Quer durch die Landschaft
Archäologische Untersuchungen
auf der Trasse der EPS-Pipeline
in Baden-Württemberg
Die archäologische Begleitung der Baumaßnahmen entlang des großen
linearen Projekts der Ethylen-Pipeline Süd (EPS) konnte im Jahr 2011 abgeschlossen werden. Diese Fernleitung, in der Ethylen zwischen den Chemiestandorten in Ludwigshafen am Rhein und Burghausen in Bayern transportiert
werden soll, führt über eine Strecke von knapp 190 km quer durch das nördliche Baden-Württemberg. Seit 2007 wurden im Zuge der Baubegleitung
zahlreiche Fundstellen dokumentiert, darunter eine beträchtliche Anzahl an
Neuentdeckungen. Die archäologische Überwachung solcher linearer Großprojekte stellt auf der einen Seite einen enormen logistischen Aufwand und
eine denkmalpflegerische Herausforderung dar, andererseits bieten sich dank
eines „ungefilterten“ Querschnitts durch das Land ganz neue Möglichkeiten
zur Einschätzung und Beurteilung archäologischer Kulturlandschaften, die für
das zukünftige Handeln der archäologischen Denkmalpflege wichtige Basisdaten liefern können.
Jörg Bofinger/ Doris Schmid
Die EPS-Pipeline –
ein Schnitt durch die Landschaft
Die archäologische Begleitung von großen, über
viele Kilometer hinwegreichenden linearen Bauprojekten wie Schnellbahnstrecken, Fernstraßen
oder Pipelinetrassen erfordern bereits im Vorfeld
der eigentlichen Maßnahme intensive Planungen
und Vorbereitungen seitens der archäologischen
Denkmalpflege. Nach Erhebung der möglicherweise tangierten Fundstellen in einem Erfassungskorridor gilt es dann – im Rahmen der anstehenden Genehmigungsverfahren –, bekannte und besonders prominente Fundstellen zu benennen, die
von der zukünftigen Trassenführung möglichst
ausgespart und umgangen werden sollten.
Erst in einer zweiten Phase können diejenigen Abschnitte der Streckenführung herausgefiltert werden, die unweigerlich zerstört werden würden und
deshalb bauvorgreifend, das heißt mit entsprechend zeitlichem Vorsprung zu den Bauarbeiten,
archäologisch untersucht werden müssen.
Neben der Dokumentation dieser bekannten
Fundstellen hat eine durchgängige archäologische
Begleitung zu erfolgen, da – abhängig von der Dimension des Leitungsrohres – ein zwischen 8 und
25 m breiter Arbeitsstreifen entlang der gesamten
Strecke abgebaggert wird. Diese von Humus und
Oberboden befreite Trasse dient als Baustraße für
die schweren Maschinen und den Leitungsvorbau,
stellt aber auch die Grabungsgrenze für die archäologische Feldarbeit dar. Um das verdichtete
Erdreich zu rekultivieren, wird nach erfolgtem Bau
der gesamte Untergrund bis zu 80 cm tief aufge-
1 Die Trasse der EPSPipeline quert die Regierungsbezirke Karlsruhe
und Stuttgart zwischen
Rhein und Landesgrenze
zu Bayern auf einer Strecke von knapp 190 km.
Zwischen 2007 und 2011
wurde sie vollständig
archäologisch begleitet.
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2012
131
2 Verteilung der Fundstellen von der EPS-Trasse
auf die unterschiedlichen
Zeitepochen. Im Hintergrund ein Ausschnitt des
EPS-Fundmagazins.
3 Pleidelsheim. Ensemble
verschiedener keltischer
Spitzbarren aus Eisen,
die oberhalb des rechten
Neckarufers geborgen
wurden.
lockert. Es sind also alle archäologischen Relikte
unmittelbar von vollständiger Zerstörung bedroht.
Da in der Regel die Mehrzahl der Fundstellen erst
während der Baumaßnahme entdeckt werden,
muss also die gesamte Trasse archäologisch begleitet werden.
