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„Kooperatives Imperium“: Loyalitätsgefüge und Reich-Länder-Finanzausgleich in der späten Habsburgermonarchie

2016, Geschichte und Gesellschaft

Fiscal federalism mirrored the multi-tiered system of late Imperial Austria. Financial flows were directed to the Empire and both of its dualistic halves, Hungary and Austria, but also to Crownlands and municipalities in the Austrian half (Cisleithenia). Increasing expenditures for welfare, infrastructure, and schooling helped forge new models of revenue sharing. The article focuses on financial negotiations between the Crownlands and the Ministry of Finance after 1905. Informal conferences addressed financial allocation as a problem of solidarity and loyalty. Horizontal loyalty and cooperation between the Crownlands was meant to strengthen the vertical axis between the Empire and its regions. However, the Empire held on to the separation between the regions and enforced a lack of communication among them, thus gambling away the chance of imperial integration.

„Kooperatives Imperium“ Loyalitätsgefüge und Reich-Länder-Finanzausgleich in der späten Habsburgermonarchie Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. von Jana Osterkamp Abstract: Fiscal federalism mirrored the multi-tiered system of late Imperial Austria. Financial flows were directed to the Empire and both of its dualistic halves, Hungary and Austria, but also to Crownlands and municipalities in the Austrian half (Cisleithenia). Increasing expenditures for welfare, infrastructure, and schooling helped forge new models of revenue sharing. The article focuses on financial negotiations between the Crownlands and the Ministry of Finance after 1905. Informal conferences addressed financial allocation as a problem of solidarity and loyalty. Horizontal loyalty and cooperation between the Crownlands was meant to strengthen the vertical axis between the Empire and its regions. However, the Empire held on to the separation between the regions and enforced a lack of communication among them, thus gambling away the chance of imperial integration. Was hält komplexe und mehrstufige Herrschaftsordnungen zusammen? Eine Antwort auf diese Frage lautet: Loyalitäten.1 Dies gilt insbesondere für eine der historisch wichtigsten mehrstufigen Ordnungen, die Imperien. Die Forschung interessiert sich seit einiger Zeit verstärkt für die Gründe, warum die großräumigen Imperien des 19. Jahrhunderts so lange bestehen konnten.2 Jürgen Osterhammel hat diese Imperien in seiner Globalgeschichte als strahlenförmige, radiale Ordnungen beschrieben: Der Kontakt und Austausch der Peripherien untereinander sei in ihnen nur lose, die Metropole lenke die Entscheidungsströme „durch das imperiale Nadelöhr“.3 Imperien streben nach Kommunikationshoheit über ihre territorialen Einheiten. Deren politische Kooperation untereinander ist unerwünscht oder, wie in der Habsburgermonarchie, verboten.4 Allerdings erzwangen die wachsenden Anforderungen der Moderne im 19. Jahrhundert imperialen Wandel. Eine effektive 1 Dazu Martin Schulze Wessel, „Loyalität“ als geschichtlicher Grundbegriff und Forschungskonzept. Zur Einleitung, in: ders. (Hg.), Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik 1918 – 1938. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten, München 2004, S. 1 – 22. 2 Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 610 – 615. 3 Ebd., S. 614. 4 Hans Peter Hye, Die „Länderkonferenz“ (1905 – 1907). Ein Versuch gemeinsamer politischer Willensfindung der politischen Eliten der Länder, in: Jan Jank (Hg.), středn moc a regionln samosprva, Mikulov 1993, S. 281 – 289, hier S. 282. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 593 Verwaltung, schlagkräftige Verteidigung oder ein konkurrenzfähiger Wirtschaftsraum erforderten kooperatives Handeln. Die radiale Ordnung wurde über vielfältige Formen der Zusammenarbeit verstrebt. „Imperium“ wird im Folgenden als typologische Kategorie verstanden.5 Zur typologischen Grundausstattung gehören neben der radialen Herrschaftsordnung folgende Faktoren: erstens, die Großräumigkeit des Territoriums, zweitens, eine von Großmachtanspruch (nach außen) und von Gewaltandrohung (nach innen) geprägte Autorität, drittens, eine von Asymmetrien zwischen Zentrum und Peripherie beziehungsweise Provinzen bestimmte Herrschaftsstruktur, die, viertens, mit einer gesellschaftlichen und rechtlichen Vielfalt einhergeht und, fünftens, in eine politische Kultur der Distinktion und politische Hierarchisierung von bestimmten ethnischen, sozialen, konfessionellen oder politischen Gruppen, aber auch von politischen Räumen mündet. Im Gegensatz dazu zeichnen sich föderale und nationalstaatliche Herrschaftsordnungen regelmäßig durch eine größere Symmetrie zwischen den Gebietskörperschaften aus. Die Übergänge von Imperien zu großräumigen Föderationen oder Nationalstaaten sind allerdings fließend und umkehrbar.6 Die Frage nach Kooperation im Imperium wird damit zu einem Gradmesser, ob der Entwicklungsvektor für das Verhältnis zwischen Zentrum und Provinzen eher in Richtung Integration, Symmetrie und Gleichberechtigung der Gebietskörperschaften (Föderalisierung) oder in Richtung Separation, Asymmetrie und Sonderrechte für einzelne Herrschaftsterritorien (Imperium) weist. Eine Zwischenform zwischen beiden typologischen Herrschaftsformen lässt sich als „kooperatives Imperium“ beschreiben. Das kooperative Imperium zeichnet sich dadurch aus, dass die imperialen Faktoren in der Verfasstheit der politischen Ordnung überwiegen, allerdings in der politischen Praxis durch Faktoren relativiert werden, die auf Integration, Symmetrie und Gleichberechtigung zielen, darunter insbesondere institutionelle Kooperation und Angleichung gesellschaftlicher Unterschiede. Das Aufkommen eines kooperativen Imperiums widerspricht dem gängigen Bild vom Imperium als „Souveränitätsverband ohne Gemeinschaftsbasis“.7 Ob sich der Betrachterin oder dem Betrachter das Bild eines kooperativen Imperiums oder das einer „Zwangsintegration“8 bietet, hängt wesentlich von 5 Die Kategorie des „kooperativen Imperiums“ wird für die Habsburgermonarchie detailliert begründet und erläutert in Jana Osterkamp, Cooperative Empires. Provincial Initiatives in Imperial Austria, in: Austrian History Yearbook 47. 2016, S. 128 – 146. 6 Alexander J. Motyl, Thinking About Empire, in: Karen Barkey u. Mark von Hagen (Hg.), After Empire. Multiethnic Societies and Nation-Building. The Soviet Union and the Russian, Ottoman, and Habsburg Empires, Boulder 1997, S. 19 – 29; Stefan Berger u. Alexei Miller, Introduction. Building Nations in and with Empires. A Reassessment, in: dies. (Hg.), Nationalizing Empires, Budapest 2015, S. 1 – 30. 7 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 608; in Anlehnung an Michael W. Doyle, Empires, Ithaca, NY 1986, S. 36. 8 Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, S. 608. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 594 Jana Osterkamp der Perspektive ab, welche der Analyse imperialen Zusammenhalts zugrunde liegt. Gewalt, Recht, Militär, wirtschaftliche Integration durch großräumige Märkte und militärische Außenpolitik werden oft als „harte“ Faktoren herangezogen, als „weiche“ Faktoren Herrscherjubiläen, Militär- und Beamtenuniformen, Architektur, Symbole und Rituale.9 So wird einerseits auf den großen Umfang rechtlicher und militärischer Zwangsmittel hingewiesen, die zur Sicherung des imperialen Zusammenhalts genutzt wurden, und darauf, dass die Rechtsdurchsetzung Hand in Hand mit der latenten Androhung von Ausnahmezustand und militärischer Gewalt ging. Andererseits wird die Rolle von Symbolpolitik betont. Da es sich in beiden Fällen um vom imperialen Zentrum aus gesteuerte Prozesse handelt, ist es nicht überraschend, dass unter dieser analytischen Lupe Vergemeinschaftungs- und Kooperationsprozesse auf den unteren Herrschaftsebenen aus dem Blick geraten. Der Fokus auf Loyalitäten eröffnet demgegenüber eine größere Perspektivenvielfalt. Loyalitäten sind freiwillig eingegangene und auf Dauer angelegte soziale Bindungen, die sich an einem institutionellen oder persönlichen Gegenüber ausrichten und mit der Bereitschaft einhergehen, für diesen einzustehen. Auch Solidarität ist daher ein Aspekt im Loyalitätsgefüge.10 Die Vorteile des Loyalitätenansatzes seien im Folgenden kurz skizziert. Erstens: Loyalität bringt vertikale Bindungskräfte und damit Hierarchien zwischen Institutionen, Gruppen und Individuen auf einen Begriff, bildet aber ebenfalls horizontale Kohäsionskräfte ab. Imperialer Zusammenhalt wird demzufolge nicht nur vom Staat her, sondern auch aus Sicht der gesellschaftlichen Akteure gedacht. Zweitens: Loyalität ist eine soziale Kategorie für äußere Handlungen und innere Einstellungen, sie adressiert die Außenseite und Innenseite imperialer Integration. Während Macht- und Integrationsfaktoren wie Gewalt, Recht und Militär mit der Erwartung von Gehorsam korrespondieren, am Handeln ausgerichtet sind und Motivationen weitgehend ausblenden, steht die Beschäftigung mit Symbolen in der Gefahr, affektive Bindungen überzubetonen. Erst die Frage nach Loyalitäten führt beide Ebenen zusammen. Drittens: Loyalitäten lassen sich nicht obrigkeitsstaatlich durchsetzen. Das Imperium kann lediglich die Bedingungen schaffen, die der Entfaltung von Loyalitäten förderlich sind. Handlungen lassen sich erzwingen, nicht aber die innere Bereitschaft etwas zu tun. Loyalitäten sind daher ein Indikator, dass Imperien gewollt sind. Diese voluntaristische Komponente macht die herrschaftsstabilisierende Funktion von Loyalitäten aus. Der Wille zum imperialen Zusammenhalt wird in der Analyse von Loyalitätsdiskursen greifbar. Das hier gewählte Beispiel entstammt der Finanzgeschichte des ausgehenden Habsburgerreiches. Die Verhandlungen über einen Finanzausgleich zwischen dem Reich und den Kronländern der westlichen Reichshälfte (Cisleithanien) stehen für den Übergang von einer typologisch impe9 Ebd., S. 610 – 614. 10 Siehe hierzu die Einleitung in diesem Themenheft. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 595 rialen Herrschaftskultur, die auf Abschottung der Kronländer untereinander bedacht war, zu kooperativen, auf Gleichberechtigung und Loyalität beruhenden Handlungsformen. Ein Finanzausgleich adressiert und institutionalisiert unweigerlich Loyalitäten. Insbesondere die solidarische Bereitschaft zum Füreinander-Einstehen wird dabei deutlich, weil diese mit finanziellen Opfern verbunden ist. Breite politische Akzeptanz findet ein solches Modell nur dann, wenn es auf einem Loyalitätsgeflecht der Länder untereinander, aber auch zwischen Gesamtstaat und den Kronländern ruht. Finanzausgleiche brauchen auf mehreren Herrschaftsebenen das Bewusstsein für politische Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit. Anders gesagt, ein funktionierender Finanzausgleich braucht sowohl in imperialen als auch in föderalen Ordnungen Loyalität und Kooperation. Die Finanzgeschichte Cisleithaniens zeigt ein System gegenseitiger finanzieller Abhängigkeiten zwischen Reich, Kronländern, Gemeinden und den Steuerträgern sowie den politischen Rückzug des Reichs aus zentralen Politikarenen. Sowohl das Reich (Steuergesetzgebung) als auch die Kronländer und Gemeinden (Zuschläge) verfügten in der Habsburgermonarchie nach der Verfassung von 1867 über Finanzhoheitsrechte und konnten die Untertanen für die Kosten der öffentlichen Aufgaben heranziehen. Anders als im fiskalföderalen Trennsystem in den Vereinigten Staaten von Amerika des 19. Jahrhunderts, das bis heute praktiziert wird, standen sich die finanziellen Sphären von Reich und Gliedstaaten nicht unverbunden gegenüber. Und anders als im Deutschen Reich zwischen 1871 und 1918 war die Finanzordnung zentralistischer aufgebaut und wurde in erster Linie vom Reich und nicht von den Gliedstaaten bestimmt.11 Die Verschränkungen und Verflechtungen von öffentlichen Aufgaben und Ausgaben in der westlichen Hälfte der Habsburgermonarchie wiesen dabei auf eine Entwicklung der „neuesten Bundesstaatlichkeit“ voraus: Diese wurde erst im 20. Jahrhundert verfassungsrechtlich mit dem „kooperativen Föderalismus“ und fiskalpolitisch mit dem sogenannten Verbundsystem begrifflich gefasst und in der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise erst nach dem Jahr 1955 umgesetzt.12 I. Krise der öffentlichen Finanzen in der Habsburgermonarchie Die Finanzverhandlungen zwischen dem Reich und den westlichen Kronländern sowie zwischen den Kronländern untereinander nach 1905 bis zum Ende der Monarchie waren eng mit der Aushandlung von Loyalität verbunden. 11 Für einen Vergleich der historischen Modelle eines Finanzausgleichs vgl. Stefan Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Tübingen 1997. 12 Vgl. ebd., S. 360. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 596 Jana Osterkamp Anlass für die Verhandlungen über einen Finanzausgleich zwischen dem Reich und den Kronländern in Cisleithanien war eine schwere Krise der öffentlichen Finanzen in der Habsburgermonarchie um die Jahrhundertwende. Das Gesamtstaatsbudget hatte sich erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts unter dem Finanzminister der Taaffe-Regierung Julian von Dunajewski konsolidiert.13 Jahrzehntelang hatte die Habsburgermonarchie zuvor angesichts heftiger Finanzkrisen, Defizite und mehrerer Staatsbankrotte in der europäischen Finanzöffentlichkeit wenig Kredit genossen beziehungsweise nur zu sehr hohen Zinsen. Die immense Schuldenlast in den 1860er Jahren wurde in Österreich mit dem Ausspruch karikiert, Marokko komme wohl leichter an Geld, man sprach von einem „finanziellen Solferino“.14 Mit dem Verlust von Lombardo-Venetien in den Jahren 1860 und 1866 waren dem Gesamtstaat die Einnahmen von zwei fiskalisch ertragreichen Provinzen verlorengegangen.15 Die von Dunajewski eingeleitete Konsolidierung währte kurz. Nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina im Jahr 1908 stand die Monarchie erneut vor dem Bankrott.16 Gleichzeitig schnellten die Schulden der Kronländer um die Jahrhundertwende rasant in die Höhe. Die Tragweite dieser Länderverschuldung war neu. Noch bis in die 1880er Jahre hatte sich die Verschuldung der Kronländer in Grenzen gehalten, auch wenn deren Belastung alles andere als gering war. Wichtigstes Beispiel sind die Kosten für eine der wenigen Errungenschaften der Revolutionsjahre 1848 / 49: für die Abschaffung von Robot, Frondiensten und Leibeigenschaft. Die ehemaligen Untertanen, Reich und Länder teilten 13 Ferdinand Schmid, Finanzreform in Österreich, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 67. 1911, S. 1 – 149, hier S. 1. 14 Richard Charmatz, Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907, Bd. 2: Der Kampf der Nationen, Leipzig 1909. Als Schuldenstand für das Jahr 1863 werden von Charmatz 2,5 Milliarden Gulden bei einer Zinsenlast von 113 Millionen Gulden genannt, wobei die Grundentlastungsschuld von 522 Millionen Gulden hierbei nicht eingerechnet wurde, ebd. 15 Michael Pammer, Public Finance in Austria-Hungary 1820 – 1913, in: Jos Luis Cardoso u. Pedro Lains (Hg.), Paying for the Liberal State. The Rise of Public Finance in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2010, S. 132 – 161, hier S. 148. 16 Nach Schätzungen des Berichterstatters des Finanz- und Budgetausschusses des Abgeordnetenhauses Otto Steinwender betrug die Staatsverschuldung im Oktober 1911 12,24 Milliarden Kronen, für den Schuldendienst wurden jährlich ca. 530 Millionen Kronen aufgewendet. Um 1907 bewegten sich die Staatsschulden noch bei 9,8 Milliarden Kronen. Das jährliche Defizit erreichte 1911 nach Steinwenders Angaben 145 Millionen Kronen. Ein Indikator für die schwindende Finanzkraft war auch die Abwertung von Staatspapieren und staatlichen Hypothekarscheinen um insgesamt ca. 1 Milliarde Kronen von 1907 bis 1911. Diese Angaben beruhen auf einem Vortrag, den Steinwender im März 1911 im Saal der Wiener Urania hielt. Angaben dazu bei Vclav Vacek, Soustava dan rakouských. Dějiny rakouských financ v 19 stolet. Výklad a kritika platnho systmu bernho. Finančn problmy dneška. Positivn nvrhy k npravě, Prag 1912, S. 126 – 130. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 597 sich zu jeweils einem Drittel die Entschädigungen an die Grundbesitzer.17 Diese Schulden aus der Grundentlastung nahmen die Länderhaushalte fast vier Jahrzehnte lang in Anspruch.18 Erst im Jahr 1892 waren in den meisten Ländern die Grundentlastungsschulden getilgt.19 Das Königreich Böhmen hatte schon 1880 keine Schulden mehr.20 In der Folgezeit jedoch wuchs der Schuldenstand immer schneller an, nur wenige Kronländer wie das Land Salzburg gelangten schuldenfrei in das neue Jahrhundert.21 Nach Berechnungen der Länder lag das Defizit der Länderhaushalte im Jahr 1908 bereits deutlich über dem Staatsdefizit.22 Ein wichtiger struktureller Grund für die Landesschulden war der Umfang der Verwaltungsaufgaben und die fehlende finanzielle Ausstattung. Seit dem Ende der absolutistischen Ära im Jahr 1861 lagen viele Agenden, die vordem in gesamtstaatlicher Hand waren, in der Selbstverwaltung der Länder. Um die Staatskasse finanziell zu entlasten, behielt der Gesamtstaat allerdings nicht nur die eingesparten Ausgaben, sondern auch alle wichtigeren Finanzquellen in seiner Hand. Den Ländern wurde für ihre wiedergewonnene Autonomie keine finanzielle Unterstützung zugestanden.23 Wie ein Zeitgenosse rückblickend bemerkte, fiel dies anfangs nicht auf, weil die öffentliche Verwaltung ohnehin „dürftig“ gewesen sei und nicht viele Kosten verursache.24 In der Reichshoheit über die Finanzen lag ein wichtiger Unterschied zur Finanzordnung des Deutschen Reiches, das „Kostgänger“ der Bundesstaaten war.25 Mit der 17 Vgl. das Kaiserliche Patent vom 4. 3. 1849, RGBl. Nr. 152 / 1849 und das Kaiserliche Patent vom 15. 8. 1849, RGBl. Nr. 361 / 1849. 18 Eine Ausnahme bildeten Galizien und die Bukowina, die die Grundentlastungsschuld nicht bis 1892 ablösen konnten. Hier sprang der Staat ein. Vgl. Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographische Protokolle, 10. Session 1909, Beilage Nr. 943, Übereinkommen zwischen der Staatsverwaltung und der Landesvertretung des Königreiches Galizien und Lodomerien mit dem Großherzogtum Krakau behufs Regelung der Verhältnisse des Staates zu den Grundentlastungsfonden von Ost- und Westgalizien. 19 Hans Peter Hye, Strukturen und Probleme der Landeshaushalte, in: Adam Wandruszka u. a. (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 7. 2: Die regionalen Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1545 – 1592, hier S. 1556 f. 20 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 46. 21 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am 9. Juni 1907 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder betreffend die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1907, S. 22. Siehe auch Carl Chorinsky, Die Salzburger Landesfinanzen von 1871 bis 1878, Bd. 1: Die Landesfinanzen und die Schule, Salzburg 1880, S. 15. 22 Das Staatsdefizit war seit 1906 gestiegen, für das Jahr 1909 lag es nach dem Zentralrechnungsabschluss bei 87 Millionen Kronen, für 1910 betrug bereits das Gebarungsdefizit 53 Millionen Kronen, siehe Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 129 u. S. 147. 23 Ebd., S. 5. 24 Friedrich Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen (März 1908), in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 93. 1909, S. 43 – 63, hier S. 44. 25 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 309 – 324. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 598 Jana Osterkamp Finanzhoheit untermauerte die Wiener Regierung in vielen Fragen auch ihre politische Steuerungshoheit, sodass sie eine stärker vereinheitlichende Stoßrichtung verfolgen konnte als die Reichsregierung in Deutschland.26 Die politische Steuerungshoheit der Kronländer erschien anfangs noch überschaubar. Die Landesordnungen in der Habsburgermonarchie von 1861 sahen lediglich Landesanstalten und Landeskultur als den Wirkungskreis der Länder vor. Gemeint waren damit ein rudimentäres Schulwesen, wohltätige Landesstiftungen, Sanitätsauslagen und einige wenige Maßnahmen für die regionale Landwirtschaft.27 Die Dezemberverfassung von 1867 wies die Kosten für Polizei, Gesundheitswesen, Humanitätsanstalten und Armenpflege, Landeskultur und Volksschulwesen endgültig Ländern und Gemeinden zu, beließ allerdings wichtige Regelungskompetenzen beim Reich. Der Gesamtstaat regulierte große Verwaltungs- und Politikfelder wie etwa das Volksschulwesen, ohne für die Kosten seiner Anweisungen selbst aufkommen zu müssen. Auf gleiche Weise wurden auch andere, originär gesamtstaatliche Aufgaben aus den lokalen Kassen bestritten, so die Einquartierung von Gendarmerie und Heer, Kasernenbauten, Vorspanndienste und Impfleistungen. Das Reich ließ sich bei der Umschichtung seiner Aufgaben nicht vom Prinzip einer rationalen modernen Verwaltung leiten, sondern vom Grundsatz einer Entlastung des Budgets.28 Auch im Deutschen Reich waren Verwerfungen in der Finanzverfassung, die Reichsverschuldung und der Verlauf der Finanzströme zwischen Reich, Gliedstaaten und Gemeinden „nicht fiskalisch oder gar ökonomisch“, sondern „historisch und politisch motiviert“.29 Die Finanzordnung ist dabei ohne die politische Verfasstheit des Habsburgerreichs nicht zu verstehen. Nach dem Intermezzo der neoabsolutistischen Periode der 1850er Jahre setzte die Konstitutionalisierung mit dem Jahr 1867 spät ein und blieb fragmentarisch. Die Konstitutionalisierung der Habsburgermonarchie ging in einem mehrfachen Sinn nicht mit einer einheitlichen Konstitution einher. Der sogenannte österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 schuf zwei Reichshälften und sicherte den Ländern der ungarischen Krone (neben Ungarn auch Kroatien-Slawonien sowie Siebenbürgen) eine weitgehende Selbstständigkeit in der Gesetzgebung, Verwaltung und Regierung zu. In der ungarischen Hälfte galten Verfassungsgewohnheitsrechte nach dem Muster der englischen ungeschriebenen Verfassung. Für die nichtungarische Reichshälfte (Cisleithanien) wurde mit den fünf Staatsgrundgesetzen von 1867 eine fragmentarische Konstitution erlassen, die den nichtungarischen Kronländern Böhmen, Mähren und Schlesien, Galizien, Bukowi26 Auch im Deutschen Reich lässt sich allerdings die Entwicklung beobachten, das Finanzund Steuersystem vom Reich her einheitlich zu ordnen. Vgl. Albert Hensel, Der Finanzausgleich im Bundesstaat in seiner staatsrechtlichen Bedeutung, Berlin 1922, S. 127 f. 27 Schmid, Finanzreform in Österreich. 