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Repositorium Medienkulturforschung Christian Hißnauer „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? NS-Bezüge in der ARD-Krimireihe Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Christian Hißnauer (Dr. phil.), Leiter des Projekts „Real-Life Storytelling: Die dreifache Formstruktur des Reality TV als Verfahren kumulativer Serialisierung“ im Rahmen der DFGForschergruppe 1091 „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ an der Georg-August-Universität Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Fernsehgeschichte; Theorie, Geschichte und Ästhetik dokumentarischer und hybrider Formen in Film und Fernsehen; Popularisierung von Zeitgeschichte; Genre- und Formatanalyse; Serialitätsforschung. Letzte Buchpublikationen: Föderalismus in Serie. Die Einheit der ARD-Reihe ‚Tatort’ im historischen Verlauf. (Mit Claudia Stockinger und Stefan Scherer; unter Mitarbeit von Björn Lorenz) Paderborn: Fink. (Erscheint 2014) Zwischen Serie und Werk. Fernseh- und Gesellschaftsgeschichte im ‚Tatort’. (Hrsg. mit Claudia Stockinger und Stefan Scherer) Bielefeld: transcript. (Erscheint 2014) Wegmarken des Fernsehdokumentarismus: Die Hamburger Schulen. (Mit Bernd Schmidt) Konstanz: UVK-Verlag, 2013. Klassiker der Fernsehserie. (Hrsg. mit Thomas Klein) Stuttgart: Reclam, 2012. Das bundesdeutsche Fernsehspiel der 1960er und 1970er Jahre. Themenheft 3-4/2011 der Zeitschrift Rundfunk und Geschichte. (Gastherausgeber) Fernsehdokumentarismus. Theoretische Näherungen, pragmatische Abgrenzungen, begriffliche Klärungen. Konstanz: UVK-Verlag, 2011. © AVINUS, Berlin 2014 Gustav-Adolf-Str. 9 D-13086 Berlin Tel.: +49 (0)30 – 92 405 410 Fax: +49 (0)30 – 92 405 411 E-Mail: zentralredaktion@medienkulturforschung.de Web: www.repositorium.medienkulturforschung.de Alle Rechte vorbehalten ISSN 2197-0262 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Abstract Die ARD-Krimireihe Tatort (seit 1970) ist dafür bekannt, gesellschaftlich relevante Fragen und Probleme im Rahmen eines Krimiplots zu verhandeln – auch wenn sich diese Themenorientierung erst während seiner langen Laufzeit herausgebildet hat. Der Beitrag geht der Frage nach, wie der Tatort mit dem wichtigsten vergangenheitspolitischen Thema der Bundesrepublik – der NSGeschichte – umgeht. Dabei zeigt sich, dass das sog. ,Dritte Reich‘ erst in den 1980er Jahren ein Thema für den Tatort wird. Das Spektrum an problematisierten Aspekten reicht von der verdrängten individuellen Verstrickung in das System, über ,Arisierung‘, untergetauchte Kriegsverbrecher, die Verbrechen der Wehrmacht, die Katholische Kirche als Fluchthelferin für NS-Täter bis hin zur faschistischen Vergangenheit Österreichs und dem heute immer noch nicht selbstverständlichen ,deutsch-jüdischen Verhältnis‘. Inhalt Einleitend: Der Tatort als televisuelles Gedächtnis der Bundesrepublik 3 Die NS-Vergangenheit als Thema im Tatort 5 Nutznießer 8 Keine Leerstelle: Die NS-Vergangenheit im bundesdeutschen Fernsehen 13 Kriegsverbrecher 19 Ein Überlebender – und der Sohn eines Täters 21 Exkurs: Die deutsche Vergangenheit als (ironischer) Anspielungsraum 26 Bilder des Verbrechens: Wehrmacht, Vernichtungskrieg und die „Familiarisierung des Schuldproblems“ 27 Helfershelfer 32 Jüdisches Leben nach Auschwitz 33 Österreich – und die eigene Vergangenheit 38 Am Ende der Geschichte … ? 44 Literatur 46 Filmographie 48 Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 2 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“ — Richard von Weizsäcker1 Einleitend: Der Tatort als televisuelles Gedächtnis der Bundesrepublik Eike Wenzel betrachtet den Tatort als „populäres Gedächtnis unserer Gegenwartskultur“2; als ,zuverlässiges Archiv der Gegenwartsgeschichte‘3: Und deswegen macht es Sinn, den Tatort als eine unbewusste Geschichtsschreibung der Bundesrepublik zu verstehen.4 Es ist mittlerweile geradezu zu einer Klischeevorstellung geworden, dass der Tatort alle gesellschaftlich relevanten Themen aufgreift und problematisiert. So ist z. B. in dem YouTube-Clip Der typische Tatort in 123 Sekunden5 von dem „verkrampften sozialkritischen Einschlag“ (00:00:43–00:00:45) der Reihe die Rede. Der Clip verkennt dabei die interdiskursive Leistung populärer Fernsehkrimis wie dem Tatort: Die jeweils aktuelle Verschmelzung von Unterhaltung und Information in den lokal kolorierten ,Als-Ob-Welten‘ der Tatort-Krimis macht die Reihe zu einem institutionalisierten ,Interdiskurs‘ […]: Wissen über brisante ,Themen‘ […] wird darin komplexitätsreduziert verarbeitet und zur vergnügten Applikation vieler bereitgestellt. […] [I]n fiktionalen Spielhandlungen wie jenen der Tatort-Krimis [findet] neben der (Re-)Integration von spezialdiskursivem Wissen eine dramatisierte und personalisierte Vermittlung von Werten und Sinnentwürfen statt […]. 1 2 3 4 5 „Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.“ (Zitiert nach http://www.hdg.de/lemo/ html/dokumente/NeueHerausforderungen_redeVollstaendigRichardVonWeizsaecker8Mai1985/index.html). Wenzel 2000, S. 7. Ebd. Ebd. http://www.youtube.com/watch?v=9QENcN-srE0. – Kritisch dazu (vor allem mit Blick auf die historische Entwicklung sog. ,Themen-Tatorte‘) siehe Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a (insbesondere Kap. 3 und 10). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 3 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Diese lassen Rückschlüsse auf die Konsensbereiche politischer Kulturen zu.6 Vor dem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der Tatort mit einem so heiklen – und gleichsam in der bundesdeutschen Erinnerungskultur so wichtigen – Thema wie der NS-Vergangenheit umgeht. Die im Titel dieser Veröffentlichung gewählte Wendung ,Vergangenheitsbewältigung‘ bezeichnet Bernd Mayerhofer als „populäre[n], gleichwohl umstrittene[n] Begriff“,7 da er eine „Reihe problematischer Vorentscheidungen“8 impliziere: Lässt sich Vergangenheit überhaupt bewältigen? Und soll sie bewältigt werden? Ist es, gerade im Falle des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, unter Umständen nicht sinnvoller (und für einen demokratischen Neuanfang hilfreicher), die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen?9 Für Mayerhofer besitzt der Begriff mithin eine ausgesprochen normative Dimension: er fordert zur vorbehaltlosen Aneignung des Geschehenen auf, will nicht auf irgendeinen Umgang, sondern auf die produktive, folgenreiche Auseinandersetzung mit dem, was gewesen ist, hinaus. So verstanden, kann es nur eine legitime Form der Vergangenheitsbewältigung geben, nämlich jene, die sich auf das Geschehene in seiner ganzen historischen Fragwürdigkeit einlässt, um es aufzuarbeiten, zu begreifen und daraus Konsequenzen zu ziehen, die eine Wiederholung verhindern.10 In diesem Sinne soll der Begriff hier verstanden werden, denn dem Tatort liegt eine aufklärerische Intention zugrunde. Wenn in der ARD-Reihe die NSVergangenheit thematisiert wird (was erst ab den 1980er Jahren der Fall ist; siehe den folgenden Abschnitt), so geht es immer auch darum, diese Vergangenheit als Teil der bundesrepublikanischen Geschichte anzunehmen. Darüber hinaus wird das Wissen um die NS-Verbrechen immer wieder aktualisiert und 6 7 8 9 10 Buhl 2012: 145f. Ähnlich auch Gansel/Gast (2007, S. 43f.): „Der deutsche TV-Krimi greift mehr als andere Filmgenres gesellschaftlich relevante Fragestellungen auf und verstärkt diese durch die Art und Weise der Darstellung. Insofern kann man für die Gegenwart davon sprechen, dass TVKrimis die Funktion eines ,Agenda Pushing‘ übernehmen. […] Bei dem für den deutschen TVKrimi typischen Agenda Pushing findet eine Emotionalisierung, Individualisierung, ja eine Versinnlichung des häufig abstrakt und theoretisch bleibenden gesellschaftlichen Themas statt, das in der Regel in den Informationsmedien auf der Agenda steht.“ Eine solche Funktion kann man dem deutschen Fernsehkrimi jedoch erst seit den 1990er Jahren zusprechen (s. u. sowie Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 3). Mayerhofer, Bernd. „,Bewältigung‘ der NS-Vergangenheit.“ http://www.goethe.de/ges/pok/ein/ de5023188.htm [17. Februar 2014]. Ebd. Ebd. Ebd.; Hervorhebung Verf. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 4 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 auf populärer Weise einem Massenpublikum nahegebracht – wie lange der Tatort diese Funktion noch wird erfüllen können, bleibt indes fraglich (siehe dazu den letzten Abschnitt). Die NS-Vergangenheit als Thema im Tatort Im Rahmen des DFG-Projekts „Formen und Verfahren der Serialität in der ARD-Reihe Tatort“11 haben wir systematisch alle Tatorte der Sender BR, Radio Bremen, SR, SDR/SWF/SWR und WDR von 1970 bis 2010 inhaltsanalytisch untersucht und dabei auch die in den Folgen behandelten Themen erfasst.12 Mit Buhl13 kann man unter einem gesellschafspolitischen Thema „ein konfliktäres oder konsensuelles, in jedem Fall brisantes Feld von Aussagen von gesellschaftlicher Relevanz und potenzieller Aktualität“ verstehen, „das ein Krimi über seine Detektionshandlung hinaus enthält oder das damit verwoben ist“.14 Lediglich 4 der 411 berücksichtigten Folgen (1,0 %) befassen sich mit der nationalsozialistischen deutschen Vergangenheit (4/1,0 %).15 Auch bei den nicht in die Inhaltsanalyse eingeflossenen Sendern finden sich nur wenige Filme, die thematische Bezüge im Sinne Buhls zum sog. ,Dritten Reich‘ herstellen. Die NS-Vergangenheit ist dabei nicht nur ein vernachlässigtes Thema im Tatort, es ist auch ein ,spätes‘ Thema.16 In den 1970er Jahren spielt das Thema NS-Vergangenheit – abgesehen vielleicht von biographischen Randbemerkungen – keine Rolle. So kennt bspw. Trimmel einen ostdeutschen Kollegen des Staatssicherheitsdienst (SSD) noch 11 12 13 14 15 16 Das Forschungsvorhaben war Teilprojekt in der ersten Förderphase (2010–2013) der DFGForschergruppe 1091 „Ästhetik und Praxis populärer Serialität“ (siehe http://serialitaet.unigoettingen.de/projects/2). Leitung: Prof. Dr. Claudia Stockinger, Georg-August-Universität Göttingen; Fellow: apl. Prof. Dr. Stefan Scherer, KIT Karlsruhe. Zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts siehe Scherer/Stockinger 2010; Hißnauer 2011a; Stockinger 2011, 2013; Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a/b. Zur Methodenbeschreibung siehe Hißnauer/Scherer/Stockinger 2012. 2013, S. 67. „Als inhaltliche Kategorie ist das jeweilige Thema eines ,Tatort‘-Krimis damit eine spezifische Auswahl und filmische Transformation von Wissen im Rahmen institutionalisierter Interdiskursivität. Das heißt, das Thematische an den Sendungen liegt darin, dass sich in den filmischen Repräsentationen Diskursives erkennbar materialisiert […]. In der Praxis bedeutet dies, dass z. B. ein filmischer Blick in die Sozialräume eines Industrieunternehmens dann von interdiskursiver Relevanz ist, wenn damit über die notwendig realistische Verankerung des Aufklärungsgeschehens hinaus eine filmisch nahegelegte Perspektivierung, ein Deutungsmuster oder eine Haltung der medialen Repräsentation verknüpft sind […].“ (Buhl 2013, S. 67f.). Thematische Bezüge zum ,Dritten Reich‘ werden lediglich in Beiträgen von WDR (2), BR (1) und SWR (1) hergestellt. Das sind gemessen am jeweiligen Sendervolumen 1,4% (WDR), 1,2% (BR) bzw. 0,7% (SDR/SWF/SWR) der Folgen. Zum Thema Rechtsextremismus/Neonationalsozialismus im Tatort siehe Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a (Kap. 10). Zur Entwicklungsgeschichte des Tatort im fernsehhistorischen Kontext siehe Hißnauer 2014 und Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a (Kap. 2 und 3). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 5 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 von ,früher‘, ohne dass dieses ,früher‘ näher konkretisiert wird (Taxi nach Leipzig, 1970; 00:07:20–00:07:27). Wenn der Spiegel jedoch rückblickend schreibt „Trimmel […] sprang mit Verdächtigen so ruppig um, als könne er seine Lehrzeit bei der Gestapo nicht vergessen“,17 so gibt es für den hier angedeuteten biographischen Hintergrund in den Tatort-Folgen keinen Hinweis. Ein anderes Beispiel: In Wenn Steine sprechen (1972) ermittelt Kommissar Pflüger in einem längst verjährten Mordfall aus dem Jahr 1939,18 ohne dass der zeithistorische Hintergrund, insbesondere der politische Kontext, groß erwähnt wird. Es handelt sich einfach um einen alten Fall. Solche biographischen Details (und allgemein eine reaktionäre Haltung, die oftmals begleitet wird mit Aussagen, wie es ,früher‘ war), finden sich bspw. in der Krimiserie Frühbesprechung (1973) nicht nur häufiger, sondern auch expliziter. So erzählt z. B. ein Zeuge in der Folge Volksfest, dass er ,damals‘ mit dabei gewesen sei und seine Blutgruppe unter dem Arm tätowiert hatte – er gibt sich also unbefangen (!) als ehemaliges SS-Mitglied zu erkennen. Die nationalsozialistische Vergangenheit wird hier – anders als im Tatort – als allgegenwärtiger, ,normaler‘ Aspekt der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Wirklichkeit dargestellt. Als ,die‘ deutsche Krimireihe schlechthin, die in den 1970er Jahren sehr schnell nationales Selbstbewusstsein markierte, wäre es naheliegend, wenn der Tatort die NS-Vergangenheit und/oder historische Kontinuitäten als erfahrbare Lebenswirklichkeit der bundesrepublikanischen Gesellschaft verhandeln würde. Der Tatort aber verdrängt die Geschichte weitgehend: Deutschland als ein Land der Alt-Nazis ist im Tatort zu dieser Zeit nicht darstellbar. Erst in den 1980er Jahren finden sich drei Folgen, die das Schweigen des Tatort über die Zeit des 17 18 [Anon.] „Kaninchen in Blau. Der Bayerische Rundfunk präsentiert zwei neue ,Tatort‘Kommissare“ Der Spiegel 1 (31. Dezember 1990), S. 156-157, hier 156. Damals (1972) gab es bei Mord eine Verjährungsfrist von 30 Jahren. Sie war erst 1969 im Zuge einer Debatte über den Umgang mit NS-Verbrechern von 20 Jahre auf 30 Jahre hochgesetzt worden. 1979 wurde die Verjährungsfrist bei Mord schließlich abgeschafft. Der Spiegel sieht einen Grund dafür, dass das möglich wurde, in der US-amerikanischen Serie Holocaust (1978), die im Januar 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlt wurde (die Abschaffung der Verjährungsfrist war politisch hoch umstritten): „Und doch hat sich in diesem Jahr etwas verändert. Der vormals so gängige Spruch, einmal müsse ein Schlußstrich gezogen werden, scheint vielen Westdeutschen nicht mehr so leicht über die Lippen zu kommen, seit ihnen die amerikanische TV-Serie ,Holocaust‘ das Grauen der nationalsozialistischen Juden-Vernichtung dramatisch wie nie zuvor vor Augen geführt hat.“ ([Anon.] „Schrille Töne. Nach ,Holocaust‘ zeichnet sich in Bonn eine, wenn auch knappe, Mehrheit für die Aufhebung der Verjährungsfrist ab.“ Der Spiegel 6 [5. Februar 1979], S. 27) Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die CSU – Gegner einer Aufhebung der Verjährung – versuchte, die Ausstrahlung der Serie im ARD-Programm zu verhindern (vgl. Bösch 2012, S. 118). Zur zeitgenössischen Rezeption und Reaktion auf die Serie siehe Märthesheimer/Frenzel 1979 und Classen 2004. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 6 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Nationalsozialismus – zumindest ansatzweise – brechen: Das Zittern der Tenöre (1981), Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht (1987) und Armer Nanosh (1989).19 Damit wird zwar die NS-Vergangenheit als zur deutschen Geschichte gehörend angenommen, doch (Neo-)Nationalsozialistische und rechtsradikale Ideologien werden allgemein im Tatort als außerhalb des legitimen Meinungsspektrums stehend inszeniert (siehe dazu Hißnauer/Stockinger/Scherer 2014a; Kap. 10). Alt- und Neonazis erscheinen nie als ,Teil der Gesellschaft‘.20 Der Tatort suggeriert, dass die Gesellschaft immun gegen rechtes Gedankengut ist, und es nicht zulässt, dass der Staat von Rechtsextremen unterwandert wird (der Tatort stabilisiert damit das Bild einer ,wehrhaften Demokratie‘). Bedenken muss man bei der ,späten‘ Thematisierung der NS-Vergangenheit aber, dass die 1970er Jahre grundsätzlich ein eher ,themenloses‘ TatortJahrzehnt sind. Der Ruf des Tatort als ,sozialkritisch‘ oder ,gesellschaftskritisch‘ ist zunächst wesentlich durch die Trimmel-Tatorte des NDR und dann in den 1980er Jahren durch die Schimanski-Folgen des WDR geprägt. Erst seit den 1990er Jahren produzieren alle beteiligten Sender – aufgrund massiver Umwälzungen im bundesdeutschen Fernsehmarkt – mehr oder weniger regelmäßig sog. ,Themen-Tatorte‘ (vgl. Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 3). Der folgende Überblick über die NS-Bezüge im Tatort ist grob chronologisch orientiert, fasst aber inhaltlich ähnlich gelagerte Produktionen in den einzelnen Kapiteln zusammen. Folgen, in denen Neonazis im Mittelpunkt stehen und in denen lediglich durch Symbole (z. B. Hakenkreuze, die Reichskriegsflagge), Bilder (bspw. von Adolf Hitler oder Rudolf Heß) o. ä. auf das sog. ,Dritte Reich‘ verwiesen wird, werden hier nicht berücksichtigt, denn diese Zeichen dienen in der Regel nur zur Charakterisierung einer Figur oder einer Gruppe als rechtsextrem, ohne dass damit die deutsche NS-Vergangenheit als Thema verhandelt würde. Ausnahmen sind bspw. Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht und Geschlossene Akten (1994). In diesen beiden Folgen vermischen sich die Themen. 19 20 In Schwarzes Wochenende (1986) spielt die NS-Vergangenheit zweier Familien am Rande eine Rolle, da eine Denunziation im sog. ,Dritten Reich‘ zu einer Familienfehde unter den Möbelfabrikanten führt, die in der narrativen Gegenwart mörderische Folgen zeitigt. Doch dies bildet nur den flüchtig erzählten Tathintergrund und nicht das Thema des Films. Dies ist in der ORF-Folge Zwischen den Fronten (2013; s. u.) anders. Eine Ausnahme stellt auch Das Zittern der Tenöre (1981) dar, in der die verdrängte und vertuschte NS-Vergangenheit der Honoratioren einer norddeutschen Kleinstadt thematisiert wird (siehe den folgenden Abschnitt). Dabei handelt es sich allerdings nur um ,kleine Mitläufer‘, die nicht als ideologisch verblendet charakterisiert werden. Sie haben vom sog. ,Dritten Reich‘ profitiert, waren aber nicht aktiv in die Verbrechen verstrickt. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 7 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Nutznießer Ein alter, ungeöffneter Koffer sorgt in der (fiktiven) schleswig-holsteinischen Kleinstadt Endwarden beim Gesangsverein „Germania“ für Unruhe. Der Dachbodenfund gehörte einst dem im Krieg gefallenen Julius Fintzel; „so ein 150 %-iger“, wie es heißt (00:34:46–00:34:48). Sein Bruder Otto findet das längst vergessene Stück, als er den Speicher wärmedämmen will. Unbedarft redet er davon bei der nächsten Chorprobe – und von Julius’ Sammelleidenschaft. Das Zittern der Tenöre beginnt: Drei von ihnen, angesehene Bürger der Stadt, fürchten, dass Julius’ ,Vermächtnis‘ ihre verleugnete Nazivergangenheit offenbaren könnte. „Die Spannung ergibt sich daraus, wie diese sangesfreudige Männergesellschaft zu vertuschen sucht, was früher war, wie sie ihre Gesichter (die immer leerer, verschlossener, ängstlicher werden) zu wahren suchen.“21 Einer von ihnen stürzt zu Tode bei dem Versuch, an das Gepäckstück zu gelangen. So darf dann nach fast 59 Minuten Kommissar Greve undercover im Gesangsverein ermitteln. Dieter Brumm unterstellt diesem Tatort in der Süddeutschen Zeitung eine „Doppelte Verdrängung“: Dieser Film lebt von den Verdrängungen in einem kleinbürgerlichen Gemeinwesen. Daß diese im doppelten Sinne geschieht, wird allerdings erst bei einem Blick hinter die Kulissen deutlich: Zunächst zeigt sich nur ein Defizit an Glaubwürdigkeit. Immerhin sollten auch Märchen für Erwachsene in sich schlüssig bleiben. Wenn also ein biederer Pensionär seine Sangesbrüder in Angst und Schrecken versetzt, weil er vom Auffinden eines Koffers erzählt, in dem (vielleicht) belastende Dokumente aus der NS-Zeit liegen könnten, dann ist das ein interessanter Spielansatz. Wenn die Ängste dann aber damit motiviert werden, daß der eine mal pubertäre Lobeshymnen auf Hitler verfaßt und der andere von der ,Arisierung‘ seiner Apotheke durch seinen Vater profitiert hat, muß man sich wohl fragen, ob hier Zuschauer für dumm verkauf werden sollen. Denn in der bundesdeutschen Realität hat solche NS-Belastung noch keiner Karriere geschadet. Eher im Gegenteil.22 Dem Autor Hansjörg Martin kann man das freilich nicht anlasten. Vor einem Monat ist unter gleichem Titel seine Geschichte im Rowohlt-Verlag erschienen; dort finden sich sehr viel brisantere Gründe für die Angst 21 22 Thieringer, Thomas. „Zwei außergewöhnliche TV-Krimis. ,Tatort: Das Zittern der Tenöre‘ von Hansjörg Martin (ARD/NDR, 31.5.). ,Die Fahrt nach Schlangenbad‘ von Hans-Georg Thiemt und Hans-Dieter Schreeb (ZDF, 1.6.).“ epd/Kirche und Rundfunk 45/46 (13. Juni 1981), S. 19. Darauf spielt auch Momos (Walter Jens), der Fernsehkritiker der Zeit an. Er spricht von „der ironischen Pointe des Ganzen: Vorspiegelung eines Gemeinwesens, in dem es, anders als im Globke-Deutschland, eine Schande ist, damals dabei gewesen zu sein …“ (Momos: „Etwas ist nicht geheuer.“ Die Zeit 24 [5. Juni 1981], S. 52). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 8 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 der Tenöre. So hat der Lehrer nicht bloß Lyrik, sondern den Tod eines jugendlichen Volkssturm-Mannes zu verantworten, den er wegen ,Feigheit vor dem Feind‘ erschießen ließ. Offenkundig haben Ängstlichkeiten die Redaktion und den Regisseur (Hans Dieter Schwarze) bestimmt: Eine Nachfrage beim Autor ergibt, daß die Geschichte gegen seinen Protest weitgehend entpolitisiert wurde.23 In diesem Sinne ist Das Zittern der Tenöre verharmlosend, weil es offenkundig in den frühen 1980er Jahren noch nicht möglich ist, ,Stützen‘ der bundesrepublikanischen Gesellschaft als Kriegsverbrecher und/oder Massenmörder darzustellen. Offenbar kann man in den 1960er und 1970er Jahren Fernsehspiele über ,fiese Nazis‘ machen, doch das sind immer nur die Parteibonzen und SSMänner. Die einfache deutsche Bevölkerung und die Wehrmacht werden – in der Regel – als hilflose oder bestenfalls verführte Opfer inszeniert, die mit den Verbrechen der Nazis nichts zu tun hatten (siehe z. B. das Dokumentarspiel Die Brücke von Remagen aus dem Jahr 1967). Erst mit der sog. ,Wehrmachtsausstellung‘ Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (ab 1995) und Daniel Goldhagens Buch Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust/Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust (1996; Deutsch 2000) begann in Deutschland die breite Auseinandersetzung mit der Verstrickung der ,einfachen Soldaten‘ und ,gewöhnlichen Deutschen‘ in den Völkermord.24 Und so ist auch in diesem Tatort die Nazivergangenheit der Honoratioren vergleichsweise ,harmlos‘; sie stellen sich als Mitläufer und Nutznießer heraus, aber nicht als finstre Nazischergen. Treffend formuliert der Apotheker Walter Hanke daher gegenüber seiner Tochter: „Aber so senil, dass ich heute deswegen in Panik gerate, bin ich gottseidank noch nicht.“ (00:44:40–00:44:45) Entsprechend fürchtet sich auch eher seine Tochter um ihre politische Karriere im Gemeinderat als er, wenn herauskäme, dass sein Vater im Zuge der sog. ,Arisierung‘ an die Apotheke gekommen ist. „Zu einer Auseinandersetzung mit den Opfern von ,einst‘ kommt es schon deshalb nicht, weil die scheinbar spurlos aus dem Gemeinwesen verschwunden sind.“25 Das Zittern der Tenöre liegt dabei mit seiner Verortung im Kleinstädtischen ganz auf der Linie der bundesrepublikanischen Erinnerungspolitik jener Zeit: Daß eine der populärsten Krimireihen des deutschen Fernsehens nach den Spuren nationalsozialistischer Vergangenheit im Rahmen provinziel23 24 25 Brumm, Dieter. „Doppelte Verdrängung. Tatort: Das Zittern der Tenöre (ARD/NDR).“ Süddeutsche Zeitung 125 (2. Juni 1981), S. 31. Zur Kontroverse um die Ausstellung siehe Thiele 1997, zur Debatte um Goldhagens Thesen siehe Schoeps 1996. Struck 2002, S. 196. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 9 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 ler Alltäglichkeit fahndet, repräsentiert am Beginn der 80er Jahre durchaus einen Trend, der auch außerhalb fiktionaler Modelle zu beobachten ist. Die Arbeit lokaler Geschichtsinitiativen, -vereine und -werkstätten etwa rückt die zeitlich sich entfernende Vergangenheit in die räumliche Nähe von Stadtteilen oder kleinerer Ortschaften.26 Dass eine solche lokale Geschichtsaufarbeitung zum Teil auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung stieß, macht Michael Verhoeven in seinem Film Das schreckliche Mädchen (1990) deutlich, der auf dem Fall der Passauer Schülerin Anna Elisabeth Rosmus basiert. Um ,Arisierung‘ geht es am Rande auch in den Tatort-Folgen Berlin – beste Lage (1993) und Verraten und verkauft (2004). In Berlin – beste Lage wird dabei die Rückgabepolitik der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung hinsichtlich in der DDR enteigneter Grundstücke, Häuser und Fabriken mit der Verjährung von Ansprüchen der ,Arisierungs‘-Opfer konterkariert. Damit gelingt es dem Film, ein aktuelles Thema mit einem vergangenheitsbezogenen geschickt zu verschränken. Während in Das Zittern der Tenöre die ,Arisierung‘ verharmlosend dargestellt wird, als habe man lediglich zu einem ,Spottpreis‘ eine Apotheke übernommen, so wird in Berlin – beste Lage daraus eine Zwangshandlung: Unter der Androhung ins KZ geschickt zu werden, wurde der Fabrikbesitzer Goldstein 1938 genötigt, seinen Besitz zu überschreiben (01:13:35–01:14:26; 01:22:00– 01:23:34). ,Arisierung‘ wird damit als ein Baustein der Gewalt gegen Juden und ihrer zunehmenden Ausgrenzung und Entrechtung inszeniert, die letztendlich im Genozid endete. Daher steht Kommissar Markowitz am Ende an einem Gedenkstein für die 550.000 Berliner Juden, die in Auschwitz und Theresienstadt ermordet wurden (01:36:36). Die ORF-Folge Nichts mehr im Griff (2001) benennt ,Arisierung‘ von privatem Besitz als Beschlagnahme im Zuge der Deportation jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger (00:38:18–00:38:28). Sie stellt den Zusammenhang damit noch direkter her als Berlin – beste Lage. In Verraten und verkauft wird der Zusammenhang von ,Arisierung‘ und Gewalt ebenfalls expliziert (00:33:44–00:34:15; 01:14:02–01:14:32). Hier geht es aber nicht mehr darum, dass mit der Verschleppung ins KZ gedroht wurde. Die Kommissare Ballauf und Schenk decken vielmehr einen Fall auf, bei dem jüdische Familien 1941 direkt nach der Enteignung – im Auftrag derjenigen, die ihren Besitz an sich gerissen haben – von der SS erschossen wurden. Die Familien wurden dabei in dem sicheren Glauben gelassen, sie könnten ausreisen. ,Arisierung‘ wird damit in der Tatorthistorie zunehmend deutlicher als Gewaltakt thematisiert. 26 Struck 2002, S. 196f.; vgl. auch Struck 2011, S. 170f. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 10 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Michael Mandelartz kritisiert Das Zittern der Tenöre heftig: Während die Diskussion um die ,Vergangenheitsbewältigung‘ in der deutschen Öffentlichkeit auf ihren Höhepunkt Mitte der 80er Jahre zusteuerte,27 stellt der Film die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit als Merkmal der Provinz heraus. […] Das gebildete, großstädtische Publikum mag dadurch in seinem Selbstbild als ,Aufklärer‘ bestärkt werden. Der Film macht sich gleichwohl zum heimlichen Komplizen der Verdrängung. Die zum Schluß offiziell festgestellte Todesursache ,Treppensturz‘ beantwortet keineswegs die Frage, ob der Sturz selbst- oder fremdverschuldet war. Greve kann nicht wissen, was der Zuschauer weiß: daß tatsächlich kein Mord geschehen ist, und trägt daher genau genommen zur Verdunklung eines immerhin möglichen Verbrechens bei. Ebensowenig wird die weitergehende Frage öffentlich erörtert, warum der Tote in den Speicher eingebrochen ist. Kommissar Greve verdeckt nur die Abgründe der Honoratiorengesellschaft mit der Bemerkung: ,Na, und der Anlaß ist ja auch klar.‘ Von ,Aufklärung‘ kann hier weder im Sinne der Polizeiarbeit noch im historischen Sinne die Rede sein. Filmisch repräsentiert wird die staatlich sanktionierte Verdrängung am Ende des Films mit dem erneuten Schließen des Koffers: Es ist, als ob nichts gewesen wäre.28 Mandelartz übersieht hier mehrere Dinge. Die ,Aufklärung‘ des Falles ist dramaturgisch nicht nötig, eben weil der Zuschauer Zeuge des Treppensturzes geworden ist. Es genügt daher, dass Greve die Zusammenhänge ,erkennt‘ – aus zeitökonomischen und dramaturgischen Gründen werden Redundanzen durch eine elliptische Erzählweise vermieden.29 Aus diesem Grund muss auch im Rahmen der narrativen Wirklichkeit die Frage nicht ,öffentlich erörtert‘ werden, warum der Gastwirt Klaus Möhlmann auf dem Dachboden war. Sie wurde bereits öffentlich erörtert: als Tatort-Folge zur bundesdeutschen Prime Time. Die Schlusspointe von Das Zittern der Tenöre besteht darin, dass sich in dem Koffer nur Nazi-Plunder befindet – keine Dokumente, die die NSVergangenheit der ,guten Gesellschaft‘ beweisen würden. Belastet sind der Apotheker, der Wirt und der Oberstudienrat also bestenfalls durch ihr eigenes Gewissen und ihre Angst, die verdrängte und verleugnete Vergangenheit könn- 27 28 29 Mandelartz bezieht sich hier wahrscheinlich auf den sog. ,Historikerstreit‘ 1986/87, bei dem es um den geschichtlichen Stellenwert des Holocaust ging. Zum ,Historikerstreit‘ siehe Augstein et al. 1995. Mandelartz 2009, S. 17. Vgl. dazu Hämmerling/Hißnauer 2014. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 11 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 te sich Bahn brechen.30 Daher kann Greve hier auch nicht staatlich sanktionieren.31 Greve zeigt übrigens auf den Koffer, als er sagt „Na, und der Anlass ist ja auch klar.“ (01:23:55–01:24:00). Er verdeckt damit in der filmischen Rhetorik nicht „die Abgründe der Honoratiorengesellschaft“, wie Mandelartz behauptet, sondern verweist nochmal – aber ohne redundante Dialogzeilen – darauf, dass Möhlmann bei dem Versuch gestorben ist, vermeintlich belastendes Material verschwinden zu lassen. Zugleich macht Greve damit deutlich: Er weiß – wie auch der Zuschauer –, dass die anderen Sangesbrüder ebenfalls ihre Vergangenheit verbergen und nicht dazu stehen. Das wird offensichtlich, als er u. a. den Apotheker mit ironischem Unterton fragt, ob er eines der Nazi-Abzeichen haben möchte, die in dem Koffer sind: „Möchten Sie eins? Hm? Hm … Damit fällt man bloß die Treppe runter.“ (01:24:48–01:24:58).32 In this model, the suitcase only has a catalytic function. When it is finally opened, it brings up literally nothing other than old plunder. The knowledge of the past is to be found somewhere else: in the individual memories of the involved persons, in their pangs of conscience and their suppressions. It is (still) present there, but it is not communicated.33 Dass Möhlmann stirbt, ist auffällig, da er der Einzige ist, der sich niemandem offenbart. Oberstudienrat Buchholz gesteht seiner Frau, dass er kriegsverherrlichende Gedichte geschrieben hat, Apotheker Hanke erzählt seiner Tochter davon, dass sein Vater Arisierungsgewinner war. Doch ihre Geständnisse verbleiben im Privaten; auch Frau und Tochter wollen nicht, dass das Verdrängte bekannt wird. Hier zeigt sich, dass nicht nur diejenigen, die in das NS-System verstrickt waren, ein Interesse daran haben, die Vergangenheit ,ruhen zu lassen‘. So betont die Tochter ausdrücklich, dass es besser gewesen wäre, wenn ihr Vater ihr die Sache nicht erzählt hätte (00:44:22–00:44:24). Insgesamt erscheint es überzogen, dem Tatort vorzuwerfen, er würde sich in Das Zittern der Tenöre aktiv an der Verdrängung der NS-Vergangenheit beteiligen (,heimlicher Komplize‘) – gerade weil es die erste Folge ist, die das Thema überhaupt in den Mittelpunkt stellt (und damit die NS-Zeit als verdrängte Vergangenheit konstruiert). Der Tatort beginnt hier erst, Möglichkeiten der Vergan30 31 32 33 Im Übrigen haben sie kein Problem damit, zur vorgerückten Stunde und mit erhöhtem Alkoholpegel alte Kampflieder zu singen. Es ist also nur ein bestimmter Teil der Vergangenheit, den sie verschweigen und verdrängen wollen. Zudem hätte Greve gar keine strafrechtliche Handhabe gegen die drei Männer. Oberstudienrat Rainer Buchholz hat daher auch nicht Angst vor der Polizei, sondern vor dem ,Tratsch‘ der Leute (00:33:24–00:33:36). Struck liest den Gesangsverein als einen deutschen Mikrokosmos: „Die einzige Hoffnung auf eine Änderung des Zustandes besteht darin, daß diese Germania eines Tages an Überalterung und Nachwuchsmangel eingehen könnte“ (Struck 2002, S. 196). Struck 2009, S. 28. