„Kooperatives Imperium“
Loyalitätsgefüge und Reich-Länder-Finanzausgleich in der
späten Habsburgermonarchie
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von Jana Osterkamp
Abstract: Fiscal federalism mirrored the multi-tiered system of late Imperial Austria.
Financial flows were directed to the Empire and both of its dualistic halves, Hungary
and Austria, but also to Crownlands and municipalities in the Austrian half (Cisleithenia). Increasing expenditures for welfare, infrastructure, and schooling helped
forge new models of revenue sharing. The article focuses on financial negotiations
between the Crownlands and the Ministry of Finance after 1905. Informal conferences
addressed financial allocation as a problem of solidarity and loyalty. Horizontal loyalty and cooperation between the Crownlands was meant to strengthen the vertical
axis between the Empire and its regions. However, the Empire held on to the separation between the regions and enforced a lack of communication among them, thus
gambling away the chance of imperial integration.
Was hält komplexe und mehrstufige Herrschaftsordnungen zusammen? Eine
Antwort auf diese Frage lautet: Loyalitäten.1 Dies gilt insbesondere für eine der
historisch wichtigsten mehrstufigen Ordnungen, die Imperien. Die Forschung
interessiert sich seit einiger Zeit verstärkt für die Gründe, warum die
großräumigen Imperien des 19. Jahrhunderts so lange bestehen konnten.2
Jürgen Osterhammel hat diese Imperien in seiner Globalgeschichte als
strahlenförmige, radiale Ordnungen beschrieben: Der Kontakt und Austausch
der Peripherien untereinander sei in ihnen nur lose, die Metropole lenke die
Entscheidungsströme „durch das imperiale Nadelöhr“.3 Imperien streben
nach Kommunikationshoheit über ihre territorialen Einheiten. Deren politische Kooperation untereinander ist unerwünscht oder, wie in der Habsburgermonarchie, verboten.4 Allerdings erzwangen die wachsenden Anforderungen der Moderne im 19. Jahrhundert imperialen Wandel. Eine effektive
1 Dazu Martin Schulze Wessel, „Loyalität“ als geschichtlicher Grundbegriff und Forschungskonzept. Zur Einleitung, in: ders. (Hg.), Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik 1918 – 1938. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten,
München 2004, S. 1 – 22.
2 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts,
München 2009, S. 610 – 615.
3 Ebd., S. 614.
4 Hans Peter Hye, Die „Länderkonferenz“ (1905 – 1907). Ein Versuch gemeinsamer
politischer Willensfindung der politischen Eliten der Länder, in: Jan Jank (Hg.),
středn moc a regionln samosprva, Mikulov 1993, S. 281 – 289, hier S. 282.
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Verwaltung, schlagkräftige Verteidigung oder ein konkurrenzfähiger Wirtschaftsraum erforderten kooperatives Handeln. Die radiale Ordnung wurde
über vielfältige Formen der Zusammenarbeit verstrebt.
„Imperium“ wird im Folgenden als typologische Kategorie verstanden.5 Zur
typologischen Grundausstattung gehören neben der radialen Herrschaftsordnung folgende Faktoren: erstens, die Großräumigkeit des Territoriums,
zweitens, eine von Großmachtanspruch (nach außen) und von Gewaltandrohung (nach innen) geprägte Autorität, drittens, eine von Asymmetrien
zwischen Zentrum und Peripherie beziehungsweise Provinzen bestimmte
Herrschaftsstruktur, die, viertens, mit einer gesellschaftlichen und rechtlichen
Vielfalt einhergeht und, fünftens, in eine politische Kultur der Distinktion und
politische Hierarchisierung von bestimmten ethnischen, sozialen, konfessionellen oder politischen Gruppen, aber auch von politischen Räumen mündet.
Im Gegensatz dazu zeichnen sich föderale und nationalstaatliche Herrschaftsordnungen regelmäßig durch eine größere Symmetrie zwischen den Gebietskörperschaften aus. Die Übergänge von Imperien zu großräumigen Föderationen oder Nationalstaaten sind allerdings fließend und umkehrbar.6
Die Frage nach Kooperation im Imperium wird damit zu einem Gradmesser,
ob der Entwicklungsvektor für das Verhältnis zwischen Zentrum und
Provinzen eher in Richtung Integration, Symmetrie und Gleichberechtigung
der Gebietskörperschaften (Föderalisierung) oder in Richtung Separation,
Asymmetrie und Sonderrechte für einzelne Herrschaftsterritorien (Imperium) weist. Eine Zwischenform zwischen beiden typologischen Herrschaftsformen lässt sich als „kooperatives Imperium“ beschreiben. Das kooperative
Imperium zeichnet sich dadurch aus, dass die imperialen Faktoren in der
Verfasstheit der politischen Ordnung überwiegen, allerdings in der politischen
Praxis durch Faktoren relativiert werden, die auf Integration, Symmetrie und
Gleichberechtigung zielen, darunter insbesondere institutionelle Kooperation
und Angleichung gesellschaftlicher Unterschiede.
Das Aufkommen eines kooperativen Imperiums widerspricht dem gängigen
Bild vom Imperium als „Souveränitätsverband ohne Gemeinschaftsbasis“.7 Ob
sich der Betrachterin oder dem Betrachter das Bild eines kooperativen
Imperiums oder das einer „Zwangsintegration“8 bietet, hängt wesentlich von
5 Die Kategorie des „kooperativen Imperiums“ wird für die Habsburgermonarchie
detailliert begründet und erläutert in Jana Osterkamp, Cooperative Empires. Provincial
Initiatives in Imperial Austria, in: Austrian History Yearbook 47. 2016, S. 128 – 146.
6 Alexander J. Motyl, Thinking About Empire, in: Karen Barkey u. Mark von Hagen (Hg.),
After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. The Soviet Union and the
Russian, Ottoman, and Habsburg Empires, Boulder 1997, S. 19 – 29; Stefan Berger u.
Alexei Miller, Introduction. Building Nations in and with Empires. A Reassessment, in:
dies. (Hg.), Nationalizing Empires, Budapest 2015, S. 1 – 30.
7 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 608; in Anlehnung an Michael W. Doyle,
Empires, Ithaca, NY 1986, S. 36.
8 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 608.
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der Perspektive ab, welche der Analyse imperialen Zusammenhalts zugrunde
liegt. Gewalt, Recht, Militär, wirtschaftliche Integration durch großräumige
Märkte und militärische Außenpolitik werden oft als „harte“ Faktoren
herangezogen, als „weiche“ Faktoren Herrscherjubiläen, Militär- und Beamtenuniformen, Architektur, Symbole und Rituale.9 So wird einerseits auf den
großen Umfang rechtlicher und militärischer Zwangsmittel hingewiesen, die
zur Sicherung des imperialen Zusammenhalts genutzt wurden, und darauf,
dass die Rechtsdurchsetzung Hand in Hand mit der latenten Androhung von
Ausnahmezustand und militärischer Gewalt ging. Andererseits wird die Rolle
von Symbolpolitik betont. Da es sich in beiden Fällen um vom imperialen
Zentrum aus gesteuerte Prozesse handelt, ist es nicht überraschend, dass unter
dieser analytischen Lupe Vergemeinschaftungs- und Kooperationsprozesse
auf den unteren Herrschaftsebenen aus dem Blick geraten. Der Fokus auf
Loyalitäten eröffnet demgegenüber eine größere Perspektivenvielfalt.
Loyalitäten sind freiwillig eingegangene und auf Dauer angelegte soziale
Bindungen, die sich an einem institutionellen oder persönlichen Gegenüber
ausrichten und mit der Bereitschaft einhergehen, für diesen einzustehen. Auch
Solidarität ist daher ein Aspekt im Loyalitätsgefüge.10 Die Vorteile des
Loyalitätenansatzes seien im Folgenden kurz skizziert. Erstens: Loyalität
bringt vertikale Bindungskräfte und damit Hierarchien zwischen Institutionen, Gruppen und Individuen auf einen Begriff, bildet aber ebenfalls
horizontale Kohäsionskräfte ab. Imperialer Zusammenhalt wird demzufolge
nicht nur vom Staat her, sondern auch aus Sicht der gesellschaftlichen Akteure
gedacht. Zweitens: Loyalität ist eine soziale Kategorie für äußere Handlungen
und innere Einstellungen, sie adressiert die Außenseite und Innenseite
imperialer Integration. Während Macht- und Integrationsfaktoren wie Gewalt,
Recht und Militär mit der Erwartung von Gehorsam korrespondieren, am
Handeln ausgerichtet sind und Motivationen weitgehend ausblenden, steht die
Beschäftigung mit Symbolen in der Gefahr, affektive Bindungen überzubetonen. Erst die Frage nach Loyalitäten führt beide Ebenen zusammen. Drittens:
Loyalitäten lassen sich nicht obrigkeitsstaatlich durchsetzen. Das Imperium
kann lediglich die Bedingungen schaffen, die der Entfaltung von Loyalitäten
förderlich sind. Handlungen lassen sich erzwingen, nicht aber die innere
Bereitschaft etwas zu tun. Loyalitäten sind daher ein Indikator, dass Imperien
gewollt sind. Diese voluntaristische Komponente macht die herrschaftsstabilisierende Funktion von Loyalitäten aus.
Der Wille zum imperialen Zusammenhalt wird in der Analyse von Loyalitätsdiskursen greifbar. Das hier gewählte Beispiel entstammt der Finanzgeschichte
des ausgehenden Habsburgerreiches. Die Verhandlungen über einen Finanzausgleich zwischen dem Reich und den Kronländern der westlichen Reichshälfte (Cisleithanien) stehen für den Übergang von einer typologisch impe9 Ebd., S. 610 – 614.
10 Siehe hierzu die Einleitung in diesem Themenheft.
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rialen Herrschaftskultur, die auf Abschottung der Kronländer untereinander
bedacht war, zu kooperativen, auf Gleichberechtigung und Loyalität beruhenden Handlungsformen. Ein Finanzausgleich adressiert und institutionalisiert
unweigerlich Loyalitäten. Insbesondere die solidarische Bereitschaft zum
Füreinander-Einstehen wird dabei deutlich, weil diese mit finanziellen Opfern
verbunden ist. Breite politische Akzeptanz findet ein solches Modell nur dann,
wenn es auf einem Loyalitätsgeflecht der Länder untereinander, aber auch
zwischen Gesamtstaat und den Kronländern ruht. Finanzausgleiche brauchen
auf mehreren Herrschaftsebenen das Bewusstsein für politische Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit. Anders gesagt, ein funktionierender Finanzausgleich braucht sowohl in imperialen als auch in föderalen Ordnungen
Loyalität und Kooperation.
Die Finanzgeschichte Cisleithaniens zeigt ein System gegenseitiger finanzieller
Abhängigkeiten zwischen Reich, Kronländern, Gemeinden und den Steuerträgern sowie den politischen Rückzug des Reichs aus zentralen Politikarenen.
Sowohl das Reich (Steuergesetzgebung) als auch die Kronländer und Gemeinden (Zuschläge) verfügten in der Habsburgermonarchie nach der Verfassung
von 1867 über Finanzhoheitsrechte und konnten die Untertanen für die Kosten
der öffentlichen Aufgaben heranziehen. Anders als im fiskalföderalen Trennsystem in den Vereinigten Staaten von Amerika des 19. Jahrhunderts, das bis
heute praktiziert wird, standen sich die finanziellen Sphären von Reich und
Gliedstaaten nicht unverbunden gegenüber. Und anders als im Deutschen
Reich zwischen 1871 und 1918 war die Finanzordnung zentralistischer
aufgebaut und wurde in erster Linie vom Reich und nicht von den Gliedstaaten
bestimmt.11
Die Verschränkungen und Verflechtungen von öffentlichen Aufgaben und
Ausgaben in der westlichen Hälfte der Habsburgermonarchie wiesen dabei auf
eine Entwicklung der „neuesten Bundesstaatlichkeit“ voraus: Diese wurde erst
im 20. Jahrhundert verfassungsrechtlich mit dem „kooperativen Föderalismus“ und fiskalpolitisch mit dem sogenannten Verbundsystem begrifflich
gefasst und in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise erst nach dem
Jahr 1955 umgesetzt.12
I. Krise der öffentlichen Finanzen in der
Habsburgermonarchie
Die Finanzverhandlungen zwischen dem Reich und den westlichen Kronländern sowie zwischen den Kronländern untereinander nach 1905 bis zum Ende
der Monarchie waren eng mit der Aushandlung von Loyalität verbunden.
