KI-Methoden beim Entwurf komplexer Gebäude
A. Voß, C.H. Coulon, F. Gebhardt, W. Gräther, E. Groß. J.W. Schaaf, B. Schmidt-Belz
GMD, FIT
D-53754 Sankt Augustin
angi.voss@gmd.de
http://nathan.gmd.de/projects/fabel/fabel.html
1.Motivation
In diesem Artikel wird gezeigt, welche Beiträge Methoden der Künstlichen Intelligenz,
insbesondere der Wissensverarbeitung, beim Entwurf komplexer Gebäude leisten können.
Dies wird nicht theoretisch geschehen, sondern exemplarisch anhand des FABEL-Projekts. In
FABEL untersuchten KI-Wissenschaftler, Software-Ingenieure, Psychologen und
Architekten, wie wissensbasierte und fallbasierte KI-Methoden beim Bauentwurf
1
unterstützend eingesetzt werden können [Voß et al 96]. Der Schwerpunkt dieses Beitrags
wird auf den Arbeiten in der GMD liegen, und zwar nicht auf den Details einzelner Methoden,
sondern auf zentralen Entwurfsentscheidungen und Fragen der Integration.
Frühere Experimente der Architekten in FABEL hatten gezeigt, daß eine
Wissensrepräsentation in Form von Objekten und Regeln bereits bei kleineren Aufgaben der
Installationsplanung ihre Grenzen erreicht. Deshalb sollten in FABEL wissensintensive
Methoden nur für Spezialaufgaben entwickelt werden, wie in Abschnitt 2 gezeigt wird.
Daneben sollten wissensärmere, fallbasierte Methoden angeboten werden, die frühere
Entwürfe direkt, ohne den Umweg über allzuviel Wissen, zur Lösung für ähnliche neue
Probleme wiederverwenden. Abschnitt 3 berichtet von unseren Erfahrungen.
Die Verwendung mehrerer KI-Methoden wirft verschiedene Integrationsprobleme auf der
Ebene der Wissensrepräsentation, der Datenrepräsenation, der Benutzungsoberfläche und der
Gesamtsteuerung auf. Sie sind Gegenstand von Abschnitt 4. Im letzten Abschnitt 5 werden die
Ergebnisse bewertet und Perspektiven aufgezeigt.
2. Wissensintensive KI-Methoden
Als Beispiel für eine wissensintensive KI-Methode sei AAAO vorgestellt. AAAO ist ein
Akronym für Anpassung durch aktive, autonome Objekte. Die Methode plaziert Stützen in
Plänen, die schon Räume oder Nutzungsbereiche enthalten. Dabei werden sowohl statische
als auch architekturspezifische und ästhetische Regeln beachtet, die für den Stahltragwerk-
1
Diese Arbeit ist im Rahmen des Verbundvorhabens FABEL entstanden, das vom Bundesminister für Bildung,
Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) unter dem Kennzeichen “01IW 104” gefördert wurde. Die
Projektpartner waren die GMD - Forschungszentrum Informationstechnik GmbH, Sankt Augustin, BSR
Consulting, München, die Technische Universität Dresden, HTWK Leipzig, die Universität Freiburg und die
Universität Karlsruhe.
Baukasten MIDI gelten. MIDI wurde von Fritz Haller speziell für Gebäude mit umfangreicher
technischer Infrastruktur entwickelt [Haller 74]. AAAO beginnt mit einer regelmäßigen
Verteilung der Stützen. Jede Stütze wird durch ein aktives autonomes Objekt repräsentiert.
Die Objekte können ihre direkten Nachbarn wahrnehmen, haben Constraints, um ihre Lage zu
beurteilen, und Aktionen, um sich zu bewegen, andere Objekte zu erzeugen oder sie zu
löschen. Sie arbeiten im Prinzip nebenläufig, ohne eine globale Steuerung.
Büroräume
125
110
110
225
Treppe
Sanit.
200
200
150
Büroräume
Büroräume
190
225
200
225
90
(a)
(b)
125
110
110
150
100
10
(c)
(d)
Abbildung 1: AAAO bei der Arbeit.
