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Weltliteratur im Comic

2013

Weltliteratur im Comic Joachim Trinkwitz Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz In Deutschland hatte der Comic es lange Zeit schwer, von Eltern und Erziehern akzeptiert zu wer‐ den. Nach 1945 war der Import aus Amerika, ebenso wie Kaugummi, Rock’n’Roll und Coca Cola, als ›Unkultur‹ der Besatzer verschrieen, und man war der Meinung, das triviale ›Blasenfutter‹ mit seiner primitiven Sprache behindere den kindlichen Spracherwerb und vor allem auch den Zugang zu ›richtiger‹ Literatur. Noch in meiner Kindheit in den späten 1960er‐Jahren gab es nur ein Comicheft, das meine Eltern duldeten, die Illustrierten Klassiker. Jede Folge der Serie, in der Monat für Monat auf 64 Seiten etwas hölzerne Adaptionen von Werken der Weltliteratur erschienen, endete mit der Mahnung: »Jetzt hast Du die ›Illustrierte Klassiker‹‐Ausgabe gelesen. Vergiß auf keinen Fall, Dir die Original‐Ausgabe dieses Buches zu besorgen!« Nur als ›Brücke zur Literatur‹, die man natürlich als‐ bald hinter sich abbrechen sollte, war der Comic also halbwegs tolerabel – bleibt die Frage, wie viele der halbwüchsigen Leserinnen und Leser diese Aufforderung wirklich beherzigten, ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, sie jemals ernst genommen zu haben … Die vielleicht paradoxe Hoffnung, durch Comics zur humanistischen Bildung beizutragen, ist bis heute nicht erloschen, ebensowenig wie das zwiespältige Verhältnis zu diesem Medium. Allerdings scheint sich das einstige Negativ‐Image etwas zu verlieren, mittlerweile versuchen Lehrerinnen und Lehrer ganz offiziell, ihren Schülern Literaturklassiker mit Comic‐Adaptionen schmackhaft zu ma‐ chen, und sogar der vornehme Suhrkamp Verlag hat begonnen, geeignet erscheinende Titel aus seinem Verlagsprogramm zur Umsetzung in Auftrag zu geben – durchaus nicht ohne ein erstes beachtliches Ergebnis (Nicolas Mahler: Alte Meister, nach Thomas Bernhard), aber eben hauptsäch‐ lich mit dem Gedanken im Hinterkopf, den Originalen neue Leser zu verschaffen. An einigen kürzlich erschienenen Beispielen können ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Um‐ setzung beobachtet werden. Eric Corbeyran und Richard Horne: Die Verwandlung. Von Franz Kafka. Knesebeck 2011 • 48 S. • 19,95 € • ISBN 978‐3‐86873‐266‐5 Franz Kafka ist neben Goethe (vgl. die Rezension der Comicversion von Faust. Der Tragödie erster Teil hier auf Alliteratus) bei Comiczeichnern mit Abstand der beliebteste deutsche Schriftsteller, vielleicht in Entsprechung seines internationalen Bekanntheitsgrads. Der Knesebeck Verlag hat kurz hintereinander gleich zwei Adaptionen von Erzählungen des Prager Autors vorgelegt, beide französischen Ursprungs. Die in Umfang und Anmutung konform aufgemachten Bände haben erkennbar didaktische Hintergründe, auf den Homepages des französischen Verlags können umfangreiche, de‐ tailliert ausgearbeitete Arbeitsblätter für Gymnasiallehrer heruntergeladen werden – eigentlich schade, dass Knesebeck diese nicht gleich mit hat übersetzen las‐ sen, sicher würde ein ähnlicher Service auch hierzulande auf dankbare Abnehmer stoßen. Der pädagogische Zweck des Unternehmens – die ansonsten wenig bekannten Zeichner/Texter‐ Gespanne beider Comics wurden anscheinend direkt mit einer entsprechenden Umsetzung beauf‐ tragt – steht einer wirklich ansprechenden Ausführung allerdings im Wege, zu routiniert und lei‐ denschaftslos erscheint die Machart der Bände, und ein wirkliches Verhältnis zu den Erzählungen 1 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz Kafkas ist in keiner der Adaptionen erkennbar. Dass eine enge Anlehnung an den Text der Vorlage Originalität und Einbringung der Zeichnerpersönlichkeit