11 Für einen Vergleich der historischen Modelle eines Finanzausgleichs vgl. Stefan Korioth,
Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Tübingen 1997.
12 Vgl. ebd., S. 360.
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Anlass für die Verhandlungen über einen Finanzausgleich zwischen dem Reich
und den Kronländern in Cisleithanien war eine schwere Krise der öffentlichen
Finanzen in der Habsburgermonarchie um die Jahrhundertwende. Das
Gesamtstaatsbudget hatte sich erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts
unter dem Finanzminister der Taaffe-Regierung Julian von Dunajewski
konsolidiert.13 Jahrzehntelang hatte die Habsburgermonarchie zuvor angesichts heftiger Finanzkrisen, Defizite und mehrerer Staatsbankrotte in der
europäischen Finanzöffentlichkeit wenig Kredit genossen beziehungsweise
nur zu sehr hohen Zinsen. Die immense Schuldenlast in den 1860er Jahren
wurde in Österreich mit dem Ausspruch karikiert, Marokko komme wohl
leichter an Geld, man sprach von einem „finanziellen Solferino“.14 Mit dem
Verlust von Lombardo-Venetien in den Jahren 1860 und 1866 waren dem
Gesamtstaat die Einnahmen von zwei fiskalisch ertragreichen Provinzen
verlorengegangen.15 Die von Dunajewski eingeleitete Konsolidierung währte
kurz. Nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina im Jahr 1908 stand
die Monarchie erneut vor dem Bankrott.16
Gleichzeitig schnellten die Schulden der Kronländer um die Jahrhundertwende rasant in die Höhe. Die Tragweite dieser Länderverschuldung war neu.
Noch bis in die 1880er Jahre hatte sich die Verschuldung der Kronländer in
Grenzen gehalten, auch wenn deren Belastung alles andere als gering war.
Wichtigstes Beispiel sind die Kosten für eine der wenigen Errungenschaften
der Revolutionsjahre 1848 / 49: für die Abschaffung von Robot, Frondiensten
und Leibeigenschaft. Die ehemaligen Untertanen, Reich und Länder teilten
13 Ferdinand Schmid, Finanzreform in Österreich, in: Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft 67. 1911, S. 1 – 149, hier S. 1.
14 Richard Charmatz, Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907, Bd. 2: Der Kampf
der Nationen, Leipzig 1909. Als Schuldenstand für das Jahr 1863 werden von Charmatz
2,5 Milliarden Gulden bei einer Zinsenlast von 113 Millionen Gulden genannt, wobei die
Grundentlastungsschuld von 522 Millionen Gulden hierbei nicht eingerechnet wurde,
ebd.
15 Michael Pammer, Public Finance in Austria-Hungary 1820 – 1913, in: Jos Luis Cardoso
u. Pedro Lains (Hg.), Paying for the Liberal State. The Rise of Public Finance in
Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2010, S. 132 – 161, hier S. 148.
16 Nach Schätzungen des Berichterstatters des Finanz- und Budgetausschusses des
Abgeordnetenhauses Otto Steinwender betrug die Staatsverschuldung im Oktober 1911
12,24 Milliarden Kronen, für den Schuldendienst wurden jährlich ca. 530 Millionen
Kronen aufgewendet. Um 1907 bewegten sich die Staatsschulden noch bei 9,8 Milliarden
Kronen. Das jährliche Defizit erreichte 1911 nach Steinwenders Angaben 145 Millionen
Kronen. Ein Indikator für die schwindende Finanzkraft war auch die Abwertung von
Staatspapieren und staatlichen Hypothekarscheinen um insgesamt ca. 1 Milliarde
Kronen von 1907 bis 1911. Diese Angaben beruhen auf einem Vortrag, den Steinwender
im März 1911 im Saal der Wiener Urania hielt. Angaben dazu bei Vclav Vacek, Soustava
dan rakouských. Dějiny rakouských financ v 19 stolet. Výklad a kritika platnho
systmu bernho. Finančn problmy dneška. Positivn nvrhy k npravě, Prag 1912,
S. 126 – 130.
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sich zu jeweils einem Drittel die Entschädigungen an die Grundbesitzer.17
Diese Schulden aus der Grundentlastung nahmen die Länderhaushalte fast vier
Jahrzehnte lang in Anspruch.18 Erst im Jahr 1892 waren in den meisten
Ländern die Grundentlastungsschulden getilgt.19 Das Königreich Böhmen
hatte schon 1880 keine Schulden mehr.20 In der Folgezeit jedoch wuchs der
Schuldenstand immer schneller an, nur wenige Kronländer wie das Land
Salzburg gelangten schuldenfrei in das neue Jahrhundert.21 Nach Berechnungen der Länder lag das Defizit der Länderhaushalte im Jahr 1908 bereits
deutlich über dem Staatsdefizit.22
Ein wichtiger struktureller Grund für die Landesschulden war der Umfang der
Verwaltungsaufgaben und die fehlende finanzielle Ausstattung. Seit dem Ende
der absolutistischen Ära im Jahr 1861 lagen viele Agenden, die vordem in
gesamtstaatlicher Hand waren, in der Selbstverwaltung der Länder. Um die
Staatskasse finanziell zu entlasten, behielt der Gesamtstaat allerdings nicht nur
die eingesparten Ausgaben, sondern auch alle wichtigeren Finanzquellen in
seiner Hand. Den Ländern wurde für ihre wiedergewonnene Autonomie keine
finanzielle Unterstützung zugestanden.23 Wie ein Zeitgenosse rückblickend
bemerkte, fiel dies anfangs nicht auf, weil die öffentliche Verwaltung ohnehin
„dürftig“ gewesen sei und nicht viele Kosten verursache.24 In der Reichshoheit
über die Finanzen lag ein wichtiger Unterschied zur Finanzordnung des
Deutschen Reiches, das „Kostgänger“ der Bundesstaaten war.25 Mit der
17 Vgl. das Kaiserliche Patent vom 4. 3. 1849, RGBl. Nr. 152 / 1849 und das Kaiserliche
Patent vom 15. 8. 1849, RGBl. Nr. 361 / 1849.
18 Eine Ausnahme bildeten Galizien und die Bukowina, die die Grundentlastungsschuld
nicht bis 1892 ablösen konnten. Hier sprang der Staat ein. Vgl. Abgeordnetenhaus (Hg.),
Stenographische Protokolle, 10. Session 1909, Beilage Nr. 943, Übereinkommen
zwischen der Staatsverwaltung und der Landesvertretung des Königreiches Galizien
und Lodomerien mit dem Großherzogtum Krakau behufs Regelung der Verhältnisse des
Staates zu den Grundentlastungsfonden von Ost- und Westgalizien.
19 Hans Peter Hye, Strukturen und Probleme der Landeshaushalte, in: Adam Wandruszka
u. a. (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 7. 2: Die regionalen Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1545 – 1592, hier S. 1556 f.
20 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 46.
21 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am 9. Juni
1907 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der
Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder betreffend
die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1907, S. 22. Siehe auch Carl Chorinsky, Die
Salzburger Landesfinanzen von 1871 bis 1878, Bd. 1: Die Landesfinanzen und die
Schule, Salzburg 1880, S. 15.
22 Das Staatsdefizit war seit 1906 gestiegen, für das Jahr 1909 lag es nach dem
Zentralrechnungsabschluss bei 87 Millionen Kronen, für 1910 betrug bereits das
Gebarungsdefizit 53 Millionen Kronen, siehe Schmid, Finanzreform in Österreich,
S. 129 u. S. 147.
23 Ebd., S. 5.
24 Friedrich Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen (März
1908), in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 93. 1909, S. 43 – 63, hier S. 44.
25 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 309 – 324.
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Finanzhoheit untermauerte die Wiener Regierung in vielen Fragen auch ihre
politische Steuerungshoheit, sodass sie eine stärker vereinheitlichende Stoßrichtung verfolgen konnte als die Reichsregierung in Deutschland.26
Die politische Steuerungshoheit der Kronländer erschien anfangs noch
überschaubar. Die Landesordnungen in der Habsburgermonarchie von 1861
sahen lediglich Landesanstalten und Landeskultur als den Wirkungskreis der
Länder vor. Gemeint waren damit ein rudimentäres Schulwesen, wohltätige
Landesstiftungen, Sanitätsauslagen und einige wenige Maßnahmen für die
regionale Landwirtschaft.27 Die Dezemberverfassung von 1867 wies die Kosten
für Polizei, Gesundheitswesen, Humanitätsanstalten und Armenpflege, Landeskultur und Volksschulwesen endgültig Ländern und Gemeinden zu, beließ
allerdings wichtige Regelungskompetenzen beim Reich. Der Gesamtstaat
regulierte große Verwaltungs- und Politikfelder wie etwa das Volksschulwesen,
ohne für die Kosten seiner Anweisungen selbst aufkommen zu müssen. Auf
gleiche Weise wurden auch andere, originär gesamtstaatliche Aufgaben aus
den lokalen Kassen bestritten, so die Einquartierung von Gendarmerie und
Heer, Kasernenbauten, Vorspanndienste und Impfleistungen. Das Reich ließ
sich bei der Umschichtung seiner Aufgaben nicht vom Prinzip einer rationalen
modernen Verwaltung leiten, sondern vom Grundsatz einer Entlastung des
Budgets.28 Auch im Deutschen Reich waren Verwerfungen in der Finanzverfassung, die Reichsverschuldung und der Verlauf der Finanzströme zwischen
Reich, Gliedstaaten und Gemeinden „nicht fiskalisch oder gar ökonomisch“,
sondern „historisch und politisch motiviert“.29
Die Finanzordnung ist dabei ohne die politische Verfasstheit des Habsburgerreichs nicht zu verstehen. Nach dem Intermezzo der neoabsolutistischen
Periode der 1850er Jahre setzte die Konstitutionalisierung mit dem Jahr 1867
spät ein und blieb fragmentarisch. Die Konstitutionalisierung der Habsburgermonarchie ging in einem mehrfachen Sinn nicht mit einer einheitlichen
Konstitution einher. Der sogenannte österreichisch-ungarische Ausgleich von
1867 schuf zwei Reichshälften und sicherte den Ländern der ungarischen
Krone (neben Ungarn auch Kroatien-Slawonien sowie Siebenbürgen) eine
weitgehende Selbstständigkeit in der Gesetzgebung, Verwaltung und Regierung zu. In der ungarischen Hälfte galten Verfassungsgewohnheitsrechte nach
dem Muster der englischen ungeschriebenen Verfassung. Für die nichtungarische Reichshälfte (Cisleithanien) wurde mit den fünf Staatsgrundgesetzen von 1867 eine fragmentarische Konstitution erlassen, die den nichtungarischen Kronländern Böhmen, Mähren und Schlesien, Galizien, Bukowi26 Auch im Deutschen Reich lässt sich allerdings die Entwicklung beobachten, das Finanzund Steuersystem vom Reich her einheitlich zu ordnen. Vgl. Albert Hensel, Der
Finanzausgleich im Bundesstaat in seiner staatsrechtlichen Bedeutung, Berlin 1922,
S. 127 f.
27 Schmid, Finanzreform in Österreich.
28 Ebd., S. 6.
29 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 324.
