwande der Trauer um den Tod der Schwester, immer noch im schwarzen Kleide, war sie nicht zu bewegen, in größere Kreise zu gehen, und schien selbst kleine Gesellschaften widerwillig zu besuchen.

Dem Herzoge ward dieses Wesen aber so unverständlich und so unbequem, daß er bereitwillig den unausgesprochenen Wunsch der Gattin erfüllte und sich, wo es anging, von ihr fern hielt. Er wußte, daß die stillschweigende Trennung zwischen ihnen seit Emiliens Tode und der sich daran knüpfenden peinlichen Unterredung datire; aber er, dem gänzlich entfallen war, was er eigentlich Verletzendes gesagt hatte, begriff nicht, wie Luise so lange zürnen konnte.

Mittlerweile suchte er sich auf jede andere Weise schadlos zu halten und machte verschiedenen Damen der Gesellschaft den Hof. Keine aber vermochte ihn dauernd zu fesseln. Auguste Kalb war ihm zu entgegenkommend, die Göchhausen zu wenig schön, Adelaide Waldner zu kindisch, Karoline Ilten zu verliebt in seinen Bruder, die liebliche Sophie von Schardt, die junge Schwägerin der Stein, zu harmlos und tugendhaft. Endlich interessirte ihn die ehrliche, frische Henriette von Wöllwarth, doch sah er, daß er seinem treuen Kumpan Wedel damit arg in’s Gehege komme, und so mußte er auch hier zurücktreten.

Goethe hatte sich entschlossen, auch den Winter über in seinem Gartenhause am Stern auszudauern. Er meinte, das alte Haus lasse sich repariren und das Gärtchen an der Ilm sei ihm gar zu lieb. Dann dichtete er mit Moos und Werg Fenster und Thüren und richtete sich mit seinem Philipp in dem engen Neste wohnlich ein. Man betrat das Haus durch eine vom [559] Garten herein führende Thür; unten hauste der praktische Famulus; eine schmale Treppe führte in den oberen Stock, hier schlossen sich zwei Stuben mit einem Altane und zwei kleine Seitencabinete dem engen Flure an.

In dem größeren Zimmer mit schlichtester Einrichtung saßen Mitte December der Herzog und Goethe in traulichem Gespräche beim knisternden Holzfeuer des großen Kachelofens.

Karl August klagte endlich dem Freunde die fortdauernde Trennung von seiner Frau, über die er bislang geschwiegen, weil er Goethe auf Seiten der Herzogin gesehen und sich dadurch verletzt gefühlt hatte.

„Solche Maulerei und thörichte Pikirtheit, die kein Ende finden kann, ist mir unausstehlich,“ sagte er jetzt rückhaltlos. „Du weißt, wir hatten im Sommer etwas wie einen Zank, ich mag wohl zu derb geworden sein, ein paar unbedachte Worte hingeworfen haben! Ich schwöre Dir aber, daß ich von der ganzen Geschichte nichts Genaues mehr weiß; und sie spinnt sich daraus einen Trauermantel, den sie sammt ihrer Duldermiene gar nicht wieder los wird. Diese Sentimentalität ist mir zu arg!“

Goethe vertheidigte die Herzogin mit warmen Worten.

„Wußt’ ich’s doch im Voraus, daß Du ihr Advocat sein würdest!“ rief Karl August unzufrieden. „Deshalb habe ich Dir auch nichts wieder von unserem Zwist gesagt; nun aber kommt im Januar ihr Geburtstag heran; der Besuch des Cousin Ferdinand von Braunschweig ist in Sicht, da muß Luise doch ihre Trauerflöre abthun, repräsentiren und aufhören mir ein grämliches Gesicht zu schneiden, sonst heißt es in der Verwandtschaft, wir leben wie Katze und Hund zusammen.“

„Besinne Dich, womit Du sie beleidigt hast; bei Milli’s Tode fand Eure Entzweiung statt? Wenn ich Arzt sein soll, muß ich genau den Sitz des Uebels kennen.“

Der Herzog beichtete; so gut er sich jener Unterredung noch entsann, suchte er sie wieder zusammen zu stellen.

„So glaubt sie also Deine Liebe verloren zu haben?“ rief Goethe bewegt, „so trauert sie um ihr verlorenes Eheglück? Und Du bist nicht davon ergriffen, bist nicht in tiefster Seele gerührt?“

„Rührung hin, Rührung her!“ knurrte der Herzog unwirsch.

„Setze sie mir zurecht, weine meinetwegen mit ihr, aber mach’ sie wieder entgegenkommend und vernünftig.“

„Sie verhält sich stolz und ablehnend gegen mich, sie hält mich für feindlich gegen sie gesinnt, und ich verehre sie doch so innig. Aber laß mich überlegen, ich will versuchen ein Festspiel zu erdenken, das, auf sie gemünzt, ihr vielleicht zu Herzen geht.“

Einige Wochen später ward die lustige Welt von Weimar durch die Nachricht lebhaft in Bewegung gesetzt, Goethe habe zum Geburtstage der Herzogin Luise ein neues Drama gedichtet, Seckendorf die darin vorkommenden Lieder in Musik gesetzt, Aulhorn werde Ballets arrangiren, und nun solle es an ein Vertheilen der Rollen, an unterhaltende Proben und an alle jene Vorbereitungen gehen, die oft ergötzlicher sind als der Festabend selbst. Die Jugend zeigte sich, wie immer, voller Bereitwilligkeit, und das Unternehmen ward mit allen Kräften in Angriff genommen. So kam der festliche Tag, der 30. Januar heran.

Der Herzog hatte seiner Gemahlin durch die Oberhofmeisterin Gräfin Gianini sagen lassen, er hoffe sie an ihrem Geburtstage in farbiger Gesellschaftstoilette zu sehen.

Am Morgen des Tages ließ er bei ihr anfragen, wann sie ihn empfangen wolle.

Sie ließ erwidern, daß sie immer für ihn bereit sei.

Er ging also mit einem Schmuckkästchen, das ein Halsband von Türkisen enthielt, etwas unbehaglich gestimmt – denn seit jenem unliebsamen tête-à-tête hatte er nie versucht sie allein zu sehen – zu ihr in den grünen Salon.

Luise war heute weiß gekleidet, sie sah aber ebenso bleich und niedergeschlagen aus wie immer, und sowohl ihre beiden Hofdamen, wie auch die Oberhofmeisterin waren zugegen. Damit war jede Möglichkeit einer intimeren Erörterung abgeschnitten.

So sehr nun Karl August auch Versöhnung wünschte, athmete er doch erleichtert auf, als es jetzt noch nicht zu der halb gefürchteten Aussprache zwischen ihnen kommen konnte. Diese Frau hatte ein Etwas in ihrem Wesen, das ihn beklemmte, und stets fühlte er sich ihr gegenüber in einer fremden Atmosphäre. Er übergab mit einem kurzen Glückwunsch sein Geschenk, küßte seine Gemahlin auf die Wange, nahm zu einer kurzen, gleichgültigen Besuchsunterhaltung mit den Damen Platz und war froh, als die Geburtstagscour der Gratulanten das Zimmer derart anfüllte, daß von einer persönlichen Berührung nicht mehr die Rede sein konnte.

Nach einem Hofdiner in den üblichen Formen sollte zum Abend die Aufführung des lange vorbereiteten Festspiels folgen.

Der Saal, in welchem an der einen kürzeren Seite die Bühne aufgeschlagen worden, prangte heute in besonderem Schmuck. Tannengewinde und Treibhauspflanzen, reichlichere Beleuchtung als sonst, Fahnen, Inschriften und Festons bildeten ein heiter einladendes Ganze.

Die Mitglieder des Hofes, welche nicht als Darsteller im Stück beschäftigt waren, umgaben die in weiße Seide gekleidete junge Herzogin, an deren Halse der ihr vom Herzoge verehrte Schmuck glänzte, und eine befohlene große Gesellschaft füllte alle übrigen Zuschauerplätze.

Eine Festouvertüre, unter Leitung des Capellmeisters Wolf, von den sechsunddreißig Mitgliedern der Capelle vortrefflich ausgeführt, eröffnete das Spiel.

Dann trat Karoline von Ilten, anmuthig als Amor gekleidet, hinter dem Vorhang heraus, ging auf die Herzogin zu, überreichte ihr einen Theaterzettel – während die Gesellschaft durch Lakaien mit Zetteln versorgt wurde – und trug, zaghaft stockend, neben gereimten Glückwünschen, die Bitte vor, das folgende Spiel, von Amor selbst ersonnen, sich wohl gefallen und zu Herzen gehen zu lassen.

Der Komödienzettel lautete:

Festspiel

zu Ehren des Geburtstags Ihrer Durchlaucht, der Herzogin Luise von
Sachsen-Weimar-Eisenach,

am 30. Januar 1777.

Lila, ein Drama mit Gesang und Tanz.

Personen:
Baron Sternthal Sr. Durchl. Herzog Karl August.
Lila, seine Gemahlin Demoiselle Corona Schröter.
Marianne, seine Schwester Frl. Heimelte von Wöllwarth.
Schwestern der Lila Auguste von Kalb
Frl. Adelaide von Waldner.
Graf Altenstein Oberstallmeister von Stein.
Graf Friedrich, sein Sohn Oberforstmeister von Wedel.
Doctor Verazio Legationsrath Goethe.
Der Oger,[1] der Dämon, Feen, Spinnerinnen, Gefangene.

Das Stück handelte von einem durch Mißverständnisse getrennten Ehepaare und ging mit phantastischen Erscheinungen, Tänzen und Chören ergötzlich vorüber. Lila, die aus Irrthum und Wahn den Verstand verloren hat und stets Trauerkleider trägt, wird durch Doctor Verazio-Goethe hergestellt und mit ihrem Gemahl wieder vereinigt. Zuletzt singt sie:

„Ich habe Dich, Geliebter, wieder,
Umarme Dich, o bester Mann!
Es beben alle mir die Glieder
Vom Glück, das ich nicht fassen kann!“

Lebhafter Beifall folgte. Die Idee, der trübsinnigen jungen Herzogin ein Spiegelbild vorzuhalten, wurde auch recht wohl verstanden, doch hütete man sich, laut davon zu sprechen.

Welchen Eindruck die Herzogin selbst empfangen haben mochte, war schwer zu beurtheilen. Sie behielt stets in voller Selbstbeherrschung die Haltung ruhiger Würde. Wie üblich erhob sie sich nach dem Spiel und sprach mit den vornehmsten Personen ihres Kreises. Auf ein warmes Lob des Stückes und der hübschen Vorstellung von Seiten ihrer lebhaften Schwiegermutter antwortete sie mit edler Ruhe, daß es eine geschickt arrangirte Darstellung gewesen sei, die recht unterhaltend gewirkt habe. Dann fragte sie ablenkend, als eine Schaar Lakaien die Stuhlreihen forträumte und die Capelle sich anschickte auf der Bühne Platz zu nehmen, ob man noch zu tanzen beabsichtige. Die Herzogin Anna Amalie verneinte und sagte, so viel sie wisse, solle nur ein Souper an kleinen Tischen folgen.

Eine der andächtigsten Zuschauerinnen war Christel von Laßberg an der Seite ihrer Tante Barbara gewesen. Ihre großen blauen Augen weiteten sich immer mehr, und immer lebhafter zuckte die innere Erregung in ihren zarten Gesichtszügen, je phantastischer sich die Handlung entwickelte. Es schien ihr, als [560] lebe sie selbst zwischen diesen Spukgestalten, diesen Feen, Spinnerinnen und Gefangenen, die sämmtlich dem Winke des Magus Goethe gehorchten.

Nach einer langen und schweren Krankheit im Frühjahre hatte Christel ihr Traumleben in aller Stille fortgeführt. Da ihr Ungeschick, sich in der großen Welt zu bewegen, noch dasselbe war, mußte sie sich in diesem Jahre noch von aller Geselligkeit fern halten und durfte nur heute ausnahmsweise der Einladung zur Geburtstagsfeier der Herzogin folgen. Welch eine Fülle von Bildern und Eindrücken empfing sie wieder im tiefsten Heiligthum ihrer Seele! Wie köstlich schien es ihr, unbeachtet den Herrlichen in seiner Sicherheit und Schönheit als Meister des Spiels wirken und walten zu sehen!

Zwischen den Coulissen stehend, erwartete Wedel seine Partnerin Marianne-Henriette von Wöllwarth – die jetzt zu ihm trat. Wie hübsch und stattlich sie in der rosenfarbenen Tracht der Feenkönigin aussah! Er bot ihr zärtlich dem Arm, um sie die Stufen des Podiums hinunter im den Saal zu führen.

„Nun ist das hübsche Spiel und ,Liebendürfen‘ wieder vorbei, theure Marianne!“ sagte er mit theatralisch wehmüthigem Pathos. „Ich fürchte, es wird mir nicht gelingen, diese Maske abzulegen, diese vortreffliche Angewohnheit wieder los zu werden. Wie wäre es, wenn auch Sie’s versuchten, den Schein zur Wirklichkeit zu erheben?“

Unter solchen halb scherzhaft gesprochenen, halb ernsthaft gemeinten Worten führte er Henriette unter die herzu drängende, beglückwünschende Menge.

Die Tische zum Souper waren im Saale aufgestellt; Luisens Hofmarschall Graf Görtz hatte es gar eilig, die für den Tisch der Herzogin bestimmten Personen zu benachrichtigen; die übrige Gesellschaft setzte sich nach Willkür und Neigung zu einander.

Hildebrand von Einsiedel, der nur im Chor beschäftigt gewesen, führte Lila-Corona zu Tisch. Goethe, der sich von Frau von Stein getrennt sah, welche an die Tafel der Herzogin befohlen war, nahm mit Adelaide von Waldner und einigen Paaren von der Schauspielergesellschaft an lustiger Tafelrunde Platz. Im Stillen hatte er gehofft, heute auch mit an den Tisch der Herzogin Luise gewünscht zu werden, da er es doch war, welcher ihr Fest verherrlichte. Er erwartete verständnißvolle Rührung in ihrem ernsten Auge zu lesen und war verstimmt, daß es ihm nicht geglückt war, der hochverehrten Frau noch vor dem Souper zu nahen. Mit Ungeduld flogen seine feurigen Blicke zu der fürstlichen Tafel und suchten nur einem Augenaufschlage von ihr zu begegnen.

Sie saß ruhig und edel da in ihrem Kreise, anscheinend unberührt von Allem, was geschehen und was noch um sie geschah.

Endlich erhob sich das herzogliche Paar, die ganze Gesellschaft folgte, und nun schloß noch eine letzte ungezwungene Unterhaltung die Freuden des Abends.

Es währte nicht lange, so nahte Goethe der Herzogin. Er stand jetzt dicht an ihrer Seite; sie schien ihn aber nicht zu bemerken und sprach angelegentlich mit der Gräfin von Werthern von Neuheiligen.

Da sah der Herzog des Freundes Verlangen und kam ihm in seiner resoluten Weise zu Hülfe.

Er bot der Gräfin den Arm, rief: „Du mußt die schöne Frau auch mir einmal gönnen, Luise!“ und führte die Dame in eifrigem Gespräche davon. Die Herzogin wandte sich halb und wollte an Goethe vorüber auf die Geheimräthin von Bechtoldsheim zugehen; er aber vertrat ihr den Weg und sagte, während hohe Röthe über seine schönen Züge flammte:

„Bin ich denn wirklich bei Eurer Durchlaucht in Ungnade gefallen?“

Luise maß ihn mit einem großen Blick: „Wünschen Sie etwas, Herr Legationsrath?“ fragte sie eisig.

„Ja!“ erwiderte er jetzt fest, „ich wünsche zu wissen, womit ich Eure Durchlaucht beleidigte?“

Um ihre Mundwinkel zuckte es wie Weinen, und sie flüsterte: „Halten Sie mich für so schwerfällig im Begreifen, daß ich den Sinn Ihres Festspiels nicht erfaßt haben sollte? Oder glauben Sie, daß es einer Fürstin, einer Frau gleichgültig sein kann, wenn sie vor der ganzen Gesellschaft als eine geisteskranke Thörin hingestellt wird?“

„Durchlaucht! Herzogin! Um Gottes willen, diese Auffassung?“ rief er in tiefstem Erschrecken.

„Still!“ raunte sie ihm zu. „Verschlimmern Sie nicht Alles durch noch einen Eclat!“

Graf Görtz trat in diesem Augenblicke heran, er sagte höhnisch, aber in submissester Haltung: „Ein reizender Anblick, wie der Dichter aus höchster Hand seinen Lorbeer empfängt!“

Die Herzogin entgegnete gefaßt: „Die Verse des Herrn Legationsrath Goethe waren in der That charmant; führen Sie mich an meinen Wagen, Graf!“


[578]
20.

Nach jener Abfertigung durch die verletzte junge Herzogin hatte Goethe eine unruhige Nacht unter Selbstvorwürfen zugebracht.

Er konnte nicht sagen, wie der Herzog, dem er sogleich Luisens Aeußerungen mitgetheilt: „Das ist ja eine verflucht sensible Närrin!“

Er sagte: „Die Frau hat Recht, und ich begreife meine Verblendung nicht!“

Am andern Tage in aller Morgenfrühe wanderte er, um sich Rath und Trost zu holen, durch den knisternden Schnee am „Stern“ nach Stein’s Hause hinüber.

Er fand die Freundin noch mit Mann und Kindern am Frühstückstische und ward von allen herzlich als Hausfreund empfangen. Karl trug ihm einen Stuhl an den Tisch, der kleine Fritz kletterte auf seinen Schooß, Charlotte reichte ihm die Hand zum Kuß und ließ ihm eine Tasse Chocolade bringen, da er den Kaffee stets verschmähte.

Der Oberstallmeister, welcher sich in seiner Rolle als Graf Altenstein und später in seiner Verkleidung als Oger recht wohl gefallen hatte, rief vergnügt:

„Na, Doctor, schon ausgeschlafen? Wohl geruht auf den Lorberen?“

Charlotte dagegen fand kein lobendes Wort für ihn, und Goethe fühlte, daß sie eine Kritik im Rückhalt habe, die sie ihm für eine ruhige Stunde des Alleinseins spare.

Der Hausherr besorgte die Unterhaltung in seinem Sinn und plauderte nach Herzenslust: „Unsere verehrte Frau Herzogin sah reizend aus in der weißen Toilette, mit dem geschmackvollen Cadeau des Herzogs, dem Türkisen-Collier! Herzog Ferdinand, unser hoher Gast, der sie noch nicht kannte, äußerte sich nach dem Souper vertraulich zu mir: ‚Bester Oberstallmeister,‘ sagte Höchstderselbe, ‚das ist ja eine merveilleuse Person; distinguirt, voll Contenance und Schick.‘ Heute wird die maskirte Schlittenpartie den hohen Gast angemessen unterhalten. Ich habe die Ehre, die Herzogin Mutter zu fahren. Durchlaucht der Herzog fährt die Gräfin Werthern, blauer Schlitten, die Kohlfüchse davor. Herzogin Luise mit Prinz Ferdinand, silberne Muschel mit den neuen Schwarzen. Du hast Dein Costüm doch parat, Frau? Janitscharenmusik voraus, wir alle als Türken hinterdrein, ein ganzer Harem entschleiert, süperbe! In Belvedere nehmen wir eine Chocolade, darauf giebt’s ein kleines Concert. Nach dem Souper Rückfahrt mit Fackeln. Auf Ihr Penchant ist auch Rücksicht genommen, Doctorchen! Excellenz von Witzleben hat die feinste Spürnase [579] für ein kleines Herzensfaible; Sie kommen mit der Schröterin und anderer Jugend in einen viersitzigen Schlitten. Es giebt aber noch tausend Dinge im Stall zu arrangiren,“ fügte er aufstehend hinzu. „Welchen Schlitten bevorzugst Du, Charlotte? Der Oderhofmarschall von Witzleben wird Dich fahren. Es ist der mit dem Schwan für die kleinen Schimmel, der rothe mit der Tigerdecke und der Mohrenkopfschlitten mit dem großen Dunkelbraunen noch zur Verfügung; überlege Dir, was zu Deiner Toilette paßt.“

Er grüßte leicht und eilte, um seine Geschäfte zu besorgen, hinaus.

Der Hauslehrer folgte gleich darauf mit den beiden älteren Knaben. Frau von Stein nahm Fritzchen an die Hand und lud den Freund ein, mit in ihr Zimmer zu kommen. Während Fritz mit seinen Bauhölzern und Soldaten in der einen Fensternische spielte, saß Charlotte mit Goethe gewohnter Weise in der andern.

„Ich sehe es deutlich in Ihren bewegten Mienen, lieber Wolf,“ hob sie teilnehmend an, „es ist etwas geschehen, was Sie quält; reden Sie, berichten Sie mir, was vorgefallen ist, dann will ich auch sagen, was ich für Sie auf dem Herzen habe.“

Aufathmend theilte Goethe der vertrauten Seele sein Mißgeschick mit. Er gestand ihr, daß er wisse, wie sehr er die Herzogin verletzt habe, statt sie – wie er nie anders gewollt und gedacht – in mildester Weise über ihre selbstgewählte trübe Lage aufzuklären und sie wie Lila versöhnt und beglückt in den Kreis der Ihren zurück zu führen. Warm, hinreißend, bilderreich sprach er sich über sein Mißgeschick aus. Und wieder gewann die ruhig lauschende Freundin einen tiefen Blick in das glühende, nach hohen Zielen ringende Herz des Dichters.

„Du siehst, liebe Seelenführerin,“ fuhr er fort, „daß ich wieder einmal Deiner bedarf. Ich gebe ja sollst nichts auf das Gerede der Leute, wenn es mit meinem für recht Erkannten im Widerspruch steht, und packe die Sticheleien geduldig auf, weiß ich doch, daß alles nur Versuche und Vorbereitungen sind. Hier aber, wo es sich um eine Andere handelt, wo ich verletzt statt versöhnt habe, quält mich das Geschehniß auf das Bängste.“

Sie hatte ihn mit keiner Silbe unterbrochen; als er sie nun, wie nach einem Urtheilsspruch verlangend, mit fragenden Augen ansah, reichte sie ihm voll Theilnahme die Hand und seufzte: „Armer Freund!“ Dann fuhr sie fort:

„Wenn Ihr Männer nicht gar so sicher gewesen, wenn Ihr zu uns gekommen wäret, Rath zu holen! Vorher war das unter Euch eine geheime Wichtigkeit, eine Selbstgewißheit. Als ich nun aber das Spiel sah, erkannte ich den ungeheuren Mißgriff! Ich wußte ganz genau: das vertrug Luise nicht; das hätte auch ich nicht vertragen! Ich konnte Luisens Gesicht nicht sehen, aber aus der Art, wie sie hastig und zitternd den Fächer bewegte, wie sie sich eifrig und gezwungen in den Pausen unterhielt, erkannte ich ihre tiefe Gemüthserregung. Mit Bedauern fühlte ich, daß auf lange hinaus viel verdorben sei.“

„Wenn ich sie nur allein sprechen, ihr erklären könnte – wirke mir das aus, Charlotte!“

„Das gerade wird die Herzogin ängstlich vermeiden. Es würde auch nichts helfen. Sie ist, zwanzig Jahre alt geworden, in ihrer einmal fest geprägten Eigenart schwer zu ändern. Daß sie Dir gestern Abend ihre Seele einen Augenblick erschlossen hat, schmerzt sie heute vielleicht mehr als alles Uebrige; sie ist ja eine so tief innerliche Natur! Sie lebt ganz einsam in der Welt und findet alle Formen, allen Verkehr zu leicht; sie besitzt keine Freundin und sehnt sich, wie ich glaube, nach keiner, weil sie die Wonne, ihr Herz aufzuthun, nicht kennt.“

„Ja, wenn ich nicht in ihre Seele sähe und so warm für sie fühlte, hätte sie mich schon oft erkältet!“ rief er zustimmend.

„Aber Du kannst uns bei ihr heraushelfen, liebste Lotte; sag, was wir thun können!“ fuhr er erregt fort.

„Versuchen kann ich’s diesen Abend in Belvedere,“ entgegnete Charlotte nachdenklich, „aber mir ahnt, daß es nichts helfen wird.“

Goethe küßte mit dankbarer Innigkeit ihre Hand, klagte, daß er bei der Schlittenfahrt wenig von ihrer lieben Gegenwart genießen werde, und verließ sie, wie immer, mit der Empfindung, daß etwas in ihm in’s Gleiche gerückt sei.

Zu Hause angelangt, hörte er, daß oben der Herzog auf ihn warte, er sprang hinauf und fand Karl August ungeduldig im Zimmer hin- und hergehend.

„Kommst Du endlich!“ rief er ihm entgegen. „Mir läßt diese dumme Geschichte mit Luise keine Ruhe. Ich bin gewiß kein Poltron, aber zu ihr sprechen, sie begütigen, dafür fehlt mir absolut die Courage. Noch vor ihrer Stubenthür würde ich auf der Schwelle Kehrt machen! Ich bin auch gründlich erbost auf sie. Dies Versöhnungsspiel von gestern war das Aeußerste, was ich noch für sie thun konnte! Weist sie die vernünftige Auffasssung meines guten Willens ab, so ist unsere Trennung ihre Schuld. Irgend Jemand kann ihr in meinem Auftrage ein Ultimatum stellen! Entweder oder! Ich werde sie laufen lassen, wenn sie nicht andere Saiten aufzieht; nur soll sie dann nicht mir unser Zerwürfniß in die Schuhe schieben.“

Goethe erzählte ihm, daß er von der Stein komme, deren Vermittelung er in Anspruch genommen und deren Zusage, einen Versuch wagen zu wollen, er empfangen habe.

„Es ist eigentlich viel zu viel Mühe, die man sich um sie giebt,“ brummte der Herzog halblaut. „Uebrigens, wenn die Stein es einmal unterninmt, kannst Du ihr sagen, daß sie auch für mich rede.“

Am Nachmittage fand die Schlittenfahrt, bei hellem Wintersonnenschein, der in bläulichen Lichtern über den Schnee glitzerte, statt.

Voran fuhr die herzogliche Capelle in phantastisch türkischem Aufputz; dann kamen zwei Vorreiter. Zunächst folgte die Herzogin Luise mit dem Gast in der Silbermuschel, Beide in buntem, türkischem Costüm, sie fast undurchsichtig verschleiert; die beiden herzoglichen Mohren standen in reicher Livree hintenauf; darauf kam der Herzog mit seiner Dame, seine Läufer zu beiden Seiten des Schlittens mit schellengeschmückten Stäben, dann die Herzogin Anna Amalie, mit zurückgeworfenem Schleier und einem brillanten-funkelnden Turban, von dem ein Reiherbusch keck aufstrebte. Sie selbst frisch, lachend und oft munter mit dem Oberstallmeister plaudernd.

Hieran schloß sich nun dem Range nach die ganze Hofgesellschaft, in kleineren einspännigen oder mehrsitzigen Schlitten. Die Musik spielte ihre lustigsten Weisen, die Schellen klingelten, die Peitschen knallten, die Zuschauer jauchzten, wo der prächtige Aufzug vorüberkam, und die helle Sonne brach sich mit Regenbogenfarben in dem schillernden Gemisch von frischem Schnee, bunten Stoffen und glänzendem Geschmeide.

So ging es lustig die gerade Kastanienallee zum Belvedereschloß hinauf!

Bald trat das im italienischen Stil ausgeführte zweistöckige Hauptgebäude deutlich hervor, vom tiefblauen, lichtdurchflutheten Frosthimmel sich scharf abhebend.

Zahlreiche Lakaien und Stallbediente unter Führung des Castellans empfingen die vorfahrenden Schlitten und leiteten die Gäste in den Speisesaal, wo eine dampfende Chocolade die Gesellschaft an den Marmorkaminen mit loderndem Holzfeuer versammelte.

Nach einer durch zwanglose Unterhaltung belebten Ruhestunde begann im angrenzenden Gemach die Musik; Corona, sowie die Rudorf, dann Beide zusammen, trugen unter lebhaftem Beifall beliebte Arien vor.

Man brachte Licht und der Tanz fing an. Anna Amalie sagte lachend zur Göchhausen:

„Spring Dich warm, Thusnelda, um für den Rückweg einzuheizen! Wir wollen keine Neige im Glase lassen!“ und eilig trat sie mit Stein zum Contretanze an.

Die Herzogin Luise konnte dem Erbprinzen, dem Vetter ihres Gemahls, den Ehrentanz nicht weigern; auch mit dem Herzoge ging sie zum folgenden Menuett. Sie gab sich Mühe, den Anschein einer zwischen ihnen waltenden Mißstimmung zu vermeiden, und das Ehepaar unterhielt sich in den Pausen über oberflächliche Dinge mit der besten Miene von der Welt. Karl August fühlte dabei aber ganz genau, wie er mit ihr dran sei; sie waren anderthalb Jahre verheirathet, und wenn im eigentlichen Sinne auch nicht durch Liebe verbunden, doch klar über ihre beiderseitige Charakterrichtung und die Art sich zu geben.

Nach diesem Menuett erklärte die Herzogin gegen ihre Umgeebung, sie scheue wegen der kalten Rückfahrt im offenen Schlitten die Erhitzung und wolle nicht mehr tanzen.

Sogleich fanden sich einige ältere oder ihr besonders ergebene Personen, die sich um sie schaarten; zu diesen gehörte Frau von Stein, der es gelang, den Lehnsessel dicht am Sopha neben der Herzogin einzunehmen.

[580] Goethe sah, während er Corona zum Walzer holte, wie günstig sich seiner Fürsprecherin die Gelegenheit darbot. Er warf der angebeteten Frau einen flammenden Blick hinüber und mußte sich zusammennehmen, um nicht zerstreut zu erscheinen.

Aber auch Charlotte von Stein, so bereitwillig sie jene Aufgabe übernommen, so lebhaft sie gewünscht hatte, das Ungeschick der Männer auszugleichen, fühlte sich plötzlich zerstreut, als sie Goethe in seiner türkischen Tracht, prächtig wie ein Pascha, mit der schönen Sängerin zum Tanze gehen sah. Eine Bitterkeit stieg im ihr auf, die ihr empfinden dem Luisens ähnlich machte. Sie bekämpfte jedoch dies Unwillkürliche, das sie völlig zu lähmen drohte, und begann, sich aufraffend, eine oberflächliche Unterhaltung mit der Herzogin. Als die Umsitzenden bemerkten, daß für sie augenblicklich das Ohr der hohen Frau nicht zugänglich sei – man hielt ohnehin Frau von Stein für die nächste Freundin – stand Einer nach dem Andern auf und trat, um dem Tanze zuzusehen, in die offene Flügelthür des Saals.

Diese Wendung der Dinge hatte die Parlamentärin erwartet und kam zur Sache:

„Durchlaucht haben einen Unglücklichen gemacht,“ flüsterte sie, sich der Herzogin zuneigend. „Der Legationsrath Goethe hat mir gestanden, daß er unter Qualen der Reue und des Bedauerns die Nacht schlaflos hingebracht habe und nichts inständiger begehre und von HöchstIhrer Gnade erflehe, als seinen Mißgriff ausgleichen, irgend etwas thun zu dürfen, um Eurer Durchlaucht Vergebung zu erlangen!“

„Geschehenes läßt sich nicht ändern. Ich wüßte nicht, wie hier etwas gut zu machen wäre,“ entgegnete die Herzogin, sich straffer aufrichtend und bleicher werdend.

„Läßt sich auch nichts ungeschehen machen, so ist Begnadigen doch das schönste Vorrecht der Fürsten. Darf ich dem reuigen Dichter, welchen sein Genius auf Irrwege lockte, den Trost der Vergebung im Auftrage meiner Gebieterin spenden?“

„Ich denke, der Herr Legationsrath wird sich gern mit der Gnade meines Gemahls begnügen.“

„Warum soll dies zweierlei sein? Warum trennen Eure Durchlaucht Ihre Getreuen in zwei Heerhaufen? Goethe ist HöchstIhnen ebenso ergeben wie Seiner Durchlaucht dem Herzoge. Er beklagt schmerzlich das Vorurtheil, als wirke er ungünstig auf seinen hohen Herrn; er möchte versöhnen, in’s Gleiche rücken, die ihm verehrungswürdigsten Menschen innig verbinden –“

„Stößt aber auf Schwierigkeiten, die“ – Luise schwieg und wandte sich mit schmerzlich zuckender Lippe ab.

„Durchaus nicht, Herzogin! Keineswegs; auch Seine Durchlaucht der Herzog beklagt vorgefallene Störungen, verletzende Berührungen und wünscht nichts lebhafter –“

„Ah, Parlamentärin!“

„Ja, Eure Durchlaucht; nennen wir es so; ich spreche in doppeltem Auftrage, und aus der Fülle meines betrübten Herzens dazu. Seien Sie versöhnlich, seien Sie gnädig und gütig für zwei Herzen, die in Liebe und Verehrung für Sie glühen –“

„Liebe? – Liebe bieten Sie in seinem Auftrage? Weil er die kokette Werthern entbehrt, keinen interessanten Ersatz findet, deshalb, als Lückenbüßer, als Almosen – sein Weib! – Großer Gott, was sage ich? Aber mag’s sein. Meine Liebe kann ebenso wenig aus ihrem Grabe erstehen, wohinein er sie gebettet hat, als seine tiefbetrauerte ‚Liebste‘. Ich bin deshalb nicht wahnsinnig wie Lila, aber ich bin eine Frau, die ein feinempfindendes Herz hat und auf ihre weibliche Würde hält. Ich bin und bleibe sein Weib, sein gehorsames Weib; ich werde ihm nie, was er von mir, von meiner Stellung zu fordern hat, versagen; melden Sie ihm das auch, aber mein Herz, das nicht begehrte, das bleibt ihm für alle Zeit verloren!“

Sie stand rasch auf, trat vor nach dem Salon, gewann in kürzester Frist Beherrschung ihrer bebenden Glieder, ihrer schmerzlich verzogenen Mienen und folgte wenige Minuten später, als der Walzer zu Ende war, dem Erbprinzen von Braunschweig zum Souper.

Kleinere Feste füllten die folgenden Tage. Unterdessen war der Gründonnerstag herangekommen.

„Willst Du übermorgen mit zur Auerhahnjagd nach der Wartburg, Wolfgang?“ fragte der Herzog Karl August Goethe, indem er in dessen Garten trat, wo der Dichter eifrig mit Spaten und Hacke ackerte. Der fleißige Naturfreund stellte seinen Spaten zur Seite, klopfte sich die Erde von den Fingern und blickte aus leuchtenden Augen den Freund herzlich an.

„Sie wissen, mein lieber gnädiger Herr,“ erwiderte er, „das Gründen und Auferbauen ist mehr meine Sache, als das Zerstören. Wenn da im dämmerigen Morgengrauen, im reinen Gottesfrieden der Natur, solch ein prächtiger, großer Vogel seine Liebestöne ausstieße, das ganze Geschöpf eitel Lust und Freudigkeit, würde ich meine Büchse herunter thun und sagen: lebe und genieße! so unwaidmännisch das auch wäre.“

[582] „Schändlich unwaidmännisch!“ lachte der Herzog, „unpraktisch poetisch, kurz, schade um den edlen Sport, Dich dazu zu laden. Ich habe aber noch ein anderes Reizmittel in petto. Ich gehe nämlich zu dieser Jagd, um eine andere abzusagen. Als persönlicher Ueberbringer einer Jagdeinladung meines geehrten sogenannten Vetters, des Landgrafen Adolf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld, war eben da – rathe wer?“

„Nun?“

„Na, ich will Dich nicht quälen! Denke Dir, Christoph Kaufmann, der Wunderthäter, jetzt sogenannter Doctor Kaufmann. ‚Wie, in aller Welt, kommen Sie denn dazu, landgräflicher Briefträger zu werden?‘ fragte ich, höchlich ergötzt den seltsamen Kauz wieder zu sehen. Er schnitt sein allerwürdigstes Gesicht, verdrehte die Augen wie ein fromm gewordener Auerhahn und flüsterte geheimnißvoll: ‚Er sendet mich!‘ – ‚Wer?‘ fragte ich, da ich mich seiner Schnurren im Augenblick nicht erinnerte. ‚Er!‘ wiederholte er mit Emphase. ‚Der Meister!‘ – ‚Den Kukuk auch, Graf Saint Germain?‘ rief ich. ‚Was hat denn der mit den landgräflichen Jagden zu thun?‘ ‚Mit der Jagd gar nichts,‘ erwiderte er gravitätisch, ‚aber die Stunde ist gekommen, in der Du den Strahlenkranz des Sturmsternes betreten mußt.‘ ‚Ah so,‘ sagte ich, ‚das ist ja famos! Ihr wollt Euch meines miserabelen Lichtkernchens erbarmen und das arme Ding in Schwung bringen? Wie war doch die Theorie Ihres interessanten Seelenfeuerwerks?‘ Er aber ließ sich nicht irre machen, sondern predigte mir wieder die ganze Geschichte vor. Ich entgegnete auf seine Einladung, welche mir allerdings zwei sehr heterogene Späße in Aussicht stellte, daß Graf Saint Germain mich aufsuchen könne wo er wolle, daß ich aber vorläufig noch nicht nach seiner Pfeife tanze. Ferner möge er Seiner Liebden, meinem Herrn Vetter, meinen schönen Dank zurücksagen und melden, ich hätte selber etliche Auerhähne in den Eisenacher Forsten zu verhören und könne diesmal nicht seiner Einladung folgen. Nun bin ich da, Dir Deinen Theil an dem Wartburgsritt anzubieten.“

[594] In dem kleinen Garten am „Stern“ auf- und niedergehend, tauschten die beiden Herzensfreunde ihre Gedanken aus. Der Herzog kam wieder auf seine Einladung zur Jagd zurück.