nicht unmöglich macht, hat vor einigen Jahren der Amerikaner Peter Kuper bewiesen, der ebenfalls eine Comicversion der Verwandlung (The Metamorphosis, New York: Crown Publishers 2003) sowie eine Sammlung kürzerer Erzählun‐ gen veröffentlicht hat (Give It Up! and other short stories, New York: NBM 1995); leider hat bislang keiner der Bände einen deutschen Verleger gefunden. Neben den kraftvollen, eigenwilligen Zeich‐ nungen Kupers, die mit verfremdend anachronistischen Anspielungen auf seine und unsere Gegenwart eine Aktualisierung der Kafka‐Texte anstreben, wirken die beiden französischen Pro‐ dukte eigentümlich steril, interesse‐ und leblos. Corbeyran und Horne haben für ihre Verwandlung einen realistischen Stil gewählt, bei dem vor allem die Gestaltung des Kafkaschen »Ungeziefers« auf‐ fällt, das als geradezu hyperrealistisch gezeichnete Kakerlake visualisiert wird, verstärkt durch die Vor‐ satzblätter des Buchs, auf denen durch einen Lexi‐ konartikel nebst dazugehöriger, durch Beschrif‐ tungen aufbereiteter Abbildung diese Festlegung noch untermauert wird. Das mag zwar vielleicht mit einer Art Horrorfilmästhetik die Sehgewohnheiten junger Leser anspre‐ chen, aber dass Kafka eine solche Identifizierung gerade nicht beabsichtigt hat, ist aus vielen, nicht zu einer einzelnen biologischen Spezies passenden Details der Erzählung ablesbar. Die auf Co‐ mictraditionen vertrauende Darstellung Peter Kupers dage‐ gen hält die biologische Zuordnung mit einfachen Mitteln in der Schwebe und hebt darüber hinaus mit ihrer Mischung aus Komik und dennoch problemlos damit zu vereinbaren‐ der Tragik eine Sinnschicht Kafkas hervor, die seinen Texten ein Gutteil ihrer unverwechselbaren Eigenart verleiht. Ne‐ benbei bringt er durch das Zickzackmuster auf dem Bauch des verwandelten Gregor Samsa noch eine Parallele unter, die Literatur und Comic auf Augenhöhe bringt, nämlich die zum großen ›Loser‹ Charlie Brown der Peanuts, der ein eben‐ solches Muster auf seinem Pullover trägt und, wenn wir ernsthaft darüber nachdenken, bei aller vordergründigen Komik Elend und Entfremdung in ebenso großem Maße über sich ergehen lassen muss wie Kafkas Held … Wie seine französischen Kollegen hält sich Peter Kuper genau an Kafkas Wortlaut, aber er fokus‐ siert die Erzählung durch solche und andere visuelle Anspielungen und Metaphern behutsam auf eine gegenwärtige, politische Dimension hin und kann damit eine eigenständige Interpretation vorweisen. Auf eine solche Aneignung verzichten Corbeyran und Horne, und genau das ist die Schwäche ihrer Comicversion. Im Interesse einer möglichst neutralen Vermittlung gerät ihnen die Adaption zur bloßen Illustration, die vermeintlich bescheiden hinter den Text zurücktritt; die Eigen‐ art ihres Mediums jedoch bedingt eine allzu direkte Artikulation von Sachverhalten, die in der sprachlichen Form der Vorlage in der Schwebe gehalten wird. 2 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz Sylvain Ricard und Maël: In der Strafkolonie. Nach Franz Kafka. Knesebeck 2012 • 48 S. • 19,95 € • ISBN 978‐3‐86873‐459‐1 Sylvain Ricard, der Szenarist, und der als Maël signierende Zeichner der Strafkolonie‐Adaption Knesebecks haben einen weniger realistischen, mehr karikaturhaft erscheinenden Stil für ihren Comic gewählt. Die bei‐ den Hauptfiguren, der die alte, fanatisch‐rigide Ordnung vertretende Offi‐ zier und der liberalere, gegen die auf der Insel praktizierte grausame To‐ desstrafe eingestellte Besucher werden als gegensätzliches Paar visuali‐ siert, ein militaristisch gestraffter, freudlos hagerer Asket der eine, ein unförmig verfetteter, Genusssucht ausstrahlender Biedermann der ande‐ re. Die Darstellung verleiht beiden, vor allem dem hauptsächlich im Fokus stehenden Offizier grotesk‐lächerliche