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na, Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg,
Kärnten, Dalmatien und dem Küstenland mit Görz-Gradisca nicht nur eine
Gleichberechtigung der Länder, sondern auch der sie bewohnenden Nationalitäten zusicherte. Allein die Politikfelder Verteidigung, Außenpolitik und
Finanzen wurden als gemeinsame Angelegenheiten beider Reichshälften
behandelt.
Das bis 1867 für alle Provinzen der Habsburgermonarchie einheitliche
Gesamtstaatsbudget wurde nun ebenfalls getrennt. Nach dem österreichischungarischen Ausgleich bestanden für beide Reichshälften unterschiedliche
öffentliche Haushalte. Nur die Schulden des Reichs wurden gemeinsam
verwaltet.30 Dieses komplizierte mehrstufige Verfassungssystem der Habsburgermonarchie führte in der Folge unter anderem auch dazu, dass Ungarn an
den Verhandlungen eines Finanzausgleichs zwischen Reich und den Kronländern Cisleithaniens zwar nicht mit eigenen Vertretern beteiligt war, aber
dennoch wesentlichen Änderungen der Finanzordnung Cisleithaniens zustimmen musste.
Imperiale Asymmetrien, Separationsmechanismen und Sonderrechte bestanden nach 1867 nicht nur zwischen beiden Reichshälften, sondern auch im
Verhältnis der Kronländer Cisleithaniens untereinander. Wichtigstes Beispiel
ist das auf das Jahr 1868 zurückgehende Bündel von Sonderrechtsvereinbarungen für den territorial größten Gliedstaat Cisleithaniens: die sogenannte
galizische Autonomie. Die Hierarchisierung politischer Räume ging – trotz der
verfassungsrechtlich verbürgten Gleichberechtigung der Kronländer und
Nationalitäten – mit einer Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen einher.
Überspitzt ausgedrückt, genossen in Ungarn die Magyaren und Kroaten, in
Galizien die Polen, in Böhmen, der Steiermark und Kärnten die Deutschen, im
Küstenland, Dalmatien und Triest die Italiener eine privilegierte Stellung. Eine
zusätzliche Schlagseite in Richtung imperialer Asymmetrie erhielt die Habsburgermonarchie durch das 1878 okkupierte und 1908 annektierte BosnienHerzegowina. Diese Region wurde keiner der beiden Reichshälften zugeordnet
und verblieb im Status einer Kolonie. Bosnien-Herzegowina kam weder in
den Genuss der grundlegendsten Mitbestimmungsrechte an der Reichspolitik
noch der für die anderen Gliedstaaten vorgesehenen Finanzhoheitsrechte.31
In den Jahrzehnten nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich nahm die
politische Macht der Kronländer Cisleithaniens nicht nur vereinzelt durch die
Gewährung von Sonderrechten zu, sondern vervielfachte sich im Zuge der
Konstitutionalisierung für alle Länder. Das Anwachsen der politischen Macht
der Kronländer ging mit einer politischen Schwäche des Reichs einher, dessen
Hände einerseits durch überbordende Ausgaben für Militär und Schulden30 Pammer, Public Finance in Austria-Hungary, S. 139.
31 Aus den gemeinsamen Zolleinnahmen von Österreich und Ungarn erhielt es einen Teil
überwiesen. Pammer, Public Finance in Austria-Hungary, S. 140.
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dienst und andererseits durch die parlamentarische Budgetkontrolle gebunden waren.32 Viele Politikfelder wurden nun von den Kronländern Cisleithaniens bespielt, die es sich leisten konnten beziehungsweise bereit waren,
Schulden zu machen. Eine mit dem Reich vergleichbare, parlamentarische
Budgetkontrolle bestand hier wegen der ausbleibenden Konstitutionalisierung
der Kronländer nicht.
Die Länder betrieben in Eigenregie eine teure Vermehrung ihrer Agenden. Sie
waren Getriebene in einer sich gegenseitig verstärkenden Dynamik von
Modernisierung, Nationalisierung und Politisierung. Um die Jahrhundertwende berührte der Tätigkeitsbereich der Länder schon weite Felder der
Moderne.33 Angesichts der „Dürftigkeit“ der Landesverwaltungen noch in den
1860er Jahren, hatte die Autonomie auch wegen ihrer anfangs noch unversehrten Finanzkraft einen „gewaltige[n] Aufschwung des öffentlichen Lebens
geraume Zeit hindurch“ zur Folge.34 Die neu erschlossenen Tätigkeitsfelder
wurden von den Zeitgenossen ausdrücklich begrüßt. So bezeichnete es der
Verwaltungsexperte Josef Redlich 1907 im Abgeordnetenhaus als erfreulich,
„daß in Österreich endlich begonnen worden ist, im modernen Sinn die
Verwaltung zu führen und zu verstehen“.35 Hierin kündigt sich eine für die
zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts typische Entwicklung an: eine Mehrung
öffentlicher Güter und damit „mehr Staat“ auch um den Preis wachsender
öffentlicher Ausgaben und Schulden zu bejahen, wenn nicht zu forcieren.36
Die Kronländer verbesserten mit Straßen, Eisenbahnen und Elektrizitätswerken ihre Infrastruktur, indem sie das vom Reich unterhaltene Straßen- und
Bahnnetz ergänzten und erweiterten. Sie reagierten mit neuen Schul- und
Bildungsformen auf die reichsweite Ausdifferenzierung von Berufsfeldern und
trugen etwa mit der Gründung von Landwirtschaftsschulen in Mähren oder
Weinbauschulen in Kärnten zur Hebung ihres Agrarsektors bei. Arbeitsvermittlungsstellen und Fürsorgeeinrichtungen der Länder unterstützten die
soziale und wirtschaftliche Mobilität in Folge der erheblichen Binnenarbeitsmigration im Habsburgerreich. Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen und
Krankenkassen entsprachen den gestiegenen Standards an Hygiene und das
Gesundheitswesen; die Länder gaben damit zugleich eine Antwort auf das
lange Ausbleiben einer einheitlichen Reichssozialgesetzgebung. Landesban32 Ebd., S. 140 – 157.
33 Dazu und zum Folgenden siehe Georg Schmitz, Organe und Arbeitsweise, Strukturen
und Leistungen der Landesvertretungen, in: Adam Wandruszka u. a. (Hg.), Die
regionalen Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1353 – 1544, hier S. 1541 f.
34 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 23.
35 Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographisches Protokoll, 4. Sitzung der 28. Session vom
27. 6. 1907, S. 126.
36 Zu dieser „Erweiterung des Staatskorridors“ vgl. Hans-Peter Ullmann, Die Expansionskoalition. Akteure und Aktionen in der bundesdeutschen Finanz- und Schuldenpolitik der 1970er Jahre, in: GG 41. 2015, S. 394 – 417.
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ken und Hypothekenanstalten, zuerst in Böhmen, dann bald fast in allen
Kronländern, deckten den Finanzbedarf insbesondere von Kleingewerbe und
Landwirtschaft. Bei der Vergabe günstiger, von Reich und Kronländern
gemeinsam finanzierter Meliorationsdarlehen zur Bodenverbesserung waren
sie nicht hinwegzudenken und erlangten insgesamt einen beherrschenden
Einfluss auf die Landespolitik.37 Im Deutschen Reich umfasste die Verwaltungshoheit der Gliedstaaten ähnliche Gebiete, darunter die öffentliche
Fürsorge, Kulturaufgaben, einen Teil des Polizeiwesens sowie den Bau und
Unterhalt von Straßen, Kanälen und Deichen. Allerdings stand ihnen mit
dieser Verwaltungshoheit zugleich die Finanzhoheit zu.38
Die Länder Cisleithaniens gestalteten ihre Agenden freiwillig. Ihre Entwicklung vollzog sich daher in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Als besonders investitionsfreudig galten Niederösterreich, Salzburg, Böhmen und
Galizien.39 Galizien versuchte, sich mit hohen Investitionsschulden und
einer eigenen Landesindustriebank aus seiner rückständigen Stellung im
Reich zu befreien, wurde es doch von „Industriellen und Kaufleuten der
westlichen Kronländer […] von Alters her als eine Art Kolonialland“
behandelt.40 Diese Länder fühlten sich gegenüber der Modernisierungsagenda
in der Pflicht. Sie waren Schuldner der Moderne. Andere Kronländer wie
Kärnten und Vorarlberg vermieden Schulden für Investitionen, ließen durch
diese Politik des Nichtinvestierens aber das Potenzial für eine zum Beispiel mit
Fremdenverkehr und Landwirtschaft besser zu vereinbarende Infrastruktur
ungenutzt.41 Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung vertiefte die Ungleichheit
zwischen den Ländern. Kooperation und Abstimmung fanden in diesen
Politikarenen nur selten statt.
Die Länder waren nicht nur Schuldner der Moderne, sie machten auch
Schulden für die Nation. Gerade in Ländern mit einer ausgeprägten nationalpolitischen Agenda konnte jeder Bau eines Elektrizitätswerkes, einer Schule,
einer Straße, einer Lokalbahn zum Politikum und Symbol nationaler Interessen werden. In den gemischtsprachigen Kronländern der Monarchie wurde
es üblich, dass die jeweils an der Spitze der Landesverwaltung stehende
nationale Majorität für ihre Angehörigen aus den Landesmitteln das meiste
herauszuholen suchte. Häufig wurde dieses Ziel erst dann oder zumindest
leichter dadurch erreicht, dass auch die anderen Nationalitäten mit Gaben aus
dem Landesbudget zufriedengestellt wurden.42 Beliebter Austragungsort für
37 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 12 f.
38 Hans Stumpp, Die Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland von 1871 bis zur
Gegenwart, Diss. Universität Würzburg 1964, S. 23.
39 Hye, Strukturen und Probleme der Landeshaushalte, S. 1577.
40 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 55.
41 Ebd., S. 47.
42 Ebd., S. 32 f.
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diesen nationalen Wettstreit war das Schulwesen.43 Anzahl, Art und Kosten der
Schulen in den betroffenen Ländern stiegen erheblich an, in Böhmen lag
beispielsweise die Anzahl der Bürgerschulen mit 550 im Jahr 1906 weit über
der vom Land ursprünglich vorgesehenen einen Bürgerschule pro Schulbezirk.44 Auch kleinere Verwaltungsaufgaben wurden national getrennt finanziert und verwaltet, so Feuerwehr und Tierseuchenbekämpfung in Tirol.45
Schreckgespenst dieses „nationalen Ausgabendualismus“ waren für viele
Finanzpolitiker Böhmen und Mähren, wo „jeder Krone, die für deutsche
Zwecke bewilligt wird, mindestens eine Krone für tschechische Zwecke
gegenübergestellt werden muß.“46 Die Trennung in eine tschechische und in
eine deutsche Selbstverwaltung hatte zur Folge, wie Milan Hlavačka in seiner
Studie zur Selbstverwaltung in Böhmen gezeigt hat, dass nicht mehr Kronland
und Kommunen, sondern nach 1900 der jeweilige Nationalrat mit den
Kommunen kooperierte.47 Die nationale Segmentierung der Verwaltung führte
hier dazu, dass die Kommunikation zwischen den einzelnen Ressorts auf
Landesebene nur ungenügend funktionierte.48 Ein politisches Loyalitätsbewusstsein konnte auf diese Weise nicht entstehen.
