Von „Gemeingefährlichen“, „Sittlichkeitsverbrechern“ und „Geschändeten“.
Die Verfolgung von sexuellem Kindesmissbrauch im Nationalsozialismus
Dagmar Lieske
I.
Einleitung
Am 12. Januar 1943 verurteilte das Landgericht Rostock den 53-jährigen Strandbahnschaffner
Heinrich G. wegen „unsittlicher Handlungen“ zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und
sechs Monaten Haft; zudem wurden ihm die „bürgerlichen Ehrenrechte“ für drei Jahre
aberkannt.1 Laut Gericht hatte er die 13-jährige Tochter einer ihm bekannten Familie an zwei
Tagen hintereinander „unzüchtig berührt“.2 In der Urteilsschrift wird der Tathergang wie folgt
geschildert: Das Mädchen habe bei dem Angeklagten seinerzeit ein Kaninchen umtauschen
wollen, dabei habe Heinrich G. sie in seinen Hühnerstall geführt, „fest an sich gedrückt“ und
„beischlafähnliche Bewegungen“ vollzogen.3 Diese Handlungen habe er am darauffolgenden
Tag wiederholt und ihr zusätzlich „einen Kuss in den Nacken“ gegeben. Da G. einschlägig
vorbestraft war, sah das Gericht von „mildernden Umständen“ ab – er hatte bereits 1937 eine
Haftstrafe wegen „unzüchtiger Handlungen“ an zwei 14-jährigen Mädchen erhalten.4 G.
verbüßte seine Freiheitsstrafe 1943 bis 1944 in der Haftanstalt Dreibergen-Bützow (heute:
Justizvollzugsanstalt Bützow) in Mecklenburg-Vorpommern. Noch vor Ablauf der Haftzeit im
Juli 1944 wendete sich die Schweriner Kriminalpolizei mit der Aufforderung, einen
Führungsbericht über den Gefangenen zu erstellen, an den Vorstand des damaligen
Zuchthauses. Es sei geplant, gegen G. „im Anschluß an die Strafhaft die polizeiliche
Vorbeugehaft anzuordnen“, so der Wortlaut in dem Schreiben vom 20. Mai 1944.5 Die hier
angedrohte „polizeiliche Vorbeugehaft“ wurde Ende 1933 eingeführt. Sie ermöglichte es der
Kriminalpolizei, Personen dauerhaft in Konzentrationslager einzuweisen – so auch G., der
direkt nach seiner Entlassung aus der Justizhaft an die Schweriner Kriminalpolizei übergeben
wurde. Diese ließ ihn wenig später im August 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück
bringen. Ausschlaggebend für die Anordnung von Vorbeugehaft waren in erster Linie die
jeweiligen Vorstrafen, häufig aber auch der allgemeine Lebenswandel bzw. die soziale
Situation. Im Fall von G. begründete die Kriminalpolizei die Vorbeugehaft mit seiner
1
Urteil des Landgerichts Rostock, 12.1.1943, in: Landeshauptarchiv Schwerin (LA Schwerin) 5,12–6–9, Nr. 1214.
Urteil des Landgerichts Rostock, 12.1.1943, in: LA Schwerin 5,12–6–9, Nr. 1214.
3
Urteil des Landgerichts Rostock, 12.1.1943, in: LA Schwerin 5,12–6–9, Nr. 1214.
4
Urteil des Landgerichts Rostock, 12.1.1943, in: LA Schwerin 5,12–6–9, Nr. 1214.
5
Schreiben der Kriminalpolizeistelle Schwerin an den Vorstand des Zuchthauses Dreibergen-Bützow, 20.5.1944,
in: LA Schwerin 5,12–6–9, Nr. 1214.
2
Einstufung als „Gemeingefährlicher“.6 Aus der Tatsache, dass der Rostocker entsprechend
vorbestraft war, schlossen die Beamten, dass „mit Rückfall unbedingt gerechnet werden“
müsse.7 Gleichwohl bezeichneten sie ihn in ihrer Verfügung als „noch besserungsfähig“.8 Dies
nützte G. jedoch nichts mehr. Sechs Wochen nach seiner Einlieferung in das
Konzentrationslager Ravensbrück wurde er in die Lohheide transportiert, wo die Schutzstaffel
(SS) seit April 1943 direkt neben einem Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht das
Konzentrationslager Bergen-Belsen betrieb. Zunächst als „jüdisches Austauschlager“9
konzipiert, erhielt Bergen-Belsen ab Frühjahr 1944 auch die Funktion einer Art Auffanglager
für kranke und geschwächte Häftlinge.10 Die meisten dieser Häftlinge befanden sich bereits seit
Jahren in Konzentrationslagerhaft und waren von den jeweiligen Kommandanturen als
„arbeitsunfähig“ eingestuft worden. Dementsprechend hoch war dort die Todesrate. Auch G.
überlebte das Lager in der Heide nicht, er starb am 15. November 1944 an angeblicher
„Kreislaufschwäche“.11 Ob der Rostocker tatsächlich krank war, lässt sich aufgrund der
spärlichen Quellenlage nicht mehr rekonstruieren. Wie in allen Konzentrationslagern wurde
jedoch auch in Bergen-Belsen auf den Totenscheinen in der Regel nicht die eigentliche, sondern
eine fingierte Todesursache vermerkt.
Ähnlich wie G. erging es zwischen 1933 und 1945 einer bislang unbekannten Anzahl von
Personen,
die
von
Polizeibehörden
und
Gerichten
zu
„Berufsverbrechern“,
„Sittlichkeitsverbrechern“, „Gemeingefährlichen“ und/oder „Gewohnheitsverbrechern“ erklärt
worden waren. Denn neben die reguläre Strafverfolgung traten nach der nationalsozialistischen
Machtübernahme verschiedene weitere staatlich angeordnete Zwangsmaßnahmen. Diese
reichten von dauerhafter Verwahrung in Haft- und anderen Anstalten über Kastrationen bis hin
zur Einweisung in ein Konzentrationslager. Die Grundlage dafür bildeten im Wesentlichen zwei
Instrumente, die Ende 1933 geschaffen wurden: Die bereits erwähnte polizeiliche Vorbeugehaft
sowie das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der
Sicherung und Besserung“ (im Folgenden abgekürzt als „Gewohnheitsverbrechergesetz“).
6
Anordnung der polizeilichen Vorbeugehaft der Kriminalpolizeistelle Schwerin, 27.6.1944, in: LA Schwerin
5,12–6–9, Nr. 1214.
7
Anordnung der polizeilichen Vorbeugehaft der Kriminalpolizeistelle Schwerin, 27.6.1944, in: LA Schwerin
5,12–6–9, Nr. 1214.
8
Anordnung der polizeilichen Vorbeugehaft der Kriminalpolizeistelle Schwerin, 27.6.1944, in: LA Schwerin
5,12–6–9, Nr. 1214.
9
In diesem Lagerteil wurden Juden verschiedener Nationalitäten festgehalten, die gegen im Ausland inhaftierte
Deutsche oder Devisen „ausgetauscht“ werden sollten.
10
Vgl. zur Geschichte von Bergen-Belsen Knoch/Rahe; Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten; Kolb; speziell
zu der Situation der als „Kriminelle“ Verfolgten in Bergen-Belsen, zu denen auch G. gezählt wurde,
s. Rahe/Seybold.
11
Sterbezweitbuch des Standesamtes Bergen-Belsen.
Letzteres ermöglichte eine gerichtlich verfügte, dauerhafte Sicherungsverwahrung. Formale
Voraussetzung war in erster Linie ein gewisses Maß an Vorstrafen sowie die von Polizei- und
Justizbehörden ausgestellte Gefahrenprognose. Im Vordergrund stand dabei nicht die
Resozialisierung
des
Inhaftierten,
sondern
vielmehr
der
„Schutz“
der
zur
„Volksgemeinschaft“12 erklärten Gesellschaft vor dem „Verbrecher“.13
Der folgende Artikel liefert zunächst einen Überblick zum Forschungsstand über die bislang
wenig bekannte Verfolgung von (Sexual-)Straftätern im Nationalsozialismus und diskutiert die
Quellenproblematik. Anschließend werden Hintergründe und Prämissen der „vorbeugenden
Verbrechensbekämpfung“ kurz dargestellt und dabei aufgezeigt, dass relativ schnell ein
besonderes Augenmerk auf Verstöße gegen das Sexualstrafrecht gelegt wurde. Neben der
Frage, welche Täterbilder sich aus den Akten herausfiltern lassen und wie die Kastrationen,
eine dauerhafte Verwahrung und/oder KZ-Haft begründet wurden, werden auch die in den
Quellen zutage tretenden Sichtweisen auf die von sexuellem Missbrauch Betroffenen
thematisiert. Die verwendeten Gerichts- und Polizeiakten sind von sehr unterschiedlichem
Umfang.14 Häufig enthalten sie weitere Dokumente wie z. B. medizinisch-psychiatrische
Gutachten, Beurteilungen der Beschuldigten und der Betroffenen durch verschiedene Behörden
oder Unterlagen von Konzentrationslagerverwaltungen, die das engmaschige Interagieren der
verschiedenen Institutionen im Nationalsozialismus verdeutlichen.