„Ich trenne mich jetzt ungern von diesem lieben Erdenfleckchen,“ antwortete Goethe. „Es braucht meine Kraft. Auch der Wundermann, der Sie wahrscheinlich aufsucht, lockt mich nicht. Seine Sache mag nicht ganz bedeutungslos, noch ganz Betrug sein, aber die Menschen, die sich mit solchen Heimlichkeiten abgegeben, waren mir immer verdächtig. Sie sollten sich auch nicht zu tief darauf einlassen. Ich weiß nicht, was mir für Ahnungen gleich Spinnen über’s Herz krabbeln, möglich, daß man Ihnen allerlei Ungelegenheiten bereitet.“

„Ich spüre einen Drang und Trieb, Neues zu erfahren, meinem Leben Farbe zu geben! Luise ist ja seit dem verunglückten Vermittelungsversuche der reine Stein, kühler und steifer denn je; die winterlichen Freuden sind längst erschöpft, diese Aussicht, seltsamliche Faxen zu sehen, gaudirt mich. Ich bin doch neugierig, wie weit jener wunderbare Graf, der unsere stolze Sängerin zu zähmen verstand und der Herr des selbstbewußten Schweizers wurde, meinem Ich gewachsen ist. Sei überzeugt, daß ich ihm so skeptisch wie möglich entgegentrete.“

Während sie mit einander sprachen, hatten sie die Terrasse, auf der Goethe pflanzte, verlassen und waren vorwärts schlendernd der Eingangsthür nahe gekommen.

Stein und Wedel gingen mit einander vorüber; der Herzog rief sie herein und sagte ihnen, sie könnten mit auf die Wartburg kommen, er wolle ihnen einen Auerhahn gewähren. „Hier unser Dichter,“ fügte er hinzu, „klebt, wie Ihr wißt, an der Scholle.“

„Und doch möchte ich Eure Durchlaucht um ein paar Tage Urlaub bitten. Mir scheint nach einer brieflichen Meldung des Berggeschworenen über den Treufriedrichsschacht, daß ein Nachsehen in Ilmenau nöthig wäre,“ erwiderte Goethe.

Der Herzog lachte: „Urlaub her, Urlaub hin! Kneif’ aus, alter Junge, wann Du magst. Ich werde doch Dich nicht an die Kette legen?“

Mit einer vergnüglichen Abrede, sich heute Nachmittag bei dem Ostereiersuchen der Herzogin Amalie zu treffen, trennten sich die Männer.

Das Wittthumspalais, welches die Herzogin bewohnte, war von einem großen Garten umgeben. An der einen Seite reichte derselbe bis an die Erfurter Straße, an der andern bis an einen städtischen Markt. Rund herum lief eine lebende Hecke, die jetzt schon einen grünen Anflug zeigte. Ein Lusthaus mit Malereien von Oeser bildete den Endpunkt eines schönen Baumganges, der dasselbe mit dem Hause verband. Pyramiden von Taxus, Tannen, Buchsbaum und knospendes Laub gaben den Anlagen bereits eine recht einladende Frische.

Die Glasthüren des einfachen Gartensaals der Herzogin-Mutter standen geöffnet und ließen den Duft und Schimmer des Frühlingstages einziehen in die für ein kindliches Fest geschmückten Parterrezimmer. Treibhausgewächse und Tannenzweige füllten die Ecken, aus denen von Kuchenteig gebackene Störche, Füchse und Hasen, mit einem bunten Ei unter dem Schwänzchen, zwischen Fähnchen und Düten heraus leuchteten; aber auch im Garten, auf den Spalieren, zwischen den Hecken und Büschen, lugten die gelbbräunlichen, närrischen Gestalten hervor. Die Wege waren mit frischem Kiese bestreut, und die Beete sahen fett bräunlich aus.

Jetzt öffnete ein Lakai die Thür, welche aus dem Hause in den Gartensaal führte; die Herzogin Amalie mit ihrer Thusnelda trat ein. Die hohe Frau sah hausmütterlich nach allen Vorbereitungen zu ihrem Feste und sagte dann zur Göchhausen, die am Arme einen Korb mit gefärbten, bemalten, mit Sprüchen versehenen Eiern trug:

„Nun komm’ in den Garten, Thusel, wir wollen die Eier so gründlich gut verstecken, daß die großen und kleinen Kinder sich’s rechte Mühe kosten lassen sollen, sie zu finden.“

Beide schritten die paar Steinstufen vor der Glasthür hinunter und auf dem mittleren Kieswege entlang.

Eh bien, Spiritus familiaris!“ fuhr Amalie fort, „lang’ her und steck’ sie unter, Deine Schätze!“

„Ist das wieder ein Tag, um fröhlich und guter Dinge zu sein!“ lachte die Göchhausen. „Was meinen Durchlaucht, hier in diesen Stachelbeerbusch, der aussieht, als sei er mit grünlichen Moos angeflogen, stecken wir das mit dem Sprüchlein:

‚Durch Dornen und Chicanen
Mußt Du Dir Wege bahnen!‘“

„Ja, ja! Gieb mir ein Paar. Hier zwischen den dicken purpurfarbenen Schößlingen der Kaiserkronen kann man das rothe mit dem Spruche:

‚Heiße Triebe meiner Liebe
Drängt verwegen, ihr entgegen‘

kaum erkennen.“

„‚Wie ein frisches, reines Ei,
Mädchen, Deine Tugend sei!‘

Das hat Knebel gestern Abend geschrieben; ob er dabei an das Rudelchen gedacht hat?“

„Unter dem gelben Crocus ist ein gelbes Ei kaum zu finden!“

„Hier noch ein prächtiger Platz hinter dem schiefen Spalierbaume!“

So wurden sie immer eifriger, liefen durch den ganzen Garten und hatten bald ihren Vorrath an Eiern so gut versteckt, daß es ihnen selbst schwer geworden wäre, sie alle wieder zu finden.

Jetzt schlug es drei Uhr, man konnte die Gäste erwarten. Beide Damen kehrten in den Gartensaal zurück, der sich bald mit den nahestehenden Familien füllte. Heute waren auch die größeren Kinder eingeladen; Steins brachten ihre drei Knaben mit, Wieland kam mit einer ganzen Schaar, und so schlossen sich kleine Gäste aus vielen Häusern an.

Die Herzogin, ganz Leben und Bewegung, Feuer und Fröhlichkeit zwischen den Ihren, plauderte mit Allen, vertröstete die Ungeduld der Kleinen, empfing hier, lachte da, neckte sich mit Jenem und gestattete endlich – obgleich noch die Herzogin Luise mit ihrem Hofstaate fehlte – daß man den begehrlichen Kindern zu Liebe das Eiersuchen beginne.

Die Thür des Saals wurde weit aufgerissen, und die Lust des Suchens, Naschens und Neckens bei Groß und Klein begann. Der Herzog, Goethe, die Steins, die Göchhausen, Wielands, kurz alle Genossen des fröhlichen Hofs, tollten und hetzten, lachten und spielten in rechter Kinderfestart bunt durch einander.

Nachdem das Treiben im Garten einige Zeit gewährt hatte, schlug die Herzogin Amalie eine Lotterie vor, um die appetitlichen Störche, Hasen und Füchse, die noch in den Büschen saßen, zu vertheilen. Man sammelte sich auf dem runden Grasplatze vor dem offenen Gartensaale, wo die Verloosung stattfand, und bald hatte jedes Kind sein Kuchenthierchen erhalten und fing an, die Rosinenaugen heraus zu pflücken und an den Ecken zu knabbern. Die Kleinsten wurden jetzt nach Hause geschickt. Die Größeren spielten mit den erwachsenen Personen auf dem Rasen.

Als dies harmlos lustige Treiben im besten Gange und Alles Gelächter und Fröhlichkeit war, erschien plötzlich auf den Stufen in der offenen Salonthür die Herzogin Luise mit Görtz und ihren Dienern. Sie stand da im weißen Kleide, lichtumflossen, ruhig und schön. Das Plötzliche ihres Daseins, ihr mit der herrschenden Stimmung völlig contrastirender Ausdruck erschreckte, ja erstarrte Alle.

Es war ihnen, als müßten sie sich schämen, sich schuldig fühlen, als seien sie auf einer Ungehörigkeit ertappt.

Die Herzogin Amalie faßte sich zuerst und ging ihrer Schwiegertochter artig entgegen; es lag aber auch auf ihren heiteren Zügen etwas wie Unbehagen.

Die ganze Versammlung verneigte sich, und die Kinder steckten, indem sie knixten, die angebissenen Kuchen hinter den Rücken oder unter die Schürze.

Niemand wurde aber mehr erkältet, als der Herzog; ihm schien es, als gehöre jene Erscheinung, die hier so störend dazwischen trat, einer fremden Welt an, als habe er seinem innersten Wesen nach nichts mit ihr gemein. Er vermochte es nicht über sich, ihr entgegen zu gehen, sondern wandte sich ab und murmelte ein Wort zwischen den Zähnen, das in der Erregung [595] des Augenblicks und bei der plötzlich herrschenden Stille ganz wohl verständlich Luisens Ohr traf. Sie trat eben von den Thürstufen in den Garten, ihrer Schwiegermutter die Hand reichend.

Dies eine harte Wort hieß: „Medusa!“

Erschreckt von seiner eigenen Stimme, wandte Karl August sich um; seine fragenden Augen begegneten denen seiner Gemahlin, in welchen eine Welt von Schreck, von Angst und Jammer lag. Es ward ihm sofort klar: sie hatte ihn verstanden! Aber er war bei aller Wärme und Güte ein viel zu arger Trotzkopf, um ihr zu weichen, um sein Unrecht einzusehen, wohl gar zu bereuen. Er grüßte sie kalt und sagte:

„Eure Liebden haben uns ein bischen gar zu lange schmachten lassen! Die armen Kinder würden vor Ungeduld in Krämpfe gefallen sein, wenn sie auf das Erscheinen meiner hohen Gattin hätten warten sollen. Es war gut, daß die Herzogin ein mitleidiges Einsehen hatte und ihr Fest inzwischen begann.“

Luise preßte die Lippen zusammen, öffnete sie, brachte aber kein Wort hervor; Graf Görtz dagegen rief:

„Verzeihung, Durchlaucht! Ein kleines Malheur mit dem Wagen, der fortgeschickt werden mußte.“

„So konnte man den kurzen Weg zu Fuß gehen!“ murrte der Herzog.

Luisens Damen traten auch in den Garten, und eine allgemeine Gesellschaftsunterhaltung begann, die fast den Charakter einer Hofcour annahm; man stand ehrfurchtsvoll im Kreise und die Herzogin beglückte Einen nach dem Andern mit ihrer Anrede.

Auf Anna Amaliens naturwüchsige Fröhlichkeit schien ein Rauhfrost gefallen zu sein; die herbe Berührung zwischen dem fürstlichen Paare war auch ihr nicht verborgen geblieben. Sie saß jetzt neben Wieland, den sie sich herangewinkt hatte, im Gartensaal und erwog mit dem Getreuen, dem Ex-Mentor des „Tollkopfes“, wie man auf Karl August einwirken, wie man das Ehepaar einander näher führen, wie man aussöhnen, verbinden könne.

Während Luise noch einen großen Kreis loyaler Seelen um sich versammelt hielt und mit innerlichem Weh den äußeren Formen genügte, bewegte sich ein anderer Theil der Gesellschaft wieder zwanglos im Garten.

Lange schon schritt Corona am Arme des ihr treu ergebenen Hildebrand von Einsiedel in einem halbversteckten Gange auf und ab.

„Wir sind nun so weit, herrliche, geliebte Krone der Schöpfung!“ sagte er bewegt, indem er seine schwarzen Augen mit durstiger Liebesgluth auf ihre regelmäßigen Züge heftete, „daß ich endlich offen, offen fragen darf: ist alles Dies, was mich hoffen und aufjubeln läßt, Schein und Selbstbetrug? Oder, Corona, soll ich es glauben, daß ich der glückliche Mensch bin, dem Sie Ihr Herz geben?“

„Wie oft habe ich Sie schon gebeten, Hildebrand, nicht in mich zu dringen!“ entgegnete sie stockend und versuchte ihren Arm aus dem seinigen zu ziehen.

„Ich kann Sie, die Edle, Reine, nicht für eine Kokette halten. Aber wo finde ich eine Erklärung für Ihr wechselndes Betragen? Bin ich ein eitler Narr, wenn ich zu sehen glaube, daß Sie gern, daß Sie am liebsten mit mir verkehren? Daß Ihre schönen Augen mir freudig entgegen leuchten? Wenn ich fühle, welch ein seltener Gleichklang zwischen unseren Ansichten, unseren Neigungen besteht? Wenn unsere fesselnden Erörterungen kaum ein Ende finden können? Sag’, Corona, ist dies Alles eitle, tolle Einbildung von mir? Sag’ es offen, demüthige mich, wenn es sein muß, aber laß uns Klarheit finden.“

„Ich kann es nicht, Einsiedel, ich kann nicht: nein sagen – Sie quälen mich entsetzlich!“

Der Weg endete in einer Laube, die, mit Tannen umstanden, ein verstecktes Plätzchen bot, hier trat das Paar ein und ließ sich auf der Bank nieder.

Goethe hatte den ganzen Nachmittag vergebens ein gutes Wort von der geliebten Frau zu erhaschen getrachtet, aber Frau von Stein hielt sich im Kreise der Kinder oder spazierte mit andern Damen umher. Jetzt, nachdem Luise sie einer huldvollen Anrede gewürdigt und dann sich weiter gewandt hatte, versuchte er es, hinter ihr stehend, sie für sich zu gewinnen. Er flüsterte ihr viele gute Worte zu, erlangte, daß sie, sich umwendend, antwortete, und lockte sie, in ein Gespräch verwickelt, mit sich den Hauptweg entlang, dem Bassin und Gartenhause zu.

Auf sein drängendes Fragen nach ihrer Stimmung für ihn, entgegnete sie bekümmert:

„Nun ja, ich gestehe, daß ich ein Schwanken Ihrer Wärme, ein Ab- und Zunehmen schmerzlich empfinde; aber ich weiß es schon und bin resignirt: für mich giebt es kein dauerhaftes Glück!“

„O Zweiflerin!“ rief er innig. „Es ist gut, wenn ich nicht immer gleich stark fühle, wie lieb ich Dich habe! Meine übrigen Leidenschaften, Zeitvertreibe und Miseleien hängen ja nur an dem Faden der Liebe zu Dir; wendest Du den Rücken, fällt alles in den Brunnen.“

„Und dennoch glaube ich, daß seit einiger Zeit Vieles verändert ist,“ erwiderte sie mit einem Seufzer. „Ich will nur einen Namen nennen, der mir – ich gesteh’s offen – schon lange auf der Seele brennt: Corona!“

„O, die ist Dir nicht ähnlich genug, beste Frau; ja wenn sie ein halb Jahr um Dich sein könnte; hat aber auch ihre and’re amour.“

„Corona?“ fragte sie erstaunt.

Er nickte und lachte; zufällig hatte sein scharfes Auge das Paar aus dem Seitenwege in die Laube treten sehen. Er lenkte mit Frau von Stein vom Mittelwege ab, drückte mit schelmischem Blick den Finger auf die Lippen und führte sie still an die Tannen.

„Sieh, Ungläubige!“ raunte er ihr zu und bog einige Zweige zur Seite.

Fürwahr ein überraschendes, ein schönes Bild:

Corona saß auf der Bank, Einsiedel lag zu ihren Füßen und bedeckte ihre Hand mit heißen Küssen; sie legte den andern Arm um seinen Hals und neigte sich zu ihm nieder.

„Corona!“ flehte er, „sei offen gegen mich, sage mir alles!“

„Laß mir Zeit, Ueberlegung, Geliebter!“ flüsterte sie dagegen. „Ja ich will, ich muß mich gegen Dich aussprechen, aber nicht jetzt, nicht bald. O, gönne mir nur Sammlung und zweifle nicht an mir!“

Goethe ließ die Zweige leise zusammen fallen und wandte den großen, fragenden Blick auf seine Begleiterin.

„Das ist überzeugend,“ flüsterte diese mit glücklichem Lächeln. Schweigend gingen sie von dannen. „Ich,“ fuhr sie fort, „hätte Dir ja auch ihre Liebe gegönnt. O, gewiß gönne ich Dir alles Gute; alles was ich Dir nicht sein und bieten kann!“

Sie verfolgten den Weg zur Gesellschaft zurück; Charlottens Gedanken richteten sich wieder auf das eben gesehene Paar.

„Kann das eine Heirath geben?“ fragte sie wie im Selbstgespräch. „Er hat nur seine Hofcarrière, sie ist arm und bürgerliche Künstlerin!“

„Sie praktische Rechnerin!“ lachte er. Und da man sich trennen mußte, flüsterte er ihr noch zu:

„Darf ich heut Abend kommen, den Kindern ein Märchen lesen, mit Ihnen essen und an Ihren Augen von mancherlei ausruhen? In einigen Tagen reise ich nach Ilmenau.“

Ein leises Bejahen und ein freundlicher Blick aus ihren schönen, sanften Augen erfüllte seine ganze Seele mit Glücksgefühl.

An dem bestimmten Tage zog man zur Jagd nach der Wartburg.

„Nun, wie steht’s, sind genug Hähne für uns verhört?“ fragte Karl August, mit seinen Begleitern und ein paar Stallknechten Abends vor der Wartburg vom Pferde steigend, wo ihn der Castellan und sein Oberförster, verschiedene Revierförster nebst dem Burgpersonal mit devoter Begrüßung empfingen.

„Durchlaucht zu dienen, jawohl,“ entgegnete der alte Oberförster. „Die Waldläufer und Forstwarte sind jede Nacht draußen gewesen und haben ihrer genug ausgemacht. Und es ist ein Glück für den Forst und die jungen Culturen, wenn Durchlaucht und die andern Herren ein paar Auerhähne abschießen, denn den Saaten haben sie im vorigen Sommer wieder arg zugesetzt, den jungen Herztrieb derart verschnitten, daß wenige von den Sämlingen zum Auspflanzen passen werden.“

„Sie sind und bleiben mehr Forstmann als Waidmann, alter Freund,“ lachte der Herzog. „Nun, das ist mir lieb; unsere Berge hier herum brauchen sorgfältige Pflege des Waldbestandes, und darum – nicht wahr, Wedel, nur darum? – schießen wir Ihnen hoffentlich morgen in der Frühe etliche der mißliebigen Gesellen herunter.“

Man ging in die Burg und begab sich in das Landgrafenhaus.

[618]
21.

Es war eine windstille, frühlingsduftige Nacht, der Himmel wolkenlos und hoch gewölbt, die Sterne hell und von sanftem Licht, als die Jagdtheilnehmer sich Punkt ein Uhr auf dem Schloßhofe der Wartburg an den bereit gehaltenen Pferden zusammenfanden. Zwischen dem Zimmerberge und Drachenstein schieden die Herren mit einem fröhlichen: Waidmannsheil! und der Herzog ritt allein, nur von einem ortskundigen Reitknechte begleitet, in die Nacht hinaus.

Die scharfen Umrisse der Hörselberge traten am nördlichen Horizonte immer klarer hervor, da gerade über denselben die zarte Sichel des ersten Mondviertels auf dunkelblauem Grunde schwamm. Ein Reh, das aufgeschreckt die Menschennähe witterte, schmählte in bellenden Tönen durch die Stille.

„Gut, daß wir die Musik nicht später haben,“ sagte der Herzog zu seinem Begleiter; „davor würde der flotteste Balzer verstummen, und ich müßte angeführt wieder umkehren.“

Endlich langte man am Fuße der Hirschwand an, da wo es zum Kohlberg hinaufging. Der Reitknecht übernahm des Herzogs Pferd, und dieser stieg allein, vorsichtig lauschend, im Waldesdunkel bergan. Es war ein mühsames Stück Arbeit; nur so viel Licht, um die Richtung nicht zu verlieren und dabei ein pfadloses Klettern über Geröll und Baumwurzeln.

Eine Stunde lang mochte er sich so gemüht haben, als er, etwa noch zweihundert Schritte über sich, den wohlbekannten Hohlschlag des Auerhahns hörte, der die Hennen anlockte. Das Schleifen, jener Ton, während dessen der Hahn nicht hört und sieht – einige Secunden, die zum Näherkommen des Jägers benutzt werden müssen – folgte, und der Herzog beeilte sich, seine Büchse zu untersuchen und möglichst genau die Richtung, in der sich das edle Wild aufhielt, auszumachen.

Dann pirschte er sich vorsichtig näher; er that, als nach dem Hohlschlag wieder das Schleifen folgte, zwei große Schritte und stand dann lauernd, mit erwartungsvoll klopfendem Herzen, still.

Endlich auf etwa fünfzig Schritte herangekommen, mußte er den Angriffsplan entwerfen, denn jetzt erst übersah er den Charakter des Bestandes, in welchem der Hahn balzte. Er mußte darauf denken, nach dem Vorschreiten gedeckt zu stehen, denn nahe dem Bergesgipfel lichteten sich die Stämme und es war kaum möglich die schußgerechte Stellung zu gewinnen.

Ein paarmal mußte er noch in äußerster Geschwindigkeit während des Schleifens größere Strecken überspringen, stand nun aber endlich, wohlgedeckt die Büchse im Arm, und wartete so viel Büchsenlicht ab, um den Hahn zu erkennen und mit Sicherheit zielen zu können.

Röthlich färbte sich gegen halb fünf Uhr der östliche Himmel, und bei dem Schimmer gewahrte der Herzog den großen, schwarzen Vogel auf dem kahlen Aste einer Fichte. Er riß bei dem nächsten Schleifer die Büchse an den Kopf, gab Feuer – und flatternd klatschte der Auerhahn vom Baume herab.

Als der prächtige Vogel nach den letzten Zuckungen todt da lag, hob der Herzog mit vor Jagdlust leuchtenden Blicken seine Beute an den Ständern auf und betrachtete das schöne Thier. Dann wandte er sich, um den Platz genauer anzusehen, wo er den Auerhahn an einen Zweig hängen und später abholen lassen wollte.

Indem sein suchender Blick im Kreise schweifte und er ein immer wärmeres Erglühen am östlichen Himmel, drüben neben dem Poppenberge wahrnahm, sah er, nur wenige Schritte von sich entfernt, eine hohe Gestalt von den dämmernden Büschen sich ablösen und jetzt frei dastehen.

Es war ein schlanker Mann in tadelloser Hofkleidung; er trug einen Anzug von schwarzem Sammet, ein feines Spitzenjabot und ebensolche Manschetten, schwarzseidene Strümpfe und Hackenschuhe mit blitzenden Schnallen. Der Fremde lüftete seinen Federhut, und Karl August konnte sein Antlitz, warm überflogen von den ersten Sonnenstrahlen, deutlich erkennen; es war ein pergamentartig glattes Gesicht, nicht alt, nicht jung, mit dunklen Augen voll unheimlichen Blitzen und mit scharfen Zügen. Der Herzog erinnerte sich nicht, den Mann jemals gesehen zu haben. Die Sauberkeit seines Anzugs fiel ihm besonders auf, und vergleichend ließ er den Blick über seine eigenen lehmigen, vom Thau durchfeuchteten hohen Stiefel gleiten.

„Wie kommen Sie in solch famosem Wichs daher?“ rief er auflachend. „Sie sehen ja aus, als wären Sie heraufgeflogen!“

„Durchlaucht haben Recht, das bin ich auch!“ entgegnete der Andere mit einer scharfen, von fremdem Accente gefärbten Sprechweise und dem vollkommensten Ernste.

Der Herzog starrte ihn an: hatte er einen Tollen vor sich? Wie sollte er diese Behauptung aufnehmen? Die gute Laune siegte, er lachte wieder und sagte sarkastisch:

„Muß äußerst bequem sein, Bergeshöhen fliegend zu gewinnen, während wir anderen Sterblichen keuchend und schwitzend über Steine und Baumwurzeln heraufstolpern. Aber was verschafft mir denn die Ehre, dem eleganten Herrn auf seinem Morgenfluge zu begegnen?“

„Ich bin Durchlaucht angemeldet und erlaube mir, nach unumstößlichen Gesetzen, an denen wir Beide nichts ändern können, Dero Bahn zu kreuzen.“

Dem Herzoge ging plötzlich ein Licht auf.

„Den Kukuk auch!“ rief er höchlich interessirt, „sind Sie vielleicht der vielbesprochene Graf Saint Germain, der Meister des wunderlichen Kaufmann?“

„Eines Anfängers!“ schaltete der Fremde mit dem Tone der Geringschätzung ein und fügte dann höflich sich verbeugend hinzu: „Eure Durchlaucht haben richtig gerathen; ich bin der Graf Saint Germain!“

„Na, also wirklich! Ich war allerdings vorbereitet, Sie zu treffen, und bin nun doch überrascht.“ Er schwieg ein paar Secunden und trat dann dem Grafen einen Schritt näher, ihn ernst und scharf ansehend, fuhr er fort:

„Machen Sie’s kurz, mein Bester, was wollen Sie von mir? Ich bin ein Fürst ohne große Mittel, ohne Vorliebe für alchemistische Spielereien; vielleicht sogar ohne rechte Schätzung des Goldes. Durch dies offene Bekenntniß wird das Interesse des Herrn Grafen gewaltig sinken; he, ist es so? Freut mich, Sie ’mal gesehen zu haben, und nun geben Sie sich weiter keine Mühe mit mir – fliegen Sie ab!“

„Durchlaucht irren,“ erwiderte der Graf fast traurig, sonst aber unberührt von dem abweisenden Spotte des Herzogs. „Mich leitet kein eigennütziges Motiv; ich folge lediglich einem höheren Drange und bin zu jeglichem Beweise meiner besonderen Ausrüstung, meiner wundergetragenen Sendung in dies irdische Dasein bereit. Hunderte von Jahren suche ich schon nach einem Menschen, wie Eure Durchlaucht mir einer zu sein scheinen; nach einem Horte und Schirmherrn erhabener Geheimnisse, einem Fürsten, der fähig ist, sich den höchsten Bestrebungen zu weihen, Licht in sich aufnehmend, um eine Leuchte zu werden für die Menschheit.“

„Viel Ehre, zu solchem Laternenmanne ausersehen zu sein!“ spöttelte Karl August wieder.

Der Andere ließ sich nicht irre machen.

„Ich bitte, die Dinge aus ernstem Gesichtspunkte aufzufassen,“ sagte er kühl, „wenn ich auch anfängliche Skepsis begreife, ja solche Vorsicht billigen muß; Eure Durchlaucht werden sich bald überzeugen, daß ich sammt meiner Mission über allen selbstsüchtigen Bestrebungen stehe. Möglich allerdings, daß ich mich auch in Ihnen täusche, wie so oft schon!“ Er seufzte tief, und ein Ausdruck düsteren Schmerzes legte sich über sein gesenktes Antlitz.

Der Herzog schaute ihn fragend an und sprach, als der Andere schwieg:

„Nun, so reden Sie, was soll ich denn nach Ihrem Sinne thun?“

„Das ist nicht mit wenigen Worten gesagt.“ Sein Blick hob sich zum strahlenden Morgenhimmel, die Gestalt stand schlank und wie schwebend da, und mit würdigem Pathos hub er an: „Ich bin ausgesandt, einen Menschen zu suchen der, rein und in [619] voller Erdenkraft aufgewachsen, stets diese Reinheit und Kraft bewahrt, mehrt und bethätigt; ihm nur kann die höchste Herrlichkeit dieser Welt zu Theil werden. Voll Hoffnung und Vertrauen schaute ich mich in früheren Zeiten um; stets wurde ich in meinen Erwartungen getäuscht. Nun habe ich schmerzdurchzittert auch in diesem Jahrhunderte vergebens gesucht; o, möchte ich endlich finden, wonach ich mit grenzenloser Sehnsucht ringe!“

Er hatte die Arme wie in Verzückung der Sonne entgegen gebreitet, ließ sie jetzt sinken und verhüllte sein Angesicht; des Zuhörers schien er vergessen zu haben.

Karl August stand verstummt. Der Gedanke: entweder ein Verrückter oder – ein unbegreifliches Wunder! drängte sich ihm auf. Es lag etwas so imponirend Ernstes, fast Erhabenes im ganzen Wesen des Mannes, daß der Herzog in die Landschaft hinaussehen, ja seinen Auerhahn betrachten mußte, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume, um in die Gegenwart zurück zu kehren. Endlich brach er das Schweigen und sagte, auf die Idee des Anderen eingehend:

„Aber, Verehrtester, wie alt sind Sie denn, wenn Sie seit Jahrhunderten Ihre Art Jagd betreiben?“

Graf Saint Germain ließ die Hände herab fallen, schien wie aus einem Traume zu sich zu kommen und lächelte wehmüthig.

„So alt wie diese Berge. Ein weiteres Gedankenfeld bietet sich Ihrem Geiste doch nicht. Fürchte ich zu erschlaffen, so trinke ich von meinem Lebenselixir, von dem ich meinen Auserwählten auch mittheilen kann.“

Ein lauernder Blick streifte den jungen Fürsten, ob derselbe auf die aufgeworfene Glanzfliege stoßen werde.

Der Herzog lachte aber in harmlosen Leichtsinne und sagte munter:

„Was thue ich mit Lebenselixiren? Ich habe Leben genug!“ Und wie zur Bestätigung athmete er hoch und kräftig auf und dehnte die starken jungen Glieder.

Der Graf verschränkte die Arme und sprach würdevoll:

„Wenn Eure Durchlaucht die Redlichkeit meiner Gesinnung, meine weitreichenden Kräfte prüfen wollen, bevor ich Vertrauen finden soll, so bin ich bereit, irgend ein besonderes Verlangen Ihres Herzens zu erfüllen.“

„Potz Blitz! ein kühnes Verspreches!“

„Ich bitte also zu begehren. Wollen Sie meinen einstigen Freund, Friedrich Barbarossa, mit mir im Kyffhäuser besuchen?“

„Wüßte nicht, welchen Spaß ich davon hätte, des alten Herrn Bekanntschaft zu machen!“

„Oder wollen Sie vielleicht drüben ins Innere des Hörselberges eintreten, um Frau Venus, das schöne Götterweib, zu sehen?“

Die Augen des jungen Fürsten funkelten.

„Da würde ich dem sehr verliebten Herrn Tanhäuser in die Quere kommen,“ scherzte er.

„Der Tanhäuser hat ausgeliebt und ausgebüßt,“ erwiderte der Graf feierlich und zuversichtlich. „Längst wandelt er in neuen Sendungen durch das Leben; das Götterweib aber ist unvergänglich in seinem außerirdischen Liebreiz und in der Kraft, das höchste Liebesentzücken zu spenden!“

Unter der gesenkten Wimper hervor blinzelte ein Seitenblick über die offnen, frischen Züge des Herzogs, um den Eindruck der eben gesprochenen Worte zu erspähen. Sie blieben nicht ohne Wirkung.

„So eine schöne Frau Venus wäre mir recht,“ schmunzelte der Herzog. „Aber wie ist’s mit dem getreuen Eckart, der warnend auf einem Felsen dem Bergeseingang gegenüber sitzen soll?“

„Wenn ich Eure Durchlaucht führe, bedarf es keines andern treuen Eckart.“

„Na aber, mein Bester, wenn ich der schönen Frau Venus ansichtig werde, lassen Sie gütigst meinen Rockschoß los und gestatten mir eine nähere Bekanntschaft der Huldin!“ lachte Karl August mit neckischem Augenzwinkern.

„Das würde schon die Erfüllung eines zweiten Wunsches sein, welchen ich vielleicht später gewähre.“

„Bitte aber ernstlich, mich nicht mit Malereien, Wachsfiguren und solchem Lirum Larum anführen zu wollen. Dergleichen giebt’s in Weimar mehr als genug. Können Sie ein frischen schönes Weib, von solchem Fleisch und Bein wie ich selber bin, mir drüben im Berge – na meinetwegen auch erst nur zeigen! – so gehe ich mit und wär’s zur Hölle. Tapfer mache ich allen Hokus-Pokus durch, ohne den solcher Witz nicht abgehen wird. Ich glaube aber, ich bin hier herum besser orientirt als Sie, und da will ich Ihnen nur sagen, daß das sogenannte Hörselloch, durch welches man in den Zauberberg gelangen soll, eine ganz enge Spalte ist, die nicht weit führt. Wie das wilde Heer, das drinnen sein Tagesquartier hat, sich herauswürgt – vermuthlich drücken spukhafte Schemen sich dünner zusammen als Unsereiner – werden Sie bei Ihren übernatürlichen Kenntnissen besser wissen als ich.“

„Allerdings,“ entgegnete der wunderbare Fremde mit sicherer Gelassenheit. „Das sind mir vollständig bekannte Dinge. Wir kommen also dahin überein, daß ich als Beweis meiner Glaubwürdigkeit Eure Durchlaucht beim nächsten Vollmond in den Hörselberg führe und Ihnen Frau Venus vorläufig zeige?“

„Sie wollten wirklich Ernst mit der Geschichte machen?“ rief Karl August staunend.

„Buchstäblichen Ernst! Zum Vollmond – in acht Tagen – wird der Herr Landgraf Adolf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld seine Jagdeinladung wiederholen; ich bitte dieselbe anzunehmen, und werde mich auch einfinden, um mein Versprechen einzulösen.“

„Aber von Barchfeld bis hierher ist doch ein weiter Ritt, ich kann Sie ja hier treffen.“

„Durchlaucht vergessen, daß Entfernungen für mich kaum existiren, wenigstens niemals hinderlich sind.“

„Und ich soll Ihre Flugpartie mitmachen?“

„Ja; soweit es einem sterblichen Wesen, geführt von höherer Geistesincarnation, möglich ist.“

Der Herzog schüttelte den Kopf dazu, rief aber sehr vergnügt: „Ein famoses Abenteuer, welches Sie mir da in Aussicht stellen; na, man zu! Ich bin nie ein Kostverächter, wenn es flotte Späßchen giebt! Nun lassen Sie mich aber mal sehen, wie Sie abstreichen; müssen einen närrischen Vogel geben!“

„Dies ist irdischen Augen verborgen!“ sagte der Wundermann gravitätisch. „Und da kommen, wie mir scheint, die Jagdgefährten Eurer Durchlaucht, denen ich nicht zu begegnen wünsche.“

Er verneigte sich mit edlem Anstande und trat einen Schritt zurück.

Der Herzog konnte nicht umhin, sich den Nahenden: Wedel, Stein und einigen Jägern, zuzuwenden, die ihn freudig anriefen und, des erlegten Auerhahns ansichtig werdend, darauf hinwiesen, winkten und seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Währenddessen verschwand Graf Saint Germain in demselben Gebüsch, aus welchem er aufgetaucht war.

Die Zweige theilend eilte er auf einen Punkt zu, wo ein großer, dunkler Mantel, wohl versteckt unter trocknen Blättern, im Dickicht lag. Er warf denselben rasch über, fuhr in hohe Stiefel, verbarg Schnallenschuhe und Federhut in den Seitentaschen, stülpte sich eine unscheinbare Kapuze über, schritt in entgegengesetzter Richtung von den herüberschallenden, sich jetzt entfernenden Stimmen der Männer davon und murmelte vor sich hin:

„So der Mensch Wünsche, Leidenschaften hat, bietet er Handhaben genug ihn zu gängeln!“

Die Begegnung mit dem wunderbaren Mann beschäftigte den Herzog lebhaft. Noch zu jung, um den verlockenden Worten des Grafen innerlich einen festen Widerstand entgegensetzen zu können, war er eben jetzt, suchend und leer, sehr geneigt der abenteuerdurstigen Seele Genüge zu verschaffen, wo und wie es sein mochte. Man hätte keinen günstigeren Augenblick finden können auf ihn einzuwirken, als in dieser Zeit.

Die Tiefe des empfangenen Eindrucks bethätigte sich – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – vorläufig in einem vorsichtigen Schweigen über seine interessante Begegnung.

Er sprach kein Wort über den Grafen gegen Wedel und Stein, war aber an den folgenden Jagdtagen und auf der Rückreise nach Weimar so schweigsam und zerstreut, innerlich so voll Ungeduld und Spannung, daß die volle Unbefangenheit seiner Jagdgenossen dazu gehörte, seine veränderte Stimmung nicht zu bemerken.

[630]
22.