Im Falle der EPS-Pipeline bedeutete dies, dass
unterschiedliche Abschnitte von insgesamt knapp
10 km Länge im Vorfeld der Baumaßnahmen ausgegraben werden mussten, während der komplette übrige Streckenverlauf parallel zum und in
Abstimmung mit dem Bauablauf beobachtet beziehungsweise im Falle einer neu entdeckten
Fundstelle untersucht wurde (Abb. 1).
Gräber – Siedlungen – Versteckfunde
Nach Abschluss der flächigen Untersuchung und
Dokumentation der gesamten Trasse kann eine
erste Bilanz hinsichtlich Zahl, Art und Qualität der
erfassten Fundstellen gezogen werden. Obwohl
bei den Geländearbeiten die Ausgrabungsaktivitäten immer streng auf den vom Humus abgeschobenen Arbeitsstreifen beschränkt bleiben
müssen und daher auch bekannte oder neu entdeckte Fundstellen in den seltensten Fällen voll-
4 Lauchheim-Röttingen.
Freilegungsarbeiten im
Bereich der neu entdeckten römischen Straße.
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ständig erfasst werden, ist der denkmalpflegerische Einsatz notwendig und verhältnismäßig und
das wissenschaftliche Potenzial solcher Maßnahmen als außerordentlich hoch einzuschätzen. Dies
gilt vor allem insofern, als mit den erfassten Fundstellen eine Datenbasis geschaffen wird, die es erlaubt, das archäologische Erbe und dessen Erhaltungs- und Überlieferungsbedingungen innerhalb
unterschiedlicher Landschaftsabschnitte besser
beurteilen zu können. Auf diesen repräsentativen
Querschnitt aufbauend können zukünftige denkmalpflegerische Strategien und Schutzmaßnahmen besser an die jeweilige Region angepasst und
umgesetzt werden, da eine bessere Kenntnis der
archäologischen Substanz im Boden auch gezieltere Schutzmaßnahmen der nun neu bekannt gewordenen Fundstellen zulässt (Abb. 2).
Auf den knapp 190 km der EPS-Trasse, die durch
Baden-Württemberg führen, wurden während der
Baumaßnahme über 100 neue Fundstellen entdeckt. Bei ihnen handelt es sich um Relikte aus
nahezu allen vor- und frühgeschichtlichen Epochen. Angefangen von Siedlungsstrukturen der
Linearbandkeramik, das heißt der frühesten bäuerlichen Kultur im Land aus dem 6. vorchristlichen
Jahrtausend, über bronzezeitliche, keltische und
römische Fundstellen bis hin zu frühmittelalterlichen Gräbern und Siedlungsnachweisen des 6.
und 7. Jahrhunderts n. Chr. und einer hochmittelalterlichen Wüstung, deren Fundmaterial ins 13./
14. Jahrhundert datiert, verändern sie regional das
bisher bekannte prähistorische Siedlungsmuster
erheblich. Auch in vermeintlich gut erforschten
Landschaften wie dem Nördlinger Ries zeigte sich,
dass dank der flächenhaften Baubeobachtung ein
repräsentatives Bild vor- und frühgeschichtlicher
Relikte Gestalt annimmt. Dies gilt vor allem für
Epochen, die bisher eher schwach vertreten waren.
Unter den dokumentierten Fundstellen sind die
Siedlungsplätze natürlich an erster Stelle vertreten.
In der Regel handelt es sich in den erfassten Ausschnitten um die Hinterlassenschaften kleinerer
ländlicher Ansiedlungen, aber auch in Stein ausgeführte römische Gebäude sind darunter, ebenso
wie eine befestigte frühkeltische Hofanlage im
Nördlinger Ries. Bei den Grabfunden sind ausgesprochene Raritäten zu verzeichnen, etwa die
kleine Gräbergruppe der jungneolithischen Schussenrieder Kultur aus dem späten 5. Jahrtausend
bei Ingersheim (Kreis Ludwigsburg). Sie stellt eine
Befundkategorie dar, die in Südwestdeutschland
sonst weitgehend unbekannt ist. Erwähnenswert
ist auch eine neu entdeckte frühkeltische Hügelgräbernekropole am Rande des Nördlinger Rieses
sowie ein alamannischer Friedhof bei Horrheim
(Kreis Ludwigsburg), der trotz massiver antiker
Plünderungen noch eine kleine archäologische
Sensation barg.