Züge, was speziell bei diesem sehr eindringlichen, Komik kaum zum Vorschein kommen lassenden Text Kaf‐ kas nicht ganz einleuchtend erscheint, zumal angesichts des strikt Neutralität wahrenden und lako‐ nisch die Handlung wiedergebenden Erzählers des Originals. Eine rigide, häufig 3 × 3 gleichformati‐ ge Bilder auf der Seite kombinierende und breite Ränder aufweisende Panelanordnung soll diesen Eindruck möglicherweise etwas ausbalancieren und die Unerbittlichkeit der alten Rechtsordnung verdeutlichen. Das eigentliche Problem der Adaption ist jedoch, dass der größte Teil der Erzählung aus den langen, monologartigen Ausführungen des Offiziers besteht, dessen Konterpart, die zurückhaltend be‐ schreibende Erzählerrede, in der Comicversion medial bedingt wegfällt. Infolgedessen sehen wir seitenlang Panel für Panel nur die schon das Umschlagcover zierende Figur, in wechselnder Per‐ spektive, aus näherer und weiterer Entfernung, mit Hintergründen in unterschiedlichen Farben und wild grimassierend und gestikulierend, damit die talking heads Parade nicht zu eintönig wirkt. Der Offizier gerät dadurch stellenweise zu einem Standup Comedian, der seine eigene Botschaft mit mal stier‐dämonischen Blicken, mal grotesk vorgeschobener Unterlippe oder gar herausgestreckter Zunge und schielendem Blick eher untergräbt als unterstreicht. Die Darstellungen haben für sich genommen zwar durchaus ihren eigenen Reiz, aber dem furchtbaren Ernst der Kafkaschen Erzäh‐ lung wird damit doch wesentlich Abbruch getan. Natürlich hat eine ironische Subversion hochliterarischer Vorlagen in Comic‐Adaptionen durchaus ihre Berechtigung, um einen allzu respektvollen Umgang mit den Klassikern zu verhindern (vgl. die schon einmal erwähnte Faust‐Adaption von Flix), aber bei Kafkas ohnehin festgefügte Hierarchien und Positionen untergrabendem Text hat das hier eher gegenteilige Effekte (und ist wohl auch gar nicht so gemeint). Beide Kafka‐Adaptionen aus dem Hause Knesebeck – wie übrigens auch Peter Kupers Metamorpho‐ sis – halten sich zwar eng an den Handlungsverlauf der jeweiligen Vorlage und bieten durchgängig (wenn auch gekürzt) den Originaltext, machen aber schon deutlich, dass die visuelle Ebene ganz verschiedene Möglichkeiten der Abweichung (ge)bietet. Dass die Umsetzung literarischer Werke in ein visuelles Medium noch auf ganz andere Art gelöst werden kann, zeigen die folgenden Beispiele. 3 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz Enki Bilal: Julia & Roem. Ehapa Comic Collection 2011 • 96 S. • 24,99 € • ISBN 978‐3‐7704‐ 3494‐7 mics zu in die Antike zurück. Schon im Titel seiner neuesten Comic‐Veröffentlichung signalisiert der ur‐ sprünglich aus Belgrad stammende Zeichner Enki Bilal, heute einer der erfolgreichsten Comickünstler Frankreichs, eine Abweichung vom literari‐ schen Ursprung. Die Umkehrung der beiden Namen erschwert zunächst noch zusätzlich die Identifikation des Shakespeareschen Romeo und Julia, die der durch seine Nikopol‐Trilogie weithin bekannt gewordene Bilal zur Vorlage genommen hat, aber ein Blick auf das Covermotiv genügt, um Klar‐ heit zu schaffen. Das Liebesdrama Shakespeares, weltweit der wohl am häu‐ figsten adaptierte Autor überhaupt und auch im Medium Comic hoch beliebt, hat seit Jahrhunderten unzählige Künstler gereizt, Theaterstücke und Opern, musikalische und literarische Werke, Filme und Musicals sowie eben auch Co‐ produzieren; bekanntlich geht das Stück seinerseits auf literarische Ahnen bis Bilal stellt seine Version in einen Kontext, den sein eigenes Werk Animal’z vorgibt, eine düstere Zu‐ kunftsvision, die durch den sogenannten ›Blutsturz‹ geprägt ist, eine Klimakatastrophe gewaltigen Ausmaßes, mit der die Natur in einem »Wutausbruch« den Planeten buchstäblich