Nothing Special   »   [go: up one dir, main page]

Academia.eduAcademia.edu
Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach 75 Jahre Festschrift zum Jubiläum 75 Jahre – Festschrift zum Jubiläum Ansprachen, Grußworte, Festvortrag und Gastbeiträge anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach Inhalt Der Festtag am 5. Juli 2019 .......................................................................................6 Begrüßung Prof. Dr. Gerhard Huisken (MFO) ....................................................................... 12 Grußworte und -botschaften Theresia Bauer (Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg) ....................................................................... 18 Dr. Michael Meister (Bundesministerium für Bildung und Forschung) ....................... 19 Prof. Dr. Friedrich Götze (Gesellschaft für Mathematische Forschung) ..................... 24 Dr. Wilhelm Krull (VolkswagenStiftung) .............................................................. 30 Beate Spiegel (Klaus Tschira Stiftung) ................................................................ 33 Dr. Dr. h.c. Ursula Gather (Oberwolfach Stiftung) ................................................ 36 Prof. Dr. Cédric Villani (Député à l‘Assemblée Nationale) ....................................... 38 Prof. Dr. Klaus Hulek (Deutsche Mathematiker-Vereinigung) .................................. 40 Prof. Dr. Günter M. Ziegler (Freie Universität Berlin) ............................................ 42 Matthias Bauernfeind (Bürgermeister Oberwolfach) .............................................. 46 Festvortrag Prof. Dr. Stefan Müller (Universität Bonn) ........................................................... 50 Beitrag zur Geschichte des Instituts „Retter” von Oberwolfach (1945): Szolem Mandelbrojt und John Todd Prof. Dr. Volker Remmert (Bergische Universität Wuppertal) ................................. 66 Entwicklung des MFO 2004-2019 .............................................................................. 77 3 Gäste der Festveranstaltung am 5. Juli 2019 (Foto: Gerd Fischer) Der Festtag am 5. Juli 2019 Im Jahr 2019 feierte das MFO sein 75-jähriges Bestehen. Bei der Festveranstaltung am 5. Juli begrüßte Direktor Prof. Dr. Gerhard Huisken knapp 70 Gäste aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Theresia Bauer, Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, gratulierte dem MFO zu „75 Jahren wissenschaftlicher Exzellenz”. In ihrem persönlichen Grußwort bei der Jubiläumsfeier betonte sie die große Bedeutung internationaler Zusammenarbeit bei der Gestaltung des technologischen Wandels und der Bewältigung damit einhergehender Schwierigkeiten. Baden-Württemberg zähle dabei auf Oberwolfach mit seinen jährlich nahezu 3000 Gästen aus der ganzen Welt. Möglicherweise könne die Mathematik helfen, dort Brücken zu bauen, wo die Politik alleine nicht weiterkomme. terium für Bildung und Forschung, an. Er lobte insbesondere die intensive Nachwuchsförderung und die Projekte der Öffentlichkeitsarbeit des Instituts. Als Vertreter der Leibniz-Gemeinschaft erläuterte Prof. Dr. Albert Sickmann (Sprecher der Sektion D) die besondere Rolle des Instituts als eine von zwei exzellenten „sozialen Forschungsinfrastrukturen” innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft. Die Ruhe und Abgeschiedenheit des Instituts sowie die Beibehaltung von Kreide und Tafel trotz Zeiten des digitalen Wandels seien gerade das Erfolgsgeheimnis von Oberwolfach. Prof. Dr. Friedrich Götze (Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Mathematische Forschung) erläuterte in seinem Grußwort die besondere Rolle der GMF für das MFO und beschrieb anhand entscheidender Stationen den Weg des Instituts von seiner Gründung bis zur Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft. Den Glückwünschen schloss sich Dr. Michael Meister, Mitglied des Bundestags und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesminis- Foto: Gerd Fischer 6 Theresia Bauer (Foto: MFO) Dr. Wilhelm Krull (Generalsekretär der VolkswagenStiftung) knüpfte daran an und legte dar, wie viel besser manches in der Entwicklung des MFO gelaufen sei, als es ursprünglich geplant war. Die VolkswagenStiftung, die als Förderin an wichtigen Stationen dieser Entwicklung beteiligt war, sei darüber immer wieder überrascht und erfreut gewesen. Auch die Klaus Tschira Stiftung hat das Institut entscheidend unterstützt und unter anderem gemeinsam mit der VolkswagenStiftung den Ausbau der Bibliothek finanziert. Beate Spiegel (Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung) betonte in ihrem Grußwort die große Bedeutung der Bibliothek für das MFO. Mit Oberwolfach verbinde sie das Interesse für Bücher, die inspirierten und zum Austausch mit anderen Menschen anregten. Die Bibliothek in Oberwolfach sei dafür der ideale Ort. und in Vertretung von Dr. Detlef Schneidawind auch die Glückwünsche der Oberwolfach Stiftung. Als besonderes Präsent zum Jubiläumsjahr kündigte sie die Bereitstellung von zusätzlichen 10.000 € für das neu geschaffene Programm der „Oberwolfach Foundation Fellows” durch die Oberwolfach Stiftung an. Prof. Dr. Cédric Villani (Député à l‘Assemblée Nationale) sandte aus Paris eine Videobotschaft mit seinen Glückwünschen. Oberwolfach sei ein Ort wie kein anderer, den man wertschätzen, schützen und stetig weiterentwickeln müsse. Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather (Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach e.V.) überbrachte die Gratulation des Fördervereins Im Anschluss daran hielt Prof. Dr. Stefan Müller (Universität Bonn) einen Festvortrag, in dem er aus einer sehr persönlichen Perspektive heraus anschaulich darlegte, wie Oberwolfach Forscherinnen und Forscher in der Mathematik inspirieren und prägen kann. Er wählte als Beispiel dazu die Entwicklungen in der Forschung zu partiellen Differentialgleichungen in der Materialwissenschaft von ca. Ende der 1990er Jahre bis ca. Ende der 2000er Albert Sickmann (Foto: MFO) Michael Meister (Foto: MFO) 7 Jahre. Während dieses Zeitraums wurde die Forschung in diesem Gebiet mehrfach durch Tagungen in Oberwolfach entscheidend vorangetrieben. Es ergaben sich sowohl wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung neuer Materialien als auch fruchtbare Rückwirkungen für die Weiterentwicklung anderer, rein mathematischer Forschungsbereiche, wie Stefan Müller eindrücklich aufzeigte. Friedrich Götze (Foto: Gerd Fischer) Der Festakt wurde musikalisch von dem Klarinetten-Quartett „Clarisonos” umrahmt. Gegen Abend verlagerten sich die Feierlichkeiten ins Gasthaus Hirschen in Oberwolfach. Dem Sektempfang im Garten des Gasthauses folgte ein gemeinsames Abendessen, begleitet von Tischreden von Freunden und Förderern des Instituts. Prof. Dr. Klaus Hulek überbrachte die Glückwünsche der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Erna Armbruster sprach in Vertretung des Bürgermeisters Matthias Bauernfeind die Wilhelm Krull (Foto: Gerd Fischer) Beate Spiegel (Foto: Gerd Fischer) 8 Ursula Gather (Foto: MFO) Gratulation der Gemeinde Oberwolfach aus. Prof. Dr. Willi Jäger, der lange Jahre Vorstandsvorsitzender der GMF und Mitglied im Verwaltungsrat des MFO war, gratulierte ebenfalls und erinnerte an manch besondere Begebenheit aus früheren Tagen. Für das MFO endete ein rundum gelungener Tag, an dem viele Menschen, auf deren Unterstützung der langjährige Erfolg des Instituts baut, ihre Verbundenheit zu Oberwolfach zum Ausdruck brachten. Klaus Hulek (Foto: MFO) Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen Personen, die dem Institut persönlich oder durch das Übersenden einer Grußbotschaft zum 75. Jubiläum gratulierten. Die uns schriftlich vorliegenden Ansprachen, Grußbotschaften, Glückwünsche sowie weitere Textbeiträge sind auf den nachfolgenden Seiten dargestellt. Erna Armbruster (Foto: MFO) Stefan Müller (Foto: MFO) Willi Jäger (Foto: MFO) 9 Das Klarinetten-Quartett „Clarisonos” umrahmte die Festveranstaltung musikalisch (Foto: MFO) 10 Empfang im Garten des Gasthauses „Hirschen” (Foto: MFO) 11 Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, Theresia Bauer! Ein ebenso herzliches Willkommen dem Parlamentarischen Staatssekretär im BMBF Herrn Michael Meister. Aus dem Deutschen Bundestag begrüße ich Herrn Thorsten Frei und aus dem Landtag BadenWürttemberg Frau Sandra Boser. Foto: Gerd Fischer Begrüßung Prof. Dr. Gerhard Huisken Direktor des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach Liebe Festversammlung, auch im Namen von Friedrich Götze begrüße ich Sie herzlich zu unserer Feier von 75 Jahren „Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach” – oder „MFO”, wie es liebevoll genannt wird. A warm welcome to our international guests – I ask for your understanding that most of my remarks will be in German. Pünktlich zur Feier gab es vor wenigen Wochen ein besonderes Geburtstagsgeschenk von Bund und Ländern, als die Fortsetzung des Paktes für Forschung und Innovation beschlossen wurde, die uns Planungssicherheit bis 2029 erwarten lässt – ein ganz herzliches Willkommen der Ministerin für Wissenschaft, 12 Als das Institut 1944 gegründet wurde, herrschte Krieg. Auf unserer Webseite finden Sie Forschungsartikel zur Anfangszeit des Instituts, z.B. von Volker Remmert zur Gründung eines „Reichsinstitutes Mathematik”, von dem sich die Nazi-Regierung Unterstützung für Krieg und Wirtschaft versprach, aber auch zur Verstrickung der damals handelnden Personen, die teilweise daran mitgewirkt haben, jüdische Mathematiker aus der Deutschen Mathematiker-Vereinigung zu drängen1. Trotz seiner Belastung aus dieser Zeit ist es dem Gründungsdirektor Wilhelm Süss in den Jahren nach 1945 gelungen, das Institut an die internationale Gemeinschaft heranzuführen, unter ganz entscheidender Beteiligung und Hilfe französischer Mathematiker wie H. Cartan, J. Dieudonné und J. P. Serre, der das MFO dieses Jahr noch einmal besucht hat. In dieser Tradition hatten wir Cédric Villani für heute eingeladen – leider musste er seine persönliche Teilnahme kurzfristig absagen, wird aber in einer Grußbotschaft zu uns sprechen. Umso mehr freue ich mich, mit Jean-Pierre Bourguignon einen langjährigen Freund des Instituts, der außerdem Mitglied in unserem Verwaltungsrat ist, begrüßen zu können! 1 In der vorliegenden Festschrift ist der Artikel „Retter” von Oberwolfach (1945): Szolem Mandelbrojt und John Todd von Volker Remmert erstmals veröffentlicht worden. Über die Gesellschaft für Mathematische Forschung (GMF), die 1959 die Geschicke des MFO in die Hand nahm, wird Friedrich Götze in seinem Grußwort berichten. Ich springe direkt nach 1968 und 1973, als zur Zeit Martin Barners die VolkswagenStiftung der GMF die heutigen Gebäude des Instituts schenkte. Ein herzliches Willkommen an Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung! lich damals – von Förderverein und Oberwolfach Stiftung durchgeführt hat. Ich freue mich sehr, dass Ursula Gather als Vorsitzende des Fördervereins und Mitglied des Stiftungsrates trotz ihrer vielfältigen Verpflichtungen heute ein Grußwort sprechen wird angesichts der kurzfristigen Erkrankung von Herrn Schneidawind, dem Vorsitzenden der Oberwolfach Stiftung – herzlich willkommen liebe Frau Gather! Die zentrale Weichenstellung in jüngerer Zeit war für das MFO der Eintritt in die Leibniz-Gemeinschaft im Jahre 2005, der das MFO als „soziale Forschungsinfrastruktur” in die deutsche Forschungslandschaft einbettete und eine stabile Finanzierung sicherte, gekoppelt an allseits anerkannte regelmäßigen Evaluierungen, in denen das MFO sich beweisen kann. Es ist eine große Freude, dass Förderverein und Stiftung heute so zahlreich durch Vorstand und Stiftungsrat vertreten sind, ich begrüße Michael Baake, Folkmar Bornemann, Peter Gritzmann, Joachim Heinze, Klaus Hulek und Thomas Peternell, die dort ihren breiten Erfahrungsschatz aus der Welt der Mathematik einbringen. Ganz besonders wertvoll ist uns die Präsenz von drei Gästen aus dem Stiftungsrat, die nicht jeden Tag mit mathematischer Forschung zu tun haben: Ich begrüße den ehemaligen Präsidenten der ETH Zürich, Ralph Eichler, den früheren Aufsichtsratsvorsitzenden von Hochtief, Manfred Wennemer und den Vorstandsvorsitzenden der AllianzLebensversicherung Markus Faulhaber. Ich begrüße ganz herzlich Herrn Albert Sickmann aus dem Präsidium der Leibniz-Gemeinschaft! Die nötigen Strukturen und Verträge wurden damals ganz wesentlich ausgehandelt von meinem Vorgänger Gert-Martin Greuel und dem damaligen Vorsitzenden der GMF Willi Jäger, die ich hiermit auch ganz herzlich begrüße! Das MFO als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft hat die Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH. Ich begrüße die langjährige Vorsitzende unseres Verwaltungsrates aus dem Ministerium in Stuttgart Tanja Bolius und den stellvertretenden Vorsitzenden aus dem BMBF in Berlin Jan Neitzke. In der neuen Struktur war eine der ersten Aufgaben die Renovierung und Sanierung des Gästehauses, die mein Vorgänger mit vereinter Hilfe von Bund, Land und – ganz wesent- Es wurde am MFO jedoch nicht nur renoviert, es wurde auch gebaut. Die Bibliothekserweiterung 2007 haben die VolkswagenStiftung und die Klaus Tschira Stiftung gemeinsam finanziert. Klaus Tschira hat das MFO bis zu seinem Tod mit seiner Stiftung und persönlich im Verwaltungsrat unterstützt. Ich bin sehr dankbar, dass Frau Beate Spiegel als Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung seine Stellung in unserem Verwaltungsrat eingenommen hat. Herzlich willkommen Frau Spiegel! 13 Die Bibliothek hat auch in der Folge von vielen Seiten Unterstützung erfahren, zum einen durch die Finanzierung von Büchern durch die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, die auch unsere Oberwolfach Seminare seit vielen Jahren fördert, und zum anderen vor drei Jahren bei einer grundlegenden Renovierung und Kapazitätserweiterung durch die VolkswagenStiftung mit Hilfe von Förderverein und Oberwolfach Stiftung. Ich danke den anwesenden Architekten Ludwig Harter und Ingolf Kanzler für die gelungene Gestaltung! Die Bibliothek ist für die Herausforderungen des sich rasch wandelnden Publikationswesens nun gewappnet! Die Klaus Tschira Stiftung hat dem Institut noch an anderer Stelle wesentlich geholfen – bei der Öffentlichkeitsarbeit, oder dem „Outreach”: Dies begann mit dem IMAGINARY Projekt 2008 unter meinem Vorgänger GertMartin Greuel, das inzwischen von Andreas Matt mit Hilfe von Mitteln aus dem LeibnizWettbewerb in eine erfolgreiche Ausgründung überführt wurde, und schließt die Anschubfinanzierung für das neue Projekt „Snapshots of modern Mathematics from Oberwolfach” mit ein, in dem moderne Forschungsentwicklungen am MFO für ein anspruchsvolles breiteres Publikum dargestellt werden. IMAGINARY hilft uns bei der Verbreitung der „Snapshots” und bei der Betreuung des Museums „MiMa” für Mineralien und Mathematik in Oberwolfach, das gemeinsam vom Mineralienverein, vom MFO und von der Gemeinde Oberwolfach betrieben wird. Ein herzliches Willkommen an die stellvertretende Bürgermeisterin von Oberwolfach, Erna Armbruster. 14 Herausforderungen für die Zukunft – Challenges for the future An erster Stelle steht die Bewahrung der Grundlagen – Gästehaus und Hörsaalgebäude mit Bibliothek sind grundlegend saniert – heute profitieren wir zum Beispiel von der neuen Lüftung hier im Hörsaalgebäude. Von nun an liegt das Augenmerk ganz auf turnusmäßiger sorgfältiger Wartung, Pflege und Anpassung an neue technische Standards. Für die wissenschaftlichen Herausforderungen wechsle ich in die englische Sprache: Just as important as the regular maintenance of our buildings are the transparent, fair and professional selection procedures for the scientific programs and visitors of the Institute. The Scientific Committee of the GMF ensures the scientific standing of the MFO through its thorough evaluations of all applications and continuous monitoring of new hot developments in mathematical research. Some of these hot developments will be highlighted by Stefan Müller in his lecture, welcome to you! The honorary work of the Scientific Committee and the Scientific Advisory Board is quite demanding in view of the many activities and applications and invaluable to the MFO, which benefits so much from the dedication and commitment of its members. As a representative of all current and former members present today I greet Felix Otto, the chair of the Scientific Committee. The program selected by the Scientific Committee includes forty Workshops each year, twelve Mini-Workshops, six “Oberwolfach Seminars” for graduate students, two “Arbeits- gemeinschaften” for senior mathematicians and postdocs, plus many individual visits in the “Research in Pairs” and “Oberwolfach Leibniz Fellows” programs that are overseen by Vice-Director Dietmar Kröner. We try very hard to make the work of the Scientific Committee as smooth and efficient as possible. Its twenty-five members come from all over Europe, the eight members of the Scientific Advisory Board come from all over the world, showing the deep embedding of the MFO in the international community. Here I send a special welcome to our guests from other European research institutes that are part of the ERCOM section of the European Mathematical Society and to our visitors from Fraunhofer Institutes, Max Planck Institutes and the Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG. During the last few years we have increased the participation of female mathematicians from 15% to 20% in the workshops. We will continue to address this issue in the wider context of diversity by making the Institute as welcoming as possible, in particular to female participants and organizers. countries with a weaker research infrastructure that enables their participation in our programs by covering part of their travel expenses. No highly talented young researcher who is strongly recommended for one of our programs should be prevented from attending due to lack of travel support. I feel greatly encouraged as many colleagues and the Oberwolfach Foundation have already expressed support for this initiative. An dieser Stelle möchte ich mich besonders bei den Mitarbeitern des Institutes bedanken, stellvertretend nenne ich Stephan Klaus, Susanne Riester und Tatjana Ruf. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spielen eine entscheidende Rolle, um am MFO diese wunderbare Atmosphäre zu schaffen, in der Gäste aus aller Welt Forschung auf höchstem Niveau betreiben und in ihren Gesprächen Brücken bauen zwischen Ländern und Kulturen, die heute wichtiger sind als je. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! It will be crucial for the future of the Institute to attract the best young researchers worldwide to our programs and thereby to make them as enthusiastic about Obewolfach as we are. In this regard we already have support from the Carl Friedrich von Siemens Foundation for our graduate seminars as well as other support from the Leibniz Association, the American National Science Foundation and from the Simons Foundation for which we are very grateful. At this moment I am trying to find support for young mathematicians from 15 Das Institut im Frühjahr 2014 (Foto: Gerd Fischer) rasch thematisch neue Akzente zu setzen und aktuelle Forschungsfragen mit herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu bearbeiten. Foto: Sabine Arndt, Quelle: MWK Baden-Württemberg Grußwort Theresia Bauer Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg 75 Jahre Oberwolfach, 75 Jahre wissenschaftliche Exzellenz, 75 Jahre internationaler Austausch auf höchstem Niveau – eine starke Leistung, zu der ich herzlich gratuliere! Oberwolfach ist zu einem Ort geworden, dem ein besonderer wissenschaftlicher Zauber innewohnt. Am MFO findet exzellente Forschung in besonderen Formaten und Begegnungen statt. Seine Erfolgsgeschichte versuchen inzwischen manche zu kopieren. Die verschiedenen Programme und Workshops sind ganz spezifisch auf die besondere Arbeitsweise in der Mathematik zugeschnitten und laden die Besten weltweit zu einem kreativen Austausch ein. Damit ist das Institut in der Lage, sehr 18 Oberwolfach trägt damit wesentlich dazu bei, die Disziplin ständig weiterzuentwickeln und innovative Themen wie etwa die Künstliche Intelligenz aufzugreifen. Dabei wird auch – ganz traditionell – Wert gelegt auf die direkte Begegnung und analoge Debatte zwischen den Wissenschaftspersönlichkeiten. Nicht immer werden die Beiträge der Mathematik dabei für die Öffentlichkeit auch sichtbar – aber sie sind unverzichtbar in vielen Zusammenhängen und Anwendungen. Ich gratuliere allen, die Oberwolfach immer wieder zum Erfolg verhelfen, zu diesem besonderen Jubiläum. Dabei möchte ich auch die Gesellschaft für Mathematische Forschung einschließen, die dieses Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiert. Ihnen allen wünsche ich weiterhin gutes Gelingen und inspirierende Diskussionen in Oberwolfach! Grußwort Dr. Michael Meister Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Mitglied des Bundestags Sehr geehrter Herr Professor Huisken, ich gratuliere Ihnen und Ihren Mitarbeitern ganz herzlich – auch im Namen von Ministerin Karliczek – zum 75-jährigen Jubiläum des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach. Ebenso gratuliere ich Ihnen, Herr Professor Götze, von der Gesellschaft für Mathematische Forschung, dem Trägerverein des MFO, zum 60-jährigen Jubiläum. Liebe Ehrengäste, meine sehr geehrten Damen und Herren, es fühlt sich ein bisschen wie Urlaub an, hier im Schwarzwald in der idyllischen Gemeinde Oberwolfach. Durch das MFO ist dieser Ort aber weit mehr als eine Stätte der Ruhe und Erholung. Es ist ein Ort, an dem exzellente Mathematikerinnen und Mathematiker aus der ganzen Welt neueste Ideen und Resultate austauschen. Ein Ort, an dem Forschung auf höchstem Niveau betrieben wird. Die Abgeschiedenheit gehört zum Konzept und erlaubt Forschung frei von jeglicher Ablenkung. Eine wesentliche Funktion erfüllt auch Foto: MFO die ausgezeichnete Mathematikbibliothek, die als eine der besten weltweit gilt. Jährlich besuchen rund 2.500 Wissenschaftler das MFO. 70 Prozent der Wissenschaftler stammen aus dem Ausland, davon etwa 40 Prozent aus Europa und rund 30 Prozent aus dem außereuropäischen Raum. Unzählige Kontakte haben sich so über die Kontinente hinweg entwickelt und dauern noch heute an. Dies macht das MFO zu einem wichtigen Treffpunkt der internationalen mathematischen Forschung, einer Denkfabrik und einer Einrichtung von Weltruf. Meine Damen und Herren, die Anfänge des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach sind eng mit Wilhelm Süss verknüpft, einem deutschen Mathematiker. Er gründete die wissenschaftliche Einrichtung während der dunklen NS-Zeit. Trotzdem gelang es Süss, ein mathematisches Institut zu schaffen, welches weitgehend unabhängig und geleitet durch wissenschaftliche Grundsätze agierte. 19 Mit der Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten wie dem Mathematiker John Todd sicherte Süss nach Kriegsende das Überleben des MFO. Er entwickelte das einzigartige Grundkonzept des intensiven Gedankenaustauschs international renommierter Mathematiker. So nahm Oberwolfach für europäische Forschende sehr frühzeitig die Rolle eines Fensters zur Welt ein. Ich möchte an dieser Stelle auch bewusst einige wesentliche Entwicklungen der jüngeren Geschichte ansprechen: Beispielsweise die Aufnahme des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach in die Leibniz-Gemeinschaft im Jahr 2005. Diese hat die Rolle und den Stellenwert des MFO innerhalb der Forschungslandschaft weiter gefestigt und gestärkt – und sorgt seit 2006 auch für finanzielle Sicherheit. 2010 konnte außerdem ein langwieriges und wichtiges Projekt abgeschlossen werden: Die dringend erforderliche Generalsanierung des MFO. Das Bundesforschungsministerium stellte mit rund 1,75 Millionen Euro einen wesentlichen Anteil der Mittel bereit. Sie, Herr Professor Huisken, führen mit Ihrem Engagement die erfolgreiche Arbeit des international renommierten Instituts, als Hüter des „heiligen Grals der Mathematik”, weiter. Diese Bezeichnung für das Mathematische Forschungsinstitut Oberwohlfach ist mir kürzlich zu Ohren gekommen. Doch der Fokus soll an dieser Stelle nicht primär auf der Vergangenheit liegen. Vor uns liegen Herausforderungen und Chancen, bei denen das Mathematische Forschungsinstitut eine Schlüsselrolle spielt. 20 Das erfolgreiche Grundkonzept des MFO besteht in seiner modernisierten Form weiter und prägt die Landschaft der mathematischen Forschung. Ich beziehe mich auf die tragenden Säulen wie Selbstbestimmung, wissenschaftliche Unabhängigkeit und hohe internationale Programmstandards. Das Themenspektrum ist vielfältig: Es erstreckt sich über alle Disziplinen – von reiner Mathematik bis hin zur Anwendung. Und das MFO-Konzept kombiniert verschiedenste Veranstaltungsformate: Dazu zählen Workshops, Arbeitsgemeinschaften, die Oberwolfach-Seminare speziell für Promovierende und Postdoktoranden sowie das „Research in Pairs” Programm. Meine Damen und Herren, die Mathematik ist nicht nur eine abstrakte Sprache – die Mathematik bildet die Grundlage für technologischen Fortschritt und Wohlstand. Ich will Ihnen gerne „Mathematik für Innovationen” als eines der erfolgreichen Förderinstrumente des Bundesforschungsministeriums vorstellen. Jährlich stellen wir dafür rund 5 Millionen Euro bereit. Im Kern verfolgen wir mit „Mathematik für Innovationen” drei zentrale Ziele: Foto: MFO Und seit 2007 gibt es mit dem Postdoktorandenprogramm „Oberwolfach-Leibniz Fellows” ein Angebot für besonders qualifizierte Nachwuchswissenschaftler. Im Bundesforschungsministerium begrüßen wir die intensive Nachwuchsförderung des MFO sehr. Sie adressiert wichtige BMBF-Ziele: Spitzenforschung zu ermöglichen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Auch Sie, sehr geehrter Herr Professor Villani, oder Ihr sehr verehrter Kollege Herr Professor Scholze, haben durch den Besuch von Veranstaltungen des MFO sicherlich wichtige Impulse für die persönliche Entwicklung und den weiteren Karriereweg erhalten. • erstens, die anwendungsorientierte mathematische Forschung zu fördern, • zweitens, Wissenschaft und Wirtschaft zu vernetzen, • und drittens exzellenten mathematischen Nachwuchs weiter zu qualifizieren. Wie lassen sich diese unterschiedlichen Ziele vereinen? Mit dem Förderschwerpunkt unterstützen wir gezielt Forschungsprojekte in zukunftsweisenden Feldern der anwendungsorientierten Mathematik, wie es der Energie-, Mobilitäts-, Medizin- oder etwa der Informationstechnologie-Sektor sind. In den Projekten arbeiten Hochschulmathematiker eng mit Industrie- und Dienstleistungsunternehmen zusammen. So wird ein unmittelbarer Wissens- und Technologietransfer gewährleistet. Ein Konzept, von dem Wissenschaft und Wirtschaft gleichermaßen profitieren, auch durch eine bessere Vernetzung. Und ein Konzept, 21 das der Gesellschaft zugutekommt, durch neue Produkte und Methoden. Meine Damen und Herren, die Bedeutung moderner mathematischer Methoden ist für uns Mathematiker offenkundig. Doch wer bringt zum Beispiel Zahlen- oder Graphentheorie mit alltäglichen Dingen wie dem Handy oder der Kreditkarte in Verbindung? Wer bringt Neuerungen im Flug- und Fahrzeugbau, in der Medizin oder in der Informationstechnologie in Zusammenhang mit der Mathematik? Daher, meine Damen und Herren, braucht es intensive und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit. Diese muss wesentliche Zusammenhänge vermitteln und die Schlüsselrolle der Mathematik als Querschnittswissenschaft verdeutlichen. Vor allem aber muss sie auf anschauliche Weise die Menschen in diese faszinierende Welt der Mathematik mit ihren vielfältigen Ausdrucksformen und Facetten mitnehmen. Genannt seien einige sehr erfolgreiche Beispiele Ihrer Öffentlichkeitsarbeit, Herr Professor Huisken: Da ist zum einen die Wanderausstellung IMAGINARY, die vor mehr als 10 Jahren von Ihrem Institut anlässlich des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerufenen Jahrs der Mathematik 2008 entwickelt wurde. Diese Ausstellung hatte zum Ziel, Spitzenforschung an eine interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln. IMAGINARY hat sich über die Jahre zu einer offenen und interaktiven Online-Plattform für 22 Mathematikvermittlung entwickelt. Seit 2016 ist IMAGINARY eine selbständige gemeinnützige GmbH, deren Teilhaber das MFO ist. Seit 2010 ist das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach außerdem Mitbetreiber des „MiMa – Museum für Mineralien und Mathematik”. Das MiMa bringt über interaktive mathematische Installationen den Besuchern kristalline Formen und Symmetrien der im Museum präsentierten Mineralien näher. Ein weiteres erfolgreiches Beispiel sind die „Schnappschüsse moderner Mathematik aus Oberwolfach”. Sie vermitteln mathematische Ideen und Probleme auf verständliche Art und Weise und adressieren ein breites Publikum, bestehend aus Mathematiklehrern, Wissenschaftsjournalisten, Studierenden sowie fortgeschrittenen Schülern. Meine Damen und Herren, wir wollen die breite Gesellschaft ansprechen – und wir wollen vor allem die junge Generation erreichen. Denn was der MINT-Nachwuchs von heute ist, sind die Fachkräfte von morgen. Der Bedarf an gut ausgebildeten Mathematikern in Wissenschaft und Wirtschaft wird in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Und das in allen Bereichen unserer Gesellschaft: Im Energie- und Mobilitätssektor, in der medizinischen Versorgung und in der sich weiter entwickelnden Industrie 4.0 mit einer umfassenden Digitalisierung und Systemen wie künstlicher Intelligenz. Im Bundesforschungsministerium fördern wir daher mit verschiedenen Programmen und Formaten – von der KITA bis zum Erwachse- nenalter – gezielt das Interesse für MINT-Themen. Vor wenigen Monaten hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den MINT-Aktionsplan veröffentlicht. Er fungiert als strategischer Handlungsrahmen für die Förderung der MINT-Bildung. Unter dem Dach des Aktionsplans ist die bisherige MINT-Förderung gebündelt. Er stellt aber auch den Startschuss für neue Initiativen dar. Zusätzlich zu den bisherigen Mitteln und erfolgreich laufenden Maßnahmen nehmen wir mit dem Aktionsplan neues Geld in die Hand, um der MINT-Bildung in Deutschland einen kraftvollen Schub zu verleihen. Bei den neuen Initiativen handelt es sich um: • MINT-Angebote für Jugendliche (vor Ort, in regionalen Clustern), • eine MINT-Plattform, genauer gesagt eine Vernetzungsstelle und MINT-E-Plattform, • MINT-Forschungsvorhaben. Mit diesen möchten wir den Fragen nachgehen, was gute MINT-Bildung ausmacht, unter welchen Bedingungen sie gelingen kann und was wir aus dem Ausland lernen können. Wesentlich sind dabei für uns Vernetzung und Transfer. Die Maßnahmen greifen ineinander. Sie können noch wirksamer sein, wenn sie miteinander vernetzt werden, Forschungsergebnisse aufgreifen oder empirische Erkenntnisse liefern. Ein weiterer wichtiger Baustein ist außerdem eine umfassende Kommunikationsstrategie mit Online- sowie Social-Media-Formaten, ergänzt durch Mobilisierungs- und Mitmachangebote. Erfolgreiche Beispiele der BMBF-Förderung sind das „Haus der kleinen Forscher”, das Wissenschaftsfestival „Highlights der Physik” und Bundeswettbewerbe wie „Jugend forscht”. Speziell für die Mathematik gibt es Talentwettbewerbe wie die Mathematik-Olympiade oder den Bundeswettbewerb Mathematik. Meine Damen und Herren, Wettbewerbe, Programme und Ausstellungen sind nur so ansteckend, wie die Menschen, die sie mit Leben füllen. Tragen Sie die eigene Faszination nach außen und teilen Sie diese mit anderen Menschen. Versetzen Sie Ihre Umwelt regelrecht in kindliches Staunen darüber, welche mathematischen Finessen hinter den Rätseln unserer Welt stecken und wie sie die Welt von morgen besser machen können. Mathematik fasziniert, sie fordert heraus, sie schafft innovative Lösungen. Sie sind Träger dieser Begeisterung für Mathematik, ihrer zahlreichen Facetten und Chancen für unsere Welt von morgen! Vielen Dank! Übergreifend wollen wir Mädchen und Frauen stärken, damit sie ihre MINT-Interessen vertiefen können und sich selbst mehr in diesen Bereichen zutrauen. 23 rium des Landes Baden-Württemberg u.a. zu schaffen. Foto: MFO Erster Direktor nach Gründung der GMF war Theodor Schneider und sein Stellvertreter Helmuth Gericke. Der Wissenschaftliche Beirat, heute Wissenschaftliche Kommission genannt, bestand aus 15 Mathematikern unter dem Vorsitz von Helmuth Kneser. Auf dem Bild sehen sie die Gründungsurkunde und an den Wänden des Vortragsraumes die Portraits der Gründungsmitglieder. Grußwort Prof. Dr. Friedrich Götze Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Mathematische Forschung Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie im Namen der Gesellschaft für Mathematische Forschung (GMF), die hier heute durch meinen Stellvertreter Felix Otto und den Schatzmeister Joachim Schwermer sowie zahlreiche Mitglieder vertreten ist. Zunächst etwas zur Geschichte der GMF. Da vielleicht nicht alle Gäste hier mit den Einzelheiten vertraut sind, erlauben Sie mir eine kurze historische Exkursion zu den Anfängen der GMF in den 50er Jahren. Nach dem Tod des langjährigen Direktors des Instituts Wilhelm Süss im Jahre 1958 erfolgte die Gründung der GMF am 14. Juli 1959, d.h. vor fast genau 60 Jahren, mit dem Ziel, eine Trägerschaft für die Finanzierung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach durch den Bund (damals das Innenministerium) und das Kultusministe24 Gründungsurkunde der GMF Im Fokus stand damals die Fortführung des Instituts als Tagungsstätte aber auch als Forschungsinstitut mit einem Gebäude nahe der Universität Freiburg. Hintergrund war der Wunsch, eine Institution nach dem Vorbild des Institute of Advanced Study in Princeton zu schaffen, das in den fünfziger Jahren zu einem Zentrum der Forschung und des internationalen wissenschaftlichen Austauschs in der Mathematik geworden war. Dies war insbesondere ein Anliegen, welches das Gründungsmitglied Friedrich Hirzebruch bewegte, der die inspirierende wissenschaftliche Umgebung in Princeton als entscheidend für die Fortentwicklung der Mathematik (nicht zuletzt aus persönlicher Erfahrung) ansah und versuchte, etwas Vergleichbares in Deutschland zu realisieren. Kurz und gut, es gab neben anderen Ideen auch Pläne für ein Max-Planck-Institut in der Mathematik in Oberwolfach, die sich aber nicht realisierten. Jedoch lagen derartige Ideen damals in Europa in der Luft: So wurde das Institut des Hautes Études Scientifiques (IHES) nahe Paris im Jahre 1958 mit explizitem Verweis auf das Vorbild von Princeton gegründet. Das alte „Schlössle” (Foto: MFO) Antrag an die VolkswagenStiftung, 1963 25 Ich freue mich deshalb sehr, hier heute einen engen Freund des Instituts, Jean-Pierre Bourguignon, unter unseren Gästen begrüßen zu können, langjähriger Direktor des IHES und danach auch des European Research Councils. Mit dem Betrieb, finanziert durch das Land Baden-Württemberg, wagte der damalige Direktor Martin Barner den baulichen Neubeginn des Instituts 1963 mit einem Antrag an die Stiftung Volkswagenwerk (heute VolkswagenStiftung). Offensichtlich war diese Zeit noch nicht durch viel bürokratischen Aufwand belastet. Dieser Antrag war erfolgreich und so entstand dann 1967 erst das Gästehaus und dann ersetzte schließlich 1974 das Tagungsgebäude mit Bibliothek das alte „Schlössle” (das manchmal mit dem „Lorenzenhof” verwechselt wird, einem alten Bauernhof unten auf den Wolfwiesen, der heute im Freilichtmuseum Gutach bewundert werden kann). Dadurch wurde das „Schlössle” in das vom damaligen Architekten Prof. Rossmann konzipierte architektonisch be- Der bauliche Neubeginn (Foto: Archiv Stiftung Volkswagenwerk Wolfsburg) 26 eindruckende Ensemble des jetzigen MFO verwandelt, welches von der VolkswagenStiftung samt Grundstück der GMF übereignet wurde. Die preisgekrönte Erweiterung der Bibliothek wurde 2007 von den Architekten Harter und Kanzler in stimmiger Fortführung dieser eindrucksvollen Gesamtanlage gestaltet. Diese Anschubfinanzierung der VolkswagenStiftung zusammen mit der anschließenden Landes-Finanzierung hat die Erfolgsgeschichte des MFO mit seinem überragenden internationalen Renommee möglich gemacht. Weltweit hat dies zu zahlreichen Versuchen geführt, etwas Vergleichbares nach dem Vorbild von „Oberwolfach” einzurichten. Hierfür sind wir, die mathematische Gemeinschaft, Ihnen, Herr Dr. Krull, und dem Land Baden-Württemberg, Frau Ministerin Bauer und Frau Bolius, zu großem Dank verpflichtet. Die VolkswagenStiftung und die Klaus Tschira Stiftung, heute vertreten durch Frau Beate Spiegel, haben uns auch weiterhin beim Ausbau der Bibliothek 2007 und letztere auch bei dem Projekt Imaginary tatkräftig unterstützt, das vom damaligen Direk- Das Gästehaus (Foto: Friedrich Götze) Im Erweiterungsbau der Bibliothek (Foto: MFO) Das Hörsaalgebäude (Foto: MFO) tor Gert-Martin Greuel im Jahr der Mathematik 2008 gestartet wurde und in der ganzem Welt viele Menschen für die Mathematik begeistern konnte. Weitere langjährige Unterstützung erhielten wir von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, die die Mathematik in Oberwolfach mit großem Engagement unterstützte, insbesondere für den Bestandsausbau der Bibliothek und bei der Nachwuchsförderung in den Oberwolfach-Seminaren. Hierfür danken wir Heinz Gumin und Heinrich Meier, damals bzw. heute Geschäftsführer der Stiftung. Dies ist, denke ich, eines der leuchtenden Beispiele für den Erfolg einer Stiftungskultur, von der unser Land unter noch etwas günstigeren fiskalischen Rahmenbedingungen vielleicht noch viel mehr profitieren könnte. Science Foundation der USA, die Simons Foundation und vielen anderen ablesen, was angesichts des internationalen Teilnehmerkreises der Tagungen auch nicht verwundern sollte. Oberwolfach ist eine der begehrtesten internationalen Tagungsstätten in der Mathematik (mit Teilnahme nur auf Einladung), wo viele bekannte Mathematikerinnen und Mathematiker in jungen Jahren die entscheidende Motivation für ihre Forschung und die Berufung zur Wissenschaft erfahren haben. Was ist nun die Rolle des privaten Trägervereins der GMF in all diesen Jahren? Sie ist Ausdruck für das Engagement der mathematischen Gemeinschaft an diesem Forschungsinstitut. Dass ein großes Interesse auch der internationalen Mathematiker-Gemeinschaft an Oberwolfach besteht, lässt sich unschwer an den Drittmittel-Beiträgen durch die National In der finanziell schwierigen Periode Anfang der neunziger Jahre konnte das Institut dann wiederum auf die Unterstützung der mathematischen Gemeinschaft und der deutschen Wirtschaft durch den damals gegründeten Förderverein Oberwolfach und darin eingebettet die Oberwolfach Stiftung sowie den Horst Tietz Fund zählen, die von den Kollegen Remmert, Kraft, Preuss und anderen ins Leben gerufen wurden. Diese Institutionen standen dem Institut tatkräftig zur Seite, wenn kurzfristige Hilfe für dringende Aufgaben gebraucht wurde und waren eine ermutigende Unterstützung in finanziell schwierigen Zeiten 27 hen somit Oberwolfach auch nach ihrer Amtszeit in der Wissenschaftlichen Kommission mit ihrer Fachkompetenz zur Seite. Der Musikraum (Foto: Friedrich Götze) für Matthias Kreck, den Nachfolger von Martin Barner ab 1994 im Amt des Direktors. Hierfür gilt mein herzlicher Dank im Namen der GMF an den Förderverein des MFO und an die Oberwolfach Stiftung, vertreten heute unter anderem durch Frau Ursula Gather, Rektorin der TU Dortmund, und die Kollegen Folkmar Borneman und Michael Baake. Ich freue mich, zu dem heutigen Anlass auch eine Reihe von weiteren Mitgliedern der Oberwolfach Stiftung und des Fördervereins begrüßen zu können. Seit Gründung der GMF ist die Wissenschaftliche Kommission, welche die wissenschaftliche Ausrichtung des Tagungsprogramms mit der Auswahl der Tagungsleiter und Themen bestimmt, einer der wichtigsten Bausteine des Erfolgs. In der Wissenschaftlichen Kommission engagieren sich mit begrenzter Amtszeit die führenden Mathematikerinnen und Mathematiker Europas, treffen die Programm-Entscheidungen für die kleinen und großen Workshops und übernehmen die Begutachtung der Research in Pairs und Oberwolfach-Leibniz-Fellow Programme. Sie werden zu diesem Zweck auf Dauer Mitglieder der Gesellschaft und ste28 Ferner sind auch eine Reihe von mathematischen Fachgesellschaften, wie die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV), die Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik (GAMM) und die European Mathematical Society (EMS) institutionelle Mitglieder der GMF. Einen ihrer Repräsentanten, meinen Kollegen Klaus Hulek, Vizepräsident der DMV, möchte ich hier herzlich begrüßen. Im Prozess des Übergangs in die Förderung als Leibniz-Institut seit 2005 wurden sämtliche Gebäude auf den neuesten Stand gebracht, wofür wir dem Land, Bund, Förderverein und der Stiftung sehr dankbar sind. Das MFO hat als Leibniz-Institut die Struktur einer gemeinnützigen GmbH, mit Direktor, Stellvertreter, einem Verwaltungsrat (in dem die Zuwendungsgeber vertreten sind) sowie einem Wissenschaftlichen Beirat, der die Arbeit des Instituts beratend begleitet. Dieser ist ganz separat zu sehen zu der schon dargestellten Wissenschaftlichen Kommission der GMF, die aus etwa 25 renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus allen Bereichen der Mathematik besteht, und unter dem Vorsitz des stellvertretenden Vorsitzenden der GMF, d.h. Felix Otto, tagt. Entsprechend sieht der damals mit Bund und Land ausgehandelte GmbH-Vertrag, welcher vom damaligen Direktor Gert-Martin Greuel und meinem Vorgänger Willi Jäger im Amt des Vorsitzenden der GMF geschlossen wurde, die GMF als alleinigen Gesellschafter vor und setzt in dieser Form damit die nunmehr 60-jährige Tradition des Engage- ments der mathematischen Gemeinschaft für Oberwolfach fort. In der Leibniz-Gemeinschaft ordnet sich Oberwolfach ganz natürlich als eine „soziale Forschungsinfrastruktur” ein. Wir sind, so denke ich, nunmehr in einer für das Institut optimalen, stabilen Finanzsituation in der Bund-Länderfinanzierung eines Leibniz-Instituts angekommen, und können deshalb optimistisch in die Zukunft sehen. Dank dafür an Sie alle, Herr Dr. Meister und Herr Neitzke als Vertreter des BMBF, Frau Ministerin Bauer und Frau Bolius und an Herrn Kollegen Sickmann als Vertreter der Leibniz-Gemeinschaft. An Zeugnissen für die Begeisterung der Kollegen aus dem Ausland über das Besondere dieses Ortes ist wahrhaft kein Mangel: So formulierte Ronald Graham, Präsident der American Mathematical Society, anläßlich des 50jährigen Bestehens von Oberwolfach – ich zitiere: die durch erfolgreiche Initiativen im Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs, eindrucksvolle Drittmitteleinwerbung, bauliche Weiterentwicklung bis hin zur Klimatisierung des Vortragsgebäudes charakterisiert wird, die vom Direktor detaillierter beschrieben wurden. Diese strukturelle, aber vor allem auch wissenschaftliche Erfolgsbilanz fand ihren Niederschlag in der extrem positiven Begutachtung im Jahre 2016, an der auch Gutachter aus Einrichtungen mitwirkten, die sich an unserem Vorbild orientiert hatten. Hierzu möchte ich Gerhard Huisken, seinem Stellvertreter Dietmar Kröner, Stephan Klaus, Susanne Riester und allen Mitarbeitern des Instituts im Namen der GMF unseren allerherzlichsten Dank für ihre großartige Arbeit aussprechen und dem Geburtstagskind viele Jahre erfolgreichen Wirkens und Ihnen noch eine Geburtags-Party mit vielen interessanten Gesprächen wünschen. For it is clearly here at Oberwolfach that the flame of mathematics burns brightest, with a tradition of meetings and mathematical communication that is unequaled anywhere else in the world. The fond memories shared by my many colleagues of the idyllic surroundings, superb library, efficient organization and the broad spectrum of wonderful programs have enriched all of our mathematical lives. We can only hope to see that such a treasure will continue to serve mathematicians and mathematics for all future generations as well. Zu guter Letzt möchte ich nicht versäumen auf die jüngste Entwicklung des MFO einzugehen, 29 thematiker-Vereinigung, gelang, trotz des Krieges noch Ressourcen für mathematische Forschung in Deutschland zu ergattern. Foto: MFO Grußwort Dr. Wilhelm Krull Generalsekretär der VolkswagenStiftung „What has happened is not exactly what I planned but is much better than I planned.” – mit diesem Satz schaute Abraham Flexner auf die Entwicklung des von ihm ins Leben gerufenen, auf dem Prinzip des selbstbestimmten Miteinanders beruhenden Institute of Advanced Studies in Princeton zurück. Und dieser Satz gilt wohl auch für die beeindruckende Entwicklung, die das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach – oder schlicht „Oberwolfach” – in den 75 Jahren seines Bestehens genommen hat. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs als ein kriegswichtiges Reichsinstitut für Mathematik gegründet und noch wenige Monate vor Kriegsende im September 1944 eröffnet, war das Institut zunächst ein geschickter wissenschaftspolitischer Zug, mit dem es Wilhelm Süss, dem damaligen Rektor der Universität Freiburg und Präsidenten der Deutschen Ma30 Dem britisch-amerikanischen Mathematiker und Offizier John Todd, dem „Retter von Oberwolfach”, der sich 1945 zu einer Bestandsaufnahme der deutschen Mathematik in Oberwolfach aufhielt, ist es zu verdanken, dass das Institut nicht von französisch-marokkanischen Truppen beschlagnahmt und dann wohl auch wieder hätte geschlossen werden müssen. Im rechten Moment stellte er sich den Truppen entgegen und konnte die Franzosen von der Ausnahmestellung des Instituts überzeugen. Was für eine glückliche Fügung, dass in diesem Moment mathematischer Sachverstand und militärischer Einfluss aufeinandergetroffen sind. Man würde sich in der heutigen Zeit mehr davon wünschen. „What has happened is not exactly what I planned”, mag sich Todd nach dieser außergewöhnlichen Begebenheit gedacht haben. Wirklich Fahrt aufnehmen konnte die Entwicklung von „Oberwolfach” aber erst nach Kriegsende. Mit „Oberwolfach” waren vor allen Dingen zwei forschungs- und förderpolitische Ziele verknüpft: Zum einen die Reintegration deutscher Mathematiker in die internationale Mathematikergemeinschaft und zum anderen die Entwicklung des MFO zu einem weltweit anerkannten Tagungs- und Forschungszentrum. Diese Ziele konnten mit dem in den 1950er Jahren einsetzenden intensiven Tagungsbetrieb erreicht werden. Dieser hatte zunächst zum Ziel, mathematische Entwicklungen aus dem Ausland aufzugreifen und in Deutschland bekannt zu machen und zu verbreiten. Dass dies gelingen konnte ist den Kontakten ins Ausland zu verdanken, die einige deutsche Mathematiker trotz des Krieges aufrechterhalten und über „Oberwolfach” weiter pflegen konnten. Es ist besonders schön, dass dieser Plan aufgegangen ist, obwohl man von den ausländischen Kooperationspartnern eine solche Aufgeschlossenheit nicht hätte erwarten können. Und weil es mit dem Tagungsbetrieb tatsächlich deutlich besser lief als erwartet, wurde es auf dem Lorenzenhof bald zu eng. Und hier kommt nun die Förderung der seinerzeit gerade gegründeten VolkswagenStiftung ins Spiel: Schon auf seiner siebten Sitzung beschloss das Kuratorium, die Weiterentwicklung von „Oberwolfach” mit einem Betrag von rund 1,5 Millionen DM zu fördern. Damit sollte im Wesentlichen ein den modernen Bedürfnissen entsprechendes Gästehaus gebaut werden. Herausgekommen ist aber – und somit abermals deutlich besser als geplant – ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur für die mathematische Forschung in Deutschland. Dass 1989, ebenfalls mit Unterstützung der VolkswagenStiftung, ein Erweiterungsbau eingeweiht werden konnte, ist ein Beleg dafür, dass es abermals deutlich besser lief als geplant. Neben der Ermöglichung und Erleichterung der Pflege von Kontakten ins Ausland erwies es sich nämlich immer mehr als der richtige Weg, den Wissensaustausch im Rahmen von hochkarätigen internationalen Fachtagungen voranzubringen. Denn die Mathematik lebt nicht nur von der individuellen Tiefenbohrung einzelner Forscherpersönlichkeiten, sondern mindestens ebenso vom Austausch jenseits der innerfachlichen Spezialisierungen über neue Forschungsfelder, Hypothesen und Resultate. Hierzu heißt es in der Antragsbegründung: „Die Weitergabe und das Reifen mathematischer Ideen bedürfen einer besonderen Atmosphäre. Die Aufnahme neuer Gedanken kann nicht spontan erfolgen; das einem Vortrag nachfolgende, sich oft über Tage hinziehende Gespräch ist von größter Bedeutung.” Der heute etablierte Tagungsrhythmus mit 51 einwöchigen Tagungen pro Jahr mit jeweils ca. 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist sichtbarer Ausdruck dieses enormen Entwicklungstempos, das die Mathematik in Deutschland mit „Oberwolfach” aufgenommen hat. So überrascht es nicht, dass dem Vorbild „Oberwolfach” bald auch Institutsgründungen in anderen Ländern gefolgt sind. Hier nenne ich nur das „Centre International de Rencontres Mathématiques”, das 1981 in Luminy bei Marseille gegründet worden ist, das 1988 in St. Petersburg errichtete „Euler-International Mathematical Institute” und das „Mathematical Research Conference Center”, 2001 in Będlewo bei Posen eingerichtet. Auch von dieser Entwicklung kann man mit Flexner sagen: „What has happened is not exactly what I planned but is much better than I planned”. Heute ist das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach ein fester Bestandteil der Leibniz-Gemeinschaft und eine etablierte Institution in der deutschen und internationalen Wissenschaftslandschaft. Es ist schön zu sehen, dass die VolkswagenStiftung an wichtigen Stationen dieser Entwicklung als Förderin beteiligt war. Das Institut hat die Stiftung 31 immer wieder überrascht und erfreut, weil vieles eben deutlich besser gelaufen ist als geplant. Ein Phänomen, das in der heute eingespielten, vor Exzellenzbekundungen und Superlativen strotzenden Antragsrhetorik immer seltener zu beobachten ist. Dem Institut wünsche ich zu seinem 75. Geburtstag, dass es seine Strahlkraft noch lange behalten möge und auch weiterhin die Quelle von vielen guten Ideen, Anstößen und Impulsen für die Mathematik bleiben wird. Und wenn sich von manchem hier in Oberwolfach gefassten Plan zeigen sollte, dass er zunächst nicht so läuft wie gedacht, dann soll er wenigstens – wie in Princeton – am Ende besser laufen als geplant. Spatenstich zum Erweiterungsbau der Bibliothek am 22.5.2006. Von links: Klaus Tschira (Klaus Tschira Stiftung), Franz Dettenwanger (VolkswagenStiftung), Architekt Ludwig Harter, Gert-Martin Greuel (damaliger Direktor des MFO), Matthias Schenek (MWK Baden-Württemberg), Willi Jäger (GMF), Oberwolfachs damaliger Bürgermeister Jürgen Nowak, Markus Huber (Baufirma Doll), Jürgen Lehn und Joachim Heinze (Oberwolfach Stiftung). Foto: MFO 32 Grußwort Beate Spiegel Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung Liebe Festgäste, ich hoffe, Sie sehen mir nach, dass ich Sie nach der gemeinsamen Pause nun etwas informeller begrüße. Ich sehe heute viele Menschen im Publikum, die mit der Klaus Tschira Stiftung verbunden sind und die ich im Laufe meiner über 20jährigen Tätigkeit für die Stiftung kennen gelernt habe. Gemeinsam ist allen, dass wir – mehr oder weniger – über die Mathematik miteinander in Kontakt kamen. Sei es über die Zusammenarbeit beim Heidelberg Laureate Forum, zu dem die Klaus Tschira Stiftung Ende September zum siebten Mal die weltbesten Mathematiker und Informatiker einlädt. Sei es im Rahmen von Forschungsprojekten, die wir gefördert haben oder fördern. Oder auch im Zusammenhang mit unserem KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation, bei dem einer von sieben Preisen für die anschauliche Beschreibung der eigenen Doktorarbeit im Fach Mathematik ausgeschrieben ist. Mit dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach verbindet mich unter anderem die Liebe zu Büchern. Damit habe ich sicher mit vielen von Ihnen etwas gemeinsam. Bücher sind mir immer so wichtig gewesen, dass ich meine Bücher bis heute auch ungern ver- Foto: MFO leihe. Ich würde tatsächlich sagen: Viele meiner Bücher sind gute Freunde von mir. Und Freunde verleiht man ja auch nicht. Man „spricht” mit ihnen, man hört auf Ihren Rat, man lässt sich von ihnen inspirieren. Genauso ist es mit guten Büchern. Über das, was ich in Büchern gelesen habe, komme ich ins Gespräch mit anderen Menschen. Ich tausche mich mit anderen über ein Thema oder das Buch selbst aus, nehme teil an der Gedankenwelt meines Gegenüber und überwinde Grenzen. Und eben dies passiert im MFO, wenn sich Mathematiker in die Bücher der Bibliothek vertiefen: Das Gelesene inspiriert sie, regt zum Weiterdenken an und auch zum Austausch mit anderen Menschen. Und weil es so wichtig ist, dass Bücher und Menschen gemeinsam einen guten Ort haben, hat die Klaus Tschira Stiftung gemeinsam mit der VolkswagenStiftung die Bibliothek des MFO ausgebaut, wie schon mehrfach erwähnt wurde. „Wir freuen uns, unseren Gästen eine der weltweit besten mathematischen Bibliotheken zu 33 bieten,” schreibt das MFO auf seiner Website. Und: „Die Bibliothek befindet sich direkt gegenüber des Gästehauses und kann 24 Stunden am Tag benutzt werden.” Man darf jederzeit (ich hoffe allerdings nicht 24 Stunden am Tag) die freundlichen Bibliotheksangestellten um Unterstützung bitten – und man darf sogar Kaufempfehlungen abgeben. Dieser Text hätte Klaus Tschira gefreut. Bücher und Bibliotheken waren seine Leidenschaft. Der Hochschule für Jüdische Studien, die gerade ihr 40-jähriges Jubiläum gefeiert hat, hat er mit seiner Stiftung die Einrichtung der Albert Einstein-Bibliothek ermöglicht. In der Villa Bosch in Heidelberg, wo die Klaus Tschira Stiftung ihren Sitz hat, hat er als erstes Bücher für die Bibliothek ausgesucht. Und von jeder Dienstreise kam er mit Taschen von Büchern für diese oder seine private Bibliothek zurück. Klaus Tschira liebte gute Bücher und gute Texte. Deshalb hat er von Anfang an den KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation auch für das Fach Mathematik vorgesehen. Viele Menschen hielten es für unmöglich, dass ein Mathematiker über seine Doktorarbeit einen verständlichen Artikel schreiben könnte. Aber einer der ersten Preisträger, Armin Fügenschuh, mittlerweile Mathematikprofessor in Cottbus, brachte das Rezept für seinen preisgekrönten Artikel auf eine einfache Formel: Um mit seiner Mathematik Leser zu erreichen, sagte er bei der Preisverleihung, brauche es nur 4 Wörter mit „M”: „Man muss Menschen mögen.” Mitte Juni haben wir die diesjährigen Preisträger des KlarText-Wettbewerbs ermittelt. Leider war kein Preisträger im 34 Fach Mathematik dabei. Daher auch mein Aufruf an Sie: Ermutigen Sie ihre Doktoranden, über ihre Arbeit zu erzählen und sich bei uns zu bewerben. Die nächste Bewerbungsrunde endet am 28. Februar. Man muss Menschen mögen – das trifft auch für die Teilnehmer des Heidelberg Laureate Forums zu. Für das diesjährige HLF haben sich bereits zahlreiche Preisträger des Abelpreises, des Turing Awards, des Nevanlinna-Preises, der Fieldsmedaille angesagt. Jedes Jahr bin ich gerührt davon, mit welcher Hingabe diese Laureaten sich eine Woche mit den jungen Wissenschaftlern aus über 60 Ländern austauschen. Für die Teilnahme am Auswahlverfahren danke ich dem MFO sehr herzlich! Ich kann sagen: Diese Auswahlarbeit lohnt sich. Es sind ganz besondere junge Mathematiker und Informatiker, die sich in Heidelberg treffen. Darunter auch sehr viele Frauen. Ich hoffe sehr, dass wir mit der Zeit auch vermehrt weibliche Preisträger bekommen. Der Anfang ist mit der diesjährigen Abelpreisträgerin Karen Uhlenbeck gemacht! Um die Verbundenheit von Heidelberg und Oberwolfach zu zeigen, habe ich Ihnen als kleines Geschenk ein Bild mitgebracht. Es zeigt den Eingang zur Villa Bosch, dem Sitz der Klaus Tschira Stiftung. Hier arbeiten ebenso wie in Oberwolfach Menschen, die Bücher lieben und Menschen zusammenbringen. Und beides zusammen zum Wohle der Mathematik. Beate Spiegel überreicht Gerhard Huisken ein Bild der Villa Bosch (Foto: MFO). 