In Weimar eilte Karl August sofort Goethe aufzusuchen; gegen den Freund wollte er sich aussprechen, das stand fest! Aber – er hatte Goethe’s Urlaubsgesuch ganz vergessen – das Gartenhaus am Stern stand leer, Goethe war Tages zuvor nach Ilmenau abgereist.

Welche Wandlung in seinem Empfinden! Eigentlich war ihm jetzt Goethe’s Abwesenheit gar nicht unlieb. Der Freund hätte ihn auslachen, verspotten, möglicher Weise verhindern können, auf Saint Germain’s Vorschläge einzugehen. Das, was er selbst dem Grafen entgegnet hatte, wollte er jetzt nicht gern auch von einem Andern hören, denn er schwelgte in der Hoffnung, Außerordentliches gefunden zu haben und noch erleben zu sollen! Das heimliche Ausspinnen der empfangenen Eindrücke hatte ihm schon die Freiheit der Auffassung geraubt, er wünschte glühend keine Enttäuschung zu erleben und ward täglich froher, als der Mond sich rundete, die Jagdeinladung vom Landgrafen eintraf, der Freund aber noch nicht zurückkam.

Im Schloßpark zu Barchfeld spazierten einige Tage später zwei fürstliche Herren. Der Landgraf Adolf von Hessen-Philippsthal-Barchfeld, ein stattlicher Officier, der in holländischen Diensten stand, unterhielt sich im Gehen mit seinem Gast, dem Herzog Karl August. Derselbe war, nur von seinem Reitknecht begleitet, zu Mittag von Eisenach aus angekommen, der Jagdeinladung des Landgrafen endlich Folge zu leisten.

Graf Saint Germain befand sich als Gast, sammt einigen anderen Herren vom Kasseler Hofe, in Barchfeld. Ohne einer früheren Begegnung zu erwähnen, hatte er sich dem Herzoge vorstellen lassen und in seinem Benehmen den Hofmann, den Cavalier und geistreichen Gesellschafter herausgekehrt. Allerdings waren ihm bei Tafel scheinbar absichtslos Andeutungen entschlüpft, die auf weit zurückliegende Lebensverhältnisse hindeuteten. Fast erschrocken suchte er dann diese Mittheilungen zu bemänteln, wie Jemand, der sich selbst auf einer Unvorsichtigkeit oder zu großen Offenherzigkeit ertappt, und da keiner der Herren nachforschte oder erstaunt schien, ließ auch Karl August die Dinge gehen, glühte [631] aber vor Neugier, nach Tisch seinen Wirth im Vertrauen zu fragen, was von dem merkwürdigen Manne eigentlich zu halten sei.

Die ersehnte Stunde, sich ungestört über Saint Germain zu erkundigen, war jetzt endlich gekommen. Die Herren unterhielten sich zwanglos, wo und wie sie wollten.

Der Herzog gesellte sich seinem Wirthe. Er nahm den Arm des würdigen, etwas steifen Herrn und war froh, daß sich keiner der andern Gäste ihnen anschloß. Lebhaft sagte er, als sie mit einander eine Allee hinab gingen:

„Ich bitte Eure Liebden dringend, mir nähere Auskunft über den merkwürdigen Mann zu geben, der heute mit uns speiste, ich meine den Grafen Saint Germain!“

„Ah der!“ erwiderte der Landgraf und nahm die Thonpfeife aus den Zähnen; „ja, der ist merkwürdig genug.“

„Nun, in wie fern? Woher stammt er? Was ist er? Was hat’s auf sich mit seinem übernatürlichen Alter?“

Der Landgraf lächelte, blieb stehen, sah dem Andern fast erschrocken in die Augen und sprach mit gemächlicher Ruhe:

„Eure Liebden verlangen etwas viel und obendrein auf einmal. Ja, wer alle die Fragen beantworten könnte!“

„Nun General, so beantworten Sie wenigstens eine!“ rief der Herzog mit brennender Ungeduld.

„Welche, Mynheer?“

„Welche Sie wollen, bleiben wir bei dem Alter!“

„Darüber können wir Gewisses nicht sagen. Thatsache ist, daß der Graf Details weiß, die eigentlich nur Zeitgenossen in der Weise berichten können. Es ist in Kassel jetzt Mode, respectvoll seinen Angaben zu lauschen und sich über gar nichts mehr zu wundern. Der Graf ist kein Renommist, kein zudringlicher Schmarotzer; er ist ein Mann aus der guten Gesellschaft und für die gute Gesellschaft, den an sich zu fesseln Jeden erfreut. Wenn er auch bei dem Chef unseres Hauses, dem regierenden Landgrafen Friedrich dem Zweiten nicht sonderlich angeschrieben ist, derselbe nennt ihn einen Mucker und Moralisten, so steht er doch mit viele bedeutenden Männern in naher Beziehung und übt einen unerklärlichen Eindruck auf andere. Mein Vetter, der Landgraf Karl von Hessen ist ihm sehr gewogen, sie treiben eifrig Freimaurerei und allerlei dunkle Künste mit einander; Lavater schickt ihm Auserwählte. Er kann mit verschiedenen Stimmen und aus verschiedene Entfernungen sprechen, schreibt jede Handschrift, die er einmal gesehen, täuschend nach, soll mit Geistern und übernatürlichen Wesen verkehren, welche auf seinen Ruf erscheinen, ist Arzt und Geognost und besitzt, wie versichert wird, ein untrügliches Mittel, das Leben zu verlängern. Gründe genug, den Mann anzustaunen.“

Mit äußerster Spannung hatte der Herzog alle diese Mittheilungen von den Lippen des bedächtig redenden Landgrafen vernommen. In der That hätte Saint Germain den neuzugewinnenden Jünger an keine bessere Adresse weisen können, als an die des Landgrafen Adolf.

Mit einem wahren Fieber äußerster Spannung harrte der Herzog Karl August auf die weitere Annäherung des Wundermannes und auf das ihm in Aussicht gestellte Abenteuer. Er brauchte nicht lange darauf zu warten; sich dem Schlosse wieder zuwendend, sahen die beiden Männer den Vielbesprochenen mit dem Marquis de Luchet, dem Intendanten des Theaters und der Capelle, Günstling des allem Französischen zugethanen Landgrafen Friedrich von Hessen-Kassel, daher kommen.

Es machte sich sehr natürlich, daß der Marquis mit dem Landgrafen Adolf vorausging, während der Herzog, sich zu Saint Germain gesellend, folgte.

„Nun, Graf?“ fragte Karl August und sah dem Begleiter forschend in das ernste Gesicht.

„Sind Eure Durchlaucht heute Abend zu unserem Wagnisse bereit?“

„Mit Leib und Leben!“ rief der junge Fürst. „Sagen Sie nur, was ich thun soll!“

Ein befriedigtes Lächeln flog wie matter Sonnenschein über die düsteren Züge des Wundermanns, dann hub er an:

„Es ist meine bislang versäumte Pflicht, Serenissimus darauf aufmerksam zu machen, daß wir einem nicht ganz gefahrlosen Unternehmen entgegen gehen. Ein Wagniß ist’s, Sie in das Reich unterirdischer Mächte einzuführen, welches nur mir offen steht. Einem sterblichen Menschen dort Zutritt zu verschaffen, der weder mit den Gesetzen jener geheimnißvollen Welt vertraut ist, noch furchtbare Möglichkeiten zu beurtheilen vermag, bleibt stets bedenklich. Eure Durchlaucht dürfen nie vergessen, daß von meiner Seite nur der eine Beweggrund vorliegt: Sie von dem Zusammenhange meines Wesens mit höheren Regionen zu überzeugen und dadurch Ihre Hingabe für mich – das heißt für meine edlen Bestrebungen – zu gewinnen. Ich fühle, daß ich Ihnen diese Probe schuldig bin, und ich werde dieselbe ablegen, koste es was es wolle! Der Zweifel muß zwischen uns aufhören, er muß vernichtet werden! Er hindert Sie, den Tempel der Erkenntniß und Vollendung zu betreten, zu dem Sie an meiner Hand gelangen sollen. Um nun bei dem beabsichtigten Unternehmen einige Sicherheit für Sie und für mich – denn auch ich wage viel! – zu finden, müssen Eure Durchlaucht sich genau meine Vorschriften merken, genau meinen Angaben und Forderungen Folge leisten. Sie werden mit verhüllten Augen den geheimnißvollen Ritt in den Vorhof des Hörselberges machen; Sie werden, wenn wir der Venus gegenüber stehen, kein Wort sprechen, damit wir nicht die gräßlichen Schemen der wilden Jagd aufscheuchen, welche uns zweifellos zu Tode hetzen würden. Stumm schauen Sie die Schrecken und die Herrlichkeit der Tiefe, stumm kehren Sie an meiner Hand zurück. Möglich, daß die gefangene Huldgöttin den Heros in Ihnen ahnt, der, gleich dem verlorenen Tanhäuser, ihr Seligkeit bereiten könnte, möglich, daß sie die rührende Sprache der Geberden an Sie richtet, daß sie Liebe, Licht, Freiheit erfleht; da heißt es stark bleiben, denn eine Unmöglichkeit ist’s, sie durch rasche That zu gewinnen. Vielleicht gelingt dies – wenn Sie es begehren sollten – auf einer späteren Stufe unseres Emporstrebens.“

Er hatte dies Alles halblaut, rasch und eindringlich gesprochen, und Karl August fühlte wieder, wie bei jenem ersten Zusammentreffen sich von einem Schwindel durchrieselt, in welchem das, was er bisher für möglich, das was er für unmöglich gehalten hatte, zu einem untrennbaren Chaos in einander floß. Seine lustige Spottsucht, sein derber Humor waren zum Schweigen gebracht; er wollte fragen, aber wo anfangen, da das beabsichtigte Unternehmen im Ganzen ein so durchaus fragwürdiges war? So brachte er nur die bescheidene Erkundigung nach der Zeit ihres Ausritts hervor.

„Um neun Uhr geht der Mond auf,“ erwiderte der Graf mit der Miene ernster Ueberlegung. „Wenn Sie etliche Luftvolten vertragen, so können wir binnen einer halben Stunde am Fuße der Wartburg oder des Hörselberges sein.“

„Luftvolten?“ fragte der Herzog erstaunt.

„Ah, ich vergesse! Durchlaucht wissen nicht, daß, während Sie nur die Empfindung haben, im Kreise zu reiten, wir mit jeder Wendung Meilen zurücklegen; auf andere Art kann ich die Gunst außerirdischer Fortbewegung keinem Sterblichen verschaffen. Unser geehrter Wirth, der Herr Landgraf, wird sich nach dem Souper mit den anderen Herren an den Spieltisch setzen; während man sich in das Cavagnote vertieft, bemerkt man unser Verschwinden kaum, und binnen ein bis zwei Stunden sind wir, wenn Alles glücklich geht, wieder aus dem Berge zurück. Bis Mitternacht liegt das wilde Heer unter dem Banne; wecken wir es mit keinem unvorsichtigen Laute, so sind wir ungefährdet.“

Der Herzog konnte zu alledem nur staunend den Kopf schütteln.

Gegen acht Uhr setzte man sich im Speisesaale zum Souper. Es wollte Karl August bedünken, als ob der Graf weniger unterhaltend sei als am Mittage; ein Zug feierlichen Ernstes lag zwischen seinen dunklen Brauen, und fest geschlossen waren die schmalen Lippen, verstohlen blickte er mehrmals auf seine Uhr.

Der Herzog befand sich in peinlicher Aufregung. Was sollte mit ihm geschehen? In welches Unternehmen hatte er sich eingelassen? War er das Opfer eines unerhörte Betruges oder der Auserwählte des erhabensten Geistes? Diese Fragen, innerlich zum hundertsten Male aufgeworfen, zerstreuten ihn immer wieder bei jedem Gespräche, auf das er einzugehen versuchte.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben, plaudernd, rauchend trat man in das Spielzimmer. Die Partien fanden sich zusammen, der Herzog und Graf Saint Germain lehnten ab.

Ein paar Augenblicke standen sie noch hinter den Stühlen der Spieler, dann, als diese sich in ihr Vorhaben vertieften, winkte der Wundermann mit seinen gewaltigen Augen, und unter dem Einflusse einer seltsamen Empfindung, halb von Bangigkeit, halb von jubelnder Lust, folgte der abenteuersüchtige junge Fürst dem Voranschreitenden aus dem Schlosse.

[632] Als sie in den hell im Glanze des Vollmondes daliegenden Garten traten, schlug es vom Thurme die neunte Stunde.

„Gut,“ murmelte Saint Germain, „nun vorwärts!“

Quer den Park durchschreitend und denselben durch ein Seitenthürchen verlassend, gelangten sie auf eine Wiese, wo hinter dichtem Gebüsche ein Mann zwei Pferde hielt. Das eine trug statt des glatten englischen Sattels einen ungarischen Bock. Saint Germain bezeichnete dem Herzoge dies als für ihn bestimmt; da er mit verhüllten Augen reiten werde, könne er die Zügel nicht selbst führen und habe sich also am Sattelknopf zu halten.

Er warf dem Herzoge dann eine Kapuze über den Kopf, die nur Luftlöcher zum Athmen hatte, aber die Augen fest verhüllte, und half ihm beim Aufsitzen. Gehorsam setzte der blinde Reiter sich fest in dem geschweiften Sattel und ließ sich willenlos entführen. Er fühlte, daß auf seiner Seite der Graf ritt und sein Pferd am Zügel leitete. Bald setzten sie sich in Galopp; eine eigenthümlich schwindelnde Empfindung bemächtigte sich des Herzogs, als er so, ohne zu sehen, ohne Zügel zu fassen, in die Nacht hinaus jagte.

„Sitzen Sie fest!“ raunte ihm jetzt der Graf zu, „wir erheben uns zu einer Luftvolte, die uns um Meilen weiter führt.“

Es geschah, sie sausten im scharfen Kreise rundum. Schlugen wirklich die Pferde nicht mit den Hufen auf? Die Kapuze verhüllte das Ohr; es war dem jungen Fürsten in der That, als ob er fliege. So dauerte der Ritt nicht länger als eine halbe Stunde, und schier erschreckend vernahm er die Worte des Magus: „Wir sind am Ziele, dort liegt der Hörselberg!“

Man half ihm vom Pferde, er fühlte steinigen Boden unter sich, man führte ihn bergan. Er spürte, daß Gebüsch seine Hand streifte, und stützte sich, als man Halt machte, mit der Hand auf einen Felsblock; deutlich sah er im Geiste die bekannte Stelle, wo unter einer Felskante, die längs des sich steil in’s Thal absenkenden Berges hinläuft, des engen Hörselloches Spalte klafft. Man führte ihn noch ein paar Schritte weiter.

[633] „Treten Sie vorsichtig hinunter und stehen Sie fest“ flüsterte der Graf ihm zu; er that’s, sein Fuß berührte Leitersprossen; der Führer hielt ihn, und dann stiegen sie Beide langsam in die Tiefe.

Dumpfe Kellerluft, wie sie nur unter der Erde herrscht, umfing sie, sie standen auf festem Boden, und der Graf löste seinem Begleiter die hüllende Kapuze.

Karl August sah sich in einer trüb beleuchteten Höhle, in der das braunrothe Licht einer Pechfackel sich an hohen, nicht von Menschenhand gemeißelten Wölbungen brach. Dunkle Schlagschatten lagen in den Winkeln und fuhren in raschem Wechsel hin und her, sowie ein Luftzug die Flamme der Fackel bewegte.

Der Graf faßte die Hand seines Schützlings und schritt mit ihm vorwärts, ein felsiger Gang that sich auf, den man verfolgte, dann umfing sie eine geräumige Halle, von der sich Seitengrotten und Gänge in die Tiefe abzweigten; wieder steckten ein paar Fackeln in den Felsspalten, von denen der Graf die eine ergriff, worauf er vorsichtig leuchtend voranschritt. Ein starkes Rauschen schlug an das Ohr des Herzogs, und feuchte kühle Luft strömte ihm entgegen; der Gang wandte sich jetzt plötzlich, rohe Stufen führten zu einer Plattform empor. Er stand starr, staunend. Zu seinen Füßen ein wildes Bergwasser, schäumend, in Cascaden vorüber rauschend, drüben, jenseit des Wassers, eine Felswand — in der eine Stelle sich plötzlich erhellte. Es war, als thue eine Nische sich auf, von rosigem Licht erfüllt. In derselben stand ein goldenes Ruhebett, Purpurdecken waren darüber gebreitet, der Boden mit Rosen bestreut.

Auf dem Bette lag sanft hingelehnt eine Gestalt, sie richtete sich auf; „Frau Venus!“ raunte der Magus, aber der Herzog hätte dieser Weisung nicht bedurft.

Ja, das war ein Weib und doch eine Göttin! Unter einem strahlenden Diadem fiel aschblondes Haar herab und wallte in losen Wellen um den ganzen Körper, welchen ein weißes, griechisches Gewand hüllend umschloß und doch in seinen schlanken, vollen [634] Formen verrieth; ein goldener Gürtel raffte dasselbe zusammen. Und nun dies wunderbare Angesicht! Die großen Strahlenaugen, die reizvollen Züge, das kindliche Lächeln, ja das alles lebte, regte sich, athmete Schönheit und Liebe!

Frau Venus richtete sich von ihrem Lager auf und trat einen Schritt vor, sie warf das reiche Haar zurück; welch ein Arm, wie anmuthig jede Bewegung! Dann hob sie bittend die Hände, flehend streckte sie dieselben vor, drückte sie auf ihr Herz, endlich sogar warf sie sich auf die Kniee und breitete weit die Arme dem ganz im Schauen aufgehenden jungen Fürsten entgegen.

Dieser brach in einen hellen Freudenlaut aus, der wie ein Jubelruf durch die dunklen Wölbungen hallte, und wäre in’s Wasser gesprungen, um zu der sinnbethörenden Erscheinung hinüber zu gelangen, wenn der Graf ihn nicht zurückgehalten hätte.

Kaum ertönte jener Aufschrei von den Lippen des Herzogs, so warf sich Frau Venus mit verhülltem Angesicht auf ihr Lager zurück, und ein donnerähnlicher Laut rollte durch die Felsengänge.

„Rasch, entfliehen wir!“ flüsterte der Graf. „Folgen Sie mir, eilen Sie, es gilt Hackelberg, dem wilden Jäger, zu entkommen!“

In stürmischer Hast riß er den fast besinnungslosen Gefährten, der noch einen letzten glühenden Blick auf das schöne Weib warf, hinter sich her, stülpte ihm in der vorderen Höhle die Kapuze über, drängte ihn vor sich die Leiter hinauf und stieg mit ihm in die Höhe.

Oben angelangt und die freie Luft spürend, athmete der Herzog tief auf.

„Gerettet!“ sagte der Graf. „Nun rasch zu Pferde und davon!“

Man saß auf, wie beim Komnen und kehrte in ganz derselben Weise zurück.

Vor der Seitenpforte des Barchfelder Schloßparks entfernte Saint Germain die Hülle, welche des Herzogs Haupt bedeckte; heller Mondschein lag wie vorhin auf den Kieswegen, den Rasenstecken und zartbegrünten Bosquets des Gartens, nur stand der Mond höher als vorhin, und jetzt schlug es zehn Uhr vom Thurm des Schlosses.

„Sie sind wirklich ein Wundermann, Graf, in einer einzigen Stunde mich das erleben zu lassen!“ rief der Herzog tief erschüttert. „Wenn ich sie, dies entzückendste Weib, das mein Auge je geschaut, nicht jetzt noch deutlich, unauslöschlich, unvergeßlich vor mir sähe, ich könnte mir einbilden, ich habe hier auf der Gartenbank gelegen und im Mondschein geträumt, so wunderbar war dies Erlebniß!“

Als die beiden Männer wieder in das von Tabakswolken erfüllte Spielzimmer traten, erkannten sie aus der andern Herren Anrede, daß man ihre längere Abwesenheit gar nicht bemerkt habe.

Der Herzog ging zur Seite; verdrossen schlug er die Arme unter, winkte Saint Germain zu sich und sagte:

„Jetzt fordern Sie, bestimmen Sie, machen Sie mit mir, was Sie wollen; alles Andere widert mich an, nichts hat Reiz als sie! Schaffen Sie mir jene Huldgöttin, Ihre Venus!“

„Durchlaucht müssen Geduld haben,“ erwiderte der Wundermann kühl. „Ich erlaubte mir schon früher die Bemerkung, daß dies ein sehr schwieriges, weitaussehendes Unternehmen sein würde.“


23.

Ganz erfüllt von dem Abenteuer in Barchfeld, das er sich immer auf’s Neue vergeblich als auf natürlichem Wege zugegangen vorzustellen versuchte, kam der Herzog, wenige Tage später, wieder in Weimar an.

Saint Germain hatte sich während ihres weiteren dortigen Zusammenseins von ihm fern gehalten, hatte dem Drängen und den ungeduldigen Fragen des erregten jungen Fürsten Ablehnung und ein Vertrösten auf später entgegengesetzt, und war endlich mit den anderen Herren nach Kassel zurückgekehrt.

Jetzt war auch Goethe von Ilmenau heimgekommen, und nun ertrug Karl August es doch nicht länger, sein wunderbares Erlebniß vor dem Freunde zu verbergen; er suchte ihn, ganz erfüllt von jenen wunderlichen Dingen, in seinem Gartenhause auf. Sie saßen mit einander auf dem Altan, und der Herzog erzählte ganz genau seine Erlebnisse; sowohl das am Morgen der Auerhahnjagd auf dem Kohlberge bei der Wartburg, wie auch den seltsamen Ritt von Barchfeld aus und sein köstliches Begegniß mit der Huldgöttin.

Staunend folgte der ruhige, scharfsinnige Hörer diesem langen Bericht. Er warf Fragen dazwischen und rief lachend, daß man doch, trotz vieler scheinbaren Beweise, nicht an übernatürliche Dinge glauben könne!

„Nach und nach sage ich mir das selbst,“ erwiderte der Herzog lebhaft; „wenn ich nun auch bei ruhigem Blut nicht mehr an Saint Germain’s Faxen vom Fliegenkönnen, von Luftvolten, von losgelassener wilder Jagd und dergleichen glaube, so bleibt doch immer noch genug übrig, um meine Phantasie mit dem Tausendkünstler und seinen Leistungen zu erfüllen. Du stehst kühl außerhalb jener Ereignisse, Du blickst darauf, ich blicke hinein; so war und bin ich mit allen Sinnen gefesselt. Es kommt auch viel zusammen, um mich gefangen zu nehmen! Ich kenne ja die Gegend am Hörselloch wie meine Stube, und ich sage Dir: jeder Schritt traf zu! Wie aber willst Du zu Pferde, in kaum einer halbe Stunde, von Barchfeld nach dem Hörselberge gelangen? Du kennst doch auch die Entfernungen und weißt, daß es ein respectabler Ritt von mehreren Stunden ist.“

„So hat der Betrüger sich in der Nähe etwas Passendes gesucht. Sie sagen, er sei Geognost; er schlug zuerst vor, Sie in den Kyffhäuser zu führen, vermuthlich hat irgend eine von ihm entdeckte Schlucht, Höhle oder ein alter Schacht ihm den Plan eingegeben, Sie durch jene Komödie von seiner übernatürlichen Kunst zu überzeugen. Und wohlberechnet war’s, Ihnen als Lockmittel ein schönes Weib zu zeigen.“

„Deutlich sehe ich nur, daß er ein höchst geschickter Improvisator ist, von dem sich viel Hübsches erwarten ließe. Ich wollte doch, man könnte seiner habhaft werden, ihn an Weimar fesseln!“

„Dürfte er nicht ein gefährliches Spielzeug sein?“

„Was willst Du? Soll ich mich vor dem Charlatan fürchten?“ Karl August lachte laut auf. „Er taxirt mich zu billig, wenn er denkt, mir Sand in die Augen zu streuen; aber zu meinem Vergnügen seine Künste nutzen, warum nicht? Und dann, Freund, wie soll ich ohne ihn die Venus finden? Ich sage Dir, daß unter allen Weibern, die ich kenne, kein solch entzückendes Geschöpf existirt, wie ich es gesehen habe! Dieser Mantel sanft gewellten, mattblonden Haares war an sich ein Wunder!“

„Toilettekünste, theatralische Schaustellung, vielleicht ein hübsch ausgestatteter Automat,“ warf der Freund mit Achselzucken ein.

Der Herzog fuhr auf.

„Strafe meine Augen nicht Lügen, es sind die scharfen und wohlgeübten eines Jägers; nicht eine Linie ihres ebenmäßigen Gesichts, kein Blick ihres großes, blauen Auges, kein Lächeln der sanft geschwellten Lippen, kein Athemzug, keine Bewegung des göttlichen Leibes, der doch von ebensolchem Fleisch und Bein war wie der unsere, ist mir entgangen. Nie sah ich ihresgleichen und ewig werde ich mich nach ihr sehnen!“

Es half Goethe nichts, dagegen zu streiten. Er gerieth allmählich in Hitze und verdarb es dadurch ganz. Wäre er ruhiger zu Werke gegangen, so würde er sich vielleicht den alten Einfluß auf des Herzogs Stimmung bewahrt haben. Hier trat die Verschiedenheit ihrer Naturanlage aber schroff gegen einander, und so fehlte für den Augenblick von beiden Seiten das richtige Verständniß. Karl August hatte nichts dagegen, sich etwas vorgaukeln zu lassen, wenn es ihn amüsirte und sobald Genuß dabei herauskam. Goethe haßte jede Art von falschem Schein. Hielt er doch vorzugsweise auf Wahrheit. Auch zählte er acht Jahre mehr als der feurige junge Fürst, der in den Brausejahren der Entwickelung stand und noch nicht ernstlich an eine Begrenzung dachte.

[646] Es gab noch mannigfache Erörterungen über jenes Abenteuer in der geheimnißvollen Grotte, und Goethe hielt dem Herzog gegenüber mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge.

„Sie sind der Lüge im Grunde ebenso abgeneigt wie ich,“ sagte er eines Tages mit freundschaftlichem Eifer. „Sie haben den schlichtesten Menschenverstand, mein lieber gnädiger Herr, Sie sind thätig, fertig, entschlossen und durchaus kein Schwärmer; warum nun hier von Allem absehen und sich einem Menschen gefangen geben, der Ihr Denken verwirrt, Ihr Vertrauen mißbraucht und dessen Zwecke man nicht kennt? Verlangen Sie Klarheit, Beweise, und halten Sie den närrischen Großkophta, bis er dieselben beibringt, fern.“

„Dir hilft weder Spott noch Tadel!“ rief seinerseits Karl August heftig. „Ich weiß, was ich sah, und mache damit, was ich will, und damit basta!“

Fast entzweit durch ihre völlige Meinungsverschiedenheit trennten sich die Freunde.

Der Herzog hielt sich Goethen in der nächsten Zeit ferner; er war mit seiner Erinnerung beschäftigt, behandelte das Verhältniß zu seiner Gemahlin mit noch größerer Gleichgültigkeit und entschloß sich endlich, an Saint Germain zu schreiben und ihn um Aufklärung, um ein nochmaliges Zusammenkommen mit der geheimnißvollen Schönen zu bitten.

Der Graf antwortete ausweichend, ablehnend und versicherte, wenn die Zeit gekommen sei, werde er von ihm hören. Endlich, in dem Verlangen, sich gegen einen Vertrauten auszusprechen, besuchte Karl August wieder den Freund.

Er saß an Goetheʼs Schreibtisch, auf welchem dessen aufgeschlagene Zeichenmappe lag, und blätterte. Indem er wiederum mit glühenden Farben jene holde Venus pries, ließ er mechanisch die Skizzen des Freundes durch seine Finger gleiten. Plötzlich schrie er laut auf, hielt ein Blättchen hoch, sprang empor, stürzte auf Goethe zu und rief:

„Sie ist’s! O Wolf, Freund, Mensch, woher hast Du dies?“

Es war die Portraitskizze Gretchen Slevoigt’s, welche Goethe einst vor dem Waldhäuschen genommen hatte. Goethe erschrak, „unmöglich,“ stammelte er.

„Matt, nicht blendend und göttergleich,“ murmelte der Herzog, „aber doch ihre unvergeßlichen Züge. Bist Du im Complot gegen mich? Sprich, was weißt Du und wo finde ich sie?“

Goethe überlegte. War es möglich, daß Gretchen – Nein – unmöglich; aber wenn sie es doch gewesen, wie konnte sie in diese seltsame Intrigue verwickelt worden sein? – Er mußte sie vor den Nachstellungen des heißblütigen jungen Fürsten bewahren, und vor allem durfte keine neue Scheidewand zwischen den Herzog und seine Gattin sich aufthürmen, er mußte Luise schützen, die ihn ohnehin den Verführer des Herzogs nannte. Nein, sie durfte, sie sollte nicht Recht haben mit diesem Vorwurf!

Karl August fuhr ungeduldig auf, als Goethe schwieg: „Du siehst, wie ich mich seit Monaten nach ihr sehne, Du weißt von ihr, sie ist ein sterblich Weib und mir nicht unerreichbar! Wolfgang, bist Du mein Freund, so beweise es jetzt, rede und hilf mir!“

Goethe lachte. „Woran denken Sie?“ sagte er schelmisch. „Wenn hier eine Aehnlichkeit vorliegt, so hat Ihre Schilderung meine dichterische Einbildungskraft befruchtet und meinem Stift divinatorische Gaben verliehen; machen Sie mir ein Compliment, aber verlangen Sie nicht, daß ich, ein zweiter Pygmalion, sogar diese Bleistiftskizze belebe.“

Zornig brach der Herzog auf: „Auch Du führst mich an! Aber laß mich, ich werde sie mir schon selbst aufsuchen.“

Er ging directen Weges zu Görtz – kannte er diesen doch als einen Feind und Widersacher Goethes. Darum stellte er sich in diesem Augenblicke gereizten Gefühls auf Seiten des Hofmarschalls.

Görtz empfing den seltenen Besuch in submissester Weise; als er einzelnen Andeutungen nach merkte, daß der Herzog auf Goethe nicht wohl zu sprechen sei, erhellten sich seine Züge noch mehr.

„Ich habe da Anfang Mai beim Landgrafen in Barchfeld eine höchst interessante Bekanntschaft gemacht, lieber Hofmarschall,“ sagte der Herzog endlich nicht ohne Verlegenheit. „Eine Bekanntschaft, die ich fortzusetzen wünsche. Es war dies ein Graf Saint Germain, der sich in Kassel aufhält; schreiben Sie dem Herrn und laden ihn in höflicher Weise zu uns ein.“

Görtz versprach, in kürzester Frist und so geschickt wie möglich dem Auftrage nachzukommen.

Als der Herzog gegangen war, setzte er sich an seinen Schreibtisch und verfaßte folgenden Brief:

„Triumph, lieber Graf! Ihre eminente Geschicklichkeit, Ihre Menschenkenntniß trägt den Sieg davon! Sie haben in jeder Hinsicht recht prophezeit; unser allergnädigster Herr ist total von Ihnen enchantirt und ladet Sie hiermit, in bester Form, durch mich ein, an seinen Hof zu kommen.

Sie sind in der That ein Wundermann, denn sein uns so unliebsamer, plebejischer Günstling geräth in’s Wanken; es bedarf nur noch einer kleinen Nachhülfe, eines Schachzuges Ihres bewunderungswürdigen Geistes, um den Frankfurter Advocaten, der sich in unsere Reihen drängte, total aus dem Sattel zu heben! Wollen Sie ihn jetzt offen bekämpfen, oder wollen Sie sich erst incognito hier umsehen, das Terrain persönlich recognosciren, die eine oder andere Mine gegen ihn legen und erst, wenn er gänzlich beseitigt ist, hervortreten, um, allerdings mit anderer Berechtigung, seinen Platz, also den eines allmächtigen Günstlings einzunehmen?

Dies alles muß ich Ihrem bewährten Scharfsinn überlassen. Rechnen Sie, wie bisher, ganz auf mich und eine kleine Elite gesinnungstreuer Aristokraten, von denen Sie vielleicht den einen oder andern durch Ihr Genie sich auch noch fester zu attachiren für zweckmäßig erachten werden.

Wie immer Ihr treuergebener
Graf Görtz. Hofmarschall.“ 

Die nach einiger Zeit auf diesen Brief eintreffende Antwort lautete:

 „Verehrter Graf!

Durchaus bereit mich weiter mit Ihnen und Ihren Gesinnungsgenossen zu associiren und sehr verbunden für die complaisante Einladung, werde ich mir erlauben, derselben später nachzukommen.

Vorläufig habe ich noch einen Besuch in Hanau zugesagt, wo ich den Landgrafen Karl bei seinem Bruder treffe, um mit ihm das System der stricten Observanz – der Regeneration des Freimaurerorden im aristokratischen Sinne – wofür Sie sich auch so lebhaft interessiren, auszuarbeiten.

Der Landgraf ist mir ein lieber, höchst sympathischer Gönner, und wenn er auch kein regierender Herr ist, so darf seine Stellung in Schleswig, wo dänische Dienste ihn fesseln, eine durchaus fürstliche genannt werden. Jedenfalls komme ich aber, bevor ich mich ganz für den Landgrafen entscheide, nach Weimar, befreie Sie von Ihrem verhaßten Eindringling und sehe mich dort genauer um. Vermuthlich werde ich vorziehen, dies erst incognito zu thun.

Empfehlen Sie mich Ihrem Gebieter ganz unterthänigst, und stellen Sie meinen Besuch für eine spätere Zeit in Aussicht.

Im Namen der Vorsicht, Verschwiegenheit und Klugheit grüßt Sie Ihr
St. G.“ 

So mußte sich also der Herzog noch einige Zeit gedulden, ein Aufschub, der ihm um so peinlicher wurde, als er vergeblich versuchte, den alten guten Ton mit dem Herzensfreunde anzustimmen.

Dieser litt ebenso unter der zwischen ihnen obwaltenden Kühle und mehr als einmal überlegte er ernstlich, ob es nicht doch gerathener sei, Karl August die volle Wahrheit zu enthüllen. Wenn er ihm sagte: Deine Venus ist eines Försters Kind im Walde, sie ist rein wie eine Blume, auf der noch der Thau liegt; schone sie, gieb sie ihrem Verlobten, mache sie nach ihrem Sinne glücklich, [647] und sei es selbst durch Edelsinn und Entsagung! Würde aber der junge Brausekopf, der mit heißen Lippen nach dem Becher des Genusses lechzte, jetzt schon im Stande sein, ihn zu verstehen? Würde er ihm folgen? Er wußte selbst, was Entsagung heißt. Würde aber Gretchen dem Herrn, dem Gebieter ihres Vaters widerstehen? Er wagte für Beide nicht gut zu sagen, denn er wußte, so hoch er auch den Freund hielt, daß sich des Herzogs Lust zu Abenteuern in letzter Zeit immer mehr gesteigert hatte. Konnte er nicht offen sprechen: Man hat Dir jenes Weib als Lockspeise vorgehalten, nun erkenne doch den Betrug! so blieben alle seine Warnungen vor dem Wundermanne wirkungslos und der Herzog in den Fäden, die ihn gefangen hielten. Daneben aber quälte ihn die Frage: hatte Gretchen wirklich die Venus gespielt, und wenn hier nicht eine Aehnlichkeit, eine Einbildung trog, wie war es möglich gewesen, sie dazu zu bestimmen?

Er mußte diesem Geheimnisse auf den Grund kommen - sobald als möglich.

Während nun der Herzog an einer quälenden Unruhe und Verstimmung litt und das Verhältniß der beiden Freunde getrübt blieb, bemühte sich Goethe, durch allerlei äußere Lustbarkeiten den Freund von seinen Gedanken an das erlebte Abenteuer abzuziehen und ihm die Zeit, von der er Heilung und Milderung der Spannung hoffte, sanft und heiter zu verkürzen.

Es ward immer abwechselnde Unterhaltung geplant, man sah sich täglich, und Karl August war noch viel zu jung und lebensfrisch, um durch jenes Abenteuer wirklich aller andern überdrüssig zu sein, vergaß gern auf Stunden, was ihn beunruhigte, und schloß sich von keiner Ergötzlichkeit aus. So erreichte denn auch Goethe zum Theil seinen angedeutete Zweck.

Im Juni hatte Goethe den großen Schmerz erlitten, seine einzige geliebte Schwester durch den Tod zu verlieren; aber er fand ein treues Herz, in welches er sein Weh ausschütten konnte, ja fast Ersatz für seinen Verlust in der geliebten Freundin. Manche ernste Unterhaltung führte die beiden eng verbundenen Seelen noch näher zusammen. Die tiefe düstere Welt des Schmerzes, das Leid in vielen Formen, Entsagung und strenge Selbstzucht waren die eigentlichsten Erfahrungsgebiete Charlottens, welche, mit einer zarten Gesundheit, an der Seite eines kühlen Gatten, bei dem Verlust ihrer Kinder und manchem andern Leid, auf sich selbst angewiesen, in sich die Kraft zum muthigen Ertragen gefunden hatte. Aber nicht allein sein trauriges Erlebniß theilte sie mit dem Freunde, auch das Geheimniß und die Abenteuer des Herzogs erfuhr sie, sowie Goethes abweichende Ansicht und das daraus entsprungene Mißbehagen zwischen den Unzertrennlichem

In dem behaglichen Stübchen Thusnelda’s im Witthumspalais versammelte sich schon seit längerer Zeit an jedem Sonnabend Morgen ein intimer Kreis, der eigentliche Kern jener Lustigen von Weimar. Regelmäßige Theilnehmer jener Matinées, welche sogar oft ein Blatt mit scherzhaften Berichten und Versen verfaßten, waren Goethe, Wieland, Knebel und Einsiedel.