auf den Kopf ge‐ stellt hat: Die Wüste Gobi schwankt beständig, weil sie »wie eine Bettdecke« auf der Ostsee treibt, die Wolken schicken organisch rot gefärbte, vage an Blutgefäße oder Synapsen erinnernde Ausläu‐ fer in Richtung Erde, und der Nordpol ist schlichtweg nicht mehr auffindbar. Trinkwasser ist eine umkämpfte Seltenheit. Durch diese postapokalyptische, mit einer fast komplett in Umbratönen gehaltenen Landschaft irren Roem und sein Freund Merkit. Nach dem letzten Wunsch, »bevor du abtrittst« (wohl nicht zufällig eine Theatermetapher) gefragt, nennt Roem »eine Liebesgeschichte, die eine, große Liebe«. Kurz vor dem Verdursten rettet sie der überkonfessionelle Militärgeistliche Howard George Lawrence, der mit einem mit neuesten militärischen Wundermitteln wie ›Wasser‐ tabletten‹ ausgestatteten solarbetriebenen Ferrari durch die Wüste fährt. Kurz darauf trifft die kleine Gruppe auf einen gewissen Tybb, und Lawrence, einem der beiden Ich‐Erzähler im Comic, fällt eine mys‐ teriöse Namensgleichheit auf: Roem/ Romeo, Merkit/Mercutio, Tybb/Tybalt, und natürlich er selbst, Lawrence/Laurence (Lo‐ renzo im Deutschen) – »jetzt fehlt nur noch ein Mädchen, und das müsste Julia heißen«, dann nämlich wäre das Personenverzeichnis von Romeo und Julia komplett. Die unwillkür‐ liche Assoziation trügt nicht, Tybb ist Ange‐ höriger einer Familie, die sich in einem vor dem Blutsturz noch nicht ganz fertiggebau‐ ten Hotel eingenistet hat und die dort einge‐ 4 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz lagerten Wasser‐ und Lebensmittelvorräte gegen Außenstehende verteidigt. Natürlich heißt die Tochter der Familie Julia, und sie steht kurz davor, einen einflußreichen Mann namens Kyle Parrish (Shakespeares Paris) zu heiraten. Und natürlich setzt sich die alte Dramenmaschinerie in Gang: Julia und Roem verlieben sich inei‐ nander, es kommt zu Reibereien zwischen ihm, Merkit und Tybb, die beiden letzteren sterben im sich daraus entwickelnden Kampf, und Roem muss vor dem rachedurstigen Rest des Clans aus dem Hotel fliehen. Um den Liebenden zu helfen, entwickelt Lawrence einen Plan, nach dem Romeo, pardon, Roem für tot erklärt und Julia per Wundermittel aus dem militärischen Zubehörkoffer Law‐ rences in einen todesähnlichen Schlaf versetzt wird … Soweit scheint das eine weitere der zahlreichen Adaptionen zu sein, die wie die West Side Story den Plot Shakespeares lediglich in ein modernes Setting und moderne Sprache gegossen haben – wenn sich nicht plötzlich die Sprache des englischen Barden hinterrücks wieder in den Comictext hinein‐ schleichen würde. Zuerst bricht Roem in Shakespearesche Verse aus, wenn er Merkit sein erstes Zusammensein mit Julia schildert, und dann geschieht es immer öfter, dass Bilals Sprechblasen mit Originalzitaten aus Romeo und Julia gefüllt sind (hier natürlich in der Schlegel‐Tieckschen Überset‐ zung). Wieder ist es vor allem Lawrence, dem die Zitate zuerst auffallen, und ihm wird auch die Zwanghaftigkeit klar, mit der die Tragödie ihren Lauf nimmt. Er will sich gegen die »uhrwerkhafte Mechanik« des Ablaufs stemmen, »retten, was noch zu retten ist. ROMEO und JULIA retten.« Die Adaption als feindliche Übernahme des späteren Textes durch die Vorlage? Hier scheint ein klassischer Fall von ›Einflussangst‹ vorzuliegen, wie sie der amerikanische Literaturwissenschaftler Harold Bloom als Reaktion eines Autors auf übermächtige literarische Vaterfiguren beschreibt; Bilal hat selbst in einem Interview davon gesprochen, dass er bewusst die Auseinandersetzung mit ei‐ nem großen literarischen Text suchte. Lawrence fragt Roem an einem Punkt: »Bist du dir deiner Liebe ganz sicher? Ich meine, kannst du sie in deinen eigenen Worten beschreiben? Nicht nur in denen von Shakespeare?