35 Grußwort Prof. Dr. Dr. h.c. Ursula Gather Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach, Mitglied im Stiftungsrat der Oberwolfach Stiftung Liebe Frau Ministerin Bauer, lieber Herr Staatssekretär Meister, lieber Herr Kollege Huisken, sehr geehrte Fest- und Ehrengäste! 75 Jahre Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach! Als diejenige mit sieben Vorrednern habe ich das Problem, dass nun der Beweis schon erbracht ist, die Vermutung, dass wir heute etwas nicht Wichtiges feiern, dass diese Vermutung konstruktiv, durch Widerspruch und überhaupt ganz zweifelsfrei widerlegt ist. Andererseits gibt mir dies die mich zu beschränken auf die Glückwünsche zum Geburtstag Worte zum Förderverein und zur Stiftung. Möglichkeit, herzlichsten und wenige Oberwolfach Für letztgenannte darf ich die allerbesten Grüße des Vorsitzenden Herrn Schneidawind ausrichten, der sehr gerne heute dabei sein würde, dies aber krankheitsbedingt leider nicht einrichten kann. Ich gehe davon aus, dass ich ihm unser aller liebe Grüße zurück ausrichten kann. 36 Foto: Gerd Fischer Glückwünsche also von Förderverein und Stiftung dem MFO, diesem Juwel unter den mathematischen Forschungsinstituten, diesem großartigen Tagungsinstitut, das weltweit eines der bekanntesten, ausgewiesensten ist, in der Tat Vorbild und Mittelpunkt eines wunderbaren internationalen Netzwerks für die Mathematik. Und Danke möchte ich sagen dafür, dass die Förderer Bund und Land mit der Leibniz-Gemeinschaft das Institut sicher tragen. Sie sorgen für das Große und Ganze; so können sich Förderverein und Stiftung auf kleinere Zahlen beschränken. Unsere zahlenmäßig kleineren Beiträge ermöglichen es dem Institut, zusätzliche wichtige Maßnahmen umzusetzen, die sonst evtl. nicht oder auch nicht so leicht durchführbar wären. Die Zusammenarbeit hierzu mit den Direktoren des Instituts hat uns dabei immer wirklich Freude gemacht. Im Jubiläumsjahr 2019 wollten wir uns noch einmal besonders der Internationalität und der Förderung junger Mathematiker und Mathematikerinnen zuwenden. So haben wir ganz kürzlich im Stiftungsrat beschlossen, dem Institut zusätzlich zu der Summe, die das MFO traditionell jährlich von uns erwarten kann, weitere 20.000 € für 20 Reisestipendien zur Verfügung zu stellen. Diese sollen jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus solchen Ländern, die von derartiger Unterstützung besonders profitieren, die Teilnahme an Workshops helfen zu finanzieren. Für dieses Geschenk habe ich keine Schleife, überbringe es aber mit Dank an unsere Mitglieder, Spender und institutionellen Förderer von Förderverein und Stiftung. Foto: MFO Danken möchte ich gerne zudem allen, die sich in Politik, in Gremien, hier in der Verantwortung vor Ort, allen Beschäftigten und Ehrenamtlichen für das MFO einsetzen. Auch meinem Vorgänger im Vorstand des Fördervereins, Reinhold Remmert, schicke ich ein Danke in den heute so blauen Himmel. Viele Jahre hat er sich mit Herzblut für das Institut engagiert. So gibt es das MFO, dieses wirkliche Juwel in und für die mathematische Forschung, weil seit 75 Jahren sehr viele Menschen mit großen und mit kleinen Bausteinen ständig zu seiner Fortexistenz beitragen. Förderverein und Stiftung wollen das gerne auch in Zukunft weiter tun, und heute mit Freude diesen Geburtstag mit Ihnen begehen. 37 Foto: Cédric Villani Videobotschaft Hi Gerhard, hello my friends, Transkript durch Tatjana Ruf (MFO) mit freundlicher Genehmigung von it’s so sorry for me that I can’t be in beautiful Oberwolfach today to celebrate our beautiful common house, but due to the hectic political life I really had to cancel my participation. Prof. Dr. Cédric Villani Député à l‘Assemblée Nationale 38 Let me say that Oberwolfach has been a part of my scientific life. I remember to this day very well the excitement with which I discovered this place, the pleasure with which I came back year after year, how important it was to me. There was a time in which the most beautiful place in the world for me was the library in Oberwolfach. All the books – so encouraging, beautiful. The grand piano. The connection, all the discussions. Everything that I needed! So beautiful! Foto: MFO Oberwolfach is a place that is unique of its kind. When there was the movie by Olivier Peyon some years ago – in France “Comment j‘ai détesté les maths” (How I came to hate math) – and he was doing his reporting going to Hyderabad for the ICM, going here and there, in Highschools et cetera, I told him: “You have to go to Oberwolfach if it’s a movie about mathematics, otherwise your work will not be complete.” And so he came and there were some beautiful shootings in Oberwolfach with beautiful snow. So, all this is to say that it’s such an important place in my heart and such an important place for the whole community. Oberwolfach is one of these institutes that have magical power to bring people together, to generate important conversations, to be part of our careers as mathematicians and to be part of the careers of ideas. With some testimonies of history, like these books with the problems in the writing of Paul Erdős, like all the compte-rendus of the workshops and so on, this is a place like no one else. We have to cherish it, we have to protect it, we have to improve it. Gerhard, it has been a pleasure to see you taking such great care of our beautiful institute, which is for the whole community. I wish you and all the people who have Oberwolfach in their heart a beautiful celebration, which is a celebration of mathematics as well. Bye bye, enjoy! 39 Grußwort Prof. Dr. Klaus Hulek Vizepräsident der Deutschen MathematikerVereinigung, Mitglied im Stiftungsrat der Oberwolfach Stiftung mit den für die Entwicklung der Mathematik in Nachkriegsdeutschland so wichtigen Besuchen von Henri Cartan und seinen jungen französischen Schülern und Kollegen wie Jean-Pierre Serre, René Thom und Alexander Grothendieck, wurde oft erzählt. Dies will ich nicht im Liebe Anwesende, es freut mich sehr, dass ich die Grüße und Glückwünsche der deutschen Mathematiker Vereinigung (DMV) zu diesem Jubiläum überbringen darf. Normalerweise tut dies natürlich der Präsident einer Vereinigung. Doch hat Herr Götze, unser Präsident, heute als Vorsitzender der Gesellschaft für Mathematische Forschung hier eine andere Rolle zu spielen, und daher obliegt es mir als Vizepräsidenten diese Glückwünsche zu überbringen. In diesen Tagen werden viele Gedenktage begangen, denken Sie nur an die 100-jährige Wiederkehr des Versailler Vertrags. Ein 75-jähriges Jubiläum ist allerdings selten, verweist dies doch in das Jahr 1944 – kaum ein Jahr bei dem man an Gründungen denkt derer wir heute mit Freuden gedenken können. Das erstaunliche – und eigentlich ist es ein Wunder – ist, dass aus der Gründung dieses Instituts, welches ja der Kriegsanstrengung dienen sollte, eine Einrichtung geworden ist, die in geradezu exemplarischer Weise ein Symbol für die zuerst deutsch-französische und später europäische und internationale Versöhnung in der mathematischen Gemeinschaft wurde. Die Geschichte der ersten Jahre, 40 Foto: MFO Einzelnen wiederholen. Dennoch ist es immer wieder wert, sich dieser Entwicklung zu erinnern. Gerade die Familie von Henri Cartan hat ja im Krieg schwer gelitten. Sein eigener Bruder hatte sich der Résistance angeschlossen und war von den Nazis nach Deutschland verschleppt und 1943 ermordet worden. Die Besuche der französischen Kollegen am Anfang der Geschichte von Oberwolfach stehen exemplarisch für internationale Aussöhnung, aber auch für den Wunsch zu einem freien internationalen Austausch, Ziele die in den letzten Jahren leider weniger selbstverständlich geworden sind als dies nach 1989 möglich schien. Gerade vor diesem Hintergrund begrüße ich es außerordentlich, dass sich das MFO vermehrt um Reisestipendien für jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, nicht zuletzt aus weniger privilegierten Ländern, bemüht. Das MFO steht heute nicht mehr allein. Nach seinem Vorbild wurden Institute in verschiedenen Ländern gegründet, etwa in Luminy (Frankreich), Będlewo (Polen), Banff (Kanada), Oaxaca (Mexiko) oder San Ya (China). Dies bedeutet natürlich auch eine vermehrte Konkurrenz für das hiesige Institut. Jedoch: Oberwolfach ist und bleibt der Goldstandard und deswegen mache ich mir auch keinerlei Sorge um Oberwolfach in diesem Wettbewerb. Als mathematische Gemeinschaft in Deutschland sind wir stolz auf das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach! Herzlichen Glückwunsch an das MFO zu seinem 75-jährigen Bestehen und alles Gute für die kommenden 75 Jahre! 41 und in der gemeinsamen Entwicklung von Ideen im Gespräch (...) Foto: Kay Herschelmann/BMS Grußbotschaft Prof. Dr. Günter M. Ziegler Präsident der Freien Universität Berlin Das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach betreibt für die Öffentlichkeit „drunten im Dorf” in Oberwolfach das kleine aber feine Museum für Mineralien und Mathematik (MiMa). Zu sehen ist eine Doppelausstellung über Muster und Strukturen in der Mathematik sowie über Kristalle und Edelsteine. Die beiden Themen passen sehr gut zusammen, weil in den Kristallen wunderbare Mathematik steckt, aber auch weil das Forschungsinstitut selbst ein Juwel ist: Das Institut in Oberwolfach ist ein Paradies der mathematischen Forschung, ein gefährdetes Paradies. Die wöchentlichen Workshops am Institut sind ein wichtiger Bestandteil mathematischer Grundlagenforschung: die Erfolge liegen im Austausch 42 Oberwolfach ist kein Konferenzzentrum: die Tagungen dort sind Workshops, und Matthias Kreck, der Direktor, legt viel Wert darauf, daß die Betonung auf Work liegt. („Keine Zeit gehabt für die Bibliothek” heißt für passionierte Oberwolfach-Fahrer, daß die Woche kein Erfolg war.) Dabei ist die Auswahl an Oberwolfacher Arbeits-Formaten in den letzten Jahren breiter geworden. Zu den Workshops und den bewährten DMVSeminaren hat sich das RiP-Programm gesellt (...) Der Erfolg des Instituts steht außer Zweifel, nach 50 Jahren seines Bestehens ist der Name Oberwolfach ein Kürzel geworden, auf das sich verschiedenste Nachahmer-Projekte berufen. Aber nicht jeder Tagungsort, an dem Vortragsprogramme erst am Vorabend festgelegt werden, und an dem die Tischkarten für jedes Essen neu gemischt werden, ist deshalb schon „ein zweites Oberwolfach”. Schlussfolgerung: Wir müssen hoffen und Sorge tragen, daß das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach auf Dauer zur Verfügung steht. So habe ich in den Mitteilungen der DMV 4/1998 über Oberwolfach berichtet, anlässlich der Gründung der Oberwolfach-Stiftung, die damals, zu Zeiten einer prekärer werdenden Finanzsituation, als wichtiger finanzieller Anker für noch schlechtere Zeiten eingerichtet wurde. Das Institut lag mir schon zu jener Zeit am Herzen: „Kein Imaginärer Ort. Inauguration der Oberwolfach-Stiftung” war mein erster eigener Beitrag in den Mitteilungen, die ich ab 1997 als Herausgeber betreut habe. Dass ich als Herausgeber selbst über Oberwolfach geschrieben habe, zeigt: Das war mir wichtig. Damals glaubte ich, Oberwolfach schon gut zu kennen: Im Januar 1986 war ich das erste Mal da gewesen. Die Einladung zu einem Workshop über Kombinatorik, als junger Doktorand am M.I.T., der noch nicht viel „vorzuweisen” hatte, war für mich ein großes Glück. Die Chance habe ich wohl gut genutzt, um zu lernen, zu diskutieren, Probleme und Methoden kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen – und um diesen magischen Ort zu erleben! Schon von meinen ersten Aufenthalten in Oberwolfach erinnere ich mit Freude die vielen Stunden, abends und frühmorgens, die ich in der Bibliothek verbracht habe. Bei jedem neuen Besuch habe ich die Regale mit den neuen Zeitschriften durchstöbert, immer auf der Suche nach Aufsätzen zu Themen und Problemen, die mich interessierten, oder zu Methoden, die nützlich sein könnten. Noch mehr Faszination übte das Neue-Bücher-Regal aus: Nur sehr selten ließ ich mich von dort zum Billard-Tisch weglocken. In den 33 Jahren seit 1986 habe ich Oberwolfach immer besser kennengelernt. Ich war sehr oft da, wohl auf rund 20 Workshops als Teilnehmer und später auch als Organisator, auf einigen DMV-Seminaren als Dozent, und für zwei Research in Pairs (RiP)-Aufenthalte. Insgesamt habe ich in Oberwolfach mehr als ein halbes Jahr verbracht – und bin Oberwolfach unendlich dankbar dafür. Währenddessen hat sich Oberwolfach auch verändert. Oberflächlich, als etwa die RiP-Auf- enthalte dazukamen und die DMV-Seminare umbenannt wurden in Oberwolfach-Seminare. Finanziell, durch Aufnahme in die LeibnizGemeinschaft, was auch eine langfristige Sicherung der Finanzierung des Instituts durch Bund und Länder bedeutete. Dadurch, dass es irgendwann dann doch WLAN gab (Fernseher gibt es wohl immer noch nicht). Und mehrfach durch Umbau und Erweiterung des Bibliotheksgebäudes – mit dem neuen Musikzimmer und mit dem neuen Bibliotheksflügel, der mit nachdrücklichem persönlichem Engagement und großzügiger Unterstützung durch Klaus Tschira und durch Wilhelm Krull (VolkswagenStiftung) entstand – eine großartige Erweiterung, architektonisch gelungen in den Hang hinein gebaut, die auch wunderbare Arbeitsplätze ergab mit Ausblick ins Tal. Der Anbau war zunächst für die Zeitschriften gedacht, aber als die gedruckten Zeitschriften an Bedeutung verloren, haben die Bücher die besten Plätze übernommen, und die Zeitschriften gingen in eine compact storage. Ganz behutsam, ohne Revolutionen, aber mit strategischen Investitionen, hat sich so die Bibliothek neu aufgestellt: So bleibt sie für mich persönlich die schönste, beste, ruhigste und inspirierendste Mathematik-Bibliothek der Republik und weit darüber hinaus. Wie das Institut strahlt auch seine Bibliothek in die Welt und unterstützt entscheidend die Forschung internationaler Gäste. Irgendwann war ich dann nicht mehr nur Gast in Oberwolfach, sondern kam in den „intellektuellen Maschinenraum”, wo das wissenschaftliche Programm nicht nur geplant, sondern auch befeuert wird, zunächst als Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission, schließ43 lich auch als deren Vorsitzender. Da habe ich die besondere Qualität von Oberwolfach ganz anders und viel besser verstanden. Ich habe erfahren können, dass die herausragende Qualität der Workshops kein Zufall war, sich auch nicht von selbst ergab, sondern aus dem jährlich neuen Ringen der Wissenschaftlichen Kommission um Workshop-Anträge, aus der Diskussion um Themen, über die antragstellenden Organisatorinnen und Organisatoren und aufgrund von überzeugenden oder eben nicht so überzeugenden Schwerpunktsetzungen und Einladungslisten. Das waren faszinierende Diskussionen zwischen sehr unterschiedlichen Top-Mathematikerinnen und -Mathematikern, immer auf Augenhöhe, manchmal wurde ernsthaft gestritten, aber immer produktiv. Sie spiegeln das Ringen um Themen mathematischer Forschung, um Entwicklungen, neue Trends und Perspektiven und gleichzeitig um solide Methodenfundamente. Aus all diesen Perspektiven – als Teilnehmer, als Organisator, als Kommissionsmitglied – ist Oberwolfach ein Schatz, ein Kristall, der, je nachdem aus welcher Richtung man ihn anstrahlt, auf ganz unterschiedliche Weise leuchtet ... Als Mathematiker, als ehemaliger Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung und als aktuelles Mitglied des Executive Committee der International Mathematical Union gratuliere ich nun dem Mathematischen Forschungsinstitut Oberwolfach zum 75. Gründungsjubiläum. Zugleich danke ich allen in Oberwolfach, dem Direktor und seinen Vorgängern mit ihren Teams, den Wissenschaftlichen Kommissionen der letzten Jahrzehnte, aber auch dem Haus44 meister, dem Büro, den Bibliothekarinnen, der Küche und dem Zimmerservice. Ich danke all jenen, die nie große Auftritte hatten, aber im Hintergrund dazu beigetragen haben, dass dieser Edelstein der Mathematik, das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach, aus so vielen Perspektiven glänzt und strahlt. Vielen Dank! Günter M. Ziegler (2. von rechts) bei einem Treffen der Wissenschaftlichen Kommission der GMF im Jahr 2016 (Foto: MFO) 45 Grußbotschaft Matthias Bauernfeind Bürgermeister der Gemeinde Oberwolfach 75 Jahre Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach – 75 Jahre die Welt zu Gast im Schwarzwaldidyll. In einer finsteren Zeit in der deutschen Geschichte wurde ein neuer Standort für die Unterbringung des Freiburger Mathematischen Instituts gesucht. Einer der Augenmerke war es, dass es sich hier um einen nicht so besonders „luftgefährdeten Ort” handeln sollte. Die Entscheidung fiel auf das „Schlößle” in Oberwolfach auf dem Gelände des Lorenzenhofs. Für die Gemeinde Oberwolfach sollte sich das in den letzten 75 Jahren als besonderer Glücksfall herausstellen. Als Bürgermeister der Gemeinde kann ich, wie all meine Vorgänger, nur bestätigen, dass die Entwicklungen des Mathematischen Forschungsinstituts und das Renommee Oberwolfach in der Welt strahlen lassen. Viele Generationen an weltweit bekannten Mathematikern haben in Oberwolfach getagt und geforscht. Die gute Schwarzwaldluft, die Ruhe, die Nähe zur Natur, viele kleine Bausteine die auch zu den guten Ergebnissen der Tagungen führen. Oberwolfach – ein Ort mit dem jeder Mathematiker auf der Welt etwas anfangen kann. Der Ruhm und die Anerkennung dieser Arbeiten strahlt auch auf Oberwolfach ab. In Fachkreisen ist Oberwolfach fest mit Mathematik 46 Foto: Rathaus Oberwolfach und dem Forschungsinstitut verbunden. Auch dadurch hat sich unsere kleine Schwarzwaldgemeinde weltweit einen Namen gemacht. Das Mathematische Forschungsinstitut ist auch ein sehr beliebter und geschätzter Arbeitgeber. Von den wissenschaftlichen Beschäftigten über die Verwaltung bis hin zur Hauswirtschaft – viele Männer