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 12 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 genheitsbewältigung in einem auf die Gegenwart bezogenen (Mainstream-)Krimi auszuloten. Seitdem gelingt es dem Tatort immer wieder, die nationalsozialistische Vergangenheit als Vergangenheit, die sich als etwas nicht Abgeschlossenes auf aktuelles Geschehen auswirkt, in eine Krimihandlung einzubauen. Der Tatort lernt, Wege einer möglichen Thematisierung zu finden, Themen dramaturgisch umzusetzen und krimigemäß zu aktualisieren. Keine Leerstelle: Die NS-Vergangenheit im bundesdeutschen Fernsehen Die Aufarbeitung der NS-Zeit spielt im bundesdeutschen Fernsehen spätestens seit Ende der 1950er Jahre eine Rolle. Wegweisend – wenn auch nicht immer unumstritten – waren Fernsehdokumentationen wie Als wär’s ein Stück von Dir… (1959), Das Dritte Reich (1960/61), Mendel Scheinfelds zweite Reise nach Deutschland (1972), Wer schießt auf Ralf Bialla? – Warum läßt Ralf Bialla auf sich schießen? (1972)34 oder Comedian Harmonists – Sechs Lebensläufe (1976), Dokumentarspiele wie Der Röhm Putsch (1967), Der Reichstagsbrandprozeß (1967) oder Operation Walküre (1971) und historische bzw. problemorientierte Fernsehspiele/-filme wie Am grünen Strand der Spree (1960), Anfrage (1962), Das Haus in der Karpfengasse (1965), Ein Tag – Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 (1965) oder Mord in Frankfurt (1968).35 Der oft beschworene „Entlarvungsschock“36, zu dem die Ausstrahlung der USamerikanischen Mini-Serie Holocaust (1978; deutsche Ausstrahlung 1979) geführt haben soll37, ist von daher vielleicht aus individueller Sicht nachvollziehbar, weil die dramaturgisch wie eine Soap funktionierende Serie vor allem emotional berührte, widerspricht aber der Präsenz des Themas im bundesdeutschen Fernsehen (bzw. in den Medien allgemein).38 Bemerkenswert von den frühen Produktionen sind vor allem die Dokumentation Als wär’s ein Stück von Dir… und der mehrteilige Fernsehfilm Am grünen Strand der Spree, da sie bereits 1959 bzw. 1960 sehr explizit die NS-Verbrechen benennen – und gegen damals oft zu hörende Entlastungsargumente deutlich 34 35 36 37 38 Hans-Dieter Grabes Dokumentarfilme Mendel Scheinfelds zweite Reise nach Deutschland und Wer schießt auf Ralf Bialla? – Warum läßt Ralf Bialla auf sich schießen? lassen sich als ein Doppelporträt von Opfer und Täter lesen, obwohl Wer schießt auf Ralf Billa? vordergründig ein Artistenporträt ist (siehe dazu Hißnauer 2013). Vgl. u. a. Classen 1999; Fritsch 2003; Hickethier 2003, 2010, 2011b, 2013; Hißnauer/Schmidt 2013; Keilbach 2008. Becker 1980, S. 184. Vgl. auch Märthesheimer/Frenzel 1979; Classen 2004. Nichtsdestotrotz führte Holocaust dazu, dass insbesondere die Judenvernichtung in Fernsehfilmen und Mehrteilern verstärkt auch als emotionales Drama erzählbar wurde. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 13 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Stellung beziehen.39 So heißt es direkt zu Beginn von Als wär’s ein Stück von Dir… im ,voice over‘-Kommentar: Sie erinnern sich doch. Sie wissen doch, was Hitler alles auf dem Gewissen hat. Millionen Juden wurden im Namen Deutschlands ermordet. Oder können Sie ehrlich sagen, ich habe davon überhaupt nichts gewusst? Damals. Aber heute, wissen Sie heute, was damals geschah? Weiß es jeder Deutsche? Oder haben wir, wie oft behauptet wird, diese Zeit aus unserem Gedächtnis gestrichen? Eines steht doch fest: Ohne zu wissen, was damals in unserem Namen geschah, werden wir weder die Vergangenheit noch die Zukunft bewältigen. Wenn Sie wissen wollen, was war und was ist, bitte ich Sie jetzt, uns zu folgen. (00:00:19–00:01:01) Autor Peter Schier-Gribowsky legt „eine ungewöhnlich umfassende Darstellung verdrängter Verbrechen und latenter Gefahr [vor]. Der Film ist Protokoll, Analyse, Appell.“40 Er thematisiert nicht nur den NS-Massenmord, sondern geht auch auf die damals aktuelle Situation ein: Hochrangige Nationalsozialisten leben von üppigen Pensionen. Ein ehemaliger Lagerkommandant (Albert Konrad Gemmeker, ,Polizeiliches Judendurchgangslager Westerbork‘) will von den Gräueltaten in Auschwitz nichts gewusst haben, auch wenn er regelmäßig Transporte in das Todeslager geschickt und sie persönlich überwacht hat. „Verräterische Formulierungen und selbstgerechte Aussagen führen Gemmeker als einen Mann vor Augen, der sich mit Lippenbekenntnissen als geläuterter Mensch darstellt – aber in Wirklichkeit ohne Schuldbewusstsein und ohne neue Einsicht ist.“41 Eine KZ-Überlebende berichtet vom alltäglichen Antisemitismus in der Bundesrepublik. In den Schulen unterrichten zum Teil ,Unbelehrbare‘. Das ehemalige Konzentrationslager Dachau wird zu allen möglichen Zwecken genutzt – nur nicht als Gedenkstätte. In Straßeninterviews wird ganz offen zugegeben, dass man von dem wusste, was in den KZs geschieht. Wie bereits zu Beginn der Produktion, so werden auch am Ende die Zuschauerinnen und Zuschauer ganz direkt angesprochen: Es liegt allerdings an jedem Einzelnen selbst, ob er aus der Vergangenheit sinnvolle Lehren zieht. Was geschah mit den Juden? Wie konnte es dazu kommen? Wie ist die Einstellung zu unseren jüdischen Mitbürgern 39 40 41 Diese beiden Produktionen sind auch deswegen so bemerkenswert, weil es „heute als verkürzende Verharmlosung“ erscheint, den „Zweiten Weltkrieg darzustellen, ohne die Ermordung der Juden zu thematisieren […]. Dies galt jedoch noch nicht in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, in denen die Darstellung des Massenmordes in den Medien noch selten war.“ (Hickethier 2003, S. 118). Struck (2003, S. 425) nennt als eine der frühsten Produktionen, in denen die Konzentrationslager thematisiert wurden, die WDR-Dokumentation KZ Schergen aus dem Jahr 1958. Hißnauer/Schmidt 2013, S. 91. Ebd. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 14 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 heute? Das sind Fragen, an denen kein Deutscher achtlos vorbei gehen kann […].(01:07:44–01:08:03) In dem sog. Fernsehroman Am grünen Strand der Spree zeigt Fritz Umgelter quälend lang eine Massenerschießung. Eine Szene, die „auf allgemeinen Unglauben stieß, obwohl sie urkundlich bewiesen ist“, so Der Spiegel 1960.42 Für Die Zeit zeichnet sich der erste Teil des Films – Das Tagebuch des Jürgen Wilms – „dadurch aus, daß er mit der tausendfältig belasteten, keineswegs überwundenen Vergangenheit so mutig aufrichtig und nichts beschönigend abrechnet, wie das bisher kein Film gewagt hat“.43 Auch Telemann, der Fernsehkritiker des Spiegel, stellt anhand dieses Beispiels heraus: Und noch etwas kann das Fernsehen, was der Film nicht kann: Es kann politisch unbequem sein, ohne Gefahr zu laufen, vor leere Stuhlreihen oder in den Wirkungsbereich von Stinkbomben und weißen Mäusen zu geraten. Zumindest kann es die Vorstellungskraft derer beleben, die millionenfachen Mord für eine Frage der Arithmetik halten. Beweis: der Schluß des ersten Filmteils (,Das Tagebuch des Jürgen Wilms‘, 22. März).44 Eingebaut in eine Rahmenhandlung, die 1954 spielt,45 dreht sich in dieser Folge alles um ein Kriegstagebuch, das ein junger Wehrmachtssoldat während des Russlandfeldzuges 1941 geführt hat. Der Kriegsfilm wird somit als Augenzeugenbericht authentifiziert. Fast ein Drittel der ca. 95minütigen Folge thematisiert und zeigt in aller damals möglichen Deutlichkeit die NS-Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung; Bilder, die „für die Zuschauer der Erstausstrahlung ein schockierendes FernsehErlebnis gewesen sein müssen“46. Dabei nähert sich der Film der Massenerschießung in drei Schritten: 1. Zunächst wird unter den Kameraden ,nur‘ darüber gesprochen, dass die jüdische Bevölkerung von der SS liquidiert wird – was man auch 42 43 44 45 46 [Anon.] „ Kriegsverbrechen. Eichmann. Der Endlöser.“ Der Spiegel 25 (15. Juni 1960), S. 20–33, hier 26. Siehe zu dem Film auch Koch 2002. Müller, Erika. „,Was den Menschen Lust gewährt…‘“ Die Zeit 15 (8. August 1960): 28. – Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass insbesondere ausländische Filme zum Thema in der Bundesrepublik der 1950er Jahre entweder gar nicht oder nur gekürzt im Kino gezeigt wurden (vgl. Hickethier 2003, S. 118). Telemann. „Imperfektion.“ Der Spiegel 14 (30. März 1960), S. 61; siehe dazu auch Hickethier 2003, S. 121f. Vier ehemalige ,Kriegskameraden‘ treffen sich abends in einer Berliner Bar und reden über die Vergangenheit. Koch 2002, S. 79. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 15 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 dahin gehend missverstehen könnte, dass hier die Vorstellung der ,sauberen Wehrmacht‘ perpetuiert würde.47 2. Dann zeigt Regisseur Fritz Umgelter – als sich Wilms die Exekutionen ansehen will – polnische Kinder, die Judenerschießung ,spielen‘. Im Hintergrund ist permanent das Maschinengewehrfeuer zu hören; ein unaufhörliches Stakkato. 3. Erst dann dringt Wilms zum tatsächlichen Schauplatz vor. Er sieht Soldaten der lettischen Volksarmee – Armbinden weisen sie als im ,Dienst der Deutschen Wehrmacht‘ stehend (!) aus48 –, die immer wieder ihre Gewehre nachladen, er sieht die langen Opferschlangen, bis er schließlich an einer Ausschachtung steht, in die die Menschen getrieben und in der sie erschossen werden. Diese Sequenz vermittelt visuell sehr eindrücklich den Massenmord, der hier in seiner stumpfen Ausführung an monotone Fließbandarbeit erinnernd inszeniert wird: Hinter einem LKW laden die lettischen Soldaten ihre Maschinenpistolen nach. Die Kamera löst sich in einer Kranfahrt von ihnen, schwenkt über den Armeelaster, erfasst die lange Reihe jüdischer Opfer, die sich ruhig und langsam in Richtung Exekutionsplatz bewegt. Weitere lettische Volksarmeeristen geraten ins Bild, die sich hinter den LKW begeben, um dort ihre Magazine mit neuen Patronen zu füllen. Die Kamera hat eine Kreisbewegung ausgeführt, die sie noch zweimal wiederholt: Bei Umgelter ist das Massaker fast noch quälender als im Roman, weil sich der Regisseur Zeit lässt, viel Zeit. Heute würde man die Bilder mit irgendeiner Musiksauce übergießen. Hier hört man nur den Wind, die Maschinenpistolen und das Knirschen der Schuhe im Schnee, als die Opfer wie Schlachtvieh zu der Grube geführt werden, die man für sie ausgehoben hat. Alles läuft schrecklich ordentlich ab (Wilms im Tagebuch: ,Deutsche Polizisten führten die Aufsicht in alten grünen Uniformen. Ich stand oben am Grabenrand, sah das, sah das und glaubte es nicht.‘). Um anzudeuten, dass die Juden beim Erschießen nackt sind, als finale Demütigung (im Fernsehen, das auch angesichts des Holocaust auf Anstand und Sitte achtete, hätte man das 1960 nicht zeigen können), 47 48 Zwar werden die Wehrmachtssoldaten zunächst nicht als ideologisch verblendet und noch zu menschlichen Regungen fähig inszeniert, doch daraus zu schließen, dass hier – als gängiger Topos deutscher Erinnerungspolitik – das Bild der ,guten‘ Wehrmacht dem der ,bösen‘ SS gegenüber gestellt werde, wäre vereinfachend (s. u.). Umgelter zeigt auch, dass Wehrmachtssoldaten den Schauplatz des Massakers absperren und bewachen. Vor allem aber macht er, bevor die Massenexekution überhaupt zu sehen ist, deutlich, dass die Soldaten von dem Genozid wussten – und in Briefen davon auch ihren Angehörigen berichtet haben. ,Wir haben davon nichts gewusst‘? Am grünen Strand der Spree stellt diese später oft zu hörende Aussage als Schutzbehauptung aus. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 16 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 müssen sie die Schuhe ausziehen, die auf einen großen Haufen geworfen werden. Die Menschen in der langen Schlange wirken wie betäubt, die Täter wie Roboter.49 Ebenso sind die Leichen der Ermordeten nicht zu sehen. „Der Film […] bedient sich einer Ästhetik des Zeigens durch das Nichtzeigen, und er konfrontiert das Publikum minutenlang mit dem, was als nicht darstellbar gilt.“50 Lars Koch51 sieht dennoch in dem Film „Parallelen und Berührungspunkte mit verbreiteten apologetischen und relativierenden filmisch-fiktionalen und nichtfiktionalen Auslegungen der NS-Vergangenheit aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren“ – auch wenn Am grünen Strand der Spree dazu „eine ambivalente Stellung“ einnähme.52 Hier lässt sich aber entgegenhalten, dass Am grünen Strand der Spree genau diese Haltungen (,innere Emigration‘ bzw. die Idee von der Wehrmacht als ,Keimzelle des Widerstandes‘) reflektiert und als Entschuldungs- oder zumindest Entlastungs-Strategien offenlegt. Dies wird bereits in einer der ersten Szenen – wenn auch sehr subtil – erkennbar, die Koch sogar selbst beschreibt und kommentiert: Nachdem die Kamera an der ,Siegessäule‘ und am ,Brandenburger Tor‘ vorbeigeschwenkt ist, verweilt sie sekundenlang in Großeinstellung auf den Namensschildern zweier Straßen, die einer der Protagonisten der abendlichen Herrenrunde am Nachmittag vor dem Treffen auf dem Weg zur Arbeit entlang fährt. Die Namen dieser Straßen – ,Hardenbergstraße‘ und ,Meineckestraße‘ – markieren zwei in den fünfziger Jahren diskursiv anerkannte Handlungs- und Deutungsoptionen, als zwischen denen hinund hergerissen der Film den Tagebuchschreiber Wilms dann präsentiert: Major Graf Carl-Hans von Hardenberg hieß einer der am Widerstand gegen Hitler beteiligten Offiziere […], der […] sich selbst als Repräsentant eines ,anderen Deutschlands‘ darstellte; der Historiker Friedrich Meinecke war einer der ersten deutschen Intellektuellen, der […] den deutschen Soldaten in entschuldigender Weise als primär von seinem Eid und dem daraus resultierenden Befehlsgehorsam geleitet begriff und die Verinnerlichung deutscher Kulturwerte als Überwindungsstrategie der NS-Vergangenheit propagierte.53 Am Ende des ersten Teils hebt der Film hingegen sehr deutlich hervor, dass Wilms die Augen vor der Wahrheit verschließt – es wird als Flucht vor der Rea49 50 51 52 53 Schmidt, Hans. „,Scheener Herr aus Daitschland.‘ Vermischte Nachrichten vom grünen Strand der Spree.“ Telepolis (23. Juli 2011); http://www.heise.de/tp/artikel/34/34900/1.html [28. November 2013]. Hickethier 2003, S. 125. 2002, S. 80. Ebd., S. 82. Ebd., S. 83. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 17 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 lität des Genozids inszeniert. Wilms wird (in einem inneren Monolog) ausdrücklich als ,feiger Herr aus Deutschland‘ bezeichnet und als jemand gezeigt, der lieber schweigt und sich – so lange bis er es selbst glaubt – einredet, Deutschland sei noch nicht verloren, so lange es Männer wie ihn gäbe; ein bitter-böser Kommentar auf das moralische Versagen sämtlicher soldatischer Tugenden und den anschließenden Selbstbetrug einer ganzen Generation. Nicht nur diese beiden Beispiele zeigen, dass man nicht davon ausgehen kann, dass das Thema allgemein im Fernsehen tabuisiert gewesen wäre. Lediglich im unterhaltenden Krimi wird es erst sehr spät aufgenommen, um sich nicht dem Vorwurf der ,Trivialisierung‘ auszusetzen. So spielt die NS-Vergangenheit z. B. in der ersten großen Krimireihe des bundesdeutschen Fernsehens – Stahlnetz (1958–1968) – keinerlei Rolle. Dies scheint ebenso für die Reihen Das Kriminalmuseum (1963–1968) und Die fünfte Kolonne (1963–1968) sowie die vielen Vorabendserien zu gelten. Einen frühen Versuch, das Thema NS-Vergangenheit (zumindest ansatzweise) im Fernsehkrimi zu erzählen, stellt sicherlich die Derrick-Folge54 Paddenberg (1975) dar, die gleichsam das Unvermögen zeigt, Kriegsverbrechen oder Kriegsverbrecher im deutschen Krimi jener Zeit zu thematisieren.55 In dieser Folge erkennt Robert Hofer auf der Straße plötzlich seinen alten Kameraden Goldinger wieder, mit dem er zusammen im Kriegsgefangenenlager war. Goldinger lebt nun unter dem Namen Paddenberg. Der Grund dafür ist aber nicht – was nahe gelegen hätte –, dass Goldinger eine falsche Identität angenommen hat, weil er als NS-Verbrecher gesucht wird. Vielmehr hat er im Gefangenenlager einen falschen Namen benutzt (warum er das gemacht hat, wird nicht aufgelöst). Bei seiner Flucht aus einem Kriegsgefangenlager hat er einen amerikanischen Soldaten getötet und fühlt sich nun von Hofer erpresst, weshalb er ihn erschießt. Inwiefern das späte Aufgreifen des Themas NS-Vergangenheit im Tatort symptomatisch für den bundesdeutschen Fernsehkrimi, insbesondere für Krimireihen und -serien ist, müssen systematisch angelegte Studien zeigen (im DDRFernsehen war dies aus ideologischen Gründen offenbar schon früher der Fall). Die Annahme scheint aber beim jetzigen Stand der Forschung plausibel. So gibt es seit den 1990er Jahren vermehrt Krimis bzw. einzelne Folgen von Krimiserien, die sich diesem Themenkomplex widmen (z. B. Rosa Roth: Jerusalem oder Die Reise in den Tod,56 1998; Donna Leon: Venezianisches Finale, 2003; Schi54 55 56 Derrick lief von 1974 bis 1998. In der bereits erwähnten Krimiserie Frühbesprechung (1973) ist der Nationalsozialismus nie das Thema einer Folge, gleichwohl werden Bezüge zur NS-Vergangenheit als alltägliche Lebenserfahrung in der Bundesrepublik der frühen 1970er Jahre dargestellt. In diesem Film geht es um die Schuld von Mitläufern als Zahnrädchen im Getriebe; vor allem um die Lokführer, die KZ-Häftlinge in die Todesfabriken gefahren haben. Bilder eines Güterzuges, Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 18 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 manski: Das Geheimnis des Golem, 2004; Seegrund. Ein Kluftinger-Krimi, 2013; SOKO Leipzig: Der Zobel, 2013; SOKO