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Archäologie auf dem heiligen Berg Südtirols

A RC H Ä O LO G I E A L PEN RAUM Neuerscheinung Archäologie auf dem heiligen Berg Südtirols Von 1978 bis 1982 fanden auf dem Säbener Burgberg Ausgrabungen statt, deren Ergebnisse für die Erforschung der Spätantike und des frühen Mittelalters im Alpenraum von großer Bedeutung sind. Im Februar wurde die dreibändige Monographie zu den Grabungen in Klausen vorgestellt. Von Ma rcu s Zage rma n n 40 Akademie Aktuell 04-2016 ALPEN RAUM A RC H Ä OLO G I E Abb. 1: Der Säbener Burgberg ABB.: W. DORFMANN von Osten. WER Ü B E R D EN Brennerpass in Richtung Süden fährt, bewegt sich lange Zeit auf einer Route, auf der schon in der Antike die römische Staatsstraße via Claudia Augusta Italien mit dem Alpenvorland verband. Auf Höhe von Klausen, zwischen Brixen und Bozen, erhebt sich westlich der heutigen Brennerautobahn der beeindruckende Säbener Burgberg mit seiner weitläuigen Klosteranlage (Abb. 1). Hier, am südlichsten Zipfel der spätantiken Provinz Raetia secunda, lag zwischen 400 und 700 n. Chr. ein wichtiges kirchliches Zentrum, zeitweise gar Bischofssitz, zu dem auch eine Siedlung und ein großes Gräberfeld gehörten. Dieses Ensemble war Gegenstand eines archäologischen Ausgrabungsprojektes der Jahre 1978 bis 1982, inanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Leitung oblag Volker Bierbrauer, vor Ort führte Hans Nothdurfter die Grabungen durch. Schnell war klar, wie bedeutend die Ergebnisse für die Erforschung der Spätantike und des frühen Mittelalters im Alpenraum sein werden. Georg Kossack, einer der Initiatoren des Projekts, war damals Mitglied der Kommission zur archäologischen Erforschung des spätrömischen Raetien [heute: Vergleichende Archäologie römischer Alpenund Donauländer] an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, später wurde er deren Vorsitzender. Auf der Jahressitzung der Kommission am 27. Juni 1980 fragte der damalige Vorsitzende, Joachim Werner, ob Georg Kossack bereit wäre, die Publikation dieser Grabung „der Kommissionsreihe MBV [Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte] anzubieten“. Damit begann die Geschichte von Säben als Publi- 04-2016 Akademie Aktuell 41 A RC H Ä O LO G I E A L PEN RAUM Abb. 2: Säben, Grab 100. Körper- kationsprojekt der Akademiekommission. Sie fand am 29. Februar 2016 mit der Präsentation des 58. Bandes der Münchner Beiträge in Klausen ihren Abschluss. Seit 2008 habe ich das Projekt redaktionell betreut, mit einer intensiven Schlussphase in den Jahren 2014 und 2015. Das dreibändige Werk der beiden Autoren Volker Bierbrauer und Hans Nothdurfter auf den Weg zu bringen, war eine besondere Herausforderung. Das war mir zu Beginn noch gar nicht klar, wurde mir aber von unserem ehemaligen Geschäftsführer Günter Ulbert in unnachahmlicher Art und Weise prophezeit: „Mit Säben müssen Sie jetzt läben!“ grab einer Frau mit Beigaben: Kamm und Messer im Beckenbereich, nicht sichtbar ein goldener Ohrring am Kopf. Zwischen Wirbelsäule und Beuge des rechten Armes ist die Bordüre eines golddurchwirkten Gewandes sichtbar. Von der Ausgrabung zur Publikation Abb. 3: Befundfoto aus der Grabungsdokumentation mit diversen Estrichen, Reparatur- Grob umrissen behandelt das Buch die frühchristliche Kirche und das zugehörige Gräberfeld, einen Friedhof der späten Römerzeit und des frühen Mittelalters (ca. 400–700 n. Chr.). Grundlage