Verschiedene: Die Gartenlaube (1884) | |
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Frau von Stein erhob sich, um mit einer Entschuldigung den Gast zu verlassen; er bat, sie begleiten, ein bischen mit hausvatern zu dürfen; mütterlich gütig willigte sie ein; lief doch auch Fritzchen durch Küche und Keller mit, warum sollte sie dem neuen jungen Freunde nicht willfahren? Es war Alles so zweifellos sicher, was sie und wie sie’s that! Wie gern fügte er sich dem Zauberbanne dieser Natur ein!
Jetzt ging es von den fächerreichen, geschnitzten Leinenschränken mit der hochgeschichteten Haushaltswäsche zum Speisezimmer mit seinen Silber-, Glas- und Porcellanvorräthen, von da zur Wirthschafterin in die Küche, und sogar mit einem Laternchen in den Weinkeller, wo sie ihm die Sorten wies, Werth und Verwendung erklärte, und von wo er ihr die Flaschen für den Mittagsbedarf herauf tragen durfte. Wie freute ihn die geordnete Fülle des lange bestehenden Hauses!
Dann schlug sie vor, ihm den Park zu zeigen. Sie hüllte sich in einen Shawl und führte ihn von dem quadernbelegten Hofe durch einen Gang über eine gedeckte Brücke, auf der sie den Schloßgraben überschritten. Ein freier Platz, jetzt weißbestäubt von Reif und Schnee, lag vor ihnen, zur Seite ein schöner Gartenpavillon mit breiter, vasenbesetzter Treppe, hinter dessen Säulen man Glasthüren schimmern sah; rechts lag eine Grotte mit mächtiger Epheuwand, deren dunkles Grün noch nicht ganz vom Schnee bedeckt war. Weiter hin ging es zu einem Karpfenteiche, auf dem eben Herr Kästner, der Hauslehrer, mit Karl und Ernst das Eis versuchte. Von hier aus zogen sich zahlreiche kleine Gräben durch die Anlagen, von weißen Brücken überwölbt; hügelig dehnte sich der Park, mit alten Bäumen bestanden, weit hinaus, sodaß es bald mehr ein Wald als Garten schien, in dem man lustwandelte.
Sie kehrten nun in’s Haus zurück, und bald darauf rief eine kräftig geschwungene Glocke die ganze Gesellschaft zur Tafel.
Nach Tisch fand der Herzog Gelegenheit, den Freund zur Seite zu nehmen und zu fragen: ob seine Erwartungen erfüllt wären.
„Uebertroffen, hundertmal übertroffen, mein lieber gnädiger Herr!“ rief dieser warm. „Ein solches Weib kann Einen aus allen Strudeln empor halten. O, ich möchte in dreifachem Feuer geläutert werden, um ihrer Liebe werth zu sein!“
„Nimm Dich in Acht!“ lachte Karl August, „die Liebe zu einer Frau ohne Schönheit soll die dauerhafteste sein! Uebrigens wird es Dir nach dem, was Du mir eben gestanden hast, nicht unerwünscht kommen, daß wir noch ein paar Tage bleiben; ich habe zu morgen mit Stein eine Jagdpartie verabredet; Wertherns wollen in der Frühe zurück, da er Dienst hat.“
Es war Goethen, als solle er dem Herzoge um den Hals fallen, solch ein Gnadengeschenk war ihm diese Hoffnung, solches Glücksgefühl gab ihm die Aussicht auf die nächsten Tage.
Glückseliges Drängen und Verlangen des glühenden jungen Dichterherzens, dem sich mit einer neuen Liebe eine neue Welt aufthat!
Es war Anfang Februar und das Treiben der Wintervergnügungen flott im Gange, als der Rittmeister von Werthern eines Abends, mit Emilie aus einer Gesellschaft vor seinem Hause ankommend, in ironischem Tone sagte:
„So, meine heißgeliebte Gemahlin, da wären wir!“ Er schloß die Hausthür auf, ließ sie eintreten und fuhr fort: „Eben elf Uhr; solch ein angebrochener Abend ist schändlich langweilig; ich gehe noch in den ‚Erbprinzen‘, mit Dero Permiß, meine Gnädige!“
Eine Entgegnung nicht abwartend, schloß er hinter seiner Frau das Haus zu, steckte den Schlüssel in die Tasche und stampfte pfeifend durch den Schnee dem erwähnten Wirthshause zu.
Emilie ging im Flure an einen Tisch, auf welchem ein kleines Oellämpchen brannte, um ihr daneben stehendes Licht an demselben zu entzünden und damit ihr Schlafzimmer aufzusuchen. Sie hatte sich in der Gesellschaft sehr gut amüsirt; vom Herzoge war sie wie immer ausgezeichnet, die anderen Männer folgten denn hohen Beispiele, sie war, das fühlte sie, die gefeiertste Dame ihres Kreises, und doch kam sie leer, verwirrt, tief innerlich unbefriedigt zurück. Jetzt wieder, als sie daran dachte, daß Werthern nichts für sie gehabt habe, als Ironie und Kälte, durchschauerte sie’s so schmerzlich, daß ihre Hand bebte, als sie den Docht ihres Lichts dem des Lämpchens näherte, und siehe da, der starre Docht des Lichts verlöschte die schwache Flamme der Lampe!