Forschungsstand
„Kriminelle“ im Allgemeinen und Sexualstraftäter im Besonderen sind jahrzehntelang weder
in der Forschung noch in der Öffentlichkeit als Opfer eines spezifischen nationalsozialistischen
Unrechts wahrgenommen worden. Wolfgang Ayaß bezeichnete die „Kriminellen“ deshalb
noch 2009 als „bislang am schlechtesten erforschte Häftlingsgruppe.“15 Vergegenwärtigt man
sich, dass sie nicht nur dauerhaft in Gefängnissen und Zuchthäusern verschwanden,16 sondern
auch zu mehreren Zehntausenden als „Berufsverbrecher“, „Sittlichkeitsverbrecher“ und/oder
12
Vgl. zum Konzept der Volksgemeinschaft Wildt.
Die Bezeichnung „Verbrecher“ wird an dieser Stelle nicht in Anführungszeichen gesetzt, weil die betroffenen
Personen keine Straftaten begangen hätten. Die Bandbreite zwischen den Taten derjenigen, die als „Berufs“-,
„Sittlichkeits“- und/oder Gewohnheitsverbrecher eingestuft wurden, war im Nationalsozialismus jedoch so groß,
dass es geboten scheint, die vereinheitlichende Bezeichnung „Verbrecher“ zumindest zu problematisieren.
14
Für diesen Artikel wurden Gerichtsakten aus dem Staatsarchiv Hamburg (StA Hamburg), Bestand 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, dem Landesarchiv Berlin (LA Berlin), Bestand A Rep. 358–02 Staatsanwaltschaft
Landgericht, dem Landesarchiv Schwerin sowie Kriminalpolizeiakten aus dem Landesarchiv NordrheinWestfalen, Abteilung Rheinland (LNRWR), Bestand BR 1111, einbezogen.
13
15 Ayaß, S. 25.
16
Vgl. zum Justizvollzug im Nationalsozialismus z. B. Fülberth; de Pasquale; Wachsmann.
„Gemeingefährliche“ in den Konzentrationslagern landeten, erstaunt dies zunächst. 17 Ein
Grund für die mangelnde Beschäftigung mit diesen „Unbequemen Opfern“, wie ich sie an
anderer Stelle genannt habe, dürfte wohl darin zu suchen sein, dass die nationalsozialistische
Kriminalpolitik bis weit in die 1960er Jahre in erster Linie als Fortsetzung regulärer
Kriminalitätsbekämpfung mit anderen Mitteln galt.18 Gänzlich unerforscht blieb die Thematik
jedoch auch zu diesem Zeitpunkt nicht. Schon 1961 publizierte Joachim Hellmer einen Band
über die Sicherungsverwahrung im Nationalsozialismus.19 Auf Hellmers Buch folgten seit den
1980er Jahren weitere Studien. Zu nennen sind hier etwa die justizgeschichtlichen
Publikationen von Karl-Leo Terhorst20 und Gerhard Werle21. Patrick Wagner hat 1996 einen
grundlegenden Band über die kriminalpolizeilichen Konzepte und Praxen der „vorbeugenden
Verbrechensbekämpfung“ vorgelegt22; 2010 folgte Thomas Roth mit einer detaillierten
Untersuchung der nationalsozialistischen Verbrechensbekämpfung durch Polizei und Justiz in
Köln.23 Erst jüngst erschien der Band „The Corrigible and the Incorrigible“ des amerikanischen
Historikers Greg Eghigian über den Umgang mit Straftätern im Deutschland des
20. Jahrhunderts.24 Ferner haben sich die Autorin dieses Textes25 sowie Julia Hörath26 und
Sylvia Köchl27 intensiv mit der Einweisung von sogenannten „Berufsverbrechern“ in die
Konzentrationslager befasst.
In diesem ohnehin nur unzureichend bearbeiteten Themenfeld ist die Untersuchung von
sexuellem Kindesmissbrauch im Nationalsozialismus entsprechend randständig.28 Danny
Michelsen konstatiert angesichts der überschaubaren Literatur zu dem Thema zu Recht ein
„relative[s] Desinteresse, das insbesondere die deutschsprachige Geschichtswissenschaft der
Erforschung der gesellschaftlichen Problematisierung der Pädosexualität insbesondere vor ihrer
rechtlichen Sanktionierung und medizinischen Katalogisierung ab dem 19. Jahrhundert“
entgegenbringe.29 Allerdings handelt auch er in seiner Überblicksdarstellung die Zeit der
17
Für das Konzentrationslager Sachsenhausen konnte ich bislang insgesamt 9.181 Personen ermitteln, die als
„Berufsverbrecher“ und/oder Sicherungsverwahrte in dem Lager geführt wurden. Mindestens 2.599 aus dieser
Gruppe überlebten das KZ-System nicht, vgl. Lieske.
18
Wagner, Resozialisierung.
19
Hellmer.
20
Terhorst. Terhorst hat in dem Band einige der polizeilichen Erlasse erstmals zugängig gemacht und
kommentiert.
21
Werle.
22
Wagner.
23
Roth, Ausgrenzung.
24
Eghigian.
25
Lieske.
26
Hörath, Konzentrationslagern.
27
Köchl.
28
Eine Ausnahme bildet der kurze Kommentar von Hans-Christian Lassen in einem Sammelband zu
Strafurteilen im nationalsozialistischen Hamburg, vgl. Lassen.
29
Michelsen, S. 48.
nationalsozialistischen Herrschaft lediglich in einer Fußnote ab.30 Ähnlich vage bleiben weitere
Publikationen über die Geschichte des sexuellen Kindesmissbrauchs im 20. Jahrhundert. So
konstatierte etwa Dirk Bange 2002, über die Zeit des Nationalsozialismus gebe es „nur wenig
verlässliche Informationen bezüglich des sexuellen Missbrauchs“.31 Vergleichsweise gut
erforscht ist hingegen die Verfolgung von Homosexuellen zwischen 1933 und 1945 – vereinzelt
werden hier auch Beispiele von Verurteilungen auf Basis des § 176 thematisiert.32 Häufig wird
jedoch übersehen, dass unter der Bezeichnung „Sittlichkeitsverbrecher“ auch Männer
subsumiert wurden, die z. B. wegen Vergewaltigung von Frauen und sexuellem
Kindesmissbrauch an Mädchen vorbestraft waren. Die bislang ausführlichste Untersuchung zu
diesem historischen Zeitabschnitt hat Brigitte Kerchner 2005 vorgelegt. 33 Sie befasst sich in
ihrem Aufsatz mit der Konstruktion des „Kinderschänders“ in den Zwischenkriegsjahren
(1918–1939) und legt dabei unter anderem dar, wie schon in der Weimarer Zeit Diskussionen
über staatlich angeordnete Kastrationen von „Kinderschändern“ an Bedeutung gewannen.
Allerdings behandelt Kerchner weniger konkrete Fallbeispiele, vielmehr skizziert sie die
jeweiligen zeitgenössischen Diskurse im Kontext von „Körperpolitik“.
Begrifflichkeiten und Quellenproblematik
Da es sich bei der Erforschung von sexuellem Kindesmissbrauch um einen extrem emotional
aufgeladenen Untersuchungsgegenstand handelt, ist eine (selbst-)kritische und wiederholte
Forschungsreflektion bei einem solchen Thema unabdingbar. Dazu gehören neben einem
sensiblen Sprachgebrauch auch die genaue Beschreibung und Definition der Phänomene sowie
eine besonders sorgfältige Quellenanalyse. In der öffentlichen Wahrnehmung werden zudem
bis heute häufig sexueller Kindesmissbrauch und Pädophilie miteinander vermischt – sexueller
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche muss aber nicht zwangsläufig eine spezifische sexuelle
Präferenz zugrundeliegen.34 Sexualwissenschaftler gehen vielmehr davon aus, dass mindestens
die Hälfte aller sexuellen Übergriffe auf Menschen unter 14 Jahren nicht auf ein als solches
30
Michelsen, S. 43, Anm. 139.
Bange/Körner, S. 138.
32
Aufgrund der Fülle der Literatur seien hier stellvertretend folgende Bände genannt: Schwartz;
Pretzel/Roßbach; KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Speziell zur Verfolgung wegen Pädosexualität s. Sternweiler,
Pfadfinderführer; Knol.
33
Kerchner.
34
Vgl. z. B. Ahlers/Schaefer; Beier u. a. In Teilen der Literatur wird der Begriff „Pädophilie“ als solcher kritisch
gesehen. So verwendet Claudia Bundschuh bewusst „Pädosexualität“, da ihrer Ansicht nach „Pädophilie“, was
wortwörtlich „Liebe zu Kindern“ bedeutet, verharmlosend wirke, vgl. dazu Bundschuh, S. 25. Zur
Begriffsdebatte s. auch Becker, Diskurse.