Wo nicht die Nationalitätenpolitik die Kosten der Länder in die Höhe trieb, war
es der Kampf um Wählerstimmen. Beobachter bedauerten angesichts der
Länderfinanzkrise, dass die Landtagsabgeordneten sich „ausschließlich als
Abgeordnete ihres Wahlkreises [fühlten], das Land erscheint ihnen als ein
Objekt, das ausgebeutet werden soll“.49 Andere sprachen von „der geradezu
panischen Angst mancher Landtage, den Einfluß auf die Wählerscharen zu
verlieren“.50 Die Wähler der Landtage der westlichen Kronländer waren dabei
nicht mit den Wählern der allgemeinen Reichsratskammer gleichzusetzen,
dem Abgeordnetenhaus Cisleithaniens. Während sich das Abgeordnetenhaus
in Wien seit 1907 aufgrund des allgemeinen männlichen Wahlrechts zusammensetzte und ein breit legitimiertes Verhandlungsforum für soziale und
nationale Fragen bot, hatten die Landtage noch vielfach den Charakter von
neuständischen Gremien. Nach 1907 gelang es der österreichischen Sozialdemokratie, Finanztransfers vom Reich an die Kronländer zu stoppen, um ihrer
Forderung nach einer Verbreiterung der Wählerschichten auch auf Länder43 W. Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, in: Finanzarchiv 25.
1908, S. 176 – 181, hier S. 177.
44 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 29.
45 Paul Kompert, Die Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im
Deutschen Reich 34. 1910, S. 139 – 150, hier S. 144.
46 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 52.
47 Milan Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy. Samosprva a jej vliv na hospodřský,
sociln a intelektuln rozvoj Čech 1862 – 1913, Prag 2006, S. 30 f.
48 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 32.
49 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 53.
50 Kompert, Die Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, S. 147.
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ebene Nachdruck zu verleihen. Das Prinzip „no taxation without representation“, das heißt die Notwendigkeit der demokratischen Legitimation der
parlamentarischen Budgetkontrolle einerseits und der parlamentarischen
Entscheidung für Staatsschulden andererseits, wurde von ihnen bereits mit
großer öffentlicher Wirkung formuliert.51
Die problematische Verflechtung von Parteipolitik und Landesfinanzen in
Cisleithanien hatte allerdings auch strukturelle Gründe, die in einer fehlenden
Konstitutionalisierung der Gliedstaaten lagen. Der Konstitutionalisierung auf
Reichsebene in den 1860er Jahren stand keine vergleichbare Konstitutionalisierung in den Kronländern zur Seite. Der Grundsatz „no taxation without
representation“ war nicht garantiert. Die Verabschiedung der Landeshaushalte
unterlag kaum Regeln. Der Landeshaushalt war kein Gesetz wie auf Reichsebene. Er war unverbindlich und unterlag keiner unabhängigen Kontrolle. Die
Landesrechnungsabschlüsse am Ende eines jeden Jahres rechneten zwar
Ausgaben und Einnahmen gegeneinander auf und wiesen den Schuldenstand
des Landes aus, sie waren jedoch nicht öffentlich. Publizität und Transparenz
in Haushaltsfragen waren den Landespolitikern fremd. Maßnahmen für eine
Begrenzung der kommunalen Schulden wie die Drosselung von Ausgaben,
Defizitschranken und Tilgungspläne, wie sie im Deutschen Reich in Preußen
und Sachsen teilweise eingeführt worden waren, existierten nicht.52 Die in die
gleiche Richtung weisenden Regelungen der Verfassungsentwürfe von Franz
Stadion und dem Kremsierer Parlament um 1848 / 49 wurden später nicht
mehr aufgegriffen.53 Selbst wenn die für die Budgetaufstellung verantwortlichen Landesausschüsse vom Schuldenmachen abrieten, hieß dies noch lange
nicht, dass die Landtage ihnen hierin folgten.54 Einer der schwerwiegendsten
strukturellen Mängel bestand in der fehlenden Unabhängigkeit des für den
Landeshaushalt zuständigen Finanzreferenten. Er war ein Landesparlamentarier unter anderen und damit ebenso abhängig von Parteimehrheit und
Wählergunst wie diese.55 Ein Beispiel für die lokal- und parteipolitischen
51 Zur Geschichte von Staatsschulden aufgrund von parlamentarischen Entscheidungsprozessen vgl. Themenheft „Staatsverschuldung“, GG 41. 2015, H. 3, hg. von Julia
Rischbieter und Hans-Peter Ullmann. Vgl auch Michael Pammer, Entwicklung und
Ungleichheit. Österreich im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002; Harm-Hinrich Brandt, Der
österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen und Politik 1848 – 1860, Göttingen
1978.
52 Paul Grünwald, Zur Finanzstatistik der autonomen Selbstverwaltung in Österreich, in:
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung 19. 1910, S. 68 – 119, hier
S. 68.
53 Johann Jarolim, Reform der Errichtung des Landesvoranschlages sowie der Führung
und Kontrolle des Landeshaushaltes, in: Neue Freie Presse, 29. 9. 1910.
54 Moravský zemský archiv v Brně [im Folgenden MZA], Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639
Sign. M 1 Sanovn zemských finance, Vermerk vom Finanzreferenten des mährischen
Landesausschusses an das k. k. Finanzministerium, 29. 4. 1909, o. fol.
55 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 52. Kompert, Die
Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, S. 146.
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Einflüsse war der Ausbau der Lokalbahnen, zum Beispiel in Böhmen. Böhmen
hatte im Jahr 1892 von der Steiermark ein Eisenbahnförderungsgesetz
übernommen.56 In der Hoffnung, mit dem Bau von Bahnen die lokale
Wirtschaft zu fördern, gewährte das Land zinslose Darlehen, Subventionen
oder garantierte die Tilgung eines Teils des Grundkapitals. Dabei etablierte
sich bei der Geldvergabe ein geradezu ritualisiertes System politischer
Einflussnahme.57 Bis zum Jahr 1902 konnte in Böhmen lediglich eine
Lokalbahn mit ihren Einnahmen die jährlichen Zinsen an das Land decken,
die Auslastung der Züge bewegte sich im Durchschnitt bei nur acht Personen.58
Wie schon in der Steiermark wurde die Eisenbahnförderung für Böhmen zu
einem finanziellen Desaster.
Die Kostenspirale von Modernisierung, Nationalisierung und Politisierung,
gepaart mit einem für die Kronländer Cisleithaniens überaus ungünstigen
öffentlichen Finanzsystem, führte schließlich dazu, dass viele Länder ihre
Schulden nicht aus eigener Kraft bewältigen konnten. In mehreren Kronländern hatte sich die Gewohnheit eingespielt, einen großen Teil der jährlichen
ordentlichen Ausgaben über Kredite zu decken.59 Für Schuldenstand und
Schuldentilgung hatte dies verheerende Folgen. Zum Jahresende 1907 betrug
der Schuldenstand in den am höchsten verschuldeten Kronländern wie
Böhmen bereits 108 Millionen, Galizien 77 Millionen und in Mähren 41 Millionen Kronen.60 Die Kronländer rechtfertigten das Schuldenmachen damit,
dass sie die Leistungskraft ihrer Bevölkerung durch immer neue Umlagen,
Zulagen und Landessteuern längst überdehnt hatten. Tatsächlich hatten die
durch die Kronländer erhobenen Zulagen auf Reichssteuern zu Beginn des
20. Jahrhunderts bereits die Höhe des Reichssteuereinkommens erreicht und
sich seit der Einführung der Landesautonomie 1861 um 420 Prozent gesteigert.61 Weil die Länder nicht auf bestimmte Gegenstände eigene Steuern
erheben konnten, sondern nur Zulagen auf bestehende Reichssteuern, führte
dies zu einer Doppelbelastung der Steuerzahler. Eine gewisse Rolle bei der
Zurückhaltung der Länder, die Zulagen noch weiter zu steigern, spielte
allerdings auch der Umstand, dass gegenüber der eigenen Wählerschaft neue
Schulden als nicht ganz so unpopulär galten wie neue Landessteuern. Leitend
für solche politischen Handlungsweisen war das Eigeninteresse des jeweiligen
56 Gesetz vom 11. 2. 1890, wirksam für das Herzogthum Steiermark, betreffend die
Förderung des Localeisenbahnwesens, LGBl. Nr. 22 / 1890. Hlavačka, Zlatý věk česk
samosprvy, S. 118 – 122.
57 Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy, S. 125.
58 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 29 f. Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy,
S. 125.
59 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 42.
60 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 178.
61 Vgl. die exzellente Studie von Erwin Steinitzer, Die jüngsten Reformen der veranlagten
Steuern in Österreich. Eine historisch-kritische Studie, Leipzig 1905, S. 16 u. S. 20.
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Landes, keineswegs über die Landesgrenzen hinausreichende, auf die anderen
Kronländer oder auf das Reich bezogene Loyalitäten.
Diese Rechnung war kurzlebig. Die Schuldenspirale aus Neuverschuldung und
Schuldentilgung zeigte sich im Fall Mähren besonders eklatant. Mährens
Landeshaushalt hatte in den Jahren 1903 bis 1905 noch Überschüsse erzielt.62
Für das Jahr 1911 rechnete der Finanzreferent mit einem Gesamtvolumen der
Schulden von einhundert Millionen, also mit mehr als einer Verdoppelung
gegenüber 1907.63 Waren für die Bedienung der Schulden im Jahr 1904 schon
1,5 Millionen Kronen notwendig geworden,64 wurden für Tilgungen und
Verzinsungen 1911 bereits 5,9 Millionen Kronen veranschlagt. Das entsprach
22 Prozent der Landesumlagen auf die direkten Steuern. Gleichzeitig schloss
der ordentliche Haushalt in diesem Jahr erneut mit einem hohen Defizit. Nur
zwei Drittel der ordentlichen Ausgaben waren durch ordentliche Einnahmen
gedeckt. Die Rüge des k. k. Statthalters in Mähren hiergegen zeitigte keine
Folgen.65 In Mähren wurde die Belastung für Land und Steuerzahler schließlich
so groß, dass private Verbände und öffentliche Kommunen im Jahr 1914
öffentlich protestierten.66 Neu war an diesen, bei neuen Steuerumlagen nicht
unüblichen Protesten, dass sie die öffentliche Hand ausdrücklich zum Sparen
aufforderten und die für die Schulden verantwortlichen „Subventionen für
Einzelpersonen und Verbände“ sowie die teuren Landesbauten kritisierten.67
Von Sparen war in den Auseinandersetzungen über die öffentlichen Finanzen
zuvor nicht gerade oft die Rede gewesen.
62 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, LT.-Drs.
Nr. 220 / 1907, Überblick über den Stand der Landesfinanzen 1896 – 1908 in Mähren, o.
fol.
63 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk
des Landesausschuss Mähren an den Landtag zum Budgetdefizit für das Jahr 1911,
27. 9. 1910, o. fol.
64 MZA, Sign. A 11 Zemský sněm K. 454b., L. H. Nr. 473 / 1907, Zusammenstellung der in
den Rechnungsabschlüssen für das Jahr 1904 nachgewiesenen wichtigeren Zweige des
Landeshaushaltes in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern,
fol. 234 – 237.
65 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk
des k. k. Statthalters in Mähren an den Mährischen Landesausschuss im Auftrag des
Finanzministeriums, 22. 6. 1910, o. fol.
66 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Petitionen
der „organisierten deutschen Landwirte“, des Spolek majitelů domů v Brně (Brünner
Verein der Hauseigentümer), der Handels- und Gewerbekammer Brünn und der
Landgemeinden, o. fol.
67 So MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financi, Petition
der Landgemeinden gegen neue Umlagen und Schulden, „Velmi neutěšen krise
zemských financ…“ (Die höchst unerfreuliche Krise der Landesfinanzen…), o. fol.