28 Ebd., S. 6. 29 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 324. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 599 na, Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg, Kärnten, Dalmatien und dem Küstenland mit Görz-Gradisca nicht nur eine Gleichberechtigung der Länder, sondern auch der sie bewohnenden Nationalitäten zusicherte. Allein die Politikfelder Verteidigung, Außenpolitik und Finanzen wurden als gemeinsame Angelegenheiten beider Reichshälften behandelt. Das bis 1867 für alle Provinzen der Habsburgermonarchie einheitliche Gesamtstaatsbudget wurde nun ebenfalls getrennt. Nach dem österreichischungarischen Ausgleich bestanden für beide Reichshälften unterschiedliche öffentliche Haushalte. Nur die Schulden des Reichs wurden gemeinsam verwaltet.30 Dieses komplizierte mehrstufige Verfassungssystem der Habsburgermonarchie führte in der Folge unter anderem auch dazu, dass Ungarn an den Verhandlungen eines Finanzausgleichs zwischen Reich und den Kronländern Cisleithaniens zwar nicht mit eigenen Vertretern beteiligt war, aber dennoch wesentlichen Änderungen der Finanzordnung Cisleithaniens zustimmen musste. Imperiale Asymmetrien, Separationsmechanismen und Sonderrechte bestanden nach 1867 nicht nur zwischen beiden Reichshälften, sondern auch im Verhältnis der Kronländer Cisleithaniens untereinander. Wichtigstes Beispiel ist das auf das Jahr 1868 zurückgehende Bündel von Sonderrechtsvereinbarungen für den territorial größten Gliedstaat Cisleithaniens: die sogenannte galizische Autonomie. Die Hierarchisierung politischer Räume ging – trotz der verfassungsrechtlich verbürgten Gleichberechtigung der Kronländer und Nationalitäten – mit einer Hierarchisierung von Bevölkerungsgruppen einher. Überspitzt ausgedrückt, genossen in Ungarn die Magyaren und Kroaten, in Galizien die Polen, in Böhmen, der Steiermark und Kärnten die Deutschen, im Küstenland, Dalmatien und Triest die Italiener eine privilegierte Stellung. Eine zusätzliche Schlagseite in Richtung imperialer Asymmetrie erhielt die Habsburgermonarchie durch das 1878 okkupierte und 1908 annektierte BosnienHerzegowina. Diese Region wurde keiner der beiden Reichshälften zugeordnet und verblieb im Status einer Kolonie. Bosnien-Herzegowina kam weder in den Genuss der grundlegendsten Mitbestimmungsrechte an der Reichspolitik noch der für die anderen Gliedstaaten vorgesehenen Finanzhoheitsrechte.31 In den Jahrzehnten nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich nahm die politische Macht der Kronländer Cisleithaniens nicht nur vereinzelt durch die Gewährung von Sonderrechten zu, sondern vervielfachte sich im Zuge der Konstitutionalisierung für alle Länder. Das Anwachsen der politischen Macht der Kronländer ging mit einer politischen Schwäche des Reichs einher, dessen Hände einerseits durch überbordende Ausgaben für Militär und Schulden30 Pammer, Public Finance in Austria-Hungary, S. 139. 31 Aus den gemeinsamen Zolleinnahmen von Österreich und Ungarn erhielt es einen Teil überwiesen. Pammer, Public Finance in Austria-Hungary, S. 140. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 600 Jana Osterkamp dienst und andererseits durch die parlamentarische Budgetkontrolle gebunden waren.32 Viele Politikfelder wurden nun von den Kronländern Cisleithaniens bespielt, die es sich leisten konnten beziehungsweise bereit waren, Schulden zu machen. Eine mit dem Reich vergleichbare, parlamentarische Budgetkontrolle bestand hier wegen der ausbleibenden Konstitutionalisierung der Kronländer nicht. Die Länder betrieben in Eigenregie eine teure Vermehrung ihrer Agenden. Sie waren Getriebene in einer sich gegenseitig verstärkenden Dynamik von Modernisierung, Nationalisierung und Politisierung. Um die Jahrhundertwende berührte der Tätigkeitsbereich der Länder schon weite Felder der Moderne.33 Angesichts der „Dürftigkeit“ der Landesverwaltungen noch in den 1860er Jahren, hatte die Autonomie auch wegen ihrer anfangs noch unversehrten Finanzkraft einen „gewaltige[n] Aufschwung des öffentlichen Lebens geraume Zeit hindurch“ zur Folge.34 Die neu erschlossenen Tätigkeitsfelder wurden von den Zeitgenossen ausdrücklich begrüßt. So bezeichnete es der Verwaltungsexperte Josef Redlich 1907 im Abgeordnetenhaus als erfreulich, „daß in Österreich endlich begonnen worden ist, im modernen Sinn die Verwaltung zu führen und zu verstehen“.35 Hierin kündigt sich eine für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts typische Entwicklung an: eine Mehrung öffentlicher Güter und damit „mehr Staat“ auch um den Preis wachsender öffentlicher Ausgaben und Schulden zu bejahen, wenn nicht zu forcieren.36 Die Kronländer verbesserten mit Straßen, Eisenbahnen und Elektrizitätswerken ihre Infrastruktur, indem sie das vom Reich unterhaltene Straßen- und Bahnnetz ergänzten und erweiterten. Sie reagierten mit neuen Schul- und Bildungsformen auf die reichsweite Ausdifferenzierung von Berufsfeldern und trugen etwa mit der Gründung von Landwirtschaftsschulen in Mähren oder Weinbauschulen in Kärnten zur Hebung ihres Agrarsektors bei. Arbeitsvermittlungsstellen und Fürsorgeeinrichtungen der Länder unterstützten die soziale und wirtschaftliche Mobilität in Folge der erheblichen Binnenarbeitsmigration im Habsburgerreich. Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen und Krankenkassen entsprachen den gestiegenen Standards an Hygiene und das Gesundheitswesen; die Länder gaben damit zugleich eine Antwort auf das lange Ausbleiben einer einheitlichen Reichssozialgesetzgebung. Landesban32 Ebd., S. 140 – 157. 33 Dazu und zum Folgenden siehe Georg Schmitz, Organe und Arbeitsweise, Strukturen und Leistungen der Landesvertretungen, in: Adam Wandruszka u. a. (Hg.), Die regionalen Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1353 – 1544, hier S. 1541 f. 34 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 23. 35 Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographisches Protokoll, 4. Sitzung der 28. Session vom 27. 6. 1907, S. 126. 36 Zu dieser „Erweiterung des Staatskorridors“ vgl. Hans-Peter Ullmann, Die Expansionskoalition. Akteure und Aktionen in der bundesdeutschen Finanz- und Schuldenpolitik der 1970er Jahre, in: GG 41. 2015, S. 394 – 417. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 601 ken und Hypothekenanstalten, zuerst in Böhmen, dann bald fast in allen Kronländern, deckten den Finanzbedarf insbesondere von Kleingewerbe und Landwirtschaft. Bei der Vergabe günstiger, von Reich und Kronländern gemeinsam finanzierter Meliorationsdarlehen zur Bodenverbesserung waren sie nicht hinwegzudenken und erlangten insgesamt einen beherrschenden Einfluss auf die Landespolitik.37 Im Deutschen Reich umfasste die Verwaltungshoheit der Gliedstaaten ähnliche Gebiete, darunter die öffentliche Fürsorge, Kulturaufgaben, einen Teil des Polizeiwesens sowie den Bau und Unterhalt von Straßen, Kanälen und Deichen. Allerdings stand ihnen mit dieser Verwaltungshoheit zugleich die Finanzhoheit zu.38 Die Länder Cisleithaniens gestalteten ihre Agenden freiwillig. Ihre Entwicklung vollzog sich daher in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Als besonders investitionsfreudig galten Niederösterreich, Salzburg, Böhmen und Galizien.39 Galizien versuchte, sich mit hohen Investitionsschulden und einer eigenen Landesindustriebank aus seiner rückständigen Stellung im Reich zu befreien, wurde es doch von „Industriellen und Kaufleuten der westlichen Kronländer […] von Alters her als eine Art Kolonialland“ behandelt.40 Diese Länder fühlten sich gegenüber der Modernisierungsagenda in der Pflicht. Sie waren Schuldner der Moderne. Andere Kronländer wie Kärnten und Vorarlberg vermieden Schulden für Investitionen, ließen durch diese Politik des Nichtinvestierens aber das Potenzial für eine zum Beispiel mit Fremdenverkehr und Landwirtschaft besser zu vereinbarende Infrastruktur ungenutzt.41 Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung vertiefte die Ungleichheit zwischen den Ländern. Kooperation und Abstimmung fanden in diesen Politikarenen nur selten statt. Die Länder waren nicht nur Schuldner der Moderne, sie machten auch Schulden für die Nation. Gerade in Ländern mit einer ausgeprägten nationalpolitischen Agenda konnte jeder Bau eines Elektrizitätswerkes, einer Schule, einer Straße, einer Lokalbahn zum Politikum und Symbol nationaler Interessen werden. In den gemischtsprachigen Kronländern der Monarchie wurde es üblich, dass die jeweils an der Spitze der Landesverwaltung stehende nationale Majorität für ihre Angehörigen aus den Landesmitteln das meiste herauszuholen suchte. Häufig wurde dieses Ziel erst dann oder zumindest leichter dadurch erreicht, dass auch die anderen Nationalitäten mit Gaben aus dem Landesbudget zufriedengestellt wurden.42 Beliebter Austragungsort für 37 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 12 f. 38 Hans Stumpp, Die Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland von 1871 bis zur Gegenwart, Diss. Universität Würzburg 1964, S. 23. 39 Hye, Strukturen und Probleme der Landeshaushalte, S. 1577. 40 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 55. 41 Ebd., S. 47. 42 Ebd., S. 32 f. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 602 Jana Osterkamp diesen nationalen Wettstreit war das Schulwesen.43 Anzahl, Art und Kosten der Schulen in den betroffenen Ländern stiegen erheblich an, in Böhmen lag beispielsweise die Anzahl der Bürgerschulen mit 550 im Jahr 1906 weit über der vom Land ursprünglich vorgesehenen einen Bürgerschule pro Schulbezirk.44 Auch kleinere Verwaltungsaufgaben wurden national getrennt finanziert und verwaltet, so Feuerwehr und Tierseuchenbekämpfung in Tirol.45 Schreckgespenst dieses „nationalen Ausgabendualismus“ waren für viele Finanzpolitiker Böhmen und Mähren, wo „jeder Krone, die für deutsche Zwecke bewilligt wird, mindestens eine Krone für tschechische Zwecke gegenübergestellt werden muß.“46 Die Trennung in eine tschechische und in eine deutsche Selbstverwaltung hatte zur Folge, wie Milan Hlavačka in seiner Studie zur Selbstverwaltung in Böhmen gezeigt hat, dass nicht mehr Kronland und Kommunen, sondern nach 1900 der jeweilige Nationalrat mit den Kommunen kooperierte.47 Die nationale Segmentierung der Verwaltung führte hier dazu, dass die Kommunikation zwischen den einzelnen Ressorts auf Landesebene nur ungenügend funktionierte.48 Ein politisches Loyalitätsbewusstsein konnte auf diese Weise nicht entstehen. Wo nicht die Nationalitätenpolitik die Kosten der Länder in die Höhe trieb, war es der Kampf um Wählerstimmen. Beobachter bedauerten angesichts der Länderfinanzkrise, dass die Landtagsabgeordneten sich „ausschließlich als Abgeordnete ihres Wahlkreises [fühlten], das Land erscheint ihnen als ein Objekt, das ausgebeutet werden soll“.49 Andere sprachen von „der geradezu panischen Angst mancher Landtage, den Einfluß auf die Wählerscharen zu verlieren“.50 Die Wähler der Landtage der westlichen Kronländer waren dabei nicht mit den Wählern der allgemeinen Reichsratskammer gleichzusetzen, dem Abgeordnetenhaus Cisleithaniens. Während sich das Abgeordnetenhaus in Wien seit 1907 aufgrund des allgemeinen männlichen Wahlrechts zusammensetzte und ein breit legitimiertes Verhandlungsforum für soziale und nationale Fragen bot, hatten die Landtage noch vielfach den Charakter von neuständischen Gremien. Nach 1907 gelang es der österreichischen Sozialdemokratie, Finanztransfers vom Reich an die Kronländer zu stoppen, um ihrer Forderung nach einer Verbreiterung der Wählerschichten auch auf Länder43 W. Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, in: Finanzarchiv 25. 1908, S. 176 – 181, hier S. 177. 44 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 29. 45 Paul Kompert, Die Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, in: Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich 34. 1910, S. 139 – 150, hier S. 144. 46 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 52. 47 Milan Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy. Samosprva a jej vliv na hospodřský, sociln a intelektuln rozvoj Čech 1862 – 1913, Prag 2006, S. 30 f. 48 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 32. 49 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 53. 50 Kompert, Die Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, S. 147. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 603 ebene Nachdruck zu verleihen. Das Prinzip „no taxation without representation“, das heißt die Notwendigkeit der demokratischen Legitimation der parlamentarischen Budgetkontrolle einerseits und der parlamentarischen Entscheidung für Staatsschulden andererseits, wurde von ihnen bereits mit großer öffentlicher Wirkung formuliert.51 Die problematische Verflechtung von Parteipolitik und Landesfinanzen in Cisleithanien hatte allerdings auch strukturelle Gründe, die in einer fehlenden Konstitutionalisierung der Gliedstaaten lagen. Der Konstitutionalisierung auf Reichsebene in den 1860er Jahren stand keine vergleichbare Konstitutionalisierung in den Kronländern zur Seite. Der Grundsatz „no taxation without representation“ war nicht garantiert. Die Verabschiedung der Landeshaushalte unterlag kaum Regeln. Der Landeshaushalt war kein Gesetz wie auf Reichsebene. Er war unverbindlich und unterlag keiner unabhängigen Kontrolle. Die Landesrechnungsabschlüsse am Ende eines jeden Jahres rechneten zwar Ausgaben und Einnahmen gegeneinander auf und wiesen den Schuldenstand des Landes aus, sie waren jedoch nicht öffentlich. Publizität und Transparenz in Haushaltsfragen waren den Landespolitikern fremd. Maßnahmen für eine Begrenzung der kommunalen Schulden wie die Drosselung von Ausgaben, Defizitschranken und Tilgungspläne, wie sie im Deutschen Reich in Preußen und Sachsen teilweise eingeführt worden waren, existierten nicht.52 Die in die gleiche Richtung weisenden Regelungen der Verfassungsentwürfe von Franz Stadion und dem Kremsierer Parlament um 1848 / 49 wurden später nicht mehr aufgegriffen.53 Selbst wenn die für die Budgetaufstellung verantwortlichen Landesausschüsse vom Schuldenmachen abrieten, hieß dies noch lange nicht, dass die Landtage ihnen hierin folgten.54 Einer der schwerwiegendsten strukturellen Mängel bestand in der fehlenden Unabhängigkeit des für den Landeshaushalt zuständigen Finanzreferenten. Er war ein Landesparlamentarier unter anderen und damit ebenso abhängig von Parteimehrheit und Wählergunst wie diese.55 Ein Beispiel für die lokal- und parteipolitischen 51 Zur Geschichte von Staatsschulden aufgrund von parlamentarischen Entscheidungsprozessen vgl. Themenheft „Staatsverschuldung“, GG 41. 2015, H. 3, hg. von Julia Rischbieter und Hans-Peter Ullmann. Vgl auch Michael Pammer, Entwicklung und Ungleichheit. Österreich im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002; Harm-Hinrich Brandt, Der österreichische Neoabsolutismus. Staatsfinanzen und Politik 1848 – 1860, Göttingen 1978. 52 Paul Grünwald, Zur Finanzstatistik der autonomen Selbstverwaltung in Österreich, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung 19. 1910, S. 68 – 119, hier S. 68. 53 Johann Jarolim, Reform der Errichtung des Landesvoranschlages sowie der Führung und Kontrolle des Landeshaushaltes, in: Neue Freie Presse, 29. 9. 1910. 54 Moravský zemský archiv v Brně [im Folgenden MZA], Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských finance, Vermerk vom Finanzreferenten des mährischen Landesausschusses an das k. k. Finanzministerium, 29. 4. 1909, o. fol. 55 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 52. Kompert, Die Reform der Budgetierung in den österreichischen Landesfinanzwirtschaften, S. 146. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 604 Jana Osterkamp Einflüsse war der Ausbau der Lokalbahnen, zum Beispiel in Böhmen. Böhmen hatte im Jahr 1892 von der Steiermark ein Eisenbahnförderungsgesetz übernommen.56 In der Hoffnung, mit dem Bau von Bahnen die lokale Wirtschaft zu fördern, gewährte das Land zinslose Darlehen, Subventionen oder garantierte die Tilgung eines Teils des Grundkapitals. Dabei etablierte sich bei der Geldvergabe ein geradezu ritualisiertes System politischer Einflussnahme.57 Bis zum Jahr 1902 konnte in Böhmen lediglich eine Lokalbahn mit ihren Einnahmen die jährlichen Zinsen an das Land decken, die Auslastung der Züge bewegte sich im Durchschnitt bei nur acht Personen.58 Wie schon in der Steiermark wurde die Eisenbahnförderung für Böhmen zu einem finanziellen Desaster. Die Kostenspirale von Modernisierung, Nationalisierung und Politisierung, gepaart mit einem für die Kronländer Cisleithaniens überaus ungünstigen öffentlichen Finanzsystem, führte schließlich dazu, dass viele Länder ihre Schulden nicht aus eigener Kraft bewältigen konnten. In mehreren Kronländern hatte sich die Gewohnheit eingespielt, einen großen Teil der jährlichen ordentlichen Ausgaben über Kredite zu decken.59 Für Schuldenstand und Schuldentilgung hatte dies verheerende Folgen. Zum Jahresende 1907 betrug der Schuldenstand in den am höchsten verschuldeten Kronländern wie Böhmen bereits 108 Millionen, Galizien 77 Millionen und in Mähren 41 Millionen Kronen.60 Die Kronländer rechtfertigten das Schuldenmachen damit, dass sie die Leistungskraft ihrer Bevölkerung durch immer neue Umlagen, Zulagen und Landessteuern längst überdehnt hatten. Tatsächlich hatten die durch die Kronländer erhobenen Zulagen auf Reichssteuern zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits die Höhe des Reichssteuereinkommens erreicht und sich seit der Einführung der Landesautonomie 1861 um 420 Prozent gesteigert.61 Weil die Länder nicht auf bestimmte Gegenstände eigene Steuern erheben konnten, sondern nur Zulagen auf bestehende Reichssteuern, führte dies zu einer Doppelbelastung der Steuerzahler. Eine gewisse Rolle bei der Zurückhaltung der Länder, die Zulagen noch weiter zu steigern, spielte allerdings auch der Umstand, dass gegenüber der eigenen Wählerschaft neue Schulden als nicht ganz so unpopulär galten wie neue Landessteuern. Leitend für solche politischen Handlungsweisen war das Eigeninteresse des jeweiligen 56 Gesetz vom 11. 2. 1890, wirksam für das Herzogthum Steiermark, betreffend die Förderung des Localeisenbahnwesens, LGBl. Nr. 22 / 1890. Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy, S. 118 – 122. 57 Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy, S. 125. 58 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 29 f. Hlavačka, Zlatý věk česk samosprvy, S. 125. 59 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 42. 60 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 178. 61 Vgl. die exzellente Studie von Erwin Steinitzer, Die jüngsten Reformen der veranlagten Steuern in Österreich. Eine historisch-kritische Studie, Leipzig 1905, S. 16 u. S. 20. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 605 Landes, keineswegs über die Landesgrenzen hinausreichende, auf die anderen Kronländer oder auf das Reich bezogene Loyalitäten. Diese Rechnung war kurzlebig. Die Schuldenspirale aus Neuverschuldung und Schuldentilgung zeigte sich im Fall Mähren besonders eklatant. Mährens Landeshaushalt hatte in den Jahren 1903 bis 1905 noch Überschüsse erzielt.62 Für das Jahr 1911 rechnete der Finanzreferent mit einem Gesamtvolumen der Schulden von einhundert Millionen, also mit mehr als einer Verdoppelung gegenüber 1907.63 Waren für die Bedienung der Schulden im Jahr 1904 schon 1,5 Millionen Kronen notwendig geworden,64 wurden für Tilgungen und Verzinsungen 1911 bereits 5,9 Millionen Kronen veranschlagt. Das entsprach 22 Prozent der Landesumlagen auf die direkten Steuern. Gleichzeitig schloss der ordentliche Haushalt in diesem Jahr erneut mit einem hohen Defizit. Nur zwei Drittel der ordentlichen Ausgaben waren durch ordentliche Einnahmen gedeckt. Die Rüge des k. k. Statthalters in Mähren hiergegen zeitigte keine Folgen.65 In Mähren wurde die Belastung für Land und Steuerzahler schließlich so groß, dass private Verbände und öffentliche Kommunen im Jahr 1914 öffentlich protestierten.66 Neu war an diesen, bei neuen Steuerumlagen nicht unüblichen Protesten, dass sie die öffentliche Hand ausdrücklich zum Sparen aufforderten und die für die Schulden verantwortlichen „Subventionen für Einzelpersonen und Verbände“ sowie die teuren Landesbauten kritisierten.67 Von Sparen war in den Auseinandersetzungen über die öffentlichen Finanzen zuvor nicht gerade oft die Rede gewesen. 62 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, LT.-Drs. Nr. 220 / 1907, Überblick über den Stand der Landesfinanzen 1896 – 1908 in Mähren, o. fol. 63 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk des Landesausschuss Mähren an den Landtag zum Budgetdefizit für das Jahr 1911, 27. 9. 1910, o. fol. 64 MZA, Sign. A 11 Zemský sněm K. 454b., L. H. Nr. 473 / 1907, Zusammenstellung der in den Rechnungsabschlüssen für das Jahr 1904 nachgewiesenen wichtigeren Zweige des Landeshaushaltes in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern, fol. 234 – 237. 65 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk des k. k. Statthalters in Mähren an den Mährischen Landesausschuss im Auftrag des Finanzministeriums, 22. 6. 1910, o. fol. 66 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Petitionen der „organisierten deutschen Landwirte“, des Spolek majitelů domů v Brně (Brünner Verein der Hauseigentümer), der Handels- und Gewerbekammer Brünn und der Landgemeinden, o. fol. 67 So MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financi, Petition der Landgemeinden gegen neue Umlagen und Schulden, „Velmi neutěšen krise zemských financ…“ (Die höchst unerfreuliche Krise der Landesfinanzen…), o. fol. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 606 Jana Osterkamp Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. II. Finanzausgleich in der Habsburgermonarchie – die Länderkonferenzen als Option auf Herrschaftswandel Die Krise der Länderfinanzen zwang Kronländer und Reich zur Zusammenarbeit. Erste Reformschritte unternahm das k. k. Finanzministerium. In 1892 organisierte das Ministerium eine Länderkonferenz, als deren Ergebnis den Kronländern Cisleithaniens ein Anteil an der Branntweinsteuer zugesprochen wurde. Im Jahr 1898 führte die vorangegangene Reform der Personeneinkommensteuer zu einem neuen, systematisch durchdachten Modell des Finanzausgleichs.68 Die Kronländer verzichteten auf ihr Recht, auf diese Reichssteuer Zuschläge zu erheben und erhielten im Gegenzug eine feste Quote der Einnahmen. Darin lag ein wichtiger Versuch, wie zeitgleich auch im benachbarten Deutschen Reich, die finanziellen Sphären von Reich und Gliedstaaten klar zu trennen.69 Für das eigentliche Finanzproblem der Kronländer Cisleithaniens war nur eine kurzfristige Lösung gefunden. In der Folge fanden die Kronländer Cisleithaniens selbst zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Das Forum hierfür bildeten die sogenannten Länderkonferenzen über die Sanierung der Landesfinanzen, die in den Jahren 1905 bis 1909 für die cisleithanische Reichshälfte in Wien stattfanden. Den Anstoß hatte der Landesausschuss Mähren noch zu einem Zeitpunkt gegeben, als das mährische Desaster in seiner ganzen Tragweite nicht abzuschätzen war. Die Verhandlungsdokumente über den geplanten Reichs-Länder-Finanzausgleich veranschaulichen deutlich die Möglichkeiten und die Grenzen einer Kooperation im Habsburgerreich und die Möglichkeiten und Grenzen gegenseitiger Loyalitäten. Der Finanzausgleich des Reichs mit Ungarn, die Quote, das heißt der Ausgleich der Kosten für die gemeinsamen Angelegenheiten beider Reichshälften, blieb von diesen Verhandlungen unberührt. Nach dem imperialen Selbstverständnis der Regierung in Wien handelte es sich dabei um eine bilaterale Angelegenheit. Beide Formen des finanziellen Ausgleichs, zwischen dem Reich und Ungarn sowie zwischen dem Reich und Cisleithanien, blieben lediglich mittelbar aufeinander bezogen. Reichsratsvertreter mussten in der österreichischen Delegation die Quote für die Finanztransfers zwischen Österreich und Ungarn absegnen. Die Ungarn mussten wegen des Verbots von Wettbewerbsverzerrungen zugleich Änderungen des Steuer- und Finanzsystems in Cisleithanien mittragen. Für dieses komplexe Gefüge finanzieller Transfers in der gesamten Habsburgermonarchie ist dennoch eher die Charakterisierung als Koordination treffend, weniger der Modus von Kooperation. 68 Zur ersten großen Finanzreform von 1896 vgl. Pammer, Public Finance in AustriaHungary, S. 146 f. 69 Vgl. Steinitzer, Die jüngsten Reformen der veranlagten Steuern in Österreich. Siehe auch Stumpp, Die Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland, S. 37. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 607 Die Debatte um die Sanierung der Landesfinanzen in Cisleithanien enthielt hingegen deutlich eine Option auf Herrschaftswandel.70 Sie zeigte die Möglichkeit auf, von einer auf Trennung der einzelnen Länder- und Herrschaftssphären setzenden imperialen Herrschaftskultur zu Formen politischer Kooperation überzugehen. In den stenografischen Berichten, Protokollen und Aktenvermerken der westlichen Kronländer und des k. k. Finanzministeriums über einen Finanzausgleich finden sich in dieser Phase des Übergangs typologisch sowohl imperiale als auch föderale Faktoren: Kooperationsbereitschaft unter peers einerseits und das Festhalten an einer radialen Herrschaftsordnung andererseits. Kam es für das Funktionieren einer solchen radialen imperialen Herrschaft vorrangig auf die vertikalen Loyalitätsbeziehungen zwischen Zentrum und jeweiliger Peripherie an, so waren die Loyalitäten in einem kooperativen Imperium vielfältiger und auch horizontal angelegt. Sie mussten sich auch auf die Ebene zwischen den Kronländern beziehen und, da eine finanzpolitische Vernetzung für Geberländer finanzielle Opfer mit sich bringen würde, belastbar sein. Die Initiative Mährens traf in fast allen Kronländern auf offene Ohren. Für das in der Einladung Mährens prägnant zusammengefasste strukturelle Finanzproblem, dass der zunehmende Umfang der Landesaufgaben bei gleichbleibend niedrigem Etat immer höhere Schulden, Landessteuern und -abgaben nach sich ziehe, sollte nach einer einheitlichen Lösung gesucht werden.71 Der niederösterreichische Landesausschuss stellte für die Konferenzen sein Wiener Landeshaus zu Verfügung. An der ersten Länderkonferenz im Februar 1905 nahmen bis auf Görz und Gradisca alle Kronländer, ein Abgesandter der Residenzstadt Wien sowie aus dem k. k. Finanz- und Innenministerium Vertreter der Regierung teil. Diese erste Zusammenkunft stellte ein ehrgeiziges Beratungsprogramm auf. Eine Siebzehnerkommission der Länder sollte in Anlehnung an Vorarbeiten des Mährischen Landesausschusses Gutachten erarbeiten, um bereits im Juni 1905 erste Sanierungsgrundsätze vorzulegen. Das k. k. Finanzministerium versprach eine eigene neue Abteilung, um 70 So bereits Hye, Die „Länderkonferenz“, S. 281 f. 71 Vgl. Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am 16., 17. und 18. Februar 1905 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder betreffend die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1905; Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1907; Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer. Zum Folgenden siehe die Arbeiten von Hye, Die „Länderkonferenz“; ders., Strukturen und Probleme der Landeshaushalte. Für diesen Aufsatz wurden zusätzlich weitere umfangreiche Archivbestände, insbesondere des Mährischen Landesarchivs (MZA), zu dieser Frage ausgewertet. Vgl. hier zunächst MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2772 Sign. M 3 / 1 Conf. prava zemských financ, LTDrs. 97 / 1905, Bericht des mährischen Landesausschusses, betreffend die Regelung der Landesfinanzen, o. fol.; sowie Österreichisches Staatsarchiv [im Folgenden OeStA], Finanz- und Hofkammerarchiv [im Folgenden FHKA], Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 24352 / 1905, Einschätzung des k. k. Finanzministeriums, 10. 4. 1905. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 608 Jana Osterkamp ebenfalls ein Sanierungsmodell zu entwerfen. In der Zwischenzeit erhielten die Landesausschüsse für die Verhandlungen ein Mandat ihrer jeweiligen Landtage. Allgemein wuchs bei den Ländern das Bewusstsein dafür, dass die gemeinsame Durchsetzung der finanzpolitischen Interessen weitaus mehr Erfolg versprach als vereinzelte landespolitische Vorstöße. Das eingeschlagene Tempo der Beratungen geriet bald ins Stocken. Eine für Oktober 1905 vorgesehene Länderkonferenz fand nicht statt, die hierfür erstellten Referate zirkulierten offenbar trotzdem. Das k. k. Finanzministerium forderte von den Ländern zunächst noch statistisches Material ein, gab dann aber keine Auskünfte mehr nach außen. Intern gestalteten sich dort die Vorarbeiten und Studien zu den einzelnen Landeshaushalten, aber auch die Absprachen zwischen den einzelnen Referaten des Ministeriums, langwierig und schwierig.72 Im Jahr 1906 geschah nichts. Erst bei den Budgetberatungen für die Landeshaushalte 1907 kam man in mehreren Landtagen auf das in Aussicht gestellte Sanierungsprogramm und dessen Stagnation in Wien zurück.73 Schlesien und Niederösterreich mahnten bei der Regierung den Fortgang der Verhandlungen an.74 Alle Kronländer übergaben ihren Vertretern im neu gewählten Abgeordnetenhaus und im Herrenhaus des Wiener Reichsrats eine untereinander abgesprochene Resolution über die Dringlichkeit, einen Weg aus der Finanzkrise zu finden.75 In seiner Thronrede zum Jahr 1907 versprach der Kaiser den Ländern Entgegenkommen.76 Der öffentliche Druck zeigte Wirkung. In einer Enquete des Finanzministeriums zu den Landesfinanzen im Herbst 1907 wurden mit den Vertretern der Länderkonferenzen, Wissenschaftlern und Finanzbeamten Grundsätze einer Finanzsanierung besprochen, die Länder hatten sich zuvor auf Länderkonferenzen im Juni und September über ein gemeinsames Vorgehen verständigt.77 Danach gelangte die Angelegenheit in den Reichsrat. Im Jahr 1910 standen die Chancen für einen Länderfinanzausgleich schließlich nicht schlecht. Das k. k. 72 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u. Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen. 73 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Beschluss des Landtags Schlesien vom 15. 3. 1907 u. Beschluss des Landtags Salzburg vom 12. 3. 1907, o. fol. 74 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 44437 / 1907. 75 Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten [im Folgenden NÖLA], Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesausschusses, Reg. I / 10, Stammzahl 1138 / 1907, Sanierung der Landesfinanzen, Beschluss der Ländervertreter. Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographisches Protokoll, 18. Session, 3. Sitzung vom 25. 6. 1907, S. 62 f., 4. Sitzung, S. 119 – 136 u. 5. Sitzung, S. 275 – 281. 76 Thronrede Kaisers Franz Joseph I., gehalten bei der feierlichen Eröffnung des Reichsrates am 19. 6. 1907, in: Abgeordnetenhaus (Hg.), Stenographisches Protokoll, 18. Session. 77 NÖLA, Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesauschusses, Reg. I / 10, Stammzahl 1138 / 1907, Sanierung der Landesfinanzen. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 609 Finanzministerium kam den Kronländern entgegen und die Beratungen kamen durch Gesetze über die Erhöhung der Branntweinsteuer und die Überweisung dieser Mehreinnahmen an die westlichen Kronländer zu einem Abschluss. Wegen der Annexion Bosniens 1908 war die Gesamtmonarchie nun selbst in finanzieller Bedrängnis, sodass die finanziellen Vorteile aus dem Finanzausgleich für die Länder geringer ausfielen als erwartet. Das Gesamtdefizit der Länder wurde verringert, jedoch nicht beseitigt. Diese Regelung wurde besonders von den Kronländern daher als provisorisch angesehen. Ein neuerlicher Vorstoß des Landesausschusses Bukowina zu Länderkonferenzen über die Finanzfrage vom März 1914 wurde nach Kriegsausbruch nicht weiter verfolgt.78 Gleichzeitig war mit den Kriegskosten jeder weitere Versuch einer Entschuldung der Länder zum Scheitern verurteilt.79 Die Option auf Herrschaftswandel durch die Länderkonferenzen wird in diesem letztgenannten Dokument des Bukowinaer Landesauschusses besonders deutlich. Eingangs wird betont, dass „ohne ein solidarisches Vorgehen aller Landesausschüsse eine für die Landesfonde günstige, dauernde Regelung des Verhältnisses zwischen Staats- und Landesfinanzen‘ kaum zu gewärtigen ist.“80 Im Anschluss daran wird eine Vergemeinschaftung der Schulden „unter Solidarhaftung der Länder“ vorgeschlagen, um die Kreditwürdigkeit der westlichen Kronländer auf dem freien Kapitalmarkt zu erhöhen.81 Gegenüber den Länderverhandlungen der Vorjahre, in denen hauptsächlich verschiedene Modelle für einen Reichs-Länder-Finanzausgleich diskutiert worden waren, hat dieser Vorschlag eine andere Stoßrichtung. Der Landesausschuss Bukowina entwickelte eine Idee fort, die im Jahr 1905 bereits das Land Salzburg angesprochen hatte. Salzburg hatte seinerzeit die anderen Länder zu einem Akt der „Selbsthilfe“ aufgerufen und die Gründung eines „Länder-VorschussFonds“ angeregt, um durch Naturkatastrophen und Missernten hervorgerufene Engpässe in den Landeshaushalten kurzfristig auffangen zu können.82 Dass dieser Gedanke einer Risiko- und Schuldengemeinschaft überhaupt möglich war, zeugt von einem gewandelten Verständnis von Herrschaft in den Kronländern: Beide Vorschläge, auch wenn sie nicht umgesetzt wurden,83 78 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk des Landesausschusses Bukowina an den Landesausschuss Mähren vom 3. 