Das war damals, wo es keine Zündhölzer gab, eine große Unannehmlichkeit.
Ein leiser Angstruf entfuhr ihr, sie fürchtete sich im Dunkeln und dachte zugleich mit Schreck an das Gezänk ihres Mannes, wenn er, spät nach Hause kommend, das gewohnte brennende Lämpchen nicht an seinem Platze finden würde. Was beginnen? Ihr Mädchen schlief auf dem Boden, des Dieners Quartier lag am Pferdestall auf dem Hofe. Hier unten gab es nur ihren Miether, den Bergrath von Einsiedel, und allerdings, durch die Fugen seiner Stubenthür schimmerte noch Licht; sie wußte, daß der fleißige Forscher bis spät in die Nacht hinein arbeitete, aber um die Welt hätte sie nicht an sein Zimmer klopfen und ein Fünkchen Licht erbitten mögen.
Sie entschloß sich also im Dunkeln die Treppe hinauf zu tappen und den Zorn ihres Mannes über sich ergehen zu lassen, und so schritt sie in der Richtung vor, in welcher auf dem dunklen Flure ihrer Meinung nach die Treppe liegen mußte.
Die Richtung war aber verfehlt; sie stieß an den Korb mit Holz, der neben einem Kamin stand, und klappernd fiel der überhäufte Korb um. Bebend vor Schreck lehnte sie daneben an der Wand, als die Thür ihres Hausgenossen sich öffnete und der Bergrath von Einsiedel mit dem Lichte in der Hand heraustrat. Er sah sich mit seinem ruhigen Blicke suchend um.
„Ach, Sie sind es, Frau von Werthern,“ sagte er in artigem Tone. „Ihnen ist das Licht verlöscht; warum haben Sie mich nicht gerufen, ich bin ja so gern zu Ihren Diensten.“
Nach diesen Worten zündete er ihr Licht und auch das Lämpchen an. Sie war an den Tisch herangetreten, ihr Mantel lag neben dem Holzkorbe, ein Spitzentuch, das sie um den Kopf getragen hatte, war zurückgefallen, ihre Wangen brannten und ihre schönen Augen erhoben sich mit demüthig innigem Ausdrucke zu den seinen. Er sah sie mit bewegten Mienen an; sie las in seinen Blicken, daß er sie reizend finde. In Gesellschaften wurde sie weniger tief von diesem Tribut männlichen Wohlgefallens berührt, weil sie daran gewöhnt und dies die übliche Münze im Kleinhandel der Koketterie war. Hier aber, in nächtlicher Stille und Einsamkeit, diesem ernsten Gelehrten gegenüber, der ihr bisher scheinbar gar keine Beachtung gegönnt hatte, berührte sie dieser Ausdruck seiner Züge bis in’s tiefste Herz hinein. So standen sie ein paar Sekunden, ohne daß es Beide recht wußten, im stummen Anschauen neben einander.
Endlich sagte er mit unsicherer Stimme:
„Darf ich Ihnen eine gute Nacht wünschen?“ verneigte sich und ging.
Sie hauchte: „Ich danke Ihnen!“ nahm ihren Mantel über den Arm und stieg die Treppe hinan.
Er folgte ihr – die Thürklinke in der Hand – mit seinen Blicken.
Da – fast war sie oben angekommen – fiel ihr das Licht vom Leuchter, rollte ein paar Stufen hinunter und erlosch. Sie schrie laut auf, und er stürzte vor, es aufzuraffen und ihr noch einmal anzuzünden.
Der Treppe gegenüber lag ihre Zimmerthür; er öffnete sie, und Beide standen jetzt neben dem runden Tisch vor ihrem kleinen Kanapee. Er setzte ihr Licht auf den Tisch und sagte lächelnd:
„Jetzt sind Sie in Sicherheit. Sind Sie recht froh gewesen heute Abend? Ich glaube, man ist jetzt lustig in Weimar.“
„Ein tolles Treiben, von Einem zum Andern,“ entgegnete sie mit dem Tone der Abneigung, die sie in der That in diesem Augenblicke und diesem Manne gegenüber für die rauschende Geselligkeit empfand.
„Was haben Sie in der nächsten Zeit vor?“ fragte er weiter.
„Morgen, am Sonntage, Schlittenfahrt nach Tiefurt zum Kaffee, Abends wahrscheinlich noch Tanz. Montag am Morgen bei Steins Theaterprobe; Abends Gesellschaft bei Oberhofmarschall von Witzleben. Und am Dienstage ist ja die große Maskerade.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_427.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2022)