Nördlich von Pleidelsheim auf einem Höhenrücken
über dem Neckar entdeckte das Grabungsteam einen Hort aus mehreren doppelpyramidenförmigen, ca. 4,5 bis 5 kg schweren Spitzbarren aus Eisen (Abb. 3). Dieser Fund zeigt, dass gerade kleine
und punktuelle archäologische Strukturen im Arbeitsstreifen einer Pipelinetrasse vergleichsweise
gute Auffindungschancen haben. Der Komplex
entspricht anderen eisenzeitlichen Eisenbarrenhorten in Mitteleuropa, die meist isoliert außerhalb
von Siedlungen liegen. Zwischen Baldern und Röttingen im Ostalbkreis wurden mit einem etwa 6 bis
7 m breiten steinernen Straßenkörper die Reste einer bisher unbekannten römischen Straße aufgedeckt (Abb. 4). Diese Verkehrsverbindung dürfte
als Nebenstraße (via vicinalis) die umliegenden
Dörfer und Gutshöfe an die örtliche Hauptroute,
die Alblimesstraße, angebunden haben. Sie liefert
einen weiteren Mosaikstein im Bild der römischen
Landschaftserschließung im Hinterland des römischen Opie (Oberdorf) am Ipf bei Bopfingen.
Im Folgenden kann lediglich eine kleine Auswahl
an Neuentdeckungen vorgestellt werden, die ohne
eine flächenhafte und lückenlose archäologische
Begleitung der gesamten Baumaßnahme sicherlich unentdeckt geblieben wären.
Eine Nekropole im Rheintal
mit Überraschungseffekt
Unweit der Rheinquerung der EPS bei KarlsruheNeureut sollte die geplante Trassenführung ein aus
Luftbildern bekanntes Grabhügelfeld tangieren
(Abb. 5), sodass dieser Abschnitt im Herbst 2007
bauvorgreifend untersucht wurde. Dass auch solche vermeintlich bekannten Fundstellen im Laufe
der Ausgrabung manche Überraschung bereithalten können, zeigte sich hier sehr eindrücklich.
So wurden neben erwarteten früheisenzeitlichen
Grablegen des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr., die
sich bereits im Luftbild abzeichneten, auch zwei
römische Brandgräber freigelegt. Sie waren von einem Grabengeviert, einem so genannten Grabgarten, eingefasst und im Vorfeld der Untersuchungen noch völlig unbekannt gewesen. Im
Luftbild erkennbar waren mehrere Kreisgräben
ehemaliger Grabhügel, darunter ein kleiner mit
rund 7,5 m Durchmesser. In der Grabungsfläche
zeigte sich dieser von einem locker gesetzten
Kranz aus einzeln stehenden Holzpfosten umgeben. Innerhalb des mutmaßlichen Grabhügels
wurde keine Bestattung angetroffen; ein – vermutlich moderner – Eingriff scheint hier das Zentrum des Befundes bereits vollständig zerstört zu
haben. Im Randbereich und im näheren Umfeld
fanden sich indes mehrere früheisenzeitliche Körpergräber. Vor allem die Frauengräber gaben sich
jeweils durch ein reichhaltiges Beigabenensemble,
in erster Linie Bronzeschmuck in Form von Hals-,
Arm- und Fußringen und Fibeln, zu erkennen und
erlaubten es, die Grablegen in die Späthallstattund Frühlatènezeit zu datieren (Abb. 6). Wie die
römischen Gräber, deren Reste unmittelbar nach
Abtrag des Humushorizontes zum Vorschein kamen, war auch die Substanz der erfassten eisenzeitlichen Gräber nachhaltig gefährdet. Die Skeletterhaltung war allgemein sehr schlecht und
Pflugspuren, die als dunkle Streifen die Grablegen
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2012
5 Entzerrtes Luftbild und
Ausgrabungsbefunde auf
der EPS-Trasse im Bereich
des Grabhügelfeldes bei
Karlsruhe-Neureut.