Leipzig: Letzte Wahrheit, 2014). Allerdings spielen hier auch fernsehhistorische Gründe herein: Durch die zunehmende Konkurrenz privatwirtschaftlich organisierter Programmanbieter – insbesondere seit den 1990er Jahren – verliert das problemorientierte Fernsehspiel zugunsten von Krimireihen und -serien an Bedeutung. Gesellschaftlich relevante Fragen werden seitdem verstärkt im Krimi verhandelt.57 Kriegsverbrecher Während in Das Zittern der Tenöre die gesamte Handlung um die nationalsozialistische Vergangenheit gut situierter Bürger kreist, wird der Zusammenhang in Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht erst am Ende – und wenig überzeugend – hergestellt. Der Fokus der Geschichte liegt auf einer Ost-Spionage-Geschichte: Die Physikerin Frau Dr. Christa Nolte, deren Familie noch in der DDR lebt, wird zu Spionagetätigkeiten erpresst. Eine geplante Übergabe mit ihrem Führungsoffizier lässt sie jedoch platzen und vertraut sich Herrn Löwenstern an, dem Inhaber der Pension Tosca, in der sie immer wohnt, wenn sie in München ist. Als er abends mit ihr und seiner Ehefrau zusammen sitzt, fällt aus der Dunkelheit ein Schuss. Frau Löwenstern wird getroffen. Erst nach einem weiteren Anschlag stellt sich heraus, dass der Schuss Gustav ,Gustl‘ Löwenstern galt. Das Thema Nationalsozialismus spielt – zunächst – lediglich in der Nebenhandlung eine Rolle (entpuppt sich dann aber als Tathintergrund für den Mordanschlag): Kriminalhauptmeister Wislitschek ist Kassierer in einem Fußballverein der Bezirksliga. Der Platzwart Haubenwald – offenkundig ein Altnazi – nutzt den Verein als Tarnung für eine Neonazi-Organisation. Der 69jährige Gephardt Jerzabek fordert von Haubenwald, dass sich die jungen Rechtsradikalen ,ein bisschen‘ um Löwenstern ,kümmern‘ sollen, weil Löwenstern in seiner Vergangenheit ,herumbohrt‘ und das gefährlich für ihn und sie alle werden könne (00:27:59–00:29:01). Daraufhin kommt es zu den Anschlägen in der Pension Tosca. Als Löwenstern nach dem zweiten Mordversuch erkennt, dass er eigentlich erschossen werden sollte, erzählt er Hauptkommissar Scherrer von Jerzabek: Löwenstern ist Hobby-Astrologe und hat Frau Jerzabek überredet, für ihren Mann ein Geburtshoroskop zum 70. Geburtstag erstellen zu lassen. Er be- 57 „des gleichen Zuges, der in Alain Resnais’ klassischer Dokumentation Nuit et brouillard (Nacht und Nebel, Frankreich 1955) zu sehen ist“, fungieren hier „als metonymisches Zeichen für den industriellen Massenmord. Dem heutigen Fernsehfilm genügen wenige, zitathafte Andeutungen, um diesen Kontext aufzurufen“ (Struck 2003, S. 424). Siehe dazu ausführlich Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 3. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 19 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 hauptet ihr gegenüber, dass die Angaben zum Leben ihres Mannes nicht stimmen können – nach dem Horoskop müsse er ein „anderer Mensch sein“ –, und fordert von ihr, die Daten nochmals zu überprüfen (00:14:04–00:15:56). Löwenstern glaubte in Jerzabek einen „hohen Herrn vom Reichssicherheitshauptamt“ zu erkennen, den er als Soldat 1942 in einem polnischen Lager gesehen hat und der bei Kriegsende europaweit gesucht wurde aber angeblich gefallen sei (01:41:40–01:42:53).58 Bei Jerzabek handelt es sich also – anders als in Das Zittern der Tenöre – um einen untergetauchten Kriegsverbrecher. Allerdings erfährt man über die Kriegsverbrechen ebenso wenig wie über Jerzabeks falsche Identität.59 Das ist in Geschlossene Akten (1994) und Verraten und verkauft (2004) anders. In Geschlossene Akten entpuppt sich ein Toter als ein unter falschem Namen lebender NS-Verbrecher. Hier wird zumindest erwähnt, dass SS-Standartenführer Reimann in Lettland für ,Säuberungsaktionen‘, Exekutionen und Vergeltungsmaßnahmen verantwortlich war (01:21:49–01:23:20). Auch in Verraten und verkauft geht es um einen untergetauchten Kriegsverbrecher (Hauptsturmführer Horst Weinhold, der „Schlächter von Waldshut“), der jüdische Familien nach der ,Arisierung‘ ihrer Unternehmen erschossen hat. Die Taten werden mehrfach explizit genannt und beschrieben. In Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht nutzt der Tatort den Erzählstrang um den NS-Verbrecher, um die Frage aufzuwerfen, ob die NS-Vergangenheit bewältigt wurde oder (im Untergrund) fortlebt. Ausdrücklich wird hier die Gefahr thematisiert, dass faschistische Ideologien durch Alt-Nazis tradiert und an eine junge, nachgeborene Generation weitergegeben werden.60 So ist der Enkel eines ehemaligen Gauleiters, laut Scherrer war dieser eine „richtige Bestie“ (00:45:13f.), auch bei den rechtsradikalen Fußballfans dabei, was den Hauptkommissar nicht überrascht: [Wislitschek] „Ich bitt’ Sie, Faschismus is’ doch nicht erblich.“ [Scherrer] „Nein, aber die Erziehung, die aus der Familie kommt, die kann’s sein.“ (00:45:17–00:45:24) 58 59 60 Jerzabek hält Löwenstern für einen Juden. In dieser Szene betont Löwenstern jedoch, dass er keiner ist. Er erzählt, dass sein Bruder in einem Lager gestorben ist, geht aber nicht darauf ein, warum sein Bruder inhaftiert wurde. Während Jerzabek in Pension Tosca Löwenstern ermorden lassen will, um seine falsche Identität zu schützen, ist es in Verraten und verkauft die Tochter des NS-Täters, die zur Mörderin wird, um das ,Familiengeheimnis‘ zu bewahren bzw. um sich ihr Leben nicht kaputt machen zu lassen (01:24:35–01:25:08). Da SS-Standartenführer Reimann in Geschlossene Akten im zunehmenden Alter immer mehr zu einer Belastung und zu einem Problem für seinen ehemaligen Adjutanten wird, der ihn jahrzehntelang gedeckt und eine eigene Neonazi-Organisation aufgebaut hat, lässt dieser ihn von seinen Gefolgsleuten umbringen. Auch in Geschlossene Akten (1994) ist es ein Alt-Nazi, der eine Neonazi-Organisation anführt (zur Thematisierung des Rechtsextremismus und zur Darstellung von Neonazis im Tatort siehe Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 10). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 20 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Das Unverständnis, dass die junge Generation nichts aus der Geschichte gelernt hat, wird auch später nochmal deutlich betont: [Löwenstern] „Aber dass hinter so ei’m alten Schwein eine ganze Organisation steckt, das glaubt doch keiner.“ [Scherrer] „Und sogar junge sind dabei, nit nur alte, nit nur die von vorgestern. Junge Leute von heute; man greift sich an … ach. [seufzt] War das alles für die Katz? Die ganze Umerziehung?“ [Löwenstern] „Umerziehung? Bitte, wo war die?“ (01:43:06–01:43:27) Die Frage bleibt unbeantwortet. Gleichwohl wird damit implizit den Alliierten und ihrer verfehlten Umerziehungspolitik die Schuld dafür gegeben, dass es in der Bundesrepublik noch rechtes Gedankengut gibt; eine recht einseitige und fragwürdige Schuldzuweisung, mit der die bundesdeutsche Gesellschaft im Tatort exkulpiert wird. Die Figur des jungen Kriminalmeisters Augenthaler mahnt in Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht vor einem desinteressierten Vergessen, dass nicht geschehen darf. Er wird als extrem unwissend dargestellt. So versteht er nicht, warum sich Scherrer darüber wundert, wenn ein ausländerfeindlicher Fußballfan ausgerechnet Adolf heißt (00:41:53–00:42:04), und fragt ganz unbefangen, wer denn Heinrich Himmler sei (00:46:00–00:46:03). Ein Überlebender – und der Sohn eines Täters Während in Das Zittern der Tenöre die Nazivergangenheit bagatellisiert wird und in Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht die Verbrechen noch unbestimmt bleiben – es wird z. B. nicht erläutert, warum der ehemalige Gauleiter eine „richtige Bestie“ war –, steht in Armer Nanosh (1989) erstmals ein HolocaustÜberlebender im Mittelpunkt der Handlung.61 Deutlicher als zuvor werden die Naziverbrechen benannt;62 dabei wird eine bislang oft vernachlässigte Opfer61 62 Armer Nanosh ist eine umstrittene Folge – insbesondere protestierte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schon vor der Ausstrahlung aufgrund der stereotypen Darstellung. Zu den antiziganistischen Klischees in Armer Nanosh siehe Fuchs 2008; Lorenz 2012; Roth 2012. In der zeitgenössischen Presse wurde der Film gegenüber dem Vorwurf eher verteidigt; vgl. Bachmüller, Hans. „Und ewig lockt das Weib. ,Tatort: Armer Nanosh‘, von Martin Walser, Asta Scheib und Stanislav Barabas (ARD/NDR, 9.7., 20.15–21.55 Uhr).“ epd/Kirche und Rundfunk 55 (15. Juli 1989), S. 15–16; Geldner, Wilfried. „Gequältes Würstchen. Tatort: Armer Nanosh (ARD/NDR).“ Süddeutsche Zeitung 156 (11. Juli 1989): 18; Hieber, Jochen. „Carmen verkehrt. Martin Walsers erster Tatort: ,Armer Nanosh‘ (NDR).“ Frankfurter Allgemeine Zeitung 157 (11. Juli 1989), S. 28; Leder, Dietrich. „Schwacher Krimi. Martin Walser/Asta Schein: Armer Nanosh. Reihe ,Tatort‘. NDR So 9.7.“ Funkkorrespondenz 28 (14. Juli 1989), S. 28. Das gilt aber nur vergleichsweise. Auch hier wird oft eher zeichenhaft auf den Genozid an Sinti und Roma verwiesen, wenn z. B. Sanders Onkel Yanko die eintätowierte Häftlingsnummer auf seinem Arm zeigt (00:03:31f.). Das Bild soll beim Zuschauer das Wissen um die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma im sog. ,Dritten Reich‘ aktualisieren. Wenn Stoever erzählt wird, Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 21 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 gruppe (Sinti und Roma) fokussiert und auf die Untaten deutscher Polizeibataillone im besetzten Polen zumindest angespielt.63 – Und auch das Mordmotiv hängt mit der deutschen Vergangenheit zusammen: Heinrich Frohwein, Prokurist im Kaufhaus von Valentin Sander, leidet darunter, dass sein Vater als verurteilter Kriegsverbrecher 1951 in einem polnischen Gefängnis gestorben ist. Daher tötet er die Malerin Ragna Juhl. Es soll so aussehen, als habe Sander, der als Roma mit Namen Nanosh Steinberger geboren wurde, seine Geliebte im Eifersuchtswahn erstochen. Offenbar sah Frohweins Plan dabei zunächst vor, Sander in eine Situation zu manövrieren, in der er tatsächlich zum Mörder wird: [Steover] „Sie haben es getan … tja, aus Eifersucht? Nö, um ihren Vater zu rehabilitier’n. Sie haben sich an ihrem Vater infiziert. […] Wenn in einem Prozess vor der Öffentlichkeit lang und breit demonstriert worden wäre wozu diese Zigeuner fähig sind, dann wäre ihr Vater ein ganz kleines bisschen weniger schuldig gewesen. Sie haben’s doch nicht ertragen, dass er schuldig ist! Also mussten sie beweisen zu welchen Untaten diese Leute fähig sind, die ihr Vater damals verfolgt hat! Aber der Zigeuner hat nicht ganz so zigeunermäßig reagiert!“ (01:31:47–01:32:34) Auf der einen Seite versucht Frohwein seinen Vater zu rehabilitieren, indem er den Opfern die (Mit-)Schuld an ihrer Ermordung gibt. Auf der anderen Seite leugnet er die Verbrechen deutscher Polizisten in den besetzten Gebieten: [Frohwein] „Sie wissen vielleicht, wie wenig 1945 reichte um 10 Jahre aufgebrummt zu kriegen. Es genügte, ein deutscher Polizist gewesen zu sein, im Krieg, in Krakau.“ (01:05:33–01:05:44) Er sieht seinen Vater – und nicht nur ihn – zu Unrecht verurteilt: „Lassen Sie bitte meinen Vater aus dem Spiel! Der hat gebüßt – und zwar mehr als er getan haben kann. Gerechtigkeit für einen deutschen Polizisten in Polen; also etwas Aussichtsloseres das gibt es schlechterdings gar nicht. Damit habe ich mich beschäftigt. Das habe ich gelernt.“ [Stoever] „Was?“ [Frohwein] „Dass es Gerechtigkeit für uns Deutsche nicht gibt, gar nicht geben kann. Das seh’ ich auch ein nach Auschwitz, nich’? Wir müssen schlucken, schlucken, schlucken, schlucken. Schluss. Aus.“ (01:26:32–01:26:59) 63 dass Valentin Sander/Nanosh Steinberger als Kind gerettet wurde, als dessen Eltern abgeholt wurden, genügt es ebenfalls, dass er Auschwitz-Birkenau erwähnt, um den ganzen Kosmos der Naziverbrechen aufzurufen (00:48:18–00:48:35). – Sander selbst will sich aber nicht als Opfer sehen. Als Yanko ihn mit der Häftlingsnummer an die Ermordung seiner Eltern erinnert, kommentiert er nur: „Vergiss das endlich! Das ist lange her.“ (00:03:32–00:03:36) Polizeibataillone waren in den Massenmord an der jüdischen Bevölkerung direkt involviert (siehe Goldhagen 1996). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 22 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Frohwein imaginiert sich hier in eine Opferrolle als Deutscher, der als Nachgeborener für die Taten der Vätergeneration büßen muss – die er gleichsam (zumindest teilweise) verleugnet64 – und damit ,unschuldig schuldig‘ ist: [Frohwein] „Ich leide permanent an Unterlegitimiertheit. […] Das ist ‘n deutsches Leiden, glaube ich. […] Andauernd muss man sich selber ein Recht zusprechen für etwas, was man doch tun muss, wenn alles zerfällt ringsum: die Wirtschaft, das Vaterland, die Deutschen. Herr Kommissar, waren wir je in einem miserableren Zustand? In einem bedrohteren auch?“ (01:25:02–01:25:31) Um seine ,Unschuld‘ zu beweisen (oder zumindest die Taten der Väter relativieren zu können) muss er schuldig werden, weil das Opfer nicht schuldig sein will und nicht schuldig wird (es gelingt Frohwein nicht, Sander dazu zu bringen, seine Geliebte eigenhändig zu erstechen). Die ironische Wendung in Armer Nanosh ist, dass sich Frohwein durch die Opfer des Nationalsozialismus – personalisiert in der Figur des ,armen Nanosh‘ – als Deutscher unterdrückt (oder zumindest benachteiligt) fühlt, Sander selbst aber kein Opfer sein will. Auch Sander verdrängt die Vergangenheit: Sander und Frohwein [stehen] für zwei entgegengesetzte Formen der Auseinandersetzung mit kollektiver und individueller Geschichte. Während Sander sich von seiner Geschichte als Zigeuner65 zu lösen versucht und einfach nur der Hamburger Kaufmann Valentin Sander sein will, kann Frohwein sich nicht von der Geschichte lösen und wird von einer Kollektivschuld verfolgt, die in der Figur seines Vaters personalisiert ist. Beide Figuren scheitern mit ihrer jeweiligen Form der Vergangenheitsbewältigung.66 Problematisch ist diese Konstruktion jedoch, weil sie rassistische Untertöne zeigt: Armer Nanosh impliziert, dass Frohwein unter den Taten seines Vaters 64 65 66 Aus psychologischer Sicht lässt sich sagen, „daß die Phantasien, durch die verbrecherischen Handlungen der Eltern innerlich ,vergiftet‘ zu sein und kein befriedigendes Leben führen zu können, durch das Schweigen verstärkt werden. Erst die Konfrontation mit den Realitäten, selbst wenn sie schrecklich sein mögen, macht diese Phantasie bearbeitbar und erlaubt die Bildung einer ,lebbaren‘ persönlichen und kollektiven Identität.“ (Schneider 1998, S. 38) Frohwein konfrontiert sich aber nicht mit den Taten seines Vaters, sondern leugnet sie. Aufgrund dieses Leugnens kann er – folgt man dieser These – keine selbstbewusste Identität als Deutscher aufbauen. In Armer Nanosh ist stets nur von ,Zigeunern‘ die Rede – auch als Selbstbezeichnung (00:25:05), obwohl es sich bei dem Begriff um eine herabsetzende Fremdbezeichnung handelt (vgl. Wippermann 1998: 37). Allerdings setzen sich einige Sinti-Vereinigungen wie z. B. die Sinti-Union Rheinland-Pfalz e.V. wieder offensiv für die Verwendung der Bezeichnung ,Zigeuner‘ ein (siehe http://www.sintiunionrheinlandpfalz.de/html/uber_uns.html [31. August 2013]; bk. „Widerstand der Sinti-Allianz aus Köln.“ ksta.de [22. August 2002]; http://www.ksta.de/kultur/widerstand-der-sintiallianz-aus-koeln,15189520,14379940.html [31. August 2013]). Pundt 2002, S. 77. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 23 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 (und ihren Folgen) leidet, Sander aber unter seiner vermeintlichen ,Natur‘ als Roma:67 [Frohwein] „Wahnsinnig hat er darunter gelitten [ein ,Zigeuner‘ zu sein]. […] Sander hat einfach angenomm’, man nehme es ihm übel, dass er ein Zigeuner ist. Also will er unbedingt jemand anders sein, was er natürlich auch nicht ist. Die Sprache hat er ja auch nie gelernt,68 obwohl er in Deutschland aufgezogen wurde. Das ist doch seltsam.