3. 1914, Az. 4921 / 1914, o. fol. 79 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2640 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Aufstellung des Landesausschuss Mähren über den Einfluss des Krieges auf die autonome Finanzwirtschaft, Tabelle für das k. k. Finanzministerium, ca. 1918, fol. 922. 80 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vermerk des Landesausschusses Bukowina an den Landesausschuss Mähren vom 3. 3. 1914, Az. 4921 / 1914, o. fol. 81 Ebd. 82 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2772 Sign. M 3 / 1 Conf. prava zemských financ, Vorschlag des Landes Salzburg für einen „Länder-Vorschuss-Fonds“, ca. 1905, o. fol. 83 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 41834 / 1906, Vermerk aus dem Finanzministerium, 1. 6. 1906. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 610 Jana Osterkamp richteten sich auf eine Verstärkung der politischen Ebene der Kronländer untereinander. Es wäre dadurch nicht nur die horizontale Kooperation gestärkt, sondern auch eine Art Solidargemeinschaft der Länder institutionalisiert worden. Demgegenüber blieb die im System der Habsburgermonarchie sonst so präsente vertikale, imperiale Herrschaftsebene zwischen Wiener Regierung und Kronländern weitgehend ausgeblendet. Im Vordergrund der Länderkonferenzen zum Finanzausgleich standen allerdings nicht diese Entwürfe einer die Schulden vergemeinschaftenden „Solidarhaftung“ der Länder, sondern Modelle einer Vernetzung von horizontaler und vertikaler Ebene zwischen Reich und Ländern. Letztlich kamen für eine Verbesserung der finanziellen Lage der Kronländer drei Möglichkeiten in Betracht: Die Überlassung einer bestimmten Steuergattung vom Reich an die Länder, die Kostenübernahme für ein bestimmtes Politikfeld durch das Reich (sogenannte Zweckdotation) und allgemeine Dotationen, das heißt die Überweisung eines Anteils des Reichssteueraufkommens an die Kronländer. In den Kategorien der heutigen Finanzwissenschaften ging es um Spielarten eines fiskalischen Trenn- oder Verbundsystems.84 Das herkömmliche Zuschlagssystem galt hingegen als veraltet und sollte aufgegeben werden.85 Danach lagen die Haupteinnahmequellen der westlichen Kronländer in Zuschlägen auf bestimmte staatliche Steuern sowie in der Besteuerung von Verbrauchsgütern, vor allem von Genussmitteln wie Bier und Branntwein. Dieses System verhinderte Planbarkeit, Eigenständigkeit und Flexibilität für die Länder. In einigen Nachbarstaaten war es längst abgeschafft worden. So hatte Preußen die Finanzen der Kommunen im Jahr 1893 auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Preußen hatte, von der mittleren Ebene der föderalen Ordnung des Deutschen Reiches aus agierend, zugunsten der unteren kommunalen Ebenen auf eine eigene Steuerart verzichtet, Haushaltskontrollen eingeführt und dadurch wesentlich zum Ende der kommunalen Finanzkrise beigetragen. Hier galt seitdem der Grundsatz: für das Reich Zölle und Verbrauchsabgaben, für Preußen die Personalsteuern und für Gemeinden und Kreise die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern sowie zusätzlich zweckgebundene Dotationen.86 Das preußische Beispiel projizierte der Landesausschuss Mähren auf die Reich-Kronländer-Ebene in der Habsburgermonarchie. Im Expos für die erste Länderkonferenz im Februar 1905 schlug Mähren die Überlassung der 84 Vgl. dazu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, Teil 1: „Grundlagen“, S. 19 – 406. 85 Umfassend Schmid, Finanzreform in Österreich. Vgl. auch Ernst Mischler, Selbstverwaltung, finanzrechtlich, in: ders. u. Josef Ulbrich (Hg.), Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes, Wien 1905 – 1909, S. 223 – 263. 86 Kleinwächter, Die österreichische Enquete über die Landesfinanzen, S. 46. Stumpp, Die Entwicklung des Finanzausgleichs in Deutschland, S. 37. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 611 Realsteuern an die Länder vor. Aus zwei Gründen setzte sich dieser, auch in der Finanzwissenschaft favorisierte Vorschlag nicht durch. Die anderen Kronländer erachteten die Überlassung der Realsteuern als unzureichend, weil die Einnahmen hieraus seit Jahren stagnierten. Sie präferierten dynamische, mit dem ökonomischen Wachstum Schritt haltende Steuern. Mit Blick auf Preußen wurde insbesondere eine neue Besteuerung des Personaleinkommens, des Vermögens, von Erbschaften oder eine Gewerbesteuer angeregt, die auch den wirtschaftlichen Wertzuwachs berücksichtigte.87 Das k. k. Finanzministerium wandte systematische Gründe ein: Angesichts der für die Folgejahre geplanten großen Steuerreform könne es nicht bereits im Vorfeld bestimmte Steuergrundlagen separat regeln.88 In der Enquete des Finanzministeriums vom Herbst 1907 sprachen sich die Mehrheit der Ländervertreter und das Finanzministerium daher für eine Mischfinanzierung der Länder aus Zweckdotationen und allgemeinen Dotationen aus. Den größten Posten der Landeshaushalte, die Personal- und Sachkosten für das Schulwesen, sollte zur Hälfte das Reich übernehmen. Insbesondere die Bezüge der Volksschullehrer waren in den letzten Jahren durch erhebliche Gehaltssteigerungen gestiegen, durch die erwartete Gleichstellung mit den unteren Beamtenklassen weiter im Steigen begriffen und betrugen fast die Hälfte aller Landesausgaben.89 Die Nationalisierung des Schulwesens, etwa in Schlesien, Mähren und Böhmen, hatte die Anzahl der Lehrer deutlich erhöht.90 Zusätzlich sollten die Kronländer aus dem Ertrag der Branntweinsteuer jährliche Überweisungen erhalten, so wie es seit 1892 üblich war. Damit schien ein Modell gefunden zu sein, das einerseits durch die Übernahme der Schulpersonalkosten dem dynamischen Wachstum der Landeshaushalte gerecht wurde, andererseits aber auch eine Unterstützung für die anderen Landesaufgaben gewährleistete. Im imperialen System der Habsburgermonarchie betrachtet, hatte dieser Plan für einen Finanzausgleich ein starkes vertikales Element: Das Reich blieb Ausgangspunkt für den Finanzstrom an die Länder, die Länder erhielten keine selbstständigen Einnahmen; allerdings gewährleistete die Zweckbindung den Ländern Planungssicherheit. Obwohl dieses Modell die Zustimmung der Ländermehrheit fand, wurde es insbesondere von Niederösterreich, aber auch von Galizien und Tirol, erfolgreich torpediert. Das Bildungswesen war ein Politikfeld, auf dem die 87 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 13. 88 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u. Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen. 89 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 177. 90 Schlesischer Landtag in Troppau (Hg.), Offizielle stenographische Berichte über die Verhandlungen der 18. Session des schlesischen Landtages in Troppau. 1. Sitzung am 27. 12. 1906, Troppau 1907. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 612 Jana Osterkamp kulturelle und soziale Verschiedenheit der Kronländer besonders klar zutage trat. Für die einen Länder wie Niederösterreich, Schlesien, Böhmen und Mähren war das Schulwesen ein Prestigeprojekt mit hoher Priorität in der Landespolitik. Andere Länder wie Tirol zögerten selbst die Einführung der Mindestanforderungen an das Volksschulwesen solange wie möglich hinaus und investierten kaum. Die Aussicht auf Zweckdotationen für Bildung ließ nun bei diesen Ländern wie Galizien und Tirol die Furcht vor einer finanziellen Verkürzung entstehen. Ihr Volksschulwesen war minder entwickelt und sie hatten insofern weniger Zuschüsse zu erwarten. Den Ausschlag gab jedoch die Ablehnung durch Niederösterreich. Gegenüber den anderen Ländern und gegenüber dem Finanzministerium machte der Landesausschuss Niederösterreich deutlich, dass er die Übernahme der Personalkosten durch das Reich ablehne, um auszuschließen, dass mit dem finanziellen Zuschuss auch ein politischer Einfluss, etwa auf die Ernennung der Lehrer, verbunden werden würde.91 Wegen der engen Verquickung von niederösterreichischer Landespolitik und der Wiener Regierung über die Partei der Christsozialen konnte sich das Land Niederösterreich beim k. k. Finanzministerium mit diesem Einwand durchsetzen. Die Verschränkung von Finanzzuweisungen und politischer Einflussnahme ist ein Grundproblem des Finanzausgleichs und Fiskalföderalismus. Heute wird es etwa kontrovers am Beispiel der grants-inaid diskutiert, das sind Bundesüberweisungen an die Gliedstaaten in den Vereinigten Staaten von Amerika mit detaillierten inhaltlichen Vorgaben.92 Grundlage des Reich-Kronländer-Finanzausgleichs wurden damit allgemeine Dotationen. Der Vorteil für die Länder lag darin, dass sie über dieses Geld freier verfügen konnten. Sie mussten es nicht notwendigerweise für das Schulwesen einsetzen. Der Nachteil: eine dynamische Anpassung der Finanzzuschüsse über die Jahre war nicht in gleicher Weise gesichert wie durch die favorisierten Zweckdotationen zu den jährlich deutlich ansteigenden Personalkosten der Schulen. Auch bei dem Modell der allgemeinen Dotationen behielt das Reich wesentliche Entscheidungen über die Finanzströme in der Hand, sodass die vertikale Ebene hierdurch nicht geschwächt wurde. Die horizontale Ebene zwischen den Ländern spielte allerdings stärker herein als bei den Zweckdotationen, fand hier doch die eigentliche politische Auseinandersetzung über die Verteilung und Zuteilung der Finanzen an die 91 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 28668 / 1908, Vermerk des k. k. Finanzministeriums zur Eingabe des Landesausschuss Niederösterreich, 10. 4. 1908. MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, LT-Drs. 503 / 1908, Bericht des Landesauschuss Mähren an den Landtag zur Regelung der Landesfinanzen, 4. 7. 1908 u. Note des Landesausschuss Niederösterreich an den Landesausschuss Mähren über die Schullasten, 10. 4. 1908, o. fol. 92 Vgl. Wolfgang Renzsch, Föderale Finanzverfassungen. Ein Vergleich Australiens, Deutschlands, Kanadas, der Schweiz und der USA aus institutioneller Perspektive, in: Jahrbuch des Föderalismus 2000, S. 42 – 54, hier S. 44 – 46. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 613 jeweiligen Länder statt. Die Kronländer wurden vom Reich zu den Überlegungen über einen gerechten Verteilungsschlüssel herangezogen. Damit wurden Fragen der Finanz- und Steuergerechtigkeit zwischen den Kronländern virulent, die auf einer der letzten Länderkonferenzen diskutiert wurden. Der Verteilungsschlüssel betraf die zentrale Frage, nach welchen Gerechtigkeitskriterien Lasten und Nutzen der Dotationen unter den Ländern verteilt werden sollten. Es wurden dabei nicht nur die Interessen der einzelnen Länder zur Sprache gebracht, sondern auch Fragen des Gemeinwohls, die auf eine gegenseitige Loyalität und Solidarität verwiesen. Letztlich ging es dabei auch um die Vorstellungen von einem guten Gemeinwesen. Niederösterreich, das reichste Kronland, das wirtschaftlich erheblich vom Standort der Hauptstadt Wien profitierte, hatte in den Länderkonferenzen angeregt, die finanzschwachen Regionen wie zum Beispiel Dalmatien oder die Bukowina überproportional zu berücksichtigen. Auch andere Ländervertreter beriefen sich darauf, dass die Bevorzugung der schwächeren Regionen durch das „Prinzip der Gerechtigkeit“ gefordert sei.93 Diese finanzpolitische Hilfsbereitschaft war nicht ausschließlich altruistisch motiviert. Selbstverständlich war für die Länder die Wahrung der eigenen finanziellen Interessen wichtig, so hatten die reicheren Länder an der wirtschaftlichen Hebung anderer Landesteile auch ein Eigeninteresse zur Erweiterung des eigenen Absatzmarktes. Innerhalb der Habsburgermonarchie hatte sich seit dem 18. Jahrhundert eine überregionale Arbeitsteilung zwischen produzierenden Ländern und anderen Regionen etabliert, die zuerst als Rohstofflieferanten beziehungsweise Absatzmarkt dienten.94 Allerdings ging die Bereitschaft, die wirtschaftliche Angleichung untereinander zu beschleunigen, über dieses bloße Eigeninteresse hinaus. Finanzielle Bedürftigkeit wurde zu einem wichtigen Stichwort. Der Aspekt wirtschaftlicher Differenz war auch dem k. k. Finanzministerium nicht ganz fremd. Von Außenstehenden wurden die geplanten allgemeinen Zuweisungen an die Landeshaushalte sogar als Hoffnung der Wiener Regierung gedeutet, gegenüber dem Reich „den Staatsgedanken“ und auf horizontaler Ebene „das Solidaritätsbewusstsein zwischen reichen und armen Kronländern zu fördern“.95 Nach den Akten ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Danach folgte das k. k. Finanzministerium bei der Verteilung der Gelder an die einzelnen Kronländer oft genug einer imperialen, auf Sonderrechten fußenden Logik. Es bevorzugte einzelne Kronländer und stellte andere hintan. Kredite für einzelne Politikfelder wurden den einen zinslos, anderen nur mit Zinsen 93 NÖLA, Sign. Regierungsarchiv, Präsidium des Landesauschusses, Reg. I / 10, Stammzahl 1138 / 1907, Sanierung der Landesfinanzen. 94 Umfassend Andrea Komlosy, Grenze und ungleiche regionale Entwicklung. Binnenmarkt und Migration in der Habsburgermonarchie, Wien 2003. 95 Loewenfeld, Die Finanzen der Österreichischen Kronländer, S. 180. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 614 Jana Osterkamp oder gar nicht bewilligt.96 Gleiches galt für Subventionen.97 Ausdrücklich wies das k. k. Finanzministerium intern auch darauf hin, dass finanzielle Privilegien, beispielsweise für Galizien, durch den neuen Finanzausgleich schwerlich abgeschafft werden könnten.98 Insbesondere sollte jeder Eindruck einer durch Solidarität begründeten Gemeinschaft zwischen dem Reich und den Kronländern Cisleithaniens vermieden werden. So stellte sich das Ministerium gegen Ansprüche der Länder, wonach der Finanztransfer vom Reich an die Länder ein Gebot der Gerechtigkeit sei, das sich aus der Verantwortlichkeit des Reichs für Defizit und Aufgabenlast der Länder ergebe.99 Es bestand beim Ministerium die Befürchtung, die Länder könnten dann das Reich „als Reservoir betrachten, aus welchem sie ihren voraussichtlich unlöschlichen Einnahmedurst in bequemster Weise zu stillen versuchen würden.“100 Kurzum, dem Reich stellte sich das Dilemma, einen Verteilungsschlüssel mit allgemeiner Gültigkeit zu finden, ohne sich damit die Möglichkeiten zu beschneiden, einzelne Kronländer zu bevorzugen, und ohne sich selbst allzu sehr zu verpflichten. Den Vertretern der Länder ging es um einen Verteilungsschlüssel, der ihren Interessen entsprach, aus Gerechtigkeitsgründen aber auch Elemente der Umverteilung enthalten sollte. Diese auf den Länderkonferenzen zutage tretende Bereitschaft zu einem für alle tragbaren Kompromiss war Ausdruck eines gewachsenen Bewusstseins für eine Gemeinschaft von grundsätzlich gleichen Kronländern. In der typologischen Gegenüberstellung von politisch asymmetrisch verfassten Imperien und symmetrisch angelegten föderalen Ordnungen stellte diese Art von Kooperation und gegenseitiger Loyalität eine klare Abwendung von den Handlungsformen einer imperialen Herrschaftsasymmetrie dar. Der Idee einer finanzpolitischen Ländergemeinschaft lag vielmehr ein Herrschaftsverständnis zugrunde, dass ungeachtet der Anerkennung der vertikalen Herrschaftselemente viel stärker auf horizontale Vernetzung und Kooperation setzte. Das k. k. Finanzministerium blieb einem herkömmlichen imperialen Denken verhaftet, die Länder entwarfen das Bild eines kooperativen Imperiums. 96 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 44527 / 1907, Vermerk des k. k. Finanzministeriums zu Maßnahmen zugunsten der böhmischen Landesfinanzen vom 10. 6. 1907. 97 MZA, Sign. A 9 Zemský výbor K. 2639 Sign. M 1 Sanovn zemských financ, Vergleich von Bezuschussungen in Mähren und anderen Ländern. Memorandum des Landesausschuss Mähren an das k. k. Finanzministerium, 29. 4. 1909, o. fol. 98 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 12854 / 1906, Expos des k. k. Ministerialrates Dr. Reisch in der Frage der Sanierung der Landesfinanzen u. Skizze eines Protokolls über die am 21. 12. 1905 und 4. 1. 1906 im Finanzministerium abgehaltenen Besprechungen über die Sanierung der Landesfinanzen, Anlage. 99 Schmid, Finanzreform in Österreich, S. 127. 100 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, allgemeine Reihe, Zl. 11644 / 1907, S. 25. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Kooperatives Imperium 615 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. III. Grenzen des kooperativen Imperiums – Kommunikationsverbot und Misstrauen Das Spannungsverhältnis zwischen diesem Entwurf der Länder für ein zukünftiges kooperatives Imperium und dem asymmetrisch-imperialen Herrschaftsstil der Wiener Regierung wird klarer, wenn man die Länderfinanzkrise noch einmal über zwei zentrale Loyalitätsprobleme in den Blick nimmt: die Kommunikation zwischen dem Reich und den Kronländern Cisleithaniens sowie die politische Atmosphäre des Misstrauens. Nach der imperialen Herrschaftslogik sollte politische Kommunikation nur auf direktem Wege zwischen dem Herrschaftszentrum Wien und den einzelnen Kronländern erfolgen. Eine Verständigung der Länder untereinander, zumal in finanzpolitischen Fragen, stand unter dem Generalverdacht einer reichsfeindlichen Haltung und damit der Illoyalität. Auf Seiten des k. k. Finanzministeriums wuchs vor allem zu Beginn gegenüber den Länderkonferenzen Misstrauen. Diese Einschätzung, die durch die Protokolle der Länderkonferenzen in keiner Weise gestützt wird, beruhte auf der rechtlichen Stellung der Länder im Reich. Die Landesordnungen errichteten für die Institutionen der Länder untereinander das Verbot, miteinander in Kontakt zu treten. Die Wiener k. k. Regierung verzichtete darauf, dieses Verbot rechtlich durchzusetzen, duldete die Länderkonferenzen und entsandte ihre Vertreter dorthin.101 Deren vermeintlich „politischer Charakter“102 führte dennoch zu Argwohn. Die Ministerialbürokratie weigerte sich anfangs, zu den Vorschlägen der Länder überhaupt Stellung zu nehmen.103 „Das […] Projekt ist natürlich vom Standpunkte der Regierung ganz undiscutirbar“, hieß es.104 Die Ländervertreter waren sich über die fehlende rechtliche Basis für ihre Zusammenkünfte zwar im Klaren, erachteten ihr Schuldenproblem allerdings als vordringlich. Das ostentative Desinteresse der Regierung an einer Lösung der Länderfinanzkrise stieß bei ihnen auf Unverständnis.105 Sie fühlten sich nicht ernst genommen, ihre Loyalitätserwartungen an die Wiener Regierung wurden enttäuscht. Damit war ein Wahrnehmungsmuster in der Welt, das Ländervertretern und Ministerialbürokratie gegenläufige Interessen zuschrieb. Die Abwertung des 101 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 8685 / 1905, Länderkonferenzen, Teilnahme der k. k. Regierung. 102 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 72180 / 1905, Hinterlegung des Protokolls über die Commission zur Sanierung der Landesfinanzen, 7. 10. 1905. 103 Ebd. 104 OeStA FHKA, Sign. k. k. Finanzministerium, Reg. Abt. III, Zl. 8685 / 1905, Länderkonferenzen, Teilnahme der k. k. Regierung. 105 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll über die am 9. Juni 1907 im niederösterreichischen Landhause zu Wien abgehaltene Konferenz der Landesausschüsse der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder betreffend die Regelung der Landesfinanzen, Wien 1907, S. 21. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 616 Jana Osterkamp jeweils anderen taucht in den Akten verschiedentlich auf. So heißt es von einem Landesvertreter aus Wien in Bezug auf die cisleithanische Regierung: „Um den Staat soll man sich in diesem Saale überhaupt nicht kümmern, er kümmert sich ja auch nicht darum, wie die Länder ihre [finanziellen] Bedürfnisse decken.“106 Nur Einzelne wiesen in dieser Atmosphäre latenter Illoyalitätsvorwürfe auf das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-Sein von Reich und Ländern in der Schuldenkrise hin.107 Das vertikale Loyalitätsverhältnis zwischen Reich und Kronländern erhielt dennoch durch das Misstrauen des k. k. Finanzministeriums gegenüber der horizontalen, finanzpolitischen Loyalität der Länder Risse. Misstrauen als Loyalitätsproblem fand sich nicht nur zwischen Reich und den Kronländern Cisleithaniens. Auch unter den Kronländern herrschte eine Politik der Abgrenzung über das Schlagwort „Autonomie“. Der Autonomiegrundsatz unterstrich die politische Eigenständigkeit der Länder gegenüber dem imperialen Zentrum in Wien. Wie ein Landesvertreter aus Niederösterreich anmerkte: „Autonomisten sind wir alle […]. Das liegt eben in der Natur unseres Volkscharakters.“108 Durch die Übertragung gesamtstaatlicher Verwaltungsaufgaben waren die Länder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts de facto in den Status von föderalen Gliedstaaten hineingewachsen. Bei den Zeitgenossen war insofern von einer „Verländerung“ der Verwaltung Cisleithaniens die Rede, in der Historiografie von Föderalisierung.109 Dieser Status war verfassungsrechtlich nicht gesichert. In der Praxis wurde dieser erweiterte Handlungsraum umfassend für die Landespolitik sowie in einigen Kronländern wie Böhmen für die Nationalitätenpolitik genutzt und gegenüber drohenden Eingriffen vehement verteidigt. Autonomiepolitik war nicht nur ein Abgrenzungsmodus gegenüber Wien, sondern führte zu separaten Interessenräumen der Kronländer. Das Beharren auf Autonomie bei den Verhandlungen über einen Finanzausgleich hemmte die Vertiefung der horizontalen politischen Kommunikation und Kooperation zwischen den Kronländern Cisleithaniens. Es stand konträr zu jenen Erwägungen eines auf Verteilungs- und Steuergerechtigkeit beruhenden Finanzausgleichs, die gerade eine solche stärkere horizontale Vernetzung und Kooperation erwarten 106 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 57. 