Heute waren diese Vier mit dem kleinen Hoffräulein allein.

„Nun, Bruder Merlin, Du Zauberer,“ sagte Wieland zu dem geliebten jungen Freunde, „schwinge Deinen Stab, schütte Dein Füllhorn aus und sag an, was es zunächst geben soll!“

„Wir müssen,“ sprach Goethe, der jetzt wieder Herr aller Verstimmungen war, „eine Aufführung schaffen, die uns Rembrandt’sche Bilder liefert; die Frau Herzogin Amalie verlangt nach einem Beweis der außerordentlichen Wirkung des schroffen Helldunkels. Wir wollen ihr ein Abendfest in Tiefurt bereiten, mit Fackeln, brennenden Reisigbündeln und andern Feuern, das lauter Rembrandts giebt!“

Und nun entwickelte er seinen Plan, dem Alle freudig zustimmten.


24.

Ein schöner Augustabend versammelte also wieder die lustige Welt von Weimar in dem reizvollen Tiefurt, wo an den Ufern der Ilm das frischerdachte Singspiel von Goethe: „Die Fischerin“, aufgeführt werden sollte.

An einem sanft aufsteigenden Hügel der Gartenanlagen, unmittelbar am Flußufer, von wo man den Lauf der durch Wiesen sich hinschlängelnden Ilm vor sich sah, war mit Gartenbänken ein Amphitheater hergestellt, das die Gesellschaft aufnahm.

Die einzige Beleuchtung gab das mächtig lodernde Herdfeuer, über dem der Fischerin Kessel mit der Abendkost für die abwesenden Männer brodelte und an dem sie hantirte.

Die schöne Gestalt Corona’s, welche die Fischerin darstellte, nahm sich in der kleidsamen Tracht eines Fischermädchens, jetzt grell beleuchtet, dann in tiefem Schatten halb verschwindend, gar malerisch aus. Ihr Vortrag des Liedes vom Erlkönig war hinreißend in seiner dramatischen Vollendung, und ein leises Grauen, als werde nun noch viel Schauerliches kommen, überlief die Zuhörer.

Sie versteckte sich und die Männer traten auf.

Wieland gab einen recht behäbigen, gemüthlichen Vater, und Goethe war ein so feuriger Liebhaber, wie man ihn nur wünschen konnte. Sie spielten Beide ihre Rollen zur Zufriedenheit, und obgleich die Zuschauer wußten, daß Dortchen sich verborgen halte, brachte doch die Aufregung der Suchenden, das Herbeieilen der Nachbarn, das Rufen, das Auslaufen der Kähne, die Feuer an den Ufern eine lebhafte Spannung hervor.

Der folgende Chorgesang, vermischt mit dem Rauschen des Wassers, dem Flüstern der Blätter, den herüber schallenden Lauten der freien Natur, gab eine schöne Wirkung. Bald wechselnd, bald zusammen sangen die Nachbarn:

„Eilt nur geschwinde!
Lauft nach den Reusen!
Wohl blieb sie hangen,
Und zündet Schleifen,
Und brennet Fackeln
Und Feuer all!
Geschwind zu Schiffe!
Herbei die Stangen!
Sie aufzusuchen!
Sie aufzufangen!
Den Strom hinunter!
Habt Acht! Habt Acht!“

Die Freude des Wiedersehens, als Dortchen hervortrat, erleichterte Alle, und höchst befriedigt hörte man nach einigen lebhaften Scenen und Wechselgesängen den Schlußchor, in dem man sich mit der Heirath des Paares beschäftigte; der letzte Vers lautete:

„Was soll die Aussteuer sein?
Der Beifall soll die Aussteuer sein!
Kommt, wendet Euch zu ihnen,
Die unserm Spiele lächeln;
Was wir auch nur halb verdient,
Geb’ uns Eure Güte ganz!
Geb’ uns Eure Güte ganz!“

Freudiger Applaus, das erbetene Zeichen des Beifalls folgte stürmisch, und befriedigt erhob sich die Gesellschaft, um in heiterem Geplauder, in einem Spaziergange durch den jetzt schön illuminirten Park neue Freude zu suchen.

Der Zufall fügte es, daß Luise von Göchhausen in einem rosefarbenen Domino ihren kleinen Oheim, den Oberkämmerer von Göchhausen, erkannte. Da sie den alten Herrn seit einiger Zeit nicht besucht hatte und sich in ihrem Gewissen diese Vernachlässigung ihres einzigen Verwandten vorwarf, nahm sie seinen Arm und schlenderte mit ihm eine Allee hinunter.

„Wie befindet sich mein hochverehrter Onkel?“ fragte sie scheinbar mit großer Theilnahme.

„Ich hoffe bald der Sorge für meine Gesundheit gänzlich überhoben zu sein, chère nièce, entgegnete der alte Herr mit freudig bewegtem Tone.

Derartig hatte sich der stets besorgte Mann noch nie geäußert, und Luise sah ihn erstaunt aus ihrer Florbrille an.

Er trug die rosa Kapuze seines Dominos über den Kopf geschlagen, das saubere alte Gesicht sah in Heiterkeit strahlend darunter hervor, und die fahlen Augen gewannen einen lebendigen Ausdruck unter der schwarzen Halbmaske. Welch ein Glücksfall war dem alten Herrn widerfahren? Sie konnte sich nicht versagen, ihre neugierig theilnehmende Erkundigung fortzusetzen.

[664] Mit Ihrem Permiß, Onkelchen, Sie sehen so wohl, so heiter aus, daß Ihnen etwas Besonderes geschehen sein muß. Darf ich Ihre Freude theilen, darf ich wissen, um was es sich handelt?“ fragte Thusnelda mit schmeichelndem Tone.

„Eigentlich ist es eine secrete Affaire, mon enfant, flüsterte der alte Oberkämmerer, sich besorgt nach allen Seiten umsehend.

„Unter lieben Verwandten muß Vertrauen und Offenheit herrschen,“ sagte sie ermuthigend.

„Nun denn, aber précaution, Luise! Ich habe die Bekanntschaft eines Doctor Kaufmann gemacht. Der junge Gelehrte besuchte mich und vertraute mir im Laufe unserer Conversation an, daß er dreißig Jahre älter sei, als ich. ‚Herr!‘ rief ich ungläubig, ‚das ist impossible! Sie sehen aus wie ein blühender Jüngling von einigen zwanzig und behaupten neunzig Jahre alt zu sein?‘ ‚Doch, Baron, es ist so, höre mein Geheimniß‘ – der Schelm nannte mich Du! – ‚Ich behalte meine Frische in Folge eines Lebenselixirs!‘ ‚Eines Lebenselixirs!‘ rufe ich entzückt, ‚wo ist das zu acqueriren?‘ Er zuckt die Achseln und sagt, sein hoher Magus besitze das Aranum, welches, von Zeit zu Zeit wieder genommen, die Teufel des Siechthums und Alters austreibe, gebe es aber nur einzelnen Auserwählten. Ich flehte Kaufmann an, mir ein Rencontre mit seinem admirablen Chef zu verschaffen und von mir für den Trank zu fordern, was er wolle. Anfänglich wies er meine Bitten ab, dann vor ein paar Tagen ward er traitabler und hat mir endlich hier auf zehn Uhr in der Laube hinter dem Amor ein tête-à-tête mit dem Wunderbaren versprochen; ein Rendezvous, in welchem für ein Gehorsamsgelöbniß der herrliche Trank mein werden soll!“

„Also perennirende Jugend?“ sagte Luise belustigt. Sie sah darauf beim Lichte einer rothen Papierlaterne auf ihre dicke, mit Steinen besetzte Uhr, die halb Zehn wies.

Ein toller Einfall zuckte durch ihren übermüthigen Sinn.

„Hochgeschätzter Oheim,“ sagte sie feierlich, „vielleicht habe ich ein Mysterinm entdeckt, welches Sie noch rascher an’s Ziel Ihrer Wünsche führt; die Götter sind der harmlosen Unschuld gnädig, wie Sie wissen! Eben vor Beginn des Spiels, als es schon dämmerig in diesen Bosquets war, sah ich Christoph Kaufmann mit einem geheimnißvoll aussehenden Fremden auf jener versteckten Bank sitzen, hinter welcher mich mein Weg vorüber führte, da hörte ich folgendes Gespräch: ‚Wenn er wüßte‘, sagte Kaufmann – mit ‚Er‘ waren Sie natürlich gemeint – also, ‚wenn er wüßte, daß von Ihren Lippen, theurer Magus, einzig und allein das wahre Lebenselixir zu holen ist, daß jeder Kuß von Ihnen ein gesundes Lebensjahr einträgt, so würde er sich nicht mit einem Tranke begnügen.‘ ‚Jawohl,‘ entgegnete der Fremde, ‚aber diese schönste Gabe gehört nur meinen Lieblingen!‘ und darauf küßte er Kaufmann, daß es klatschte. Wie wäre es, theurer Oheim, wenn Sie sich diese Kunde zu Nutz machten und sofort, ehe er sich dessen versieht, über den Magus, der Ihnen eine Zusammenkunft bewilligt hat, herfielen? Sie könnten ihm in der Geschwindigkeit zehn Küsse rauben – denken Sie, zehn Küsse, zehn gesunde, jugendliche Jahre!“

„Goldkind, welch merveilleuse Entdeckung!“ rief der alte Herr triumphirend. Einmal im Bereich der Wunder, schien ihm nichts unglaublich.

„Möchte Ihnen Ihr Unternehmen wohl gelingen!“ sprach Luise eifrig mit unterdrücktem Lachen. „Ich will Sie aber nicht stören; da ist die Amor-Laube!“ Sie lief davon, kicherte ausgelassen vor sich hin, blieb dann plötzlich überlegend stehen und trug sich offenbar mit einem ergötzlichen Schwank.

„So geht’s,“ sagte sie in einem entschlossenen Tone, „mir glaubt er nicht!“ Sie setzte ihren kleinen Fuß mit dem Hackenschuh von Glanzleder auf eine Gartenbank und riß sich eine schwarze Sammetschleife vom Spann herunter, die sie verbarg.

Während die Göchhausen ihrer Intrigue nachging, schritt ein schlanker, in einen schwarzen Domino gehüllter und völlig maskirter Mann durch die halbdunkle Allee nach der Laube hin, in welcher der Baron von Göchhausen wartete.

Plötzlich kam aus einem Seitengange eine andere Maske eilfertig auf den Schwarzen zu; diese trug einen dunkelrothen Domino und ein eben solches Barett, sie nahm die Maske ab – ein irrender Lichtschimmer wies die Züge des Hofmarschalls Grafen Görtz.

Er ergriff den Arm des Andern, bog mit ihm zur Seite und begann: „Es ist noch zu früh für Ihr Rendezvous, der Baron bleibt Ihnen, Verehrtester, gewähren Sie mir noch eine ungestörte Unterredung.“

[666] „Ich bin ganz zu Ihren Diensten, Herr Graf,“ erwiderte eine scharfe Stimme.

„Sind Sie jetzt überzeugt, daß ohne Beseitigung des Favorit hier kein Raum ist für uns und nobele Passionen?“

„Ich bin es; dieser Poet dominirt Alles.“

„Sehen Sie, wie Recht ich hatte!“

„Kaufmann insiunirt mir, daß Goethe Serenissimus ernüchtert, daß er Abneigung, Mißtrauen gegen höhere Wissenschaften in dem Herzoge erweckt.“

„Er ist uns Beiden gleich sehr im Wege!“ rief Görtz befriedigt. „Stehen wir nicht an, alle Minen gegen ihn springen zu lassen!“

„Er scheint der hoheitsvollen, schönen Herzogin zu huldigen?“

„So? - Hm - eigentlich hat er eine andere Amour und Poussage.“

„Aber er verehrt sie doch?“

„Jawohl, wie wir Alle.“

„Einerlei, hier muß angeknüpft werden; diese Sturm- und Drangjugend verträgt starke Dosen; hier kann ich auch den kleinen harmlosen Baron gebrauchen!“

Ihre Pläne weiter erwägend, bogen sie in einen Seitengang.

Der Fremde, hier sich ganz sicher und unbemerkt wähnend, nahm auch die Maske ab und plauderte so mit seinem Begleiter.

Zur Gesellschaft zurückkehrend, unhörbar über einen Rasenplatz daherkommend, kreuzte jetzt Goethe mit Corona am Arm den Weg der beiden Herren.

Ein Augenblick allseitigen Stutzens; die Masken in beider Hand flogen vors Gesicht, - und mit bebendem Arm zog die Sängerin den Freund vorbei.

„Er; großer Gott!“ murmelte sie.

Das Paar hatte jetzt den hellerleuchteten Platz vor dem Hause, wo sich die Gesellschaft in buntem Durcheinander bewegte, erreicht.

„Wer war der schwarze Domino, Corona?“ fragte der Dichter.

„Ich weiß nicht - kenne ihn nicht,“ murmelte sie, wie ihm schien, in peinlicher Verlegenheit.

Sie ward gleich darauf von verschiedenen Personen umringt und machte sich von Goethe los.

Dieser ging Frau von Stein aufzusuchen, um von ihr ein gutes Wort über sein Gedicht und sein Spiel als Niklas zu hören. An ihrer Seite vergaß er bald alles Andere.

Die Sammetschleife verborgen in der Hand haltend, begab sich Luise von Göchhausen zur Gesellschaft zurück.

Es war oft in ihren Kreisen besprochen worden, daß Corona, in Folge eines dunklen Verhältnisses, stets eine schwarze Sammetschleife, gewissermaßen als Orden trage. Diese Thatsache ließ sie überzeugt sein, daß die schöne Sängerin einem Gebot, das mit jenem Zeichen an sie gelangte, gehorchen werde.

Sie fand Corona, die als Dortchen leicht kenntlich war, bald in dem Kreis verschiedener Verehrer, die mit ihr über ihre Rolle, ihren Gesang, den Verlauf der Aufführung sprachen.

Rasch zu ihr hindurchschlüpfend, wies sie ihr die Schleife in halbgeöffneter Hand und rannte ihr zu: „Ein hochwichtiger Auftrag!“

„Himmel, auch Sie in seinem Bann!“ flüsterte Corona erschrocken und verließ sofort ihre Bekannten, um mit der Göchhausen zur Seite zu treten.

„Unser Meister,“ sagte Luise wichtig, „gebietet, daß Sie sich unverzüglich zum Herzoge begeben und ihm Folgendes ausrichten: ‚Diejenige, welche Dein Herz ersehnt, harret Deiner in der Laube hinter dem Amor!‘“

„Gut,“ entgegnete Corona, mit feierlich entschlossenem Ton, „ich gehorche unverzüglich und werde den Herzog bald finden.“

Sie ging und die Göchhausen spionirte sehr erheitert und überzeugt, daß Karl August einer solchen Lockung nicht widerstehen werde, dem weiteren Verlauf ihres Schabernacks nach.

Der Herzog scherzte mit Auguste von Kalb und Adelaide von Waldner, die, in lichte Dominos gehüllt, sich neckend an seine Fersen geheftet hatten.

Corona winkte ihn mit bittender Geberde zu sich; er entrann seinen hübschen Plagegeistern und trat zu ihr mit der Frage nach ihren Wünschen.

Ernsthaft sprach sie. „Unser Meister laßt Euer Durchlaucht ausrichte: Diejenige, welche Ihr Herz ersehnt, harre Ihrer in der Laube hinter dem Amor!“

Der junge Fürst stieß einen Freudenlaut aus. „Endlich!“ rief er begeistert, „endlich hat er sich meiner Sehnsucht erbarmt!“

Und sogleich schlug er die zu der bezeichneten Laube führende Allee ein.

Die Göchhausen, wohl überzeugt, daß der Herzog einer Liebeslockung nie widerstehen werde, aber doch überrascht von der außerordentlichen Wirkung ihrer List, vermochte kaum so rasch zu folge, wie der Herzog vorauseilte.

Jetzt hielt er, wie beklemmt von den Schlägen seines Herzens, athemlos vor Spannung, neben dem lieblichen Marmorgebilde an, welches inmitten eines Kranzes von Lämpchen stand.

Er drückte die Hand beschwichtigend auf die Brust - seine listige Verfolgerin erreichte eben die Seitenwand der Laube - dann raffte er sich auf, murmelte in äußerster Gemüthsbewegung: „himmlische Frau Venus!“ und trat, scharf in das Innere des grünen Heiligthums lugend, in die Laube.

Eine Gestalt, in hellem Domino, sprang von der Bank auf und ihm entgegen; es war zu dunkel, um Gesichtszüge zu unterscheiden; das Wesen schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn inbrünstig. Ein helles Gelächter an seiner Seite machte den Herzog zuerst stutzig – er machte sich los, vielleicht auch nur, um frei aufzuathmen.

„Nur zwei!“ sagte die „Göttin“ mit bedauerndem Ton und heiserem Baß.

„Die Kickenliese läßt grüßen!“ rief Luise von Göchhausen und entfloh, glückselig über das Gelingen ihres Possenspiels.

„Donnerwetter, was ist das? Wen haben wir hier?“ fluchte der Herzog.

„Ach, Durchlaucht?“ rief der Oberkämmerer kleinlaut und enttäuscht. „Bitte tausendmal um Entschuldigung!“

„Pfui!“ machte der Herzog, „werde mich waschen müssen! Wie kommen Sie in aller Welt zu solchem Zärtlichkeitsraptus?“

Nach einigen zurückhaltenden Redensarten, von beiden unverständlich eingekleidet, da keiner mit der Farbe heraus wollte, ging der Herzog, enttäuscht und auf seine Widersacherin scheltend, schließlich aber doch über sein seltsames Mißgeschick lachend, durch die Allee zur Gesellschaft zurück.

Bald darauf trat ein schlanker Mann, in einen schwarzen Domino gehüllt, zu dem Oberkämmerer in die Laube.

Den Anlauf des kleine Mannes zur Wiederholung seiner Zärtlichkeit wehrte der Kommende mit starkem Arm ab; dann nahm er mit würdig, aber halblaut gesprochenen Worten den Baron von Göchhausen in Eid und Pflicht und händigte ihm schließlich, zur Belohnung, ein Päckchen von seinem wundervollen „Langlebensthee“ ein.

Mittlerweile waren auf Kies- und Rasenplätzen vor dem Hause verschiedene Tische gedeckt, an denen sich die Gesellschaft, wie der Zufall es fügte, zum Abendbrod zusammen gefunden hatte. Lakaien liefen ab und zu, Gläser klirrten, Gelächter ertönte hier und dort und viele Stimme schwirrte durcheinander.

Es gab für den Herzog, der auf der dämmerigen Allee kam, ein hübsches und belebtes Bild, auf diese bald heller, bald minder hell beleuchtete Gruppe zu blicken, die sich's in der lauen, dufterfüllte Sommernacht wohl sein ließen. Windlichter standen auf den Tischen, zahlreiche Lämpchen hingen in den Bäumen, und farbige Papierlaternen, ausländischen Prachtblüthen ähnlich, schwebten da und dort an unsichtbaren, von einem Zweige zum anderen gezogenen Fäden über den Häuptern der fröhlich tafelnden Gäste. Umschau haltend, lehnte Karl August im Schatten an einem Baumstamm und beobachtete die Gruppen vor sich.

An dem nächsten Tische saß seine Gemahlin; der Neid mußte es ihr lassen, daß sie sehr lieblich aussah! Ueber ihr schwebte eine Kette von lichtstrahlenden rothen Kelchen; sie trug einen himmelblauen Domino, dessen zurückgeworfener Capuchon Kopf und Hals frei ließ, eine leichtgepuderte Locke fiel zu jeder Seite des zarten Gesichts auf den Nacken herab und ein weißer Rosenkranz lag in dem aufgebauschten Haar. Zu seinem Erstaunen gewahrte er Goethe, in seinem knappen Fischercostüm jugendlich und schön, Luisen gegenüber und lebhaft zu ihr redend, was sie ohne Abwehr, wenn auch mit der ihr eigenen Zurückhaltung, geschehen ließ. An der Seite der jungen Herzogin saß Frau von Stein, die sich hier und da an dem Gespräch betheiligte. Die Herzogin Amalie, der Geheimrath von Fritsch, Baron Reinbaben, Wieland und einige andere Personen befanden sich noch an dem Tische.

[667] Seine erste Empfindung war Befriedigung, daß es dem Freunde gelungen sei, sich Luisen so weit zu nahen; seine zweite Erstaunen, Luise so ankömmlich zu sehen, sein endliches und überwiegendes Gefühl aber wieder jene Art von Eifersucht, seltsamerweise nicht auf die Frau – diese war ihm mit der Zeit zu gleichgültig geworden, sondern auf den Freund, mit dem er in letzter Zeit so wenig frei verkehren konnte, der ihm so absprechend erschien und nun, ihm entfremdet, sich dem feindlichen Theile zuwandte.

„Ist Luise ihm mehr, als ich ihm bin?“ fragte sich Karl August ärgerlich.

Als er dann, ganz gegen seine arglose Natur, noch verdrießlich hierüber nachsann und ungern seinem Wolfgang den Vorwurf der Treulosigkeit machen wollte, trat der lustige Kumpan Wedel, welcher ihn mit seinen in jedem Licht geübten Jägeraugen erspäht hatte, heran und bat ihn mit an seinen Tisch zu kommen, wo ein munterer junger Kreis, wie der Herzog ihn gern habe, beisammen sitze. Ohne sonderliche Lust folgte Karl August, war aber bald, inmitten der Gesellschaft, ebenso ausgelassen wie die Andern.

Vielleicht hätte er ganz den verstimmenden Eindruck vergessen, welchen er von seinem dunklen Beobachterposten mit hinweg genommen, wären ihm später nicht zufällig Worte zu Ohren gekommen, die jenen Eindruck festigten, sodaß er mehrerer Tage bedurfte, um einigermaßen wieder er selbst und ganz klaren Gemüths zu werden.

Die Gesellschaft war nämlich aufgebrochen, ein buntes Durcheinander, das hier und da in ein Gedränge ausartete, entstand. Der Herzog, in einem Wortgefecht mit der Göchhausen, die in der besten Laune über ihren wohlgelungenen Streich triumphirte, sich aber durchaus nicht in die Karten sehen ließ, war zurückgeblieben. Sein kleiner Widerpart entrann und er gerieth allein und unbemerkt hinter ein voranschreitendes Paar. Er erkannte Goethe’s Stimme, welche zu Frau von Stein sagte:

„Luise ist doch ein unendlicher Engel! Ein blinkender Stern! Ich konnte mich nicht enthalten einige Blumen aufzuheben, die ihr vom Busen fielen, und sie in der Brieftasche zu bewahren, die auf meinem Herzen ruht. Ich habe meine Augen hüten müssen, nicht zu oft über Tafel nach ihr zu sehen. Die Götter mögen uns Allen beistehen!“

Karl August war nicht so gleichmüthig, sich bei einer solchen Gelegenheit mit der Rolle eines stummen Hörers zu begnügen, aber zu edel geartet, zu herzlich für den Freund gesonnen, um Uebles in dessen Verehrung für Luise zu finden.

Ein paar große Schritte brachten ihn an Goethe’s Seite, wo er mit merklicher Ironie ausrief:

„Du scheinst meine frostige Gemahlin als Deine Muse zu feiern? Glück zu! Wird aber Deinen Versen nicht sonderlich bekommen!“ Worauf er bitter lachend abbrach.

„Meine Muse wird immer nur ‚die Wahrheit‘ sein, so hoch ich auch Ihre Durchlaucht verehre!“ entgegnete Goethe ernst, dann fügte er bewegt hinzu: „O lieber gnädiger Herr, wo haben Sie Ihre Augen, daß Sie den Reiz des Weibes nicht gewahren, welches Ihnen gehört?“

„Meine Augen sahen jüngst in die helle, lichte Sonne und sind blind für alles Andere!“ rief der Herzog mit Nachdruck.

[680]
25.

Corona Schröter hatte an dem Abend in Tiefurt, als sie, erschüttert von jener Begegnung im Park, mit Einsiedel zu Tisch saß, ihrem treuen Verehrer das Versprechen völliger Offenheit gegeben. Vertrauensvoll wollte sie ihm endlich die Gründe darlegen, welche sie hinderten, sein Liebeswerben anzunehmen. Es ward ihr sichtlich schwer, seinem Flehen und Drängen um Aussprache zu willfahren, aber sein Zweifeln an ihrer Empfindung für ihn, seine trübe Klage über seinen Unwerth, seine ungenügende Begabung, Stellung, Besitz – für sie, die er so hoch hielt, rührten ihr Herz tief.

Die schöne Sängerin saß wenige Tage später, den Freund erwartend, bang und niedergeschlagen in ihrem Zimmer; das siegreiche Auge gesenkt, die Wange bleich, war sie mit den im Schoß gestalteten Händen kein Bild glücklicher Liebe.

[681] Vor ihr stand die dicke, kleine Freundin, ihr, wie so oft schon, vergeblich Trost zusprechend.

„Es muß sein; und wenn er alles weiß, wird es besser mit mir werden!“ seufzte Corona. „Sorge Dich nicht um mich, Minchen, ich muß es überstehen! Und laß uns allein, wenn er kommt, denn was wir in dieser Stunde miteinander ausringen, darf Niemand, auch das treuste Freundesherz nicht, theilen.“

Bald darauf hörten sie Einsiedel’s Schritt auf dem Hausflur. Wilhelmine sprang hin ihm zu öffnen und schlüpfte dann, mit einem traurigen Blick auf die Freundin, hinaus.

Corona erhob sich und streckte dem Kommenden die Hand entgegen; ihre Glieder bebten, und sie mußte sich niedersetzen, um nicht hinzusinken.

Er eilte auf sie zu, preßte ihre Hand an Lippen und Herz und sah sie mit dem warmen Blick besorgter Liebe an.

„Wie bleich, Corona!“ flüsterte er; bewegt aber fuhr er fort: „Was werden Sie mir Großes, Trennendes zu sagen haben? O, ich schwöre Ihnen im Voraus: ich nehme es mit jedem Feinde, jedem Hindernisse auf! Sobald ich nur weiß, um was es sich handelt, bin ich zur That bereit.“

„Ich danke Ihnen für diesen Enthusiasmus der Liebe, der Ihrer still träumerischen Art seltsam, aber herzbestrickend läßt. Armer Freund! Sie und ‚Er‘, welch ein ungleicher Kampf! Armes unschuldiges, vertrauendes Kind, möchte ich sagen, wenn ich Sie mir Ihm gegenüber denke!“

„Corona! schonen Sie mein männliches Selbstgefühl und sprechen Sie es endlich aus, wer dieser Er, dieser Gewaltige, Unbezwingliche, Ihr Herr und Tyrann, der Spender jener unheimlichen Sammetschleife ist, und was er Ihnen ist.“

„Wir sind zu diesem Zwecke heute beisammen,“ erwiderte sie mit dem tiefsten Ernste. „Was er mir ist? O Einsiedel! - Er ist - mein Gemahl!“

Sie sank zurück und bedeckte ihr Angesicht mit den Händen. „Corona!“ schrie er aus, „Sie, Sie vermählt? Das ist also jenes Hinderniß! - Schrecklich! -“

Er ging mit starken Schritten in dem kleinen Zimmer auf und ab und trat wieder vor sie hin. Ihr mit sanfter Gewalt die Hände von den tränenfeuchten Augen nehmend, sah er sie liebevoll an und bat:

„Erzählen Sie mir Alles; sagen Sie mir, wie Sie ihm verbunden wurden und wer er ist!“

„Ja,“ entgegnete sie, sich aufraffend, „das Furchtbare ist ausgesprochen, es wird mich erleichtern, Alles erklären, Ihnen aus tiefster Seele beichten zu können.“

Er setzte sich zu ihr, nahm dann und wann ihre Hand und lauschte mit ganzer Hingabe ihren Worten. Corona hub an:

„Als ich zwölf Jahre alt war, kam ich mit Eltern und Geschwistern nach Leipzig und sang ein paar Jahre darauf in den großen Concerten. Der treffliche Capellmeister Hiller bildete mich aus, und ich lebte von ganzem Herzen in der Musik. Ich mußte mich anstrengen, denn ich sah eine hochbegabte, Alles verdunkelnde Rivalin mit mir um die Gunst des Publicums ringen; Sie wissen, wen ich meine: Demoiselle Schmehling, die jetzige Frau Mara. Diese Anspornung, Tüchtiges zu leisten, erhob mich und bewahrte [682] mich vor Tändeleien. Ich hatte nur Herz und Sinn für das Eine: groß zu werden in meiner Kunst!

Mein Vater fand ein anderes günstiges Engagement und zog mit der Familie fort, ich blieb, für die Collcerte angestellt, in Leipzig. - Sie werden es nicht für eitle Prahlerei halten, lieber Freund, wenn ich erwähne, daß mir von manchen Seiten gehuldigt wurde. Der Enthusiasinus des Jünglings und das ernstgemeinte Werben des Mannes kam mir entgegen, aber mein Herz schwieg, ich hielt mich selbst für kühl, für unfähig, mich dem vielgepriesenen Gefühl der Liebe zu erschließen. Wieder war es meine Kunst, von der ich überzeugt war, daß sie mich ganz ausfülle.

Da, kaum ein Jahr vor meinem Scheiden aus Leipzig, fiel mir in einem Concert ein schlanker Mann in schwarzer Salmmetkleidung auf, der mich mit seinen dunklen Augen unablässig verfolgte. Die Angst und Pein, welche ich unter seinen Blicken litt, steigerte sich derartig, daß es mir schwer wurde, meine zweite Arie zu Ende zu singen.

Noch beklommen von jenem Eindruck, schloß ich mich zum Nachhausewege einer bekannten Familie an und hatte, als die Frerunde mich verließen, nur noch ein kurzes Gäßchen bis zu meiner Wohnung zu durchschreiten. Als ich hier einbog, trat eine Gestalt ans mich zu, in der ich zu meinein unaussprechlichen Schrecken den imponirenden Fremden erkannte.

Er redete mich an und lobte meinen Gesang; ich verstand anfänglich in großer Verwirrung kaum, was er sagte, und erschrak zugleich über dies mir so fremde Gefühl von Angst und Scheu.

Er begleitete mich, ohne daß ich es ihm zu wehren vermochte, bis zu meinem Hause und bat beim Abschied, mich morgen besuchen zu dürfen. Obwohl ich überzeugt war, daß ich die Bitte nicht gewährt, wußte ich doch, daß er kommen würde.

Die Nacht verbrachte ich schlaflos und unter dem Druck einer beklemmenden Spannung, wie in Erwartung eines großen und folgenschweren Ereignisses, eines über mir schwebenden Verhängnisses. O, wie haben sich meine damaligen bösen Ahnungen bestätigt! Am andern Morgen wartete ich mit Zittern auf seinen Besuch und sah ihn gegen Mittag bei mir eintreten.

Es entspann sich nun ein ganz wunderbares Verhältniß. Mir ward nie wohl in seiner Nähe, ich sehnte mich nie nach seinem Kommen, aber ich mußte seine Nähe dulden, denn die Kraft ihn abzuweisen besaß ich nicht.

Zergrübelt habe ich mir den Kopf, um herauszufinden, worin seine Macht bestehe, die er vom ersten Augenblick an über mich gewonnen hatte.

Er war weder jung noch schön, aber alles an ihm trug das Gepräge der Vornehmheit, Sicherheit, Herrschgewißheit. Ich, sonst nicht ohne Selbstgefühl, kam mir in diesem Verhältniß vor, wie die Sclavin dem Sultan gegenüber, wie der Vogel im Bann der Schlange, kurz wie ein ganz willenloses und hülfloses Wesen.

Er sagte mir nach einigen Wochen - nichts von Liebe oder Leidenschaft - nein, nur, daß er wünsche, mich sein zu nennen. Und ich, erschrocken, aber nicht überrascht, ich - willigte ein!

Weshalb ich’s that, das blieb mir selbst ein Räthsel. Als er gegangen war, regte sich meine alte Selbstständigkeit, ich schalt mich, ich zürnte mir, ich beschloß mein Jawort zurückzunehmen, ihn nie mehr zu empfangen, keine Ueberredung zu dulden; als er aber kam, Pläne entwarf und mich seine ‚verehrte Braut‘ nannte, schwieg ich und bemühte mich, seinen Wünschen nachzukommen.

Ist es Ihnen nie geschehen, Hildebrand, daß Sie schier unwillkürlich Dinge thaten, Worte sprachen, die Sie eigentlich nicht thun, nicht sagen wollten? Mir ist dies Mißgeschick oder diese Schwachheit dem Grafen gegenüber oft begegnet. Ich weiß nicht zu sagen, was mich trieb oder hinriß, aber ich ging immer weiter, als meine Absicht war. Soll ich’s Furcht nennen? War’s Eitelkeit, die ihm genügen wollte? Oder war es Beides und der zwingende Einfluß seiner Persönlichkeit dazu?

Der merkwürdige Mann besaß ein fast übernatürliches Wissen. Er kannte alle Länder und vermochte auf das Lebhafteste von bedeutenden Menschen und fernliegenden Verhältnissen zu erzählen; ja manchmal schien sein genaues, persönliches Kennen sich auf längst Vergangenes zu beziehen, sodaß ich ihm mit starrem Schrecken zuhörte. Die Gedanken las er mir von der Stirn, beantwortete Fragen, die ich noch nicht ausgesprochen, war plötzlich dicht neben mir, ohne daß ich sein Kommen gehört, und beschäftigte so ausschließlich meine Gedanken, daß ich doch manchmal glaubte, ich liebe ihn.

Er hatte mir gesagt, daß er in Dresden wohne, aber Franzose sei, Graf Saint Germain heiße, und daß er wünsche, da ich hier weder eine eigene, noch eine seinem Range ebenbürtige Familie besitze, die uns eine Hochzeit rüsten könne, sich still mit mir in Dresden zu vermählen. Ich solle vorläufig meinen Contract nicht lösen, sondern, bis er sein Haus eingerichtet und gewisse Hindernisse beseitigt habe, wieder nach Leipzig zurückkehren.

Ich ging in meiner Bezauberung und Willenlosigkeit auf seine Vorschläge ein und reiste mit ihm nach Dresden.

Wir kamen gegen Abend an und stiegen vor einem düsteren Hause der Vorstadt ab. Pierre, sein französischer Kammerdiener, den ich schon früher mit ihm in Leipzig gesehen hatte, empfing uns. Wir fanden in einem großen Zimmer mit weißgetünchten Wänden einen blumengeschmückten Altar, aus dem reiche Armleuchter mit brennenden Kerzen standen, Vorkehrungen, die, obwohl sie mir nicht unerwartet kommen konnten, mich mit plötzlicher Angst erfüllten.

Der Graf führte mich in ein anstoßendes Cabinet, wo ich meine Toilette ordnete; der Brautkranz lag für mich bereit.

Als ich in das große Zimmer zurückkehrte, standen ein Geistlicher am Altar und zwei würdige, mir fremde Herren als Zeugen bereit. Die heilige Ceremonie begann sogleich; ich ward dem Grafen angetraut und fand, trotz innersten Widerstrebend auch hier, in der letzten Minute, nur das von mir verlangte Ja!

Nach der Trauung geleitete mich mein Gemahl in das Cabinet zurück, umarmte mich, bat mich, da ich zitterte und tief ergriffen war, der Ruhe zu pflegen, die Reise habe mich angestrengt, er wolle sich dem geistlichen Herrn und seinen Freunden, den Zeugen, empfehlen, ich solle, wenn ich mich erholt habe, ihn im anstoßenden Zimmer erwarten, wo wir mit einander soupiren würden.

Nach kurzer Zeit kehrte ich in das große Zimmer zurück. Der Altar mit den Armleuchtern war fortgenommen, dafür stand ein Eßtisch mit zwei Converts inmitten des Raums, ein Paar Lehnsessel daneben und irgendwo zur Seite ein mattbrennendes Licht. Ermüdet wie ich war, setzte ich mich in einen der Sessel und wartete.

Ich befand mich in zu großer Erregung um schlafen zu können, aber ein Gefühl von Schwindel kam über mich.

Mein Blick war starr auf die große, weiße Wand vor mir gerichtet, und mechanisch verfolgte ich die schwebenden Schatten, welche bei dem schwachen Licht jener einen herabgebrannten Kerze darüber hinfuhren.

Plötzlich dichteten sich jene Schatten, ich erkannte die Umrisse einer Gestalt – sie glitt, mit schleppendem Kleide aus dem Estrich wandelnd, heran. Es war eine Frau, doch in fremder Tracht. Als sie mir gegenüber stand, sah sie mich bekümmert an, hob die Hände wie klagend und sagte mit Jammertönen:

‚Armes Weib! Armes Weib!‘ - damit schritt sie vorüber.