31
diagnostiziertes pädophiles Begehren zurückzuführen sind, sondern auf sogenannte
„Ersatzhandlungen“35 von Personen, die ihre Sexualität aus unterschiedlichen Gründen nicht
mit Gleichaltrigen bzw. Erwachsenen ausleben können. Laut aktueller Definition des
International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD)
bezeichnet Pädophilie die „sexuelle Präferenz für Kinder, Jungen oder Mädchen oder Kinder
beiderlei Geschlechts, die sich meist in der Vorpubertät oder in einem frühen Stadium der
Pubertät befinden.“36 In diesem Kontext sollte auch betont werden, dass nicht jeder Mensch mit
pädophilen Neigungen sexuellen Missbrauch begeht.
Die Quellenproblematik ist bei dem hier vorgestellten Thema immanent. Zwar weist Sabine
Andresen auf die enorme Bedeutung einer Einbindung von Missbrauchsopfern als Zeugen in
die wissenschaftliche Aufarbeitung hin;37 für die Zeitspanne zwischen 1933 und 1945 dürfte es
heute jedoch nur noch in absoluten Ausnahmefällen möglich sein, Zeitzeugen hinzuzuziehen.
Informationen müssen deshalb überwiegend aus polizeilichen und gerichtlichen Akten
gewonnen werden, die in erster Linie die Dokumentations- und Sichtweise der staatlichen
Behörden widerspiegeln. Diese Problematik ist in der Erforschung des Nationalsozialismus
nicht neu, gleichwohl birgt sie gerade beim vorliegenden Thema die Gefahr einer
unausgewogenen Wahrnehmung – zumal die Opfer von Missbrauch in den Quellen vielfach
erneut stigmatisiert werden. Unergiebig ist die Arbeit mit diesen Unterlagen jedoch deshalb
keineswegs: Die Akten verweisen auf eine große Bandbreite im Hinblick auf die Art der Fälle
wie auch der Täter und Opfer.38 Grundsätzlich lassen sich die gesichteten Fälle in zwei große
Gruppen teilen: Zum einen diejenigen, bei denen die Gerichte zum Schluss kamen, dass es sich
um Taten handelte, die auf eine sexuelle „Neigung“ zurückgingen. Diese zogen meist neben
der regulären Strafverfolgung weitere Maßnahmen wie Zwangskastration, KZ-Haft und/oder
dauerhafte Verwahrung mit sich. Dem stehen aber auch zahlreiche Akten gegenüber, aus denen
hervorgeht, dass Angeklagte, deren Taten von den Ermittlungsbehörden zu „Ersatzhandlungen“
erklärt wurden, vergleichsweise geringe Strafen erhielten. Nicht selten wurde dabei die
verhandelte sexuelle Gewalt von den Gerichten bagatellisiert und/oder den Betroffenen eine
Mitschuld gegeben. Im Folgenden steht die erste Gruppe im Vordergrund, um die spezifisch
Vgl. z. B. den Internetauftritt des Präventionsprojekts „Kein Täter werden“ der Berliner Charité. Das Projekt
bietet Menschen mit pädophilen Neigungen therapeutische Hilfe an, s. http://www.kein-taeter-werden.de (Aufruf
zuletzt am 22.2.2018).
36
Beim ICD handelt es sich um das Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation für Krankheiten.
Pädophilie wird hier unter Code F65.4 gelistet, vgl. http://www.icd-code.de/icd/code/F65.-.html (Aufruf zuletzt
am 22.2.2018).
37
Andresen.
38
Auch die aktuelle Forschung zu diesem Thema betont, dass es weder „das“ typische Opfer noch „den“ Täter
gebe, vgl. z. B. Sigusch, Kindesmissbrauch; Bundschuh; Becker, Dämonisierung.
35
nationalsozialistische Komponente in der Ahndung von sexuellem Kindesmissbrauch
aufzuzeigen, die als „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ definiert wurde.
„Vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ nach der Machtübernahme
1. Polizeiliche Vorbeugehaft
In seinem Buch „Nationalsozialistischer Kampf gegen das Verbrechertum“ erklärte Kurt
Daluege,39 was aus seiner Sicht die Konzentrationslagerhaft gegen „Kriminelle“40 rechtfertige:
„Der nationalsozialistische Staat hat die staatsfeindliche Propaganda und die kommunistische
Agitation durch wirksame Anwendung der politischen Schutzhaft gebrochen. Ich vermochte keinen
Grund zu erkennen, warum man nicht auch die Berufsverbrecher, und gerade die Berufsverbrecher,
die doch tatsächlich den Abschaum der Menschheit darstellen, mit der Waffe der Schutzhaft
bekämpfen sollte, ihrer Haft zum Schutze der Bevölkerung vor ihnen.“41
Als diese Zeilen 1936 erschienen, war die als Vorbeugehaft bezeichnete „Schutzhaft“ gegen
„Berufsverbrecher“ bereits fester Bestandteil der nationalsozialistischen Verfolgungspraxis.
Denn schon wenige Monate nach der Machtübernahme war am 13. November 1933 in Preußen
der erste Erlass zur „Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher“
ergangen.42 Formal gestützt auf den § 1 der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom
28. Februar 1933 sah er die Vollstreckung von sogenannter Vorbeugehaft gegen Personen vor,
„welche der Kriminalpolizei als Berufsverbrecher bekannt sind, die ausschließlich oder zum
größten Teil vom Erlöse aus Straftaten leben“.43 Während die Schutzhaft der Gestapo oblag,
war für die Vorbeugehaft die Kriminalpolizei zuständig. Sowohl die Schutzhaft als auch die
Vorbeugehaft galten grundsätzlich unbefristet und wurden in den Konzentrationslagern
vollzogen, unterschieden sich jedoch in ihrer Zielsetzung: Schutzhaft war das wesentliche
Kurt Daluege, geb. am 15.9.1897 in Kreuzburg (Oberschlesien), † 23.10.1946 in Prag, war eines der führenden
Mitglieder des Polizeiapparats im NS-Regime. Daluege fungierte u. a. als Chef der Ordnungspolizei im
nationalsozialistischen Deutschen Reich und als Stellvertreter Heinrich Himmlers im Polizeibereich. Während
des Zweiten Weltkrieges wurde er als „Reichsprotektor“ für „Böhmen und Mähren“ eingesetzt und war für das
brutale Vorgehen gegen Partisanen und Zivilisten verantwortlich. Er wurde 1946 von einem Prager Volksgericht
zum Tode verurteilt und am 23.10.1946 hingerichtet.
40
Der Begriff „Kriminelle“ beinhaltet ebenso wie der des „Verbrechers“ eine negativ konnotierte Zuschreibung,
die die Person auf eine Tat reduziert, und wird deshalb hier ebenfalls in Anführungszeichen gesetzt.
41
Daluege, S. 33.
39
42 Der Preußische Minister des Inneren, Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher vom 13.11.1933, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer
Kulturbesitz (GStA PK), I. HA Rep. 84 a, Justizministerium, Nr. 8203, Bl. 229–231.
43 Der Preußische Minister des Inneren, Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher vom 13.11.1933, in: GStA PK, I. HA Rep. 84 a, Justizministerium,
Nr. 8203, Bl. 230.
Mittel zur Zerschlagung des politischen Widerstandes, die Einführung von Vorbeugehaft
basierte hingegen auf der Vorstellung, Kriminalität sei mit der zeitlich unbegrenzten
Inhaftierung von vorbestraften „Berufsverbrechern“ aus der Gesellschaft grundsätzlich
einzudämmen. Diese Annahme war indes keine Neuerfindung der Nationalsozialisten: Bereits
im deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik fand das Konzept des
unverbesserlichen Straftäters, der im Sinne einer Kriminalprävention dauerhaft gesellschaftlich
isoliert werden müsse, auch unter liberalen Zeitgenossen immer wieder Befürworter. 44 Die
erstmals 1926 publizierte Schrift „Der Berufsverbrecher“ von Robert Heindl45, nach Thomas
Roth „einer der einflussreichsten Kriminalpolitiker des 20. Jahrhunderts“46, wurde gleich sechs
Mal aufgelegt.47 Heindl ging von mehreren Tausend „Berufsverbrechern“ aus und forderte
deren Verwahrung als Maßnahme zur Eindämmung der gesamten Kriminalität. Obwohl sich
Kriminologen nach der Machtübernahme explizit und wiederholt auf Heindls Schrift beriefen,
war die Abgrenzung zur Weimarer Republik gleichzeitig essentieller Bestandteil der
Propaganda der neuen Ordnungsmacht. So wurde die Einführung der Vorbeugehaft 1933
einerseits mit der Notwendigkeit begründet, die Bevölkerung vor Verbrechen zu schützen,
gleichzeitig aber auch mit vermeintlich sozialpolitischen Erwägungen. Schließlich habe sich
der „korrupte marxistische Staat“ (gemeint ist die Weimarer Republik) von den
„Berufsverbrechern“ zu einem „großen Geldaufwand an sachlichen und persönlichen Ausgaben
für Polizei-, Gerichts- und Gefängniswesen“ zwingen lassen und damit Steuergelder
„vergeudet“, behauptete Daluege.48 Auch in dem preußischen Erlass von 1933 hieß es, „die
Kriminalität auf den unpolitischen Verbrechensgebieten“ sei nach der Machtübernahme zwar
gesunken, dennoch zeige „die Statistik, daß die Berufsverbrecher auch heute noch in nicht
unerheblichem Maße tätig“ seien.49 Der von diesen verursachte Schaden sei „für die
Bevölkerung empfindlich fühlbar […] – ganz besonders für den ärmeren Teil der Bevölkerung,
dem die Entwendung auch nur eines Teiles seiner geringen Habe oft einen unersetzlichen
Verlust“ bedeute.50
Für die Anwendung der Vorbeugehaft galten zunächst relativ klare Richtlinien. Grundsätzlich
war sie jedoch keineswegs an ein aktuelles Ermittlungs- oder Strafverfahren gebunden,
44
Lieske, S. 53–73.