2
Abbildung 1 illustriert eine Bearbeitungssequenz. (a) zeigt den Grundriß (die Räume werden
durch diejenigen Rechtecke definiert, die die grauen Ellipsen umschließen2) und eine initiale
Verteilung der Stützen. (b) zeigt die erste Evaluation der Stellungen; die überflüssigen Stützen
außerhalb des Gebäudes (dunkle Bereiche) und im Treppenhaus sind bereits entfernt. Die
Werte gewichten Constraintverletzungen (in Kreisen für die aktuelle Position und in Kästchen
für Nachbarpositionen). (c) zeigt die Lage nach der ersten Aktion der Stützen. Eine Stütze
kann sich zu einer besseren Position bewegen, während vier benachbarte Stützen sich nur
durch Erzeugung einer neuen Stütze verbessern können. (d) zeigt die Endsituation, die als
Lösung akzeptabel ist.
Eine weitere in der GMD entwickelte wissensintensive KI-Methode namens ANOPLA ist
anwendbar auf Leitungsskizzen. Sie plant die genaue Anordnung der Leitungen mithilfe von
Constraints, die aus Schablonen abgeleitet werden. Die Schablonen entstammen dem
Installationsmodell armilla [Haller 85]. [FABEL-Report 35] enthält die Beschreibung aller
wissensintensiven KI-Methoden aus FABEL.
Generell beinhaltet die Modellierung von Entwurfsaufgaben Entwurfsobjekte, Restriktionen
zwischen ihnen, Anforderungen und Optimierungskriterien. Zur Bearbeitung gibt es
verschiedene KI-Methoden, wie etwa Konfigurierer, Constraint-Problemlöser oder eben
autonome Agenten. Will man, wie in FABEL, mehrere wissensintensive Methoden anbieten,
so kann sich ihr Wissen natürlich überlappen. Es stellt sich dann die Frage, ob man das
Wissen nicht für alle gemeinsam modellieren sollte. Wir haben uns aus drei Gründen dagegen
entschieden: Erstens müssen die partiellen Wissensmodelle nicht unbedingt konsistent sein,
vor allem die Heuristiken können sich durchaus unterscheiden. Zweitens verlangen
unterschiedliche KI-Methoden unterschiedliche Repräsentationen. Zum Beispiel können
Constraints als Regeln, als eigene Objekte oder lokal in Agenten dargestellt werden. Drittens
wird zu jedem Zeitpunkt immer nur eine Teilmenge von KI-Methoden aktiv sein, also auch
nur eine Teilmenge des Wissens im Arbeitsspeicher benötigt. In FABEL verwendet deshalb
jede KI-Methode ihre spezielle Wissensrepräsentation, obwohl das zu Redundanzen führt. Die
Methode ist auch verantwortlich für die Extraktion und Wartung dieses Wissens.
3. Wissensarme, fallbasierte KI-Methoden
Architekten lernen überwiegend an Beispielen. An der Hochschule werden sie mit Aufgaben
wachsenden Schwierigkeitsgrads konfrontiert. Später erinnern sie sich an Bauprojekte, an
denen sie früher beteiligt waren, oder lassen sich durch Beispiele aus Fachzeitschriften
inspirieren. Diese Informationssuche kann mit fallbasierten Methoden erleichtert werden. Sie
erschließen ein externes Gedächtnis in Form von elektronischen Archiven. Für einen
vorgelegten Entwurfsausschnitt suchen sie ähnliche Fälle. Passende Fälle können vom Planer
aufgegriffen und interaktiv oder automatisch eingepaßt werden.
3.1 Retrieval
Vor der Entwicklung eines Retrieval-Verfahrens ist zu klären, was zwei Entwürfe denn
ähnlich macht. Darauf gibt es bei Gebäudeentwürfen keine eindeutige Antwort. Ein Entwurf
kann zum Beispiel auf seine Stückliste reduziert werden, rein optisch als Bild (d.h. als
2
Diese ungewöhnliche Darstellung hat zwei Vorteile. Eine Ellipse sieht skizzenhafter aus als das umschließende
Rechteck, und während bei den Rechtecken Kanten oder Ecken aufeinanderfallen, kann man viele überlappende
Ellipsen immer noch voneinander unterscheiden.
3
Pixelmatrix) oder als Struktur betrachtet werden. Ein Entwurf kann auch als Ansammlung
von typischen Konstellationen, sogenannten Gestalten, aufgefaßt werden, die Indizien für
bestimmte Entwurfsprinzipien sind. Beispiele für Gestalten sind ringartige, kammartige,
fischgrätenartige Entwürfe [Voß 94].
Für die verschiedenen Interpretationen eines Entwurfs und seiner Ähnlichkeit zu anderen
Entwürfen eignen sich verschiedene KI-Methoden. Stücklisten und Gestalten lassen sich
durch Schlüsselwörter darstellen, die man sehr effizient in Assoziativspeichern vergleichen
kann. Alternativ eignen sich Attribut-Wert-Listen für Nearest-Neighbour-Verfahren.