“ (01:04:01– 01:04:24) Sanders Charakterisierung ist dabei bestimmt von Stereotypen und Vorurteilen, wie Matthias N. Lorenz betont: Nanosh wird von den Autoren nicht nur mit dunkler Hautfarbe und Schnurrbart ausgestattet, sondern zudem charakterisiert als impulsiv und gewalttätig, rach- und eifersüchtig, leicht zu kränken, als ein triebgesteuerter Frauenheld, ein Messerstecher, unzuverlässig, unaufrichtig, übermäßig emotional und ganz auf seine ,Sippe‘ fixiert. Kurz: Seine Sozialisation in einer Hamburger Kaufmannsfamilie hat Nanoshs anscheinend angeborene ,Heißblütigkeit‘ nicht domestizieren können. Er bleibt ein Fremder, dessen Assimilation nicht gelingen kann.69 Indem diese Charakterisierung ,naturalisiert‘ wird, wird sie zu einem rassistischen Klischee. Dass Nanosh am Ende nicht „ganz so zigeunermäßig reagiert“, schwächt dieses Bild kaum ab. In einer heftig kritisierten Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels70 hat Drehbuchautor Martin Walser71 1998 von einer „Instrumentalisierung des Holocaust“ gesprochen, die in Armer Nanosh als Gedankenfigur (Sander habe als Opfer von der deutschen Schuld profitiert und nutze sie in der Fremd- wie Selbstinszenierung als „armer Nanosh“ aus) bereits angelegt ist:72 67 68 69 70 71 72 Deswegen kann sich Sander nicht als Opfer sehen, dies würde bedeuten, dass er sich auch als Roma sehen müsste. Er sucht aber nach einer Identität, die weder die eines Opfers noch die eines Romas ist. Offenbar wird diese ihm aber verweigert, da ihm von anderen immer wieder nur die Roma-Opfer-Identität zugestanden wird. Insofern wird er aus der ,deutschen‘ Gesellschaft ausgegrenzt. Sander spricht mit einem leichten slawischen Akzent. Lorenz 2012, S. 189. Siehe dazu z. B. Broder, Henryk M. und Reinhard Mohr. „Ein befreiender Streit?“ Der Spiegel 50 (7. Dezember 1998), S. 230–232. Für das Drehbuch für Armer Nanosh zeichnet er gemeinsam mit Astra Scheib. Selbst Sander betont: „Frohwein hat sich für mich und das Kaufhaus aufgeopfert, weil sein Vater Polizist war. Er wollte etwas gut machen. Also habe ich davon profitiert, dass ich Zigeuner bin.“ (01:19:53–01:20:07) Damit wird der Vorwurf der Instrumentalisierung des Holocaust – zumindest implizit – als ,Selbsterkenntnis‘ des Opfers präsentiert, nicht als Anklage. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 24 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird. Könnte es sein, daß die Intellektuellen, die sie uns vorhalten, dadurch, daß sie uns die Schande vorhalten, eine Sekunde lang der Illusion verfallen, sie hätten sich, weil sie wieder im grausamen Erinnerungsdienst gearbeitet haben, ein wenig entschuldigt, seien für einen Augenblick sogar näher bei den Opfern als bei den Tätern? Eine momentane Milderung der unerbittlichen Entgegengesetztheit von Tätern und Opfern. Ich habe es nie für möglich gehalten, die Seite der Beschuldigten zu verlassen. Manchmal, wenn ich nirgends mehr hinschauen kann, ohne von einer Beschuldigung attackiert zu werden, muß ich mir zu meiner Entlastung einreden, in den Medien sei auch eine Routine des Beschuldigens entstanden. Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung.73 Frohwein repräsentiert in Armer Nanosh den „Beschuldigten“, der kein Mittel gegen die „Moralpistole“74 hat, der auf der einen Seite die moralische Schuld im Abstrakten („Auschwitz“) anerkennt, im Konkreten (die Taten seines Vaters) aber leugnet, der die Opfer zu Tätern macht und sich selbst als Opfer stilisiert. In diesem Sinne ist Armer Nanosh ein – bedenklicher – Film über Schuld. 73 74 Walser 2005, S. MS 4. Walser 2005, S. MS 6. Auf diese „Moralpistole“ wird auch angespielt, als Stoever Sander in die Untersuchungshaft bringt. Stoever sagt zu Sander, er hoffe, dass aus der Untersuchungshaft keine Strafhaft werde. Sander kommt nun die Funktion zu, Stoever moralisch zu entlasten: „Ich weiß, was sie hör’n woll’n. Ich liefer es ihn’ gern. Keine Spur von Auschwitz-Birkenau. Meine Eltern hätten das hier für ein Hotel gehalten. Der Zigeuner wird verwöhnt. Das Bett ist sauber. Ein unheimliches Niveau Herr Kommissar: humanitär, hygienisch, politisch sauber.“ (01:19:09– 01:19:31) Damit wird Sander als derjenige inszeniert, der moralisch (nicht strafrechtlich) be- und ent-schuldigen kann. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 25 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Exkurs: Die deutsche Vergangenheit als (ironischer) Anspielungsraum Die Schimanski-Serie markiert in vielerlei Hinsicht eine Neuausrichtung innerhalb der Tatort-Reihe und der in ihr agierenden Ermittlerfiguren.75 Erstmals wird es auch möglich mit (ironischen) Anspielungen auf die bundesdeutsche NS-Vergangenheit zu verweisen, ohne jedoch eine (ernsthafte) thematische Auseinandersetzung anzustreben. Schimanski und Thanner reagieren immer wieder auf „ausgewiesene Zwangscharaktere wie deutsche Hausmeister […] oder ausländerfeindliche Industriemeister“76 mit direkten oder indirekten NaziVergleichen. Eine solche indirekte Anspielung findet man z. B. in DuisburgRuhrort (1981), wenn Thanner die rassistische Äußerung eines Zeugen im schneidigen Ton mit „Aller Achtung, Herr Müller“ (01:10:17–01:10:19) kommentiert und ihn dann „wegtreten“ lässt (01:10:23). In den achtziger Jahren sind längst die Tabugrenzen um das nationalsozialistische Vokabular gefallen, in der Alternativkultur ist dessen Benutzung Teil alltäglicher Abgrenzungsrituale im Kontakt mit Behörden, Polizei, Spießern usw. geworden. Von daher ist es frech, aber durchaus keine Tabuverletzung mehr, wenn Schimanski den Möbelfabrikanten, der Waffen besitzt und von dem martialisch daherkommenden Siegfried Wischnewski gespielt wird (Schwarzes Wochenende), mit ,Heil Hitler‘ anmacht.77 Folgt man Wenzel, so könnte man Äußerungen dieser Art bei Schimanski erwarten, der solchen Alternativkulturen näher steht, nicht aber bei dem stets korrekten – und leicht biederen – Thanner; und ebenfalls nicht so ohne Weiteres in der populärsten Krimireihe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. In der Tat finden sich solche Anspielungen zunächst auch nur in der SchimanskiSerie. Sie wurde stärker als andere Tatorte von einer jüngeren Generation an Drehbuchautoren und Regisseuren verantwortet, die sich der deutschen Vergangenheit offenbar unbelastet nähern und mit ihr unbefangener umgehen konnte.78 Aber nicht nur Zeugen, Verdächtige und Täter werden durch solche Kommentierungen in (unerwünschte) historische Kontinuitäten gestellt, wenn sie allzu ,Deutsche Tugenden‘ zeigen. Auch Schimanski und Thanner als TatortKommissare werden zur Zielscheibe solcher Zuschreibungen – und das ist 75 76 77 78 Siehe dazu Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a. Wenzel 2000a, S. 189. Wenzel 2000a, S. 190. Auch die Stoever-Folgen ermöglichen wenig später aufgrund der zynisch-distanzierten Haltung der Hauptfiguren einen vergleichsweise ,lockeren‘ Umgang mit NS-Anspielungen. Sie sind aber allg. im Tatort eher die Ausnahme. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 26 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 auch in den 1980er Jahren ein Tabubruch im bundesdeutschen Fernsehen. Dies geschieht wesentlich durch die Figur des holländischen Assistenten ,Hänschen‘, der damit die Haltung Schimanskis und Thanners ironisch bricht und als durchaus selbstgerecht reflektiert. So reagiert ,Hänschen‘ bspw. in Doppelspiel (1985) auf den leicht herablassenden Befehlston Schimanskis mit HitlerGruß – dabei hebt er jedoch den linken (!) Arm – und den Worten: „Jawohl, mein Führer“ (00:29:18–00:29:23).79 Bilder des Verbrechens: Wehrmacht, Vernichtungskrieg und die „Familiarisierung des Schuldproblems“ In Bildersturm (1998) geht es erstmals explizit um die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg, die der breiten Öffentlichkeit erstmals mit der Wanderausstellung Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (1995-1999) ins Bewusstsein gerückt wurden (obwohl bereits in Am grünen Strand der Spree auf die Verstrickung der Wehrmacht in die NS-Verbrechen verwiesen wurde; s. o.).80 Die Ausstellung kann mittlerweile „als Teil des sozialen Bildgedächtnisses“ angesehen werden.81 In der Tatort-Version heißt sie ebenso deutlich „Verbrannte Erde – Die Legende der sauberen Wehrmacht“ (01:26:22).82 Der Tatort verfolgt dabei eine vergleichbare Intention wie die Ausstellung selbst:83 eine „Familiarisierung des Schuldproblems“84: Die Öffnung des Blicks dafür, daß die etwa 18 Millionen deutschen Soldaten an der Ostfront unmittelbar an den Greueln des Vernichtungskriegs teilgenommen oder zumindest davon gewußt haben, daß also die NS-Täter nicht auf eine kleine kriminalisierbare Gruppe abartiger Sadisten eingeschränkt war, sondern daß der eigene Vater, Bruder, Onkel oder Großvater direkt an der NS-Schuld teilhatte – durch Taten oder Kenntnisnahme und Duldung –, hat deutlich gemacht, daß die Schuldfrage kein politikwissenschaftliches oder metaphysisches Abstraktum ist, sondern eine Realität jeder deutschen Familie. Denn nahezu jede Familie in 79 80 81 82 83 84 Reflexartig schlägt der zufällig dabeistehende Kriminaltechniker die Hacken zusammen und erwidert den Gruß. ,Hänschen‘ reagiert etwas erschrocken und blickt ihn voller Verachtung an. Hier werden nebenbei die nicht aufbereiteten Kontinuitäten im bundesdeutschen Beamtenapparat reflektiert. Zu der Folge siehe auch Struck 2002, 2003 und 2011. Grewing 2000, S. 69. So ist am Ende auf einem großen Plakat am Museum zu lesen. In einer Szene wird sie im Radio jedoch als „Verbrannte Erde – Die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht und ihre Folgen“ betitelt (00:41:34–00:41:38). Vgl. Grewing 2000, S. 84. Schneider 1998, S. 37. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 27 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Deutschland hat einen solchen Vater, Onkel oder Großvater, der noch heute in ihr lebt und einen persönlichen Einfluß auf die Welt- und Geschichtssicht und das moralische Urteil der Söhne, Töchter und Enkel hatte und hat. Mit dieser Familiarisierung des Schuldproblems wird es in einer neuen, öffentlich greifbaren Form zu einem Problem des persönlichen Umgangs mit ehemaligen Tätern und ihrem Einfluß auf die nachgeborenen Generationen.85 Die Familiarisierung des Schuldproblems auf Ebene der Ermittler (als Identifikationsfiguren) ist auch im Tatort neu (sie spielt in den bisherigen Folgen, in denen die NS-Vergangenheit zentral thematisiert wird, keine Rolle).86 Sie wird in Bildersturm (1998) durch die Einführung von Freddy Schenks Onkel Richard möglich, eine Figur, die nur in dieser einen Folge auftaucht. In ähnlicher Funktion wird auch Odenthals Tante Emma in Schöner sterben (2003) eingesetzt. Als in einem Altenheim ein Mord geschieht, trifft Odenthal dort zufällig auf Emma, die in Odenthals Jugend ihr großes Vorbild war. Odenthal hat dann aber den Kontakt abgebrochen, weil Emma nicht über ihre Vergangenheit im sog. ,Dritten Reich‘ reden wollte. Auch hier wird Geschichte zur Familiengeschichte transformiert, auch wenn Emma nicht in irgendwelche Verbrechen verwickelt war, so dass der Konflikt hier eher abstrakt bleibt. Bildersturm aktualisiert in seinem Plot eine ,klamme Erwartung‘ (Schneider) vieler Besucherinnen und Besucher der sog. ,Wehrmachtsausstellung‘: Ich weiß aus vielen Einzelgesprächen und von mir organisierten Gruppendiskussionen, die ich mit Besuchern der Ausstellung führte, daß nahezu jeder meiner Generation, der die Ausstellung aufsuchte, sie mit der klammen Erwartung betreten hat, ob er nicht in den ausgestellten Exponaten ,zufällig‘ Angehörigen seiner persönlichen Geschichte begegnen würde. Was wäre nun, wenn man auf Dokumente stieße, die zum Beispiel den eigenen Vater als Vollstrecker der NS-Vernichtungspolitik auswiesen? 85 86 Schneider 1998, S. 37. Bei Grewing (2000, S. 84) ist dieses Zitat nicht korrekt wiedergegeben; insbesondere fehlen die Heraushebungen und der Satzteil „an der NS-Schuld“. Auch der Kritiker der Frankfurter Rundschau hebt auf die Emotionalisierung der Vergangenheitsbewältigung durch eine solche Plotkonstruktion ab: „Die Autoren Robert Schwentke und Jan Hinter konstruierten eine Geschichte, die einen emotionalen Zugang zu dieser schwierigen Thematik ermöglichen soll: ,Der Film lädt das Publikum dazu ein, sich mit einem sehr komplexen Thema auf einer sehr persönlichen Ebene auseinanderzusetzen, sich selbst und andere in Frage zu stellen, sich eine Meinung zu bilden. Deswegen verstehen wir den Film auch nicht als Schlußwort zum Diskurs, den die Wehrmachtsausstellung provoziert hat. Vielmehr will ,Bildersturm‘ zur weiteren Diskussion über die Bewältigung der deutschen Vergangenheit anregen‘.“ (Wienert, Klaus. „Anregung zum Nachdenken. ,Bildersturm‘ in der ,Tatort‘-Reihe vom WDR aus Köln.“ Frankfurter Rundschau 140 [20. Juni 1998], S. 12). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 28 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Allein diese Phantasie hat das meist unartikulierte Unbehagen an seiner eigenen Herkunft auf ein neues Niveau gestellt: die Phantasie, von Mördern abzustammen, wurde in der ersten Phase der Vergangenheitsbearbeitung im Schweigen erstickt und in der zweiten durch eine Anklagehaltung ersetzt, die nicht in der Lage war, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Die Frage, was ein solches Wiedererkennen für die eigene Identitätskonstruktion bedeutet, was es bedeutet, sich als fortlebender Teil einer untergegangenen ,Volksgemeinschaft‘ zu begreifen, deren Destruktivität nicht nur ,nach außen‘, sondern über Erziehung und persönliche Vorbilder unmittelbar auf einen selbst gewirkt hat, ist wieder virulent geworden.87 Auch der Tatort weiß keine Antwort auf die Frage, was das für die eigene Identität (bzw. in diesem Fall die von Freddy Schenk) bedeutet, stellt aber zumindest diese Frage. In Bildersturm stoßen Ballauf und Schenk bei den Ermittlungen zu den Morden an zwei alten Männern auf ein Bild in der Wehrmachtsausstellung, das ein Massaker deutscher Wehrmachtssoldaten an belgischen Zivilisten im Januar 1945 zeigt. Die Fotographie zeigt drei Täter – zwei von ihnen wurden jetzt in Köln erschossen.88 Durch Computerbearbeitung der Aufnahme gelingt es Schenk, das Gesicht des nicht zu erkennenden dritten Wehrmachtssoldaten zumindest schemenhaft wieder herzustellen. Es könnte das Gesicht seines Onkels sein. Doch der leugnet, je in Belgien gewesen zu sein: [Schenk] „Da drin hält grad einer sein Mittagsschläfchen, der mich früher auf den Knien geschaukelt und mir das Fahrradfahr’n beigebracht hat. Ich kann ihm nicht mehr in die Augen schau’n, weil ich nicht mehr weiß, was ich glauben soll. Ob er das auf dem Foto ist oder nicht. Er sagt er war’s nicht, aber es spricht einfach alles gegen ihn.“ [Ballauf] „Was ist, wenn er’s war?“ [Schenk] „Das könnt’ ich ihm nie vergeben.“ (01:04:35–01:04:55) Zunächst steht damit die Unsicherheit über die Vergangenheit im Raum. Die ,klamme Erwartung‘, das ,Unbehagen‘ wird verhandelbar, eben weil das Foto nicht den Beweis für Schuld oder Unschuld liefert (und man einem Krimi- bzw. Thriller-Klischee folgend nahezu erwartet, dass sich Schenks Onkel Richard nicht als der dritte Kriegsverbrecher herausstellt).89 Aber „der Umweg über das 87 88 89 Schneider 1998, S. 37f. In Verraten und verkauft stellt das gleiche Foto angeblich die Erschießung einer jüdischen Bankiersfamilie nach der erzwungenen ,Arisierung‘ ihrer Kölner Privatbank dar (01:14:54). „Die Finsternis in den Büros der Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) erhält endlich ihren moralischen Sinn: Die Aufklärer tappen im dunkeln, denn zur Unterscheidung von gut und böse fehlen die Kriterien, wenn aus Opfern Täter werden und Täter womöglich Opfer gewesen sind. Die Identifikation mit dem Verbrecher ist im Polizeialltag ein Ge- Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 29 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Bild, das hier als eine Art ausgelagertes Gedächtnis fungiert, trägt die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit […] in die Familie“.90 Für Barbara Sichtermann ist Bildersturm daher ein gelungenes Beispiel für die Möglichkeiten des Fernsehfilms zur emotionalen Vergangenheitsbewältigung: Ja, auch das ist Information: […] daß die große Debatte um die saubere oder doch schmutzige Wehrmacht viel weniger mit historisch belegbaren Tatsachen zu tun hat als mit unserer Abwehr, sie zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie uns belasten. Es gibt Konstellationen, in denen der Fernsehfilm als Aufklärer über Dokument, Reportage und Wissenschaft triumphiert. Sie ergeben sich immer dann, wenn die objektive Wahrnehmung getrübt ist. Forschung und Faktensammlung leiden unter den Verzerrungen, die sich daraus ergeben, die Kunst gewinnt durch sie – sofern sie, wie Regisseur Niki Stein, mit ihren Mitteln das Warum ergründet. Wo der Rechercheur versagt, obsiegt die Kamera, indem sie mitten hineinleuchtet ins schrecklich-starre Menschenherz.91 Evidenz wird am Ende erst durch das Geständnis Richards hergestellt,92 in dem er das Kriegsverbrechen schildert – und die Dynamik, die zu einem Verbrechen führen kann: 90 91 92 dankenspiel zum Zweck der Wahrheitsfindung; für Schenk wird sie zum moralischen Experiment, aus dem er sowenig aussteigen kann wie die Deutschen aus der Geschichte.“ (Bahners, Patrick. „Alles sehen, alles wissen. Nichts erzählen: Ein ,Tatort‘ zur Wehrmachtsausstellung (ARD).“ Frankfurter Allgemeine Zeitung 140 [20. Juni 1998], S. 42). Struck 2011, S. 175. Sichtermann, Barbara. „Fernsehkritik: Schuldkomplex.