und Frauen der Region sind und waren hier tätig. Manch ein Beschäftigter durfte hier in Oberwolfach dank des Forschungsinstituts eine neue Heimat finden. Auch bei der Verpflegung der Gäste wird großer Wert auf die Erzeugnisse unserer Region gelegt. Die Wertschöpfung bleibt in der Region, somit ist auch in Sachen Nachhaltigkeit das Mathematische Forschungsinstitut schon seit vielen Jahrzehnten in einer Vorreiterrolle. Als verlässlicher Partner engagiert sich das Mathematische Forschungsinstitut als einer von drei Trägern des MiMa – Museum für Mineralien und Mathematik. Im historischen Hofbauernhof im Zentrum des Ortsteils Oberwolfach-Kirche wurden zwei scheinbar verschiedene Themenbereiche miteinander vereint. Neben dem touristischen Schwerpunkt „Bergbau und Mineralien” kann den Gästen unserer Gemeinde auch ein kleiner Einblick in die vielfältige Arbeit des Mathematischen Forschungsinstituts gewährt werden. Somit wird die Arbeit nicht nur in Fachkreisen, sondern auch für eine breite Masse bekannt. In zahlreichen Büchern, Zeitschriften und in den digitalen Medien wird auf der ganzen Welt immer wieder Bezug auf das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach genommen. Vom Roman über Kinderbücher und touristischen Beiträgen bis zum Fachaufsatz. Oberwolfach ist ein fest mit dem Mathematischen Forschungsinstitut verbundener Begriff. Dies ist nicht nur „auf dem Papier” so, sondern ein Zusammenhalt der tagtäglich bei uns im Wolftal gelebt wird. Ich persönlich bin froh, dass sich das Mathematische Forschungsinstitut in den letzten 75 Jahren so gut entwickelt hat. Ich wünsche allen Personen, die für das MFO Verantwortung tragen, dass sich diese Entwicklungen auch noch viele Jahrzehnte fortsetzen und das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach seine Strahlkraft in die ganze Welt hinaus behält. Der Blick vom Institut in den Oberwolfacher Ortsteil Walke, Winter 2015 (Foto: Michael Joswig) 47 Das Institut im Herbst 2016 (Foto: Gerd Fischer) Festvortrag Transkript durch Tatjana Ruf (MFO) mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Stefan Müller Universität Bonn Sehr geehrte Frau Ministerin Bauer, sehr geehrter Herr Staatssekretär Meister, liebe Freunde und Unterstützer des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach, es ist wirklich eine große Ehre für mich, zum 75. Geburtstag des MFO zu Ihnen sprechen zu dürfen. Oberwolfach hat mich schon zu meiner Studienzeit begleitet und mich in meinem mathematischen Leben geprägt, wie vielleicht keine andere Einrichtung. Ich war inzwischen mehr als 50mal hier, nicht nur zu Tagungen sondern auch zu Sitzungen, aber es ist trotzdem immer noch ein magischer Ort für mich. Wenn ich von Hausach komme und zum ersten Mal das Institutsgebäude sehe, dann tauche ich in eine andere Welt ein. Alles andere ist zwar nicht völlig verschwunden, aber auf einmal sind andere Dinge wichtig – die Dinge für die mein wissenschaftliches Herz brennt. Es gibt natürlich sehr vieles, was man zu diesem Jubiläum sagen könnte und vieles haben meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits gesagt. Ich habe mich entschlossen weitgehend eine persönliche Perspektive einzunehmen und zunächst etwas zu meiner Begegnung mit dem Institut zu sagen und anschließend zu der Forschung, die hier für mich initiiert wurde. 50 Foto: MFO Zum ersten Mal hörte ich 1985 auf einem DMV-Seminar in Turnau von Oberwolfach. Die DMV-Seminare wurden 1979 von Gerd Fischer, dem damaligen Präsidenten der DMV, angestoßen. Heute sind daraus die Oberwolfach Seminare geworden, die auch in Oberwolfach stattfinden. Damals fanden sie noch an unterschiedlichen Orten statt. Es war ein Seminar über hyperbolische Erhaltungssätze. Ich war Student in Bonn. Auch eine ganze Reihe Doktoranden und Assistenten nahmen an dem Seminar teil und bei einer Wanderung hörte ich davon, dass es im Schwarzwald einen ganz besonderen Ort für die Mathematik gebe. Jede Woche fänden dort tolle Workshops statt, bei denen die Besten der Welt vortragen, aber es sei ungeheuer schwer, dort hinzukommen. Man könne nicht einfach teilnehmen, man müsse eingeladen werden und wenn man eingeladen würde, dann dürfe man auf keinen Fall absagen, sonst würde man nie wieder eingeladen. Später habe ich erfahren, dass das zum Glück nicht ganz so streng ist, aber es wird natürlich registriert, wer die Einladung annimmt und wer nicht. Ich wollte unbedingt da hin, aber zunächst sah es ziemlich aussichtslos aus. Doch ich wurde überrascht: Weniger als ein Jahr später bekam ich plötzlich eine Einladung nach Oberwolfach. Willi Jäger und John Ball organisierten einen Workshop zur nichtlinearen Elastizitätstheorie. Ich durfte dabei sein und sogar einen Vortrag halten. Als ich damals das erste Mal nach Oberwolfach kam, war ich einfach überwältigt. Alles war offen, alles war frei. Man konnte sich überall bedienen und einfach etwas in kleine Kassen hinterlegen oder anschreiben. Man saß lange mit allen zusammen, sprach über Mathematik und über andere Dinge. Der Empfang war ungeheuer freundlich. Jeden Tag gab es selbstgebackenen Kuchen. Außerdem gab es diesen geheimen Algorithmus mit den Servietten, so dass man beim Essen immer mit anderen zusammentraf. Auf diese Weise habe ich bereits als junger Mensch sehr viele Leute kennengelernt, die ich andernfalls nicht einfach angesprochen hätte. Der Schwarzwald hat mich begeistert, die Wanderung nach St. Roman und die Spaziergänge, bei denen man über Mathematik gesprochen hat. Die Bibliothek war überwältigend. Man konnte sie 24 Stunden pro Tag benutzen. Das kannte ich überhaupt nicht. Man brauchte keine Zettel auszufüllen, man konnte die Bücher und die Zeitschriften einfach aus den Regalen nehmen und lesen. Das war wirklich fantastisch. In Oberwolfach habe ich Mathematiker, deren Arbeiten ich gelesen hatte, zum ersten Mal persönlich kennengelernt. Es gab viele Diskussionen und besonders interessant war: Die Stars blieben von Diskussionen und Eintrag ins Oberwolfacher „Book of Abstracts” von Stefan Müller aus dem Jahr 1986 (Quelle: MFO) Kritik nicht verschont. Wenn es zu einem Vortrag Kritik oder Fragen gab, dann wurde das klar ausgesprochen. Das war für mich, als jemand, der gerade begann, sehr interessant. Auf meiner ersten Tagung in Oberwolfach sind Verbindungen entstanden, die mein ganzes Leben gehalten haben. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Bob Kohn, vom legendären Courant-Institut, an dem eigentlich alle meine akademischen Lehrer wichtige Zeit verbracht 51 haben, hat mich gefragt, ob ich mich für eine Promotion dort bewerben will. Ich habe das dann zwar nicht getan, aber als ich später als Postdoc in die USA ging, habe ich angefangen mit Bob Kohn zu arbeiten und diese Zusammenarbeit geht bis heute weiter. Einige meiner schönsten Arbeiten sind mit ihm gemeinsam entstanden. Außerdem habe ich hier natürlich Willi Jäger kennengelernt, der mir unendlich viele wissenschaftliche Anregungen gegeben hat und auch manch anderen sehr guten Rat. Viele Einzelheiten meines ersten Besuchs sind mir noch sehr präsent und das scheint kein Zufall zu sein. Ich habe, um diesen Vortrag vorzubereiten, mit einer Reihe von Mathematikern und Mathematikerinnen unterschiedlichen Alters gesprochen und es konnten mir eigentlich alle sofort sagen, wann sie zum ersten Mal in Oberwolfach waren, was sie dabei erlebt haben und dass auch sie hier Kontakte geschlossen haben, die ihr ganzes Leben geprägt haben. Inzwischen war ich zu mehr als 40 Workshops hier, ich durfte auch einige leiten, aber die Aura ist immer noch gleiche, die Faszination ist die gleiche. Wie Cédric [Villani] bereits gesagt hat: Dieser Ort hat in gewisser Weise magische Kräfte, die natürlich auch darauf beruhen, dass viele Leute sehr viel harte Arbeit leisten, damit die Bedingungen hier so fantastisch sind. Die nächste Überraschung aus Oberwolfach kam 1994. Ich hatte gerade meine erste Stelle in Freiburg angetreten, da meldete sich Matthias Kreck, der kurz vorher Direktor von Oberwolfach geworden war, zu einem Besuch an und fragte mich, ob ich nicht sein Stellver52 treter werden möchte. Ich war zunächst völlig überrascht und fühlte mich eigentlich völlig überfordert. Oberwolfach stand ja für die gesamte Mathematik. Wie sollte ich als ganz junger Mensch das abdecken? Aber der Charme von Matthias Kreck und von Oberwolfach haben natürlich gewonnen und ich habe zugesagt. Für mich war dieser Blick von innen, zu sehen wie Forschung funktioniert, ungeheuer wichtig. Besonders beeindruckt war ich von der Arbeit der Wissenschaftlichen Kommission, die aus 20 bis 25 Mathematikern besteht und über das Herzstück des Instituts, das wissenschaftliche Programm, entscheidet. Ich hatte mir das im Vorfeld so vorgestellt: Wahrscheinlich wird jeder versuchen, möglichst viele Tagungen aus seinem eigenen Fachgebiet durchzudrücken und nach einigem Gerangel wird man sich dann schließlich irgendwie einigen. Aber es war das genaue Gegenteil. Ich hatte oft den Eindruck, dass die Kommissionsmitglieder in ihren fachnahen Themen viel strenger waren als bei anderen. Zum Einen wollte sich niemand blamieren und vielleicht eine Tagung vorschlagen, die dann möglicherweise doch nicht ganz dem erwarteten Niveau von Oberwolfach entsprach. Zum Anderen glaube ich, dass es einen gemeinsamen Spirit gab: Man wollte einfach das Beste für diesen Ort finden – die interessantesten Themen, die interessantesten Tagungsleiter. Man war auch bereit in Konflikte zu gehen, wenn man fand, dass eine Tagung zwar gut war, aber vielleicht mal durch ein neues Team geleitet werden sollte. Das waren Erfahrungen in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung, die mich geprägt haben. Leider funktionieren nicht alle akademischen Gremien so, doch für mich war Oberwolfach immer ein Vorbild und eine Richtschnur dafür, wie es sein kann, wenn eine echte Begeisterung vorhanden ist. Ich glaube, Oberwolfach hat auch einen gewissen Anteil daran gehabt, dass ich 1996 – inzwischen war ich an der ETH in Zürich – nach Deutschland zurückgekommen bin, an das neugegründete MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften. Finanziell hatte Oberwolfach damals eine schwere Zeit. Das Geld war knapp und wir wussten oft nicht, wieviel Geld wir eigentlich im Lauf des Jahres zur Verfügung haben würden. Manchmal kam erst im Herbst das endgültige Budget. Aber wir erfuhren auch eine ungeheure Unterstützung, sowohl aus der deutschen als auch der internationalen mathematischen Gemeinschaft und darüberhinaus. Wenn wir wirklich nicht mehr wussten, wie wir eigentlich die Bibliothek finanzieren sollten, dann tat sich eben doch noch eine Tür auf. Die Not machte außerdem erfinderisch. Matthias Kreck hat eine Reihe neuer interessanter Programme angeschoben, z.B. das Research in Pairs Programm. Dieses verdankten wir zunächst der VolkswagenStiftung, doch später hat auch das Land erkannt, dass dies ein hervorragendes Programm ist, und hat sich bereit erklärt, die Finanzierung zu übernehmen. Die Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft war ein neuer Schritt, der neue Strukturen erforderte. Inzwischen war meine Amtszeit als stellvertretender Direktor abgelaufen. Die Wissenschaftliche Kommission blieb natürlich erhalten. Zusätzlich gab es nun einen Wissenschaftlichen Beirat. Ich wurde gefragt, ob ich dort Mitglied werden würde und ich habe na- türlich gerne zugesagt. Das war nochmals eine neue Erfahrung von Wissenschaftsverwaltung und ich konnte mit tollen Mathematikern und Mathematikerinnen zusammenarbeiten: Mit Gert Faltings, dem damals einzigen deutschen Fields-Medaillisten, mit Ingrid Daubechies, zu der ich gleich noch ein paar Worte sage, oder auch mit Frances Kirwan, die inzwischen den berühmtesten Geometrie-Lehrstuhl in Oxford innehält. Es war beeindruckend mitzuerleben, dass selbst Leute aus den USA für 36 Stunden Meeting nach Oberwolfach anreisten und direkt danach wieder zurückflogen, weil sie andere Verpflichtungen hatten. Das hatte ich so auch noch nicht erlebt. Das war meine persönliche Prägung durch Oberwolfach. Nun möchte ich auch einen Teil der Forschung vorstellen, die Oberwolfach für mich inspiriert hat und ich entschuldige mich bei den Mathematikern, wenn ich sozusagen einfach meinen eigenen Interessen folge. Natürlich deckt Oberwolfach das gesamte Spektrum der Mathematik ab, aber es ist in gewisser Weise sinnlos darüber zu sprechen, insbesondere vor einem so breiten Publikum. Ich möchte über eine Entwicklung sprechen, die sich Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre auftat. Damals zeichnete sich ab, dass es durch neue Entwicklungen sowohl in der Mathematik als auch in den Materialwissenschaften neues Potenzial für Interaktion gab, die für beide Seiten fruchtbar sein könnte. Was wäre ein besserer Ort, um so etwas voranzutreiben als Oberwolfach? Und so haben John Ball, Dick James und ich eine Reihe von Anträgen auf Workshops mit dem Titel „Partial Differential Equations & Materials” gestellt. Die Idee lau53 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung „PDE & Materials” im Jahr 2003 (Foto: MFO) tete: Neue Materialien durch Mathematik. Die Vorgehensweise der Materialwissenschaften war in der Vergangenheit zwar sehr erfolgreich gewesen, aber in gewisser Weise auch stark von Versuch und Irrtum getrieben. Wir fragten uns: Kann man zumindest neue Anregungen geben, wo man nach Materialien mit neuen Eigenschaften suchen kann, indem man versucht gewisse zentrale mathematische Konzepte zu abstrahieren? Farben, die man auf dem Bild sieht, sind die unterschiedlichen Kristallstrukturen. Das Bild wurde unter polarisiertem Licht aufgenommen, das je nach Kristallstruktur anders bricht und anders gedreht wird, und somit kann man die Strukturen in Falschfarbenoptik sichtbar machen. Fast kein Material ist homogen. Alle haben eine interne Mikrostruktur, die das Verhalten ganz entscheidend prägt. Die Frage ist: Kann man diese Strukturen vorhersagen, kann man sie beeinflussen, kann man damit Materialeigenschaften steuern? Abbildung 1 zeigt eine Metalllegierung. Sie bildet Kristalle, regelmäßige Anordnungen. Die 54 Abbildung 1: Metalllegierung (Quelle: Richard D. James) An diesem Material ist interessant, dass es einen sogenannten Fest-fest Phasenübergang gibt, d.h. nicht einen Übergang zwischen fest und flüssig, sondern einen Übergang zwischen zwei unterschiedlichen Kristallstrukturen. Bei hoher Temperatur hat das Material eine kubische Struktur, ein würfelmäßiges Gitter. Unterhalb einer gewissen kritischen Temperatur wird eine Achse des Würfels gestreckt und die anderen beiden schrumpfen Martensit Austenit Adolph Karl Gottfried Martens Sir William Chandler Roberts-Austin θc θ Strukturen und deshalb ist das Material bei niedriger Temperatur flexibel. Bei hoher Temperatur gibt es nur eine mögliche Kristallstruktur und deshalb springt das Material in eine vorgegebene Struktur zurück. Dieses Verhalten setzt man in der Medizin z.B. bei Stents ein. Bei niedriger Temperatur kann man Stents knüllen und so in die Arterie einbringen. Bei Körpertemperatur entfalten sie sich dann in die Form, die vorher einprogrammiert wurde. Phasenübergänge sind immer dann besonders interessant, wenn sie mit anderen Eigenschaften, wie magnetischen oder elektrischen Eigenschaften koppeln. Auch in diesem Bereich haben diese Materialien die stärksten Kopplungskoeffizienten. Temperatur è Änderung der Kristallstruktur ohne Diffussion: Abbildung 2: Martensitischer Phasenübergang, Fest-fest Phasenübergang (Quelle: Stefan Müller) Es gibt drei Möglichkeiten, wie das passieren kann. Bei niedriger Temperatur hat man deshalb drei unterschiedliche Phasen, bei hoher Temperatur hat man nur eine Phase. Der Phasenübergang passiert völlig ohne Diffussion. Er geschieht sehr spontan und mit großer Wucht. Warum ist das interessant? Zunächst einmal handelt es sich um eine Transformation mit großer Verformung und darum auch mit großer Energiedichte. Diese besonderen Materialien können sich um 10% strecken, wodurch eine sehr hohe Energie entfaltet werden kann. Außerdem können diese Materialien den sogenannten Gedächtniseffekt realisieren. Bei niedriger Temperatur gibt es viele mögliche Eine neuere Entwicklung, die Dick James sehr intensiv verfolgt, ist der Versuch mit diesen Materialien eine direkte Umwandlung von Wärme in mechanische oder elektrische Energie zu erzielen, also ohne dass man mit der Wärme einen Generator betreibt. Das funktioniert auch bei relativ geringen Temperaturunterschieden und gerade solche Müll-Restwärme hat man in der Regel viel. Selbstverständlich lässt sich der Carnot-Wirkungsgrad nicht schlagen, aber bei Temperaturunterschieden von 40° vs. 20°, womit man noch keine Turbine antreiben kann, könnten diese Materialien sehr interessant sein. Mikrostrukturen sind eine faszinierende Welt. Es gibt ungeheuer viele Formen. Wir fragten uns natürlich: Gibt es ein System dahinter, wie man diese Mikrostrukturen verstehen kann? Lässt sich etwas vorhersagen? Was kann man überhaupt vorhersagen? Man könnte natürlich einfach eine große Simulation auf einem 55 Abbildung 3: Unterschiedliche Formen von Mikrostrukturen (Quelle: Richard D. James) Computer durchführen. Aber was soll eigentlich das Ziel dieser Rechnung sein? Wenn ich z.B. bei der zweiten Struktur aus Abbildung 3 das Experiment nochmal durchführe, dann wird das nicht wieder identisch aussehen. Wodurch aber ist die Struktur charakterisiert? Mathematik ist dazu da, Objekte, Strukturen und Zusammenhänge zu abstrahieren und das ist auch gelungen. Wie kann man das nun für neue Materialeigenschaften nutzen? Mathematisches Modell Ball-James Kontinuierliches Modell, nichtlineare Elastizitätstheorie möglichst minimiert. Da gibt es Barrieren dagegen usw. aber das ist zunächst kein schlechter Ansatz. Mathematisch führt das zu einer Abbildung von einer dreidimensionalen Menge in eine andere dreidimensionale Menge. Da es nur auf die relativen Abstände ankommt, geht der Gradient ein. Somit ergibt sich eine Funktion vom Gradienten, die integriert werden muss: I(u) = ʃΩf(𝛁u)dx Das ist ein klassisches Problem der Variationsrechnung, der Theorie der optimalen Formen, doch diese konkreten Probleme stellten uns vor neue Herausforderungen, für die es so noch keine mathematische Theorie gab. Energielandschaft Freie Energie Minima der Energie T > Tc Ein Energieminimum (Austenit) T < Tc Drei Energieminima (Martensit) Abbildung 5: Energielandschaft (Quelle: Stefan Müller) Abbildung 4: Mathematisches Modell (Quelle: Stefan Müller) Das mathematische