Pixelmatrizen verschiedener Granularität kann man mit einem Entscheidungsbaum
bearbeiten, und für den exakten Vergleich von Strukturen braucht man NP-vollständige
Graph-Matching-Verfahren. Sie sind in [Fabelreport-13] und [Börner et al 96] beschrieben.
Die Fallretrieval-Verfahren aus FABEL ergänzen sich gut mit den wissensintensiven
Methoden, da erstere auf alle Arten von Entwurfsobjekten anwendbar und. Das wirft
allerdings ein neues Problem auf: Liefern die Retrievalverfahren für dieselbe Anfrage alle das
gleiche Ergebnis, und wenn nicht, welches ist richtiger - oder wenigstens besser? Tatsächlich
sind die Ergebnisse durchaus unterschiedlich, aber jedes könnte unter gewissen Umständen
nützlich sein. Entwerfen ist so ein komplexer Vorgang, daß in den frühen Phasen andere Fälle
als später heranzuziehen sind. Am Anfang sucht man nach Inspirationen, später nach
Alternativen, dann möchte man wissen, wie man weiter vorgehen kann und den Plan ergänzen
kann.
Jedes der erwähnten Ähnlichkeitskonzepte fokussiert also auf einen besonderen Aspekt eines
Entwurfs. Um mal das eine, mal das andere, mal eine Kombination von Aspekten zu
verwenden, wurde die Retrieval-Shell ASPECT entwickelt. Mit ASPECT können beliebige,
durch eine Repräsentationsfunktion und eine Distanzfunktion definierte Ähnlichkeitskonzepte
anfrageabhängig gewichtet und kombiniert werden. ASPECT eignet sich insbesondere für
zeitaufwendige Vergleiche. Das für ASPECT entwickelte Verfahren versucht nämlich, die
Anzahl der Vergleiche zu minimieren, indem bei jedem Vergleich mit einem Fall Schlüsse über
die noch möglichen Distanzen zu anderen Fällen gezogen werden. Dazu ist ein hoher
Speicheraufwand erforderlich, da die relativen Distanzen der Fälle untereinander in allen
Aspekten vorberechnet werden. ASPECT verwendet einen Anytime-Algorithmus: je länger er
rechnet, umso präziser ist das Ergbenis. Oder umgekehrt: Anfragen nach den n ähnlichsten
Fällen werden schneller berechnet als die nach den n+k ähnlichsten, ebenso muß länger
warten, wer die Fälle sortiert haben möchte oder die exakte Distanz zur Anfrage wissen
möchte [Schaaf 96].
In ASPECT wurden vor allem die aufwendigeren Ähnlichkeitskonzepte, wie Fälle als
Pixelmatrizen und Strukturen, integriert. Um NP-vollständiges Graphmatching zu vermeiden,
werden allerdings statt kompletter Graphen lediglich ihre Kantenmengen miteinander
verglichen. Neben ASPECT wird der Stücklistenlistenvergleich im Assoziativspeicher ASM
(M steht für memory) als besonders schnelles Verfahren separat angeboten. Da jedes
Ähnlichkeitskonzept seine eigene Fallrepräsentation erfordert und jedes komplette Verfahren
seine Fallbasis auf eigene Art organisiert, ist nunmehr zu klären, wie und wann diese
Repräsentationen erzeugt werden sollen. Der Planer, der die Fälle erzeugt und die Fallbasis
inspizieren möchte, wird natürlich nur mit einer Repräsentation konfrontiert werden. Sie sollte
sich mit der im CAD-System oder der dahinterliegenden Datenbank decken. Aus dieser UrRepräsentation könnte sich nun jedes Retrieval-Verfahren seine eigene Fallrepräsentation
bzw. Fallbasis erzeugen. Da es sich bei allen Verfahren im Prinzip um denselben
Mechanismus handelt, wird er als Service vom FABEL-System angeboten.
4
3.2 Wiederverwendung von Fällen durch Anpassung
Retrieval ist nur die eine Seite der Medaille. Wenn der gefundene Fall einen hinreichend
guten Entwurf enthält, möchte man Teile daraus gleich kopieren und eventuell unter
geeigneten Modifikationen in den aktuellen Entwurf einsetzen. Zur Unterstützung wäre eine
Einfügefunktion wünschenswert oder, methodisch gesprochen, eine Fallanpassungsfunktion.