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II. Finanzausgleich in der Habsburgermonarchie – die
Länderkonferenzen als Option auf Herrschaftswandel
Die Krise der Länderfinanzen zwang Kronländer und Reich zur Zusammenarbeit. Erste Reformschritte unternahm das k. k. Finanzministerium. In 1892
organisierte das Ministerium eine Länderkonferenz, als deren Ergebnis den
Kronländern Cisleithaniens ein Anteil an der Branntweinsteuer zugesprochen
wurde. Im Jahr 1898 führte die vorangegangene Reform der Personeneinkommensteuer zu einem neuen, systematisch durchdachten Modell des
Finanzausgleichs.68 Die Kronländer verzichteten auf ihr Recht, auf diese
Reichssteuer Zuschläge zu erheben und erhielten im Gegenzug eine feste
Quote der Einnahmen. Darin lag ein wichtiger Versuch, wie zeitgleich auch im
benachbarten Deutschen Reich, die finanziellen Sphären von Reich und
Gliedstaaten klar zu trennen.69 Für das eigentliche Finanzproblem der
Kronländer Cisleithaniens war nur eine kurzfristige Lösung gefunden.
In der Folge fanden die Kronländer Cisleithaniens selbst zu neuen Formen der
Zusammenarbeit. Das Forum hierfür bildeten die sogenannten Länderkonferenzen über die Sanierung der Landesfinanzen, die in den Jahren 1905 bis 1909
für die cisleithanische Reichshälfte in Wien stattfanden. Den Anstoß hatte der
Landesausschuss Mähren noch zu einem Zeitpunkt gegeben, als das mährische
Desaster in seiner ganzen Tragweite nicht abzuschätzen war. Die Verhandlungsdokumente über den geplanten Reichs-Länder-Finanzausgleich veranschaulichen deutlich die Möglichkeiten und die Grenzen einer Kooperation im
Habsburgerreich und die Möglichkeiten und Grenzen gegenseitiger Loyalitäten.
Der Finanzausgleich des Reichs mit Ungarn, die Quote, das heißt der Ausgleich
der Kosten für die gemeinsamen Angelegenheiten beider Reichshälften, blieb
von diesen Verhandlungen unberührt. Nach dem imperialen Selbstverständnis
der Regierung in Wien handelte es sich dabei um eine bilaterale Angelegenheit.
Beide Formen des finanziellen Ausgleichs, zwischen dem Reich und Ungarn
sowie zwischen dem Reich und Cisleithanien, blieben lediglich mittelbar
aufeinander bezogen. Reichsratsvertreter mussten in der österreichischen
Delegation die Quote für die Finanztransfers zwischen Österreich und Ungarn
absegnen. Die Ungarn mussten wegen des Verbots von Wettbewerbsverzerrungen zugleich Änderungen des Steuer- und Finanzsystems in Cisleithanien
mittragen. Für dieses komplexe Gefüge finanzieller Transfers in der gesamten
Habsburgermonarchie ist dennoch eher die Charakterisierung als Koordination treffend, weniger der Modus von Kooperation.
68 Zur ersten großen Finanzreform von 1896 vgl. Pammer, Public Finance in AustriaHungary, S. 146 f.
69 Vgl. Steinitzer, Die jüngsten Reformen der veranlagten Steuern in Österreich. Siehe
auch Stumpp, Die Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland, S. 37.
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Die Debatte um die Sanierung der Landesfinanzen in Cisleithanien enthielt
hingegen deutlich eine Option auf Herrschaftswandel.70 Sie zeigte die Möglichkeit auf, von einer auf Trennung der einzelnen Länder- und Herrschaftssphären setzenden imperialen Herrschaftskultur zu Formen politischer
Kooperation überzugehen. In den stenografischen Berichten, Protokollen
und Aktenvermerken der westlichen Kronländer und des k. k. Finanzministeriums über einen Finanzausgleich finden sich in dieser Phase des Übergangs
typologisch sowohl imperiale als auch föderale Faktoren: Kooperationsbereitschaft unter peers einerseits und das Festhalten an einer radialen Herrschaftsordnung andererseits. Kam es für das Funktionieren einer solchen
radialen imperialen Herrschaft vorrangig auf die vertikalen Loyalitätsbeziehungen zwischen Zentrum und jeweiliger Peripherie an, so waren die
Loyalitäten in einem kooperativen Imperium vielfältiger und auch horizontal
angelegt. Sie mussten sich auch auf die Ebene zwischen den Kronländern
beziehen und, da eine finanzpolitische Vernetzung für Geberländer finanzielle
Opfer mit sich bringen würde, belastbar sein.
Die Initiative Mährens traf in fast allen Kronländern auf offene Ohren. Für das
in der Einladung Mährens prägnant zusammengefasste strukturelle Finanzproblem, dass der zunehmende Umfang der Landesaufgaben bei gleichbleibend niedrigem Etat immer höhere Schulden, Landessteuern und -abgaben
nach sich ziehe, sollte nach einer einheitlichen Lösung gesucht werden.71 Der
niederösterreichische Landesausschuss stellte für die Konferenzen sein Wiener Landeshaus zu Verfügung. An der ersten Länderkonferenz im Februar
1905 nahmen bis auf Görz und Gradisca alle Kronländer, ein Abgesandter der
Residenzstadt Wien sowie aus dem k. k. Finanz- und Innenministerium
Vertreter der Regierung teil. Diese erste Zusammenkunft stellte ein ehrgeiziges
Beratungsprogramm auf. Eine Siebzehnerkommission der Länder sollte in
Anlehnung an Vorarbeiten des Mährischen Landesausschusses Gutachten
erarbeiten, um bereits im Juni 1905 erste Sanierungsgrundsätze vorzulegen.
Das k. k. Finanzministerium versprach eine eigene neue Abteilung, um
70 So bereits Hye, Die „Länderkonferenz“, S. 281 f.
71 Vgl. Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am
16., 17. und 18. Februar 1905 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und
Länder betreffend die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1905; Konferenz der
Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1907; Loewenfeld, Die Finanzen
der Österreichischen Kronländer. Zum Folgenden siehe die Arbeiten von Hye, Die
„Länderkonferenz“; ders., Strukturen und Probleme der Landeshaushalte. Für diesen
Aufsatz wurden zusätzlich weitere umfangreiche Archivbestände, insbesondere des
Mährischen Landesarchivs (MZA), zu dieser Frage ausgewertet. Vgl. hier zunächst
MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2772 Sign. M 3 / 1 Conf. prava zemských financ, LTDrs. 97 / 1905, Bericht des mährischen Landesausschusses, betreffend die Regelung der
Landesfinanzen, o. fol.; sowie Österreichisches Staatsarchiv [im Folgenden OeStA],
Finanz- und Hofkammerarchiv [im Folgenden FHKA], Sign. k. k. Finanzministerium,
Reg. Abt. III, Zl. 24352 / 1905, Einschätzung des k. k. Finanzministeriums, 10. 4. 1905.
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ebenfalls ein Sanierungsmodell zu entwerfen. In der Zwischenzeit erhielten die
Landesausschüsse für die Verhandlungen ein Mandat ihrer jeweiligen Landtage. Allgemein wuchs bei den Ländern das Bewusstsein dafür, dass die
gemeinsame Durchsetzung der finanzpolitischen Interessen weitaus mehr
Erfolg versprach als vereinzelte landespolitische Vorstöße.
Das eingeschlagene Tempo der Beratungen geriet bald ins Stocken. Eine für
Oktober 1905 vorgesehene Länderkonferenz fand nicht statt, die hierfür
erstellten Referate zirkulierten offenbar trotzdem. Das k. k. Finanzministerium forderte von den Ländern zunächst noch statistisches Material ein, gab
dann aber keine Auskünfte mehr nach außen. Intern gestalteten sich dort die
Vorarbeiten und Studien zu den einzelnen Landeshaushalten, aber auch die
Absprachen zwischen den einzelnen Referaten des Ministeriums, langwierig
und schwierig.72 Im Jahr 1906 geschah nichts. Erst bei den Budgetberatungen
für die Landeshaushalte 1907 kam man in mehreren Landtagen auf das in
Aussicht gestellte Sanierungsprogramm und dessen Stagnation in Wien
zurück.73 Schlesien und Niederösterreich mahnten bei der Regierung den
Fortgang der Verhandlungen an.74 Alle Kronländer übergaben ihren Vertretern
im neu gewählten Abgeordnetenhaus und im Herrenhaus des Wiener
Reichsrats eine untereinander abgesprochene Resolution über die Dringlichkeit, einen Weg aus der Finanzkrise zu finden.75 In seiner Thronrede zum Jahr
1907 versprach der Kaiser den Ländern Entgegenkommen.76
Der öffentliche Druck zeigte Wirkung. In einer Enquete des Finanzministeriums zu den Landesfinanzen im Herbst 1907 wurden mit den Vertretern der
Länderkonferenzen, Wissenschaftlern und Finanzbeamten Grundsätze einer
Finanzsanierung besprochen, die Länder hatten sich zuvor auf Länderkonferenzen im Juni und September über ein gemeinsames Vorgehen verständigt.77
Danach gelangte die Angelegenheit in den Reichsrat. Im Jahr 1910 standen die
Chancen für einen Länderfinanzausgleich schließlich nicht schlecht. Das k. k.
72 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos
des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u.
Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium
abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen.
73 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Beschluss
des Landtags Schlesien vom 15. 3. 1907 u. Beschluss des Landtags Salzburg vom
12. 3. 1907, o. fol.
74 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 44437 / 1907.
75 Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten [im Folgenden NÖLA], Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesausschusses, Reg. I / 10, Stammzahl 1138 / 1907,
Sanierung der Landesfinanzen, Beschluss der Ländervertreter. Abgeordnetenhaus
(Hg.), Stenographisches Protokoll, 18. Session, 3. Sitzung vom 25. 6. 1907, S. 62 f.,
4. Sitzung, S. 119 – 136 u. 5. Sitzung, S. 275 – 281.
76 Thronrede Kaisers Franz Joseph I., gehalten bei der feierlichen Eröffnung des
Reichsrates am 19. 6. 1907, in: Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographisches Protokoll,
18. Session.
77 NÖLA, Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesauschusses, Reg. I / 10, Stammzahl
1138 / 1907, Sanierung der Landesfinanzen.
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Finanzministerium kam den Kronländern entgegen und die Beratungen
kamen durch Gesetze über die Erhöhung der Branntweinsteuer und die
Überweisung dieser Mehreinnahmen an die westlichen Kronländer zu einem
Abschluss. Wegen der Annexion Bosniens 1908 war die Gesamtmonarchie nun
selbst in finanzieller Bedrängnis, sodass die finanziellen Vorteile aus dem
Finanzausgleich für die Länder geringer ausfielen als erwartet. Das Gesamtdefizit der Länder wurde verringert, jedoch nicht beseitigt. Diese Regelung
wurde besonders von den Kronländern daher als provisorisch angesehen. Ein
neuerlicher Vorstoß des Landesausschusses Bukowina zu Länderkonferenzen
über die Finanzfrage vom März 1914 wurde nach Kriegsausbruch nicht weiter
verfolgt.78 Gleichzeitig war mit den Kriegskosten jeder weitere Versuch einer
Entschuldung der Länder zum Scheitern verurteilt.79
Die Option auf Herrschaftswandel durch die Länderkonferenzen wird in
diesem letztgenannten Dokument des Bukowinaer Landesauschusses besonders deutlich. Eingangs wird betont, dass „ohne ein solidarisches Vorgehen
aller Landesausschüsse eine für die Landesfonde günstige, dauernde Regelung
des Verhältnisses zwischen Staats- und Landesfinanzen‘ kaum zu gewärtigen
ist.“80 Im Anschluss daran wird eine Vergemeinschaftung der Schulden „unter
Solidarhaftung der Länder“ vorgeschlagen, um die Kreditwürdigkeit der
westlichen Kronländer auf dem freien Kapitalmarkt zu erhöhen.81 Gegenüber
den Länderverhandlungen der Vorjahre, in denen hauptsächlich verschiedene
Modelle für einen Reichs-Länder-Finanzausgleich diskutiert worden waren,
hat dieser Vorschlag eine andere Stoßrichtung. Der Landesausschuss Bukowina entwickelte eine Idee fort, die im Jahr 1905 bereits das Land Salzburg
angesprochen hatte. Salzburg hatte seinerzeit die anderen Länder zu einem
Akt der „Selbsthilfe“ aufgerufen und die Gründung eines „Länder-VorschussFonds“ angeregt, um durch Naturkatastrophen und Missernten hervorgerufene Engpässe in den Landeshaushalten kurzfristig auffangen zu können.82
Dass dieser Gedanke einer Risiko- und Schuldengemeinschaft überhaupt
möglich war, zeugt von einem gewandelten Verständnis von Herrschaft in den
Kronländern: Beide Vorschläge, auch wenn sie nicht umgesetzt wurden,83
78 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk
des Landesausschusses Bukowina an den Landesausschuss Mähren vom 3. 3. 1914,
Az. 4921 / 1914, o. fol.