Heindl.
46
Roth, Ideologie, S. 67.
47
Langhammer, S. 56.
48
Daluege, S. 12.
45
49 Der Preußische Minister des Inneren, Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher vom 13.11.1933, in: GStA PK, I. HA Rep. 84 a, Justizministerium,
Nr. 8203, Bl. 229.
50 Der Preußische Minister des Inneren, Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher vom 13.11.1933, in: GStA PK, I. HA Rep. 84 a, Justizministerium,
Nr. 8203, Bl. 229.
vielmehr reichten zunächst drei Vorstrafen von je mindestens sechs Monaten aus, um jemanden
zum „Berufsverbrecher“ zu erklären und ihn oder sie unbefristet in ein Konzentrationslager
einzuweisen.51 Gleichwohl enthielt schon der erste Erlass eine „Ausnahmeregelung“, die sich
ein
paar
Jahre
später
in
dem
reichsweit
gültigen
„Grunderlaß
Vorbeugende
Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“52 wiederfinden sollte. Sie besagte, dass auch gegen
diejenigen Vorbeugehaft angeordnet werden könne, die,
„ohne vorbestrafte Berufsverbrecher zu sein, künftig einen auf Mord, Raub, Einbruchdiebstahl oder
Brandstiftung abzielenden verbrecherischen Willen durch Handlungen offenbaren, welche die
Voraussetzungen eines bestimmten strafbaren Tatbestandes noch nicht erfüllen, den Begeher aber
als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit kennzeichnen“53.
Damit war von Beginn an Tür und Tor für eine willkürliche Praxis der Kriminalpolizei geöffnet.
Meist wurden diese Personen als „Gemeingefährliche“ eingestuft.54 Unter ihnen befand sich
auch der eingangs genannte Heinrich G. Terhorst hat darauf hingewiesen, dass diese
Ausnahmeregelung sich explizit auf „jugendgefährdende Delikte“ bezog.55 Für Sexualdelikte
galten ohnehin insgesamt bald schärfere Bedingungen als für andere Straftaten: So war bereits
im zweiten preußischen Erlass zur polizeilichen Vorbeugehaft vom 10. Februar 1934 festgelegt
worden, dass gegen „Berufsverbrecher“, die in der Vergangenheit auf Basis des
Sexualstrafrechts verurteilt worden waren, eine Vorstrafe (statt der üblichen drei) ausreichte,
um sie in ein Konzentrationslager einzuweisen. Zudem wurden die relevanten
Sexualstraftatbestände um die § 183 (Exhibitionismus) sowie 1935 um § 175b (Sodomie) und
§ 184 (Verbreitung unzüchtiger Bilder und Schriften) erweitert. 56
51
Die Anzahl der Festzunehmenden war Ende 1933 in Preußen noch auf 165 Personen begrenzt worden, die Zahl
wurde jedoch bereits mit dem zweiten preußischen Erlass von Februar 1934 erhöht. Wenig bekannt ist zudem über
die Anzahl von Personen, die in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft in den anderen Ländern
in Vorbeugehaft genommen wurden, vgl. Hörath, Terrorinstrumente.
52
Bis Dezember 1937 war die Vorbeugehaft noch Ländersache und konnte auf teilweise unterschiedlichen
Bestimmungen basieren. Infolge der 1936 einsetzenden Zentralisierung des Polizeiapparates regelte ab dem
14.12.1937 schließlich ein Grunderlass die Vorbeugehaft einheitlich für alle deutschen Länder, der ab 1938 auch
auf annektierte und besetzte Gebiete übertragen wurde, vgl. zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ in den
besetzten und okkupierten Gebieten Lieske, S. 120–140.
53 Der Preußische Minister des Inneren, Anwendung der vorbeugenden Polizeihaft gegen Berufsverbrecher vom 13.11.1933, in: GStA PK, I. HA Rep. 84 a, Justizministerium,
Nr. 8203, Bl. 230.
54
Terhorst, S. 136–139.
Terhorst, S. 136.
56
Terhorst, S. 87.
55
Gewohnheitsverbrechergesetz und Kastrationen
Fast zeitgleich mit der Einführung der Vorbeugehaft erging am 24. November 1933 das
Gewohnheitsverbrechergesetz.57 Es beinhaltete zunächst eine generelle Verschärfung des
bestehenden
Strafrechts:
Nach
§ 20a
wurde
das
Strafmaß
gegen
sogenannte
„Gewohnheitsverbrecher“ auf fünf Jahre Zuchthaus bei Vergehen und 15 Jahre Zuchthaus bei
Verbrechen erhöht .58 Nach § 42e war erstmals die sogenannte Sicherungsverwahrung von
„gefährlichen Gewohnheitsverbrechern“ möglich.59 Dieser Freiheitsentzug konnte auch dann
verfügt werden, wenn die Verurteilung des Betroffenen bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes
am 1. Januar 1934 erfolgt war. Ende des Jahres 1934 befanden sich schon 3.723 Personen in
Sicherungsverwahrung, in 2.376 Fällen war diese nachträglich verhängt worden. 60 Konkret
bedeutete dieses Vorgehen, dass ein Großteil dieser Personen noch Strafen aus der Zeit der
Weimarer Republik absaß und nun nicht in Freiheit gelangte, sondern in Sicherungsverwahrung
kam und damit in einer Haftanstalt verblieb.61 Nachdem im Herbst 1942 Heinrich Himmler und
der Reichsjustizminister Otto von Thierack eine Übereinkunft zur Überstellung der „asozialen
Elemente“ aus dem Strafvollzug getroffen hatten, gaben die Haftanstalten ab 1943 Tausende
von Sicherungsverwahrten und andere Häftlinge „zur Vernichtung durch Arbeit“ an die
Konzentrationslager ab.62 Da die Sterberate unter den Sicherungsverwahrten in den
verschiedenen Konzentrationslagern besonders hoch war, wird die Aktion mittlerweile im
Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik diskutiert.63
Das Gewohnheitsverbrechergesetz enthielt aber noch eine weitere Neuerung im deutschen
Strafrecht, die im Kontext von sexuellem Kindesmissbrauch von Bedeutung ist: So wurde mit
§ 42k die staatlich angeordnete Kastration von Männern ab 21 Jahren eingeführt, wenn diese
dem Gericht als „gefährliche Sittlichkeitsverbrecher“ galten und entsprechende Vorstrafen
vorlagen.64 Die Einführung der zwangsweisen Kastrationen kann als Zugeständnis an
diejenigen Juristen und Beamten des Reichsinnenministeriums interpretiert werden, die
forderten, Kriminalität als Sterilisationsgrund in das „Gesetz zur Verhütung erbkranken
57
Das Gesetz kann online aufgerufen werden, s. Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher.
Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 995.
59
Die noch heute angewendete Sicherungsverwahrung (§ 66 Strafgesetzbuch) geht auf das
Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 zurück und war in den letzten Jahren wiederholt Anlass von öffentlichen
Debatten, vgl. z. B. Alex.
60
Müller, S. 54.
61
Vgl. z. B. den Fall von Heinrich R., der zwischen 1914 und 1932 sieben Mal wegen sexuellem Missbrauch an
Jungen unter 14 Jahren verurteilt worden war und gegen den 1935 „nachträglich“ Sicherungsverwahrung
angeordnet wurde, s. LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 63226.
62
Vgl. Möller; de Pasquale; Wachsmann.
63
Morsch/Perz, S. XIX.
64
Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher, S. 997.