Die einfachste Möglichkeit besteht in einer losen Kopplung von Retrieval- und
wissensintensiven Methoden. Zum Beispiel kann man mit einer Retrievalmethode wie ASM
Entwürfe mit Stützen suchen lassen, sie aus dem Fall in den aktuellen Plan übertragen und mit
AAAO anpassen lassen. Dazu muß man AAAO statt mit einer Standard-Gleichverteilung, wie
in Abbildung 1, mit der Verteilung aus dem Fall starten. Ähnlich kann man exakte
Rohrverlegungspläne suchen lassen, sie in den aktuellen Plan kopieren und mit ANOPLA
korrigieren lassen. Wie Abschnitt 4.2 zeigen wird, ist diese “lose Kopplung” in FABEL kein
Problem, da man die verschiedenen KI-Methoden nacheinander anwenden kann.
Die lose Kopplung ist darauf beschränkt, daß man wissensbasierte Werkzeuge zum Anpassen
hat. Um diese Beschränkung zu lockern, wurden in FABEL wissensarme
Anpassungsverfahren entwickelt. Sie basieren auf der Idee, daß die topologische Struktur
eines Entwurfs viele implizite Beschränkungen erfüllt. Indem man also die Struktur eines
ähnlichen Entwurfs möglichst übernimmt, hat man viele Beschränkungen schon implizit
erfüllt. Das Anpassungsverfahren TOPO ist auf Allgemeinheit ausgelegt worden. Es kann
Entwurfsausschnitte mit beliebig vielen Objekten (unter zehn bis zehntausende) bearbeiten.
Es erfordert als Wissen lediglich Erkennungs- und Konstruktionsfuntkionen für Relationen.
Erkennungsfunktionen für die Relationen zwischen Objekten dienen dazu, einen Entwurf in
einen Graph zu transformieren. Für die Graphen des zu bearbeitenden Entwurfs, kurz
Anfrage, und des anzupassenden Falls wird ein größter gemeinsamer Teilgraph mittels einer
größten Clique berechnet. Jeder Weg im Graphen des Falls, der von dem gemeinsamen
Teilgraphen ausgeht, kann in die Anfrage übertragen werden. Falls auf dem Weg bisher
fehlende Entwurfsobjekte liegen, werden diese mithilfe der Konstruktionsfunktionen in der
Anfrage erzeugt. Konstruktionsfunktionen gestatten es, die Geometrie des zu erzeugenden
Objekts so anpassen, daß es die Relation auch in der Anfrage gilt [Coulon 95].
Abbildung 2 zeigt ein Beispiel. Anfrage und ähnlicher Fall enthalten einen Abluftschacht und
ein Arrangement von Auslaßöffnungen. Im Fall sind sie bereits verbunden. Da es keine
eindeutige Zuordnung gibt, wird eine zufällig ausgewählt (Pfeile in Anfrage und ähnlichem
Fall). Die Wege aus dem Fall werden schrittweise übertragen, entsprechend der Numerierung.
Es ist nicht immer wünschenswert, alles zu übertragen, wie die Öffnungen A und I mit ihren
Verbindungen. Hier muß der Planer selektieren, das Ergebnis korrigieren, oder TOPO muß
mit bereichsspezifischen Heuristiken ausgestattet werden.
5
Abbildung 2 : Strukturübertragung mit TOPO.
3
In FABEL wurden für TOPO Erkennungsfunktionen für 13 dreidimensionale räumliche
Relationen definiert. Sie bestehen aus drei zweidimensionalen Projektionen, von denen es je
13 gibt. Dadurch, daß die 13 Relationen generisch sind (überlappt, berührt, enthält,...), reicht
diese Modellierung für alle in FABEL auftretenden Arten von Entwürfen. Mit anderen
Erkennungs- und Konstruktionsfunktionen ist TOPO aber auch auf andere Aufgaben, wie
etwa in der Stadtplanung, anwendbar. TOPO gewinnt seine Allgemeinheit durch zusätzliche
Benutzerinteraktionen. Wie im Beispiel erwähnt, ließen sie sich durch Hinzufügen von mehr
Wissen reduzieren. Dann aber würde das Einsatzgebiet von TOPO entsprechend
eingeschränkt.
4. Integration
Die Integration mehrerer Entwurfsmethoden in ein interaktives System wirft Probleme auf der
Ebene der Wissens- und Fallrepräsentation,
der atenrepräsentation,
D
der
Benutzungsoberfläche und der Ablaufsteuerung auf.