133
6 Bronzeschmuck aus
späthallstatt-/ frühlatènezeitlichen Frauenbestattungen bei KarlsruheNeureut.
durchzogen, waren auch für die Verlagerung zahlreicher Beigaben verantwortlich, die teilweise bis
zu 2 m vom ursprünglichen Deponierungsort angetroffen wurden.
Trotz der partiellen Zerstörung des Gräberfeldes
durch die Baumaßnahme konnten hier aus denkmalpflegerischer Sicht dennoch auch erfreuliche
Erfolge verbucht werden. Bei einem Ortstermin mit
kommunalen Entscheidungsträgern sprangen die
aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung bereits stark zerstörten freigelegten Grablegen derart ins Auge, dass spontan entschieden
wurde, den noch im Ackerland befindlichen Teil
des Grabhügelfeldes aus der intensiven Nutzung
zu nehmen und in Grünland umzuwandeln.
7 Grabbeigaben aus den
jungneolithischen Grablagen bei Großingersheim
im Kreis Ludwigsburg.
Die Keramikgefäße zeigen das typische Ritzdekor der Schussenrieder
Gruppe, die Perlen sind
aus Gagat, einer Art fossiler Holzkohle, gefertigt.
134
Archäologische Raritäten
an Enz und Neckar
Nahe einer Luftbildfundstelle, die nördlich von
Großingersheim (Kreis Ludwigsburg) Grabhügel
vermuten ließ, konnten die allerletzten Reste einer
kleinen Gräbergruppe dokumentiert werden. Aufgrund der angetroffenen Beigaben aus drei Gräbern, insbesondere der verzierten Gefäße, ist es
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2012
möglich, diese der frühjungneolithischen Schussenrieder Gruppe zuzuweisen und damit ins ausgehende 5. vorchristliche Jahrtausend zu datieren.
Schon Siedlungsstellen dieser Zeitstufe sind im Bereich der mineralischen Böden Südwestdeutschlands recht selten. Die zugehörigen Gräber sind
bislang weitgehend unbekannt. Somit stellen die
Neufunde auf der EPS-Trasse eine ausgesprochene
Seltenheit dar und liefern – trotz ihres schlechten
Erhaltungszustands – ein aufschlussreiches Mosaiksteinchen im Besiedlungsbild der Jungsteinzeit
Südwestdeutschlands. Die Toten scheinen, soweit
noch feststellbar, in einer leicht angehockten Seitenlage beigesetzt worden zu sein. Neben den
erwähnten Tongefäßen mit dem typischen Ritzdekor sind noch einige Gagatperlen als Beigaben
zu erwähnen, die im Kopfbereich einer Bestattung
geborgen wurden (Abb. 7).
Nur wenige Kilometer westlich, nahe BietigheimBissingen, quert die EPS-Trasse die B 27 im Enztal.
An dieser topografisch auffälligen Stelle – das
Brachbergtal mündet hier in das Tal der Enz – wurden bereits zu Beginn der 1960er Jahre bei Bauarbeiten zwei römische Mauern angeschnitten, sodass diese Fundstelle bauvorgreifend untersucht
wurde. Im Verlauf der Ausgrabungen des Jahres
2010 zeigte sich, dass hier in römischer Zeit offenbar ein größeres Gebäude mit den Ausmaßen von
9 m × 14 m errichtet worden war. Beim Freilegen
eines 2 m × 2 m großen Kellerraums im Südosten
der Anlage stieß das Grabungsteam auf das Skelett eines Menschen, in leicht verkippter Lage zwischen den Steinen des Mauerversturzes der Kellerwände. Offenbar war ein Mann von mindestens
60 Jahren (anthropologische Bestimmung Joachim
Wahl) beim Einsturz des Gebäudes unter dem
Mauerwerk des Kellers begraben worden (Abb. 8).
