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2024: Wie politische Feindbilder zu Gewalt führen, Terra X - die Wissens-Kolumne, 12.05.2024

Gewalt gegen politisch Engagierte nimmt zu, überraschend kommt dies nicht. Gewarnt wurde schon lange. Die Rückkehr zu einer demokratischen Streitkultur ist dringend erforderlich.

Quelle: ZDF Wie politische Feindbilder zu Gewalt führen von Daniel Mullis 12.05.2024 | 08:48 Gewalt gegen politisch Engagierte nimmt zu, überraschend kommt dies nicht. Gewarnt wurde schon lange. Die Rückkehr zu einer demokratischen Streitkultur ist dringend erforderlich. Fast täglich erreichen uns dieser Tage Meldungen über Angriffe auf Personen im Wahlkampf. Vor dieser Eskalation wurde gerade aus dem Osten Deutschlands seit langem gewarnt. Vor allem seit der Corona-Pandemie ist endgültig etwas ins Rutschen gekommen. Anfeindungen, Übergriffe und aggressive Demonstrationen an den Wohnorten politischer Repräsentantinnen und Repräsentanten waren im ganzen Land keine Seltenheit. Dieser Trend setzte sich fort und Umfragen zeigen, dass auch 2023 rund 40 Prozent der Kommunalpolitikerinnen und -politiker angaben, bereits Anfeindungen erlebt zu haben. Grüne sind zunehmend Opfer der Angriffe Von den Übergriffen sind Mitglieder aller Parteien betroffen – bis 2021 besonders häufig die AfD. Danach richteten sie sich zunehmend gegen die Grünen. Nach vorläufigen Zahlen war die AfD im Jahr 2023 von 478 Angriffen betroffen, die Grünen hingegen von 1.219. Zusammenfassend heißt es bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, dass insgesamt "2.312 Angriffe auf Politiker*innen der demokratischen Parteien verübt wurden, fast fünfmal so viele wie auf Rechtsextreme". Diese Zahlen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die politisch motivierten Straftaten haben insgesamt ein bisher nicht gekanntes Niveau erreicht: Bereits 2015 stiegen extremistische Straftaten der Rechten, damals vor allem gegen Geflüchtete, deutlich an und verharren seitdem auf einem sehr hohen Niveau - deutlich höher als zum Vergleich die erfassten extremistischen Straftaten aus dem linken Spektrum. Diese Eskalation hat einen Zusammenhang mit den Krisendynamiken der letzten Jahre: Finanzkrise, Migration, Pandemie, Klima, Krieg und soziale Ängste - immer wieder wurden Diskurse verschoben. Es zeigte sich deutlich: Wenn Personen und Gruppen als Feinde markiert werden, dann eskaliert auch die Gewalt gegen sie. Wie Sprache Gewalt schüren kann Die Verrohung der politischen Auseinandersetzung ist deutlich: Zuerst traf es die "PleiteGriechen", dann Geflüchtete, Menschen die sie unterstützen sowie Migrantinnen und Migranten. Später dann das politische Personal, das Corona-Schutz-Maßnahmen durchsetzte und aktuell die Grünen unter anderem wegen ihres klimapolitischen Insistierens. Stets steht die Behauptung im Raum, dass soziale oder wirtschaftliche Einbußen befürchtet werden müssten. Die AfD sowie die rechtsoffenen Protestbewegungen, wie Pegida, spielten dabei eine wichtige Rolle. Rechtsaußen ist aber nicht alleine für die Verrohung verantwortlich. So waren in allen genannten Fällen - mit Ausnahme der Corona-Pandemie – auch Akteure der konservativen Mitte mittendrin und nicht nur dabei. Jüngst erklärte CDU-Chef Friedrich Merz etwa die Grünen just zu dem Zeitpunkt zum politischen Hauptgegner, als in Sonneberg (Thüringen) erstmals ein AfD-Politiker in ein Exekutivamt gewählt wurde. Andere Konservative gingen noch einen Schritt weiter und stellten grundsätzlich die demokratische Legitimation der Grünen in Frage – ein Novum. Wie politische Rhetorik zum Nährboden für Gewalt wird Die sprachliche Zuspitzung ist ein Problem für die Demokratie. Sie schafft nicht nur Bedingungen und Nährboden, die politisch motivierte Straftaten begünstigen, sondern untergräbt die Demokratie selbst. Dies geschieht in einer Zeit, in der das Vertrauen in Institutionen und demokratische Prozesse ohnehin instabil ist und weltweit autoritäre Tendenzen an Einfluss gewinnen. Ist die Stimmung und die Streitkultur regional erst gekippt, ist die Konsequenz oft, dass die Menschen sich aus der Politik zurückziehen. Das führt letztlich zu einem Erfolg derer, die Diskursen mit Aggression begegnet waren. In der Demokratie liegt die Lösung Der Ausweg aus dieser Situation liegt nicht in härteren Strafen und mehr Überwachung, sondern in der unbedingten Rückkehr zu einem demokratischen Diskurs, in dem gestritten werden darf, aber in dem sich die Parteien, die sich im demokratischen Rahmen bewegen, nicht als Gegner diffamieren. Statt den Diskurs nach rechts zu verschieben, indem ständig Themen von Rechtsaußen bedient werden, sollte der Fokus auf der Schaffung sozialer Sicherheit, der gerechten Gestaltung der Klimaschutzmaßnahmen und der Entwicklung positiver Zukunftsvisionen liegen, die nicht auf Ausgrenzung und Freund-Feind-Erzählungen basieren.