Ich wollte aufspringen, schreien, aber ein kaltes Entsetzen lähmte meine Glieder.

Schon folgte der Ersten eine Andere. Sie war nicht wie ihre Vorgängerin gekleidet, mich sahen mich noch bleichere Gesichtszüge an, dunkles Haar fiel über ihre Schultern.

‚Auch Du verloren?‘ sagte sie mit schneidendem Ton. ‚Auch Du von ihm verlockt?‘ Sie riß ihr Tuch herunter und ich sah ein rothes Mal an ihrem Halse.

Mit einem Angstschrei, der mich selbst entsetzte, schlug ich vom Stuhl zu Boden.“

Einsiedel war aufgesprungen und stand ihr gegenüber; er hatte die Arme untergeschlagen, um sein laut pochendes Herz, seine zitternden Nerven zusammenzupressen, jetzt rief er:

„Du träumtest, Corona! Dies war keine Wirklichkeit!“

„Höre nur weiter,“ sagte sie matt. „Als ich die Augen wieder öffnete, stand er, mit seinen gespannten Mienen, seinem eisigen Blick, über mich geneigt.

Ich sprang auf, wehrte ihn ab und warf mich ihm, von Todesangst getrieben, um Gnade stehend, zu Füßen.

Er verschränkte die Arme und sah mit einem spöttischen Ausdruck des Triumphes auf mich nieder.

‚Gräfin Saint Germain bist und bleibst Du,‘ sagte er kühl. ‚Das Wie, darüber läßt sich handeln.‘

[683] Und wir handelten, Hildebrand, wir handelten, aber seine erste Bedingung breche ich jetzt. Ich mußte ihm schwören, nie unsere Verbindung und meine Erlebnisse zu verrathen, nie das Liebeswerben eines anderen Mannes anzunehmen, stets ihm zu gehorsamen und, als Zeichen meiner Treue für ihn, diese schwarze Sammetschleife zu tragen.

Da hast Du mein Geheimniß! Auch die treue Wilhelmine kennt es nur halb.

Nachdem ich jene mir von ihm vorgeschriebenen Bedingungen mit den heiligsten Eiden beschworen hatte, gab er mich äußerlich frei und gestattete mir, in derselben Nacht mit einem von ihm herbei geschafften Wagen allein nach Leipzig zurück zu reisen.“

„Teufel von einem Mann!“ rief Einsiedel aus. „Was konnte ihm daran liegen, diese Komödie, dieses Bubenstück mit Dir aufzuführen? Denn daß Alles Lug und Betrug war, glaube ich fest. Ich meinte, er habe Dich doch, trotz äußerer Kühle, mit heißer Leidenschaft geliebt. Er habe Dich besitzen wollen. Wenn das aber abgeschlossen ist, wozu die Mühe, Dich zu umgarnen?“

„Dieselbe Frage habe ich mir anfänglich oft vorgelegt. Vielleicht ist in ihm etwas von der Jagdlust des Raubthiers, welches sich an den Qualen der Beute freut; dem das Erhaschen, Zappelnsehen eine Wollust ist. Und dann: er konnte mich in meiner Abhängigkeit gebrauchen! Wie oft habe ich nicht von ihm Befehle empfangen und befolgt, an deren Ausführung ihm vielleicht etwas lag! Ich war stets sein willenloses Werkzeug für geheime Intriguen und bin in Folge meiner Stellung als Künstlerin mit vielen einflußreichen Leuten in Berührung gekommen. Ja, ich gehorchte ihm, denn ich zitterte und zittere noch, ihn zu erzürnen! Ich bin wie ein hülflos flatternder Schmetterling in seiner starken Hand: er gönnt mir Luft zum Athmen, so lange es ihm gefällt; drückt er die Hand zu, ist Alles aus.

Sein vor Zeugen ihm angetrautes Weib bin und bleibe ich, in eine Scheidung wird er nie willigen; lehne ich mich gegen ihn auf, so kann er Rechte geltend machen, an die nur zu denken mich mit Entsetzen erfüllt!“

Hildebrand von Einsiedel, der Poet und Idealist, der feine Hofmann und doch so treue kindliche Mensch, war nicht gemacht, die Geliebte aus diesem Netz geheimer Ränke zu befreien. Wäre er aber auch ein Haudegen, ein energischer, welterfahrener Mann gewesen, Corona’s grenzenlose Angst vor ihrem Gebieter, ihre Furcht, nur an die Kette zu rühren, die sie umschlossen hielt, würden seine Thatkraft gelähmt haben.

Sie wollte weiter nichts, als ihm begreiflich machen, daß an eine eheliche Verbindung zwischen ihnen Beiden nicht zu denken sei, und Hildebrand’s weichem, passivem Charakter gegenüber glückte ihr dies Vornehmen bald.

Er gelobte ihr Schweigen und endlich, doch nach manchem Kampf – Entsagung.

Sie versprach, ihn ewig als Freund, als Bruder zu lieben. So schieden sie, auf einer neuen Stufe ihres Verhältnisses zu einander angelangt.

[698]
26.

Bald nach dem Abendfeste in Tiefurt kam am 25. August der Ludwigstag heran, den man als Namenstag der Herzogin Luise feierte.

Die hohe Frau hatte durch ein wenig mehr Entgegenkommen und Freundlichkeit neulich in Tiefurt Goethe so tief bewegt und wieder so sehr für sich eingenommen, daß er sich sofort mit Plänen trug, ihren festlichen Tag zu verherrlichen. Er fand zu seiner Ueberraschung auch diesmal in der feindlichen Partei - das heißt bei Görtz und seinen Anhängern - eine rege Theilnahme.

Neuerlicher Gewitterregen hatte eine Ueberschwemmung des „Sterns“ herbeigeführt, wo anfänglich ein Festspiel beabsichtigt war, daher mußte man jetzt einen andern Plan entwerfen.

Am linken Ufer der Ilm führte, vom Fürstenhause aus gangbar, ein erhöhter Weg her; etwas flußaufwärts stand eine Mauer, um als Kugelfang vom Schießhause aus die Umgegend zu schützen; diese sowie ihre Umgebung lag hoch und trocken. Hinter der Mauer befand sich ein Platz mit herrlichen alten Eschen und Gebüsch, derselbe konnte jede Art von Ueberraschung bergen; davor, den weiteren Ausblick versperrend, ließ man in den bis zum Feste noch übrigen drei Tagen heimlich eine hübsche kleine Einsiedelei aufbauen, mit Strohdach, Borkenbekleidung und Mooswänden, die man vorn und hinten verschiebbar einrichtete.

Goethe und Seckendorf, der talentvolle Poet und Componist, hatten mittlerweile ihr Festspiel fertig und mit den anderen Freunden einstudirt. Sie wollten in Mönchskutten erscheinen, erzählen, ihr Kloster sei durch die Fluthen vernichtet, dies Häuschen habe man gerettet, und hierher lade man die Gesellschaft zur frugalen Kost, dann sollten sich des Borkenhäuschens Thüren aufthun und man einen bescheiden besetzten Tisch sehen, auf dem sich nichts befinde als eine irdene Schüssel mit Bierkalteschale, ein Laib Brod, Zinnteller und Holzlöffel. Wenn die Hofgesellschaft dastehe, nicht wissend, was aus dem Scherze zu machen sei, solle sich die hintere Wand des Häuschens öffnen und unter den alten Eschen wohlbesetzte Holztafeln, geputzte Gäste und symphonische Musik sie einladend begrüßen, worauf dann die Glückwünsche der Anwesenden an die gefeierte Fürstin den Uebergang zum festlichen Schmause bilden sollten.

Diesem Plane gemäß spielte sich das Fest am Mittage des 25. August ab. Der Herzog, seine Gemahlin, Herzogin Amalie und ihre nähere Umgebung hörten die Reden der Mönche, als welche Prinz Constantin, Goethe, Seckendorf, Knebel, Wieland, Einsiedel und einige Andere auftraten, standen erstaunt am Tische mit der Kalteschale und athmeten erfreut und lachend auf, als bei dem Wegziehen der Wand das festlich heitere Bild sie einlud.

Die Mönche machten anfänglich Miene, ihre Gäste zu bedienen, und Goethe, der Pater Decorator, hielt sich hinter dem Stuhle der Herzogin Luise, um ihr wenigstens die Suppe zu reichen. Dann aber mußten die würdigen Herren in ihren weißen Kutten sich zwischen den Gästen an den Tafeln einreihen und an den Freuden des Mahls wie alle Anderen theilnehmen.

In den Pausen des Diners schlossen sich den Instrumentalvorträgen Gesangsstücke der Sängerinnen Corona Schröter und Luise Rudorf an, worauf die gern gesehenen jungen Mädchen an einem der Nebentische ihren Platz aufsuchten.

Goethe hatte sich heute einmal wieder das Couvert neben Corona gewählt. Bei solchen festlichen Gelegenheiten durfte er nicht hoffen, neben der Freundin zu sitzen, die, als Gattin des Oberstallmeisters, in der Nähe der höchsten Herrschaften ihren Platz fand.

Corona, die schöne liebenswürdige Künstlerin, übte eine große Anziehungskraft auf ihn aus, wenn er auch wußte, daß ihr Herz seinem Freunde Einsiedel gehörte, der auf ihrer andern Seite saß.

Aber weder für den einen noch für den andern ihrer Nachbarn fand Corona heute die rechte Aufmerksamkeit; sie antwortete zerstreut, starrte auf einen Punkt, wechselte oft die Farbe und bezeigte besondere Goethe gegenüber eine seltsame Scheu.

Einsiedel fragte sie flüsternd, was ihr fehle. Ob ihre Bekenntnisse gegen ihn sie beängstigten? Auf seine Verschwiegenheit und vollkommene Hingabe an ihren Willen dürfe sie doch bauen.

„Das ist es nicht, Hildebrand,“ entgegnete sie gleichfalls leise und mit Vorsicht, „ich habe einen Aufrag vom Meister, der gewiß Uebles bezweckt und mich furchtbar beunruhigt. O, daß ich ausersehen bin, den dunkelsten Plänen als Werkzeug zu dienen!“

Der Freund bat sie, ihm ganz zu vertrauen, ihm Alles mitzutheilen, was sie bedrücke, was sie thun solle; vielleicht lasse sich doch etwas ändern. Sie lehnte aber in ängstlicher Weise ab, sagte, der Graf müsse hier sein, sie könne doch nicht umhin, zu gehorchen. Das Verhängniß über ihr treibe sie wider ihren Willen! Er möge nicht weiter in sie dringen, sondern ihr Ruhe und Schonung gönnen.

Nach dem Mittagessen wurden von hurtigen Lakaien die Tische fortgeräumt und von den Musikern die Instrumente zu einer Polonaise gestimmt.

Man wollte sich nicht so bald trennen, es versprach ein herrlicher Abend zu werden, die Gesellschaft war lustig und guter Dinge; der Herzog, nach einigen Gläsern Champagner sehr aufgeränmt, erfreut von der Ueberraschung, entzückt von dem neu entdecktem fast unbekanntem Platz, erklärte, die Gesellschaft müsse beisammen bleiben.

So spazierte man unter dem Epheu umher, scherzte, lachte, saß in Gruppen zusammen, versuchte ein Tänzchen und unterhielt sich in der gehobenen Stimmung ganz vortrefflich.

Goethe forderte Corona zur Polonaise auf, sie dankte, da Einsiedel sie früher darum gebeten habe, den nächsten Contretanz aber solle er bekommen. Er erklärte sich einverstanden und trat jetzt mit ihr, strahlend vor Heiterkeit und Jugendlust, in die Reihen.

Die Ungebundenheit der Dinerstimmung fügte es, wie er glaubte, daß er sich plötzlich der Herzogin Luise mit dem Oberhofmeister Graf Görtz gegenüber sah, und heimlich lachend sagte er sich, daß der hochmüthige Graf sammt seiner edlen Partnerin zu anderen Zeiten wohl erlesenere Gegentänzer gesucht haben würde, als ihn mit der Sängerin.

Auch der Herzogin fiel diese Fügung unangenehm auf, und sie deutete ihrem Cavalier an, wie sie erstaunt sei, daß er nicht für ein passenderes vis-à-vis gesorgt habe.

Der Graf entschuldigte sich mit nichtssagenden Redensarten. Luise dachte, der Wein mache ihn confus, und dann begann die Musik, ehe sich etwas ändern ließ.

Hinter Goethe und Corona stand der kleine Baron von Göchhausen, heute in Folge des wohlthätigen Tranks aus den Händen des Wundermanns ganz besonders leicht und heiter gestimmt. Er sah dem Tanze zu, wiegte sich in den Hüften und schien seine ganze Theilnahme dem Treiben der Jugend zu widmen.

Plötzlich, als Goethe und Corona, ihren Platz verlassend, vortanzten, schoß er in den Kreis und raffte ein weißes Etwas vom Boden auf; er sah es nicht näher an, sondern verließ seinen bisherigen Standort und begab sich in die Nähe des Herzogs, der gleichfalls in dieser Quadrille und mit Luise von Göchhausen tanzte.

„Sie müssen zugeben, Tuselchen,“ sagte Karl August fröhlich, „daß dies wieder eine Fête ist, die unserem Zauberer drüben alle Ehre macht! Steckt er auch in der weißen Fahne von einer Kutte, der Goldjunge, die alle die anderen Männer miserabel kleidet, so sieht er doch immer aus wie ein junger Gott, und es ist die pure Unmöglichkeit, wenn man auch Ursache dazu hätte, ihm böse zu sein.“

„Durchlaucht haben Recht, amüsant ist’s heute, und ich bin hexenvergnügt!“ rief das kleine Fräulein und ließ ihre lachenden lebhaften Augen durch den Kreis herum und zu ihrem Partner fahren. „Dero Hätschelhaus scheint nachgerade allen Leuten genehm,“ fügte sie mit einem boshaften Seitenblicke auf Graf Görtz hinzu, der eben mit vieler Grandezza ein pas seul vor Goethe und Corona tanzte.

[699] Der Herzog lachte laut auf: „Himmlischer Anblick das! Wie er es nur angefangen hat, Freund Wolf, Luise als Gegentänzerin zu bekommen? Ich dachte, sie bisse sich lieber den kleinen Finger ab, als meinem armen Parvenü die Ehre zu erzeigen! Na, mich freut’s, wenn sie Raison annimmt, wenn er sie zu uns herumkriegt.“

In diesem Augenblicke wurde der Contretanz beendigt; als der Herzog nach der Verabschiedung von seiner Tänzerin sich wandte, stand der kleine Baron voll Göchhausen vor ihm, tief dienernd, submissest lächelnd und offenbar mit einem Anliegen auf dem Herzen.

„Eh, Baron, was wollen Sie? Wo drückt der Schuh?“ fragte der Fürst gnädig.

„Durchlaucht verzeihen, Durchlaucht gestatten“ – murmelte der kleine Mann. „Supponire, daß dies Schreiben – meine ergebenste Pflicht und Schuldigkeit Dero Einsicht zu unterbreiten.“

Damit hielt er dem Herzoge einen zusamnlengefalteten, adressirten, aber nicht gesiegelten Brief hin. Karl August griff mechanisch danach.

„Goethes Handschrift und an Luise! Gewiß ein poetischer Erguß, ein Festcarmen! Wie kommen Sie dazu?“

„Durchlaucht zu dienen, der Brief fiel aus der Tasche des Herrn Legationsrath Goethe, als er in der Quadrille avancirte. Ich stand hinter ihm und enlevirte das Schreiben.“

Als der Oberkämmerer sah, daß er nicht weiter beachtet werde, zog er sich mit einigen Bücklingen zurück. Der Herzog aber trat zur Seite und entfaltete sonder Arg und Bedenken den Brief.

Aber welch ein Wechsel auf seinem Antlitze! Flammende Röthe und fahle Blässe, eine zornig gestaltete Stirn, zerbissene Lippe, und endlich wilden Griffs ein Zerknittern, Zusammendrücken des Papiers, das er mit plötzlichem Rucke in die Tasche schob. Ohne sich umzusehen, ohne zu zaudern, verschwand er hinter der Schießmauer und verfolgte mechanisch den Weg an der Ilm her, der ihn zum Fürstenhause führte.

Die Musik zu einem Menuet, Gläserklirren und lachende Stimmen folgten ihm; er aber hörte nichts davon, seine Gedanken wühlten und bohrten zu gewaltig in ihm; das Blut kochte in seinen Adern und jede Spur froher Weinlaune, die ihn belebt hatte, war erstorben.

In seinem Palais angekommen, befahl er: „Ein Pferd!“ und ritt wenige Minuten später allein im Gesellschaftsanzuge zum Thore hinaus. Da hing er wie willenlos und gebrochen im Sattel, in seinem rothen, goldgestickten Sammetrocke, schlaff eine Reitpeitsche haltend, die sein Groom ihm eingehändigt hatte.

Die Stallbedienten, welche ihm nachsahen, schüttelten die Köpfe.

„Wenn er noch wetterte und fluchte, wär’s mir lieber,“ sagte ein alter Kutscher.

„Das schöne Zeug, die weiße Seidenhose ist hin,“ meinte bedauernd ein junger Reitknecht.

Der aber, dem diese Bemerkungen galten, ahnte nicht, daß er etwas thue, was auffallen müsse. Er hatte überhaupt kein anderes Gefühl als das eilte entsetzliche: sein Freund, sein Liebling, sein herrliches Vorbild - war ein gemeiner Heuchler und verrieth ihn unter gleißendem Schein; Irrthum schien ihm unmöglich. Er hatte die ganze Sachlage mit eigenen Augen gesehen; Göchhausen stand hinter Goethe, Luise tanzte ihm gegenüber; gewiß hatte dieser es so eingerichtet, um ihr den Brief zu geben!

Was nur Luise zu dem Briefe gesagt hätte? Er mußte doch mit ihr schon seiner Sache gewiß sein, um dies zu wagen! Also auch sie eine Scheinheilige? Sie, die Strenge, gegen ihn so Kühle! Aber freilich, ein Apoll, ein genialer Feuerkopf wie Goethe! Er wußte und fühlte es ja selbst, wie ihm die Herzen zuflogen! Ein tiefer Seufzer hob seine Brust. Nein, dies konnte er ihm nicht verzeihen! Liebte er auch Luise nicht, so war sie doch sein Weib, die Herzogin, die Hüterin seiner Ehre!

Trennung von Beiden war der einzige, der Endgedanke aller Ueberlegungen. Wo hatte er nur seine Augen gehabt, daß er nicht längst gesehen, wie der Freund sie inniger verehrte, als recht war? Freilich, so wie es der Brief aussprach, das hätte er doch nicht gedacht. Und es war nicht allein Goethe’s Handschrift, es waren Redewendungen, Worte, wie er sie oft von ihm gehört, und doch dies Unglaubliche, diese kecke Sprache sinnlicher Leidenschaft! Er wiederholte sich einzelne Sätze, die sich seinem Gedächtniß eingebrannt:

„Süßer, verschmähter Engel, den zu besitzen, zu entschädigen mir Seligkeit wäre! - Ich sehe und träume nichts, als die Himmelssterne Deiner Augen; o Luise, wenn Du Dich zu mir herab neigen, mich glücklich machen wolltest! - Er, der Dich nicht zu würdigen versteht, entbehrt auch nichts!“

„Seine Liebe für die Stein ist fingirt, ist ihm ein Deckmantel,“ fuhr der Herzog in seinem Selbstgespräche fort. „Die Frau ist seine Vertraute, Hehlerin, Zwischenträgerin. Welch ein erbärmliches, verworfenes Gezücht, unter dem ich lebe! Ich, dem das Höchste ist: ein edler Menschenkreis!“

Sein Pferd blieb in diesem Augenblicke an einem Gebüsche stehen und zupfte Blätter ab.

Jetzt zuerst kehrte er zur Gegenwart zurück, sah sich um, wo er sich befand, und nahm die Zügel fester. Er war, ohne es zu wissen, den Weg an Goethe’s Gartenhaus vorbei, nach Oberweimar geritten.

Die Sonne sank bereits; am liebsten wäre er landein gesprengt, hätte alles, was Klärendes und Trennendes geschehen mußte, brieflich abgemacht, aber so im Staatskleide ohne alle Vorbereitung und Begleitung? Er nannte sich selbst feige und riß plötzlich sein Pferd herum. Ein wilder Zorn flammte in ihm auf; er schlug mit der Peitsche über des Rosses Flanke und flog in sausendem Galopp den Weg in wenigen Minuten zurück, für den er vorhin im träumenden Verweilen so lange Zeit gebraucht hatte. Die rasche Bewegung that ihm wohl; die Sonne war jetzt im Untergehen, ein schönes, tiefglühendes Abendroth verklärte die Gegend; er mäßigte die rasche Gangart seines Pferdes, hielt sich gerüstet für alles, was geschehen mußte, und fühlte sich älter, aber auch fester geworden.

Sein Empfinden der bittern Erfahrung war aus dem dumpfen Wehgefühl in das Begreifen der Sachlage übergegangen. Er erkannte, daß er kurz und kräftig mit den Dingen fertig werden müsse.

So weit in seinem Gemüthe gekommen, wurde er durch einen Anruf aus seinem Gedankengange aufgeschreckt; unwillkürlich hielt er beim Ton dieser Stimme sein Pferd an und wandte den Blick hinauf, woher der Ruf kam.

Da stand Goethe in feiner Alltagskleidung auf dem Altan, vom warmen Abendroth umflossen, mit heiter strahlenden Blicken, und rief ihn noch einmal an:

„Mein lieber gnädiger Herr, wohin sind Sie uns enflohen? Warum verließen Sie das Fest?“

„Elender!“ knirschte der Herzog. Er wollte ihn ja nicht wiedersehen, hielt es unter seiner Würde, je wieder ein Wort mit ihm zu wechseln; dennoch, bei seinem herzbewegende Anblick, dem Ruf dieser geliebten Stimme widerstand er nicht. Rasch entschlossen wollte er jetzt alles gleich persönlich mit ihm abmachen, das war der einzig richtige, männlich tapfere Entschluß!

Er sprang vom Pferde, Philipp nahm dessen Zügel, und Karl August eilte in’s Haus.

Schon auf der Truppe zog er den verhängnißvollen Brief hervor, glättete denselben mit zitternden Händen und reichte ihn dem verrätherischen Freunde, als dieser ihm oben an der Treppe entgegen kam.

„Was soll dies Papier?“ fragte Goethe.

„Lies!“ herrschte der Fürst ihn an.

Beide traten, mechanisch vorgehend, in Goethe’s Zimmer; dieser wandte sich zum Fenster, um bei dem scheidenden Licht sehen zu können, was ihm der Herzog gegeben.

„Ein Brief von mir?“ fragte er erstaunt, „und an die Herzogin?“

Der Herzog lachte höhnisch auf; der Andere hatte diesen Ton nie von ihm gehört.

Goethe las und erstarrte.

„Meine Schrift!“ sagte er. „Manches von meinen Gedanken und Redewendungen, und doch so – das ist infam!“

Er warf in tiefem Widerwille den Brief mitten in’s Zimmer und rief:

„Durchlaucht, das schrieb ich nicht!“

„Du – Du leugnest?“

[706] Ich beschwöre, daß ich nichts von diesem Briefe weiß!“ begann Goethe nach einer Pause in tiefer Bewegung.

„Wäre es möglich? Soll – darf – kann ich glauben?“ rief der Herzog.

„Nicht ohne Beweis; wir müssen den Urheber entdecken!“

„Den Urheber? Göchhausen, der alte Tropf, gab mir den Brief; er hatte ihn aus Deiner Tasche fallen sehen.“

„Welch ein Gespinnst von Lug und Trug! Dahinter steckt ein Anderer als dieser blöde Baron!“

„Ein Anderer! Wer?“

[707] Goethe starrte zu Boden; er wußte recht gut, wer ihn hier los sein wollte, wer stets gegen ihn intriguirte. Dies aber war doch ein gewagtes Spiel. Wer konnte einen solchen Brief verfassen, so täuschend gemacht? Das war eine im Betrug geübte Hand! Da tauchte ihm plötzlich das feinste Gaunergesicht auf, das er je, wenn auch nur einmal flüchtig, neulich als Corona so sehr erschrak, in Tiefurt gesehen.

„Hat der Landgraf Adolf Ew. Durchlaucht nicht gesagt, daß der Wundermann Saint Germain ein besonderes Geschick besitze, jede Handschrift nachzuahmen?“

Der Herzog starrte ihn an: „Saint Germain? wie kommst Du auf den? Welchen Grund sollte er haben, mich mit Dir zu entzweien?“

„Den, im Trüben fischen zu wollen. In Kassel findet er keine dauernde Stellung, vielleicht möchte er meinen Platz einnehmen. Ich weiß, er hat sich an verschiedenen deutschen Höfen festzusetzen versucht.“

„Und wenn auch, vermag er den Brief in Deine Tasche zu zaubern?“

„Der Brief war nicht in meiner Tasche.“

„Woher kam er denn zu Göchhausen?“

Eine Pause folgte; endlich sprach Goethe gepreßt:

„Meine Partnerin Corona steht in Verbindung mit dem Grafen, wie wir wissen.“

„Ja, durch Kaufmann. Sollte sie auf sein Geheiß den Brief verloren haben? Komm, hin zu ihr!“

Goethe raffte den Brief auf, erklärte sich einverstanden und schritt mit dem Fürsten durch den dämmerigen Abend der Stadt zu. Schweigend, aber innerlich beschäftigt, kreuzten sie die Straßen und standen bald vor der Thür der Sängerin.

Minchen Probst öffnete auf ihr Anpochen das Wohnzimmer, ein Licht in der Hand, und lebhaft erschreckend, als sie die Herren sah.

„Corona ist krank vom Fest gekommen,“ sagte sie mit weinerlicher Stimme.

Aus dem Nebenzimmer hörte man ein krampfhaftes Schluchzen.

Der Herzog ließ sich nicht abweisen.

„Hier handelt es sich um höhere Rücksichten, gutes Kind, als die Schonung eines hysterischen Anfalls!“ sagte er barsch und trat mit dem Freunde ein. Er nahm das Licht aus des Mädchens Hand und ging den kläglichen Tönen nach; Goethe folgte.

Gleich darauf standen sie vor Corona, die noch im Gesellschaftskleide sich mit thränenüberströmtem Angesicht von einem kleinen Ruhebett aufrichtete. Sie starrte die Männer an und zuckte sichtlich zusammen, als sie Goethe gewahrte.

„Kennen Sie diesen Brief, Corona?“ fragte der Herzog und hielt ihr das zusammengefaltete Schreiben entgegen.

Die Sängerin verhüllte ihre Augen und begann auf’s Neue zu schluchzen.

„Das ist das Schuldbewußtsein!“ rief der Herzog triumphirend.

„Arme Corona! Was hat Sie dazu bewogen, gegen mich so häßlich zu intriguiren?“ sprach Goethe milder.

Das schöne Mädchen rang die Hände:

„O, ich bin ein willenloses Werkzeug des Schrecklichen!“

„Saint German’s?“ rief der Herzog.

„Ja!“ hauchte Corona und verhüllte ihr Gesicht.

„Also doch!“

„Ich war davon überzeugt und freue mich, mein Fürst, daß Sie diese Warnung empfangen.“

„Ist der Graf hier? Mit wem steckt er zusammen? Hat er Ihnen selbst das Schreiben gegeben?“

„Nein; Graf Görtz in seinem Auftrage. Mit diesem hält er zusammen.“

„Aha!“ rief der Herzog mit einer gewissen Schadenfreude; das war Jemand, den er erreichen und strafen konnte.

„Verzeihung! Gnade! Sie wissen nicht, wie elend ich bin, wie ich zu dem gezwungen wurde, was ich so ungern that!“ jammerte Corona, glitt vom Sopha herab auf ihre Kniee und hob flehend die Arme empor.

Sie sah in ihrer Erregung so schön aus, es freute den Herzog so sehr, den Druck von seinem Gemüthe abwerfen zu können den Freund gerechtfertigt finden, daß er der Flehenden gnädig die Hand reichte, sie sogar bat, sich zu beruhigen, er werde sich und ihr schon Frieden verschaffen vor dem Uebelthäter, werde schon aufzuräumen wissen, sie solle, bei so sichtlicher Reue, seiner und Goethe’s voller Vergebung gewiß sein.

Nachdem sie Schonung und Verschwiegenheit gelobt hatten, gingen die beiden Freunde Arm in Arm davon.

Die Qual, aus einander gerissen zu werden, war ihnen vorahnend zu Theil geworden, deshalb empfanden sie wärmer denn je für einander.

„Die Schelme konnten leicht ihren Zweck erreichen,“ sagte der Herzog jetzt nachdenklich. „Ich war in meinem Sinn entschlossen, Dich nie wieder zu sehen, da Irrthum mir unmöglich schien. Als Du aber, vom Abendgold umflossen, über mir auf dem Altan standest und mich riefst, hörte alles Denken und Wollen auf, da mein Herz mich zu Dir riß!“

„Heil diesem edlen, die Wahrheit erkennenden Herzen!“ rief Goethe bewegt.

Dann überlegten sie gemeinschaftlich, wie die Lage zu klären, wie aufzuräumen und zu strafen sei.


27.

Der Herzog ließ am andern Morgen den Grafen Görtz zu sich bescheiden und nahm ihn scharf ins Gebet.

Karl August konnte in solchen Fällen schonungslos herb sein, und der Uebelthäter kam arg in’s Gedränge. Der Fürst sagte ihm gerade auf den Kopf, er habe den gefälschten Brief auf Goethe’s Spur geworfen und, nur um dies zu können, den auffälligen Schritt gethan, mit der Herzogin ihm gegenüber zu tanzen. Er habe ihn glauben machen wollen, daß Goethe der Herzogin bei der tour de main den Brief zuzustecken beabsichtigt.

Letztere Beschuldigung war richtig, die erstere nicht ganz und nur aus Schonung für Corona umgeformt.

Immerhin befand sich der Graf in einer großen Verlegenheit. Er kannte die Rücksichtslosigkeit seines jungen Gebieters, sein strenges Rechtsgefühl, das nicht mit sich markten ließ, und begriff, daß er nie wieder zu Gunst und Gnaden kommen werde.

Er wählte also ein in solchen Fällen beliebtes Mittel, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen; er spielte den Gekränkten und bat um seine Entlassung.

„Gehen Sie in des Teufels Namen sammt Ihren Helfershelfern, und je eher je lieber!“ rief der Herzog und verabschiedete seinen alten Mentor in vollem Zorne.

Goethe, der bei seinem guten Gewissen und der baldigen Aufklärung jener Intrigue nicht so tief berührt worden war wie der Herzog, versuchte den hohen, herzlich geliebten Freund zu beruhigen.

Er erinnerte daran, wie er ihn stets vor Saint Germain gewarnt, und beglückwünschte ihn zu der Krise, welche eine so gesunde Reaction hervorgerufen habe.

„Wir sind wie schwimmende Töpfe, die sich an einander stoßen“ sagte er, mit der ihm eigenen Ueberlegenheit sein Thema in reflectirender Weise behandelnd. „Und dem Menschen in seinem zerbrechlichen Kahn ist eben deshalb das Ruder der Einsicht in die Hand gegeben, damit er nicht der Willkür der Wellen, sondern dem Wollen seiner Ueberlegung Folge leiste. Das ist jetzt geschehen, mein lieber gnädiger Herr, und somit können Sie sagen, daß Sie durch alle jene Erfahrungen einen Fortschritt gemacht haben!“

„Ich glaube Dir, daß Saint Germain ein Betrüger und Erzschuft ist,“ sagte der Herzog lebhaft. „Wissen möchte ich aber doch, wie er es angefangen hat, mich in den Hörselberg zu führen, und wer seine Venus war! Letztere Frage könntest Du mir jetzt beantworten, da keine Gefahr mehr ist, daß er Macht über mich bekommt.“

„Wenn Sie Ihren Frieden mit der Herzogin geschlossen haben, oder wenn sonst eine Wendung eintritt! Und für jene erste Frage wird sich auch wohl noch die Antwort finden,“ erwiderte Goethe schelmisch ausweichend, sodaß Karl August sich, wenn auch murrend und widerstrebend, fügte.

Bei einer späteren Gelegenheit trug Goethe – mit einem heimlichen Lächeln – dem Herzoge die Bitte vor, den Heilgehülfen Johann Bernstein in Ilmenau als Wundarzt für die Bergknappenschaft anzustellen.

Er war mittlerweile in Ilmenau und bei Gretchen gewesen, hatte genaue Einsicht von allen Verhältnissen genommen und [708] hoffte, mit ihrer Heirath einen Abschluß und die günstigste Wendung für den Herzog zu finden. Dieser sah aber den Freund jetzt groß an.

„Was fällt Dir ein?“ sagte er befremdet. – „Warst Du es nicht, der mir ernstlich abrieth, Dergleichen zu thun; mein Geld nicht zu verschwenden? Jetzt habe ich mir die Sache auch überlegt, habe den jungen Menschen neulich abgewiesen, jetzt bleibt es dabei!“

Graf Görtz säumte nicht lange, dem Drängen des Herzogs zu folgen und Weimar zu verlassen. Er siedelte in der nächsten Zeit mit seiner Familie nach Berlin über, wo er später wieder eine Hofstellung annahm.

Die plötzliche Verabschiedung des Grafen Görtz und das, was von der Ursache verlautete, übte einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Herzogin Luise. Der Hofmarschall hatte ihr seinen Abschiedsbesuch gemacht, hatte über ungerechte Behandlung, über eine perfide Intrigue gegen sich und gegen seine hohe Gebieterin geklagt und hinzugefügt, sein Respect, seine Loyalität verbiete ihm, mehr zu sagen.

Die so zart empfindende Fürstin, der jede öffentliche Besprechung, jede Vermengung ihres Namens mit einer auffälligen Angelegenheit höchst empfindlich war, hörte, wo es sich um ihre Person handelte, mit feinem Ohr, und so kannte sie bald die Ursache der Verabschiedung ihres Hofmarschalls: er sollte Goethe beschuldigt haben, daß dieser ihr nachstelle, daß er sich ihr in ungeziemender Weise nahe! Goethe hatte allerdings versucht, ihr Artigkeiten zu erzeigen, hatte das Gespräch mit ihr zu vertiefen, auf ernste Punkte zu führen gesucht. Sie war vielleicht doch nicht zurückhaltend genug gewesen? O, sie konnte an diesem Hofe, wo es so wenig Formen und Schranken gab, nicht vorsichtig genug sein! So überlegte sie, und so geschah es, daß die Ränke des Wundermannes die Kluft zwischen dem jungen fürstlichen Ehepaare erweiterten und neue Entfremdung zwischen ihnen herbeiführten.

Mit Christoph Kaufmann, der längere Zeit in Weimar gewohnt hatte, machte der Herzog kurzen Proceß; er ließ ihm einen Platz in dem Reisewagen zur Verfügung stellen, der behufs Ausbesserung an den Rhein geschickt wurde. Kaufmann ging später als Arzt zur Brüdergemeinde nach Herrnhut.

Graf Saint Germain verschwand ebenso geheimnißvoll nach dem Mißlingen seines Anschlags aus Weimar, wie er dahin gekommen war; man hörte später, er sei mit dem Landgrafen Karl von Hessen, dem zweiten Sohn des regierenden Herrn, nach Schleswig gegangen, wo sich bald der Mysticismus zur vollen Blüthe entfaltete; Schleswig wurde der Sammelplatz aller wundergläubigen Männer der Zeit; der Landgraf nahm am Sectenwesen lebhaften Antheil und verfaßte unter dem Beistande Saint Germain’s aufsehenerregende, phantastisch religiöse Bücher.

Corona würde sich jetzt erleichtert und befreit gefühlt haben, wenn ihr nicht der Graf in einem kurzen, geheimnißvoll gehaltenen Schreiben seine baldige Rückkehr in Aussicht gestellt und ihr die Versicherung gegeben hätte, daß er im Geiste mit ihr sei und Kenntniß von all ihrem Thun und Treiben erhalte.

Dem wiederholten Werben Hildebrand’s von Einsiedel setzte sie also stets die alte Antwort, daß sie gebunden sei und bleibe, entgegen. Er ward bald nach der Verabschiedung des Grafen Görtz zum Hofmarschall der Herzogin Luise ernannt und seine Lebensstellung dadurch noch mehr über die der Künstlerin erhoben.

So mußte das Paar in gezwungener Entsagung und bei ruhiger Ueberlegung der Ansicht Raum geben, daß eine Heirath kaum ausführbar sei.

[724] Der Winter kam, und das Treiben der Gesellschaft lenkte in die alten Bahnen. Nach Görtz’ Entfernung – gleichbedeutend mit dem Sprengen seiner Partei – nahte sich der Kammerherr Siegmund von Seckendorf Goethen in einer nicht mißzuverstehenden Weise. War dieser auch nicht frei von Argwohn gegen den eleganten Cavalier, so schätzte er doch die Begabung des gewandten Mannes.