Modell, das dahintersteht, ist, wie alle Modelle, eine Idealisierung. Zunächst gehen wir davon aus, dass die natürlichen Zustände einfach Zustände minimaler Energie sind. Das System versucht, in einen Zustand zu kommen, in dem es seine Energie 56 Alles ist in der Funktion codiert, die dem lokalen Deformationsgradienten die Energie zuordnet, der Funktion f. Wie sieht diese Funktion schematisch aus? Bei hoher Temperatur hat sie ein Minimum (nicht ganz, denn alles ist invariant unter Starrkörperbewegung). Wenn der Körper lediglich im Raum gedreht wird, ändert sich natürlich nichts. Das heißt, genau- er gesagt bildet die Menge aller Rotationen eine Kopie von SO(3). Bei tiefer Temperatur hat man drei solche Kopien. Das ist die Grundidee. Für viele Fragen kommt es nun gar nicht so genau darauf an, wie es dazwischen aussieht. Man interessiert sich zunächst für diese Minima. Bei Festkörpern lassen sich zwei Phasen nicht einfach beliebig aneinandersetzen, da es sich um Kristallgitter handelt. Die Gitter müssen irgendwie zusammenpassen. Das kann man sich auf der Ebene der Gitter überlegen oder anhand der Kontinuums-Theorie. Es ergibt sich eine stückweise affine Funktion mit zwei Deformationsgradienten. Entlang der Grenzfläche muss die tangentiale Ableitung die gleiche sein, d.h. die Differenz muss eine Matrix von Rang 1 sein. Das ist die Schlüsselbedingung, die man isoliert. In gewisser Weise war das in der Kristallografie bereits in den 50er Jahren bekannt, doch es wurde nicht systematisch verfolgt. entlang der − ⊗n Abbildung 6: Die einfachste MikrostrukturMischung zweier Phasen. Die Stetigkeit von u entlang der Phasengrenze erfordert A - B = a � n. (Quelle: Stefan Müller) Wie können komplexere Strukturen entstehen? Man kann das Verfahren iterieren und zunächst zwei Schichten bilden. Wenn diese fein geschichtet sind, sieht man im Wesent- durch Iteration Konstruktion Experiment Reduktion auf ein algebraisches Problem im Raum der Matrizen Rang-1 Linien Abbildung 7: Kompliziertere Konstruktionen durch Iteration (Quelle: Stefan Müller [links], Richard D. James [rechts]) lichen den Mittelwert davon. Auf der anderen Seite ist das genauso und dann kann man die beiden Mittelwerte verbinden. Wie ist das nun mit dem Versprechen, durch mathematische Ideen neue Materialien mit neuen Eigenschaften zu finden? Bei einer Transformation des Materials bewegen sich die Atome natürlich auf komplexe Weise. Doch auf dem Niveau, auf dem ich es hier beschreibe, ist das Wesentliche der Transformation eine lineare Abbildung, welche das Gitter in der Hochtemperaturphase auf das andere Gitter abbildet. Genauer gesagt, gibt es drei verschiedene Abbildungen, entsprechend der drei Möglichkeiten an unterschiedlichen Achsen das Gitter zu strecken und zu schrumpfen. Da es auch noch die Möglichkeit der Rotation gibt, kann man immer annehmen, dass die Abbildungen symmetrisch sind, und deshalb haben sie Eigenwerte. Das Wesentliche ist in diesen drei Eigenwerten enthalten. Experimentell lässt sich feststellen, dass die Hysterese besonders klein ist, wenn der mittlere Eigenwert 1 ist. 57 Beobachtung: Hysterese besonders klein für λ2 ≈ 1 U1 Transformationsmatrix: Austenit à Martensit Eigenwerte: λ1 ≤ λ2 ≤ λ3 Abbildung 8: Neue Materialien durch Mathematik (Quelle: Richard D. James) Was ist die Hysterese? Die Umwandlung der Austenit-Phase in die Martensit-Phase geschieht bei einer bestimmten Temperatur. Die Rückumwandlung geschieht aber nicht genau bei der gleichen Temperatur. Diese Temperaturdifferenz bezeichnet man als Hysterese. Das ist etwas, was man natürlich eigentlich nicht haben will, doch die Welt ist eben nicht ideal. Es lässt sich jedoch eine sehr kleine Hysterese erreichen, wenn der mittlere Eigenwert klein ist und zwar unabhängig von der Art des Metalls. Das ist einfach eine geometrische Bedingung. dasHysterese ist das Interessante WarumGenau so kleine für λ = 1 ? dar2 Idee : λ2 ≠ 1 erfordert höhere Energiebarriere M A λ2 = 1 einfache Grenzߊche A/M mšglich (Rang-1 Verbindung) A M+ M- λ2 ≠ 1 komplexe Mischung aus zwei Martensitphasen erforderlich Abbildung 9: Warum kleine Hysterese für λ2 = 1? (Quelle: Stefan Müller [oben], Richard D. James [unten rechts]) 58 an: Indem wir mathematisch abstrahierten, erhielten wir eine geometrische Bedingung. Warum ist das so? Man kann durch eine recht einfache Rechnung zeigen: Wenn der mittlere Eigenwert 1 ist, lassen sich die Austenit-Phase und die Martensit-Phase direkt miteinander verbinden. Wenn der mittlere Eigenwert nicht 1 ist, muss man erst zwei Martensit-Phasen fein schichten und dann lässt sich erst der Mittelwert mit dem Austenit verbinden. Bei dieser feinen Schichtung entsteht zusätzliche Grenzflächenenergie. Dadurch wird die Energiebarriere höher und das führt zu höherer Hysterese – so lautet zumindest unsere Interpretation. Dies lässt sich dann noch weiter treiben: Wenn nicht nur der mittlere Eigenwert 1 ist, sondern außerdem noch eine weitere Bedingung erfüllt ist, dann wird das Material noch viel flexibler. det �(U1 + 1/2 n � a) (U1 + 1/2 n � a) - I� = 0 trU²1 - detU12 - 2 > 0 Wenn diese Bedingung, die ich nicht im Einzelnen erläutern möchte, erfüllt ist, dann gibt es nicht nur direkt Austenit-Martensit-Grenzflächen, sondern dann lässt sich jedes Verhältnis der Mischung mit dem Austenit verbinden. Somit gibt es viel mehr mögliche Mikrostrukturen. Das lässt die Vermutung zu, dass es dann auch leichter ist, diese Transformation durchzuführen. Da eine Phase an der anderen irgendwie entstehen muss, sollte das besser funktionieren wenn es dafür mehr Möglichkeiten gibt. Und so ist es auch. Man denkt vielleicht zunächst: Diese Bedingungen sind ja extrem nicht-generisch. Doch wenn man sich z.B. Legierungen aus vier Elementen anschaut, dann gibt es dabei drei Parameter, mit denen man spielen kann, nämlich die relativen Anteile. Die Eigenwerte hängen von diesen Parametern ab, ebenso wie die andere Bedingung und es lässt sich genau so einstellen, dass die Bedingungen erfüllt sind. x= 30/ 27/ 25 Neue Mikrostrukturen: Abbildung 10: Hysterese und Materialermüdung: AuxCU55-xZn45 (Quelle: Richard D. James) Auf diese Weise haben James und Koautoren1 vor kurzem Materialien gefunden, die z.B. eine Hysterese von nur noch Bruchteilen von 1° haben, während es vorher 10, 20, 70° waren, und die auch ungeheuer viele Zyklen durchlaufen können. Eine geringe Hysterese bedeutet typischerweise auch eine hohe Lebensdauer. Bei der Hysterese bleibt ja immer irgendetwas hängen und es wird auch immer potenziell etwas beschädigt. Je glatter der Prozess durchläuft, umso höher ist die Lebensdauer, die man erreicht. Auch wenn man Wärme in Energie umwandeln will, ist es natürlich schlecht, wenn es schon eine Hysterese von 10° gibt, bei der rein gar nichts passiert und die man im Prinzip verschwendet. 1 Song, Y., Chen, X., Dabade, V. et al. Enhanced reversibility and unusual microstructure of a phase-transforming material. Nature 502, 85–88 (2013). https://doi.org/10.1038/nature12532 Ultra0.2 C Song, Chen, Shield, James, Nature 502 Abbildung 11:Dabade, Neue Mikrostrukturen (Quelle: Richard D. James) Bei diesen Materialien, die so flexibel sind, treten dann auf einmal auch ganz neue Mikrostrukturen auf, die wir noch nicht im Einzelnen verstanden haben. Das war ein schöner Erfolg. Eine Idee, die aus der Mathematik kam, ermöglichte die gezielte Suche und daraufhin wurden Kandidaten identifiziert. Doch uns interessiert natürlich auch die Mathematik und ich hatte versprochen, dass die Inspiration neuer Ideen in beide Richtungen gehen sollte, und das war auch so. Wie ist das in der Mathematik mit den Mikrostrukturen? Sie tauchen vielleicht zum ersten Mal bei geometrischen Problemen auf, insbesondere bei den spektakulären Arbeiten von John Nash, den einige vielleicht aus dem Buch „A beautiful mind” oder dem gleichnamigen Film kennen. Nash hat sich für sogenannte Einbettungen von Flächen oder auch höher-dimensionalen Objekten interessiert. Stellen Sie sich die Oberfläche der Kugel im dreidimensionalen Raum vor. Kann man die Oberfläche so verformen, dass man sie in eine kleinere Kugel packen kann? Ja natürlich, wenn die Kugel aus Gummi ist und man daran zieht und drückt, 59 dann geht das. Aber was ist, wenn sich die Kugel lokal nicht verformen kann, wenn sie sehr steif ist? Geht das trotzdem? Ein flaches Blatt Papier lässt sich beispielsweise zu einem Zylinder rollen. Doch bei einer Kugel, die überall gekrümmt ist, stellt sich heraus, dass sie sich eigentlich nicht deformieren lässt. Das ist ein berühmter Satz von Hilbert. Nash sagte, es geht doch!2 Es kommt dabei auf die Regularität an. Wenn man eine Krümmung klassisch definieren kann, wenn man also zweimal differenzieren kann, dann greift Hilbert. Doch Nash zeigte: Um Länge und Längenänderung zu definieren, benötigt man nur eine Ableitung. Er hat tatsächlich Abbildungen konstruiert, die einmal stetig differenzierbar sind und die eine Kugel isometrisch in einen beliebig kleinen Ball packen. Das war natürlich erstmal ein ziemlicher Schock. Später hat Gromov das zu einer allgemeinen Theorie ausgebaut. Inspiriert durch die Beispiele der Materalien, habe ich mit Vladimír Šverák daran gearbeitet, so etwas Ähnliches für partielle Differentialgleichungen zu entwickeln und auch da Lösungen zu konstruieren, die in gewisser Weise eher wild sind und die man nicht erwarten würde. Das ist auch gelungen und hat dann dazu geführt, dass man verstehen wollte, wie diese beiden Dinge eigentlich zusammenpassen. Was wäre ein besserer Rahmen dafür, als eine Arbeitsgemeinschaft in Oberwolfach? Die Arbeitsgemeinschaft ist etwas ganz Besonderes. Ich hatte nur einmal das Glück da2 Nash, J. C1 isometric imbeddings. Ann. of Math. (2), 60:383–396, 1954. 60 ran teilnehmen zu dürfen. Die Arbeitsgemeinschaft ist so etwas wie ein Studentenseminar für Professoren und Postdocs und manchmal auch für einige Doktoranden. Man nimmt sich gemeinsam ein Thema vor, das man verstehen will, die daran Interessierten bewerben sich und bekommen Vorträge zugeteilt. Diese Vorträge sind jedoch nicht aus dem jeweils eigenen Fachgebiet, sondern aus dem Gebiet, das man gemeinsam erarbeiten will. Dann müssen die Teilnehmer live in Oberwolfach vortragen und anschließend wird darüber diskutiert. Das ist eine sehr intensive Veranstaltung! So war es auch bei der Oberwolfach Arbeitsgemeinschaft im Frühjahr 2003. An dieser Arbeitsgemeinschaft nahmen auch viele junge Wissenschaftler teil, unter anderen László Székelyhidi. Dieser nahm seine Erkenntnisse mit nach Zürich und tauschte sich mit Camillo De Lellis darüber aus. Gemeinsam überlegten sich die beiden, dass man das nicht nur auf Materialprobleme, auf geometrische Probleme, anwenden kann, sondern auch auf Probleme der Strömungsmechanik – etwas was Gromov nie geglaubt hatte. Gromov dachte, diese Probleme der Physik müssten irgendwie anders sein, da würde diese Methode nicht funktionieren. Székelyhidi und De Lellis haben gezeigt, dass es funktioniert.3 Es gab schon vereinzelt solche wilden Lösungen in der Strömungsmechanik, aber es war völlig unverstanden, was deren Bedeutung ist. Székelyhidi und De Lellis haben eine systematische Theorie daraus entwickelt, die sich ra3 U.a.: De Lellis, C., Székelyhidi, L., Jr. The Euler equations as a differential inclusion. Ann. of Math. (2) 170, 3 (2009) 1417-1436 László Székelyhidi und Stefan Müller bei der Verleihung des Oberwolfach Preises 2011 an László Székelyhidi (Foto: MFO) Camillo De Lellis 2016 bei der Oberwolfach Vorlesung über „Nash-Kuiper, Onsager’s Conjecture and the Borisov-Gromov Problem” (Foto: MFO) sant weiterentwickelt. Es gibt nun auch erste Arbeiten für die Navier-Stokes-Gleichungen, bei denen zunächst auch gesagt wurde: „Na ja, bei der Euler-Gleichung, da gibt es keine Dissipation. Das ist alles überidealisiert...” Aber scheinbar geht alles doch noch viel weiter, als man bisher gedacht hat. heraus. Nein, sie wären müde, sie hätten keine Lust und es wäre ihnen zu anstrengend. Aber der wahre Grund war etwas anderes. Sie hatten nämlich gerade eine neue Idee und wollten daran arbeiten. Ich habe Figalli später gefragt, wie das genau war und er beschrieb es wie folgt: Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Oberwolfach funktioniert, wie Ideen aus unterschiedlichen Gebieten zusammenkommen können. „That afternoon we decided to give ourselves another shot: there was a potential new strategy that we wanted to explore, ... Ich möchte gerne noch ein anderes Beispiel erzählen, das ich auch Camillo De Lellis verdanke. Wir haben ja schon gehört, dass Oberwolfach Freiheit bedeutet und der freie Austausch im Vordergrund steht. Aber auch in Oberwolfach gibt es natürlich gewisse Regeln. Und eine dieser Regeln ist, dass es Mittwoch Nachmittags eine Wanderung gibt und an der hat man eigentlich auch teilzunehmen. So war es auch bei der PDE-Tagung 2011. Doch zwei junge Wissenschaftler, Alessio Figalli und Guido de Philippis, wollten nicht und redeten sich After 2-3 years of further failed attempts, we suddenly got the right idea and by the end of the evening (after the Wednesday BBQ) we had a proof in 2 dimensions. In the next few days it was a matter of technicality understanding how to make it work in arbitrary dimensions.” Das ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie Forschung in der Mathematik oft funktioniert: Es gibt Phasen, in denen muss man einfach gewisse Dinge abarbeiten. Das kann man ge61 meinsam oder auch einzeln machen und per E-Mail kommunizieren. Aber dann es gibt es eben auch Phasen, in denen man wirklich Ideen entwickelt, und solche Durchbrüche passieren oft in Oberwolfach. Dieses konkrete Ergebnis hat es dann tatsächlich in die Fields-Medal citation von Figalli geschafft: „This is why Figalli’s work, carried out with his co-author Guido De Philippis, caused so much excitement. They made a breakthrough in understanding the structure of solutions to the Monge-Ampère equation that provided just what was needed to allow optimal transport theory to be applied to the semi-geostrophic equations. Zum Einen ging es also um die semi-geostrophic equations, die als Gleichung auf großen Skalen, z.B. in der Meterologie, auftreten. Zum Anderen ging es um die Frage des optimalen Massentransports. Wie kann man auf effizienteste Art, also auf kürzesten Wegen eine Masse zwischen zwei Orten umverteilen? Man wusste schon, dass diese beiden Dinge im Prinzip zusammenhängen. Doch es war von entscheidender Bedeutung, dass Figalli und De Philippis zeigten konnten, dass die Lösung für das Umverteilungsproblem genügend regulär ist, damit man sie bei dem anderen Problem anwenden kann. Ich möchte mit einigen allgemeineren Bemerkungen und dann mit einem Wort von Ingrid Daubechies schließen. Their work delicately balanced technical finesse and creative insight.” Die Tagung „Partial Differential Equations” im Jahr 2011 (Foto: MFO) 62 Wir haben schon gehört, dass Oberwolfach sehr erfolgreich ist. Es gibt viele Kopien, aber das Original ist immer noch der Platzhirsch. Wieso eigentlich? Viele Gründe haben wir schon gehört und diesen stimme ich auch zu. Ich hatte mir ebenfalls eine Liste überlegt, doch dann kam ich auf die Idee, stattdessen eine Reihe von Kollegen zu fragen. Einige OTöne möchte ich Ihnen nun hier präsentieren. Was also meint die mathematische Gemeinde, was in Oberwolfach besonders ist, und warum kommt man am liebsten hier her? „Hier trifft man die wirklich interessanten Leute, die nicht auf die großen Tagungen kommen.” „Oberwolfach bietet Zeit für Forschung und echten Austausch, weil darauf geachtet wird, dass es nicht zu viele Vorträge gibt.” Das erfordert manchmal auch eine gewisse Disziplin, aber es wird auch sehr goutiert. „Das Programm ist hochaktuell, weil erst während der Tagung entschieden wird, wer vorträgt.” Das bedeutet auch, dass man sich eben nicht schon Monate vorher vorbereiten und die fertigen Folien rausziehen kann, sondern typischerweise erfährt man erst hier, ob man gefragt wird vorzutragen oder nicht. „Oberwolfach ist besonders, weil abends alle zusammenbleiben und sich nicht zerstreuen.” „Die Bibliothek ist fantastisch. Ich gehe sonst kaum noch in Bibliotheken, aber in Oberwolfach tue ich es.” „Auch in Zeiten von Internet, Skype und sozialen Medien kann ich Neues nur beginnen, wenn ich persönlich mit jemandem zusammenarbeite.” „In Oberwolfach habe ich einen meiner engsten Kooperationspartner kennengelernt.” „Wichtig als Inspiration fand ich das gemeinsame Musizieren, was dann zu engeren wissenschaftlichen und persönlichen Beziehungen geführt hat.” Der Musikraum und das gemeinsame Musizieren wurden von sehr vielen genannt. Danke an diejenigen, die das ermöglichen, was vielleicht aus öffentlichen Mitteln so nicht möglich wäre. „Die Wissenschaftliche Kommission ist exzellent besetzt und schafft es, eine gute Balance zwischen bewährten Traditionen und neuen Entwicklungen herzustellen.” In der Tat! Wir haben ja gehört, dass es viele neue Herausforderungen gibt. Zu Data Science wird es beispielsweise 2020 eine Tagung geben. Oberwolfach ist nicht jeder Mode nachgelaufen, aber Oberwolfach hat die Fähigkeit, neue Dinge aufzugreifen. „Nirgendwo ist es als Tagungsleiterin oder Tagungsleiter so einfach, eine Tagung zu organisieren. Man muss keine Mittel einwerben und man kann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer frei auswählen.” Auch das ist beileibe nicht bei allen Instituten so. Oft gibt es alle möglichen Quoten oder man muss erstmal Gutachten einholen, ob denn die Leute auch wert sind, eingeladen zu werden. Das ist hier nicht so. Wenn man als 63 Tagungsleiterin oder als Tagungsleiter ausgewählt wird, dann hat man auch das Vertrauen. „Die Atmossphäre von Oberwolfach gibt es nirgendwo sonst.” Ich glaube, dem brauche ich nichts mehr hinzuzufügen außer dem Dank an diejenigen, die dafür sorgen, dass sich jede Woche alle Gäste so willkommen fühlen. Danke auch an diejenigen, die ihre kostbare Zeit und Expertise in vielfacher Form Oberwolfach zur Verfügung stellen. Und natürlich auch Danke an die Geldgeber, Bund, Land, VolkswagenStiftung, Klaus Tschira Stiftung und viele andere, die Oberwolfach immer wieder unterstützt haben, damit es das bleibt, was es ist. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Ingrid Daubechies. Sie ist eines meiner mathematischen Vorbilder und eine Grenzgängerin zwischen der sogenannten reinen und der sogenannten angewandten Mathematik. Eigentlich Physikerin, hat sie eine Professur sowohl für Mathematik als auch für Electrical and Computer Engineering. Das Gebiet der Analysis wurde von ihr ungeheuer bereichert durch ihre Theorie der Wavelets – die gleichen Wavelets, die auf Ihren Handies die Bilder komprimieren. Sie wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, erhielt die Ehrendoktorwürde in Harvard und war die erste Präsidentin der International Mathematical Union. Als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat hat sie Oberwolfach sehr beim Start in der Leibniz-Gemeinschaft unterstützt. Ihr Verständnis von Oberwolfach drückt sie wie folgt aus: 64 Ingrid Daubechies (Foto: MFO) „Oberwolfach is deeply woven into the fabric of the international mathematical community.” Ich wüsste nicht, wie ich das angemessen übersetzen sollte, deshalb möchte ich es einfach so stehen lassen. Glückwunsch an Oberwolfach zum 75. Geburtstag und dass auch die nächsten 75 Jahre besser werden als wir geplant hatten! In der Bibliothek (Foto: MFO) „Retter” von Oberwolfach (1945): Szolem Mandelbrojt und John Todd* Prof. Dr. Volker Remmert Geschäftsführender Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Wissenschafts- und Technikforschung (Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften) der Bergischen Universität Wuppertal In ihren 1967 zusammengestellten Erinnerungen an die Entstehungszeit des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach beschrieb Irmgard Süss (1894-1989), die Witwe des Institutsgründers Wilhelm Süss (18951958), die Ungewissheit über das Weiterbestehen des MFO im Frühjahr und Sommer 1945 mit folgenden Worten (Süss 1967, 32): Von der Welt waren wir abgeschnitten, das Schicksal des Instituts ein großes Fragezeichen. Da fuhr eines Tages ein englischer Jeep vor, mit zwei Soldaten bemannt: es waren die Mathematiker John Todd und G.E.H. Reuter, Dr. Reuter, der Sohn des späteren ersten Bürgermeisters von Berlin. Sie waren englischerseits abgesandt, wissenschaftliche Institute zu inspizieren. Uns war es, als würde nach langer Finsternis eine Tür zum * Der Artikel ist hervorgegangen aus dem vom MFO unterstützen und von der DFG geförderten Forschungsprojekt Das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach, 1944-1963: Vom „Reichsinstitut für Mathematik” zur internationalen „sozialen Forschungsinfrastruktur”. 66 Licht aufgestossen. Manche der Herren [am MFO] waren ihnen dem wissenschaftlichen Ruf nach bekannt, und sie traten wie Freunde und Kollegen ein. […] Herr Todd brachte die Berechtigung für etwas Milch auf unseren Kaffeetisch. An dem saßen wir alle mit ihm, auf der Bibliotheksterrasse in der Sonne, als plötzlich um die Rosenmauer ein französischer Offizier auftauchte und den Hausherren [Wilhelm Süss] verlangte. Der kam verstört zurück: Beschlagnahme des Instituts, das Haus müsse für’s Militär geräumt werden. Doch schon stand Herr Todd neben dem Boten des Schreckens auf dem Gartenweg und unterhandelte. Das habe abgewendet werden können, sagte er und trank seinen Kaffee mit uns weiter, während der französische Offizier wieder bergab stieg. Dies war die zweite Sternstunde des Instituts, und John Todd der Retter. Die Geschichte von John Todd (1911-2007) als dem „Retter” des MFO hat auf dem Wege über diese hagiographische Broschüre weite Verbreitung gefunden. Todd war 1945 als britischer Marineoffizier im Auftrag des britischen Admirality Computing Service sowie der Aufklärungsmission BIOS (British Intelligence Objective Sub-Committee) in Deutschland unterwegs, um sich einen Überblick über den Stand der angewandten Mathematik in Deutschland zu verschaffen (Todd 1946; Todd 1983, 19). Auf dieser Reise besuchte er Anfang Juli 1945 das MFO. Todd selbst hat rückblickend seine rettende Tat etwas anders und zurückhaltender beschrieben (Todd 1983, 21; vgl. Cohen/ Todd 1996): We were having a discussion on the patio when there arose a commotion among the servants. It was caused by a foraging party of Moroccan troups who wanted to occupy the building. I quickly got into proper dress with hat and in my best French persuaded them to leave the mathematicians and “même les poules” undisturbed. The very distinguished sergeant asked if he would be permitted to shake the hand of a British naval officer. Of course I said, “Yes”, and they left to try their luck elsewhere. However, they later appropriated Threlfall’s Mercedes-Benz. This incident kept “Lorenzenhof” [MFO] intact until the local government was set up. Es ist an dieser Stelle nicht wesentlich, ob Todds Bericht plausibel scheint, er habe die „plündernden Marokkaner”, die bei Irmgard Süss an anderer Stelle mit Bezug auf einen früheren Zeitpunkt als „Kavalkade mit fliegenden Burnussen” Erwähnung fanden (Süss 1967, 31), vermöge seiner Autorität als britischer Marineoffizier zur Ordnung rufen und so das MFO retten können. Der wichtige Punkt für das Weiterbestehen des MFO ist vielmehr, dass Todd nach seiner Rückkehr nach London Szolem Mandelbrojt (1899-1983) von der Existenz des MFO berichtete und dafür plädierte, dass die französische Militärregierung es unterstützen sollte: We [Reuter and Todd] hope the French Authorities have allowed your Institutes [MFO und Freiburger Mathematisches Institut] to continue their activities; we included a strong recommendation to that effect in our official report. No doubt Professor Mandelbrojt will discuss this further with you and the Authorities.1 Mandelbrojt, der zu den Gründungsmitgliedern von Bourbaki gezählt hatte und 1938 Nachfolger von Jacques Hadamard am Collège de France geworden war, emigrierte 1940 angesichts der deutschen Invasion in die USA, wo er eine Stelle an der Rice University annahm (Mandelbrot 1998, 2012). Zusammen mit Hadamard wurde er 1944 Mitglied der Mission Scientifique Française en Grande-Bretagne von Louis Rapkine in London. Sie hatte sich zur Aufgabe gemacht, die in Frankreich nach der deutschen Invasion 1940 entstandene Forschungslücke zu füllen, und fusionierte bald nach Kriegsende mit gleichlaufenden Bestrebungen des befreiten Centre national de la recherche scientifique (CNRS) (Dosso 1998, 353-356, 376-380; Guthleben 2009, 78-83, 95f). In London hatte Todd in engem Kontakt mit Hadamard und Mandelbrojt gestanden und wollte ihnen nach seiner Rückkehr unmittelbar über das MFO berichten, da es in der französischen Besatzungszone lag und den französischen Mathematikern noch unbekannt war. Hadamard und Mandelbrojt waren jedoch bereits nach Paris zurückgekehrt, wo Todd sie in einem Büro des CNRS aufsuchte, als, wie er sich später erinnerte, „Mandelbrojt was being outfitted for a visit of inspection to Oberwolfach. He insisted on trying the revolver which had been issued to him – and there are presumably still two bullets in the floor of a CNRS office!” (Todd 1983, 21f) 1 Todd an Wilhelm Süss, 16. Oktober 1945 (Universitätsarchiv Freiburg (UAF), E6/11). 67 John Todd (1911-2007) in den 1940er Jahren (Foto: California Institute of Technology, Archives & Special Collections) 68 Szolem Mandelbrojt (1899-1983) in den 1940er Jahren (Foto: Familienbesitz) 69 Tatsächlich reiste Mandelbrojt nach Deutschland und besuchte das MFO zweimal, am 23. Oktober (mit mindestens einer Übernachtung) und am 31. Oktober 19452. In der Zwischenzeit fuhr er nach Tübingen, um Erich Kamke (1890-1961) zu treffen, den er für einen der wenigen Mathematiker in Deutschland hielt, denen man aufgrund ihrer Haltung während der Zeit des Nationalsozialismus vertrauen konnte. Das CNRS hatte bis Oktober 1945 ca. 150 Wissenschaftler auf ungefähr 400 solcher Missionen zur Erkundung der wissenschaftlichen Ressourcen in der französischen Besatzungszone entsandt, etwa an die beiden Universitäten Freiburg und Tübingen sowie die dreizehn in der französischen Zone gelegenen Kaiser-Wilhelm-Institute (Defrance 2001, 8; Guthleben 2009, 99-104). Aus dieser Perspektive war an der Reise nichts Ungewöhnliches. Mandelbrojt schrieb Todd im November 1945, dass seine Reise sehr interessant gewesen sei und er einen offiziellen Bericht verfassen werde, der auch Todd zugehen sollte. Er bedauerte, dass er nicht nach Göttingen habe fahren können, „due to flats (8!) and even more serious automobile accidents, but what I have seen, especially in Wolfach, in Tübingen, is very interesting”.3 In seiner weiteren Korrespondenz mit Todd kam Mandelbrojt zweimal auf seine Reise nach Deutschland zurück. Am 1. Januar 1946 entschuldigte er sich bei Todd dafür, dass er nach seiner Rückkehr aus Deutschland nicht in London habe vorbeikommen können. Er legte zwei (inzwischen vermutlich verlo2 Süss an Administrateur Lutz, 29. Januar 1947 (UAF, C89/108); Süss an Kamke, 31. Oktober 1945 (UAF, C89/6). 3 Mandelbrojt an Todd, 18. November 1945 (Caltech Archives and Special Collections, Todd papers, folder 9.18, Mandelbrojt). 70 rene) Briefe von Erich Kamke bei, der ihn zu Gastvorträgen nach Tübingen eingeladen hatte. Mandelbrojt konnte sich allerdings nicht zur Annahme der Einladung durchringen, denn, wie er Todd schrieb, „Kamke is a fine man, I have all confidence in him, and if all the German mathematicians were like himself I would certainly accept his invitation, but you know, I know, and Kamke himself knows perfectly well that this is not the case”.4 In seiner positiven Einschätzung von Kamke, der 1937 seine Professur in Tübingen verloren hatte, weil seine Frau jüdisch war, stand Mandelbrojt nicht allein. Auch Abraham Fraenkel, der 1933 in Kiel entlassen wurde und nach Jerusalem emigrierte, sah 1947 in Kamke einen von nur vier Mathematikern in Deutschland – neben Erich Hecke, Oskar Perron, und Heinrich Scholz –, die während des Nationalsozialismus Haltung bewahrt hätten (Remmert 2012, 245). So überrascht es wenig, dass Mandelbrojt in seinem Brief an Todd klarstellte, er sei „really not in favor of going to Germany otherwise than for military purposes”. Tatsächlich lässt sich über einige der Mathematiker, um deren enge Verbindung zum MFO Mandelbrojt wusste, wie etwa Henry Görtler, Hellmuth Kneser, Wilhelm Süss, Emanuel Sperner und William Threlfall, keineswegs sagen, dass sie eine ähnlich kritische Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus gezeigt hätten.5 Schon im November, kurz nach seiner Rückkehr aus Deutschland, hatte Mandelbrojt Todd mit Bezug auf zwei Briefe, die er von Görtler und Kamke erhalten hat4 Mandelbrojt an Todd, 1. Januar 1946 (Todd papers, folder 9.18, Mandelbrojt). 5 Zur Gründungsgeschichte des MFO s. (Mehrtens 1996, Epple/Karachalios/Remmert 2005, Remmert 2019); zu den frühen Jahren s. (Remmert 2020). te, seine Haltung gegenüber Mathematikern in Deutschland erläutert. Mit Blick auf seine eigene jüdische Herkunft schrieb er: „I think I could arrange some advantages for those of the mathematicians who were sympathetic to my kind”.6 Im Februar 1946 kündigte Mandelbrojt Todd an, dass sein Bericht über die Reise nach Deutschland nun fast fertig sei und Todd eine Kopie erhalten werde. Da es sich um einen Bericht für das CNRS handelte, habe er „überhaupt nicht über die ‚romantische’ Seite der Geschichte” gesprochen, denn das „CNRS interessiere sich weder für die politischen Auffassungen deutscher Mathematiker noch für ihre materielle (d.h. finanzielle) Situation”.7 Wenn auch keine Kopie von Mandelbrojts Bericht bekannt ist, so lässt sich doch annehmen, dass er sich positiv über das MFO und seinen Nutzen für die französische Militärregierung geäußert hat. Im Brief an Todd erwähnt er, Süss habe die finanzielle Situation des MFO als schlecht beschrieben („that the financial situation of the Institute was bad”). Allerdings sei es ihm gelungen, ein „rendez-vous” zwischen Süss und Oberst Louis Sauzin zu vermitteln, der in Baden-Baden für die Hochschulpolitik in der französischen Besatzungszone zuständig war. Sauzin hatte Mandelbrojt vorab zugesagt, dass er dem MFO die Weiterarbeit ermöglichen werde („to give the Institute the possibility to work”). Erläuternd sei hier gesagt, dass das 6 Mandelbrojt an Todd, 18. November 1945 (Todd papers, folder 9.18, Mandelbrojt). 7 Mandelbrojt an Todd, 24. Februar 1946 (Todd papers, folder 9.18, Mandelbrojt): „I did not speak at all of the ‘romantic’ side of the story. [… CNRS] is not interested in the political opinions of German mathematicians, nor in their material (I mean financial) situation”. MFO als eine von Berlin aus finanzierte Gründung des Herbstes 1944 nach Kriegsende weder eine Rechtsform noch eine zentrale Finanzierungsquelle hatte, also im Prinzip vor dem Aus stand (Remmert 2019). Tatsächlich erwies sich Mandelbrojts Intervention als erfolgreich (Remmert 2020). Wilhelm Süss, als Gründer und Leiter des MFO, war Mandelbrojt außerordentlich dankbar für seine Vermittlung und betonte das in den beiden nächsten Jahren immer wieder in Briefen an Kollegen. So schrieb er zum Beispiel wenige Tage nach Mandelbrojts zweitem Besuch in Oberwolfach an den Heidelberger Chemiker Karl Freudenberg: „Es hat uns jetzt ein in der mathematischen Kriegsforschung leitender französischer Fachkollege in den letzten zwei Wochen manche Erleichterung erwirkt und das Reichsinstitut [MFO] […] scheint gesichert, nachdem nun auch finanzielle Zuschüsse zugesagt sind.”8 An Andreas Speiser in Basel schrieb er im Januar 1946, „[Mandelbrojts] und einiger englischer Kollegen Besuch verdanken wir sehr viel, insbesondere auch die ungestörte Weiterarbeit des Instituts in Oberwolfach”.9 Anfang Dezember richtete Süss den ersten einer Reihe von Briefen an Mandelbrojt, die allerdings alle ohne Antwort blieben, um für „die grosse Hilfe zu danken, welche Sie unserer Arbeit und uns persönlich, nicht zuletzt mir selbst, in so freundlicher, kollegialer und menschlicher Art gewährt haben”. Er habe sich mittlerweile mit Sauzin getroffen und „alle 8 9 Süss an Freudenberg, 3. November 1945 (UAF, C 89/5). Süss an Speiser, 16. Januar 1946 (UAF, C89/8). 71 denkbare Unterstützung und das grösste Verständnis für unsere Ziele gefunden”.10 Zwar ist nicht überliefert, was Mandelbrojt und Pérès, der das MFO später, im Mai 1946, selbst besuchte, vorgeschlagen haben, aber Süss war davon sehr angetan. Am 1. Ap- ril 1946 schrieb er seinem alten Freund und engsten fachpolitischen wie mathematischen Berater Hellmuth Kneser (1898-1973), dass er dringend mit ihm persönlich und vertraulich („Vorerst bitte absolut schweigen”) über die verschiedenen Vorschläge der French FIAT sprechen müsse. Süss erwähnte nur einen konkreten Plan, nämlich die Gründung einer neuen mathematischen Zeitschrift – ab 1948 als Archiv der Mathematik umgesetzt (Remmert/Schneider 2010, 290-293). Diese Idee, so Süss, und „2 weitere Pläne gehen vom Chef de la commission scientifique in Offenburg aus nach Rücksprache mit Mandelbrojt und Pérès (Paris) sowie dem analogen Chef der amerikan. u. britisch. Zone.”11 Im Lichte späterer Entwicklungen scheint es, als bezöge Süss sich hier auf zwei zentrale Projekte, die dem MFO in den nächsten zwei bis drei Jahren das Überleben sicherten, nämlich neben (1) der Gründung des Archivs der Mathematik als einer vom MFO herausgegeben, internationalen Zeitschrift (2) die Herausgabe des FIATBerichts Reine Mathematik (2 Bände, Wiesbaden 1948) durch das MFO unter Federführung von Süss im Auftrag und mit Unterstützung der French FIAT. Die FIAT-Berichte zielten in Fortsetzung der FIAT-Mission zur Sicherung während des Krieges erzielter deutscher Forschungsergebnisse darauf ab, dass die Experten der jeweiligen Disziplinen und Subdisziplinen Überblicke über die Forschung der Jahre 1939-1945 verfassten, um sie auf diese Weise den Alliierten gebündelt zugänglich zu machen. Für das MFO war insbesondere die Mitarbeit am FIAT-Bericht ein wichtiger Schritt, 10 Süss an Mandelbrojt, 6. Dezember 1945 (Süss 1967, 5860; UAF, E6/11). 11 Süss an Kneser, 1. April 1946 (SUB Göttingen, Nachlass Hellmuth Kneser, A 82: Süss). Während Mandelbrojt allem Anscheine nach hellsichtig seine persönliche Distanz zu Süss hielt, setzte er sich doch nach seiner Rückkehr nach Paris im November 1945 weiter für das MFO ein. Insbesondere hat er gemeinsam mit Joseph Pérès (1890-1962), der in dieser Zeit eine führende Rolle im CNRS zu spielen begann, der Section française d’information scientifique et technique in Offenburg Vorschläge zur Verwendung des MFO für französische Zwecke unterbreitet. Die Section française d’information scientifique et technique in Offenburg war im Juli 1946 nach dem Vorbild der amerikanischen und britischen Field Intelligence Agency, Technical (FIAT) gegründet worden und wurde bald als French FIAT bekannt. Die ursprüngliche Aufgabe der amerikanischen und britischen FIAT-Mission lag in der systematischen Erkundung und Verwendung deutscher Forschungsergebnisse aus Wissenschaft und Technik (Gimbel 1990; O’Reagan 2019). Demgegenüber wählte die French FIAT den offeneren Ansatz, die Forschung innerhalb der eigenen Besatzungszone zu kontrollieren (O’Reagan 2019, 79ff). In der zweiten Hälfte des Jahres 1945 wurden die Tätigkeiten der French FIAT und des CNRS unter der Leitung des Geophysikers Louis Cagniard (1900-1971) in Offenburg gebündelt (Defrance 2001). 72 um gegenüber der französischen Militärregierung die Relevanz des Instituts unter Beweis zu stellen und damit sein Weiterbestehen zunächst zu gewährleisten (Remmert 2020). In seinem letzten Brief an Mandelbrojt vom November 1947 hob Süss die Bedeutung seiner Unterstützung noch einmal deutlich hervor: Durch Ihre große Hilfsbereitschaft aus dem Sommer des Jahres 1945 hat unser kleines Forschungsinstitut in Oberwolfach seine Arbeit gut fortsetzen können. Vielleicht hörten Sie davon, daß das Institut im wesentlichen die Organisation und Ausarbeitung der FIATReview für Mathematik durchgeführt hat, deren Herausgabe ich im Auftrag der Section d‘Information Scientifique (C.N.R.S.) übernommen habe. Der Druck dieser Review wird gegenwärtig durchgeführt und ich bin sicher, daß Sie in einigen Monaten für die Wissenschaftlichen Bibliotheken in Frankreich Exemplare durch die Militärregierung erhalten werden. Außer dieser Arbeit beschäftigt sich das Institut gegenwärtig mit der Veröffentlichung einer neuen Forschungszeitschrift, deren Plan Sie aus dem beiliegenden Rundschreiben ersehen können, das ich vielen deutschen Kollegen und auch einigen uns bekannten oder befreundeten Ausländern zugesandt habe. Es wäre für uns eine ganz besondere Freude, wenn Sie sich entschließen könnten, uns auch einen kurzen Originalbeitrag, ein Selbstreferat oder einen Übersichtsbericht über die Fortschritte eines Ihrer Spezialgebiete in den letzten Jahren zur Verfügung zu stellen. Noch größer wäre unsere Freude, wenn wir Sie wieder als Gast im Institut begrüssen dürften, zu dessen Besuch Sie stets herzlich in unser aller Namen eingeladen sind.12 Mandelbrojt hat jedoch, wie erwähnt, nicht auf die Briefe von Süss reagiert und Oberwolfach nie wieder besucht, anders als Todd, mit dem Süss in regem Kontakt stand und der verschiedentlich am MFO zu Gast war. Über Mandelbrojts Gründe lässt sich nur spekulieren. Erich Kamke erwähnte im Oktober 1946 im Zusammenhang mit der von ihm in Tübingen im September 1946 organisierten Tagung, „Mandelbrojt aus Paris, der anfangs auch kommen wollte, [sei] leider nicht gekommen, da er vor kurzem erfahren hatte, dass aus seinem Familienkreise 35 Personen von den Nazis umgebracht worden sind”.13 Mandelbrojts Schweigen mag dazu beigetragen haben, dass für ihn kein Platz in der Erinnerung des MFO blieb, während John Todd zum alleinigen Retter wurde, obgleich Süss selbst ihm in seinen Briefen der Jahre 1946/47 eine solche Rolle nie zudachte, wohl aber Mandelbrojt. Es ist aber auch zu bedenken, dass, als in den späten 1940er und in den 1950er Jahren in Oberwolfach unter Führung von Wilhelm Süss die mündliche Erinnerungskultur des MFO aktiv geprägt wurde, die Erinnerung an den jüdischen Kollegen Szolem Mandelbrojt als Retter von Oberwolfach nicht erwünscht war, zumal er durch seine abweisende Haltung gewissermaßen als Mahnmal für die eigene Schuld stand. 