Dass selbst Fundstellen, die auf den ersten Blick unspektakulär und „alltäglich“ erscheinen, spätes-
8 Steinversturz in einem
römischen Keller, der
nahe Bietigheim aufgedeckt und in dem das
Skelette eines in antiker
Zeit verschütteten Mannes gefunden wurde.
tens bei der Sichtung des Fundmaterials archäologische Raritäten offenbaren können, zeigt das
bei Horrheim (Vaihingen/ Enz, Kreis Ludwigsburg)
neu entdeckte frühmittelalterliche Gräberfeld.
Innerhalb des Arbeitsstreifens, teilweise im Pipelinegraben selbst, konnten 16 Gräber dokumentiert werden, die zwar aufgrund ihrer Dimensionen deutlich über den Durchschnitt merowingerzeitlicher Grablegen hinausreichen, aber alle – mit
drei Ausnahmen – bereits in antiker Zeit vollständig geplündert und regelrecht leer geräumt worden waren. In einer besonders großen Grabgrube
fielen bereits während der Ausgrabung zahllose,
nur wenige Zentimeter große Eisenfragmente auf.
Erst im Zuge der detaillierten Fundaufnahme nach
Abschluss der Geländearbeiten konnte dank Analyse der Röntgenbilder die Funktion dieser kleinen,
leicht geschwungenen Eisenplättchen mit Sicherheit bestimmt werden. Doppelte Durchlochungen
an den Enden und teilweise festkorrodierte Lagen
übereinander belegen, dass die Stücke einstmals
miteinander verbunden waren und es sich dabei um
die Reste eines Lamellenpanzers handelt (Abb. 9).
Solche mit eisernen Lamellen gepanzerten Harnische, wie sie am besten aus dem Adelsgrab von
Niederstotzingen (Kreis Heidenheim) überliefert
sind, kommen nur in außergewöhnlich reich ausgestatteten Gräbern vor und lassen Beziehungen
zum langobardischen Norditalien erkennen.
noch in den 1980er Jahren auf den Lössflächen
nördlich von Ludwigsburg durch die Luftbildarchäologie ausgedehnte Befundareale dokumentiert, die Grabhügel und Siedlungsstrukturen erkennen ließen. Bei mehreren Aufschlüssen durch
solche Bereiche zeigte sich, dass keinerlei Hinweise
auf archäologische Relikte mehr im Boden erhalten waren. Auch die Fundsituation der eingangs
kurz vorgestellten keltischen Eisenbarrenhorte bei
Pleidelsheim offenbarte, dass hier offensichtlich
nur noch die allerletzten Reste der Deponierungen
auf eine einstmals bedeutende Fundstelle weisen.
Einige Barren wurden schon im mehrfach umgelagerten Pflughorizont in nicht mehr originaler
Deponierungssituation angetroffen. Ein weiteres
in der Nähe gelegenes Barrendepot befand sich
ebenfalls bei einer kleinen Nachgrabung in denkbar schlechter Erhaltung: Lediglich noch zwei in
situ liegende Eisenbarren repräsentierten als spärlicher Überrest den einstigen Bestand.
9 Hochpräziser 3D-Scan
eines Fragmentes des
Lamellenpanzers aus
Horrheim. An einem Ende
ist noch ein Stück des
Lederriemens erhalten,
mit dem die einzelnen
Eisenlamellen verbunden
wurden.
Flächige Fundstellenzerstörung und
leere Landschaften
An einigen Stellen zeigten die geöffneten Flächen
entlang des zukünftigen Pipelineverlaufs, mit welch
beträchtlichem Erosionsabtrag und damit mit
welch drastischer und flächiger Zerstörung von
Fundstellen in intensiv genutzten Landstrichen gerechnet werden muss. So wurden beispielsweise
Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2012
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10 Luftbild der EPSTrasse im Nördlinger Ries,
wo eine große Anzahl
neuer Fundstellen aus
unterschiedlichsten
Epochen entdeckt und
ausgegraben wurde.
11 Im Arbeitsstreifen
angeschnittener Hausgrundriss der frühen
Jungsteinzeit. Die typischen Pfostenspuren
lassen auf mehrere Langhäuser einer Siedlung
schließen.