war eine Großgrabung in sehr schwierigem Gelände: zum einen logistisch-technisch aufgrund der steilen Hanglage, zum anderen bei der Interpretation der Befunde, denn der Geländeabfall bedingte, dass ein großer Teil der Kirche nicht mehr erhalten, sondern abgerutscht war. Schwierig auch, weil die Kirche eine Baugeschichte hat, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt. Anbauten, Umbauten, Ausbesserungen und Reparaturen im Mauerwerk und den Fußböden haben ihre Spuren im Boden hinterlassen. Den Archäologen zeigte sich eine höchst komplizierte Abfolge von Mauern, Estrichen und Gräbern, die behutsam freigelegt und zeitaufwändig dokumentiert werden musste (Abb. 3 und 4). Ein wichtiger Teil des Buches ist daher archäologisches Handwerk, nämlich das Präsentieren der während der Ausgrabung in Form von Vermessungen, Fotos, Zeichnun- 42 Akademie Aktuell 04-2016 ABB.: DENKMALAMT BOZEN (3) und Baumaßnahmen. ALPEN RAUM ABB.: BADW gen und langen Beschreibungen gemachten Dokumentation. Damit wird die Ausgrabung für alle Fachkollegen gleichermaßen nutzbar. Außerdem wird die Dokumentation so auch langfristig gesichert. Während auf der Ausgrabung noch möglichst objektiv gearbeitet wird, um eine neutrale Dokumentation zu gewährleisten, verlangt die Befundvorlage von den Autoren bereits eine auswertende Analyse. Das erfordert nicht nur die intensive Auseinandersetzung mit den ausgegrabenen Schichten und Mauerresten, sondern auch Mut zum zusammenfassenden Urteil, gewissermaßen aus der Adlerperspektive. Außerdem macht dieser Schritt eine Menge technische Arbeit. So sind diverse Etappen nötig, bis eine Grabungszeichnung interpretiert, zeichnerisch umgesetzt und schließlich viele davon – reduziert in der Detailfülle – zu einem Gesamtplan zusammengesetzt werden können. Beruliche Veränderungen und damit verbundene Ortswechsel der Autoren führten dazu, dass dieser Teil des Buches über einen längeren Zeitraum entstand. Während solche Verzögerungen aus fachlicher Sicht durchaus positive Effekte haben können, beispielsweise wenn bestimmte Interpretationen nach einer A RC H Ä OLO G I E gewissen Zeit erneut hinterfragt werden, so gestaltet sich die redaktionelle Umsetzung dadurch wesentlich schwieriger. Die letztendlich 294 Abbildungen, 144 Tafeln und 36 Beilagen befanden sich aus genannten Gründen auf einem sehr unterschiedlichen Stand, der die technische Entwicklung dreier Jahrzehnte widerspiegelte, von Letraset bis Photoshop. So war bei der Druckvorbereitung viel Absprache und Feintuning mit Volker Babucke vom Likias Verlag notwendig, der neben Satz und Layout auch graphische Nachbearbeitungen übernahm. Gleichzeitig kannte er als einstiger studentischer Grabungshelfer auf Säben den Platz aus eigener Anschauung. Neue Erkenntnisse Die eigentliche Auswertung, die archäologische Analyse, fragt zunächst nach dem Charakter des Kirchengebäudes, das hier irgendwann in den Jahrzehnten um 400 entsteht. Eine Begräbniskirche oder Gemeindekirche für den Wortgottesdienst? Vielleicht auch eine der Mischformen, wie sie in dieser Zeit mitunter begegnen? Es kommt auf kleine Details an, die umso schwieriger zu bewerten sind, je schlechter sie im archäologischen Befund erhalten Abb. 4: Originalzeichnung aus der Grabungsdokumentation. Im Maßstab 1:20 werden die Mauern und Schichten zunächst gezeichnet und beschrieben. Darauf aufbauend folgt später die Auswertung. 