4.1 Wissens- und Fallrepräsentation
Die Frage nach einer gemeinsamen Wissensrepräsentation wurde in Abschnitt 2 für die
wissensintensiven Methoden aus mehreren Gründen negativ beantwortet.
Für die
wissensarmen Methoden wurde in Abschnitt 3.2 erläutert, daß es an der Schnittstelle zum
Planer einheitliche Fallbasen und Fallrepräsentationen geben muß, daß ihre Transformation in
methodenspezifische Fallbasen aber als Systemservice angeboten werden kann.
4.2 Objektkatalog und Datenrepräsentation
Die Frage nach einer für alle KI-Methoden gemeinsamen Datenrepräsentation ist in dem
Augenblick einfach beantwortbar, da die Entscheidung für ein Unterstützungssystem fällt. In
einem solchen System können die KI-Methoden nur als Werkzeuge angeboten werden, derer
6
sich der Planer nach Belieben bedienen mag. Die für alle KI-Methoden verbindliche
Datenrepräsentation ergibt sich, wie bei den Fällen, aus der des CAD-Systems
beziehungsweise der dahinterliegenden Datenbank. Alle KI-Methoden müssen Ausschnitte
des Gebäudemodells aus der Datenbank bearbeiten können und ihre Ergebnisse dort ablegen
können. Etwaige Transformationen sind Privatangelegenheit der jeweiligen Methode. Zum
Beispiel erzeugt AAAO als erstes für jede Stütze einen Agenten und berechnet aus den
Objektkoordinaten ihre Nachbarn.
Aus der gemeinsamen Datenrepräsentation ergibt sich eine hohe Anforderung an die Qualität
der Daten. Die Werkzeuge sind umso besser, je semantisch gehaltvoller die Daten sind. In
FABEL haben wir deshalb nicht auf einer Zeichnungsrepräsentation (Vektorgrafiken)
aufgesetzt, sondern auf einem Objektmodell. Ein Entwurf besteht demnach aus einer Menge
von (Tausenden von) Objekten. Der vom Karlsruher Partner aufgestellte Katalog umfaßt 250
Objekttypen, und zwar nicht nur konkrete, bestellbare, sondern auch abstrakte Objekte.
Solche Objekte werden in den frühen Entwurfsphasen benutzt, um die ungefähre Lage von
später hinzuzufügenden konkreten Bauteilen zu skizzieren, wie etwa die Ellipsen in Abbildung
1.
Die Objektdarstellung im Gebäudemodell enthält pro Objekt die Koordinaten, den Typ im
Katalog und zusätzliche semantische Attribute: die Abstraktion (Hüllquader, exakt, konkretes
Bauteil), das Gewerk oder Subsystem (Raum, Fassade,...), die Morphologie oder den Zweck
(Erschließung, Verbindung, Nutzung) und die Größenordnung oder Skala.
Die Anreicherung der Objekte durch semantische Attribute hat zwei entscheidende Vorteile:
Erstens beinhalten sie Wissen, das die KI-Methoden unmittelbar benutzen können, zweitens
stellen sie eine Abstraktion von den konkreten Objekten dar. Da alle in FABEL entwickelten
KI-Methoden nur auf den geometrischen und semantischen Attributen operieren, sind sie
unabhängig von dem verwendeten Objektkatalog. Die KI-Methoden können über beliebigen
anderen Katalogen arbeiten, solange die Objekte sich auf die genannten Attribute abbilden
lassen. Darüberhinaus lassen sich die KI-Methoden aus FABEL in gewissen Grenzen auf
andere semantische Attribute übertragen. Wichtig ist allerdings, daß es ein gemeinsames
Gebäudemodell gibt (oder auch verschiedene Varianten und Versionen), auf dem alle am
Planungsprozeß beteiligten Personen und Werkzeuge aufsetzen.
4.3 Das Planungsmodell
Die Einführung eines Objektkatalogs und der semantischen Attribute löst zum Teil das
Problem, wann im Planungsprozeß welche Werkzeuge einsetzbar sind. Denn jedes
wissensintensive Werkzeug kann bestimmte Arten von Entwurfsobjekten bearbeiten. Es ist
also anwendbar auf solche Ausschnitte des Gebäudemodells, die die vorausgesetzten Objekte
bereits enthalten, aber noch nicht die von dem Werkzeug gegebenenfalls zu erzeugenden
Objekte. Diese Definition ist zwar formal klar, aber nicht unbedingt anschaulich. Wie kann
man auf einen Blick sehen, ob sich ein Werkzeug für den betrachteten Ausschnitt eignet?