In anderen Abschnitten des Trassenverlaufs hingegen bestätigte sich das erwartete Verbreitungsbild: So war die Fundstellendichte in den stark
reliefierten Landschaften an Rems und Kocher
deutlich geringer als etwa im fruchtbaren, offenen
Altsiedelland. Auch die Qualität der aufgedeckten
Siedlungsstrukturen ist kaum mit den Befunden im
Neckarland oder im Nördlinger Ries zu vergleichen.
So wurden bei Alfdorf im Rems-Murr-Kreis beispielsweise einige kleine Siedlungsstellen der frühkeltischen Zeit (6./ 5. Jahrhundert v. Chr.) angetroffen; diese gaben sich alle nur durch wenige,
schlecht erhaltene Befunde mit spärlichem Fundmaterial zu erkennen und scheinen offenbar auf
kleine, weilerartige ländliche Ansiedlungen zurückzugehen.
Eine alte Kulturlandschaft
im Nördlinger Ries
Völlig gegensätzlich stellt sich die Situation im
Nördlinger Ries dar, wo zwischen Kirchheim am
Ries und der Landesgrenze zu Bayern ein etwa
2,5 km langer Abschnitt bauvorgreifend untersucht wurde. Selbst in dieser als gut erforscht geltenden Landschaft offenbarten sich Überraschun-
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Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2012
gen aus allen Epochen (Abb. 10). Allein auf diesem
relativ kurzen Teilstück wurden zwischen Mai und
Oktober 2008 über 19 Fundstellen aus nahezu
allen vor- und frühgeschichtlichen Epochen entdeckt und vermehren so den Kenntnisstand zur
Besiedlungsgeschichte in dieser von den prominenten Fundstellen auf Goldberg und Ipf dominierten Altsiedellandschaft beträchtlich.
In einer bislang unbekannten Siedlung der Linearbandkeramik (2. Hälfte 6. Jahrtausend v. Chr.)
wurden ca. 600 m östlich der Kreisstraße Goldburghausen– Benzenzimmern drei dicht nebeneinander liegende Hausgrundrisse angeschnitten
(Abb. 11). Obwohl die Untersuchungen auch an
dieser Stelle aufgrund der Beschränkung auf den
Arbeitsstreifen ausschnitthaft bleiben mussten,
lassen die typischen Grundrissstrukturen die charakteristischen Langhäuser der frühesten bäuerlichen Kultur in Mitteleuropa erkennen.
Von besonderer Bedeutung sind neben einigen
bronzezeitlichen Siedlungsstellen auch zwei Fundpunkte der frühen Eisenzeit: Zum einen wurde ein
bisher unbekanntes Gräberfeld der späten Hallstattzeit nahe Kirchheim am Ries aufgedeckt.
Außerdem vervollständigt ein neu entdeckter Viereckhof – eine der spezifischen Siedlungsformen in
dieser Gegend – das Bild der späthallstatt-/ frühlatènezeitlichen Besiedlung im Nördlinger Ries.
Die Befunde im Grabhügelfeld in der Flur „Johanneswiesen“ waren bei der Aufdeckung zu großen
Teilen bereits durch intensive landwirtschaftliche
Nutzung des Ackergeländes stark gestört, wie es
sich besonders eindrücklich an der Erhaltung der
Steinkränze aus großen Kalkbruchsteinen, ehemaliger Umfassungen heute im Gelände nicht
mehr sichtbarer Grabhügel, abzeichnet (Abb. 12).
Insgesamt wurden drei Hügel mit einem Durchmesser von jeweils 19 bis 22 m im untersuchten
Ausschnitt teilerfasst. Bemerkenswertester Befund
war eine Mehrfachbestattung innerhalb des kleinsten Kreisgrabens. Zwischen zwei Skeletten einer
Doppelbestattung mit eisernen Lanzenspitzen, Fibeln, Hiebmesser, Ohr- und Armringen und zahlreichen Gefäßen eines Geschirrsatzes war zusätzlich eine Urnenbestattung deponiert worden
(Abb. 13).