79 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2640 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Aufstellung
des Landesausschuss Mähren über den Einfluss des Krieges auf die autonome
Finanzwirtschaft, Tabelle für das k. k. Finanzministerium, ca. 1918, fol. 922.
80 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk
des Landesausschusses Bukowina an den Landesausschuss Mähren vom 3. 3. 1914,
Az. 4921 / 1914, o. fol.
81 Ebd.
82 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2772 Sign. M 3 / 1 Conf. prava zemských financ,
Vorschlag des Landes Salzburg für einen „Länder-Vorschuss-Fonds“, ca. 1905, o. fol.
83 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 41834 / 1906, Vermerk aus
dem Finanzministerium, 1. 6. 1906.
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richteten sich auf eine Verstärkung der politischen Ebene der Kronländer
untereinander. Es wäre dadurch nicht nur die horizontale Kooperation
gestärkt, sondern auch eine Art Solidargemeinschaft der Länder institutionalisiert worden. Demgegenüber blieb die im System der Habsburgermonarchie
sonst so präsente vertikale, imperiale Herrschaftsebene zwischen Wiener
Regierung und Kronländern weitgehend ausgeblendet.
Im Vordergrund der Länderkonferenzen zum Finanzausgleich standen allerdings nicht diese Entwürfe einer die Schulden vergemeinschaftenden „Solidarhaftung“ der Länder, sondern Modelle einer Vernetzung von horizontaler
und vertikaler Ebene zwischen Reich und Ländern.
Letztlich kamen für eine Verbesserung der finanziellen Lage der Kronländer
drei Möglichkeiten in Betracht: Die Überlassung einer bestimmten Steuergattung vom Reich an die Länder, die Kostenübernahme für ein bestimmtes
Politikfeld durch das Reich (sogenannte Zweckdotation) und allgemeine
Dotationen, das heißt die Überweisung eines Anteils des Reichssteueraufkommens an die Kronländer. In den Kategorien der heutigen Finanzwissenschaften ging es um Spielarten eines fiskalischen Trenn- oder Verbundsystems.84
Das herkömmliche Zuschlagssystem galt hingegen als veraltet und sollte
aufgegeben werden.85 Danach lagen die Haupteinnahmequellen der westlichen
Kronländer in Zuschlägen auf bestimmte staatliche Steuern sowie in der
Besteuerung von Verbrauchsgütern, vor allem von Genussmitteln wie Bier und
Branntwein. Dieses System verhinderte Planbarkeit, Eigenständigkeit und
Flexibilität für die Länder. In einigen Nachbarstaaten war es längst abgeschafft
worden. So hatte Preußen die Finanzen der Kommunen im Jahr 1893 auf eine
völlig neue Grundlage gestellt. Preußen hatte, von der mittleren Ebene der
föderalen Ordnung des Deutschen Reiches aus agierend, zugunsten der
unteren kommunalen Ebenen auf eine eigene Steuerart verzichtet, Haushaltskontrollen eingeführt und dadurch wesentlich zum Ende der kommunalen
Finanzkrise beigetragen. Hier galt seitdem der Grundsatz: für das Reich Zölle
und Verbrauchsabgaben, für Preußen die Personalsteuern und für Gemeinden
und Kreise die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern sowie zusätzlich
zweckgebundene Dotationen.86
Das preußische Beispiel projizierte der Landesausschuss Mähren auf die
Reich-Kronländer-Ebene in der Habsburgermonarchie. Im Expos für die
erste Länderkonferenz im Februar 1905 schlug Mähren die Überlassung der
84 Vgl. dazu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Teil 1: „Grundlagen“, S. 19 – 406.
85 Umfassend Schmid, Finanzreform in Österreich. Vgl. auch Ernst Mischler, Selbstverwaltung, finanzrechtlich, in: ders. u. Josef Ulbrich (Hg.), Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Wien
1905 – 1909, S. 223 – 263.
86 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 46. Stumpp, Die
Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland, S. 37.
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Realsteuern an die Länder vor. Aus zwei Gründen setzte sich dieser, auch in der
Finanzwissenschaft favorisierte Vorschlag nicht durch. Die anderen Kronländer erachteten die Überlassung der Realsteuern als unzureichend, weil die
Einnahmen hieraus seit Jahren stagnierten. Sie präferierten dynamische, mit
dem ökonomischen Wachstum Schritt haltende Steuern. Mit Blick auf Preußen
wurde insbesondere eine neue Besteuerung des Personaleinkommens, des
Vermögens, von Erbschaften oder eine Gewerbesteuer angeregt, die auch den
wirtschaftlichen Wertzuwachs berücksichtigte.87 Das k. k. Finanzministerium
wandte systematische Gründe ein: Angesichts der für die Folgejahre geplanten
großen Steuerreform könne es nicht bereits im Vorfeld bestimmte Steuergrundlagen separat regeln.88
In der Enquete des Finanzministeriums vom Herbst 1907 sprachen sich die
Mehrheit der Ländervertreter und das Finanzministerium daher für eine
Mischfinanzierung der Länder aus Zweckdotationen und allgemeinen Dotationen aus. Den größten Posten der Landeshaushalte, die Personal- und
Sachkosten für das Schulwesen, sollte zur Hälfte das Reich übernehmen.
Insbesondere die Bezüge der Volksschullehrer waren in den letzten Jahren
durch erhebliche Gehaltssteigerungen gestiegen, durch die erwartete Gleichstellung mit den unteren Beamtenklassen weiter im Steigen begriffen und
betrugen fast die Hälfte aller Landesausgaben.89 Die Nationalisierung des
Schulwesens, etwa in Schlesien, Mähren und Böhmen, hatte die Anzahl der
Lehrer deutlich erhöht.90 Zusätzlich sollten die Kronländer aus dem Ertrag der
Branntweinsteuer jährliche Überweisungen erhalten, so wie es seit 1892 üblich
war. Damit schien ein Modell gefunden zu sein, das einerseits durch die
Übernahme der Schulpersonalkosten dem dynamischen Wachstum der
Landeshaushalte gerecht wurde, andererseits aber auch eine Unterstützung
für die anderen Landesaufgaben gewährleistete. Im imperialen System der
Habsburgermonarchie betrachtet, hatte dieser Plan für einen Finanzausgleich
ein starkes vertikales Element: Das Reich blieb Ausgangspunkt für den
Finanzstrom an die Länder, die Länder erhielten keine selbstständigen
Einnahmen; allerdings gewährleistete die Zweckbindung den Ländern Planungssicherheit.
Obwohl dieses Modell die Zustimmung der Ländermehrheit fand, wurde es
insbesondere von Niederösterreich, aber auch von Galizien und Tirol,
erfolgreich torpediert. Das Bildungswesen war ein Politikfeld, auf dem die
87 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 13.
88 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos
des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u.
Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium
abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen.
89 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 177.
90 Schlesischer Landtag in Troppau (Hg.), Offizielle stenographische Berichte über die
Verhandlungen der 18. Session des schlesischen Landtages in Troppau. 1. Sitzung am
27. 12. 1906, Troppau 1907.
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kulturelle und soziale Verschiedenheit der Kronländer besonders klar zutage
trat. Für die einen Länder wie Niederösterreich, Schlesien, Böhmen und
Mähren war das Schulwesen ein Prestigeprojekt mit hoher Priorität in der
Landespolitik. Andere Länder wie Tirol zögerten selbst die Einführung der
Mindestanforderungen an das Volksschulwesen solange wie möglich hinaus
und investierten kaum. Die Aussicht auf Zweckdotationen für Bildung ließ nun
bei diesen Ländern wie Galizien und Tirol die Furcht vor einer finanziellen
Verkürzung entstehen. Ihr Volksschulwesen war minder entwickelt und sie
hatten insofern weniger Zuschüsse zu erwarten. Den Ausschlag gab jedoch die
Ablehnung durch Niederösterreich. Gegenüber den anderen Ländern und
gegenüber dem Finanzministerium machte der Landesausschuss Niederösterreich deutlich, dass er die Übernahme der Personalkosten durch das Reich
ablehne, um auszuschließen, dass mit dem finanziellen Zuschuss auch ein
politischer Einfluss, etwa auf die Ernennung der Lehrer, verbunden werden
würde.91 Wegen der engen Verquickung von niederösterreichischer Landespolitik und der Wiener Regierung über die Partei der Christsozialen konnte
sich das Land Niederösterreich beim k. k. Finanzministerium mit diesem
Einwand durchsetzen. Die Verschränkung von Finanzzuweisungen und
politischer Einflussnahme ist ein Grundproblem des Finanzausgleichs und
Fiskalföderalismus. Heute wird es etwa kontrovers am Beispiel der grants-inaid diskutiert, das sind Bundesüberweisungen an die Gliedstaaten in den
Vereinigten Staaten von Amerika mit detaillierten inhaltlichen Vorgaben.92
Grundlage des Reich-Kronländer-Finanzausgleichs wurden damit allgemeine
Dotationen. Der Vorteil für die Länder lag darin, dass sie über dieses Geld
freier verfügen konnten. Sie mussten es nicht notwendigerweise für das
Schulwesen einsetzen. Der Nachteil: eine dynamische Anpassung der Finanzzuschüsse über die Jahre war nicht in gleicher Weise gesichert wie durch die
favorisierten Zweckdotationen zu den jährlich deutlich ansteigenden Personalkosten der Schulen. Auch bei dem Modell der allgemeinen Dotationen
behielt das Reich wesentliche Entscheidungen über die Finanzströme in der
Hand, sodass die vertikale Ebene hierdurch nicht geschwächt wurde.
Die horizontale Ebene zwischen den Ländern spielte allerdings stärker herein
als bei den Zweckdotationen, fand hier doch die eigentliche politische
Auseinandersetzung über die Verteilung und Zuteilung der Finanzen an die
91 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 28668 / 1908, Vermerk des k. k. Finanzministeriums zur Eingabe des Landesausschuss Niederösterreich,
10. 4. 1908. MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ,
LT-Drs. 503 / 1908, Bericht des Landesauschuss Mähren an den Landtag zur Regelung
der Landesfinanzen, 4. 7. 1908 u. Note des Landesausschuss Niederösterreich an den
Landesausschuss Mähren über die Schullasten, 10. 4. 1908, o. fol.
92 Vgl. Wolfgang Renzsch, Föderale Finanzverfassungen. Ein Vergleich Australiens,
Deutschlands, Kanadas, der Schweiz und der USA aus institutioneller Perspektive, in:
Jahrbuch des Föderalismus 2000, S. 42 – 54, hier S. 44 – 46.
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jeweiligen Länder statt. Die Kronländer wurden vom Reich zu den Überlegungen über einen gerechten Verteilungsschlüssel herangezogen. Damit
wurden Fragen der Finanz- und Steuergerechtigkeit zwischen den Kronländern virulent, die auf einer der letzten Länderkonferenzen diskutiert wurden.