«, und der Gefragte antwortet: »Unsere Worte wollen nicht mehr heraus … Aber wir wissen, es gibt sie.« Es gilt also, eine eigene Sprache zu finden gegenüber der vorge‐ fundenen der literarischen Tradition. Und der Comic findet sie, findet ein robustes Happy End, an dem der Geistliche mit den beiden Liebenden »in die untergehende Sonne« fährt, auch wenn die Sonne möglicherweise »nicht mehr ganz im Westen untergeht«. Martin Rowson: Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman. Nach Laurence Sterne. Knesebeck 2011 • 176 S. • 24,95 € • ISBN 978‐3‐86873‐370‐9 Sind die beiden Kafka‐Versionen aus dem Hause Knesebeck in mancher Hinsicht nicht ganz so glücklich gewählt, so hat der Verlag jedoch mit einer anderen literarischen Adaption einen grandiosen Glücksgriff ge‐ tan, und das gleich in doppelter Hinsicht: Nicht genug, dass mit Martin Rowsons wunderbarer Comic‐Übersetzung des Tristram Shandy ein Höhepunkt des Genres vorliegt, ist es dem Verlag auch noch gelungen, den hochgepriesenen Übersetzer der jüngsten deutschen Ausgabe des Romans, Michael Walter, für die sprachliche Übertragung des Comic‐ Textes zu gewinnen. 5 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz Der englische Zeichner hat es dabei nicht leicht: Kaum ein anderer Roman der Weltliteratur er‐ scheint ungeeigneter für eine Adaption als gerade dieser, in dem die Handlung kaum vom Fleck kommt, da der Erzähler fortwährend vom berühmten Hölzchen aufs Stöckchen gerät und dank diesem ausgeprägten Hang zu Abschweifungen in seiner Lebensbeschreibung für den Zeitraum von der Zeugung bis zur Geburt allein schon fast drei Bände (von neun erschienenen) benötigt. Rowson löst das Problem der nur ru‐ dimentär vorhandenen Handlung durch die Einführung einer Erzählerfi‐ gur, Tristram Shandy selbst, der eine Gruppe von drei Personen zügigen Schrittes durch seinen persönlichen Kosmos führt und diesen lautstark erläutert, zu Fuß oder mit den diver‐ sesten Fahrzeugen, Weltraumrakete einbegriffen. Nach einiger Zeit wird klar, dass das Trio, das, ihren naiven Nachfragen nach zu urteilen, wenig von seinen wortreichen Ausführun‐ gen zu verstehen scheint und zeitwei‐ lig von Shandy an der Nase (genauer: an Nasenringen) hinter sich her(um) geführt wird, eine Personifikation der Leserschaft sein muss (mit etwas Mühe kann man aber auch James Joyce, Virginia Woolf und Rowson selbst in ihnen identifizieren). Der Zeichner versucht aus Kräften, die Sternesche Technik der Digression noch zu übertreffen, in‐ dem er selbst eigene Exkurse in das Original einflicht. Die Comicadaption nimmt hier noch einmal eine ganz andere Qualität an: »Glaub nicht, das hier sei bloß ein Comic – das wird eine grafische Dissertation, mein Wort drauf, jawohl«, so behauptet es zumindestens nach einem guten Dutzend Seiten eine neu auftretende Figur, die man alsbald als Stellvertreter des Adaptors selbst erkennt, und man wäre dazu geneigt, dies angesichts des souveränen Umgangs mit der Vorlage für bare Münze zu nehmen, wenn – ja wenn nicht der Gesprächspartner des derart selbstbewusst sich Äu‐ ßernden comicgerecht ein Hund wäre, der seinem Herrn kurz darauf temperamentvoll eine dicklei‐ bige Abhandlung an den Kopf wirft, die jener ihm zum Lesen aufgetragen hatte (für Kenner: ein Zitat aus dem amerikanischen Zeitungscomic Krazy Kat). Rowson, selbst Karikaturist, erreicht eine visuelle Annäherung an Sternes Zeit durch einen karika‐ turhaft‐grotesken Stil, der unter anderem vielleicht auch auf satirische Karikaturen des 19. Jahrhun‐ derts zurückgeht, in denen Historiker aufgrund ihrer Verwendung von Sprechblasen erste Vorläufer des Comics gesehen haben. Gleichzeitig greift er bekannte Bildvorlagen quer durch die Kunstge‐ schichte auf, unter denen visuelle Zitate aus so