58
Nachwuchses“ (GzVeN) einzubeziehen – ein Vorstoß, den Reichsjustizminister Franz Gürtner
zunächst abgelehnt hatte.65 In der Begründung zum Gewohnheitsverbrechergesetz heißt es
deshalb, „die Entmannung von Sittlichkeitsverbrechern“ verfolge im Gegensatz zum GzVeN
keine „eugenische[n] Zwecke“, sondern vielmehr „den Zweck, die Allgemeinheit vor weiteren
Sittlichkeitsverbrechen des Täters durch Vernichtung oder Schwächung seines entarteten
Triebes zu sichern.“66 Homosexuelle Handlungen waren dabei explizit nicht als
Kastrationsgrund vorgesehen, da davon ausgegangen wurde, dass der Eingriff zu keiner
grundsätzlichen Änderung der angenommenen sexuellen „Neigung“ führe: „In den meisten
Fällen ist der Eingriff an Homosexuellen zum Zwecke der Heilung ihrer perversen
Triebrichtung wirkungslos geblieben“, so das Reichsjustizministerium.67 Allerdings kam es bei
Vorstrafen auf Basis der § 176, Abs. 3 (Unzucht mit Kindern), § 177 (Vergewaltigung) und
§ 183 (Exhibitionismus) durchaus zur Kastration von Männern, die überwiegend oder
ausschließlich gleichgeschlechtlich verkehrten. Das führte in manchen Fällen dazu, dass die
Gerichte sich dazu genötigt sahen, ausführlich zu erklären, dass es sich bei der Verfügung einer
Zwangskastration keineswegs um eine Maßnahme gegen die homosexuellen Neigungen des
Betroffenen handele, sondern um ein Mittel zur Strafprävention.68 Insgesamt wurden zwischen
1934 bis 1945 mindestens 2.400 Männer auf Basis des Gewohnheitsverbrechergesetzes
kastriert.69 Eine bislang unbekannte Anzahl von Männern, die als Homosexuelle verfolgt
wurden – die Forschung geht von 800–1.000 Personen aus – stimmte zudem ab 1935 auf Basis
des GzVeN einer Entfernung der Hoden zu. Die Einwilligung zu dem operativen Eingriff
erfolgte jedoch meist unter Androhung einer weiteren Verfolgung wie z. B. Haft in einem
Konzentrationslager, sodass der Begriff der „Freiwilligkeit“ hier nicht zutrifft.70
Auch wenn „spektakuläre“ Fälle wie der des Hannoveraner Serienmörders Fritz Haarmann, der
zwischen 1918 und 1924 mindestens 24 Jungen und junge Männer ermordete, bereits in der
Weimarer Republik quer durch
alle politischen Lager
zur
Befürwortung
einer
Zwangssterilisation und Kastration von Sexualstraftätern führten,71 avancierten diese Eingriffe
erst nach der Machtübernahme zu einem festen Bestandteil der Kriminalpolitik und kamen in
einem bis dahin unbekannten Umfang zur Anwendung. Gleichzeitig wurden Kastrationen als
65 Müller, S. 37;
Bock.
66 Reichsjustizministerium, Begründung zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: GStA PK I. HA Rep.
84 a, Justizministerium, Nr. 8203, Bl. 100.
67 Reichsjustizministerium, Begründung zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: GStA PK I. HA Rep.
84 a, Justizministerium, Nr. 8203, Bl. 100.
68
Vgl. z. B. den Fall von Heinrich R., in: LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 63226.
Jens Kolata geht von insgesamt 3.000 kastrierten Männern aus, s. Kolata, S. 564.
70
Vgl. zu den Bestimmungen im Einzelnen Grau, S. 173–176, 108–110.
71
Kompisch; Siebenpfeiffer, S. 214–247; Knutzen.
69
vermeintliches Mittel zur Kriminalprävention aber auch im Nationalsozialismus kritisch
diskutiert.72 So zweifelten Gerichte die Effektivität einer Kastration immer wieder an. Daraus
folgte als Konsequenz indes nicht etwa der Verzicht auf solche Maßnahmen. Vielmehr wurde
betont, dass eine „Entmannung“ alleine nicht ausreichend sei, um zukünftige Straftaten zu
verhindern. Auf diese Weise kam es mitunter zu absurden Konstruktionen, bei denen ein
Gericht einerseits die Kastrationen anordnete, um den „Trieb“ des Betroffenen einzudämmen,
zugleich aber die mögliche Erfolglosigkeit dieses Eingriffs als Begründung für die zusätzliche
Anordnung einer dauerhaften Verwahrung hinzuzog. „Entmannungen“ erfolgten daher häufig
in Kombination mit der Anordnung einer Verwahrung. Die in den Bestimmungen für das
Gewohnheitsverbrechergesetz formulierte Erklärung, eine Kastration ermögliche es, „die
Allgemeinheit vor weiteren Sittlichkeitsverbrechen des Täters durch Vernichtung oder
Schwächung seines entarteten Triebes zu sichern“, wurde damit faktisch ad absurdum geführt.73
Als Beispiel sei hier der Fall des Paul H. skizziert: Im Dezember 1937 verfügte das Berliner
Landgericht gegen den 26-jährigen Arbeiter neben der Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe
von insgesamt acht Jahren zusätzlich seine Kastration sowie die Unterbringung in einer Heilund Pflegeanstalt. Letzteres wurde zum einen mit dem jungen Alter des Angeklagten begründet,
zum anderen aber mit der eventuellen Erfolglosigkeit der Kastration. Die Verurteilung von Paul
H. basierte auf „Notzucht“ (Vergewaltigung) in einem Fall, sechsfach versuchter „Notzucht“,
begangen an erwachsenen Frauen, sowie „unzüchtigen Handlungen“ an einem 10-jährigen
Mädchen.74 Paul H. wurde zwar kastriert, kam aber nicht mehr in dauerhafte Verwahrung – er
verstarb bereits im Juli 1945 in Berlin.
Konzentrationslager
Mit Verdacht auf sexuellen Missbrauch an mehreren minderjährigen Mädchen nahm die
Hamburger Kriminalpolizei am 25. März 1938 den in Altona geborenen Wilhelm Sch. fest.75
Eine Nachbarin hatte zuvor ausgesagt, der 58-Jährige pflege seit einiger Zeit ein „sexuelles
Verhältnis“ mit einem nun 15-jährigen Mädchen. In ihrer Aussage gab die Nachbarin Folgendes
zu Protokoll:
72 Vgl. zur nationalsozialistischen Fachdebatte über Kastrationen als „präventives“ Mittel auch Dupont.
73 Reichsjustizministerium, Begründung zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: GStA PK I. HA Rep.
84 a, Justizministerium, Nr. 8203, Bl. 100
.
74 Reichsjustizministerium, Begründung zu dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung, in: GStA PK I. HA Rep.
84 a, Justizministerium, Nr. 8203, Bl. 100
.
75 Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11 Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38. Dieser Fall wird auch in meiner Dissertation behandelt, s.
Lieske, S. 156–158.
„Weil nun Herr Sch. unverheiratet ist und diese Hildegard K. auch manchmal abends bis etwa 11
Uhr bei ihm ist, und weil doch schon Gerüchte über ihn im Umlauf sind, glaube ich, dass da etwas
nicht stimmt. Ich erstatte heute die Anzeige, weil ich gestern Abend gesehen habe, wie Sch. und
Hildegard K. sich vor unserem Hause auf den Mund küssten. Sch. hat in der Gegend keinen guten
Ruf.“76
In den folgenden Wochen folgten verschiedene Befragungen des Verdächtigten, der bereits
1900 wegen „unzüchtiger Handlungen, begangen an Kindern unter 14 Jahren“ verurteilt worden
war.77 Die Polizei vernahm mehrere Mädchen im Alter von sieben bis 15 Jahren aus der
Nachbarschaft von Wilhelm Sch., die bestätigten, dass er sexuelle Handlungen mit bzw. an
ihnen durchgeführt habe. Sch., der dies zunächst leugnete, legte einen Tag nach seiner
Festnahme ein umfassendes Geständnis ab. Zwei Monate später verurteilte ihn das Hamburger
Landgericht wegen „drei fortgesetzten Verbrechen nach § 176 und wegen fortgesetzter tätlicher
Beleidigung“ zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus sowie der „Aberkennung bürgerlicher
Ehrenrechte“ für drei Jahre.78 In der Urteilsbegründung heißt es, der Angeklagte habe „durch
seine üble Tat“ bewiesen, „daß er außerhalb des Kreises der anständigen Volksgenossen
steht“.79 Genau wie in dem Fall von Heinrich G. wurde Sch. direkt nach der Haftverbüßung an
die Kriminalpolizei übergeben.80 Diese verhängte gegen ihn Vorbeugehaft, die ab dem
9. November 1940 im Konzentrationslager Sachsenhausen vollstreckt wurde. Am 5. Juni 1941
ließ ihn die SS von dort im Rahmen der „Sonderbehandlung 14f13“81 in die Heil- und
Pflegeanstalt Sonnenstein/Pirna bringen, wo Wilhelm Sch. wenig später ermordet wurde.82 Bei
der Aktion „14f13“ handelte es sich um eine in verschiedenen Konzentrationslagern
durchgeführte Ermordung von kranken und missliebigen KZ-Häftlingen, die in engem
76 Anzeige der Emma G. vom 18.3.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11 Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
77 Anklageschrift des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Hamburg, 10.5.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11 Staatsanwaltschaft Landgericht,
Strafsachen, Nr. 6033/38.