107 „Die Sorge für die Sanierung der Landesfinanzen ist eine allen Ländern gemeinsame: sie ist aber nicht nur ihnen gemeinsam, sondern ebenso eine gemeinsame Sorge des Staates und seiner Regierung, denn die Aufgaben, welche die Länder zu besorgen haben, sind öffentliche Aufgaben.“. Siehe ebd., S. 42. 108 Ebd., S. 21 u. S. 72. 109 Siehe dazu Schmid, Finanzreform in Österreich; Georg Jellinek, Über Staatsfragmente, Heidelberg 1896; Thomas Simon, Die Föderalisierung des Kaisertums Österreich nach 1860 und der Gedanke der Selbstverwaltung, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Selbstverwaltung in der Geschichte Europas in Mittelalter und Neuzeit. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 10. bis 12. März 2008, Berlin 2010, S. 257 – 283. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Kooperatives Imperium 617 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. ließen. Autonomie war damit ein Modus der Abgrenzung. Autonomieerwägungen beschränkten daher die Kronländer Cisleithaniens in ihrem Bemühen, eine Interessengemeinschaft mit dem Ziel zu etablieren, politisch effektiv Finanzpolitik gegenüber dem Reich zu machen. Darin lag das zweite Loyalitätsproblem: Der geplante Finanzausgleich brauchte nicht nur gemeinsame Interessen der Länder gegenüber der Zentrale, sondern auch gegenseitige Loyalitäten in der Ländergemeinschaft. IV. Der Länderfinanzausgleich als unvollständiges Loyalitätenvieleck – ein Fazit Damit zeigt sich für die Länderkonferenzen ein Paradox von Abgrenzung und Zusammengehörigkeit. Ein Finanzausgleich ruht auf einem Loyalitätenvieleck: auf Loyalitätsbeziehungen zwischen Gliedstaat, Ländergemeinschaft und Gesamtstaat sowie auf Loyalitätsbeziehungen der Länder untereinander – so der Idealfall. Die Krise der öffentlichen Finanzen zwang die westlichen Kronländer der Habsburgermonarchie zum Dialog. Das Desinteresse und die fehlende Kooperationsbereitschaft von Seiten der Regierung führten dazu, dass sich die Kronländer dabei politisch gegen das imperiale Zentrum zusammenschlossen. Die Länder traten als eigenständige politische Akteure auf. Sie durchbrachen bewusst die imperiale Herrschaftslogik, die auf vertikale Machtausübung vom Zentrum in die jeweiligen Provinzen setzte und deren politische Kommunikation untereinander blockierte und behinderte. Das vertikale Loyalitätsverhältnis von Imperium und Ländern wurde damit prekär. In dem Zusammenschluss der Länder gegen das imperiale Zentrum entwickelte sich im Laufe der Verhandlungen das Bewusstsein von einer Ländergemeinschaft, das heißt von horizontalen Loyalitäten. In der Befürwortung von Finanzhilfen an schwächere Gliedstaaten kommt ein Länderbewusstsein zum Ausdruck, das grundsätzlich von einer Gleichstellung der Kronländer Cisleithaniens in der Monarchie ausging und dafür finanzielle Opfer in Kauf nahm. An anderer Stelle heißt es ausdrücklich, dass „gemeinsame Berührungspunkte in Österreich aufrecht erhalten werden müssen, daß die Länder […] einander nähertreten müssen.“110 Ohne den Gesamtstaat allerdings – und darin liegt das Paradox – hatte dieses Länderbewusstsein keinen dauerhaften Bestand. Das Reich, gegen das sich die Länder in der Finanzkrise zusammengeschlossen hatten, war zugleich die denklogische Voraussetzung für ihre Ländergemeinschaft untereinander. Es ging bei der Schaffung eines Finanzausgleichs zwischen Reich und Kronländern nicht lediglich um eine Kooperation der Länder, sondern, beim hier 110 Konferenz der Landesausschüsse (Hg.), Stenographisches Protokoll 1905, S. 72. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 618 Jana Osterkamp Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. gewählten Begriff bleibend, um die Möglichkeit eines kooperativen Imperiums. Es zeichnet den auf den Länderkonferenzen versammelten Personenkreis – die Landeseliten – aus, dass dieses Problem von ihnen erkannt wurde. Zentral hierfür sind die Worte eines böhmischen Landesvertreters, der in Bezug auf die cisleithanische Regierung sagte: Wir müssen uns abgewöhnen, den Staat als zahlungsunwilligen Schuldner zu betrachten, den wir, wenn wir ihn am Schopfe erwischt haben, aller Welt vorstellen. […] Das wäre durchaus unrichtig, denn hinter dem Staate stehen wir wieder [die Länder], beziehungsweise unsere Steuerträger.111 In dieser Aussage spiegelt sich ein föderales Bewusstsein, das sowohl auf Wahrung der Länderinteressen als auch auf dem Zusammenschluss zu einer größeren Einheit, dem Gesamtstaat, aufbaute. Im Rahmen der Habsburgermonarchie war das föderale Bewusstsein der Ländervertreter auf Cisleithanien beschränkt. Die Einbeziehung Ungarns war dagegen nicht föderal, sondern imperial kodiert. Die Erwähnung Ungarns in den Verhandlungen über einen Finanzausgleich glich einer mit großen Unwägbarkeiten behafteten Variable. Die Fragen einer Finanzreform zwischen dem Reich und den Kronländern Cisleithaniens waren wegen des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 in vielen Punkten von der Zustimmung Ungarns abhängig. Aufgrund dessen war der im Jahr 1914 schließlich erreichte, neue Finanzausgleich vorläufig. Die Länderquoten in Cisleithanien am Aufkommen aus der Besteuerung von Bier, Branntwein sowie aus der Personaleinkommensteuer wurden erheblich aufgestockt.112 Typologisch unterlag sowohl das Verhältnis der westlichen Kronländer als auch das Verhältnis des Reichs zu Ungarn einer imperialen Logik. Aufgrund der verfassungsrechtlichen und fiskalischen Sonderrechte war Ungarn politisch nur mit dem imperialen Zentrum verstrebt. Gemeinsame formelle oder informelle Gremien zur Kooperation mit Cisleithanien fehlten nicht nur, sondern galten in Ungarn als unerwünscht.113 In die im zehnjährigen Turnus erfolgenden Aushandlungen des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und Ungarn, der sogenannten Quote, waren die Kronländer Cisleithaniens nicht unmittelbar einbezogen. 111 Eppinger auf der Konferenz der Landesausschüsse, ebd., S. 41 f. 112 Vgl. Gesetz RGBl. Nr. 14 / 1914 über die Neuregelung der Überweisungen aus Staatsmitteln an die Landesfonds der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder und die Herabsetzung des Ausmaßes der Realsteuern. 113 Als Forum für Kooperation hätten sich die Delegationen über die gemeinsamen Angelegenheiten angeboten. Vgl. Eva Somogyi, Die Delegation als Verbindungsinstitution zwischen Cis- und Transleithanien, in: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848 – 1918, Bd. 7. 1: Verfassung und Parlamentarismus. Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 1107 – 1176. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. Kooperatives Imperium 619 Für die Länderkonferenzen in Cisleithanien war das föderale Bewusstsein hingegen charakteristisch. Es markierte den wichtigsten Unterschied zur nationalitätenpolitisch aufgeheizten, destruktiven Stimmung in vielen parlamentarischen Foren auf Reichs- und Länderebene. Die Landeseliten erlebten ihren politischen Alltag im Zeichen des Nationalitätenkampfes. Im geschützten, nichtöffentlichen Raum der Länderkonferenzen übernahm niemand von ihnen die nationale Rhetorik. Sie hatten ein Gespür dafür entwickelt, dass das Interesse ihres jeweiligen Landes im imperialen Gefüge nicht alles war. Bei den Landeseliten war ein Bewusstsein um die Komplexität des Finanzausgleichs zwischen dem Reich und den westlichen Kronländern vorhanden. Ihr Länderbewusstsein war Ausdruck eines horizontalen Loyalitätsverhältnisses der Länder untereinander, für die gegenseitige, wenn auch nicht unbegrenzte Bereitschaft, finanziell füreinander einzustehen. In Hinblick auf die Ländergemeinschaft waren die Landeseliten insofern Träger von horizontalen, supranationalen Loyalitäten. In dem Augenblick, als von ihnen der Gesamtstaat als notwendige Voraussetzung ihrer Ländergemeinschaft wahrgenommen wurde, waren sie nun allerdings auch mit dem Wissen um die – abstrakt gesprochen – Notwendigkeit vertikaler Loyalitäten zwischen Ländern und Gesamtstaat konfrontiert. Waren die Länderkonferenzen und die sich dabei abzeichnenden Loyalitäten der Landeseliten also ein Indikator dafür, dass neben dem FüreinanderEinstehen innerhalb der Ländergemeinschaft auch das überwölbende Dach, das Habsburgerreich, gewollt war? In den Verhandlungen wurde eine Bereitschaft zu vertikaler Loyalität erkennbar. Dies deckt sich mit anderen Forschungserkenntnissen, die in einem kollektivbiografischen Zugriff die Loyalitäten der politischen Eliten untersuchten.114 Diese Loyalitätsbereitschaft war allerdings an die ausgesprochene Erwartung geknüpft, dass der Gesamtstaat in Krisenzeiten mit den Ländern in wichtigen Fragen kooperieren möge, ganz so, wie die Kronländer auf den Länderkonferenzen den politischen Zusammenhalt untereinander erfahren hatten. Damit verbunden waren Erwartungen, dass das Reich in seinem Verhältnis zu Ungarn die Belange Cisleithaniens ausreichend berücksichtigen und damit die tragfähigen Voraussetzungen für einen Reich-Kronländer-Finanzausgleich schaffen möge. Das Bild vom Staat beziehungsweise die Reichsidee, die hier aufscheint, ging über die bestehende imperiale Herrschaftsstruktur hinaus: Imperiale Sonderrechte sind darin zugunsten einer grundsätzlichen Gleichberechtigung der 114 Für die Habsburgermonarchie vgl. Marion Wullschleger, „Gut österreichische Gesinnung“. Imperiale Identitäten und Reichsbilder der letzten österreichischen Statthalter in Triest 1904 – 1918, in: Tim Buchen u. Malte Rolf (Hg.), Eliten im Vielvölkerreich. Imperiale Biographien in Russland und Österreich-Ungarn (1850 – 1918), S. 90 – 106, hier S. 94. Siehe auch die Beiträge in Judith Pl u. Vlad Popovici (Hg.), Elites and Politics in Central and Eastern Europe (1848 – 1918), Frankfurt 2014; und Frederik Lindström, Empire and Identity. Biographies of Austrian Identity in an Age of Imperial Dissolution, Lund 2002. Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000 Geschichte und Gesellschaft downloaded from www.vr-elibrary.de by Bayerische Staatsbibliothek on July, 6 2017 For personal use only. 620 Jana Osterkamp Länder aufgegeben. Die radiale imperiale Herrschaftsordnung wurde zumindest für Cisleithanien durch eine kooperative Verflechtung in wichtigen Politikarenen abgelöst. Die politische Eigenständigkeit und Gleichheit der Kronländer wurde institutionell in den Gesamtstaat eingebettet. Die vertikale Loyalitätsbereitschaft war zwar noch auf einen Gesamtstaat hin ausgerichtet beziehungsweise auf eine Idee davon, an der imperialen Herrschaftspraxis der Wiener Regierung ging sie vorbei. Die horizontalen, übernationalen Loyalitäten der Vertreter der Kronländer hielten das Imperium sicherlich auch zusammen und wirkten integrativ, weil sie ein wichtiges Gegenstück zum separierenden Nationalitätenkampf waren. Dennoch blieben sie unvollständig. Durch eine nur zögerliche Reformpolitik versäumte es das Imperium, die latenten vertikalen Loyalitäten auf sich zu vereinigen. Prof. Dr. Jana Osterkamp, Ludwig-Maximilians-Universität, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Schellingstraße 12, 80539 München E-Mail: jana.osterkamp@extern.lrz-muenchen.de Geschichte und Gesellschaft 42. 2016, S. 592 – 620  Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen 2016 ISSN (Printausgabe): 0340-613X, ISSN (online): 2196-9000