unterschiedlichen Quellen wie Piranesis berühmten Carceri d’invenzione, Dürers Tierdarstellungen und Hogarths Satiren ins Auge fallen. Ungeniert mixt der Comic heterogenste Quellen und Zeiten, der Erzähler rammt dem ihm über den Weg laufenden Aristoteles, Hüter der klassischen Einheiten von Raum, Zeit und Handlung, wortwörtlich das Knie in den Schritt. Hochkulturelle lateinische Zitate erscheinen neben populären Figuren, Karl Marx taucht ganz beiläufig auf und verschwindet ebenso beiläufig wieder, eine »ausgelassene Schar hüpfender 6 Ein Themenheft von Joachim Trinkwitz französischer Dekonstruktivisten« zerlegt das Panel samt Sprechblasen, den darin befindlichen Adaptor sowie seinen Hund fröhlich in ihre Einzelteile und hüpft dann weiter – nicht die einzige Szene übrigens, in denen Rowson die Literaturwissenschaft aufs boshaft satirische Korn nimmt. Dabei geht es im Geschwindschritt durch die Erzählung, denn eines der Probleme einer Comicadap‐ tion ist, dass sie bedeutend mehr Platz braucht als reiner Text. Die ersten zehn Seiten des Romans nehmen bei Rowson schon fast fünfzehn ein, und etwa 140 Seiten später geht ihm nach dem vier‐ ten Band Sternes die Luft aus, die verbleibenden fünf Bände erledigt er durch einen miesen (aber hinreißend komischen) kleinen Kunstgriff im Schnellverfahren auf den letzten zwanzig Seiten. Ist es bei den teilweise sehr umfänglichen Abschweifungen und humoristisch gelehrten Erläuterun‐ gen Sternes ein Wunder, dass der Hund des Adaptors nach einem Drittel der Comicversion die Ge‐ duld verliert und sich verziehen will? Sein Herr läuft ihm mit dem vielsagenden Ausruf nach: »Aber Pete! Es sind doch bloß noch 549 Seiten, dann gibt’s richtig Action!« Wie Rowson dann die Situation rettet und zur nächsten Digression überleitet (im Übrigen seine eigene), ist jedenfalls höchst kurz‐ weilig, ich will sie keinem Leser vorwegnehmen. Überhaupt ist der Comic – den man in diesem Fall auch ungeniert so nennen darf, das euphemistische »Graphic Novel« des Klappentexts erscheint angesichts der anarchischen Spottlust des Buchs kaum angebracht – so voller Bild‐ und Situations‐ witz, dass man niemandem um das Vergnügen bringen wollte, die vielen, teilweise als kleines Detail in den Panels (oder auch außerhalb davon) versteckten Lustigkeiten selbst zu entdecken. * Um ein kleines Resümee zu ziehen: Sich eng an ihre Vorlagen haltende Comic‐Adaptionen literari‐ scher Werke haben durchaus ihre Berechtigung, sind in Ausnahmefällen sogar kongenial (neben Kupers Metamorphosis wäre noch diejenige von Paul Austers Roman City of Glass durch David Maz‐ zucchelli und Paul Karasik zu nennen) und erscheinen allgemein für didaktische Zwecke vielleicht gut geeignet (hauptsächlich dann, wenn sie einen Mehrwert, eine eigene Interpretation zustande bringen). Sie laufen aber auch Gefahr, zur bloßen duplizierenden Illustration des Textes zu geraten und damit schnell etwas langweilig zu wirken, sowie im schlimmeren Fall ihn durch eine allzu deut‐ liche Verbildlichung sogar zu verfehlen. Sehr frei mit ihren literarischen Vorlagen umgehende Adaptionen wie die beiden zuletzt bespro‐ chenen können dagegen die Möglichkeiten und Vorzüge des anderen Mediums besser ausspielen, indem sie den Stoff mit ihren eigenen Mitteln gestalten und damit das Verlorengegangene des Lite‐ rarischen durch eigenständige Qualitäten ersetzen. Das kann luftig amüsant sein wie Flix’ sympa‐ thische Parodie des Schulklassikers Faust, es kann aber auch kämpferische Auseinandersetzung oder gar Fortsetzung des Originals mit dessen eigenen Mitteln sein wie bei Bilal oder Rowson. Joachim Trinkwitz www.facebook.com/alliteratus  https://twitter.com/alliteratus © Alliteratus 2013 • Abdruck erlaubt unter Nennung von Quelle und Verfasser 7