78
Urteil des Landgerichts Hamburg, 25.5.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
79
Urteil des Landgerichts Hamburg, 25.5.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
80
Übergabenote der Haftanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, 25.9.1940, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–
11 Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
81
So die zeitgenössische Bezeichnung für die Aktion, die sich aus verschiedenen Aktenzeichen der Verwaltung
der Konzentrationslager zusammensetzte: Die Ziffer „14“ stand für den Inspekteur der Konzentrationslager, der
Buchstabe „f“ für Todesfälle und die Ziffer „13“ für die Todesart.
82
Auf den Listen befinden sich die Namen von 269 Personen, hinter denen die jeweiligen Haftgruppenkürzel
vermerkt sind, sodass es möglich ist, den Anteil der jeweiligen Haftgruppe zu ermitteln. Mit den drei „KommandoS“-Transporten in die Anstalt Sonnenstein/Pirna wurden insgesamt 30 von 121 „Berufsverbrechern“ aus dem KZ
Sachsenhausen ermordet, die zusätzlich als „Sittlichkeitsverbrecher“ geführt wurden, s. Transportlisten
„Kommando S“, FSB-Archiv Moskau, N-19092/Tom 83, Bl. 6–10, zit. nach Archiv Sachsenhausen (AS), JSU
1/83, Bl. 6–10.
Zusammenhang mit der als „Euthanasie“ bezeichneten Ermordung von Insassen in Heil- und
Pflegeanstalten sowie forensischen Patienten stand.83
Es deutet Einiges darauf hin, dass Personen, die wie Heinrich G. und Wilhelm Sch. in der
Vergangenheit wegen sexuellem Kindesmissbrauch oder anderer Sexualdelikte bzw.
-verbrechen verurteilt worden waren, nicht nur schneller in einem Konzentrationslager landeten
als andere Vorbestrafte, sondern dort zusätzlich einem besonderen Verfolgungsdruck
ausgesetzt waren. Die SS vermerkte z. B. im Konzentrationslager Sachsenhausen nur bei
denjenigen, die zuvor nach § 176, Abs. 3 und § 175 (Homosexuelle Handlungen) verurteilt
worden waren, die entsprechenden Paragraphen aus dem Strafgesetz auf ihren Listen.84
Offenbar erschien der Lagerverwaltung in diesen Fällen eine gesonderte Erwähnung der
jeweiligen Vorstrafe wichtig. Daraus könnte gefolgert werden, dass auf diese Häftlinge ein
spezielles Augenmerk gelegt wurde. Darauf verweisen auch weitere Quellen: So waren
Personen wie Wilhelm Sch. im KZ Sachsenhausen in besonders hoher Anzahl von den
Selektionen im Rahmen von „14f13“ betroffen.85 Häufig kamen sie zudem direkt nach ihrer
Ankunft in die sogenannte Strafkompanie, einen abgetrennten Bereich in der Nähe des
Appellplatzes, wo viele KZ-Insassen zu Tode gequält wurden.86 Von 207 Häftlingen, die die
SS als „Berufsverbrecher“ mit Hinweis auf „Sittlichkeitsdelikte“ (ohne Homosexualität) führte,
überlebten nachweislich 95 das Lager nicht.87 Im Durchschnitt waren die Verstorbenen bzw.
Ermordeten zum Todeszeitpunkt ca. 48–52 Jahre alt, die hohe Sterberate in dieser Gruppe lässt
sich deshalb nicht alleine auf ihr Alter zurückführen. Vergleichbar hoch war die Anzahl der
Toten unter den als „Homosexuelle“ kategorisierten „kriminellen“ Häftlingen im KZ
Sachsenhausen: Von 497 „Berufsverbrechern“, die zusätzlich als „Homosexuelle“88 geführt
wurden, verstarben mindestens 211, also 42 %, in Lagerhaft.89
Aussagen von SS-Funktionären lassen ebenfalls vermuten, dass diejenigen, die nach dem
Sexualstrafrecht verurteilt worden waren, im KZ Sachsenhausen einer besonderen
„Behandlung“ unterlagen. So beschreibt etwa der spätere Kommandant des KZ-Komplexes
83
Vgl. dazu Ley; Roebel.
In der Regel wurden „kriminelle“ Vorbeugehäftlinge alle als „Berufsverbrecher“ geführt, in den Lagern meist
abgekürzt als „BV“. Bei den hier genannten Fällen listete z. B. die Lagerleitung die Betroffenen als „BV § 176“.
85
Lieske, S. 256–268.
86
Vgl. zur Strafkompanie z. B. Kohlhagen.
87
Lieske, S. 158.
88
Auch hier handelt es sich um einen problematischen Begriff, da nicht für jeden Häftling, der als „homosexuell“
eingestuft wurde, eine entsprechende Selbstwahrnehmung bzw. sexuelle Präferenz für Männer belegbar ist. Um
diese Schwierigkeit zu verdeutlichen, wird „homosexuell“ hier in Anführungszeichen gesetzt.
89
Andreas Sternweiler schätzt die Zahl der Homosexuellen im KZ Sachsenhausen auf insgesamt 1.000–1.200, 600
verstarben bzw. wurden getötet, vgl. Sternweiler, Einleitung, S. 14.
84
Auschwitz Rudolf Höß90 die Hinrichtung eines „Sittlichkeitsverbrechers“, der nach Höß ein
achtjähriges Mädchen vergewaltigt und erwürgt hatte, wie folgt:
„Ich sehe ihn, heute noch, aus dem Wagen steigen beim Eingang zum Industriehof. 91 Zynisch
grinsend, ein wüst aussehender, verkommener älterer Kerl, der typische Asoziale. Bei diesen
Berufsverbrechern hatte der RFSS [Reichsführer SS] keine Frist befohlen. Als ich ihm seine
Erschießung eröffnete, wurde er ganz gelb-blaß und fing an zu heulen und zu jammern und zu toben.
Dann schrie er nach Begnadigung – ein widerliches Bild. Auch ihn mußte ich an den Pfahl fesseln
lassen. Ob diese Amoralischen Angst vor dem ‚Jenseits“ haben? Anders kann ich mir ihr Verhalten
nicht erklären.“92
„Geschändete Jugend“
Das zuvor beschriebene Vorgehen gegen Personen, die wegen sexuellem Kindesmissbrauch
verurteilt worden waren, lässt keineswegs den Rückschluss zu, dass die Belange der
Missbrauchsopfer im Zentrum der nationalsozialistischen Kriminalpolitik gestanden hätten.
Hier lag der Fokus häufig weniger auf den Auswirkungen, die die Tat auf die Individuen hatte,
sondern vielmehr auf der angenommenen grundsätzlichen Gefahr des Täters für die
„Volksgemeinschaft“. Da der Jugend als solcher in der nationalsozialistischen Ideologie eine
zentrale Rolle zugedacht wurde, erschienen Sexualverbrechen gegen diese als „Angriff“ auf die
gesamte Gesellschaft. Ein Artikel aus der Zeitschrift „Neues Volk“ verdeutlicht dies. In dem
vom rassenpolitischen Amt der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP)
herausgegebenen Blatt erklärte Dr. Rodenfels 1939 die nationalsozialistischen Prämissen der
Verbrechensbekämpfung. Es werde, so Rodenfels, „besonders streng gegen Sittenstrolche und
Sexualverbrecher vorgegangen“, da „bei dieser Art von Verbrechen in den meisten Fällen nicht
eine einzelne Person, sondern Teile der Gemeinschaft, vor allem die Jugend geschädigt
werden.“93 Diese Position findet sich auch in den Gerichts- und Polizeiakten wieder. Im Fall
des in der Einleitung dieses Artikels zitierten Rostocker Strandbahnschaffners Heinrich G. hatte
die Schweriner Kriminalpolizei seine Einweisung in ein Konzentrationslager unter anderem
90
Rudolf Höß, geb. 1900, trat bereits 1922 der NSDAP bei. Ab 1934 war er in verschiedenen Funktion im KZSystem tätig, u. a. als Adjutant des Lagerkommandanten und als Schutzhaftlagerführer im KZ Sachsenhausen.
1940 wurde er als Kommandant mit dem Aufbau des KZ-Komplex Auschwitz beauftragt. Im März 1946 verhaftete
die britische Militärpolizei Höß und übergab ihn den polnischen Behörden. Vor seiner Hinrichtung am 16.4.1947
auf dem Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz verfasste er autobiographische Aufzeichnungen, die von Martin
Broszat erstmals 1958 herausgegeben wurden, s. Broszat.