“ Die Zeit 27 (25. Juni 1998), S. 46. Das (verschwommene) Foto alleine erzählt nichts, erst mit der Geschichte, die dazu gehört, wird Evidenz und historische Wahrheit hergestellt (als erzählbare Geschichte). Der Tatort nimmt damit in gewisser Weise einen Kritikpunkt gegen die Ausstellung auf, der auch in der Folge erwähnt wird: Bilder müssen durch Fakten historisiert und kontextualisiert werden, da sonst die Gefahr der Manipulation besteht. So wird im Rahmen der narrativen Wirklichkeit auch ein Foto gezeigt, dass durch einen veränderten Ausschnitt und eine angeblich falsche Kontextualisierung eine völlig andere Bedeutung gewinnt (00:42:53–00:43:26). Vergleichbare Fehler gab es in der ersten Version der realen Ausstellung tatsächlich (vgl. [Anon.] „Wehrmachtsausstellung: Reemtsma räumt erneut Fehler ein.“ spiegel.de [5. November 1999]; http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ wehrmachtsausstellung-reemtsma-raeumt-erneut-fehler-ein-a-51112.html [4. September 2013]). Dieser Fehler wird in Bildersturm von Gegnern als Argument gegen die gesamte Ausstellung vorgebracht. Gegenüber Ballauf kommentiert die Kuratorin Anne Klee: „Es geht um ein Foto! Ein Foto von Hunderten.“ (00:45:29–00:45:32) Bildersturm problematisiert also den Beweiswert von Fotos, ohne die Ausstellung damit kritisieren zu wollen; im Gegenteil. Explizit wird die Sinnhaftigkeit hervorgehoben: Am Ende sieht man eine Schülergruppe, die von der Kuratorin durch die Sammlung geführt wird. [Klee] „Habt ihr denn über das Thema nie in der Schule gesprochen?“ [Schüler] „Nee, gar nicht.“ [Schülerin] „Aber ich glaube es ist ganz wichtig zu wissen, dass so was passiert ist. Sonst passiert’s vielleicht nochmal.“ [Klee] „Ich glaub’ das war ein ganz schöner Schlusssatz.“ [Ballauf im Hintergrund nickt zustimmend] (01:25:45–01:26:03) – Zwei Figuren präsentieren in Bildersturm die Kritik an der Ausstellung. Der konservative Historiker und Landtagsabgeordnete Heinrich Pollert vertritt dabei die ,legitimen‘ Ablehnungsgründe wie die faktischen Fehler oder das revisionistische Argument, dass deutsche Opfer alliierter ,Verbrechen‘ nicht gezeigt würden (00:44:25–00:44:40). Der Neonazi Robert Hattey steht – auch mit seinen gewalttätigen Anschlägen – für eine nicht tolerierbare Haltung (unkritische Verherrlichung des Krieges, der Wehrmacht Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 30 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 [Richard] „Brenner ließ die ganze Familie vor das Haus treiben. Wir dachten er will ihnen Angst einjagen, damit sie sagen, wer noch im Ort ist. Aber plötzlich hat er den Vater erschossen, weil der ihm nichts sagen wollte. Waldmann sagte: ,Wenn die Amis uns kriegen, dann machen die kurzen Prozess mit uns, wenn das raus kommt.‘ Und plötzlich fingen alle an zu schießen. Da habe ich die MP hochgerissen und auch geschossen; einfach so.“ (01:24:32–01:24:53) Bildersturm zeigt damit sehr deutlich, dass Kriegsverbrechen nicht (nur) von Sadisten oder überzeugten Nationalsozialisten verübt wurden, sondern zuweilen eher ,beiläufig‘ – von ,ganz normalen Männern‘, die heute geliebte Familienmitglieder sind; und denen man es nie zugetraut hätte.93 Wolfgang Struck kritisiert diese Geschichtserzählung als verharmlosend: Dabei aber setzt die schließlich rekonstruierte Geschichte, eine Geschichte wie sie unzählige Filme über die verschiedensten Kriege erzählt haben, mit dem, was fast als Tötung im Affekt durchgehen kann und das Maß der Schuld auf ,mittlerem Niveau‘ einpendelt, eher eine Art Deckerinnerung an die Stelle des Geschehens, von dem die wirkliche Ausstellung handelt.94 Für ihn „verschiebt und verstellt [Bildersturm] in eklatanter Weise die Aussage der wirklichen Ausstellung über die Teilnahme der Wehrmacht am organisierten Völkermord“95. – Obwohl Richard die aktive Beteiligung an einem Kriegsverbrechen gesteht, wird er offenbar nicht dafür belangt (Schenk führt ihn nicht ab). Die Beteiligung wird hier nur noch als eine moralische Schuldfrage verhandelt, nicht als eine rechtliche. 93 94 95 und Hitlers, Judenhass etc.). Während Pollerts Argumenten direkt oder indirekt geantwortet – und damit widersprochen – wird, wird auf Hattey gar nicht eingegangen. Das wird auch zuvor in der Folge ausgedrückt, als Ballauf davon erzählt, wie er als Schüler mal in Auschwitz war: „Ich war als Jugendlicher mal mit der Schule in Polen. Auschwitz. Da ham wir uns auch diese Verbrennungsöfen angeguckt. Mir war sofort klar, warum da ‘n Hebel is’ und da ‘ne Klappe und … Da hab’ ich mir überlegt, wenn … wenn ich ‘n Ofen bau’n müsste, der würd’ ganz genauso ausseh’n. Das war das Wahnsinnige daran: Zu kapier’n, dass das damals keine Monster war’n, die Abertausende von Menschen umgebracht hab’n, sondern Menschen; so wie ich und du. – Und das war das Schreckliche daran.“ (00:20:18–00:20:54) Schenk vertritt hingegen zunächst die Meinung, dass Kriegsverbrechen nur von ,Psychopathen‘ begangen werden können, aber nicht von ,ganz normalen Menschen‘ (00:48:50–00:49:16) Er macht daher im Rahmen der Folge einen Lernprozess durch. – In Verraten und verkauft wird in ähnlicher Weise von Ballauf über den als Kriegsverbrecher gesuchten Hauptsturmführer Horst Weinhold (der ,Schlächter von Waldshut‘) gesagt: „Rein äußerlich Typ ,netter Schwiegersohn‘, nich’?“ (01:15:08–01:15:11) Auch hier soll damit ausgedrückt werden, dass NS-Verbrecher ,ganz normal‘ wirken. 2002, S. 210. Struck 2003, S. 424; Hervorhebung Verf. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 31 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Die Ambivalenz zwischen einem unverzeihlichen Verbrechen und der Liebe zu einem vertrauten Menschen wird in Bildersturm nicht aufgelöst.96 Am Ende fragt Richard (mit Schenk auf einer Bank sitzend): „Und was wird jetzt?“ Schenk antwortet: „Ich weiß es nicht.“ Beide kämpfen mit ihren Tränen, dann rückt Schenk näher an Richard heran – ein erster Schritt der Annäherung? (01:25:13– 01:25:38) Da Richard in keiner weiteren Folge mehr auftaucht (und auch nie wieder erwähnt wird), verzichtet der Tatort hier auf die Möglichkeit, die Identitätsproblematik seriell zu erzählen. – Mehr noch: Der Tatort verdrängt seine eigene und damit indirekt auch ein Stück deutscher Vergangenheit, die zumindest latent durch Richard in weiteren Folgen repräsentiert worden wäre. Helfershelfer In Rattenlinie (2000) geht es um ,arme verfolgte Glaubensbrüder‘, wie Hauptkommissar Stoever mehrfach mit zynischem Unterton betont (01:12:11f.; 01:13:11–01:13:13). Formuliert wird hier eine Kritik an der Rolle der katholischen Kirche als Fluchthelferin vieler NS-Täter: [Pater Joseph] „Wir ha’m es damals als unsere christliche Pflicht verstanden, allen Katholiken zu helfen, die in Bedrängnis waren. Ich wusste nicht ob und welche Schuld sie auf sich geladen hatten. Danach hab’ ich nicht gefragt. Sie waren in Not.“ [Brockmöller] „Diese bedrängten Glaubensbrüder hießen unter anderem Eichmann, Mengele, Barbie.“ [Pater Joseph] „Papst Pius XII. hat seinerzeit eine Amnestie für alle Verurteilten gefordert und der Kirche aufgetragen, alle Kraft im Kampf gegen den Kommunismus zu konzentrieren.“ (01:19:17–01:19:46) Auch in dieser Folge geht es um den Umgang mit Schuld, wie an dem anschließenden Dialog deutlich wird, der sich auf den nach seiner Rückkehr aus Argentinien im Kloster Pater Josephs versteckten Kriegsverbrecher Ernst Suder bezieht: [Pater Joseph] „Der Mann hat Jahrzehnte fern der Heimat gelebt. Immer in Angst vor Entdeckung. Verfolgt von seinem Gewissen. Er hat Buße getan und bereut. Darum sage ich: Gott hat ihm vergeben.“ [Brockmöller] „Glauben sie, dass Priester das Recht haben, einem Mann wie Ernst Suder zu vergeben?“ [Pater Joseph] „Uns’re Vergebung wird im Namen Gottes im Sakrament der Beichte gewährt. Wir sind gehalten allen Sün96 Auch Schenks Tochter Sonja zeigt in ihrem Verhalten diese Ambivalenz: Sie will zunächst nicht, dass Richard vorübergehend bei ihnen wohnt, besucht ihn aber nach einem Suizidversuch im Krankenhaus. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 32 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 dern Gottes Vergebung zukomm’ zu lassen, die ihre Sünden ernsthaft bereu’n.“ (01:19:52–01:20:21) Die tatsächliche Beichte Suders wird nicht gezeigt. Ob er also ,ernsthaft bereut‘, ist für den Zuschauer nicht ersichtlich – und für die (vielleicht zu einfache) moralische Position des Tatort auch gar nicht wichtig:97 Am Rande wird von Stoever die Haltung der katholischen Kirche im sog. ,Dritten Reich‘ kritisiert – es ist die einzige Folge, in der dies so unmissverständlich geschieht: „Und Sie, Pater Joseph, haben ihm vor allem deswegen vergeben, weil Sie sich damit selbst vergeben haben. Nämlich dass Sie in den schlimmsten Zeiten, als man die Menschen in den Tod getrieben hat, verstummt war’n. Sie. Und die Kirche. Und der Papst.“ (01:20:29–01:20:42) In Rattenlinie werden zwei Dinge miteinander vermischt: Die Not- und Fluchthilfe mit der Vergebung der Sünden. Die Folge zeigt eine katholische Kirche, die bereits kurz nach dem Krieg bereit war, den millionenfachen Genozid zu vergeben (und zu vergessen); die aktiv daran (mit-)wirkte, dass Massenmörder sich der weltlichen Gerichtsbarkeit entziehen konnten; die göttliche Vergebung über das Gesetz stellt. Die Hintergründe dafür bleiben im Dunkeln. Zwar wird erzählt, dass die katholische Kirche NS-Verbrechern zur Flucht verhalf, nicht aber, warum sie es tat. In gewisser Weise wird hier bewusst das ,Unverständnis‘ an dem Handeln der Kirche inszeniert, um sie moralisch zu diskreditieren: Aus heutiger Sicht ist der Vorgang nicht nachvollziehbar, der Tatort bemüht sich aber nicht einmal, eine Erklärung dafür zu finden. Jüdisches Leben nach Auschwitz ,Ganz normal‘ ist jüdisches Leben im Tatort nicht. Nur sehr selten spielt es eine Rolle (z. B. Tod im Jaguar, 1996). Das Judentum erscheint somit kaum als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft. Im Gegenteil: Es wirkt in den wenigen Fällen, in denen es thematisiert wird, oft wie eine fremde, andersartige Kultur. Das – gesellschaftlich virulente – Thema Antisemitismus bzw. antisemitische Vorurteile sind dabei von der Darstellung jüdischen Lebens (für den Tatort) nicht zu trennen. So wird in Der Schächter (2003) sofort – fast reflexartig – ein jüdischer Freund von Hauptkommissarin Klara Blum, Jakob Leeb, verdächtigt, als ein Junge vermisst und später tot aufgefunden wird. Die christliche Horrormär von den Juden, die das Blut von unschuldigen Kindern zum Backen ihres Brotes benötigen, ist offenbar – so die Folge – noch in vielen Köpfen so 97 Allg. zur Religion im Tatort siehe Stockinger 2011 und 2013 sowie Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a (Kap. 9). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 33 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 fest verankert (wenn auch unterschwellig), dass es nur wenig braucht, um alte Vorurteile wieder aufleben zu lassen,98 wie Der Schächter an der Figur des Staatsanwalts vormacht. Dass diese Vorurteile rassistisch begründet sind, wird an mehreren Stellen deutlich. So äußert der Staatsanwalt Verständnis für Leebs „Ressentiments gegen uns“ (als Deutsche); als Jude denke und fühle er „einfach anders“ (01:07:21–01:07:25; Hervorhebung Verf.). Blum fragt er offen, ob sie „jüdisches Blut“ habe (00:54:48–00:54:52), weil sie immer mit Gegenfragen antworte. – Problematisch dabei ist, dass die Figur Jakob Leeb „ schon sehr an manchen althergebrachten Vorstellungen vom typischen Juden orientiert“99 ist. Der Bezug zur NS-Vergangenheit wird nicht nur durch Leebs Lebensgeschichte hergestellt (er überlebte als einziger aus seiner Familie das KZ Treblinka), sondern auch als historischer Hintergrund zur Beurteilungen des Antisemitismus immer wieder aufgerufen – mal eher implizit, mal sehr direkt (so, wenn der Staatsanwalt sich auf das Recht bezieht und Blum antwortet: „Eichmann und Konsorten standen auch auf der Seite des Rechts“; 00:54:31–00:54:33). Als Thema ist die NS-Vergangenheit in dieser Folge jedoch irrelevant. Die Folge strebt keine interdiskursive historische ,Aufklärung‘ hinsichtlich der Judenvernichtung im sog. ,Dritten Reich‘ an. Wissen darüber setzen die Macher beim Publikum voraus. Die zeichenhaften Verweise haben lediglich die Funktion den latent vorhandenen und nun aufkeimenden Antisemitismus, den Der Schächter vorführt, als eine drohende Gefahr für die Gesellschaft auszuweisen. Die Vergangenheit wird als Zukunftsszenario aktualisiert: Auch der Holocaust hat mit Vorurteilen, Anfeindungen und Ausgrenzungen begonnen. Der Staatsanwalt wird dabei nicht als ideologisch verblendeter Nazi dargestellt. Er zeigt eher einen (wenn man so will) unreflektierten Antisemitismus, da er sich seiner Vorurteile offenbar gar nicht selbst bewusst ist (so nimmt er bspw. nicht wahr, dass er zunehmend zwischen ,den Juden‘ und ,uns Deutschen‘ unterscheidet und damit verbal explizite Ausgrenzungen vornimmt). Er beruft sich in seinem Umgang mit Leeb als Verdächtigen auf das Recht, das für alle im gleichen Maße gelte (und juristisch ist seine Vorgehensweise kaum zu beanstanden, da es hinreichende Verdachtsmomente gegen Leeb gibt – immerhin wurde eine Leiche auf Leebs Grundstück entdeckt und die Tatwaffe in seinem Haus gefunden). Wenn Blum ihm daher vorhält, dass auch Männer wie Adolf Eichmann das für sich in Anspruch genommen hätten, so führt sie ihn damit als den klassischen Mitläufertyp vor, der sich hinter Paragraphen oder Befehlsgehorsam versteckt; als jemanden, der unter anderen historischen Gegebenhei98 99 In seiner Mehrdeutigkeit vielsagend ist ein kurzer Dialog von Blum und Leeb (in dem Gespräch geht es eigentlich um eine andere in den Fall verstrickte Figur, mit der Blum mal vor langer Zeit eine Affäre hatte): [Klara Blum] „Warum könn’n die Leute nichts vergessen?“ [Jakob Leeb] „Vergessen ist nicht so leicht.“ (00:29:09–00:29:15). Marz, Eva. „Mord im Paradies.“ Süddeutsche Zeitung 281 (6. Dezember 2003), S. 18. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 34 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 ten den perfekten Schreibtischtäter abgegeben hätte. Blums Anspielung wirkt letztendlich aber etwas überzogen (und macht nur vor dem Hintergrund Sinn, dass Der Schächter indirekt Vorbedingungen des Holocaust reflektiert). Der Staatsanwalt äußert sich zwar zunehmend antisemitisch, doch aufgrund der Beweislage ist ihm kaum vorzuwerfen, er gehe gegen Leeb nur deswegen vor, weil dieser Jude ist (allerdings ist er sehr schnell von dessen Schuld überzeugt und unternimmt keine großen Anstrengungen, entlastende Indizien zu finden). Zudem ist auch Blums Verhalten in dieser Folge nicht ganz unproblematisch. Man könnte ihr unterstellen, dass sie nicht gegen ihren Freund vorgeht, nur weil sie – befangen und zunächst ohne Beweise – von dessen Unschuld überzeugt ist, und dass sie von einem Staatsanwalt implizit erwartet, nicht gegen einen Verdächtigen zu ermitteln, nur weil dieser Jude ist (was eine Form der positiven Diskriminierung darstellt). Für die Rezensentin der Süddeutschen Zeitung kommt „[d]er AntisemitismusTatort […] zum richtigen Zeitpunkt. Knapp vier Wochen nach der HohmannGünzel-Affäre führt er vor, was für ekelhafte Leute die Rassisten sind.“100 Deutlich kritischer urteilt die Frankfurter Rundschau: Weil der Plot so unrealistisch ist, läuft die Geschichte der offenkundigen Intention des Autors zuwider: Die anachronistische Vorstellung der Blutmythen taugt kaum dazu zu zeigen, wie allgegenwärtig Antisemitismus immer noch ist.101 Ebenso ist auffällig, dass Jakob Leeb hier als jemand erscheint, der von außen kommend die ,Ruhe‘ stört; als jemand, der nicht dazu gehört: Er ist erst kürzlich von Strasbourg nach Konstanz gezogen, weil er dort ein Haus geerbt hat; für den Staatsanwalt erneut eine Gelegenheit, diesen Umstand antisemitisch zu kommentieren: „Tja, so sind sie eben. […] Hübsche Erbschaft, ein bisschen Geld und plötzlich fällt das gar nicht mehr so schwer, deutschen Boden zu betreten.“ (00:40:27–00:40:35) Zwar ist er in Konstanz aufgewachsen, bis seine – eigentlich christlich getaufte – Familie 1942 deportiert wurde (es bleibt dabei unklar, ob er in Konstanz geboren wurde oder nicht), doch wird herausgestellt, dass seine Familie aus dem Elsass stammt. Am Ende will der mittlerweile Ausgegrenzte und Angefeindete 100 101 Ebd. Marz bezieht sich hier auf den damaligen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann (CDU), der am Tag der Deutschen Einheit im hessischen Neuhof eine antisemitische und den Holocaust relativierende Rede hielt. Diese Rede wurde von dem damaligen Kommandeur der Spezialeinheit KSK, Reinhard Günzel (der bereits zuvor mit seiner rechtslastigen Gesinnung aufgefallen war), auf offiziellem Briefpapier der Bundeswehr ausdrücklich gelobt. Heinen, Christina. „Blut und Boule. ,Tatort‘ über Antisemitismus.