Der Verteilungsschlüssel betraf die zentrale Frage, nach welchen Gerechtigkeitskriterien Lasten und Nutzen der Dotationen unter den Ländern verteilt
werden sollten. Es wurden dabei nicht nur die Interessen der einzelnen Länder
zur Sprache gebracht, sondern auch Fragen des Gemeinwohls, die auf eine
gegenseitige Loyalität und Solidarität verwiesen. Letztlich ging es dabei auch
um die Vorstellungen von einem guten Gemeinwesen.
Niederösterreich, das reichste Kronland, das wirtschaftlich erheblich vom
Standort der Hauptstadt Wien profitierte, hatte in den Länderkonferenzen
angeregt, die finanzschwachen Regionen wie zum Beispiel Dalmatien oder die
Bukowina überproportional zu berücksichtigen. Auch andere Ländervertreter
beriefen sich darauf, dass die Bevorzugung der schwächeren Regionen durch
das „Prinzip der Gerechtigkeit“ gefordert sei.93 Diese finanzpolitische Hilfsbereitschaft war nicht ausschließlich altruistisch motiviert. Selbstverständlich
war für die Länder die Wahrung der eigenen finanziellen Interessen wichtig, so
hatten die reicheren Länder an der wirtschaftlichen Hebung anderer Landesteile auch ein Eigeninteresse zur Erweiterung des eigenen Absatzmarktes.
Innerhalb der Habsburgermonarchie hatte sich seit dem 18. Jahrhundert eine
überregionale Arbeitsteilung zwischen produzierenden Ländern und anderen
Regionen etabliert, die zuerst als Rohstofflieferanten beziehungsweise Absatzmarkt dienten.94 Allerdings ging die Bereitschaft, die wirtschaftliche
Angleichung untereinander zu beschleunigen, über dieses bloße Eigeninteresse hinaus. Finanzielle Bedürftigkeit wurde zu einem wichtigen Stichwort.
Der Aspekt wirtschaftlicher Differenz war auch dem k. k. Finanzministerium
nicht ganz fremd. Von Außenstehenden wurden die geplanten allgemeinen
Zuweisungen an die Landeshaushalte sogar als Hoffnung der Wiener Regierung gedeutet, gegenüber dem Reich „den Staatsgedanken“ und auf horizontaler Ebene „das Solidaritätsbewusstsein zwischen reichen und armen Kronländern zu fördern“.95 Nach den Akten ergibt sich allerdings ein anderes Bild.
Danach folgte das k. k. Finanzministerium bei der Verteilung der Gelder an die
einzelnen Kronländer oft genug einer imperialen, auf Sonderrechten fußenden
Logik. Es bevorzugte einzelne Kronländer und stellte andere hintan. Kredite
für einzelne Politikfelder wurden den einen zinslos, anderen nur mit Zinsen
93 NÖLA, Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesauschusses, Reg. I / 10, Stammzahl
1138 / 1907, Sanierung der Landesfinanzen.
94 Umfassend Andrea Komlosy, Grenze und ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt und Migration in der Habsburgermonarchie, Wien 2003.
95 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 180.
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oder gar nicht bewilligt.96 Gleiches galt für Subventionen.97 Ausdrücklich wies
das k. k. Finanzministerium intern auch darauf hin, dass finanzielle Privilegien, beispielsweise für Galizien, durch den neuen Finanzausgleich schwerlich
abgeschafft werden könnten.98 Insbesondere sollte jeder Eindruck einer durch
Solidarität begründeten Gemeinschaft zwischen dem Reich und den Kronländern Cisleithaniens vermieden werden. So stellte sich das Ministerium
gegen Ansprüche der Länder, wonach der Finanztransfer vom Reich an die
Länder ein Gebot der Gerechtigkeit sei, das sich aus der Verantwortlichkeit des
Reichs für Defizit und Aufgabenlast der Länder ergebe.99 Es bestand beim
Ministerium die Befürchtung, die Länder könnten dann das Reich „als
Reservoir betrachten, aus welchem sie ihren voraussichtlich unlöschlichen
Einnahmedurst in bequemster Weise zu stillen versuchen würden.“100
Kurzum, dem Reich stellte sich das Dilemma, einen Verteilungsschlüssel mit
allgemeiner Gültigkeit zu finden, ohne sich damit die Möglichkeiten zu
beschneiden, einzelne Kronländer zu bevorzugen, und ohne sich selbst allzu
sehr zu verpflichten. Den Vertretern der Länder ging es um einen Verteilungsschlüssel, der ihren Interessen entsprach, aus Gerechtigkeitsgründen
aber auch Elemente der Umverteilung enthalten sollte. Diese auf den
Länderkonferenzen zutage tretende Bereitschaft zu einem für alle tragbaren
Kompromiss war Ausdruck eines gewachsenen Bewusstseins für eine Gemeinschaft von grundsätzlich gleichen Kronländern. In der typologischen
Gegenüberstellung von politisch asymmetrisch verfassten Imperien und
symmetrisch angelegten föderalen Ordnungen stellte diese Art von Kooperation und gegenseitiger Loyalität eine klare Abwendung von den Handlungsformen einer imperialen Herrschaftsasymmetrie dar. Der Idee einer finanzpolitischen Ländergemeinschaft lag vielmehr ein Herrschaftsverständnis
zugrunde, dass ungeachtet der Anerkennung der vertikalen Herrschaftselemente viel stärker auf horizontale Vernetzung und Kooperation setzte. Das
k. k. Finanzministerium blieb einem herkömmlichen imperialen Denken
verhaftet, die Länder entwarfen das Bild eines kooperativen Imperiums.
96 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 44527 / 1907, Vermerk des k. k. Finanzministeriums zu Maßnahmen zugunsten der böhmischen
Landesfinanzen vom 10. 6. 1907.
97 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vergleich
von Bezuschussungen in Mähren und anderen Ländern. Memorandum des Landesausschuss Mähren an das k. k. Finanzministerium, 29. 4. 1909, o. fol.
98 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos
des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u.
Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium
abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen, Anlage.
99 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 127.
100 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 11644 / 1907, S. 25.
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III. Grenzen des kooperativen Imperiums –
Kommunikationsverbot und Misstrauen
Das Spannungsverhältnis zwischen diesem Entwurf der Länder für ein
zukünftiges kooperatives Imperium und dem asymmetrisch-imperialen
Herrschaftsstil der Wiener Regierung wird klarer, wenn man die Länderfinanzkrise noch einmal über zwei zentrale Loyalitätsprobleme in den Blick
nimmt: die Kommunikation zwischen dem Reich und den Kronländern
Cisleithaniens sowie die politische Atmosphäre des Misstrauens.
Nach der imperialen Herrschaftslogik sollte politische Kommunikation nur
auf direktem Wege zwischen dem Herrschaftszentrum Wien und den einzelnen Kronländern erfolgen. Eine Verständigung der Länder untereinander,
zumal in finanzpolitischen Fragen, stand unter dem Generalverdacht einer
reichsfeindlichen Haltung und damit der Illoyalität. Auf Seiten des k. k.
Finanzministeriums wuchs vor allem zu Beginn gegenüber den Länderkonferenzen Misstrauen. Diese Einschätzung, die durch die Protokolle der
Länderkonferenzen in keiner Weise gestützt wird, beruhte auf der rechtlichen
Stellung der Länder im Reich. Die Landesordnungen errichteten für die
Institutionen der Länder untereinander das Verbot, miteinander in Kontakt zu
treten. Die Wiener k. k. Regierung verzichtete darauf, dieses Verbot rechtlich
durchzusetzen, duldete die Länderkonferenzen und entsandte ihre Vertreter
dorthin.101 Deren vermeintlich „politischer Charakter“102 führte dennoch zu
Argwohn. Die Ministerialbürokratie weigerte sich anfangs, zu den Vorschlägen der Länder überhaupt Stellung zu nehmen.103 „Das […] Projekt ist
natürlich vom Standpunkte der Regierung ganz undiscutirbar“, hieß es.104 Die
Ländervertreter waren sich über die fehlende rechtliche Basis für ihre
Zusammenkünfte zwar im Klaren, erachteten ihr Schuldenproblem allerdings
als vordringlich. Das ostentative Desinteresse der Regierung an einer Lösung
der Länderfinanzkrise stieß bei ihnen auf Unverständnis.105 Sie fühlten sich
nicht ernst genommen, ihre Loyalitätserwartungen an die Wiener Regierung
wurden enttäuscht.
Damit war ein Wahrnehmungsmuster in der Welt, das Ländervertretern und
Ministerialbürokratie gegenläufige Interessen zuschrieb. Die Abwertung des
101 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 8685 / 1905, Länderkonferenzen, Teilnahme der k. k. Regierung.
102 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 72180 / 1905, Hinterlegung
des Protokolls über die Commission zur Sanierung der Landesfinanzen, 7. 10. 1905.
103 Ebd.
104 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 8685 / 1905, Länderkonferenzen, Teilnahme der k. k. Regierung.
105 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am 9. Juni
1907 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der
Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder betreffend
die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1907, S. 21.
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jeweils anderen taucht in den Akten verschiedentlich auf. So heißt es von einem
Landesvertreter aus Wien in Bezug auf die cisleithanische Regierung: „Um den
Staat soll man sich in diesem Saale überhaupt nicht kümmern, er kümmert
sich ja auch nicht darum, wie die Länder ihre [finanziellen] Bedürfnisse
decken.“106 Nur Einzelne wiesen in dieser Atmosphäre latenter Illoyalitätsvorwürfe auf das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-Sein von Reich und
Ländern in der Schuldenkrise hin.107 Das vertikale Loyalitätsverhältnis
zwischen Reich und Kronländern erhielt dennoch durch das Misstrauen des
k. k. Finanzministeriums gegenüber der horizontalen, finanzpolitischen Loyalität der Länder Risse.
Misstrauen als Loyalitätsproblem fand sich nicht nur zwischen Reich und den
Kronländern Cisleithaniens. Auch unter den Kronländern herrschte eine
Politik der Abgrenzung über das Schlagwort „Autonomie“. Der Autonomiegrundsatz unterstrich die politische Eigenständigkeit der Länder gegenüber
dem imperialen Zentrum in Wien. Wie ein Landesvertreter aus Niederösterreich anmerkte: „Autonomisten sind wir alle […]. Das liegt eben in der Natur
unseres Volkscharakters.“108 Durch die Übertragung gesamtstaatlicher Verwaltungsaufgaben waren die Länder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
de facto in den Status von föderalen Gliedstaaten hineingewachsen. Bei den
Zeitgenossen war insofern von einer „Verländerung“ der Verwaltung Cisleithaniens die Rede, in der Historiografie von Föderalisierung.109 Dieser Status
war verfassungsrechtlich nicht gesichert. In der Praxis wurde dieser erweiterte
Handlungsraum umfassend für die Landespolitik sowie in einigen Kronländern wie Böhmen für die Nationalitätenpolitik genutzt und gegenüber
drohenden Eingriffen vehement verteidigt. Autonomiepolitik war nicht nur
ein Abgrenzungsmodus gegenüber Wien, sondern führte zu separaten
Interessenräumen der Kronländer. Das Beharren auf Autonomie bei den
Verhandlungen über einen Finanzausgleich hemmte die Vertiefung der
horizontalen politischen Kommunikation und Kooperation zwischen den
Kronländern Cisleithaniens. Es stand konträr zu jenen Erwägungen eines auf
Verteilungs- und Steuergerechtigkeit beruhenden Finanzausgleichs, die gerade eine solche stärkere horizontale Vernetzung und Kooperation erwarten
106 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 57.
107 „Die Sorge für die Sanierung der Landesfinanzen ist eine allen Ländern gemeinsame: sie
ist aber nicht nur ihnen gemeinsam, sondern ebenso eine gemeinsame Sorge des Staates
und seiner Regierung, denn die Aufgaben, welche die Länder zu besorgen haben, sind
öffentliche Aufgaben.“. Siehe ebd., S. 42.