Eines Tages besuchte Seckendorf Goethe ohne äußeren Anlaß und sagte ihm offen, daß er ein Verlangen trage, sich mit ihm über die frühere und gegenwärtige Stellung zu einander auszusprechen, und daß er wünsche, Goethen freundschaftlich näher zu treten.

Mit dem Ton der Wahrheit fuhr er fort:

„Sie haben mich bezwungen, lieber Legationsrath; die kräftige Sprache des Herzens, welche mir aus Ihren Worten und Werken entgegentönt, hat meine Unzufriedenheit, selbst meinen Vorsatz zu kritisiren, zum Schweigen gebracht. Ehe ich’s wußte und wollte, war ich Ihnen gegenüber mitten im Taumel der Empfindung, welche von nun an, da kein Görtz seinen störenden Einfluß geltend macht, die herrschende bleiben soll!“

„Schonen wir des Abwesenden!“ entgegnete Goethe mit edler Abwehr jenes schiefen Rechtfertigungsversuchs. Milder fuhr er fort:

„Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Entgegenkommen und glaube, daß die Spreu der Eitelkeit ein zu mageres Futter ist, um sich darum zu raufen und die gute Natur zu hemmen.“

In der Wintersaison ging ganz unerwartet ein neuer Stern auf. Es war dies Christel von Laßberg, die sich endlich so weit gekräftigt hatte, um den längst beabsichtigten Tanz- und Anstandsunterricht des tonangebenden Meisters Adam Aulhorn zu genießen. Nachdem sie sich allmählich und in aller Stille zu einer zarten Schönheitsblüthe entfaltet hatte, war ihre linkische Schüchternheit in bescheidene Anmuth, ihre stumme Scheu in anziehende Zurückhaltung verwandelt.

Die Männer ihres Kreises nahten sich ihr nach und nach sämmtlich. Vom Herzog an ward Jeder mehr oder weniger angezogen, um sich doch bald wieder mit der Versicherung abzuwenden, man komme nicht weiter mit ihr!

Daß der Blick ihres blauen Auges einen herzbewegenden Schimmer habe, daß sie im Tanzen und Schlittschuhlaufen, in jeder Bewegung ihres schlanken Körpers von der „Biegsamkeit des Schilfrohrs und der Leichtigkeit einer Libelle“ sei, wie Meister Aulhorn gern wiederholte, gaben alle Männer zu, und doch waren sie an den Ton gefälligen Entgegenkommens, an den prickelnden Reiz des Neckens und Herausforderns so gewöhnt, daß sie sich mit dieser so in sich geschlossenen Erscheinung nicht dauernd verständigen konnten.

Der Grundton in Christel’s Wesen war jene „süß leidende Sentimentalität“ ihrer Zeit, welche, vom Sturm und Drang des brausenden Jugendmuthes, der jetzigen lustfunkelnden Gesellschaft verscheucht, keine Geltung mehr fand und nur noch Achtungserfolge errang. Man war noch überschwänglich in Wort und That, wenn es eben paßte, aber lachte doch schon über die Empfindsamkeit schöner Seelen. Christel glich einer verspäteten Frühlingsblume, einem Veilchen, das, von greller Sommergluth getroffen, schmerzlich unter derselben leidet.

Sie hatte ihr Tagebuch fortgesetzt, und ein weiteres Stück desselben lautete:

Im Winter 1777.
Ich glaube, die Menschen haben mich alle bisher für geistesschwach gehalten. Noch jetzt spüre ich etwas wie Erstaunen bei den Leuten, wenn ich mich so ziemlich benehme wie die Andern. Gehe ich aber ernstlich mit mir zu Rath, so verdiene ich diese überraschten Mienen, nicht deshalb, daß ich ihre Komödie zu spielen weiß, sondern, daß ich mich herbeilasse mitzuthun wie sie. Denn recht wahr und schlicht und ganz er selbst kann Niemand in der eleganten Welt, der sogenannten guten Gesellschaft sein! Wie oft muß ich Jemand freundlich begrüßen, der mir zuwider ist; wie oft lächeln, wenn ich tief betrübt bin; wie oft darf ich nicht jauchzen, wenn ich’s möchte, und mein heißes Empfinden, meine Anbetung für ihn zeigen darf ich nun und nie! Jedes Wort von seinem Munde, das an mein Ohr tönt, läßt alle meine Nerven erbeben, wie der Lufthauch die Aeolsharfe. Ach, und wenn er mich berührt, durchzuckt mich Wonne, und ich möchte vergehen, wie der Thautropfen vor dem Sonnenstrahl!

Wer würde mich darin verstehen? Sie würden mich „sentimental“ nennen, eine „Wertherin“, wie neulich Auguste sagte. Wie leer aber ist das Leben, welch ein Kreislauf alltäglicher, selbstsüchtiger Unerträglichkeit, wenn man die großen, tiefen Gefühle ausstreicht!

Mein Vater ist mit mir zufrieden; aber darf ich mich freuen über seinen Stolz auf meine äußerlich angelernten Vorzüge? Er schenkt mir mehr neue Kleider, als ich mag, und sagte gestern, als wir von Kanzler von Koppenfels’ Soirée kamen:

„Endlich herrscht nur eine Stimme darüber, daß Du schöner bist als die Kalb! Ja, die feinste Rasse entwickelt sich langsam. Jetzt gilt’s, Christinchen, eine bessere Partie zu machen, als die dicke Auguste, dann haben wir endlich die Kalb’s glänzend geschlagen!“

Das also soll mein Glück, der Inhalt meines Lebens sein: Gustchen zu demüthigen? O Eitelkeit und Thorheit! Armer Vater, daß ich Dir gerade diesen größten Wunsch nicht erfüllen kann! Welche Lüge, welch ein Betrug würde es sein, mit meinem Herzen voll grenzenloser Liebe für ihn einem andern Manne vermählt zu werden! Nie, nie wird das geschehen, und wenn Auguste Kalb mir noch so weit an Eheglück und Ehre voran kommt; mag sie’s, ich gönne ihr alles Beste nach ihrem Sinn.

Nur selten überfällt mich noch die ohnmächtige Starrheit, wie in meiner Jugend; ich irre auch nicht mehr in Zerstreutheit ab, wie früher, und ich bin froh, daß ich endlich sein kann wie andere Menschen. Bin ich allein, so gebe ich mich getrost meinen süßen Träumereien hin, deren alleiniger Inhalt er ist.

Ich glaube nicht, ich kann es nicht glauben, daß er die Stein liebt; sie sind so verschieden an Jahren und Wesen. Er so feurig, sie so sanft. Er so lebhaft, stürmend, thatkräftig, sie so ruhig, so nachdenklich und schwermüthig. Er soll viel bei ihr sein; in der Gesellschaft merkt man nicht, daß sie sich nahestehen. Fort mit Argwohn und Sorge, ich will das Glück genießen, das endlich mir zu Theil wird!“


28.

Hei, wie die rothe Abendsonne auf dem blanken, bläulich flimmernden Eise des Schwansees glühte, welche Farben und Lichter das gab! Wie die Bäume ringsum sich unter den glitzernden Reifsträußen bauschten wie unter jungem Laube, und wie jeder Halm am Uferrande sein Krönlein trug, jedes geknickte Schilfrohr, jeder dürre Zweig malerisch schimmerte in seiner weiße Zier!

Ein herrlicher Wintertag ging zur Rüste, aber um für die Lustigen von Weimar erst recht zu beginnen.

Die vornehme Welt war vom Herzoge zu einem Punsch auf dem Eise bei Beleuchtung und Musik um vier Uhr eingeladen.

[726] Das Schlittschuhlaufen war, zum Theil durch Klopstock’s begeisterte Oden, Mode geworden und nur wenige Personen des Hofkreises schlossen sich von dieser reizvollen Bewegung aus. Es wurden Schlittschuhpolonaisen aufgeführt, Quadrillen versucht oder Hand in Hand Reihen- und Schlangenläufe gehalten.

Dann versammelte man sich an einem mit Bänken und einem Windofen versehenen Bretterhäuschen, das am Ufer hergerichtet war, plauderte, lachte, ersann neue Uebungen und ging mit frischen Kräften an das leidenschaftlich betriebene Vergnügen.

Eben fuhr wieder die ermüdete Jugend mit erhitzten Wangen und leuchtenden Augen am Büffetzelt zusammen.

Da erklangen ein paar schmetternde Trompetenstöße, und ganz unerwartet kam ein Maskenzug herangelaufen. Die fackeltragenden Husaren bildeten eine hellbeleuchtete Gasse, durch welche diese Ueberraschung, mit freudigen Ah’s! und schmeichelhaften Zurufen begrüßt, daher flog.

Es war eine Kosakenhochzeit, die man darstellte. Der Hetmann, mit geschwungener Knute voran, dirigirte das Ganze, dann folgten Musikanten mit Trompeten, Pauke und Trommel, die einen seltsamen Lärm im Laufen aufführten. Hierauf das Brautpaar mit Kränzen und Sträußen komisch ausgeputzt, darauf die Eltern und Hochzeitsgäste. Dieser Zug führte einen scherzhaften, wilden Eistanz auf und fand großen Beifall; es waren die gewandtesten Läufer aus der Gesellschaft, die sich eben, außerhalb der Beleuchtung, im Wagen oder Gebüsch den Maskenputz übergeworfen hatten.

Den Bräutigam machte Siegmund von Seckendorf, die Braut Auguste von Kalb. Eines der nächsten Paare war Christel von Laßberg mit ihrem Vetter, dem Grafen Erich Wrangel, der wieder in ihrem Hause zum Besuch war; den Kosaken-Hetmann machte Goethe.

Als man nach Beendigung des Tanzes auf den Versammlungsplatz zufuhr, glitt Seckendorf, seine Partnerin an der Hand haltend, zum Herzoge heran.

Dieser empfing ihn lachend und lobend:

„Sie waren Beide vorzüglich, und die Ueberraschung ist prächtig gelungen! Ich hatte keine Ahnung von Ihrem famosen Witz!“

„Sollten wir Durchlaucht vielleicht noch eine Ueberraschung bereiten können?“ rief der Bräutigam. „Hier stelle ich Eurer Durchlaucht Fräulein Auguste von Kalb als meine Braut, und nicht allem im Spiel, sondern in Wirklichkeit vor!“

„Ah!“ machte Karl August, „endlich! Das ist ja ein wahres Gaudium: Gustchen kommt unter die Haube; na, sie wird froh sein!“

„Das sind wir Beide, Durchlaucht,“ sagte Auguste empfindlich.

„Eh natürlich, er hätt’s sonst ja lassen können. Freut mich aber recht für Sie Beide, und nun kommen Sie heran, daß ich Ihre Gesundheit mit einem vollen Glase heißen Punsch ausbringe. Das neue Brautpaar lebe hoch, hurrah!“

Ein Tusch, und sämmtliche Anwesende riefen mit: hurrah, hurrah!

Dann ging es an ein Umdrängen, Glückwünschen, Händeschütteln und Besprechen des neuen Ereignisses. Die Meisten hatten sich’s lange gedacht, daß es so kommen müsse. Andere verlangten Einzelheiten, knüpften unter sich Muthmaßungen an und machten spöttische Bemerkungen, sowie sie den Rücken wandten.

Dies alles widerte Goethe an; unmuthig warf er seine Knute in die Ecke. Sein Blick schweifte über die einsame, mondbeglänzte Fläche des Sees, er bot einer zufällig neben ihm stehenden Dame die Hand und sagte:

„Kommen Sie, Fräulein von Laßberg, lassen Sie uns dieser tollen Komödie den Rücken wenden!“

Sie legte stumm und beseligt ihre Hand in die seine, und langsam glitten sie zusammen über die Eisbahn.

„Die Höflichkeit des Herzens ist in der besten Gesellschaft so selten, wie die Polizei des Gewissens!“ sprach er ernsten Tons. „Mit Verdruß sehe ich, wie man kaum heimlich Witzboldereien auf der Glücklichen Unkosten losläßt und ihnen Rübchen schabt. Zudem bin ich kein Verehrer Ihrer Freundin, die als schüchterne Braut in meinen Augen eine lächerliche Farce spielt. Wie wird dies Wesen auf Seckendorf wirken, der eben anfing sich zur Natur und Wahrhaftigkeit zu bekehren?“

„Sollte die Liebe nicht immer veredeln?“ wagte Christel zaghaft zu entgegnen.

Er sah zur Seite auf seine Begleiterin; vielleicht blickte er sie jetzt zum ersten Male mit etwas wie Interesse an. Das Mondlicht spiegelte sich m ihren ernsten Augen, die mit seelenvollem Ausdruck auf ihn schauten, ihre schlanke Gestalt hob sich vortheilhaft in dem hellblauen Kosakenjäckchen, er fand sie hübsch, aber zu blumenhaft zart, um ein rechtes Gefallen an ihr zu haben. Ihr ganzes Wesen erinnerte ihn an seine überwundene jugendliche Sentimentalität.

Vor acht oder zehn Jahren hätte sie mir vielleicht gefährlich werden können - und doch nicht, ich liebte immer mehr das Naive - dachte er und erwiderte:

„Die Liebe, gewiß; aber was ist denn zwischen den Beiden Liebe? Sie können sich einander gebrauchen, das ist Alles! Man erkennt ja Niemand an als Den, der uns nützt.“

Seine Worte thaten Christel weh, sie waren in dem unbewußten Verlangen, ihrer Gefühlsschwelgerei entgegen zu treten, herber gesagt, als er’s meinte. Schwermüthig antwortete sie:

„O, wie öde ist das Leben, wenn ich es aus jenem Gesichtspunkte ansehe! Man sollte es von sich werfen, wenn es ohne reine, gewaltige Empfindungen ist!“

„Sie sind ja kurz damit fertig, mein Fräulein. Ich will Ihnen zu Ihrer Ermuthigung erzählen, was mir heute meine Mutter schreibt - eine prächtige alte Frau, die viele Menschen gern haben und Frau Aja nennen; sie sagt: Suche keine Dornen, mein Sohn, hasche die kleinen Freuden; sind die Thüren niedrig, so bücke Dich; kannst Du den Stein aus dem Wege stoßen, so thu’s, ist er zu schwer, geh’ um ihn herum, so wirst Du alle Tage etwas finden, das Dich freut!“

„Ja, wer das könnte, so leichten Sinnes wäre!“

„Ich antworte wieder mit Frau Aja’s Worten: Wer wird sich grämen, daß nicht immer Vollmond ist, und daß die Sonne jetzt nicht so warm macht wie im Juli? Nur das Gegenwärtige gut gebrauchen und gar nicht daran gedacht, daß es anders sein könnte, so kommt man am besten durch die Welt, und das Durchkommen ist doch die Hauptsache!“

„Ach, oft ist es sehr schwer!“ seufzte sie leise.

Man kam eben wieder bei der Gesellschaft an, und Goethe war im Grunde froh, die trübe Gefährtin zu verlassen. Ihn hatte das Zusammensein nicht von dem Unbehagen entlastet, welches jene Verlobung ihm verursachte.

Christel war nicht ganz unberechtigt, vorahnend Sorge und Schmerz zu empfinden. Sie wußte längst, daß ihr Vater sie mit dem reichen Majoratsherrn, ihrem Vetter Erich Wrangel, zu verbinden wünsche, und heute hatte sie den sie beängstigenden Eindruck gewonnen, daß Erich sie liebe und um sie zu werben beabsichtige. Die plötzliche Verlobung Augustens mit dem Kammerherrn von Seckendorf mußte - davon war sie überzeugt - den alten Herrn furchtbar aufregen und mit eifersüchtigem Zorn erfüllen. Er würde in sie dringen, jene bessere Partie nicht auszuschlagen, und konnte sie dem Vetter, dem sie wie ihrem Bruder gut war, eine Neigung heucheln, die sie nicht für ihn empfand? Ein Herz geben, welches ein Anderer völlig ausfüllte? Konnte sie eine Ehe ohne Liebe eingehen? Nie! Niemals!

Als nach der Rückkehr zum Bretterhäuschen Goethe sich von Christel verabschiedet hatte, trat sogleich der Vetter Erich zu ihr und bat sie, auch mit ihm noch ein paar langsame Fahrten zu machen. Er erklärte sich aber auch sogleich bereit, sie nach Hause zu begleiten, als sie über Müdigkeit klagte.

Die Gesellschaft befand sich ohnehin im Aufbruche, und so ließen Beide ihre Schlittschuhe abschnallen, er reichte ihr den Arm, welchen sie zerstreut annahm, und dann begaben sie sich, ziemlich abgesondert von den Uebrigen, auf den mondhell beleuchteten Heimweg.

„O liebe Cousine!“ begann nach einigen Schritten der junge Mann mit warmem Tone, „welch ein glückliches, heiteres Leben habe ich während der ganzen Urlaubszeit an Deiner Seite geführt! Welch ein köstliches Fest war dies wieder! Mir ist, als sollte ich aus einem Himmel scheiden, wenn ich in wenigen Tagen abreise! Könnte ich’s mit der Gewißheit, meines Engels Herz gewonnen zu haben, so würde ich beseligt von hinnen gehen, aber diese Gewißheit fehlt mir noch. Christinchen, liebes Christinchen, sag’ mir’s offen, wie Du für mich empfindest! Warum bist Du manchmal so scheu und kühl gegen mich? Was darf ich von Dir hoffen?“

[727] Dies war trotz Allem, was sie aus seinem Verhalten herausgefühlt, doch eine so plötzliche Frage, daß sie ihr den Athem versetzte und sie sich ein paar Minuten vergeblich bemühte, ihm zu antworten.

Endlich stammelte sie: „Gewiß habe ich Dich gern, guter Erich! Haben wir nicht allezeit wie Geschwister verkehrt?“

Er sah sie traurig an, und sie fuhr herzlicher fort: „Dränge mich nicht, laß die Zeit hingehen.“

„Ich soll also noch warten, Christine? Gut, es schadet nichts, wär’s auch Jahr und Tag! Ich muß ja doch bald fort; wenn Du nur freundlich gegen mich bist, ist alles Andere Nebensache. Kommt Zeit, kommt Rath, liebes Christinchen, mein bist und bleibst Du doch!“

In diesem Augenblicke trat ihnen aus dem Laßberg’schen Hause der Oberst in seinem langen Reitermantel entgegen.

„Ihr kommt spät; wollte Euch abholen; nun, ich sehe, Ihr seid gut mit einander aufgehoben“ – setzte er mit zufriedenem Tone hinzu und fuhr dann hastig fort: „Ist’s wahr, was mir eben Lichtenberg vor der Thür erzählt, daß die Guste Kalb mit Seckendorf verlobt ist?“

Beide bestätigten es. Der alte Herr fluchte in den Bart, als er die Hausthür hinter den Eingetretenen abschloß; dann lachte er kurz auf und murmelte vor sich hin:

„Paß auf, Herr Nachbar, endlich übertrumpfen wir Dich doch!“

Es bereitete dem Obersten eine große Enttäuschung, als sein Neffe einige Tage später mit ablaufendem Urlaube sein Haus verließ, ohne, wie er glaubte fest erwarten zu können, bei ihm um Christel’s Hand zu werben. Und seine darauf folgende düstere, unleidliche Laune, welche diesmal lange anhielt, quälte Schwester und Tochter peinlich.

[741]
29.

Goethe erkannte sehr wohl, daß seine Stellung zur Herzogin Luise nach der plötzlichen Entfernung des Grafen Görtz wieder eine weniger gute geworden sei; außerdem verdroß es ihn, daß es ihm nicht gelang, trotz allen heißen Wünschens und Bemühens ein besseres Verhältniß zwischen dem Herzoge und seiner Gemahlin anzubahnen.

Er war es aber nicht allein, der außer den Betheiligten unter dieser Störung litt.

Der nähere Kreis der Herzogin Amalie wußte, wie betrübt die edle Frau über das Mißverhältniß des jungen fürstlichen Paares war; ein Zustand, für welchen sie aber doch ihren Sohn in erster Linie verantwortlich machen mußte. Vergebens sann auch sie, wie zu helfen sei. Karl August lehnte jeden Versuch der Vermittelung schroff ab, und so blieb nichts übrig, als vorläufig die Dinge ungehindert gehen zu lassen.

In dieser Mißstimmung wandte sich Goethe mit wärmerem Anschlusse denn je an die Freundin. Er fand auch, was er billiger Weise erwarten konnte, aber doch nicht alles, was sein liebesehnendes Herz begehrte, und immer wieder erneuerten sich zwischen den beiden Menschen jene Kämpfe des Wollens und Sollens, der Leidenschaft und Pflicht, welchen Charlotte gewöhnlich durch eine Flucht und längeren Aufenthalt in Kochberg, wohin Goethe ihr nicht folgen durfte, entrann. Manchmal aber räumte auch er das Feld, und so geschah es in diesem Winter. Die Verlobung der Kalb, mit der er nie wieder auf einen freundschaftlichen Fuß gekommen war, die Festlichkeiten dem Brautpaare zu Ehren verdrossen ihn, und er faßte den Entschluß, einen längeren Ausflug zu unternehmen.

Der Aufforderung des Herzogs, eine Wildschweinsjagd in der Gegend von Eisenach mitzumachen, folgend, ritt er mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen, mit der munteren Jagdgesellschaft davon und machte eine Harzreise im December, die manche Beschwerde brachte, ihn aber mit neuem Muthe, neuer Freudigkeit erfüllte.

Jeden Tag schrieb er der Freundin; in einem der Briefe klagte er über Heimweh nach ihr und fügte hinzu: „Ich habe Dir viel erzählt unterwegs; o, ich bin ein gesprächiger Mensch, wenn ich allein bin!“

Als er endlich zurück kam, trug er seine Gedichte und Bemerkungen, die er auf der Reise gesammelt, unverzüglich zur Freundin. Sie empfing ihn wie immer herzlich und mit der liebliche Klarheit ihres Wesens, die ihn so sehr entzückte. Alles brieflich Angedeutete malte er ihr aus, und sie ging mit warmer Theilnahme auf seine Gedanken und Erfahrungen ein.

Der Winter verging unter den hergebrachten Freuden und Festlichkeiten.

Seckendorf’s Hochzeit mit Auguste wurde bei herannahendem Frühjahre in so geräuschvoller Aeußerlichkeit gefeiert, daß der Oberst von Laßberg im Nachbarhause auf’s Neue in die allergrimmigste Stimmung gerieth.

Goethe hatte indessen nicht der blonden Försterstochter vergessen, er wollte sie durch schnelle Verheirathung mit ihrem Geliebten vor allen Zufälligkeiten schützen und sie dem Gesichtskreise des Freundes so weit als möglich entrücken.

Nach wiederholten Erinnerungen und Bitten, dem Feldscheergehülfen Bernstein eine feste Anstellung zu geben – denen der Herzog aber stets eigensinnige Ablehnung entgegengesetzt hatte, kamen die Umstände den Wünschen Goethe’s zu Hülfe.

Bei der Besichtigung eines neuen Schachtes in Ilmenau machte der Herzog einen Fehltritt, stürzte, wurde besinnungslos herausgetragen und von dem jungen Wundarzt durch sorgfältige Behandlung rasch wieder hergestellt; jetzt zauderte er nicht länger, des erprobten Helfers Wünsche zu erfüllen, und ernannte ihn mit angemessener Besoldung zum Landchirurgen.

Die Freude, der Dank des jungen Mannes waren grenzenlos.

„O, nun kann ich heirathen!“ rief er ein Mal über das andere. „Wie wird Gretchen froh sein; welch glückliche Menschen haben Eure Durchlaucht gemacht!“

„Das ist ein närrischer Kerl,“ sagte der Herzog, nicht ohne Theilnahme, „thut er doch, als ob Heirathen die größte Seligkeit wäre; curioser Geschmack!“

[742] Goethe lächelte still für sich. Er hegte die Hoffnung, bald wieder ganz offen zu dem Freunde reden zu können und ihn von einer Leidenschaft zu heilen, welche er als Haupthemmniß seines Eheglücks ansah.

Bernstein später zur Seite nehmend, trug er ihm Grüße für seine Braut auf und bat, daß man ihn davon in Kenntniß setze, wann der Hochzeitstag bestimmt sei.

„Sie werden sich hier in der Kirche von Ilmenau trauen lassen?“ fragte er.

„Zu dienen, Herr Legationsrath, die Förstereien auf dem Walde sind hier eingepfarrt.“

„Nun denn, auf Wiedersehn an Ihrem Freudentage!“

Goethe kehrte mit dem Herzoge nach Weimar zurück. Dieser erwähnte, da es nun die Zeit der vorjährigen Abenteuer war, wieder mehrfach „seiner Venus“ und redete sich sogar nochmals in Zorn gegen den Freund, der sie ihm neidisch vorenthalte, – der es nicht gut mit ihm meine, – nicht zu ihm stehe – der es liebe, Geheimnißkrämerei zu treiben.

Goethe ließ alle diese Vorwürfe über sich ergehen, endlich sagte er:

„Ich hoffe, mein lieber gnädiger Herr, daß Sie die Ersehnte binnen wenigen Wochen wiedersehen werden, und bin überzeugt, daß ich nicht vergebens auf Ihr großes Herz zähle, welches dann, wenn alle Verhältnisse am Tage liegen, mir gewiß Recht geben wird.“

Er brauchte nicht lange auf eine Einladung des Bräutigams zu warten. Bernstein schrieb ihm, seine Hochzeit sei auf den dritten Mai festgesetzt, die Trauung finde Mittags zwölf Uhr in der Kirche von Ilmenau statt und er sei der glücklichste Mensch auf der Welt.

Mit diesem Briefe ging Goethe zum Herzog.

„Ich möchte zur Hochzeit reiten, mein Fürst,“ sagte er vergnügt. „Wenn Sie mit wollen, ist’s um so besser. Es giebt gewiß eine lustige Wirthschaft, unendliche Bratwürste und einen flotten Tanz mit frischen, hübschen Mädels, welchem ich nicht aus dem Wege gehe.“

Karl August erklärte sich sofort bereit, mit von der Partie zu sein; dergleichen Freuden reizten ihn, und in bester Laune sagte er:

„Da kriegt man die Schöne dieses verliebten Pflasterschmierers auch zu sehen; na, so gewaltig viel wird nicht daran sein!“

Goethe bezwang ein Lächeln und traf die näheren Verabredungen für den Ritt.

In heiterer Stimmung und unter herzlichem Geplauder legten die beiden Freunde am dritten Mai, nur begleitet von einem Reitknechte, den langen, aber in aller Frühlingsherrlichkeit prangenden Weg durch das schöne Thüringerland zurück und befanden sich bald nach elf Uhr angesichts ihres Reiseziels.

Als sie in das Städtchen einritten, läuteten die Kirchenglocken, und alsbald begab sich der Herzog mit Goethe nach dem Gotteshause.

Sie standen unter andern Zuschauern nahe der Kirchenthür, als auf dem mit Tannenzweigen bestreuten Wege unter Orgelklang der festliche Zug zu der hochgelegenen Kirche heraufkam.

Voran ging der Förster, recht stattlich und würdig, eine alte Verwandte des Bräutigams führend, dann folgten paarweise sechs frische Brautjungfern in ihrem besten ländlichen Putz, und jetzt endlich kam das Brautpaar.

Goethe beobachtete mit klopfendem Herzen den Freund; wie würde sein Wagniß ausfallen?

Sowie der Herzog Gretchen – schön und lieblich im Schmucke der Braut – erblickte, verfärbten sich seine Züge, er griff mit einem Laut der Ueberraschung nach des Freundes Arm, starrte das Mädchen mit weitgeöffneten Augen an und murmelte:

„Bei allen Göttern, sie ist es!“

Dann warf er einen zornflammenden Blick auf Goethe, stieß dessen Arm von sich und knirschte zwischen den Zähnen hervor:

„Wie konntest Du mir das thun?“ wandte ihm den Rücken und schritt erzürnt davon.

Goethe eilte ihm nach, sobald er es, ohne Aufsehen zu erregen, konnte, und holte ihn auf der andern, menschenleeren Seite der Kirche ein.

Mit dem tiefsten Ernste sagte er:

„Jetzt höre mich, Karl; ich habe mich Dir nie so nahe gestellt, wie Du fordertest, weil ich von Dir über mein Verdienst empfing. Heute bin ich Deiner Liebe werth, heute handle ich als treuer Freund, und Du grollst? Besinne Dich, sieh’ mein Thun im rechten Lichte, Karl! Laß Dein besseres Ich in Dir Herr werden! Ich bewahrte Dich und jenes schöne, schuldlose Mädchen vor einem Verhältnisse, das zu Eurem beiderseitigen Elende führen mußte. Sieh’ doch ein, daß ich als rechtschaffener Mann, als Dein wahrer Freund nicht anders konnte!“

„Dieser widerwärtige Bernstein, mir die Mittel zu seiner Heirath abzuschwindeln!“ rief der Herzog grimmig die Hand ballend, ohne Goethe anzusehen und offenbar in der Laune, nach einem Gegenstande zu suchen, an welchem er seinen Zorn auslassen könne.

Es rührte Goethe, daß bei aller Ergriffenheit die Liebe des Freundes für ihn so groß war, daß er sich sofort instinctiv nach eitlem andern Objecte als Ableiter seines Ingrimms umsah.

„Du irrst Dich, Freund,“ erwiderte er herzlich, „dieser Chirurg hat Dir wesentliche Dienste geleistet; er war lange mit ihr verlobt; ja sie ging nur auf die bewußte Komödie ein, weil man sie glauben machte, daß sie Dich damit bestimmen könne, ihren Verlobten anzustellen.“

„Also sprachst Du mit ihr über den Hörselberg?“

„Ja, sie hat mir die ganze Geschichte unter Thränen der Beschämung gebeichtet, weil sie aus meinen Fragen entnehmen konnte, daß sie sich auf eine ziemlich thörichte Angelegenheit eingelassen habe. Ich sagte Dir schon, daß der Graf sie seinen Zwecken dienstbar machte unter dem Vorwande, Deine Gunst für ihren Verlobten zu gewinnen. Er hatte sie auf einem Jahrmarkte in Ilmenau kennen gelernt und ihr sein Unternehmen als ein harmloses Festspiel vorgestellt. Von Ruhla, wo sie bei Verwandten war, holte er sie selbst im Wagen am zweiten Mai gegen Abend ab. Er theilte ihr mit, daß sie nach Eisenach fahren würden; sie glaubte ihm, denn sie war zum ersten Male in der Gegend; aus Einzelnheiten entnehme ich aber, daß sie keine nördliche, sondern eine südliche Richtung einschlugen, was ja zu Deinem kurzen Ritt passen würde. Er brachte sie für die Nacht in ein bescheidenes Gasthaus und empfahl ihr, sich zurückgezogen zu halten. Sie gehorchte gern, da sie fürchtete, Bekannten zu begegnen. Am dritten war er Morgens ein paar Stunden bei ihr, sie für ihre Rolle einzuüben. Gegen Abend kam er wieder und brachte ihr einen großen Mantel mit Kapuze, den er über ihr helles Costüm legte; sie gingen dann durch einen Waldweg zur halben Höhe eines Berges und stiegen auf einer Leiter in einen Schacht oder ein Loch hinunter. Saint Germain hatte eine Laterne zur Hand und führte sie über einen Steg in die Nische, wo sie das goldene Ruhebett und andere Vorkehrungen fand. Dann leistete ihr Pierre, der Kammerdiener des Grafen, der schon mit ihnen gefahren war, längere Zeit Gesellschaft, er redete ihr ermuthigend zu und zündete hier und da Fackeln an; was sich weiter begab, weißt Du. Nach Dir verließ Gretchen mit Pierre die Höhle und wurde am andern Morgen in aller Frühe nach Ruhla zurückgefahren.“

„Das süße Geschöpf wirklich lebend, und nun doch verloren!“ murmelte Karl August. „Gieb mir zu, daß Ihr, Du und das Geschick, mir grausam mitgespielt.“

„Armer Freund! Es kann sein, daß der Mensch zu Zeiten durch das Schicksal gräßlich gedroschen wird; aber wenn es reiche Garben trifft, so zerknittert es nur das Stroh, und die Körner springen lustig heraus!“

„Weisheitskrämer,“ sagte der Herzog bitter und spöttisch.

In diesem Augenblicke stimmte die Orgel in der Kirche, nachdem sie – während der Trauungsceremonie – geschwiegen, die feierliche Melodie zu dem Liede an:

„Nun danket alle Gott!“ welches die Versammlung drinnen mitsang.

„Wäre es nicht recht, uns da zu betheiligen?“ sprach Goethe innig, mit einem Wink nach der Kirche.

Der Herzog lauschte; die zornige Spannung in seinen Zügen ließ nach, er umschlang plötzlich mit beiden Armen den Freund, drückte ihn fest an seine Brust und rief:

„O Du redlicher Warner, Du getreuer Eckart!“

„Gut mein ich’s gewiß, und besser ist’s mir zu folgen, als jenem Mephisto Saint Germain! Nun aber kommen Sie, Gretchen wird sich hochgeehrt fühlen, mit Eurer Durchlaucht an ihrem Ehrentage den Reigen zu eröffnen. Ich hoffe, wir können uns jetzt mit gutem Gewissen unter die Glücklichen mischen?“

[743] „Das können, das wollen wir; komm, laß uns fröhlich sein!“

Goethe erkannte mit lebhafter Freude, daß er und das bessere Selbst des Herzogs den Sieg errungen hatten.

Arm in Arm gingen sie nach dem Schießhause, wo der Hochzeitstanz stattfinden sollte.

Die vorwiegende Stimmung des jungen Fürsten war jetzt Neugier, wie ihm sein Ideal in der Nähe gefallen werde. Er brannte darauf, mit Gretchen zu verkehren, zu sprechen, zu tanzen.

Die Ankunft der vornehmen Gäste beglückte die Hochzeitsgesellschaft, und der Bräutigam beeilte sich, die Braut, oder vielmehr junge Frau, dem Herzoge zum Ehrentanz vorzuführen.

Endlich war also der Augenblick gekommen, nach welchem er sich ein Jahr lang so heiß gesehnt hatte!

Aber entsprach sie dem von seiner Phantasie mit allem Seelenreiz ausgeschmückten Bilde? Sie war sehr schön, aber scheu, respectvoll und leblos bei seiner Annäherung. Es schien ihm, als habe Saint Germain ebenso gut eine hübsche Puppe als Spielzeug darbieten können, wie dieses Wesen, in dem auch gar nichts von jener Gluth und Innigkeit zu liegen schien, welche damals ihre Pantomimen athmeten.

„Alles Dressur des Tausendkünstlers damals!“ dachte er, wagte aber aus Verdruß und Beschämung nicht auf das gemeinschaftliche Abenteuer zurückzukommen. Die junge Frau schien zu fürchten, daß er sie darauf anrede, denn sie wechselte jedesmal die Farbe, wenn er zu ihr sprach, und war sichtlich froh, als er sie ihrem Gatten wieder zuführte, in dessen Nähe sie sich dann ganz herzlich und anmuthig gab.

Der Herzog war eher ermüdet als sonst und raunte dem Freunde zu: die wüste Wirthschaft langweile ihn, er gehe, worauf Goethe sich ihm anschloß.

Mit der natürlichen Offenheit seines Wesens, die der Herzog dem älteren Freunde gegenüber stets an den Tag legte, gab er ihm auch jetzt zu, wie recht der Freund, der getreue Eckart gethan habe, ihn von der Verfolgung dieser Laune abzuhalten.

„Wenn ich Gretchen allein in ihrem Walde getroffen hätte, das Herz voll von Sehnsucht nach ihr, wer weiß, ob ich dann nicht doch leidenschaftlich entflammt wäre, aber besser, viel besser ist es so!“

„Ganz gewiß, mein theurer gnädiger Herr!“ rief Goethe warm. „Ihr edles Herz, durch Wagemuth, Abenteuerlust und Ihre hohe Stellung manchmal irre geführt, findet sich stets wieder auf den rechten Weg zurück, mag’s auch zuvor manchen Kampf mit zauberischen Schattenspiegelungen gegeben haben!“

[758]
30.

Wie kann Luise Dir entgegenkommen?“ sagte die Herzogin Amalie einige Wochen später zu ihrem Sohne, dem Herzoge, der mit ernstem Ausdruck neben ihrem Sopha stand, in welchem sie eifrig und lebhaft redend saß.