Unter den römischen Fundstellen sind vor allem die
dokumentierten Reste bereits bekannter Villenplätze zu erwähnen. Der vollständig aufgedeckte
Grundriss eines kleinen Gebäudes von 6,5 m Länge
und 3,5 m Breite aus dem frühen Mittelalter wirft
ein Schlaglicht auch auf diese Epoche, die am
westlichen Riesrand sonst ausschließlich durch
Grabfunde belegt ist. Jüngere archäologische Spuren fehlen im erfassten Trassenabschnitt und erst
mit den Resten frühneuzeitlichen Wegebaus wurden wieder landschaftsverändernde Maßnahmen
im Befund festgestellt.
Fazit
Sicherlich bedeutet aus denkmalpflegerischer Sicht
eine entsprechend groß dimensionierte Maßnahme wie der Bau einer Pipeline einen beträchtlichen Eingriff in die archäologische Denkmalsubstanz. Da solche Bauvorhaben jedoch grundsätzlich nicht zu vermeiden sind, bedeutet die im
Vorfeld sachgerechte Untersuchung und Dokumentation der bedrohten Fundstellen ein milderes
Mittel im Vergleich zur Versagung und ist somit
Voraussetzung im Genehmigungsverfahren.
Sowohl die kleinräumige Zusammenschau neu
entdeckter Fundstellen im Nördlinger Ries wie
auch die Gesamtbetrachtung aller entlang der
Pipelinetrasse in Baden-Württemberg untersuchten Fundplätze können aus unterschiedlichen
Perspektiven eine neue Datenbasis für die Einschätzung des archäologischen Erbes in den
durchschnittenen Landschaften liefern.
Am Beispiel der Untersuchungen auf der Trasse der
EPS-Pipeline wurde gezeigt, welches Potenzial die
archäologische Begleitung solch linearer Projekte
birgt. Mit den derzeit laufenden Maßnahmen auf
der ICE-Trasse Stuttgart– Ulm und weiteren zukünftigen linearen Großprojekten wird die Erschließung und Erfassung vor- und frühgeschichtlicher Siedlungslandschaften weiter verdichtet
werden und mit dem wachsenden Erkenntnis-
gewinn auch denkmalpflegerisches Agieren angepasst werden können.
Literatur
J. Bofinger: Lineare Projekte in Baden-Württemberg.
Erste Erfahrungen und Ergebnisse, in: J. Bofinger/
D. Krausse (Hrsg.): Large scale excavations in Europe:
Fieldwork strategies and scientific outcome. EAC Occasional Paper 6, Brüssel 2012, S. 157– 172.
J. Bofinger/ U. Heuer/ D. Schmid: Zwischen Bietigheim
und Stromberg – Ein Streifzug durch die Zeiten entlang der EPS-Pipeline, in: Archäologische Ausgrabungen Baden-Württemberg 2010, S. 33–36.
J. Bofinger/ D. Schmid: Links und rechts des Neckars
– außergewöhnliche Funde und Befunde auf der
Trasse der EPS bei Pleidelsheim, Kreis Ludwigsburg, in:
Archäologische Ausgrabungen Baden-Württemberg
2009, S. 45–49.
J. Bofinger/ T. Scholz: Erste archäologische Ausgrabungen auf der Trasse der EPS-Pipeline in BadenWürttemberg, Gemeinde Karlsruhe-Neureut, Kreis
Karlsruhe, in: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2007, S. 60–64.
12 Im Planum ist die nur
noch fragmentarische
Erhaltung der Steineinfassung der früheisenzeitlichen Grabhügel einer
neuentdeckten Nekropole nahe Kirchheim am
Ries besonders deutlich
zu erkennen.
Dr. Jörg Bofinger
Dr. Doris Schmid
Regierungspräsidium Stuttgart
Landesamt für Denkmalpflege
13 Kirchheim am Ries.
Birituelle Mehrfachbestattung. Zwischen den beiden Skeletten befindet
sich auf Höhe der Unterarme eine mit Leichenbrand gefüllte Urne.
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