“ Frankfurter Rundschau 285 (6. Dezember 2003), o. P. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 35 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Konstanz verlassen, doch Blum überzeugt ihn, das nicht zu tun. Damit wird er in der Inszenierung – im Sinne Georg Simmels – in der Tat zum Fremden: Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinn gemeint, als der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt – sozusagen der potenziell Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat. Er ist innerhalb eines bestimmten räumlichen Umkreises – oder eines, dessen Grenzbestimmtheit der räumlichen analog ist – fixiert, aber seine Position in diesem ist dadurch wesentlich bestimmt, daß er nicht von vornherein in ihn gehört, dass er Qualitäten, die aus ihm nicht stammen und stammen können, in ihn hineinträgt.102 Wird in Der Schächter das Judentum als etwas Fremdartiges gezeigt, so ist die Münchner Folge Ein ganz normaler Fall – wie der Titel schon andeutet – sehr darauf bedacht, jüdisches Leben als eigentlich selbstverständlichen Teil der bundesdeutschen Gesellschaft zu inszenieren (bzw. zu ,normalisieren‘)103. Latenter Antisemitismus wird zwar angedeutet (bzw. satirisch überspitzt vorgeführt),104 doch in erster Linie wird die falsch verstandene Rücksichtnahme als andere „Form der Entmündigung“ (00:52:07f.) thematisiert, wie es die Vorsitzende des jüdischen Kulturvereins in der Folge ausdrückt. „So wird der Krimi zu einer interessanten Abhandlung über falsche Pietät und an Gemeinheit grenzende politische Korrektheit.“105 Während sich die Kommissarin in Der Schächter unbefangen im Umgang mit Jakob Leeb zeigt, wird Leitmayrs Unbehagen mehrfach deutlich hervorgehoben. So äußert er sich gegenüber seinem Kollegen Batić über die Ermittlungen im jüdischen Gotteshaus: „Gestern in der Synagoge hab’ ich die ganze Zeit gedacht: Franz, mach’ jetzt bloß kein Fehler.“ (00:39:30–00:39:34) Batić, bezeichnet Leitmayr – der das zunächst von sich weist – daher auch als „deutschverkrampft“ (00:20:06f.). Aufgrund seiner kroatischen Herkunft kann er „die Erbschuld der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk“ (00:39:35–00:39:37) als Ursache für Leitmayrs Verhalten kritisch ansprechen. Ein ganz normaler Fall ist es für Leitmayr nicht, wenn es um Juden geht: 102 103 104 105 Simmel 1984 [1908], S. 128. Zu dieser Folge siehe auch Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 9. Auch hier (u. a.) durch die Figur des Staatsanwalts: „Sie wissen doch, wie die sind“ (00:51:0300:51:05; Hervorhebung Verf.). Es wäre hingegen undenkbar einen antisemitischen TatortKommissar zu zeigen. Dies gilt allgemein für einen Ermittler mit rechter Gesinnung (siehe Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 10). Buß, Christian. „Block, Batic und Leitmayr: Immer her mit den Fettnäpfchen.“ spiegel.de (25. November 2011); http://www.spiegel.de/kultur/tv/block-batic-und-leitmayr-immer-her-mitden-fettnaepfchen-a-798966.html. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 36 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 [Vorsitzende des jüdischen Kulturvereins] „Wir sind Juden. Juden! Auch wenn das ‘mal ein Schimpfwort war.“ [Leitmayr] „Ja, des Wort is’ halt immer noch sehr belastet. Des is’ nich’ normal. Normal is’ es nich’, wenn man über Normalität extra reden muss.“ (00:52:53–00:53:05) In diesem Zwiespalt steckt auch der Tatort, der einerseits mit der Folge für einen unbefangenen Umgang miteinander eintritt, aber zugleich immer wieder zeigt, wie schwierig das Verhältnis ist. Die – politisch ,korrekte‘ – Formulierung ,jüdische Mitbürger‘ wird so zu einer subtilen Form der Ausgrenzung:106 [Vorsitzende des jüdischen Kulturvereins] „Wie würden Sie reagieren, wenn ich Sie [gemeint ist Leitmayr] zum Beispiel ständig als atheistischen Mitbürger und Sie [gemeint ist Batić] als Menschen mit katholischen Wurzeln bezeichnen würde?“ (00:52:42–00:52:50) Mit der Forderung nach ,Normalisierung‘ nimmt der Tatort eine heikle Position ein, da sie als Anmaßung – oder gar als Geschichtsverdrängung – (miss-)verstanden werden könnte. Wenn Ein ganz normaler Fall einen unbefangenen Umgang miteinander einfordert, so ist er sehr darauf bedacht, dies nicht in dem Sinne erscheinen zu lassen, dass ein ,Schlussstrich‘ unter die deutsche Vergangenheit gezogen werden sollte. Daher wird nicht nur mehrfach in der Folge der Holocaust direkt erwähnt, vor allem wird auch das Wachhalten der Erinnerung als ,deutsche Aufgabe‘ inszeniert. Während Batić die KZ-Gedenkstätte Dachau bereits vor Jahren besucht hat (kurz nachdem er nach München kam), war Leitmayr noch nie dort: „Du wohnst hier, kannst jeden Tag hin; es läuft ja nicht weg.“ (00:40:16– 00:40:18) Obwohl die Reste des Lagers als stumme Zeugen immer da sind – und das ganz in der Nähe – wird hier das Wissen um deren Existenz (und um den Holocaust) nicht als hinreichende Form des Erinnerns dargestellt, wenn Batić auf den tieferliegenden Grund für den Nicht-Besuch Leitmayrs anspielend kommentiert: „Und man weiß vorher, dass es ein’m an die Nieren geht; und so ist es dann auch.“ (00:40:22–00:40:26) Die Konfrontation mit den Orten der NS-Verbrechen wird hier zu einer Möglichkeit der emotionalen Auseinandersetzung, zu einer Möglichkeit des Begreifens von Schuld und Leid. Ein ganz normaler Fall fordert somit dazu auf, ,sich der Vergangenheit zu stellen‘107 – nur dann ist eine Normalisierung im ,deutschjüdischen Verhältnis‘ möglich. Und so fährt Leitmayr am Ende nach Dachau; zeichenhaft rufen die Wachtürme, an denen er vorbeifährt, die kollektiven Bilder von Konzentrationslagern auf. Aber die Zuschauerinnen und Zuschauer 106 107 Die Rede von einem ,deutsch-jüdischen Verhältnis‘ ist ebenso latent ausgrenzend, da sie einen Unterschied von ,deutsch‘ und ,jüdisch‘ markiert, der nicht religiös bedingt ist, sondern aus der Volkszugehörigkeit herrührt. Diese Vergangenheit ist hier als ,deutsche Vergangenheit‘, nicht als individuelle zu verstehen. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 37 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 begleiten ihn nicht ins Innere, die emotionale Erfahrung kann Leitmayr nicht stellvertretend für sein Publikum machen. Österreich – und die eigene Vergangenheit Der ORF thematisiert die NS-Vergangenheit Österreichs erstmals in Nichts mehr im Griff (2001) – fast 60 Jahre nach den Verbrechen.108 Im Zuge einer Ausstellung von Bildern Egon Schieles erhebt Esther von Steinhof, die in Amerika lebende Großnichte eines von den Nazis ermordeten Wiener Ehepaars, Anspruch auf zwei Aquarelle. Bei der Deportation ihrer Verwandten nach Auschwitz sei deren privater Besitz – darunter die beiden Bilder – beschlagnahmt und ,arisiert‘ worden. In einem Nebenstrang der Handlung, in dem es um Kunstraub und den Rückkauf gestohlener Bilder geht, werden dabei auch die Schwierigkeiten geschildert, die Esther von Steinhof hat, nachzuweisen, dass sie einen rechtmäßigen Anspruch auf die beiden Aquarelle hat. Nur durch einen Zufall gelangt sie an eine Fotographie, mit der sie zumindest von einem der Bilder beweisen kann, dass es früher in ihrem Familienbesitz war. Die Folge selbst hat ein eher distanziertes Verhältnis zur NS-Zeit; ganz so wie es ein Archivmitarbeiter ausdrückt: man kenne zwar die Namen aller österreichischen Holocaust-Opfer – über ihre Schicksale wisse man aber kaum etwas (00:38:54–00:39:14). Letztendlich stellt sich der Wiener Tatort erst 2013 – fast 70 Jahre nach Kriegsende – der NS-Zeit als Teil der eigenen Geschichte, der eigenen Schuld. Zwischen Aktualität und Vergangenheit thematisiert der ORF österreichischen (Neo-)Nationalsozialismus/,Austrofaschismus‘ dabei gleich in zwei im Rahmen der Serie aufeinanderfolgenden Beiträgen: Zwischen den Fronten und Unvergessen. Eine regelrechte Tatort-Offensive gegen das Vergessen. Bei einer UNO-Sicherheitskonferenz in Wien sprengt sich ein vermeintlicher islamistischer Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft (Zwischen den Fronten). Die Sonderermittler des Bundeskriminalamts, Moritz Eisner und Bibi Fellner, finden aber heraus, dass Mitglieder der faschistischen Organisation „Semper Veritas“ hinter dem Anschlag stecken (Eisner nennt die Organisation einen „rechtsradikale[n] Geheimbund“; 01:10:13–01:10:15). Es ist eine politische Intrige, die zum Sturz des Innenministers und zu einer Verschärfung der Sicherheitspolitik führen soll (offenbar sollen ein ,starker Mann‘ bzw. ein 108 Auch in den 13 österreichischen Tatort-Folgen, die zwischen 1985 und 1989 nur vom ORF ausgestrahlt wurden und daher in der ,offiziellen‘ Tatorthistorie tot geschwiegen werden, spielt das Thema NS-Vergangenheit keine Rolle. Zu diesen „,Sonder‘-Tatorten“ siehe Werner, François. „13 besondere ORF-Tatorte. Frag nicht nach Sonnenschein!“ tatort-fundus.de (2009); http://www.tatortfundus.de/web/folgen/ausserderreiheorf-2009-03-18.html [29. Mai 2013]. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 38 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 ,starker Staat‘ restituiert werden). Eine Intrige, die sie in ihren Weiterungen jedoch nicht aufdecken können. Durch Embleme, Flaggen, Fotographien und Äußerungen Eisners wird „Semper Veritas“ nicht mit dem Nationalsozialismus Hitlers in Verbindung gebracht, sondern mit dem sog. stark katholisch geprägten ,Austrofaschismus‘ vor dem ,Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 (00:38:14– 00:38:31; 01:07:06–01:07:11; 01:25:40–01:26:32).109 Zwischen den Fronten verweist damit auf eine – eigenständige – faschistische Vergangenheit Österreichs, die nicht erst mit der Annektierung durch Hitler beginnt. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang eine kleine Szene am Ende der Folge. Als Bibi Fellner den seinerzeit (1932–1934) diktatorisch110 regierenden Bundeskanzler des ,Ständestaates‘, den christsozialen Engelbert Dollfuß, auf einem Bild nicht erkennt, erklärt Eisner: „Ein kleiner österreichischer Bundeskanzler, der immer so groß sein wollte wie der Hitler.“ (01:25:58–01:26:02)111 Daraus entspinnt sich dieser sehr kurze Wortwechsel: [Fellner] „Was ich alles nicht weiß.“ [Eisner] „Das weiß fast niemand mehr.“ (01:26:04–01:26:07) Es wirkt beinahe so, als wolle er sagen ,das will niemand mehr wissen‘. Zumindest deutet Eisner hier an, dass gesellschaftlich die Zeit des ,Austrofaschismus‘ verdrängt wird, dass sich Unkenntnis Bahn bricht. Dazu der Historiker Oliver Rathkolb, der auch von einem „vergessenen Faschismus“ spricht112 – auf orf.at: […] zwischen 40 und fast 48 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher können die autoritäre Periode vor dem Nationalsozialismus nicht einmal mehr als Faktum einordnen. […] Noch unklarer ist das Bild über den Diktaturcharakter der Jahre 1933–1938, der eigentlich politisch inzwischen längst außer Streit steht, und obwohl auch klar ist, dass eine Diktatur, die nationalsozialistische, nicht durch eine andere, schwächere 109 110 111 112 Der ,Austrofaschismus‘ wird daher auch als ,Klerikofaschismus‘ bezeichnet. Dollfuß schaltete den österreichischen Nationalrat 1933 aus. Er wurde 1934 bei einem Putschversuch der Nationalsozialisten erschossen. Ihm folgte Kurt Schuschnigg als Bundeskanzler (bis 1938). Zur Geschichte des ,Austrofaschismus‘ siehe z. B. Scheuch 2005; Tálos/Neugebauer 2012; Wenninger/Dreidemy 2013. Allerdings wird der Name Dollfuß weder genannt noch ist die handschriftliche Signatur der Fotographie (sein Autogramm) zu entziffern. Es wird offenbar davon ausgegangen, dass zumindest die österreichischen Zuschauerinnen und Zuschauer Dollfuß (er)kennen. Zitiert in Riedl, Joachim. „Arbeitermörder oder Märtyrer? Die Kontroverse um die Rolle von Engelbert Dollfuß entzweit noch immer die Lager.“ zeit.de (21. Juli 2011); http://www.zeit.de/2011/30/A-Kontroverse [10. Oktober 2010]. Über Dollfuß heißt es in diesem Artikel: „Arbeitermörder oder Märtyrerkanzler – zwischen diesen Extremen changierte in den folgenden Jahrzehnten die Betrachtungsweise. Bis heute. Das autoritäre Regime seines Nachfolgers Kurt Schuschnigg entfaltete einen makabren Totenkult, der sich ausgiebig aus dem Repertoire der katholischen Mystik und ihrer Märtyrerverherrlichung bediente. Zugleich verfestigte sich im Lager der unterdrückten Sozialdemokraten der Hass auf den Mann, in dem sie den Totengräber der Demokratie erblickten“ (ebd.). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 39 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Diktatur verhindert werden konnte. […] Gerade die Erinnerung an den ,Anschluss‘ an Hitler-Deutschland 1938 und dessen Folgen, die im Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust endeten, sollte die Zeit vor 1938 nicht ausblenden, sondern zu einer intensiveren Auseinandersetzung führen, um die inzwischen bedrohlichen historischen Wissensleerstellen zu schließen […].113 Zwischen den Fronten verweist zwar auf diese „Wissensleerstellen“, belässt es aber dabei, die Unkenntnis anzumahnen. Die Folge ist offenkundig nicht danach bestrebt, historische Aufklärung über den ,Austrofaschismus‘ zu betreiben – dafür konzentriert sie sich zu sehr auf die Frage nach dem aktuellen Bedrohungspotential durch faschistische Organisationen.114 Eisners Gleichsetzung von Dollfuß und Hitler ist aber eine – für Zuschauerinnen und Zuschauer aus Deutschland und der Schweiz eher unverständliche – deutliche politische Positionierung, da der diktatorisch regierende Bundeskanzler vor allem in (rechts-)konservativen Kreisen als „erste[r] Widerstandskämpfer gegen Hitler und Märtyrer für Österreich [ge]sehen“ wird.115 Darüber hinaus wirft diese Gleichsetzung einen kritischen Blick auf die österreichische Vergangenheitspolitik. So fordert Manfred Scheuch noch 2005: Nach der Abkehr der österreichischen Selbstbetrachtung von der ausschließlichen Opferrolle in der Zeit des Nationalsozialismus und dem Eingeständnis der aktiven oder wegschauenden Beteiligung von Österreichern an dessen Verbrechen wäre auch für die Zeit davor Aufrichtigkeit ohne Tabus – mit dem Blick auf die Zerstörung der Demokratie, aber etwa auch auf den Antisemitismus und die Haltung einer politisierenden Kirche – ein Gebot historischer Gewissensforschung.116 Der österreichische Tatort ,spiegelt‘ bzw. reflektiert anschaulich diese veränderte Vergangenheitspolitik: 113 114 115 116 – Nichts mehr im Griff erwähnt die NS-Verbrechen, ohne dass Österreicher konkret als Täter in Erscheinung treten – das Publikum kann sich noch in der Opferrolle wähnen. – Zwischen den Fronten mahnt die Erinnerung an die Zeit vor dem ,Anschluss‘ und die faschistische Vergangenheit vor – und als Wegbereiter für – Hitler an. Rathkolb, Oliver. „Dollfuß für 40 Prozent ,unbekannt‘.“ orf.at (29. Februar 2008); http://sciencev1.orf.at/science/news/150949 [6. September 2013]. Siehe dazu Hißnauer/Scherer/Stockinger 2014a; Kap. 10. Scheuch 2005, S. 11. Daher wird Dollfuß auch „Märtyrerkanzler“ oder „Heldenkanzler“ genannt. Scheuch 2005, S. 14). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 40 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? – 08.04.2014 Unvergessen zeigt schließlich die aktive Beteiligung von Österreichern an NS-Verbrechen. Explizit wird das ,Nicht-Mehr-Wissen-Wollen‘, das in Zwischen den Fronten angedeutet wird, in Unvergessen thematisiert. Als Eisner, der aufgrund einer Schusswunde am Kopf unter Gedächtnisverlust und einer gestörten Wahrnehmung leidet, bei der Dorfpolizei in Eisenkappel-Vellach (Kärnten) nach der verschwundenen Journalistin Maja Jancic-Herzog117 fragt, mit der er sich offenbar in Eisenkappel getroffen hat: [Fellner] „Wa, was wissen’s no’ über die?“ [Josef Hudle] „Naja, dass se a poar Leut’ ordentlich auf die Eier gegangen is’ mit ihrer Fragerei.“ [Reinhard Matschnig] „Recherchiert hat’s. Über die Nazizeit. Über’n Krieg. Über die ganzen oalten Sachen, die wo’s eh keiner mehr hör’n will. Gestiedelt hat’s halt.“ [Josef Hudle] „Das Peršmanhof-Massaker hat’s halt besonders int’ressiert.“ [Fellner] „Was für’n Massaker?“ [Hudle] „Im Krieg hoam die SSler zwoa slowenische Bauernfamilien massakriert. Oalte, Frau’n, Kinder. Ja, weil’s die Partisanen geholfen haben.“ [Matschnig] „Des is’ nie bewiesen word’n. Woarscheinlich hab’n die Partisanen das Massaker selber began’n.“ [Hudle] „Geh, hör auf, Reini!“ [Matschnig] „Schon sind wir wieder mittendrin in dem oalten Scheißdreck. Diese Stierlerei macht nix als böses Blut.