7
midi
room
armilla
p10-ro
p5-ro
p2-ro
p2-sa
p2-ra
p2-wa
p1-ro
p1-sa
p1-ra
p1-wa
rp-co
rp-ro
rp-sa
rp-ra
rp-wa
pp-co
pp-ro
other
p2-armilla
other
p1-armilla
other
rp-armilla
other
pp-sa
pp-ra
pp-armilla
dimension g
pp-fc
pp-wl
pp-fl
pp-cl
other
pp-sw
pp-armilla
dimension m
pp-rf
other
pp-cw
pp-hw
pp-armilla
dimension k
ap-x -> ep-x
ap-x -> ep-x
ep-co
ep-fc
ep-wl
ep-ro
ep-sa
ep-ra
ep-wa
other
ep-armilla
ep-fl
ep-cl
ep-rf
ep-hw
ep-cw
ep-sw
v1.1 - l.hov - 27.1.95
anopla
AAAO
Abbildung 3: Ausschnitt aus dem Planungsmodell mit dem Einsatzbereich der Werkzeuge
AAAO und ANOPLA.
In FABEL wurde ein sogenanntes Planungsmodell PM5 entwickelt, das den
Bauentwurfsprozeß in Teilaufgaben zerlegt. Über solche Modelle mögen die Fachleute
streiten und jeder ein anderes Modell favorisieren, entscheidend ist, daß die Teilaufgaben
bestimmte Typen von Entwurfsobjekten erzeugen und daß Abhängigkeiten zwischen
Teilaufgaben so definiert werden können, daß die neuen Objekte in Abhängigkeit von den
Objekten geplant werden können, die in den vorausgesetzten Teilaufgaben entstanden sind.
Diese Aufgabenzerlegung dient nicht etwa einer vollautomatischen Steuerung, sondern der
informellen Orientierung des Planers. Man kann sie als Karte darstellen und darin die Gebiete
einzeichnen, für die KI-Werkzeuge zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich vornehmlich
um wissensintensive Methoden, da die wissensärmeren, fallbasierten Methoden tendenziell
aufgabenübergreifend einsetzbar sind. Abbildung 3 zeigt einen vereinfachten Ausschnitt aus
8
dem Planungsmodell von FABEL und die den Werkzeugen AAAO und ANOPLA
zugeordneten Wirkungsbereiche [Schmidt-Belz, Hovestadt 96]. Die Präfixe p, pp und ep
stehen für Planungsstufen auf den drei Abstraktionsebenen, die Suffixe bezeichnen
verschiedene Subsysteme, wie co für Konstruktion, rf für Dach, cw für Kaltwasser.
4.3 Die Metapher der virtuellen Baustelle
Das Gebäudemodell ist in einer Datenbank abgelegt. Die Interaktion zwischen dem Planer
und den Werkzeugen verläuft so, daß der Planer in seinem CAD-System einen Ausschnitt aus
dem Gebäudemodell auswählt und bearbeitet. “Bearbeiten” heißt, daß er manuell Objekte
hinzufügt, löscht oder verändert oder daß er einen Teilausschnitt von einem Werkzeug
bearbeiten läßt. Während das KI-Werkzeug aktiv ist, kann der Planer weitere Teilausschnitte
bearbeiten oder von wiederum Werkzeugen bearbeiten lassen. Zum Beispiel könnte der
Planer zunächst einige Abluftöffnungen als Anfrage für ASM oder ASPECT selektierten, um
geeignete Fälle für das Anpassungswerkzeug TOPO zu finden. Während TOPO noch operiert,
kann der Planer den Vorgang an anderer Stelle wiederholen. Und während die später
gestarteten Instanzen von TOPO noch aktiv sind, könnten die früher gestarteten schon die
ungefähre Lage der Abluftleitungen eingetragen haben. Diese könnte der Planer mit dem
Werkzeug ANOPLA bearbeiten lassen, um präzise plazierte Leitungen einzufügen.
Unterdessen werden weitere Instanzen von TOPO fertig usw. Da dem Planer die
Gesamtsteuerung obliegt, muß er auch darauf achten, daß es nicht zu Kollisionen zwischen
den Werkzeugen und ihren Wirkungsbreichen kommt. Da aber die Werkzeuge ihre
Ergebnisse als Angebot präsentieren und ablegen, die der Planer annehmen, ignorieren oder
löschen kann, besteht keine Gefahr, daß der Entwurf unkontrolliert überschrieben wird.