12 Süss an Mandelbrojt, 26. November 1947 (UAF, C89/332). 13 Kamke an Löbell, 4. Oktober 1946 (Universitätsarchiv Tübingen, Nachlass Kamke, 426/5, Korrespondenz 1946/1947). 73 Literatur (Hg.): National Military Establishments and the Advancement of Science and Technology: Studies in Cohen, Shirley K./Todd, John: John Todd interviewed by Twentieth Century History, Dordrecht/Boston/London Shirley K. Cohen, Archives California Institute of Tech- 1996, 87-134 nology, Pasadena 1997 (CaltechOralHistories: https:// resolver.caltech.edu/CaltechOH:OH_Todd_J; aufgerufen O’Reagan, Douglas M.: Taking Nazi Technology. Allied 1.2.2022) Exploitation of German Science after the Second World War, Baltimore 2019 Defrance, Corine: La mission du CNRS en Allemagne (1945-1950). Entre exploitation et contrôle du potentiel Remmert, Volker/Schneider, Ute: Eine Disziplin und ihre scientifique allemand, in: La revue pour l’histoire du Verleger – Disziplinenkultur und Publikationswesen der CNRS 5(2001) (https://journals.openedition.org/histoi- Mathematik in Deutschland, 1871-1949, Bielefeld 2010 re-cnrs/3372; aufgerufen 1.2.2022) Dosso, Diane: Louis Rapkine (1904-1948) et la mo- Remmert, Volker: Jewish Émigré Mathematicians and Germany, in: Bergmann, Birgit/Epple, Moritz (Hg.): bilisation scientifique de la France libre, Dissertation Transcending Tradition: Jewish Mathematicians in Université Paris VII 1998 German-Speaking Academic Culture, Heidelberg et al. 2012, 241-270 Epple, Moritz/Karachalios, Andreas/Remmert, Volker: Aerodynamics and Mathematics in National Socialist Remmert, Volker: Selbstansichten auf das Mathema- Germany and Fascist Italy: A Comparison of Research tische Forschungsinstitut Oberwolfach, 1944-1959: Institutes, in: Sachse, Carola/Walker, Mark (Hg.): Poli- Auf der Suche nach einer institutionellen Identität, in: tics and Science in Wartime: Comparative International Mathematische Semesterberichte 66(2019), 1-13 Perspectives on the Kaiser Wilhelm Institutes: Osiris 20(2005), 131-158 Gimbel, John: Science, Technology and Reparations. Exploitation and Plunder in Postwar Germany, Stanford 1990 Guthleben, Denis: Histoire du CNRS de 1939 à nos jours, Paris 2009 Remmert, Volker: Oberwolfach in the French Occupation Zone: 1945 to 1950s, in: Revue d’histoire des mathématiques 21(2020), 121-172 Süss, Irmgard: Entstehung des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach im Lorenzenhof. Zur Einweihung des Neubaues 1967, Oberwolfach 1967 Todd, John et al.: Applied Mathematical Research in Mandelbrot, Benoit B.: Video interview with Benoit Man- Germany, with Particular Reference to Naval Applicati- delbrojt, 1998 (https://www.webofstories.com/play/ ons, BIOS-Report No. 79, London 1946 benoit.mandelbrot/1; aufgerufen 1.2.2022) Todd, John: Oberwolfach – 1945, in: Beckenbach, E.F./ Mandelbrot, Benoit B.: The Fractalist. Memoir of a Walter, W. (Hg.): General Inequalities 3. 3rd Internatio- Scientific Maverick, New York 2012 nal Conference on General Inequalities, Oberwolfach, April 26 – May 2, 1981, Basel et al. 1983, 19-22 Mehrtens, Herbert: Mathematics and War: Germany 1900-1945, in: Sánchez-Ron, José M./Forman, Paul 74 Die Bibliothek des MFO im Frühjahr 2007 (Foto: MFO) 75 Die Bibliothekserweiterung im Sommer 2007 (Foto: MFO) Entwicklung des MFO 2004-2019 2004 Seit der letzten Jubiläumsveranstaltung des Instituts im Jahr 2004 sind 15 Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich das MFO in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt. Es gab organisatorische Umstrukturierungen, bauliche Erhaltungs- und Erweiterungsmaßnahmen, neue Programme und Fördermöglichkeiten wurden eingerichtet und neue Publikationen eingeführt. Manches war spektakulär und öffentlichkeitswirksam wie etwa der Erweiterungsbau der Bibliothek im Jahr 2007. Anderes erfuhr von außen eher weniger Beachtung, zum Beispiel die behutsame Umstrukturierung der Bibliothek im Jahr 2016. Alle Maßnahmen waren jedoch gleichermaßen notwendig und wichtig, um das Institut für die Herausforderungen der Zeit zu rüsten und gleichzeitig den Geist von Oberwolfach in einer sich verändernden Welt erhalten zu können. Anlässlich des Jubiläums möchten wir deshalb einen chronologischen Überblick über die wichtigsten erfolgten Entwicklungen und Ereignisse geben. • Das MFO feiert sein 60-jähriges Jubiläum. • Die Publikation der Buchreihe „Oberwolfach Reports” beginnt. In Zusammenarbeit mit dem EMS Publishing House erscheinen vierteljährliche Sammelbände aller Tagungsberichte mit den erweiterten Abstracts der gehaltenen Vorträge. • Die Sanierung der Terrassen des Gästehauses mit Mitteln des Landes Baden-Württemberg beginnt. • Die DFG unterstützt die Bibliothek des MFO bei der Anschaffung von Spezialliteratur, insbesondere aus Osteuropa und Asien. • In der Halle im Vortragsgebäude wird ein Regal für die Auslage von Preprints und anderer Literatur im Zusammenhang mit den laufenden Veranstaltungen eingerichtet. • Mit Unterstützung des Springer Verlags Heidelberg wird die umfangreiche Fotosammlung des MFO digitalisiert. Die Sammlung enthält eine große Anzahl an Porträts von Mathematikern und Mathematikerinnen sowie Gruppenbilder von Tagungen des Instituts. Das Institut im Jahr 2004 (Foto: MFO) Oberwolfach Reports (Foto: MFO) 77 Gerhard Huisken bei der ersten Oberwolfach Vorlesung 2005 (Foto: MFO) Der Bibliotheksanbau kurz nach der Fertigstellung im Jahr 2007 (Foto: MFO) 2005 2006 • Das MFO wird Mitglied in der Leibniz-Gemeinschaft. Im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft sind Änderungen der rechtlichen Struktur erforderlich, insbesondere die Überführung des MFO in eine gemeinnützige GmbH und die Einrichtung des Wissenschaftlichen Beirats. Der bisherige Beirat der GMF heißt fortan Wissenschaftliche Kommission und bleibt das wichtigste Gremium zur Gestaltung des wissenschaftlichen Jahresprogramms. • Gerhard Huisken begründet die Tradition der „Oberwolfach Vorlesung” bei der Jahresversammlung der GMF. • Die „Oberwolfach Photodatenbank” wird in Betrieb genommen. Damit wird die im Vorjahr digitalisierte Fotosammlung des Instituts nun online der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. • Die gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder im Rahmen der Leibniz-Gemeinschaft beginnt. • Die VolkswagenStiftung und die Klaus Tschira Stiftung genehmigen einen Projektantrag zur Finanzierung des Erweiterungsbaus der Bibliothek. Die Bauarbeiten beginnen noch im selben Jahr. • Großzügige Spenden von Privatpersonen sowie der Oberwolfach Stiftung ermöglichen den Zukauf eines großen Geländes um das Institut herum. Damit wird nicht nur der Erweiterungsbau der Bibliothek möglich, sondern auch die abgeschiedene Lage der Institutsgebäude langfristig gesichert. 78 2007 • Das Nachwuchsförderprogramm „Oberwolfach Leibniz Fellows” wird eingeführt. Für die ersten drei Jahre (2007-2009) wird es aus Mitteln des Leibniz-Wettbewerbsverfahrens finanziert. Das Programm ermöglicht Oberwolfach Preprints (Foto: MFO) Oberwolfach Leibniz Fellows (Foto: MFO) es Forscherinnen und Forschern in einer entscheidenden Phase ihrer Karriere für einen längeren Zeitraum am MFO an einem vorher festgelegten Projekt zu arbeiten. • Die Publikationsreihe „Oberwolfach Preprints” startet. Darin werden vor allem Ergebnisse von längerfristigen Forschungsaufenthalten am MFO veröffentlicht. Dazu gehören die Ergebnisse aus den Programmen „Research in Pairs” und „Oberwolfach Leibniz Fellows”. • Zusätzlich zu dem bereits seit 1991 vergebenen „Oberwolfach Preis” wird in diesem Jahr erstmals der „John Todd Award” verliehen. Der Preis fördert exzellente Nachwuchsforscherinnen und -forscher im Bereich der Numerischen Analysis und wird aus einer großzügigen Spende von Rosemary Lonergan an die Oberwolfach Stiftung finanziert. • Der Erweiterungsbau der Bibliothek, finanziert mit Mitteln der VolkswagenStiftung und der Klaus Tschira Stiftung, wird fertiggestellt und feierlich eingeweiht. • Die Generalsanierung der mittlerweile über 40 Jahre alten Bungalows und des Gästehauses beginnt mit der Sanierung der ersten Bungalows. 2008 • Anlässlich des vom BMBF ausgerufenen Wissenschaftsjahres der Mathematik zeigt das MFO seine eigens entwickelte Wanderausstellung „IMAGINARY – Mit den Augen der Mathematik” in 13 deutschen Städten mit großem Erfolg. • Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung bewilligt die finanzielle Förderung der Oberwolfach Seminare und der Bibliothek. Die Förderung ist zunächst bis 2013 vorgesehen, wird aber in der Folge verlängert. • Im Projekt „Oberwolfach Digital Archive” wird mit der Digitalisierung der Tagungsberichte und Vortragsbücher seit der Gründung des MFO begonnen. Die Dokumente werden über eine Online-Plattform öffentlich zugänglich gemacht. 79 IMAGINARY-Ausstellung in Hannover (Foto: MFO) Das „MiMa – Museum für Mineralien und Mathematik” in Oberwolfach (Foto: MFO) • Im Baubereich wird die Sanierung der Bungalows abgeschlossen und zusätzlich ein Anbau an die Garage durchgeführt. dem Zukunftsinvestitionsprogramm des Bundes und dem Innovationsprogramm Bildung und Forschung des BMBF ermöglichen die technische und energetische Sanierung des Gästehauses einschließlich der Brandschutzsanierung. • Mit weiteren Fördermitteln wird das Tagungs- und Bibliotheksgebäude energetisch saniert und mit einer Solarthermieanlage ausgestattet. • Das MFO wird durch den Senat der LeibnizGemeinschaft turnusgemäß evaluiert und hervorragend bewertet. • Das MFO wird für IMAGINARY und das in Planung befindliche Museum für Mineralien und Mathematik vom Bundespräsidenten mit dem Preis „Ort im Land der Ideen” ausgezeichnet. 2009 • Das Nachwuchsförderprogramm „Oberwolfach Leibniz Graduate Students” (OWLG) wird eingeführt. In den ersten drei Jahren (2009-2011) wird es aus Mitteln des Leibniz-Wettbewerbsverfahrens finanziert. Das Programm ermöglicht fünf zusätzliche Plätze in den Oberwolfach Workshops, die nur durch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler besetzt werden dürfen. Die Teilnehmenden erhalten eine Unterstützung bei den Reisekosten. • Die GMF feiert auf der Mitgliederversammlung im Herbst ihr 50-jähriges Jubiläum. • Die Generalsanierung der Zimmer des Gästehauses beginnt. Zusätzliche Mittel aus 80 2010 • Das „MiMa – Museum für Mineralien und Mathematik” wird in Oberwolfach eröffnet. Der mathematische Teil der Ausstellung zeigt teilweise adaptierte Exponate der erfolgreichen Wanderausstellung IMAGINARY und wird vom MFO betreut. • Die Generalsanierung des Gästehauses wird abgeschlossen. Zusätzlich werden die Abwasserleitungen saniert und die Betonsanierung des Tagungs- und Bibliotheksgebäudes durchgeführt. 2011 • Die DFG bewilligt die Förderung der Einrichtung eines elektronischen Bibliotheksportals für die umfassende Literaturrecherche. Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt. • Die Klaus Tschira Stiftung fördert die Neuformierung der IMAGINARY-Ausstellung als Open Source Plattform für interaktive Mathematik-Kommunikation. • Mit Unterstützung der GMF wird ein Personenaufzug im Tagungs- und Bibliotheksgebäude eingebaut. Damit sind alle wichtigen Räume am MFO barrierefrei zu erreichen. • Im Außenbereich des MFO findet die Sanierung der Zufahrtsstraße, der Brücke und der Kanalisation statt. • Der Ausbau und die Sanierung des Parkplatzes beginnen. • Die Sanierung der Appartements für die Gäste im Programm „Research in Pairs” beginnt 2013 • Prof. Dr. Gerhard Huisken wird neuer Direktor des MFO als Nachfolger von Prof. Dr. Gert-Martin Greuel. • Das Programm „Simons Visiting Professors” (SVP) startet. Durch eine großzügige Förderung der Simons Foundation können jährlich bis zu 40 Forscherinnen und Forscher aus nicht-europäischen Ländern, die eine Teilnahme an einem Oberwolfacher Workshop mit einem Gastaufenthalt an einer europäischen Universität kombinieren möchten, finanziell unterstützt werden. • Das von der Klaus Tschira Stiftung geförderte Projekt „Snapshots of modern mathemathics from Oberwolfach” beginnt. In kurzen Essays stellen Teilnehmerinnen und 2012 • Prof. Dr. Dietmar Kröner wird neuer stellvertretender Direktor des MFO als Nachfolger von Prof. Dr. Horst Knörrer. • Das Projekt „Oberwolfach Digital Archive” wird erfolgreich abgeschlossen. Gert-Martin Greuel und Gerhard Huisken bei der feierlichen Amtsübergabe (Foto: MFO) 81 Teilnehmer der wissenschaftlichen Programme des MFO einen Aspekt ihrer Forschung allgemeinverständlich dar. • Die Sanitärräume im Gästehaus und im Bibliotheksgebäude werden saniert. 2015 2014 • Ein Jahr nach Beginn des Projekts werden die ersten „Snapshots of modern mathematics from Oberwolfach” veröffentlicht. • Das MFO bewirbt sich erfolgreich für das Prädikat „Total E-Quality”, mit dem das Engagement für Chancengleichheit ausgezeichnet wird. • Eine feste Wand zwischen zwei kleineren Räumen im Bibliotheksgebäude wird durch eine Faltwand ersetzt. Damit kann bei Bedarf ein dritter Vortragssaal geschaffen werden, was insbesondere bei den MiniWorkshops eine große Rolle spielt. • Das MFO nimmt seine eigene Holzhackschnitzel-Heizungsanlage in Betrieb. Das Heizungsgebäude erhält zusammen mit allen anderen Nebengebäuden eine einheitliche Holzverkleidung. Eine Faltwand ermöglicht die Schaffung eines zusätzlichen Vortragsraums (Foto: MFO). 82 • Die Leibniz-Gemeinschaft bewilligt die Förderung der Ausgründung von IMAGINARY in eine selbständige gGmbH. • Bei einer Online-Umfrage des Instituts nehmen mehr als 3200 Forschungsgäste aus den vergangenen sieben Jahren teil. Die Ergebnisse zeigen einen hohen wahrgenommenen wissenschaftlichen Nutzen eines Aufenthalts am MFO und einen überwiegend positiven Einfluss auf die weitere Forschungsarbeit und Karriere. Leistungen und Ausstattung des MFO werden ebenfalls hervorragend bewertet. Die Antworten liefern außerdem wertvolle Hinweise für die weitere Verbesserung der Leistungen. Die Nebengebäude mit einheitlicher Holzverkleidung (Foto: MFO) 2016 • Das mittlerweile weltweit erfolgreiche Projekt IMAGINARY wird als eigenständige gemeinnützige GmbH ausgegründet. Das MFO bleibt Teilhaber und Kooperationspartner des Unternehmens. • Bei der regelmäßigen Evaluierung durch die Leibniz-Gemeinschaft schneidet das MFO erneut mit hervorragendem Ergebnis ab. • Mit Fördermitteln der VolkswagenStiftung, der Oberwolfach Stiftung und des Fördervereins wird die Informations- und Kommunikationsinfrastruktur des Instituts modernisiert. Unter anderem werden neue, zusätzliche Diskussions- und Arbeitsbereiche eingerichtet, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich. Außerdem wird eine Videokonferenzanlage für Gäste installiert. Der Bibliotheksbestand wird umstrukturiert und schrittweise auf den elektronischen Bezug von Zeitschriften umgestellt. Für die Bestände der gedruckten Zeitschriften wird eine Kompaktaufstellung eingerichtet. Eine von mehreren neuen Außentafeln (Foto: MFO) Videokonferenzanlage für kleine Gruppen (Foto: MFO) Ein zusätzlicher Arbeitsraum wird durch eine Trennwand geschaffen (Foto: MFO). In der Kompaktaufstellung sind Zeitschriften platzsparend untergebracht (Foto: MFO). 83 2017 • Das Bibliotheksgebäude erhält eine neue Lüftungsanlage, wodurch sich vor allem die Kühlung der Vortragsräume in den Sommermonaten verbessert. • Ein neuer Publikationsserver wird eingerichtet, der den Zugang zu den institutseigenen Veröffentlichungen erleichtert. • Gemeinsam mit der TIB Hannover startet das MFO ein Projekt zur Langzeitarchivierung von mathematischen Zeitschriften. 2018 • Die Unterstützung der IMAGINARY gGmbH durch die Leibniz-Gemeinschaft läuft aus. IMAGINARY wurde 2016 ausgegründet und steht nun erfolgreich auf eigenen Füßen. • Das Institut beherbergt erstmals die Leibniz MMS Summerschool für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Instituten der Leibniz- Gemeinschaft, parallel zu einem regulären Workshop. Die neue Lüftungsanlage auf dem Dach der Bibliothek (Foto: MFO) 84 • Gemeinsam mit dem Banach Center des Instituts für Mathematik der Polnischen Akademie der Wissenschaften (IMPAN) plant das MFO zusätzliche Seminare zu den sechs jährlichen Oberwolfach Seminaren. 2019 • Die Oberwolfach Stiftung bewilligt die finanziellen Mittel für einen „Oberwolfach Foundation Grant”, mit dem in Ergänzung zu den „Oberwolfach Leibniz Graduate Students” und den „US Oberwolfach Junior Fellows” weitere Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen bei den Reisekosten unterstützt werden können. • Das erste „Banach Center – Oberwolfach Graduate Seminar” findet in Będlewo statt. • Die Appartements für Gäste des Programms „Research in Pairs” werden erneuert. • Das MFO feiert sein 75-jähriges Jubiläum. Neu renoviertes Arbeitszimmer für Langzeitgäste (Foto: MFO) Impressum Herausgegeben von Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach gGmbH Direktor Gerhard Huisken Gesellschafter Gesellschaft für Mathematische Forschung e.V. Adresse Schwarzwaldstraße 9-11 77709 Oberwolfach Kontakt http://www.mfo.de admin@mfo.de Tel.: +49 (0)7834 979 0 Fax: +49 (0)7834 979 38 Redaktion und Layout Tatjana Ruf (MFO) © Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach gGmbH 2022