108 Ebd., S. 21 u. S. 72.
109 Siehe dazu Schmid, Finanzreform in Österreich; Georg Jellinek, Über Staatsfragmente,
Heidelberg 1896; Thomas Simon, Die Föderalisierung des Kaisertums Österreich nach
1860 und der Gedanke der Selbstverwaltung, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Selbstverwaltung in der Geschichte Europas in Mittelalter und Neuzeit. Tagung der Vereinigung für
Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 10. bis 12. März 2008, Berlin 2010,
S. 257 – 283.
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ließen. Autonomie war damit ein Modus der Abgrenzung. Autonomieerwägungen beschränkten daher die Kronländer Cisleithaniens in ihrem Bemühen,
eine Interessengemeinschaft mit dem Ziel zu etablieren, politisch effektiv
Finanzpolitik gegenüber dem Reich zu machen. Darin lag das zweite
Loyalitätsproblem: Der geplante Finanzausgleich brauchte nicht nur gemeinsame Interessen der Länder gegenüber der Zentrale, sondern auch gegenseitige
Loyalitäten in der Ländergemeinschaft.
IV. Der Länderfinanzausgleich als unvollständiges
Loyalitätenvieleck – ein Fazit
Damit zeigt sich für die Länderkonferenzen ein Paradox von Abgrenzung und
Zusammengehörigkeit. Ein Finanzausgleich ruht auf einem Loyalitätenvieleck: auf Loyalitätsbeziehungen zwischen Gliedstaat, Ländergemeinschaft und
Gesamtstaat sowie auf Loyalitätsbeziehungen der Länder untereinander – so
der Idealfall. Die Krise der öffentlichen Finanzen zwang die westlichen
Kronländer der Habsburgermonarchie zum Dialog. Das Desinteresse und die
fehlende Kooperationsbereitschaft von Seiten der Regierung führten dazu,
dass sich die Kronländer dabei politisch gegen das imperiale Zentrum
zusammenschlossen. Die Länder traten als eigenständige politische Akteure
auf. Sie durchbrachen bewusst die imperiale Herrschaftslogik, die auf vertikale
Machtausübung vom Zentrum in die jeweiligen Provinzen setzte und deren
politische Kommunikation untereinander blockierte und behinderte. Das
vertikale Loyalitätsverhältnis von Imperium und Ländern wurde damit
prekär.
In dem Zusammenschluss der Länder gegen das imperiale Zentrum entwickelte sich im Laufe der Verhandlungen das Bewusstsein von einer Ländergemeinschaft, das heißt von horizontalen Loyalitäten. In der Befürwortung
von Finanzhilfen an schwächere Gliedstaaten kommt ein Länderbewusstsein
zum Ausdruck, das grundsätzlich von einer Gleichstellung der Kronländer
Cisleithaniens in der Monarchie ausging und dafür finanzielle Opfer in Kauf
nahm. An anderer Stelle heißt es ausdrücklich, dass „gemeinsame Berührungspunkte in Österreich aufrecht erhalten werden müssen, daß die Länder
[…] einander nähertreten müssen.“110
Ohne den Gesamtstaat allerdings – und darin liegt das Paradox – hatte dieses
Länderbewusstsein keinen dauerhaften Bestand. Das Reich, gegen das sich die
Länder in der Finanzkrise zusammengeschlossen hatten, war zugleich die
denklogische Voraussetzung für ihre Ländergemeinschaft untereinander. Es
ging bei der Schaffung eines Finanzausgleichs zwischen Reich und Kronländern nicht lediglich um eine Kooperation der Länder, sondern, beim hier
110 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 72.
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ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000
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Jana Osterkamp
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gewählten Begriff bleibend, um die Möglichkeit eines kooperativen Imperiums.
Es zeichnet den auf den Länderkonferenzen versammelten Personenkreis – die
Landeseliten – aus, dass dieses Problem von ihnen erkannt wurde. Zentral
hierfür sind die Worte eines böhmischen Landesvertreters, der in Bezug auf
die cisleithanische Regierung sagte:
Wir müssen uns abgewöhnen, den Staat als zahlungsunwilligen Schuldner zu betrachten,
den wir, wenn wir ihn am Schopfe erwischt haben, aller Welt vorstellen. […] Das wäre
durchaus unrichtig, denn hinter dem Staate stehen wir wieder [die Länder], beziehungsweise
unsere Steuerträger.111
In dieser Aussage spiegelt sich ein föderales Bewusstsein, das sowohl auf
Wahrung der Länderinteressen als auch auf dem Zusammenschluss zu einer
größeren Einheit, dem Gesamtstaat, aufbaute.
Im Rahmen der Habsburgermonarchie war das föderale Bewusstsein der
Ländervertreter auf Cisleithanien beschränkt. Die Einbeziehung Ungarns war
dagegen nicht föderal, sondern imperial kodiert. Die Erwähnung Ungarns in
den Verhandlungen über einen Finanzausgleich glich einer mit großen
Unwägbarkeiten behafteten Variable. Die Fragen einer Finanzreform zwischen
dem Reich und den Kronländern Cisleithaniens waren wegen des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 in vielen Punkten von der Zustimmung Ungarns abhängig. Aufgrund dessen war der im Jahr 1914 schließlich
erreichte, neue Finanzausgleich vorläufig. Die Länderquoten in Cisleithanien
am Aufkommen aus der Besteuerung von Bier, Branntwein sowie aus der
Personaleinkommensteuer wurden erheblich aufgestockt.112
Typologisch unterlag sowohl das Verhältnis der westlichen Kronländer als
auch das Verhältnis des Reichs zu Ungarn einer imperialen Logik. Aufgrund
der verfassungsrechtlichen und fiskalischen Sonderrechte war Ungarn politisch nur mit dem imperialen Zentrum verstrebt. Gemeinsame formelle oder
informelle Gremien zur Kooperation mit Cisleithanien fehlten nicht nur,
sondern galten in Ungarn als unerwünscht.113 In die im zehnjährigen Turnus
erfolgenden Aushandlungen des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und
Ungarn, der sogenannten Quote, waren die Kronländer Cisleithaniens nicht
unmittelbar einbezogen.
111 Eppinger auf der Konferenz der Landesausschüsse, ebd., S. 41 f.
112 Vgl. Gesetz RGBl. Nr. 14 / 1914 über die Neuregelung der Überweisungen aus Staatsmitteln an die Landesfonds der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder und
die Herabsetzung des Ausmaßes der Realsteuern.
113 Als Forum für Kooperation hätten sich die Delegationen über die gemeinsamen
Angelegenheiten angeboten. Vgl. Eva Somogyi, Die Delegation als Verbindungsinstitution zwischen Cis- und Transleithanien, in: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch
(Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 7. 1: Verfassung und Parlamentarismus. Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften,
Wien 2000, S. 1107 – 1176.
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Kooperatives Imperium
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Für die Länderkonferenzen in Cisleithanien war das föderale Bewusstsein
hingegen charakteristisch. Es markierte den wichtigsten Unterschied zur
nationalitätenpolitisch aufgeheizten, destruktiven Stimmung in vielen parlamentarischen Foren auf Reichs- und Länderebene. Die Landeseliten erlebten
ihren politischen Alltag im Zeichen des Nationalitätenkampfes. Im geschützten, nichtöffentlichen Raum der Länderkonferenzen übernahm niemand von
ihnen die nationale Rhetorik. Sie hatten ein Gespür dafür entwickelt, dass das
Interesse ihres jeweiligen Landes im imperialen Gefüge nicht alles war. Bei den
Landeseliten war ein Bewusstsein um die Komplexität des Finanzausgleichs
zwischen dem Reich und den westlichen Kronländern vorhanden. Ihr
Länderbewusstsein war Ausdruck eines horizontalen Loyalitätsverhältnisses
der Länder untereinander, für die gegenseitige, wenn auch nicht unbegrenzte
Bereitschaft, finanziell füreinander einzustehen. In Hinblick auf die Ländergemeinschaft waren die Landeseliten insofern Träger von horizontalen,
supranationalen Loyalitäten. In dem Augenblick, als von ihnen der Gesamtstaat als notwendige Voraussetzung ihrer Ländergemeinschaft wahrgenommen wurde, waren sie nun allerdings auch mit dem Wissen um die – abstrakt
gesprochen – Notwendigkeit vertikaler Loyalitäten zwischen Ländern und
Gesamtstaat konfrontiert.
Waren die Länderkonferenzen und die sich dabei abzeichnenden Loyalitäten
der Landeseliten also ein Indikator dafür, dass neben dem FüreinanderEinstehen innerhalb der Ländergemeinschaft auch das überwölbende Dach,
das Habsburgerreich, gewollt war? In den Verhandlungen wurde eine
Bereitschaft zu vertikaler Loyalität erkennbar. Dies deckt sich mit anderen
Forschungserkenntnissen, die in einem kollektivbiografischen Zugriff die
Loyalitäten der politischen Eliten untersuchten.114 Diese Loyalitätsbereitschaft
war allerdings an die ausgesprochene Erwartung geknüpft, dass der Gesamtstaat in Krisenzeiten mit den Ländern in wichtigen Fragen kooperieren möge,
ganz so, wie die Kronländer auf den Länderkonferenzen den politischen
Zusammenhalt untereinander erfahren hatten. Damit verbunden waren
Erwartungen, dass das Reich in seinem Verhältnis zu Ungarn die Belange
Cisleithaniens ausreichend berücksichtigen und damit die tragfähigen Voraussetzungen für einen Reich-Kronländer-Finanzausgleich schaffen möge.
Das Bild vom Staat beziehungsweise die Reichsidee, die hier aufscheint, ging
über die bestehende imperiale Herrschaftsstruktur hinaus: Imperiale Sonderrechte sind darin zugunsten einer grundsätzlichen Gleichberechtigung der
114 Für die Habsburgermonarchie vgl. Marion Wullschleger, „Gut österreichische Gesinnung“. Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in
Triest 1904 – 1918, in: Tim Buchen u. Malte Rolf (Hg.), Eliten im Vielvölkerreich.
Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850 – 1918), S. 90 – 106,
hier S. 94. Siehe auch die Beiträge in Judith Pl u. Vlad Popovici (Hg.), Elites and Politics
in Central and Eastern Europe (1848 – 1918), Frankfurt 2014; und Frederik Lindström,
Empire and Identity. Biographies of Austrian Identity in an Age of Imperial Dissolution,
Lund 2002.
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Länder aufgegeben. Die radiale imperiale Herrschaftsordnung wurde zumindest für Cisleithanien durch eine kooperative Verflechtung in wichtigen
Politikarenen abgelöst. Die politische Eigenständigkeit und Gleichheit der
Kronländer wurde institutionell in den Gesamtstaat eingebettet. Die vertikale
Loyalitätsbereitschaft war zwar noch auf einen Gesamtstaat hin ausgerichtet
beziehungsweise auf eine Idee davon, an der imperialen Herrschaftspraxis der
Wiener Regierung ging sie vorbei. Die horizontalen, übernationalen Loyalitäten der Vertreter der Kronländer hielten das Imperium sicherlich auch
zusammen und wirkten integrativ, weil sie ein wichtiges Gegenstück zum
separierenden Nationalitätenkampf waren. Dennoch blieben sie unvollständig. Durch eine nur zögerliche Reformpolitik versäumte es das Imperium, die
latenten vertikalen Loyalitäten auf sich zu vereinigen.
Prof. Dr. Jana Osterkamp, Ludwig-Maximilians-Universität, Lehrstuhl für
Osteuropäische Geschichte, Schellingstraße 12, 80539 München
E-Mail: jana.osterkamp@extern.lrz-muenchen.de
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