„Sag mir selbst, Karl, kann von ihr eine Avance ausgehen? Sie, eine zartfühlende Frau und so lange von Dir negligirt, ja gemieden! Das Herz dreht sich Einem um, wenn man die stumme Qual des armen Geschöpfes ansieht!“

Der Herzog wurde unruhig. „Sie hat es nicht anders gewollt,“ stieß er hervor. „Ich bin auch nicht in Abraham’s Schooß gebettet! Wie Du nur so für sie Partei nehmen kannst?“

„Nehme ich denn Partei? höchstens etwas Rücksicht. Bedenke, wie sie erzogen ist. Ihre Mutter, Karoline von Pfalz-Birkenfeld, Freundin meines Oheims Friedrich von Preußen, war doch, wie allbekannt, eine durch Feinheit und hohe Bildung hervorragende Frau. Wieland sagt von ihr: wäre ich König der Schicksale, sollte sie Königin von Europa werden! Von solcher Mutter sammt den Schwestern vor ein paar Jahren nach Petersburg geführt, mit der Aussicht, vielleicht Kaiserin von Rußland zu werden, hat sie den dortigen Glanz, die großen Formen der Etikette mit Admiration in ihr junges Herz gesogen. Und nun hier, was konnten wir ihr anbieten? Das Schloß war abgebrannt, als sie kam, sie wohnte beschränkt, ein Hofstaat wurde ihr erst nach und nach arrangirt; sie entbehrte viel, nach ihrer Auffassung; natürlich, daß sie Heimweh bekam und nicht froh war. Wir Beiden sind auch – um gerecht zu sein – nicht danach gemacht, ihren Ansprüchen an vornehme Fa­çon völlig zu genügen –“

„Gottlob, daß wir’s nicht sind, Mutter!“ unterbrach er sie mit heiterm Auflachen, beugte sich herab und küßte die lebensprühende Frau auf die Stirn. Sie drückte ihm mit liebevollem Blick die Hand und fuhr fort:

„Was willst Du? Man kann sich die Leute nicht durch die Schablone malen. Ihr beiden scheint, wie die Dinge gehen, freilich gar nicht für einander gemacht, habt Euch kaum jemals recht lieb gehabt – wann aber lieben sich Fürsten? Betonen wir die Pflichten, Karl, die Ihr für einander und für das Land habt! Ich sagte Dir neulich schon, wenn das so fortgehe, müsse ich Constantin ebenbürtig verheirathen. Der dumme Knabe will’s nicht! Du wirst auch nicht für seine Kinder tagwerken wollen. Also mach ein Ende und lebe wieder mit Luisen, wie sich’s gehört! Und so horrible ist’s doch im Grunde auch nicht, sie ist ein hübsches Weibchen, das tausend andern Männern wohlgefiele.“

„Luise? Mag sie hübsch sein, ich empfinde ihre Reize nicht. Feuer, Caprice, Unverstand machen ein Weib begehrenswerth; von alledem hat Luise gar nichts. Sie ist correct und tugendhaft, wie eine still duldende Madonna.“

„Ueberwinde Dich und komme ihr entgegen! Also Karl, sei brav, gieb endlich meinen Bitten nach. Du siehst selbst, der jetzige Zustand ist abominable!“

„Wenn sie will, warum nicht? In letzter Zeit hatte sie nichts als spröde Ablehnung für mich.“

„Mir hat sie mit nicht mißzuverstehender Betonung gesagt: sie kenne ihre Pflicht und werde sich derselben nie entziehen!“

„Wohlan, hier meine Hand darauf, ich will versuchen, wieder mit ihr in’s Gleiche zu kommen!“

[759] Der Herzog ging; es war Sonnabend, er wußte, daß die Freunde zur Matinee bei der Göchhausen waren, und wollte irgend ein Fest in Vorschlag bringen, um mit seiner Gemahlin zusammenzutreffen und in zwangloser Weise eine verständigende Unterredung mit ihr herbeizuführen. Er hatte sie so lange nicht in ihrem Zimmer aufgesucht und scheute sich davor.

Karl August erkundigte sich, was man für heute Nachmittag vorhabe, und ob man vielleicht zu morgen einem Ausflug beabsichtige? Er stelle was man wolle zur Verfügung, da er an einem so köstlichen Frühlingstage nicht im Hause sitzen möge, zumal nicht an einem Sonntag-Nachmittage.

Alsbald schwirrten Pläne verschiedenster Art hin und her. Eine Fahrt nach Jena, nach Zwätzen, Burgau, nach der Schneidemühle kam in Vorschlag. Dem Herzoge war dies Alles nicht recht. Er wußte, daß, wenn Luise sich betheilige, sie mit ihren Hofdamen in einem Wagen fahre, und daß in dem bunten Gewimmel einer Landpartie bei kurzem Aufenthalte im Gasthause oder im Freien an ein unbeachtetes Aussprechen nicht zu denken sei. Endlich sagte er:

„Ich will Sonntag Mittag in Belvedere ein kleines Diner geben, nachher können wir im Park promeniren und uns, so gut es gehen will, unterhalten.“

Man wunderte sich im Stillen, daß der Herzog selbst einen solch zahmen Plan entwarf, der sonst nicht nach seinem Geschmacke gewesen wäre, Goethe aber lächelte verständnisvoll und erfreut.

Karl August befahl Seckendorf, den Oberhofmarschall von Witzleben zu benachrichtigen und die Liste der Einzuladenden von ihm später in Empfang zu nehmen.

Bald darauf schlug die übliche Stunde zum Aufbruch. Nur Einer blieb bei der Göchhausen zurück, um, wie er sagte, seinen Prinzen zu erwarten; dieser Eine war Knebel.

Er lehnte sich behaglich in dem kleinen, mit buntem Kattun überzogenen Sopha der Hofdame zurück und bat sie, ihn noch etwas bei sich zu dulden.

„Warum nicht, mon camarade?“ sagte sie in ihrer heiteren Weise; „discutiren wir! Aber blasen Sie mir nicht Trübsal!“

„Etwas derart wird doch als Vorspiel kommen“

„So stecke ich geistig Baumwolle in die Ohren.“

„Verschließen Sie Ihren Geist meinetwegen, thun Sie nur Ihr Herz auf.“

„Sie halten sich also geradezu für bemitleidungswürdig und appelliren an mein Gemüth? Wer hat Ihnen aufgebunden, daß ich mit solcher Schwachheit behaftet bin?“ fragte sie schalkhaft.

„Ein Bischen davon hat doch wohl Jeder abgekriegt?“

„Auf meinen Theil ist zum Glück nicht allzu viel gekommen. Ich lasse den lieben Gott einen guten Mann sein und Jeden vor seiner Thür fegen. Müssen Sie mir aber absolut etwas von Ihrem Staube zukommen lassen, so will ich sehen, welche Schalen und Abfälle Ihrer Wesenheit derselbe enthält. Flöten Sie los; ich stimme die Klageposaune für den Refrain und werde nach einigen Pausen schon richtig einfallen.“

„Sie sind unverbesserlich spöttisch, Thusnelda, und fast sollte einem der Muth ausgehen, mit Ihnen ein vernünftiges Wort zu wagen, aber ich weiß doch, daß hinter der stachligen Außenseite ein rechtschaffenes Herz wohnt.“

„Löcken Sie wider den Stachel!“ sagte sie feierlich.

Es war zu bewundern, daß er nicht bei dem Anblick ihrer drolligen Miene in Lachen ausbrach; es schien ihm aber gar nicht darnach zu Muth.

„Ich fühle mich oft entsetzlich einsam, unbefriedigt unld unglücklich,“ sagte er mit dem tiefsten Ernst.

„Ein ebenso neues wie tragisches Geständniß,“ entgegnete sie, seinen Ton nachahmend.

„Wie fangen Sie es nur an, gleich mir vereinzelt, ebenso wenig durch eine große Berufspflicht erhoben, weder mit Glücksgütern noch mit Annehmlichkeiten gesegnet, sich den stets heitern Sinn zu bewahren?“

„Ah, Sie wollen ein moralisches Recept?“

„Nehmen Sie’s, wie Sie mögen; ich habe oft schon die Empfindung gehabt, mich an Ihnen aufrichten zu können; Ihr leichtlebig Wesen hat mich befreit, Ihre Heiterkeit mich angesteckt. Ja, wenn die Theorie von der Ergänzung etwas taugt, passen wir besonders gut zusammen.“

„Sie denken: hier ein fünftes Rad am Wagen und da eins, giebt zusammen einen leidlichen Karren. Es gehört aber doch noch mehr dazu.“

„Der nahe Anschluß an ein fröhliches Weib würde mir wohlthun, Luise; sollte ich diese beglückende Ergänzung meines unbefriedigten, trüben Ichs in Ihnen gefunden haben? Könnten Sie mich mit allen meinen düsteren Launen lieben, mir Ihre Hand reichen?“

„Zu jedem Contretanz, Freund Knebel, gern, aber nicht zur Ehe, dazu ist Thusnelda Göchhausen nicht gemacht. Ich muß meine Rolle allein ausspielen, und, Hand auf’s Herz, Camerad, Sie lieben mich auch gar nicht!“

Er sah sie erschrocken an und stammelte: „O ja, o doch!“

„Flausen, alter Freund, reden Sie sich keinen Unsinn ein, ich weiß besser, wen Sie lieb haben, als Sie selbst es zu wissen scheinen. Werden Sie doch Ihrem Singvogel, Ihrem hübschen Rudelchen nicht ungetreu! Der Mensch ist thöricht, der sich freiwillig in eine fremde Maske zwingt! Freuen Sie sich, daß ich nicht so unvernünftig bin, Ihnen mit einem geschluchzten Ja um den Hals zu fallen. Es wäre ein wahrer Jammer für Sie, wenn Sie mich heirathen müßten. Sie können nicht recht zum Entschluß kommen, sich Ihrer Liebsten zu erklären; Sie meinen, daß die bürgerliche Sängerin für den ritterlichen Ludwig von Knebel nicht recht paßt, Sie wollen sich vor der Versuchung retten und kommen deshalb zu mir. Schönen Dank, edler Herr, und aus Dankbarkeit diesen guten Rath: folgen Sie Ihrem Herzen, dann wird Ihnen wohler!“

„Luise!“

„So heißt die Rudorf, ich bin Ihre ganz ergebene Collegin Thusnelda!“

„Nun denn, Thusnelda, geschlechtsloser Dämon, der Sie sind, soll ich Ihnen zürnen oder danken für den Rath?“

„Ich denke, Ihr erleichtertes Gemüth sagt Ihnen, was ich verdiene! Aber gute Freunde wollen und können wir bleiben!“

Sie hielt ihm ihre kleine Hand hin, in die er herzlich und in der That mit einem erleichterten Gefühl einschlug.


Der Sonntag Mittag versammelte eine auserlesene Gesellschaft im Empfangssaale des Belvedereschlosses. Es waren nur Personen befohlen, von denen der Herzog wußte, daß sie seiner Gemahlin zusagten. Karl August hatte sich endlich den Entschluß abgerungen, eine Versöhnung mit Luise zu suchen; dieser Vorsatz ließ aber ein beklemmendes Gefühl in seinem Gemüthe entstehen, und voll Spannung ging er dein Zusammensein entgegen.

Hätte er einen andern Ausweg gewußt, so würde er denselben gewählt haben; denn noch immer sprach nichts in seinem Herzen für die sanfte, hoheitsvolle Frau. Es war nur das Unterliegen seiner Gegengründe; er gab lediglich den Vorstellungen seiner Mutter und seines treuen Freundes nach. Augenblicklich ohne Herzensidol, war es mehr ein verdrossenes Sichfügen, als ein eigenes Verlangen, dem er Rechnung trug. Zugleich aber lag ihm daran, von Luisen nicht abgelehnt zu werden; er fühlte, daß es dann zu einem dauernden, nie auszugleichenden Bruche kommen müßte; daß, wenn er jetzt keine Uebereinkunft erzielte, seine Mannesehre, sein Selbstgefühl so empfindlich verletzt sein würden, daß er den Schlag nie verwinden könnte. Deshalb die Spannung und die rücksichtsvolle Auswahl der Gäste; seine Gattin sollte erheitert werden, sollte guter Laune sein, dann hoffte er sie zu versöhnen.

Unter den Eingeladenen befand sich als Beichtvater und Freund Luisens auch der Generalsuperintendent Herder, dessen Anwesenheit dem jungen Fürsten von vornherein ein feierlich gespanntes Gefühl gab.

Als die Gesellschaft versammelt war und der Herzog mit seiner Gemahlin, seiner Mutter und Constantin eintrat, um den sich tief verneigenden Kreis zu begrüßen, hatte er nicht die Empfindung, zu seinem Vergnügen gute Freunde bei sich zu empfangen, wonach er Verlangen getragen, sondern nur die, einem Ceremoniell, einer Rücksicht zu genügen, als deren Bestandtheil er die blasse Frau an seiner Seite ansah. Er streifte sie mit einem verdrießlichen Seitenblicke und wurde sich mit wahrem Schmerz wieder einmal der völligen Verschiedenheit ihrer beiden Naturen bewußt.

Das Diner verlief unter den üblichen Formen; nach demselben wurden die Flügelthüren des Empfangssaals geöffnet, welche auf [760] eine mit Orangerie besetzte Terrasse führten, von der aus man in den Park gelangte.

Man trank den Kaffee im Freien und zerstreute sich plaudernd in Gruppen, hier und da hinschlendernd.

Die Herzogin Luise ging mit Herder auf einer der Terrassen entlang. Sie sagte in ihrer ruhigen Weise:

„Ich befand mich diesen Morgen so unwohl, daß ich nicht zur Kirche kommen konnte; wußte ich doch auch, daß es meine Pflicht sei, heute hier zu erscheinen. Bitte, verehrter Herr, theilen Sie mir in Kürze einen Auszug Ihrer Predigt mit; die Hoffnung, hier etwas davon aus Ihrem Munde zu vernehmen, war mein Trost.“

„Ich habe über das Evangelium der Eintracht gepredigt,“ erwiderte der geistliche Herr und begann dem Wunsche der Fürstin zu willfahren.

Er blieb erhoben von seinem Thema, das er in schöner Begeisterung ausführte, vor ihr stehen; seine freie Stirn schien zu glänzen, sein helles Auge die Natur in ihren verborgensten Geheimnissen ausspähen zu wollen.

Die andächtige Hörerin sah gefesselt zu dem Manne auf, von welchem sie schon oft Trost und Ermuthigung für ihr betrübtes Herz empfangen. Sie dankte ihm bewegt, als er ausgeredet hatte, und sagte:

„Wenn ich Ihr klares Urtheil, Ihre erhabene Auffassung, die immer nur aus einem, aus dem höchsten Gesichtspunkte sieht, mir recht zu eigen machen könnte, würde sowohl manche beglückte Stunde, wie auch manche Stunde des Leids eine höhere Weihe empfangen. Ja, oft war ich letzthin bis zur Kleinmüthigkeit gesunken, alles düster und dumpf um mich her, alle Hoffnung erloschen!“

Als Luise nach diesen Worten, die sie, Herder vereherungsvoll anblickend, gesprochen hatte, wieder vor sich hinsah, bemerkte sie den Herzog, wie er mit Knebel in dem Gange, in welchem man nicht ausweichen konnte, auf sie zukam.

Sie war durch ihre Schwiegermutter mit der Wahrscheinlichkeit eines Annäherungsversuchs von Seiten des Herzogs bekannt gemacht und hatte den Morgen in einer peinlichen Erregung zugebracht. Die ganze Zusammenstellung der heutigen Gesellschaft bewies ihr eine seltene Rücksichtnahme auf sie selber.

Jetzt, als Karl August auf sie zutrat, wußte sie, daß es zu einer Erörterung kommen werde. In Folge der eben gepflogenen Unterredung mit dem geistlichen Herrn vermochte sie es jedoch leichter als sonst, Bitterkeit und Empfindlichkeit zurückzudrängen; aber ein Gefühl der Scheu, stärker als da sie dem Herzoge vermählt wurde, hielt ihr ganzes Sein in Banden.

Erbleichend schlug sie vor seinem Blick die Augen nieder, und ein Beben, dessen sie nicht Herr war, lief durch ihre Glieder.

Knebel blieb mit seinem Freunde Herder zurück und bog mit demselben in den nächsten abzweigenden Weg ein, während der Herzog seiner Gemahlin den Arm bot und sie mit einigen raschen Schritten dem Gehörkreise der Männer entführte.

Trotz allen guten Willens wurde es jetzt Karl August doch schwer, irgend ein Wort an die Frau zu richten, die mit so sichtlicher Pein an seiner Seite aushielt. Ihre Blässe, ihr Zittern entgingen ihm nicht und zeigten nur zu deutlich, daß ihr Herz ihm keine Liebessehnsucht entgegen brachte. Ihr Gemeinplätze über Wetter und Frühling zu sagen, schien ihm, bei seinem natürlichen offnen Charakter, lächerlich, und deshalb währte es mehrere Secunden, bis er sich so weit sammelte, daß er sie mit einiger Unbefangenheit anreden konnte.

„Mir däucht, Luise,“ sagte er ernst, „wir haben uns in unserm Verhalten gegen einander schon zu lange von dem Wege der Pflicht entfernt. Wie denken Eure Liebden über einen Ausgleich, eine Versöhnung?“

„Ich hoffe, daß ich nie meine Pflicht außer Augen gelassen habe! Eine Annäherung konnte unter keinen Umständen von mir ausgehen.“

„Natürlich, correct wie immer!“ rief er spöttisch und bitter. „Gut, komme Alles auf mein Haupt, sei ich der Sünder, der Gescholtene, gleichviel! Kurz und bündig, Luise: betrachtest Du Dich noch als mein Weib oder nicht?“

„Ich habe nie gewagt, daran zu zweifeln, daß ich es bin,“ flüsterte die Herzogin tief gesenkten Hauptes, mit einem holden Erröthen auf den zarten Wangen, das den Herzog mit einem bisher ungekannten Reiz erfüllte. Dichter zog er ihren Arm unter den seinen, und lange wandelte das hohe Paar einsam in den verschwiegenen Gängen des köstlichen Parkes.

[774]
31.
Christel von Laßberg’s Tagebuch.

Im December 1778. Erich will wiederkommen; er will das Weihnachtsfest mit uns verleben, wie in den vorigen Jahren. Welch eine Zeit steht mir bevor! Was soll ich ihm entgegnen, wenn er seine Werbung erneuert, wenn mein Vater davon Kenntniß erhält? Ich werde Erich’s trauriges Gesicht sehen, er wird an meiner Güte, meiner Aufrichtigkeit zweifeln – o, wie soll ich mich retten? Wie soll ich ausweichen, ohne Schmerz zu bereiten, ohne den wahren Zustand meines Herzens zu verrathen?


Er ist mit meinem Bruder Max angekommen. Vater war zur Post gegangen und brachte sie, so heiter gelaunt wie selten, gleich in’s Wohnzimmer. Erich eilte auf mich zu; ich vermochte es nicht, ihm einen Schritt entgegen zu gehen. Es schien mir, er wolle die Arme ausbreiten, mich zu umfangen, ich aber wich zurück und reichte ihm die Hand. Und doch, als ich ihn ansah, wie gut gefiel er mir! Das offene, frische Gesicht, das blonde, gelockte Haar, die stattliche, schlanke Gestalt, als ob ich seine Schwester wäre, wallte ihm mein Herz entgegen, und ich hätte ihn ebenso gern umarmt wie Bruder Max. Er aber meint es nicht so, das sehe, das fühle ich aus jedem Blick und Wort!


Die Beiden durcheilen die Stadt, Besuche zu machen; es geht in unserem Hause jetzt fröhlicher zu als sonst. Täglich kommen Gäste und Einladungen von allen Seiten. Ich muß mich putzen, muß mitgehen, tanzen, lächeln und immer und immer Erich’s Entgegenkommen zurückweisen, obwohl ich doch weiß, es hilft nichts, er will endlich ein Ja auf seine Frage.

Und Er, mein hoher Gebieter, dem ich jetzt oft nahen darf, ihm – ach, das fürchte ich – ihm bin ich nichts, als das Veilchen am Wege, das sein Fuß achtlos zertritt! Aber sind Liebe, Bewunderung, Anbetung keine starken, selbstständigen Empfindungen? Was ist gegen diesen jauchzenden Lebensodem meiner Brust, der mich so viele Jahre lang schon erhält, das schwächliche Gefühl mühsam abgezogener Gegenliebe? Halb Eitelkeit und halb Dankbarkeit. Und so manches Herz mag sich damit begnügen?

Nein, ich kann diese Alltagskost nicht nehmen, nicht geben! Goethe behandelt mich wie alle anderen Mädchen; er tanzt fast an jedem Ballabend mit mir, sagt mir hier und da auch etwas Gutes, Artiges; mehr empfangen die Anderen auch nicht.


Gestern Abend, als wir vom Schlosse heimkehrten, nahm Vetter Erich so entschieden meinen Arm, Vater und Max folgten so langsam, daß ich mit Zittern fühlte: jetzt schlägt die große Prüfungsstunde!

„Christel,“ sagte er weich, „endlich mußt Du mir näher angehören. Meine scheue Taube, flieg mir nicht wieder davon. Sieh, geduldig wartete ich auf Deinen Wunsch Jahr und Tag. Jetzt hoffe ich auf Dein Jawort, jetzt halte ich’s nicht länger aus. Deines Vaters Segen habe ich; was zaudern wir? Die Welt hält uns längst für einig, und warum wollen wir unser Glück, unser wonniges Zusammensein, nicht noch reizvoller genießen? O Christel, sage ja, sei endlich mein!“

So etwa sprach der gute Vetter; armer, lieber Erich! Ich habe Dir wohl recht unzusammenhängend geantwortet? Es ist auch gleichviel, was ich sagte.

Wir waren nah am Hause und traten ein. Tante Barbara kam uns mit Licht entgegen; dann standen wir plötzlich alle in der Wohnstube. Vater nahm meine und Erich’s Hand, fügte sie in einander und sprach feierlich:

„So gesegne denn Gott Euren Bund, meine Kinder! Mir erfüllt sich ein großer Wunsch. Du, liebe Tochter, verschönst mir die letzten Tage eines vielgetrübten Lebens! Mit Zuversicht lege ich Dich in die Arme dieses tugendhaften Jünglings, an dessen Seite Dir ein glückliches Loos beschieden sein wird. Ein Leben, geheiligt durch das Gebet Eures Vaters!“

Er war so beredt, so gerührt, wie ich ihn nie zuvor gesehen.

Wir umarmten uns Alle unter einander, oder vielmehr, sie umarmten Alle mich.

Ich war starr, wie früher so oft, und weiß nicht, wie ich mit Barbara in meine Kammer gekommen bin. Die gute Alte kleidete mich aus, wie sie es jeden Abend thut, und sprach vielerlei zu mir; ich hörte nur Ton und Worte, den Sinn begriff ich nicht; in derselben Starre brachte ich die halbe Nacht zu, während der anderen Hälfte saß ich aufrecht und weinte. O, was soll aus mir werden?

[775] Ertragen kann ich’s nicht so, ich muß einen Versuch zu meiner Rettung wagen und mit meinem Vater sprechen. Gefaßt bin ich auf seinen fürchterlichsten Zorn, ja, wenn er will, kann er mich tödten.


Ich ging zu ihm in sein selten betretenes Zimmer.

Er kam mir liebreich entgegen. „Mein Kind ist bleich,“ sagte er und faßte mich am Kinn. „Frisch auf und munter, kleine Grafenbraut! Die ganze Stadt wird Dich beneiden, bist auch neidenswerth! Ist ein Staatsjunge, Dein Erich, mir fast lieber als mein eigner Sohn. Aller Verdruß und Grimm, den ich im Leben zu schlucken gekriegt, wird jetzt wett gemacht!“

„Vater – Vater!“ stammelte ich.

„Was soll das Gejammer?“

„O, ich bitte Dich aus Herzensgrund!“

„Na – bring mir keinen Unsinn vor!“

„Vater, höre, rette mich! Ich liebe Erich nicht, ja ich schaudere vor einer Ehe mit ihm, ich könnte ebenso gut Bruder Max heirathen!“

„Flausen, Hirngespinste! Warst immer ein absonderliches Ding! Jetzt aber, Fräulein Narrethei, ist’s Zeit, die Schrullen und Romangeschichten abzuthun, sonst geht daran dreier Menschen Lebensglück zu Grunde.“

Er sprach sehr ernst, aber nicht so zornig wie sonst. Ich sagte ihm noch einmal recht eindringlich, daß ich in Verzweiflung über meinen Brautstand sei; ich bat ihn, mich nicht zu vermählen, mich bei sich zu behalten.

Erst fuhr er mich an: ob ich einen Andern liebe?

Ich erbebte und sprach in einem von der Herzensangst eingegebenen Wortstrom dagegen. Er warf sich dann plötzlich – wie ein Baum, der gefällt wird – auf einen Stuhl am Tisch, nahm den Kopf in die Hände und stöhnte laut. „Es ist zu viel,“ murmelte er, „zwingen – zwingen kann ich sie nicht! Geh, schick Erich fort, aber dann ist von Freude in meinem Leben nicht mehr die Rede.“

Das ergriff mich furchtbar; ich sah sein Leben von Enttäuschungen und Kummer klar vor mir; es war mir jetzt gleichviel, was aus mir werde, wenn nur aus seinen öden Pfad noch ein Sonnenstrahl fiel! Ich warf mich vor ihm auf die Kniee, umfaßte ihn und bat, er möge getrost sein, ich wolle seinen Willen thun.

So nehme ich also mein Leid und eine traurige Lebenslüge auf mich!


Er ist jetzt mit Max in seine Garnison zurückgekehrt und unsere Hochzeit ist auf den Herbst angesetzt, so habe ich also noch länger als ein halbes Jahr Frist. Was kann sich in der Zeit alles zutragen! Diese Spanne Zeit will ich leben, frei sein, ihn sehen! Vielleicht findet sich doch noch ein Entrinnen!

Im Februar 1779. Die ganze Stadt ist in Aufregung, ein glückliches Ereigniß bewegt alle Gemüther, die Frau Herzogin Luise hat eine Prinzessin geboren. Sie soll sehr schwach sein und der Herzog sehr ärgerlich, da er ganz fest auf einen Erbprinzen gerechnet hatte.

Gesellige Lustbarkeiten gab es in letzter Zeit weniger, ich als Braut hätte mich auch ausschließen dürfen. Aber wie dann ihn sehen, ihn, der trotz allem meiner Seele Entzücken ist und bleibt? So habe ich mitgemacht, was sich mir bot.

O, dieser Herrliche, wie hoch steht er über allen anderen Männern! Wie viele bewundernde Augen blicken zu ihm empor; wie unbeirrt, wie herrschend schreitet er durch die Menge! Nur wenn ich ihn nie gesehen hätte, könnte ich Erich lieben.


Er arbeitet jetzt mit Bertuch, den herzoglichen Hofgärtnern und vielen Gehülfen, um einen Park am Ufer der Ilm anzulegen. Dahin richten sich nun die Schritte aller Spaziergänger. Jeder will das rüstige Schaffen und Werden beobachten; Viele aber wollen auch, wie ich – ihn sehen, das fühle, das weiß ich! Und köstlich ist’s, wie er leuchtenden Blicks in freier blauer Frühlingsluft dasteht, anordnet, den Eindruck beschreibt, den das Fertige machen wird, selbst zum Grabscheit greift, Gesträuche beschneidet und ganz Leben und Feuer ist für die Sache, der er sich hingiebt. Er adelt alles, was er angreift; mir erscheint jetzt Wege ziehen und Bäume pflanzen wie eine neue Art Poesie.


Ich lebe im dämmernden Schwindel so hin, bin jeden Abend in Verzweiflung über den vergangenen Tag, der mich dem Herbste näher führt. Vater spricht oft von unserer Hochzeit; Tante Barbara schafft viel Leinenzeug herbei, Erich schreibt von Liebe und Sehnsucht, und ich – o, was soll ich bei alledem, das mich fremd ansieht, fremd, verwirrend und trostlos!

Juni. Karoline von Ilten ist mir in letzter Zeit Freundin geworden, sie leidet ja ihren Liebesschmerz wie ich. Prinz Constantin ist jetzt, um von der Geliebten entfernt zu werden, auf Reisen geschickt, die, wie man meint, Jahre dauern können. Das arme Linchen ist untröstlich, und doch wie glücklich kann sie sein, da nur die Ungunst der Verhältnisse sie trennte. Sie sagte mir, daß Goethe voll Theilnahme für sie sei und sie oft herzlich tröste, obgleich er auch von ihrer Heirath mit dem Prinzen abgerathen habe. So weiß sie es selbst nicht, soll sie ihm gut oder böse sein; seine Gewalt über alle Gemüther, seine Herrlichkeit erkennt sie an, und wir sprechen oft über ihn.

Juli. Es wird eine neue Aufführung geplant, ein Stück ist es, das er vor zwei Jahren gedichtet hat. Viele Personen kommen darin vor, und ich bin auch zur Mitwirkung aufgefordert.

Ich sagte zu; nur dies noch! Ihn täglich in den Proben sehen, ihn declamiren, anordnen hören, nein, ich kann nicht darauf verzichten! Vater runzelte die Stirn und sagte: „Wenn Erich nur zufrieden ist, daß Du die Narrenspossen mitmachst?“

Ich nahm die Verantwortung auf mich. Unsere Hochzeit ist aus den 25. August festgesetzt, am 23. kommt Erich. Am 22. soll zur Rückkehr der Herzogin Amalie, die verreist ist, jenes seltsame Stück: „Der Triumph der Empfindsamkeit“, aufgeführt werden. Das ist also mein Letztes!

Nur genießen bis so lange; nur ihn sehen! Nie werde ich es mehr, wenn ich mit Erich in seine Garnison gehe. Hinter dem 25. liegt das ganze Dasein schwarz und öde. Es sind noch zweiunddreißig Tage bis dahin!


Die Proben nehmen ihren Fortgang, jetzt nur noch zwanzig Tage! Oft suche ich mir eine versteckte Ecke, sehe ihn an und präge sein Bild fest in meine Seele.

Großer Gott, nur noch neun Tage, und dann – Tante Barbara tadelt mich, daß ich mich nicht um meine Ausstattung kümmere. Heute sagte sie:

„Christel, wie bist Du jetzt so vergnügungssüchtig!“

Diesen Nachmittag ist Probe bei der Stein; um Alles möchte ich nicht fehlen!


Was habe ich gesehen, erlebt! – O Elend, grausames Elend!

Das Stück war durchprobirt, in den Zimmern ward es warm, man öffnete die Thüren zu der Terrasse; die Gesellschaft zerstreute sich, spazierte draußen auf den neuen Parkwegen, vertheilte sich in den Zimmern.

Ich saß allein im Eckcabinet, wo es dämmerig war, und konnte vom offenen Fenster aus ihn mit Frau von Stein auf der Terrasse hin und her gehen sehen; dann und wann drang ein Wort von ihm zu mir; es war so schön!

Endlich setzten sie sich unter meinem Fenster nieder. Anfänglich wollte ich aufstehen, aber seine Nähe berauschte und bannte mich, daß ich in meine alte Starrheit verfiel und mich nicht rühren konnte. Sein Kopf mit den dunklen Locken ragte etwas über die Bank des offenen Fensters hervor, an dem ich saß; ich hätte sein Haar küssen können, ohne daß er’s merkte; aber ich vermochte kein Glied zu bewegen. Mir war so verschleiert zu Muth von seliger Empfindung, daß selbst seine Rede mich nicht weckte, sie rauschte wie ein süß murmelnder Bach an meinem Ohre dahin.

Dann antwortete Frau von Stein, dabei erholte ich mich, sodaß ich verstand, was er nun sagte, obwohl seine Stimme gedämpft war und einen wunderbar zärtlichen Klang hatte.

„Ich werde müde an den Menschen und habe keine Sprache mehr für sie, wenn ich nicht eine Weile mit Dir bin, lieb Gold; entziehe Dich mir nicht, sonst schließt sich meine Natur wie eine Blume, wenn die Sonne sich wegwendet.“

„Ich darf meine Pflichten als Wirthin nicht vernachlässigen.“

„Hast Du nicht auch Pflichten der Liebe? Du weißt, daß Niemand da ist, der Dich heißer liebt als ich, daß Keiner Dich mehr bedarf.“

[776] Also doch! schrie es in mir, also doch! Sie besitzt sein Herz; ihr gehört er an. O Elend, o Nacht des Jammers!

Ich barg meinen Kopf in den Händen.

Undeutlich nur sah oder empfand ich, daß Jemand sich zu dem Paare da draußen gesellte und daß es aufstand, daß ich allein war.

Nach geraumer Zeit kam Caroline zu mir, sagte, sie habe mich gesucht, die Gesellschaft sei fort, wir müßten aufbrechen.

Wir gingen; ich in einem Wirbel verzweiflungsvoller Empfindungen. Er! – O großer Gott, ich konnte es nicht ausdenken, ohne daß sich mein Geist verwirrte!

Ich glaube, wir hatten einen schönen Abend; Linchen sagte es mir und meinte, ich sei so erregt und seltsam, wir wollten noch spazieren gehen, das werde mir gut thun. Wir gingen. Wohin? Was Caroline plauderte? Ich weiß es nicht.

Plötzlich standen wir am rauschenden Wehr, in der Finsterniß dicht schattender Linden. Vor uns der Fluß mit dem weißen Schaum, der stark herunterfallend plätscherte und brauste. Und dann der Flußgott; ein weißes Menschenbild, aus dem weißen Schaum auftauchend, mit langem dunklen Haar und seinen Zügen. Der warf sich nieder, schwamm, schnellte auf, jauchzte – o, und winkte mir!

Ich komme! schrie es in mir, Du sollst nicht vergebens locken, meine Seele nennt Dich: Herr! gehorcht Dir, ist Dein! Zu Dir, zu Dir in die schäumige Tiefe! Das ist Erlösung, das ist Reinbaden von aller Seelenangst, aller Zukunft, die so dräuend dasteht!

Schweigend ging ich an Linchens Seite nach Hause.

Still, mein Herz; lebt wohl, Ihr Alle – ich folge nur ihm, nur Dir – ich komme!

[790]
32.

Verzeihung, meine Mutter! Verzeihung!“ schluchzte eine tief zur Erde gebeugte Gestalt, die aus ihren Knieen am Lager der alten Frau von Werthern lag, welche, krank und bleich, sich umsonst bemühte, der Knieenden zu antworten.

Endlich überwand die Leidende ihre Schwäche, ihre Gemüthsaufregung soweit, daß sie einige Worte hervor zu stammeln vermochte.

„Steh’ auf, Emilie! – Unglückliches Kind! Sprich – erkläre mir Alles!“

Die Knieende ergriff der Kranken abgezehrte Rechte, preßte wiederholt ihre brennenden Lippen darauf und rief:

„O, ein gutes Wort von Ihnen, Dank, glühenden Dank! – Mutter, wie habe ich mich nach Ihnen gesehnt! Wie furchtbar ist es, sich selbst zu den Todten geworfen zu haben!“

Die alte Dame bat sie, sich auf den Stuhl neben ihrem Bette zu setzen, dann fuhr sie mühsam und leise sprechend fort:

„Ich kann’s noch nicht fassen, daß Du es wirklich bist, Emilie, die vor drei Jahren Gestorbene! Mein liebes Schmerzenskind – für dessen Tod ich Gott mit tausend Thränen dankte. Emilie erstanden! Ist’s auch keine Fieberphantasie? Laß Dich betasten, komm näher. Nein, so greiflich kann eine Vision nicht sein!“

„Ich bin’s, o Mutter, ich bin’s! Ich halte und küsse Ihre Hände, ich streichle Ihre Wangen, ich darf Sie wieder anblicken, darf es wagen, Ihnen zu beichten, mein armes, jammervolles, beladenes Herz auszuschütten?“

„Nur ruhig, Kind, ich ertrage Deinen Ansturm nicht; setze Dich da hin; meine Hand magst Du halten, und dann erzähle, beichte, wie Du es nennst, ich verstehe von allem Vorgefallenen gar nichts.“

„Wo soll ich beginnen, Mutter? Sie waren voll Sorge für mich, des Herzogs halber; der ward mir nicht gefährlich, er meinte es auch gar nicht ernstlich. Er war noch so jung, wollte lustig sein. Dies Spiel, diese harmlose Thorheit half mir so gut über mein elendes Zusammenleben mit Werthern hinweg!“ Emilie schilderte nun ausführlich, wie ihre Leidenschaft zu dem Hausgenossen, dem stillen Gelehrten Moritz von Einsiedel, sich angesponnen, wie die Trennungsstunde sie zu einander geführt habe. Wie sie auf dem Gute des Bruders das Scheiden von Moritz nicht zu überstehen vermocht und wie sie endlich mit einander beschlossen, eine Komödie in’s Werk zu setzen, die sie rette. „Während ich heimlich mit dem Geliebten entwich,“ fuhr sie bewegt fort, „ließ mein treuer Bruder eine Puppe statt meiner beisetzen und schrieb meine Todesanzeige. Aber das kühne Abenteuer hatte sich bitter gerächt. Die Ausbeutung der Goldbergwerke in Afrika war eine verfehlte Speculation gewesen, wir haben Jahre schwerster Kämpfe durchgemacht.“

„Und was nun, unglückliches Kind?“ fragte die Mutter.

„Moritz will den Herzog bitten, ihn wieder im Bergfache anzustellen, und dann hoffen wir, uns nach tausendfältigem Elend, nach vollem Ausgestoßensein, wieder im Leben und in der Menschen Achtung herzustellen.“

„Du hast viel gelitten, Emilie! Ich sehe, ich fühle es!“

„Furchtbar, Mutter! Noth und Elend jeder Art hat uns heimgesucht; wir haben es aber treulich mit einander getragen. Auch Gewissensqual wegen unserer thörichten Handlungsweise lag schwer auf uns, aber in unserer ausharrenden Liebe fand sich eine große Hülfe. Glauben Sie mir, theure Mutter, es war eine Schule des Lebens, die Ihrer leichtsinnigen Emilie genützt hat.“

Die Rückkehr der hübschen und beliebten Frau von Werthern aus dem Lande des Todes rief in Weimars höheren Gesellschaftskreisen einen wahren Sturm der Aufregung hervor.