Ein solches Vorgehen setzt voraus, daß der Planer die Übersicht über den Stand des Entwurfs
und die aktiven Werkzeuge behält. Um dies zu gewährleisten, hat sich FABEL der Metapher
der virtuellen Baustelle bedient. Heutige CAD-Systeme gestatten es, Sichten auf den
Gesamtentwurf zu legen, durch den Entwurf zu navigieren oder ihn sogar dreidimensional zu
“begehen”, ähnlich wie ein echtes Gebäude. Auf einer echten Baustelle sieht man aber nicht
nur das teilweise fertige Gebäude, sondern auch die Werkzeuge und die Arbeiter, und
bekommt so einen Überblick über den Prozeß. Ähnlich kann der Planer auf der virtuellen
Baustelle, so wie sie FABEL präsentiert, nicht nur die Entwurfsobjekte sehen, sondern auch
die dazwischen plazierten aktiven oder passiven Werkzeuge. Die Werkzeuge werden wie
Entwurfsobjekte plaziert und wie diese mit ihren Koordinaten in der Datenbank abgelegt.
4.4 Der FABEL-Prototyp
Im FABEL-Prototyp wurde die virtuelle Baustelle über ein Rechnernetz realisiert, in dem
mehrere Prozesse für die jeweiligen Werkzeuge ablaufen. Idealerweise sollte die virtuelle
Baustelle als Erweiterung eines kommerziellen CAAD-Systems implementiert sein. Die
Architekten in FABEL arbeiteten mit Minicad, das aber leider nicht offen ist und nur die
üblichen, eingeschränkten Navigationsmöglichkeiten bietet. Darum tauschen wir mit Minicad
lediglich Daten für
die professionelle Bearbeitung aus und benutzen zusätzliche
Forschungsprototypen des Karlsruher Partners, A5Broker als Server für das Gebäudemodell
und A5Draw als objektorientiertes Zeichenwerkzeug. Beide laufen unter dem Betriebsystem
NeXTStep. A5Draw unterstützt die Navigation durch die virtuelle Baustelle auf komfortable
Weise und ist offen für die Anbindung von Werkzeugprozessen im Hintergrund. Beides sind
notwendige Voraussetzungen zur Umsetzung der Metapher der virtuellen Baustelle.
Das FABEL-System läßt sich dynamisch konfigurieren. Die Minimalversion besteht aus
A5Draw und A5Broker. Beide können auf einem einzigen Rechner laufen und über das
9
TCP/IP-Protokoll kommunizieren. Natürlich können A5Draw und A5Broker auch auf
verschiedene Rechner verteilt werden und in mehreren Instanzen vertreten sein, damit die
Planer verteilt arbeiten können. Dieses Rahmensystem wurde durch die KI-Werkzeuge
ergänzt. Jedes KI-Werkzeug bietet in seinem Wirkungsbereich auf der virtuellen Baustelle ein
Panel mit seinen Hauptfunktionen an. Die Werkzeuge selbst sind meist in Lisp implementiert
und können unter Unix auf einem oder mehreren Rechnern verteilt ablaufen. Sie
kommunizieren mit den Panelen über TCP/IP. Der Prototyp läuft seit Dezember 1995
[Gebhardt et al 96].
5. Ausblick
Viele Fragen, mit denen wir uns bei der Entwicklung des FABEL-Prototypen konfrontiert
sahen und die in diesem Beitrag angesprochen wurden, sind in dieser Form noch nie gestellt
worden, da noch niemand eine ähnliche Vielfalt von KI-Methoden für den Entwurf
komplexer Gebäude in einem System integriert hat. Damit hat der Prototyp seinen Zweck
erfüllt. Er sollte nunmehr als Steinbruch dienen, um ausgewählte FABEL-Methoden in
hoffentlich bald verfügbare offene kommerzielle CAD-Systeme zu integrieren. Unter diesen
Methoden
findet
man
wissensintensive
Spezialprogramme,
inhaltsgesteuerte
Retrievalverfahren und kontextsensistive Verfahren zur Wiederverwendung von CADPlänen. Solche Methoden dürften auch interessant werden für den Zugriff auf und die
Wiederverwendung von elektronisch im Internet angebotenen Entwürfen.