04-2016 Akademie Aktuell 43 A L PEN RAUM Literatur V. Bierbrauer, H. Nothdurfter: Die Ausgrabungen im spätantikfrühmittelalterlichen Bischofssitz Sabiona-Säben in Südtirol I. Frühchristliche Kirche und Gräberfeld (≈ Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 58), München 2015, 294 Abb. im Text, 144 Taf., 36 Beilagen. DER AUTOR Dr. Marcus Zagermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Vorhabens „Vergleichende Archäologie römischer Alpenund Donauländer“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von 2008 bis 2015 leitete er die Ausgrabungen auf dem Monte San Martino und wertet diese derzeit aus. sind. Nach einem ersten Umbau der Kirche scheinen der Befund und seine Interpretation klarer, denn nun entstehen Bereiche, die für Laien nicht mehr zugänglich sind. Sie sind Mitgliedern des Klerus, also geistlichen Amtsträgern, vorbehalten. Ein weiterer Schwerpunkt der Analyse liegt auf dem zugehörigen Gräberfeld, einem der größten bekannten Friedhöfe der frühchristlichen Zeit im Alpenraum. Viele Gräber sind beigabenlos, einige enthalten wichtige Objekte. Meistens überlagern sich die Gräber gegenseitig. Viele Überschneidungen sind der Fall, aber auch zusammengeräumte Bestattungen, wenn man beim Anlegen eines neuen auf ein altes Grab stieß, kommen vor. Wieder steht am Beginn die Dokumentation, und zwar als Katalog mit Abbildung des Grabes und der zugehörigen Beigaben. Darauf baut die ausführliche Auswertung auf. Ausgehend von Säben werden darin Bestattungs- und Beigabensitten im Alpenraum zwischen 400 und 700 n. Chr. diskutiert – eine Zeit, in der vieles noch althergebrachten Traditionen verhaftet blieb, Neues, vor allem christlich Geprägtes, aber mehr und mehr in den Vordergrund drängte. Das Fehlen von Beigaben in Form von Gefäßen oder persönlicher Ausstattung muss dabei nicht bedeuten, dass es sich um eine ärmliche Bestattung handelt. Winzigste Goldfäden zeigen bei verschiedenen Säbener Gräbern, dass die dort Beerdigten bzw. ihre Familien zwar keinen Wert mehr auf mitgegebenes Sachgut legten, ihre Toten aber in golddurchwirkten Gewändern beisetzten, was sie als Mitglieder der Oberschicht kennzeichnet (Abb. 2). In zwei großen naturwissenschaftlichen Beiträgen sind diese Goldfäden aus Säben untersucht worden, technologisch und auch funktional. Abschluss in feierlichem Rahmen Am 29. Februar 2016 zeigte sich, wie groß der Stellenwert Säbens in Südtirol ist (Abb. 5). Der Festsaal des Ansitzes Seebegg bot einen feierlichen Rahmen für die Buchpräsentation, nicht alle der zahlreichen Gäste fanden einen Platz im Saal. Maria-Anna Gasser Fink, die Bürgermeisterin der Gemeinde Klausen, verkündete bei der Begrüßung auch die Ernennung Hans Nothdurfters zum Klausener Ehrenbürger. Georg Mühlberger als Vorsitzender des Südtiroler Kulturinstitutes und die beiden Landesräte Florian Mussner und Philipp Achammer unterstrichen die Bedeutung Säbens und der dortigen archäologischen Forschungen für das Land Südtirol. Bischof Ivo Muser betonte die Wichtigkeit der „Heimat der Diözese“ bis zum heutigen Tag. Mit der feierlichen Präsentation ging für die Akademiekommission das Publikationsprojekt Säben nach 35 Jahren zu Ende. Für die Fachwelt geht es selbstverständlich weiter, denn nun können die Befunde und Funde diskutiert werden und die Forschung bereichern. n Abb. 5: Buchpräsentation in Klausen. Blick in den Festsaal des Ansitzes Seebegg. 44 Akademie Aktuell 04-2016 ABB.: GEMEINDE KLAUSEN A RC H Ä O LO G I E