91
Der Industriehof war ein abgetrennter Teil im KZ Sachsenhausen, der seit Beginn des Zweiten Weltkrieges zur
Ermordung von KZ-Häftlingen und anderen Personen genutzt wurde, vgl. Morsch.
92
Broszat, S. 79.
93
Rodenfels, S. 25.
damit begründet, dass er ein „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher“ sei, der „eine ständige
Gefahr für die heranwachsende weibliche Jugend“ darstelle. Seine „Belassung auf freiem Fuße“
könne deshalb „während der Kriegszeit nicht verantwortet werden“.94 Auch der Elektriker Karl
F. überlebte das KZ-System nicht.95 Er war im April 1943 wegen Missbrauchs eines
fünfjährigen Mädchens zu einer Strafe von einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden. Im
Anschluss an die verbüßte Haftstrafe hatte ihn die Kriminalpolizei im August 1944 als
„gemeingefährlichen
Sittlichkeitsverbrecher
und
Jugendverderber“
in
Vorbeugehaft
genommen.96 Die Begründung für die Maßnahme fiel wie folgt aus:
„F. bildet auf Grund dieser von ihm begangenen schweren Straftat und wegen der Möglichkeit der
Wiederholung ähnlicher strafbarer Handlungen eine so große Gefahr für die Allgemeinheit, daß
seine Belassung auf freiem Fuße nicht verantwortet werden kann. Im Hinblick auf den Wert, den
der nationalsozialistische Staat auf die Reinhaltung der Jugend legt, ist der Genannte wegen seiner
kriminellen Veranlagung auf diesem Gebiet als gemeingefährlich zu bezeichnen.“ 97
Interessant ist hier die Vermischung von Kindheit und Jugend – wurden die Opfer eher als
Jugendliche denn als Kinder wahrgenommen, konnte ihnen ein gewisses Maß an Sexualität
unterstellt werden, während das Kind selbst als asexuell galt.98
Die Betroffenen wurden meist – auch mehrfach99 – als Zeugen herangezogen, ihre
Glaubwürdigkeit dabei aber häufig in Frage gestellt. Hier wäre noch genauer zu untersuchen,
inwiefern das jeweilige Alter und/oder Geschlecht für die Bewertung als Zeugen
ausschlaggebend war. In einigen Städten war in Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch die in
den 1920er Jahren gegründete Weibliche Kriminalpolizei (WKP) für die Befragungen
zuständig.100 Daraus kann nun nicht problemlos gefolgert werden, dass die weiblichen
Beamtinnen grundsätzlich sensibler auf die Kinder und Jugendlichen eingegangen wären –
gleichwohl lässt sich die Komponente Geschlecht hier nicht leugnen: Es ist anzunehmen, dass
es zumindest für Mädchen einfacher gewesen sein dürfte, sich gegenüber einer Polizistin als
94
Anordnung der polizeilichen Vorbeugehaft der Kriminalpolizeistelle Schwerin, 27.6.1944, in: LA Schwerin
5,12–6–9, Nr. 1214.
95
F. verstarb im November 1944 im KZ Neuengamme, vgl. Schreiben der Kommandantur des KZ Neuengamme
vom 4.1.1945, Vorbeugehaftakte Karl F., in: LNRWR, BR 1111, Nr. 91, Bl. 72. Vgl. zu dem Fall auch Lieske,
S. 286–289.
96
Schreiben der Essener Kriminalpolizei an die Duisburger Kriminalpolizei vom 18.7.1944, Vorbeugehaftakte
Karl F., in: LNRWR, BR 1111, Nr. 91, Bl. 44.
97
Vorbeugehaftverfügung vom 12.8.1944, Vorbeugehaftakte Karl F., in: LNRWR, BR 1111, Nr. 91, Bl. 53.
98
Die Anerkennung der Existenz kindlicher Sexualität wird bis heute immer wieder in Frage gestellt, vgl. Sager.
99
Mehrfache Befragungen von Kindern und Jugendlichen, die sexuellem Missbrauch ausgesetzt worden sind,
können zu einer Retraumatisierung führen und sollen deshalb heute, wenn möglich, vermieden werden, vgl.
Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindemissbrauchs, S. 55.
100
Zur Geschichte der WKP Blum; Götting.
einem Polizisten zu öffnen und das Geschehene zu schildern. Gleichzeitig war die WKP im
Nationalsozialismus aber Teil eines repressiven Polizeiapparates, der sich auch und explizit
gegen Kinder und Jugendliche richten konnte. Ab Juli 1939 war die WKP der „Reichszentrale
zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“ zugeordnet worden, die deviante Jugendliche
überwachte und der ab 1940 auch die Jugendkonzentrationslager Moringen und Uckermark
unterstanden.101 Schon in der Weimarer Republik wurden viele der Mädchen und Jungen, die
sexuelle Gewalt erfahren hatten,102 von den staatlichen Behörden mit Skepsis betrachtet und
Diskussionen über eine Sterilisation von Opfern geführt, denen aufgrund ihrer
Missbrauchserfahrung eine angeblich zu frühzeitige und zu freie sexuelle Entwicklung
unterstellt wurde.103 Als nach der Machtübernahme Zwangssterilisationen in einem bis dahin
unbekannten Ausmaß zu einem Eckpfeiler der staatlichen Biopolitik avancierten, konnte ein
solcher körperlicher Eingriff gegen diese Jugendlichen auf Weisung etwa von
Wohlfahrtsämtern angeordnet werden. Dies betraf vor allem junge Mädchen auf der Schwelle
zur Pubertät, die aus den unteren sozialen Schichten stammten. Weibliche Zeuginnen aus den
sozialen Unterschichten wurden häufig negativ dargestellt. So beschrieb das Berliner
Landgericht z. B. zwei in Fürsorgeerziehung befindliche Mädchen im Alter von 13 und 14
Jahren im Kontext eines Verfahrens auf Basis des § 176 Abs. 3 wiederholt als „verwahrlost“.
Die beiden waren von den Männern Valentin W., zum Zeitpunkt der Anklage 1943 63 Jahre
alt, und Emil H., 51 Jahre alt, mehrfach sexuell missbraucht worden. 104 In einem Bericht der
WKP, der auf Auskünften des zuständigen Jugendamtes fußte, heißt es über eins der Mädchen,
sie sei ein „frühreifes Kind“, das scheinbar „in sexueller Hinsicht“ manches erlebt habe.105
Beide, zum Tatzeitpunkt zehn Jahre alt, waren 1939 von dem Angeklagten Emil H. auf der
Straße angesprochen worden, der ihnen Lebensmittel besorgt, Geld gegeben, sie dann in sein
Auto gelockt und in die Wohnung von W. gebracht hatte. Dort veranlassten die Männer die
Mädchen, ihre Unterhosen auszuziehen, fassten sie an ihren Geschlechtsteilen an, entblößten
sich und rieben ihre eigenen Geschlechtsteile an diesen.106 Die Mädchen hatten dafür Geld
erhalten und waren nach diesem ersten Vorfall noch mehrfach auf Aufforderung des W. in seine
Wohnung gekommen. W. erhielt zwei Jahre und sechs Monate Haft und kam anschließend
101
Limbächer u. a.; Guse.
Die Jungen mussten zudem fürchten, zusätzlich als „Homosexuelle“ verfolgt zu werden, wenn sie z. B. in die
einschlägigen polizeilichen Karteien aufgenommen wurden.
103
Kerchner, S. 256–261.
104
Urteil des Berliner Landgerichts vom 1.11.1943, in: LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 51612.
105
Vermerk der Weiblichen Kriminalpolizei auf der Anzeige der Staatlichen Kriminalpolizei Berlin vom 8.8.1943
gegen Emil H., in: LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 51612.
106
Urteil des Berliner Landgerichts vom 1.11.1943, in: LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 51612.
102
vermutlich in ein Konzentrationslager.107 H. wurde zu einem Jahr und sechs Monaten
Zuchthaus verurteilt. W.s Anwalt ging in Revision und baute seine Argumentation auf der
angeblichen „Verwahrlosung“ der Mädchen und ihrer angeblichen Unglaubwürdigkeit auf. Das
Berufungsverfahren wurde jedoch eingestellt – das Gericht stufte die Missbrauchsopfer als
glaubwürdige Zeuginnen ein, „wenn auch die beiden Mädchen verwahrlost sind, so haben sie
doch keinen unglaubwürdigen Eindruck gemacht“, heißt es in dem Urteil des Berliner
Landgerichts.108
Auch das Mädchen, das offenbar seit ihrem 13. Lebensjahr, also über Jahre hinweg von
Wilhelm Sch. sexuell missbraucht worden war, galt den Behörden als verwahrlost.109 Sie sei
zudem „hochgradig beschränkt“, so die Hamburger Kriminalpolizei. In einem Kommentar zu
ihrer Aussage heißt es, „über Einzelheiten genaue Angaben zu machen, fällt ihr sehr schwer.