Viele unserer Erkenntnisse dürften sich auf ähnliche Aufgabenstellungen verallgemeinern
lassen. Damit ist der Entwurf von komplexen Einmalprodukten gemeint, wie von Gebäuden,
Städten oder Schiffen. Insofern die Produkte länger existieren als das zu ihrer Konstruktion
herangezogene Wissen gültig ist und insofern die Entwürfe elektronisch archiviert sind, muß
bei der allfälligen Umplanung das in den Entwürfen vorhandene Know-how stärker reaktiviert
werden. Dazu eignen sich fallbasierte Methoden [Voß 96]. Einen guten Überblick bietet
[Gebhardt et al 97].
Zuguterletzt hat die Formalisierung der Baudomäne, die Einführung des Planungsmodells und
des Objektkatalogs für das gemeinsame Gebäudemodell zu einer neuen Qualität der
Datenrepräsentation geführt. Die in FABEL geplanten Gebäude sind absolut präzise. Sie
dienen mittlerweile als “Musterhäuser”. Durch manuelles Navigieren gemäß der
Aufgabenstruktur begibt sich der Planer zu den als nächstes zu beplanenden Stellen, und zwar
sowohl im aktuellen Entwurf wie auch im Musterentwurf. Dort kopiert er die entsprechenden
Objekte, fügt sie in den neuen Entwurf ein und modifiziert sie gegebenenfalls manuell. Auf
diese Weise lassen sich einfacher und schneller detailliertere Entwürfe erstellen, so daß das
hektisches Um- oder Zu-Ende-Planen auf der echten Baustelle mit den verbundenen Kosten
deutlich reduziert werden kann.
Literatur
[Börner et al 96] Börner, Katy, Pippig, Eberhard, Tammer, Elisabeth-Ch. and Coulon, CarlHelmut: Structural similarity and adaptation. In (Ian Smith and Boi Faltings eds), Advances in
Case-Based Reasoning , EWCBR-96, pp. 58-75, Springer, Berlin, 1996.
[Coulon et al 96] Coulon, Carl-Helmut, Gräther, Wolfgang, Schmidt-Belz, Barbara, Voß,
Angi, Gebhardt, Friedrich, Groß, Eckehard, Schaaf, Jörg: Virtual building site: supporting
10
building design by multiple methods in FABEL. In (John S. Gero and Fay Sudweeks eds.)
Artificial Intelligence in Design'96, pp. 465-483, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht,
1996.
[Coulon 95] Coulon, Carl-Helmut: Automatic Indexing, Retrieval and Reuse of Topologies in
Complex Designs. In (Peter Jan Pahl and Heinrich Werner eds.) Proceeding International
Conference on Computing in Civil and Building Engineering, pp. 749-754, Berlin, 1995.
Balkema Verlag, Rotterdam.
[Fabelreport-13] Voß, Angi: Similarity concepts and retrieval methods, Fabel-Report 13,
GMD, Sankt Augustin, Juni 1994.
[Fabelreport-35] Börner, Katy: Modules for design support, Fabel-Report 35, GMD, Sankt
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[Gebhardt et al 97] Gebhardt, Friedrich, Voß, Angi, Gräther, Wolfgang, Schmidt-Belz,
Barbara: Reasoning with complex cases. Kluwer, Boston, 249 pages, to appear.
[Haller 74] Haller, Fritz: MIDI - ein offenes system für mehrgeschossige bauten mit
integrierter medieninstallation, 1974, Münsingen, USM bausysteme haller.
[Haller 85] Haller, Fritz: ARMILLA - ein installationsmodell, 1985, Institut für industrielle
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[Schaaf 96] Schaaf, Jörg W.: Fish and Shrink: a next step towards efficient case retrieval in
large scaled case bases. In (Ian Smith and Boi Faltings eds), Advances in Case-Based
Reasoning , EWCBR-96, pp. 362-376, Springer, Berlin, 1996.
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[Voß 94] Voß, Angi : Retrieval of similar layouts in FABEL. In IKM, Abstracts, pp.163-168,
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[Voß et al 96] Voß, Angi, Bartsch-Spörl, Brigitte, Hovestadt, Ludger, Jantke Klaus P.,
Petersohn, Uwe , Strube, Gerhard: FABEL. In Künstliche Intelligenz 10(3):70-76, 1996.
[Voß 96] Voß, Angi: Principles of case reusing systems. In (Ian Smith and Boi Faltings eds),
Advances in Case-Based Reasoning , EWCBR-96, pp. 428-444, Springer, Berlin, 1996.
11