“ (00:27:53–00:28:31)118 In dieser Szene wird nicht nur das Thema NS-Vergangenheit eingeführt, sondern auch die zentralen Konfliktlinien.119 Es gab in der Tat Gerüchte und Verdächtigungen, dass die Partisanen des slowenischen Widerstands in Kärnten120 selbst für das Massaker verantwortlich seien (aus Rache für einen vermeintlichen Verrat durch die getöteten Familien). Obwohl bei der gerichtlichen Voruntersuchung in den späten 1940er Jahren bereits zweifelsfrei festgestellt wurde, dass nur Angehörige der 4. Kompanie des SS- und Polizeiregiments 13 als 117 118 119 120 Hier gibt es einen auffälligen Filmfehler. Der Polizist Josef Hudle liest die Daten von der Vermisstenanzeige vor. Demnach sei Maja Jancic in Bleiburg (Kärnten) geboren. Auf dem Monitor ist aber deutlich zu lesen, dass sie aus München stammt und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Der Geburtsort Bleiburg würde erklären, warum sie slowenisch spricht. Später äußert sich Matschnig weitaus versöhnlicher: „Die Oalten ham das Recht zu vergessen, und die Jung’ die Pflicht zu erinnern.“ (00:54:43–00:54:46) Das Recht zu vergessen und die Pflicht zu erinnern schließen sich aber gegenseitig aus, bzw. müssen zu Konflikten führen. Gleichzeitig wird die Recherche zum Peršmanhof-Massaker als möglicher Hintergrund für das Verschwinden von Maja Jancic, die kurz darauf tot aufgefunden wird, präsentiert. Es stellt sich aber am Ende heraus, dass das Mordmotiv nichts mit der NS-Vergangenheit des Dorfes zu tun hat. Jancic wird zwar vom Enkel des noch lebenden Mittäters heftig attackiert, aber nicht getötet. 2013 wird im Tatort nicht mehr gemordet, um die Aufdeckung einer Nazi-Vergangenheit zu verhindern. Zum Widerstand der slowenischen Minderheit gegen die Nazi-Diktatur in Kärnten siehe Entner 2013; Obid/Rettl 2008; Rettl 2010. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 41 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Täter in Frage kommen, hält sich dieses Gerücht im Prinzip bis heute.121 Die SSler konnten jedoch nicht belangt werden, weil die notwendige individuelle Tatbeteiligung und der jeweilige Tatbeitrag nicht nachgewiesen werden konnten.122 Da es nie zu einer Anklage kam, ist die Schuld des SS- und Polizeiregiments in der Tat nie gerichtsfest bewiesen worden: Die politische Rechte folgerte daraus, dass die Männer unschuldig seien und als Täter die ,Titopartisanen‘ anzusehen seien, die einen Racheakt an der Familie vollzogen hätten. Die Kärntner SlowenInnen mutmaßten – angesichts der Tendenz der volksgerichtlichen Spruchpraxis in den Jahren 1948/49 durchaus zu Recht – dass die österreichische Justiz wieder einmal zugunsten ehemaliger Nazis entschieden hätte.123 Um den in der oben wiedergegebenen Szene angedeuteten Konflikt besser verstehen zu können, ist es notwendig, kurz auf einen vergangenheitspolitisch relevanten Aspekt einzugehen: Die herrschende Kärntner Erinnerungspolitik ist geprägt von den Grenzkämpfen und der Volksabstimmung 1918-1920.124 Das Geschichtsbild wird bestimmt durch das Feindbild des ,Slawen‘, der von außen (vom Süden) Unruhe und Streit in das jahrhundertelang in friedlicher Eintracht lebende Kärntner Volk hineinzutragen versucht und ständig bestrebt ist, den Kärntnern einen Teil ihrer Heimat zu entreißen. Die ,Kärntner‘ hätten sich diesen Bestrebungen in den Jahren 1918-1920 heldenhaft widersetzt, doch der Feind habe im Zweiten Weltkrieg und danach wieder eine Teilung Kärntens versucht. Ausgeblendet bleibt nicht 121 122 123 124 „Die Behauptung von der Partisanen-Täterschaft wurde im Jahre 2002 neuerlich öffentlich lanciert, und zwar in Andreas Mölzners Video-Serie über die Verbrechen der ,Tito-Partisanen‘, hergestellt mit Unterstützung des Kärntner Heimatdienstes und der Kärnter Landesregierung. […] Eine Kurzversion dieser Folge [über das Massaker am Peršmanhof] wurde 2003 vom Landesschulrat an einen Teil der Kärntner Schulen verteilt“ (Sima 2011, S. 123). Vgl. Sima 2011, S. 120ff. [Anon.] „Geschichte.“ http://www.persman.at/geschichte/ [7. September 2013]. In diesem Text auf der Website vom Društvo/Verein Peršman heißt es weiter: „Keine der beiden Annahmen entsprach den Tatsachen. Ein Aktenfund der Gerichtsakten in den Jahren 2004 ermöglichte erstmals klare Befunde auf einer soliden Quellenbasis. Zum einen erlaubten die Teilgeständnisse der inhaftierten Männer eine klare Zuordnung des Kriegsverbrechens. Als Täter war eindeutig ein kleiner Kreis des SS- und Polizeiregiments 13 zu identifizieren. Zum anderen zeigte der Prozessverlauf in den Jahren 1946 und 1947 ein zunächst engagiertes Vorgehen der Justiz, welches in den Jahren 1948/49 entlang der gesellschaftlichen Gesamtsituation tendenziell nachließ. Dennoch lag der Einstellung des Verfahrens kein Justizskandal zu Grunde. Die Problematik gründete vor allem in der geltenden demokratischen Rechtsanlage, die in Österreich dem Grundsatz ,in dubio pro re [sic!]‘ – im Zweifel für den Angeklagten – folgte. Für eine Anklageerhebung und eine Verurteilung war ein individueller Schuldnachweis zu erbringen, was durch die gegenseitigen Beschuldigungen der Täter nicht möglich war. Auf rechtlicher Ebene blieb das Verbrechen also ungesühnt. Der schale Nachgeschmack, dass Recht nicht immer Gerechtigkeit bedeutet, bleibt bestehen“ (ebd.). Im Bildhintergrund ist in einer Dorfkneipe ein Plakat zur Volksabstimmung in Kärnten zu sehen (00:42:27–00:42:58). Der historische Rahmen wird also auch in der Tatort-Folge aufgespannt. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 42 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 nur die NS-Gewaltpolitik gegenüber der slowenischen Minderheit in Kärnten, sondern auch die nach Süden expansive Politik des Nazismus. So erscheint der Widerstand der Partisanen als Gewaltakt gegen ,Kärnten‘ und die NS-Parteigänger als ,Heimattreue‘, die von den Partisanen verfolgt wurden. Der Erinnerungsort Peršman (Museum, Gedenkveranstaltungen usw.), der die NS-Verfolgung auch im breiten Kontext deutschnationaler Politik thematisiert und zugleich antifaschistischen Widerstand positiv zeichnet, mußte daher zu einem Ärgernis für das herrschende Kärntner Geschichtsbild bzw. zumindest für seine extremen Verfechter werden.125 Unvergessen ist ein audio-visueller ,Erinnerungsort‘, der dieses Geschichtsbild erzählbar macht – und gleichsam kritisiert. In dem Tatort ist es bezeichnender Weise eine slawischstämmige Journalistin, die den Ort anklagt, an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein, und damit „Unruhe und Streit“ bringt. Die Kärntner werden als heimatverbunden inszeniert. So wird etwa der Polizist Reinhard Matschnig als Chorleiter für den Schutz des kärntnerischen Brauchtums (als Teil dessen, was ,Heimat‘ sei) mit der goldenen Kulturnadel der Gemeinde ausgezeichnet (00:39:28–00:41:12). Eisner fragt daraufhin zynischsüffisant, ob es eine Feier vom ,Abwehrkämpferbund‘, eines rechtslastigen Traditionsverbandes, sei (00:41:57–00:41:59). Franz Wiegele verteidigt die Mitgliedschaft seines Vaters in der SS damit, dass dieser das eigene Land (gemeint ist Kärnten, nicht Österreich) verteidigt habe. Dies sei Pflichterfüllung – und eine Ehre (01.00:25–01:00:47). Von der Schuld seines Vaters, dem letzten noch lebenden Beteiligten am Peršmanhof-Massaker, will er nichts wissen. Der Tatort bezieht eindeutig Position, indem er das Peršmanhof-Massaker als Verbrechen der SS inszeniert. In einer Sequenz wird der Rohschnitt einer Dokumentation von Maja Jancic sowie weiteres Material von Eisner und Fellner gesichtet, in dem eine Überlebende des Massakers Zeugnis ablegt und ausdrücklich SS-Männer als Täter benennt (00:49:31–00:53:31). Hier zeigt sich die eingangs erwähnte ,vorbehaltlose Aneignung‘ der Geschichte, die eine ,Vergangenheitsbewältigung‘ erst ermöglicht. Es wirkt fast so, als habe der ORF mit dem Hinweis auf den ,Austrofaschismus‘ in Zwischen den Fronten und der Thematisierung des Peršmanhof-Massakers kurz vor Kriegsende in Unvergessen bewusst einen Bogen spannen wollen, um aufzuzeigen, was mit der ersten österreichischen Diktatur begann – und wo es endete. Gleichzeitig zeigen beide Folgen, dass faschistische oder zumindest rechst-konservative Gesinnungen immer noch wirkmächtig sind. Es sind auch Filme über die Gegenwart. 125 Sima 2011, S. 119f. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 43 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Zwischen den Fronten und Unvergessen sind für das deutsche Publikum des Tatort schwer verständlich, weil sie ein hohes Maß an Vorwissen voraussetzen. Man muss aber davon ausgehen, dass der ,Austrofaschismus‘, das PeršmanhofMassaker und der slowenische Widerstand in Kärnten nur den aller wenigsten Zuschauerinnen und Zuschauern ein Begriff ist. Vor diesem Hintergrund ist vor allem das Textinsert zu Beginn von Unvergessen irritierend: „Die Personen und die Handlung des Films sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.“ (00:00:31–00:00:34) Das Peršmanhof-Massaker ist aber gerade nicht „frei erfunden“.126 Das Insert konterkariert damit die Intention der Folge. Zumindest hätte man darauf hinweisen können, dass die historischen Hintergründe real sind, auch wenn die gezeigten Figuren es nicht sind und Details in der Darstellung vom historisch Belegten abweichen. Für ein österreichisches Publikum ist Unvergessen wichtiges Erinnern und Mahnen: Während das Ereignis in der Kärntner slowenischsprachigen Öffentlichkeit zumindest zu Jahrestagen oder in Publikationen, die sich mit dem Thema Nationalsozialismus und Widerstand befaßten, immer wieder präsent war, nahm die deutschsprachige Öffentlichkeit davon kaum Notiz.127 Für deutsche und Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer verbleibt vieles in Zwischen den Fronten und Unvergessen zu sehr als Andeutung oder Anspielung. ,Austrofaschismus‘ und Peršmanhof-Massaker könnten ebenso gut erfundene, beispielhaft gemeinte Begebenheiten sein (wie das belgische Massaker in Bildersturm); sie sind ohne tiefere Bedeutung (und die Bedeutung, die die Begebenheiten für Österreich haben, wird nicht vermittelt). Am Ende der Geschichte … ? Der Tatort erzählt immer gegenwartsbezogene Geschichten, auch wenn die Ermittlungen zuweilen die Vergangenheit berühren (bzw. die Vergangenheit sich Bahn bricht). Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Ein ganz gewöhnlicher Mord, 1973; Frankfurter Gold, 1971128 oder Der oide Depp, 2008) ist die Gegenwart ausschließliche narrative Wirklichkeit der Folgen. 126 127 128 Welche Gründe dafür ausschlaggebend sind, dass sich der ORF für ein solches Insert entschieden hat, ist leider nicht bekannt. Sima 2011, S. 118. Zu Ein ganz gewöhnlicher Mord und Frankfurter Gold, siehe auch Hißnauer 2011a. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 44 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Das wird es in Zukunft schwer machen, die NS-Vergangenheit zu thematisieren, da eine aktuelle Verankerung in einen gegenwärtigen Kriminalfall kaum noch möglich erscheint: – Schon in Unvergessen ist der letzte noch lebende Mittäter des Massakers nur noch ein alter, dementer Mann, der seine Erinnerung verloren hat. – In Aus der Tiefe der Zeit (2013) erscheint die NS-Zeit als ein irrealer (Alb-)Traum, reduziert auf schemenhafte Nachbilder, die immer wieder aufflackern, aber nicht greifbar sind. Die NS-Zeit selbst spielt weder für den Fall noch als Thema der Folge eine Rolle. Es ist zu befürchten: Mit dem Verschwinden der Opfer, Täter und Zeugen wird auch das Thema ,Drittes Reich‘ im Tatort dem Vergessen anheim gegeben werden. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 45 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Literatur Augstein, Rudolf et al. 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Comedian Harmonists – Sechs Lebensläufe (NDR 1976) – Zweiteiliger Dokumentarfilm von Eberhard Fechner. Frühbesprechung (SWF 1973) – 8teilige Krimiserie. - Volksfest (1973) – Alexander May (Buch) und Joachim Hess (Regie). Das Dritte Reich (SDR/WDR 1960/61) – Dokumentationsreihe. Das Haus in der Karpfengasse (WDR 1965) – Mehrteiler von Gerd Angermann (Buch) und Kurt Hoffmann (Regie). Das Kriminalmuseum (ZDF 1963-1968) – 40teilige Krimireihe. Das schreckliche Mädchen (D 1990) – Kinofilm von Michael Verhoeven (Buch und Regie). Der Reichstagsbrandprozeß (HR 1967) – 2teiliges Dokumentarspiel von Michael Mansfeld (Buch) und Tom Toelle (Regie). Der Röhm Putsch (ZDF 1967) – Dokumentarspiel von Axel Eggebrecht (Buch) und Günter Gräwert (Regie). Derrick (ZDF/ORF/SRG/SFDRS 1974-1998) – 281teilige Krimiserie. - Paddenberg (1975) – Herbert Reinecker (Buch) und Franz Peter Wirth (Regie). Die Brücke von Remagen (ZDF 1967) – Dokumentarspiel von Hellmut Kotschenreuther (Buch) und Wolfgang Schleif (Regie). Die fünfte Kolonne (ZDF 1963-1968) – 23teilige Krimireihe. Donna Leon (ARD seit 2000) – Krimiserie. - Venezianisches Finale (2003) – Kathrin Richter, Ralf Hertwig (Buch) und Sigi Rothemund (Regie). Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 48 Hißnauer, „Vergangenheitsbewältigung“ im Tatort? 08.04.2014 Ein Tag – Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 (NDR 1965) – Fernsehfilm von Gunther R. Lys, Claus Hubalek, Egon Monk (Buch) und Egon Monk (Regie). Holocaust (NBC 1978) – 4teilige Miniserie von Gerald Green (Buch) und Marvin J. Chomsky (Regie). Kluftinger (BR seit 2009) – Krimiserie. - Seegrund. Ein Kluftinger-Krimi (2013) – Alex Buresch (Buch) und Rainer Kaufmann (Regie). KZ Schergen (WDR 1958) – Dokumentation (weitere Angaben unbekannt). Mendel Scheinfelds zweite Reise nach Deutschland (ZDF 1972) – Dokumentarfilm von Hans-Dieter Grabe. Mord in Frankfurt (WDR 1968) – Fernsehfilm von Rolf Hädrich (Buch und Regie). Nuit et brouillard/Nacht und Nebel (Frankreich 1955) – Dokumentarfilm von Jean Cayrol (Buch) und Alain Resnais (Regie). Operation Walküre (WDR 1971) – 2teiliges Dokumentarspiel von Helmut Pigge (Buch) und Franz Peter Wirth (Regie). Rosa Roth (ZDF 1994-2013) – 31teilige Krimiserie. - Jerusalem oder Die Reise in den Tod (1998) – Lothar Schöne, Andrea Levi (Buch) und Carlo Rola (Regie). Schimanski (WDR seit 1998) – Krimiserie. - Das Geheimnis des Golem (2004) – Mario Giordano (Buch) und Andreas Kleinert (Regie). SOKO Leipzig (ZDF, seit 2001) – Krimiserie. - Der Zobel (2014) – Rainer Jahreis, Eckhard Theophil (Buch) und Patrick Winczewski (Regie). - Letzte Wahrheit (2014) – Anna LeVine (Buch) und Herwig Fischer (Regie). Stahlnetz (NWRV/NDR 1958-1968) – 22teilige Krimireihe. Tatort (ARD/ORF/SRG/SFDRS seit 1970) – Krimireihe. - Taxi nach Leipzig (NDR 1970) – Friedhelm Werremeier, Peter Schulze-Rohr (Buch) und Peter SchulzeRohr (Regie). - Frankfurter Gold (HR 1971) – Eberhard Fechner (Buch und Regie). - Wenn Steine sprechen (SWF 1972) – Bruno Hampel (Buch) und Erich Neureuther (Regie). - Ein ganz gewöhnlicher Mord (RB 1973) – Dieter Wedel (Buch und Regie). - Das Zittern der Tenöre (NDR 1981) – Hans Jörg Martin (Buch) und Hans Dieter Schwarze (Regie). - Duisburg-Ruhrort (WDR 1981) – Thomas Wittenburg, Horst Vocks (Buch) und Hajo Gies (Regie). - Doppelspiel (WDR 1985) – Christoph Fromm (Buch) und Hajo Gies (Regie). - Schwarzes Wochenende (WDR 1986) – Bernd Schwamm, Dominik Graf, Michael Hatry (Buch) und Dominik Graf (Regie). - Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht (BR 1987) – Michael Kehlmann (Buch und Regie). - Armer Nanosh (NDR 1989) – Asta Schreib, Martin Walser (Buch) und Stanislav Barabas (Regie). - Berlin – beste Lage (SFB 1993) – Rainer Berg, Matti Geschonneck (Buch) und Matti Geschonneck (Regie). - Geschlossene Akten (SFB 1994) – Günther Lamprecht, Matti Geschonneck (Buch) und Matti Geschonneck (Regie). - Tod im Jaguar (SFB 1996) – Raimund Kusserow, Peter Sandmeyer (Buch) und Jens Becker (Regie). - Bildersturm (WDR 1998) – Robert Schwentke, Jan Hinter (Buch) und Nikolaus Stein von Kamienski (Regie). - Rattenlinie (NDR 2000) – Raimund Weber (Buch) und Hartmut Griesmayr (Regie). - Nichts mehr im Griff (ORF 2001) – Peter Zingler (Buch) und Walter Bannert (Regie). - Schöner sterben (SWR 2003) – Daniel Martin Eckhart (Buch) und Didi Danquart (Regie). - Der Schächter (SWR 2003) – Fred Breinersdorfer (Buch) und Jobst Oetzmann (Regie). - Verraten und verkauft (WDR 2004) – Peter Goslicki, Mario Giordano (Buch) und Peter F. Bringmann (Regie). - Der oide Depp (BR 2008) – Alexander Adolph (Buch) und Michael Gutmann (Regie). - Ein ganz normaler Fall (BR 2011) – Daniel Wolf, Rochus Hahn (Buch) und Torsten C. Fischer (Regie). - Zwischen den Fronten (ORF 2013) – Verena Kurth (Buch) und Harald Sicheritz (Regie). - Unvergessen (ORF 2013) – Sascha Bigler (Buch und Regie). - Aus der Tiefe der Zeit (BR 2013) – Bernd Schwamm (Buch) und Dominik Graf (Regie). Wer schießt auf Ralf Bialla? – Warum läßt Ralf Bialla auf sich schießen? (ZDF 1972) – Dokumentarfilm von Hans-Dieter Grabe. Repositorium Medienkulturforschung 07/2014 Seite 49