Der Herzog stürzte wüthend über die Komödie, welche man ihm gespielt, zu Goethe, ließ diesen kaum zu Worte kommen und schalt aus den unerhörten Betrug, welchen man sich gegen ihn erlaubt habe.

„Schade,“ erwiderte endlich Goethe mit voller Ruhe, „daß in dieser platten Werkeltagswelt nichts Außerordentliches mehr zu Stande gebracht wird.“

Karl August stutzte.

„Wie, Du verteidigst die Landstreicherin?“

„Ich meine nur, daß mein lieber gnädiger Herr, der allem Abenteuerlichen so hold ist, seine Freude an dem Streiche der beiden Leutchen haben müßte, die, wie Werthern’s Ehe beschaffen war, im Grunde nichts Klügeres thun konnten.“

Der Herzog lachte und gab nach einigem Hin- und Herreden dem Freunde Recht. Aber dieser wollte noch mehr.

Moritz von Einsiedel, der Goethes Interesse für das Bergfach sowie seinen Einfluß kannte, hatte ihn früh Morgens aufgesucht, ihm alle Verhältnisse mitgetheilt und ihn um seine Verwendung beim Herzoge gebeten. Einsiedel galt von jeher für einen tüchtigen und pflichttreuen Beamten, so betrachtete Goethe seine Wiederanstellung als Gewinn und zauderte nicht, dieselbe bei seinem fürstlichen Freunde zu befürworten.

Es gelang ihm auch, den Herzog milder zu stimmen und demselben endlich die Ueberzeugung zu geben, daß Einsiedel’s Wiederaufnahme nicht völlig zu verwerfen sei; damit war vorläufig genug erreicht.

Karl August forderte den Freund zu einem Spaziergange auf. Es war ein herrlicher Nachmittag, die Geselligkeit ruhte heute, morgen sollte die Generalprobe für „Den Triumph der Empfindsamkeit“ stattfinden und dann übermorgen, am 22. August, die Heimkehr der Herzogin Mutter mit dem Spiel gefeiert werden.

Man schlenderte unter lebhaftem Gespräche dem Parke zu, erfreute sich am Gedeihen der neuen Anpflanzungen, plante Weiteres und kam endlich an die Ilm, deren feuchten, kühlen Duft man an dem warmen Tage wohlthuend empfand.

Da sahen sie plötzlich mehrere Parkarbeiter und Mühlknechte in der Nähe des Wehrs zusammeneilen, ein Kahn stieß vom Ufer, man hantirte mit Stangen und hob endlich einen Körper in den Nachen.

„Das scheint ein Ertrunkener!“ rief der Herzog.

„Ich glaube, es ist eine Frau, ich sah ein weißes Kleid,“ entgegnete Goethe, während Beide ihre Schritte beschleunigten, um zur Stelle zu gelangen.

Die Männer hoben eben Christel von Laßberg’s schlanke, leblose Gestalt an das Ufer und legten sie auf den Rasen.

„Großer Gott, ist sie todt? Wie ist das Unglück geschehen?“ rief der Herzog.

Goethe knieete zu ihr nieder, legte sein Ohr an ihren Mund, versuchte seinen Odem zwischen ihre kalten Lippen zu blasen, lauschte auf ihren Herzschlag, untersuchte ihren Puls, rieb ihre Hände, hielt sie ausgerichtet im Arme und that Alles, um sie wieder zu beleben.

„Geben Sie sich keine Mühe mit ihr, Herr,“ sagte ein alter Parkaufseher, der dazu trat, sie liegt schon seit gestern Abend darin und muß festgehakt sein, sonst wäre sie weiter getrieben. Als ich spät meine Runde machte, sah ich eine weiße Gestalt durch die Büsche fliegen, sie verschwand hier am Ufer – es hätte mir fast gegraut. Es war zu dunkel, um etwas im Wasser zu erkennen, dachte auch, ich könne mich geirrt haben, aber heute Morgen fand ich diesen seidenen Stöckelschuh, da wußte ich, daß es eine Vornehme gewesen, die ich gestern Abend hatte laufen sehen.“

„O, wenn ich doch etwas später hier gebadet hätte!“ rief Goethe bewegten Tons, „dann würde ich sie gerettet haben. Ja, sie ist todt!“

Der Herzog stand daneben, und die Arbeiter zogen sich ehrfurchtsvoll zurück.

„Welch ein süßes Geschöpf sie war!“ fuhr Goethe fort, ihren bleichen Kopf noch immer im Arme haltend. „Mir däucht, wir haben, als sie lebte, den Reiz dieses Mädchens nie so erkannt, sie gleicht einer geknickten weißen Rose.“

Der Herzog flüsterte: „Sie war Braut des Grafen Wrangel, die Hochzeit sollte in diesem Monat noch gefeiert werden; der Bräutigam wird sich doch keiner Treulosigkeit schuldig gemacht haben? Denn hier liegt offenbar Selbstmord vor.“

„Sie tragt ein Buch in ihren Gürtel geschoben, es ist fest mit einem Seidentuche umwunden, wir wollen es an uns nehmen; wenn sie fortgetragen wird, möchte es herab fallen, vielleicht findet sich hier schon eine Aufklärung.“

[791] Goethe zog das eingehüllte Buch aus Christel’s Gürtel und löste das Seidentuch; sie hatte es gut verwahrt. Erstaunt las er auf dem Umschlage seinen Namen.

„Es ist an mich adressirt, so darf ich es als mein Eigenthum betrachten.“ Er riß Schnur und Siegel auf und öffnete das Buch.

Sein Werk „Werther’s Leiden“ fiel ihm entgegen, ein Heft betriebenen Papiers lag in demselben. Erschrocken und verletzt schob er es in die Tasche.

„Sie scheint das Opfer einer thörichten Sentimentalität zu sein,“ sagte er düster.

Der Herzog rief die Parkarbeiter herbei und gebot ihnen, die Leiche in das nächstgelegene Haus, - dasjenige des Oberstallmeisters von Stein, zu tragen.

Frau von Stein kam ihnen erschrocken entgegen, sie ließ das unglückliche Mädchen, welches gestern noch ihr Gast gewesen, auf ein Bett legen.

Man sprach hin und her über das Ereigniß; Herr von Stein ging, den Oberst von Laßberg zu benachrichtigen, der Herzog verließ mit ihm das Haus, und Goethe blieb mit Frau von Stein im Zimmer, neben der Kammer, in welcher Christel lag, allein.

Er saß am Fenster und blätterte in den Papieren, welche er dem Buche entnommen hatte. Es war Christel’s Tagebuch.

Sehr bald übersah er mit tiefem Herzensweh den Zusammenhang und vermochte den Schmerz dieser Entdeckung nicht vor der Freundin zu verbergen.

„Bin ich denn nur in der Welt, mich in ewig unschuldiger Schuld zu winden?“ seufzte er bekümmert. „Hier ein Herz, wie ich es suche, ein Herz, das mir Alles hätte sein und geben können, wenn ich es nur gefunden und auf den rechten Weg gesunder Entwickelung zu leiten vermocht hätte. So aber elend durch mich, verwirrt durch meine Liebe zu Dir, durch meinen ‚Werther‘ und jammervoll zu Grunde gegangen!“

Frau von Stein suchte ihn aufzurichten, sie betonte, wie völlig arglos er bis jetzt Christel gegenüber gewesen, und wie dies ganz ohne seine Schuld über ihn gekommen sei. Es gelang ihr auch nach liebevollem Zureden, ihn zu beruhigen und seine leidenschaftliche Zärtlichkeit zu beschwichtigen, mit der er in sie drang, sich ihm näher als bisher anzuschließen.

Charlottens ebenbürtiger Geist war es, der ihn fesselte; an ihrem ernsten, erprobten Charakter wollte er den seinen stählen. Nur mit einem starken, guten Menschen konnte er glücklich sein; nur ein solcher konnte ihm helfen, weiter zu streben zu immer größerer Klarheit und Wahrheit.

Während dies Alles in seiner Seele wogte und er mit steigender Sehnsucht innerlich die Geliebte umschloß, hatte diese leise einen Strauß frischer Blumen, welche Goethe diesen Morgen aus seinem Garten geschickt, aus der Vase genommen, damit das Zimmer verlassen und war zu der bleichen Todten heran getreten.

Sie löste das Band, welches den Strauß zusammenhielt, und schmückte das zarte Mädchen mit den frischgefärbten Blüthen des Hochsommers, ordnete ihr Kleid gefälliger, um dadurch dem unglücklichen Vater, der jeden Augenblick eintreten konnte, das schreckliche Ereigniß milder vor Augen zu führen.

Als Goethe Herrn von Stein mit dem hastig zuschreitenden Oberst von Laßberg auf das Haus zukommen sah, verließ er, getrieben von einem Unbehagen, das ihn fast wie Schuldbewußtsein drückte, Zimmer und Haus durch Hinterthüren.

Christel’s Vermächtniß hielt er aber fest auf seiner Brust geborgen.


33.

Goethe kam in einer unsäglich zwiespältigen Stimmung in seinem Hause an; er begab sich sogleich auf seinen Altan, wo er in Ruhe die Tagebuchblätter der armen Christel zu lesen und still für sich über ihr Wesen, Leiden und Thun zu sinnen dachte.

Die Sonne stand schon tief, ein warmes, röthliches Licht flammte über die ihm so liebe und beruhigende Rundsicht. Es that ihm wohl, hier Frieden und unverändertes Sein zu finden, wo er sich so aufgestört fühlte, und ihm schien, als müsse vieles um ihn her verschoben sein.

Nie war ihm eine Ahnung von Christel’s Neigung aufgestiegen; ihr stilles, gefühlsseliges Wesen hatte ihn nicht angesprochen. Er konnte nur beklagen, wenn sein „Werther“ diese Richtung ihres Wesens gefördert hatte. Auch ihn beherrschte einst diese Gemüthsstimmung, welche jetzt aber weit hinter ihm lag. Er selbst – das wußte er bestimmt und ersah es aus ihren Aufzeichnungen – hatte ihr keinen Anlaß zu jener unseligen Leidenschaft gegeben, und daß sie seine Neigung zur Stein sich zu etwas Ungeheuerlichem aufgebauscht, stieß ihn als Ungesundheit ab.

Endlich war das Tagebuch durchflogen Welch eine traurige Verirrung, welch ein Schwelgen in süßem Weh! Wie gänzlich abgewandt allen Forderungen des Lebens und der Pflicht! Halb verzogen, halb verwahrlost erschien ihm diese Seele, die doch wieder so viel Innigkeit besaß, daß sie unter verständiger Führung Schmuck und Glück eines Manneslebens hätte werden können.

Während er also nachdachte, hörte er leichte Schritte hinter sich herantrippeln, schaute sich um und begrüßte Luise von Göchhausen, welche knixte und mit möglichst ernsten Mienen sich und ihren plötzlichen Besuch einführte. Würdevoll sagte sie:

„Meine Frau Herzogin hörte von dem stattgehabten Unglücksfall, sie wagte weder zu Laßberg’s noch zu Stein’s zu schicken, wo das arme Kind liegt, um sich des Näheren zu informieren, deshalb erbot ich mich nachzufragen und sprach: ‚Durchlaucht, ich eile zum Doctor Wolf, der steht den Leuten als Dichter und Denker in’s Herz!‘ Ist es wahr, daß jener perfide Schwede die Aermste sitzen ließ?“

„Erst erholen Sie sich und nehmen Sie Platz bei mir, Thusnelda,“ sagte Goethe zu der athemlosen kleinen Dame. „Dann will ich Ihre brennende Neugier mit tröpfelnden Andeutungen, so weit ich darf, zu löschen suchen.“

Die Göchhausen setzte sich ihm gegenüber und blickte ihn mit ihren klugen Augen scharf an.

„Geben Sie so wenig Sie wollen, ich werde mir den Rest combiniren.“

„Wohlan; die arme Christel war eine undisciplinirte Natur, die sich in eingebildete Liebesleidenschaft warf, eine Leidenschaft, von welcher der Betreffende keine Ahnung hatte; so gerieth sie in einen Conflict mit ihrem Heirathsplan und wußte keine andere Lösung als den Tod.“

„Natürlich sind Sie, der Stern Weimars, der Hätschelhans, jener heimlich Geliebte! Aber Sie haben Recht, das nicht auszusprechen. Packen wir ferner alle Schuld dieses Vorfalls auf den schlanken Schweden; der wird sich schwerlich hier wieder sehen lassen. Eine recht betrübende Geschichte! Unerhörtes ist es aber nicht. Wo viele Zahlen mit einander summiren, muß endlich ein Facit gezogen werden, zwischen dem dann auch einige Nullen sind. Es ist eben nach Art und Anlage, wie man eine Niete trägt.“

Sie sah, indem sie dies sagte, plötzlich so tief bekümmert, ja düster aus, daß Goethe sie mit lebhaft aufwallender Theilnahne fixirte.

„Thusnelda, auch Sie ein Herzensweh?“

„Sonderbar, nicht wahr, daß unterm Buckel sich auch dergleichen einnistet?“

„Sie? Karl August?“ fragte Goethe fast unwillkürlich.

„Ja! Während alle wie Närrchen in Sie verliebt waren ging ich meinen eignen Weg. Was kümmert’s ihn, wenn ich ihn liebe? Es ist ja auch kein sentimentales Schmachten mit irgend welchem Anspruch. Sie sind redlicher Camerad genug, diese verzwickte Schrulle des kleinen Kobolds nicht an die große Glocke zu hängen, darum mag’s meinethalben Ihnen zugestanden sein. Was kann man dafür, wenn Einen elementare Kräfte packen? Schlimm genug für das Wesen von Fleisch und Bein in solche Stampfe zu gerathen, und nur gesundes Wollen kann da retten, auf daß man nicht zum Brei alberner Gefühlsseligkeit zerstoßen werde. Passons là dessus! Oder zu deutsch: schuppst die Grillen weg!“

Goethe reichte ihr voll Freundschaft und Anerkennung die Hand. Wie heiter trug sie ihre völlige Hoffnungslosigkeit auf Liebesglück; welch ein tapferer Geist wohnte unter der spottenden, scherzenden Außenseite !

„Ich brauche Ihnen keine Verschwiegenheit zu geloben, Luise,“ sagte er herzlich. „Sie haben Recht, auf unsere gute Cameradschaft zu zählen. Mir dämmerte hier und da eine Ahnung auf von Ihrem Gemüthszustande, aber man läßt sich immer wieder von der Außenseite täuschen und nimmt Ausnahmen an, wo gewisse allgemein menschliche Gefühle die Regel sind.“

[792] „Ein Märchen von ‚Tausend und Einer Nacht‘ habt Ihr hier in dem Nest in Scene gesetzt,“ sprach sie wie Jemand, der von einem Höhepunkt aus Rundschau hält und nun die zurückliegenden Ereignisse leidenschaftslos resumirt. „Aus Euren Märchenträumen wächst jetzt allgemach die Wirklichkeit in seltsameren Formen auf, als wenn Ihr den alten Schlendrian hättet bestehen lassen. Wundert Euch nicht, wenn die Rebe andere Früchte trägt, als die Küchenbohne; es sprießt allemal nur die Saat auf, die man gepflanzt hat! Ihre Dichternatur wird damit zufrieden sein; sie kränzt sich mit den Ranken der Rebe, keltert süßen Wein aus den zerstampften Früchten und berauscht sich und Andere. Ist es nicht so, Meister Wolf?“

Goethe hatte sinnend zugehört; als er sich anschickte ihr zu antworten, ward die Thür zum Altan aufgestoßen, und der Herzog trat zu den Beiden.

„So, so!“ sagte er leicht grüßend, „hier haben sich schon Zwei zu ihrer inneren Aufrichtung zusammen gefunden, zwischen denen ich gern der Dritte bin. Wo unsere muntere Thusnelda ist, da bleibt Erheiterung nicht aus.“

„Durchlaucht zu dienen, dero Hofnärrin!“ sagte sie in alter, schelmischer Weise knixend.

„Sie sind wirklich unverwüstlich in Ihrem Humor, Thusel.“

„Oben schwimmend wie ein Korkstöpsel und ebenso leicht geartet.“

„Was sagen Sie zu dem heutigen Ereigniß?“

„Daß Jeder auf seine Weise mit dem Leben fertig wird.“

„Das süße Geschöpf! Selbst Sie würden Mitleid mit der Aermsten empfunden haben, wenn Sie diesen holden, bleichen Körper, diesen triefenden Rest einer entblätterten Blume gesehen, wenn Sie von der stummen Verzweiflung des Vaters gehört hätten.“

„Mitleid?“ fragte die Göchhausen in ihrer alten, unbekümmerten Weise, „wozu Mitleid? Sie bedarf dessen jetzt nicht mehr, und vorher, als sie litt, wußte Niemand davon und kümmerte sich auch Keiner darum. Der Vater aber hat sich von jeher so wenig um sein Kind bemüht, daß er sich nicht wundern darf, wenn es ihn jetzt nicht um Rath fragte.“

„Unverbesserliche! Aber gut so, um uns wieder einige Festigkeit zu geben, meinst Du nicht auch, Wolfgang?“

Thusnelda lachte. „Eure Durchlaucht werden sich trösten; ich aber berichte, was ich gehört, und schlüpfe dann in’s Eia Popeia mit dem frommen Wunsch, daß die vieledlen Herren nicht von Nixen träumen!“

Die Göchhausen grüßte, wandte sich zum Gehen, und Goethe begleitete sie bis in’s anstoßende Zimmer, während der Herzog mit verschränkten Armen am Rande des Altans lehnte und seinen ernsten Blick in die rosigen Wolkenumrandnngen der scheidenden Sonne tauchte. Indem Goethe zum Lebewohl der kleinen Hofdame die Hand drückte, flüsterte er ihr zu:

„Muth, Luise, bleiben Sie sich selbst treu, und so über Gräber vorwärts!“

Sie sah ihn groß, mit dem Aufblitzen aller ihrer Energie in, Auge an und flüsterte zurück: „Unbesorgt, Freund Wolf, bin schon in Uebung und werde nicht aus der Rolle fallen.“

Bewegten Gemüthes kehrte er zum Herzoge zurück.

[808] Tief bewegt von dem Einblick, den die äußerlich immer frohe Thusnelda ihm in ihr Gemüthsleben gewährt, und voll inniger Theilnahme für ihre aussichtslose Neigung saß Goethe nachdenklich dem Herzog gegenüber und schaute wortlos in die webenden Schatten der Dämmerung.

„Trotz alles Scherzes und Gespöttes Thusneldens,“ sagte Karl August nach langer Pause, „ist mir’s doch unmöglich, nach solchem ergreifenden Ereigniß gleich wieder zur glatten Tagesordnung zurückzukehren. Mein Herz sehnt sich, mehr denn je, nach etwas Ungekanntem, nie Besessenem! Es ist ein Drang in mir, der mich an Deine Freundesbrust treibt und sich vielleicht in einem ernsten Gespräch mit Dir Genüge verschafft.“

„Darf ich als treuer Freund diesem Drange Richtung und Namen geben?“

„Nun?“

„Es ist nichts Neues, was ich Ihnen nenne, mein theurer gnädiger Herr, nur ein lieber, lange gekannter Name: Luise!“

„Luise?“ sprach Karl August sinnend, „mir ist, als hätte ich sie lange nicht gesehen. Sie lebt nur für ihr Kind und zieht sich jetzt ganz aus der Welt und Gesellschaft zurück. Seit ein paar Monaten ist sie in Belvedere, ich war nur selten da und nie allein mit ihr.“

„Und ist die Kleine Ihnen noch immer nichts?“

„Was willst Du? Ein rosenrothes Fröschlein, wie kann das einen Mann interessiren?“

„Sie müssen dem lieben kleinen Menschengeschöpf Zeit lassen, zu werden.“

„Ja, wenn es ein Sohn wäre! Jemand, für den man arbeitet, sorgt, der die eigenen Ideen und Pläne weiter führt!“

[810] „Ich denke, Sie können auch an einer Tochter Freude erleben, sie zu einem edlen, trefflichen Wesen erziehen, und der Sohn und Erbe kommt hoffentlich später.“

Nach einer Pause sagte der Herzog, indem er mit großen Schritten den engen Raum des Altans durchmaß:

„Denkt wohl, das stete Tröpfeln höhlt den Stein? Nun, einen Stein fühle ich hier in meiner linken Seite just nicht. Und Du magst Recht haben, daß den schmerzlichen Drang, mich nach all dem Herzbewegenden anzuschließen, ein Weib am besten stillen könnte. Sind es doch Weiber, von denen der Schmerz ausgeht. Erst die Lügnerin, die wiedererstandene Milli, und nun dies arme Wasserjüngferlein! Das war ein wunderbarer Tag! Also, Luise heißt die Summe Deines Trostes? Nach ihr sehen kann ich ja morgen.“

„Thun Sie das; und gebe Ihnen Gott eine glückliche Stunde!“


34.

Seit der Geburt der kleinen Prinzessin war die Herzogin Luise weniger zurückhaltend; sie liebte es jetzt, mit anderen jungen Müttern über die Pflege und das Gedeihen kleiner Kinder zu reden, umgab sich nicht mehr so ängstlich abschließend mit ihren Hofdamen und hatte sich besonders in Freundschaft – so viel sie deren geben konnte und bedurfte – Frau von Stein angeschlossen. Sie correspondirte mit ihr, wenn sie nicht an demselben Orte waren, und sah sie oft bei sich.

Frau von Stein empfand von je her eine liebevolle Verehrung für die edle, sittenstrenge junge Fürstin und hatte es oft versucht, ihr näher zu treten. Sie ging daher jetzt mit Vergnügen auf die Artigkeiten Luisens ein und folgte am Morgen nach dem Todestage der armen Christel von Laßberg einer Aufforderung der Herzogin, sie zu besuchen.

Die beiden Damen saßen im Gesellschaftssalon an den offenen Flügelthüren, die auf Terrasse und Park hinausführten. Die Wiege der kleinen Prinzessin, welche jetzt sieben Monate alt war, stand zur Seite, und friedlich schlummerte das liebliche kleine Wesen in den weißen Kissen.

Frau von Stein erzählte ausführlich von den gestrigen Ereignissen, von denen nur unvollkommene Kenntniß in die Einsamkeit der hohen Frau gedrungen war.

Schwermüthigen Blicks lauschte diese dem Bericht der Vertrauten, die wohl wußte, daß Emilie von Werthern in der Herzogin ein ganz anderes und viel größeres Interesse wachrufen mußte, als die arme kleine Laßberg. So verweilte sie auch länger bei der Schilderung von Emiliens Rückkehr mit allen darauf bezüglichen Nebenumständen.

Die Herzogin hing ihren Gedanken nach und hörte endlich kaum noch auf das Geplauder der Freundin.

Also Milli, welche sie sich in dem nächsten Verhältniß zu ihrem Gatten gedacht hatte, ließ sich damals von einem andern Liebhaber entführen? Sie mußte diesem schon zu jener Zeit sehr nahe gestanden haben, da sie ihm freudig in die ungewisse Ferne folgte. Mit Beschämung fiel ihr die Stunde ein, in der sie voll eifersüchtigen Stolzes, in reizbarer Aufwallung jenen großen Riß zwischen sich und dem Herzog herbeiführte, der noch heute nicht ganz geschlossen war.

Wie oft hatte sie sich seitdem gesagt: die Möglichkeit einer rechten Liebe zu ihrem Gemahl sei mit Milli von Werthern im Erbbegräbniß zu Leitzkau eingesargt! Und nun war diese Milli erstanden, unter Umständen, die Karl August freisprachen! So hatte sie also, in ungerechtem Trotz und falschem Scheine folgend, drei Jahre lang ihr Herz dem verschlossen, der ein geheiligtes Recht auch auf ihre Liebe besaß! O, wie sollte sie diese Pflichtverletzung, dies traurige Mißverständniß wieder gut machen? Wie sollte sie ihren Gemahl von der für ihn aufwallenden warmen Empfindung überzeugen?

„Meine liebe Stein,“ sagte sie plötzlich, „hörten Sie vielleicht, wie der Herzog die Rückkehr der Werthern aufnahm?“

„Er schalt auf den Betrug, und mit Recht.“

„Ja, das ist’s! Wollte die Frau durchaus ihre Ehe lösen, so mußte sie es voll mutiger Offenheit und in loyaler Weise thun.“

„Die Scheidung soll jetzt, wie ich höre, eingeleitet werden, und Herr von Einsiedel bewirbt sich um eine Anstellung. Diesen Morgen lauteten auch leider die Nachrichten über den Zustand der trefflichen alten Frau von Werthern, die Milli jetzt pflegt, äußerst bedenklich.“

In diesem Augenblicke meldete der Lakai den Wagen der Frau Oberstallmeister.

Beide Damen erhoben sich. Luise war zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um die Freundin noch zurückhalten zu mögen; sie schlug jedoch vor, man solle den schöneren und längeren Weg über die Terrasse und durch den Park nach dem vorderen Hofplatz wählen, wo der Wagen am Portal hielt.

Wenige Minuten, nachdem die Damen durch die Terrassenthür den Salon verlassen hatten, trat der Herzog, aus dem vordern Schloß kommend, in das leere Gemach.

Er hatte, als er vom Pferde stieg, mit Befriedigung gehört, daß Frau von Stein bei seiner Gemahlin sei: noch immer empfand er eine unbestimmte Scheu vor dem Alleinsein mit Luisen. Jetzt, da er Niemand im Zimmer fand, athmete er erleichtert auf.

Er hatte sich Goethe’s neue Erinnerung vielfach überlegt; die Liebeleien, welche sein Herz anderweitig gefesselt hatten, waren sämmtlich in Nichts verflogen. Milli, Gretchen und alle die Frauen und Mädchen, die seine Phantasie beschäftigten, denen er vorübergehend huldigte, ließen ihm keinen tieferen Eindruck zurück. Der Freund traf doch vielleicht die Wahrheit, wenn er sagte, daß Luise die Reizendste von allen sei. Vielleicht gelang es ihm auch, noch ihre Kälte zu besiegen und mit ihr sich zu einem unbefangen traulichen Bunde zu vereinigen, wie er es so lebhaft begehrte. Der Versuch dazu mußte noch einmal gemacht werden, hierin hatte Goethe Recht.

Als der Herzog sich in dem leeren Salon umsah, traf sein Blick auf die Wiege, in der sein Kind schlief. Er fühlte sein Herz lebhafter schlagen in einer plötzlichen und natürlichen Regung für dies kleine Geschöpf, an dem er bislang so wenig Theil genommen hatte. War es doch sein und zugleich ein natürliches Band zwischen ihm und Luise! Er schämte sich, ein so gleichgültiger Vater gewesen zu sein, und freute sich, daß er hier ganz unbeachtet der sich lebhaft regenden Herzensempfindung folgen konnte.

Er schlug die Umhänge des Bettchens zurück und neigte sich über das Kind. Aber das war ja kein röthliches Fröschlein mehr! Weiß, rund und reizvoll in jeder Form lag ein kleines Engelsbild vor ihm. Jetzt schlug es ein Paar lachende blaue Augen auf, hob das Köpfchen aus dem Kissen und griff nach seinen Wangen. Er beugte sich tiefer und bedeckte das zarte Gesicht mit vorsichtigen Küssen.

„Du liebes, süßes Geschöpf,“ murmelte er, „und ich wußte kaum von Dir und kümmerte mich nicht um Dich!“

Als er sich jetzt wieder empor richtete, streckte die Kleine ihre Arme höher nach ihm aus. Er hatte nie ein kleines Kind berührt, nun aber, als das hülflose Wesen ihn anlachte und allerlei drollige Laute plapperte, umfaßte er es, hob es heraus, drückte den weichen kleinen Körper innig an sich und erwiderte das wortlose Geplauder des Kindes auf seine Weise.

„Du beklagst Dich, armes Carolinchen,“ sagte er zärtlich, „daß Du solch einen schlechten Vater hast, der sich gar nicht um Dich kümmert, und Du bist doch ein so hübsches Prinzeßchen, wie man sich nur wünschen kann. Ja, ja, armes Ding, das soll nun besser werden, wir sind jetzt gute Freunde, Du bist mein Schätzchen, mein Herzenskind, und sollst es bleiben!“

Wer weiß, wie lange der junge Vater, dieser ersten liebevollen Regung folgend, sich noch der Unterhaltung mit seinem Kinde hingegeben, wenn nicht eine weiche, zitternde Frauenstimme dicht hinter ihm „Karl!“ gerufen hätte.

Er sah sich um, Luise stand da und sah ihn freundlich an.

Sorgsam legte er die Kleine wieder in ihre Wiege, dann trat er tief bewegt auf seine Frau zu:

„Vergieb mir,“ sagte er, ihre Hand ergreifend, „daß ich Euch Beide vernachlässigte. Wie das möglich war, weiß ich in diesem Augenblicke wirklich nicht zu sagen.“

„O, ich wollte ja Dich um Vergebung bitten! Eben bin ich mir bewußt geworden, daß ich Dir mit meiner Eifersucht auf Milli bitteres Unrecht gethan, daß ich in allen den Jahren ohne rechten Grund verschlossen und kalt gegen Dich gewesen bin.“

„Luise, liebes Weib! So sollen wir uns endlich wirklich angehören?“ rief er, sie beglückt in seine Arme schließend.

Inniger als es je geschehen, zärtlicher als in der ersten Zeit ihrer Ehe fanden sich ihre Lippen, umfaßten sie sich gegenseitig.

[811] Dann saßen sie Hand in Hand an der Wiege ihres Kindes und fingen nun an, wie ein Brautpaar, welches sich nach vielen Hindernissen vereinigt, ihre Herzen zu erschließen.

„Mich kennst Du,“ sagte Karl August in seiner schlichten, offenen Weise, „ich habe es nie verstanden, mich zu verstecken, mich besser zu machen, als ich bin; ich habe oft gefühlt, daß Dir meine Art mich zu geben nicht gut genug sei, vermochte meine Natur aber nicht auf den Kopf zu stellen.“

„Vergieb, wenn ich Dich je dergleichen fühlen ließ! Suche mich zu entschuldigen. Ich fühlte immer, daß wir uns nicht verstanden. Ich konnte Dir nichts sein, nichts mit Dir theilen, und das bedrückte mich unsäglich! Jetzt weiß ich, daß es Besseres giebt, als höfische Form, als Glanz und Gepränge –“

„Und das wäre, Luise?“

„Ein häusliches Glück, Dein Beifall, Deine Liebe.“

„Also wirklich? Du könntest schlicht und herzlich sein?“

„Ich möchte es lernen. Lange fürchtete ich, daß meine abgeschlossene Existenz auf Dich nicht wirken könne; in tiefer Verzweiflung grübelte ich über mich selbst. Zerstreuende Arbeit ist ja ein den Prinzessinnen gänzlich versagtes Glück, so saß ich und sank immer mehr in unthätige Schwermuth. Da schenkte Gott mir das Kind, unsern kleinen Engel! Mit Carolinchen fange ich neu an zu leben und hoffe nun auch Dich zu gewinnen; das ist ein Segen über mein Verdienst!“

„Du hast mich oft durch kühle Strenge von Dir entfernt, Luise; vielleicht konntest Du nicht anders? Dann wieder empfand ich auch Respect, weil Deine Individualität von einer besonderen Consequenz und Ueberzeugungstreue getragen wurde. Versuchen wir’s nun, wie weit wir Jeder dem Andern auf seinem Wege aus Liebe entgegen kommen können!“

Als der Herzog am andern Tage dem Freunde die gute Nachricht von der endlichen, wahren Vereinigung mit seinem Weibe brachte, als er sich einen glücklichen Gatten und Vater nannte und sich in hoher Gemüthserregung an Goethe’s Brust warf, feierte der Getreue mit ihm ein Fest der innigsten Genugthuung.

„Mag Luise kein aus den Wolken herab gesenktes Ideal sein,“ rief Karl August begeistert, „als welches ich sie oft ansah – Gott sei Dank, daß sie es nicht ist! Aber eines der herrlichsten Geschöpfe, wie diese Erde sie selten hervorbringt, aus der wir Alle entsprossen, das ist sie!“

In der nächsten Zeit hielt der Herzog sich unausgesetzt bei den Seinen in Belvedere auf und feierte jetzt recht eigentlich seine Flitterwochen.

Dann aber, im Spätherbste, glaubte er, daß seiner rastlosen Natur das häusliche Behagen dauernd nicht gesund sei. Er wollte nicht, daß die neue, süße Kost ihn übersättige, und so schlug er Goethen eine Reise vor.

Dieser ging mit Freuden auf den Plan ein. Konnte er doch nach einer neuerlichen leidenschaftlichen Unterredung mit Frau von Stein in kein ruhiges Geleise mit ihr kommen. Immer wieder brach sein erregtes Gefühl durch und wurde stets auf’s Neue von ihr zurückgewiesen; das gab ein seltsam verstörtes Zusammensein.

„Lassen Sie uns einen abenteuerlichen Zug in die Schweiz machen, lieber gnädiger Herr,“ bat Goethe. „Das Anschauen der großartigen Natur, ein Aufenthalt in dem mit Gottvertrauen und Herzenseinfalt gesegneten Lavater’schen Familienkreise wird uns wohlthun und einen reinen Natursinn in uns stärken. Gewiß wird eine neue Epoche Ihres und meines Lebens von diesem nothwendigen Abschnitt anfangen!“

„Ja, Du hast Recht, mein Wolf, ein solcher Abschluß mit der Vergangenheit ist gut! Neugeboren werden wir heimkehren,“ sagte der Herzog zustimmend.

Mit ernstem Sinnen entgegnete Goethe: „Die Zeit, welche ich seit dem November 1775 hier im Treiben der Welt zubringe, getraue ich noch nicht abschließend zu übersehen. Gott helfe weiter und gebe Licht, daß wir uns nicht selbst zu viel im Wege stehen, lasse uns vom Morgen zum Abend das Gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge! Möge die Idee des Reinen immer lichter in uns werden!“


Es bleibt nicht viel hinzuzufügen, da die „Weimarschen Brausejahre“ mit der Schweizerreise, nach welcher der Herzog sowohl wie Goethe in ruhigere Bahnen lenkten, ihr Ende erreichten.

Das treue Freundesverhältniß zwischen Goethe und Karl August blieb ungetrübt bis an ihr Ende; auch die Herzogin Luise erkannte endlich in Goethe einen stets aufrichtig ergebenen Freund, dem sie später dankbar zugethan war. Die kleine am 3. Februar 1779 geborene Prinzessin starb 1784, im Jahre 1789 ward dem damals eng verbundenen Paare Ersatz zu Theil in einer andern Prinzessin, Caroline Luise – der Mutter der Herzogin Helene von Orleans –, welcher noch zwei Prinzen folgten.

Die Herzogin Amalie erhielt sich lange ihre lebensvolle Frische und blieb unzertrennlich von ihrer muntern Thusnelda.

Prinz Constantin, endgültig von seiner Jugendliebe getrennt, knüpfte auf seinen Reisen weit unpassendere Verbindungen an, die den Seinigen manche Verlegenheiten bereiteten, und starb jung.

Knebel vermählte sich später mit Luise Rudorf, der bescheidenen Sängerin, zog sich vom Hofe zurück und lebte glücklich mit ihr in ländlicher Stille.

Corona Schröter wagte es nie, sich zu vermählen; Einsiedel blieb ihr treuer Freund, doch zog sie später mit ihrer Wilhelmine nach Ilmenau. Von dem Grafen von Saint Germain hörte man die wunderbarsten Gerüchte; in Weimar ward er nie mehr gesehen.

Wedel heirathete bald nach der Schweizerreise die längst geliebte Henriette von Wöllwarth und wurde mit dem verständigen Mädchen äußerst glücklich.

Emilie von Werthern erlangte die Scheidung von ihrem Gemahl, beerbte ihre Schwiegermutter, die das alte Testament zu Emiliens Gunsten zufällig nie geändert hatte, und verband sich endlich legal mit Moritz von Einsiedel, der eine Wiederanstellung durchsetzte. Ihr gewesener Gemahl, der Rittmeister von Werthern, heirathete ein Fräulein von Ziegesar in zweiter Ehe.

Als die Altensteiner Höhle unweit Liebenstein und Barchfeld entdeckt wurde, wußte der Herzog Karl August, in welchen „Hörselberg“ Saint Germain ihn einst geführt hatte, und lachte jetzt herzlich über sein jugendliches Interesse an des Wundermannes Persönlichkeit. Stets rechnete er aber dies Abenteuer zu seinen ergötzlichsten Erinnerungen.



  1. Oger, ein dem Rübezahl vergleichbarer böser Dämon, der namentlich Gemüthskranke in seine Gewalt zu bekommen sucht.