Sie schweift ständig in altkluge Reden allgemeiner Art ab“.110 Sie sei ferner ein „hübsches, aber
schlecht gepflegtes Mädchen“, deren Vater und Stiefmutter „schwachsinnig“ wären. 111 Das
Mädchen hatte indes ausgesagt, Sch. habe sie unter Druck gesetzt, mit niemandem über das
Geschehen zu sprechen, da ihr ansonsten die Einweisung in eine Anstalt drohe.112
Vergegenwärtigt man sich, dass „Verwahrlosung“ im Nationalsozialismus als ein Grund dafür
diente, um die polizeiliche Vorbeugehaft auf Personen ab 16 Jahren auszudehnen, wird
deutlich, dass diese Androhung keinesfalls völlig unrealistisch war.113
Fazit
Die Regulation von Körper und Sexualität war ein wichtiger Eckpfeiler nationalsozialistischer
Biopolitik,
wenngleich
Dagmar
Herzog
darauf
hingewiesen
hat,
dass
sich
die
Sexualitätsgeschichte der NS-Zeit keineswegs auf rein repressive Aspekte beschränken lässt.114
107
In der Gerichtsakte liegt ein Schreiben der Justizhaftanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, das die Übergabe des
Gefangenen an die Kriminalpolizei dokumentiert, s. LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 51612.
108
Schreiben der Justizhaftanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, in: LA Berlin, A Rep. 358–02, Nr. 51612.
109
Vgl. Urteil des Landgerichts Hamburg, 25.5.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
110
Kommentar zur polizeilichen Vernehmung, 25.3.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
111
Kommentar zur polizeilichen Vernehmung, 25.3.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA Hamburg, 213–11
Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38. Im Gerichtsurteil wird sie ebenfalls als
„schwachsinnig“ bezeichnet, vgl. Urteil des Landgerichts Hamburg, 25.5.1938, Strafakte Wilhelm Sch., in: StA
Hamburg, 213–11 Staatsanwaltschaft Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
112
Zeugenaussage, 25.3.1938, Strafakte Wilhelm Schulze, in: StA Hamburg, 213–11 Staatsanwaltschaft
Landgericht, Strafsachen, Nr. 6033/38.
113
Vgl. Götte; Willing.
114
Herzog, S. 16.
Gelebte Sexualität galt innerhalb der „Volksgemeinschaft“ einerseits durchaus über den reinen
Fortpflanzungszweck hinaus als erstrebenswerter Aspekt des Lebens, von der damaligen
„Norm“ abweichende Sexualitäten hatten darin jedoch keinen Platz. Dies zeigt nicht zuletzt die
intensive Verfolgung von mann-männlicher Sexualität. Mit der 1933 durch die Sturmabteilung
(SA) erfolgten Zerstörung des von Magnus Hirschfeld in der Weimarer Republik aufgebauten
Instituts für Sexualwissenschaften115 kam dieser neue Forschungszweig zwar nicht gänzlich
zum Erliegen, verengte sich aber auf medizinisch-psychiatrische sowie biopolitische
Fragestellungen. Über Phänomene wie Pädophilie und sexuellen Kindesmissbrauch wurde
fortan kaum mehr geforscht und das, obwohl – wie Florian Mildenberger bemerkt – z. B.
Organisationen
wie
die
Hitlerjugend
durchaus
Anknüpfungspunkte
zu
einer
Auseinandersetzung mit Pädosexualität geboten hätten.116
Zwar bestanden Psychotherapie und Psychoanalyse auch im Nationalsozialismus,
therapeutische Konzepte bei Sexualstraftaten beschränkten sich aber meist auf körperliche
Eingriffe und die Verwahrung in einer Haft- oder Heil- und Pflegeanstalt. Mediziner und
Kriminologen übertrafen sich entsprechend bei der wohlwollenden Evaluation dieser neuen
drastischen Maßnahmen.117 Diese kamen insbesondere dann zur Anwendung, wenn die Taten
auf eine sexuelle „Neigung“ oder „Perversion“ zurückgeführt wurden. In vielen anderen Fällen
wurde sexuelle Gewalt vergleichsweise gering bestraft. Zu betonen bleibt auch, dass dieses
repressive staatliche Vorgehen gegen einige Täter keineswegs mit einer intensiven und
sensibilisierten Zuwendung zu den Betroffenen einherging. Kinder und Jugendliche galten
nicht nur als „schützenswert“, sondern gleichzeitig als Gefahrenquelle für die Ordnung der
„Volksgemeinschaft“ – auch oder gerade dann, wenn sie (sexuelle) Gewalt erfahren hatten.
Dies verdeutlicht auch der im 19. Jahrhundert in Deutschland auftauchende Begriff des
„Kinderschänders“, der in den frühen 1930er Jahren zum Rechtsbegriff wurde.118 Dem Begriff
ist eine Herabsetzung des Opfers inhärent, denn das Kind erscheint als „beschmutzt“, als seiner
angeblichen Reinheit beraubt. Heute ist die Bezeichnung des „Kinderschänders“ zwar aus der
Fachwelt verschwunden, findet aber z. B. in populistischen Berichterstattungen über
115
Dose; Sigusch, Geschichte.
Mildenberger, S. 33–36.
117
Vgl. z. B. Puvogel; Rattenhuber.
118
Vgl. Kerchner, S. 247–249.
116
Missbrauchsfälle119 sowie in der rechtsextremen Szene im Kontext von politischen Kampagnen
weiterhin häufig Verwendung.120
Der zu leistende Drahtseilakt bei dem hier behandelten Thema besteht darin, die Geschichte
sexueller Gewalt aufzuarbeiten und gleichzeitig anzuerkennen, dass die Täter ihrerseits
während des Nationalsozialismus zu Opfern einer in seiner Dimension spezifischen
nationalsozialistischen
Kriminalpolitik
geworden
sind.
Dies
ist
zum
einen
aus
menschenrechtlichen Erwägungen bedeutsam, die in gleichem Maße für vorbestrafte
Sexualstraftäter wie für alle anderen zu gelten haben. Zum anderen ist es gerade aufgrund der
noch heute häufig populistisch geführten Debatten wichtig zu betonen, dass eine intensive
Strafverfolgung bzw. Verschärfung des Strafrechts noch lange nicht zu einer gesellschaftlichen
Auseinandersetzung mit dem Leid und der möglichen Traumatisierung der Betroffenen führte
und führt. Nicht selten diente und dient die Forderung nach einem „starken Staat“ oder gar einer
„Todesstrafe für Kinderschänder“, wie sie in rechtsextremen Kreisen seit Mitte der 1990er
Jahre wieder populär geworden ist,121 in erster Linie eigenen politischen Zielen und Zwecken.
Nur so lässt sich erklären, dass im Umgang mit Sexualstraftätern häufig Repressionen
eingefordert werden, während die Geschichten der Betroffenen gleichzeitig ungehört bleiben.
Sexueller Kindesmissbrauch im Nationalsozialismus ist ein Forschungsdesiderat. Es ist jedoch
davon auszugehen, dass sowohl polizeiliche und juristische Praxen als auch in der NS-Zeit
dominante Debatten und Vorstellungen über Missbrauchsopfer und Täter bis weit in die
Nachkriegszeit und die Neugründung der beiden deutschen Staaten hineinreichten. Mentalitätsund kulturgeschichtliche Kontinuitäten in den Bereichen Sexualität, Kindheit und Familie sind
bislang verschiedentlich untersucht worden.122 Ergiebig wäre sicherlich auch die weitere
Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch in Institutionen. So betont z. B. Claus Koch
Kontinuitäten im Hinblick auf die Heimerziehung von der Zeit des Nationalsozialismus bis in
die 1960er Jahre und thematisiert dabei auch, dass „Verwahrlosung“ in den verschiedenen
politischen
Systemen
Fürsorgeeinrichtungen
lange
galt.123
als
ein
Die
vermeintliches
systematische
Merkmal
Erforschung
von
von
Kindern
in
sexuellem
Kindesmissbrauch im Nationalsozialismus könnte hier anknüpfen.
So finden sich z. B. in der BILD-Zeitung regelmäßig Titel wie „10 Jahre Knast für Kinderschänder“, s.
http://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/sicherungsverwahrung/urteil-kinderschaender-46674288.bild.html
(Aufruf zuletzt am 27.7.2016).
120
Vgl. Claus/Virchow. Zu diesem Thema hat die Berliner Amadeo Antonio Stiftung mehrere Texte publiziert, s.
http://www.kein-raum-fuer-missbrauch.de/aktuelles/nein-zu-rechtsextremismus (Aufruf zuletzt am 27.11.2016).
121
Zu der Kampagne, die u. a. eine Seite auf Facebook betreibt, vgl. Valjent. Nach Protesten wurde der erste
Kampagnenauftritt „Todesstrafe für Kinderschänder“ von Facebook gelöscht, mittlerweile existieren aber neue
Gruppierungen unter diesem Titel bei Facebook.
122
Vgl. z. B. zur Geschichte der Sexualität Steinbacher; Herzog.
123
Koch, S. 236.
119
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
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