A RC H Ä O LO G I E
A L PEN RAUM
Neuerscheinung
Archäologie auf dem heiligen Berg Südtirols
Von 1978 bis 1982 fanden auf dem Säbener Burgberg
Ausgrabungen statt, deren Ergebnisse für die
Erforschung der Spätantike und des frühen Mittelalters
im Alpenraum von großer Bedeutung sind.
Im Februar wurde die dreibändige Monographie zu den
Grabungen in Klausen vorgestellt.
Von Ma rcu s Zage rma n n
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Abb. 1: Der Säbener Burgberg
ABB.: W. DORFMANN
von Osten.
WER Ü B E R D EN Brennerpass in Richtung
Süden fährt, bewegt sich lange Zeit auf einer
Route, auf der schon in der Antike die römische Staatsstraße via Claudia Augusta Italien
mit dem Alpenvorland verband. Auf Höhe von
Klausen, zwischen Brixen und Bozen, erhebt
sich westlich der heutigen Brennerautobahn
der beeindruckende Säbener Burgberg mit
seiner weitläuigen Klosteranlage (Abb. 1). Hier,
am südlichsten Zipfel der spätantiken Provinz
Raetia secunda, lag zwischen 400 und 700 n.
Chr. ein wichtiges kirchliches Zentrum, zeitweise gar Bischofssitz, zu dem auch eine Siedlung
und ein großes Gräberfeld gehörten.
Dieses Ensemble war Gegenstand eines archäologischen Ausgrabungsprojektes der Jahre
1978 bis 1982, inanziert durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft. Die Leitung oblag
Volker Bierbrauer, vor Ort führte Hans Nothdurfter die Grabungen durch. Schnell war klar,
wie bedeutend die Ergebnisse für die Erforschung der Spätantike und des frühen Mittelalters im Alpenraum sein werden. Georg Kossack,
einer der Initiatoren des Projekts, war damals
Mitglied der Kommission zur archäologischen
Erforschung des spätrömischen Raetien [heute:
Vergleichende Archäologie römischer Alpenund Donauländer] an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, später wurde er deren
Vorsitzender. Auf der Jahressitzung der Kommission am 27. Juni 1980 fragte der damalige
Vorsitzende, Joachim Werner, ob Georg Kossack
bereit wäre, die Publikation dieser Grabung „der
Kommissionsreihe MBV [Münchner Beiträge
zur Vor- und Frühgeschichte] anzubieten“. Damit begann die Geschichte von Säben als Publi-
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Abb. 2: Säben, Grab 100. Körper-
kationsprojekt der Akademiekommission. Sie fand am 29. Februar
2016 mit der Präsentation des 58.
Bandes der Münchner Beiträge
in Klausen ihren Abschluss. Seit
2008 habe ich das Projekt redaktionell betreut, mit einer intensiven Schlussphase in den Jahren
2014 und 2015. Das dreibändige
Werk der beiden Autoren Volker
Bierbrauer und Hans Nothdurfter
auf den Weg zu bringen, war eine
besondere Herausforderung. Das
war mir zu Beginn noch gar nicht
klar, wurde mir aber von unserem
ehemaligen Geschäftsführer Günter Ulbert in unnachahmlicher Art
und Weise prophezeit: „Mit Säben
müssen Sie jetzt läben!“
grab einer Frau mit Beigaben:
Kamm und Messer im Beckenbereich, nicht sichtbar ein goldener Ohrring am Kopf. Zwischen Wirbelsäule und Beuge
des rechten Armes ist die
Bordüre eines golddurchwirkten
Gewandes sichtbar.
Von der Ausgrabung
zur Publikation
Abb. 3: Befundfoto aus der
Grabungsdokumentation mit
diversen Estrichen, Reparatur-
Grob umrissen behandelt das
Buch die frühchristliche Kirche
und das zugehörige Gräberfeld,
einen Friedhof der späten Römerzeit und des frühen Mittelalters
(ca. 400–700 n. Chr.). Grundlage
war eine Großgrabung in sehr
schwierigem Gelände: zum einen
logistisch-technisch aufgrund der
steilen Hanglage, zum anderen
bei der Interpretation der Befunde, denn der Geländeabfall
bedingte, dass ein großer Teil
der Kirche nicht mehr erhalten,
sondern abgerutscht war. Schwierig auch, weil die Kirche eine
Baugeschichte hat, die sich über
mehrere Jahrhunderte erstreckt.
Anbauten, Umbauten, Ausbesserungen und
Reparaturen im Mauerwerk und den Fußböden haben ihre Spuren im Boden hinterlassen. Den Archäologen zeigte sich eine höchst
komplizierte Abfolge von Mauern, Estrichen
und Gräbern, die behutsam freigelegt und
zeitaufwändig dokumentiert werden musste
(Abb. 3 und 4). Ein wichtiger Teil des Buches
ist daher archäologisches Handwerk, nämlich
das Präsentieren der während der Ausgrabung
in Form von Vermessungen, Fotos, Zeichnun-
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ABB.: DENKMALAMT BOZEN (3)
und Baumaßnahmen.
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ABB.: BADW
gen und langen Beschreibungen gemachten
Dokumentation. Damit wird die Ausgrabung
für alle Fachkollegen gleichermaßen nutzbar.
Außerdem wird die Dokumentation so auch
langfristig gesichert.
Während auf der Ausgrabung noch möglichst
objektiv gearbeitet wird, um eine neutrale
Dokumentation zu gewährleisten, verlangt die
Befundvorlage von den Autoren bereits eine
auswertende Analyse. Das erfordert nicht nur
die intensive Auseinandersetzung mit den
ausgegrabenen Schichten und Mauerresten,
sondern auch Mut zum zusammenfassenden
Urteil, gewissermaßen aus der Adlerperspektive. Außerdem macht dieser Schritt eine Menge
technische Arbeit. So sind diverse Etappen
nötig, bis eine Grabungszeichnung interpretiert, zeichnerisch umgesetzt und schließlich
viele davon – reduziert in der Detailfülle – zu
einem Gesamtplan zusammengesetzt werden
können. Beruliche Veränderungen und damit
verbundene Ortswechsel der Autoren führten
dazu, dass dieser Teil des Buches über einen
längeren Zeitraum entstand. Während solche
Verzögerungen aus fachlicher Sicht durchaus
positive Effekte haben können, beispielsweise
wenn bestimmte Interpretationen nach einer
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gewissen Zeit erneut hinterfragt werden, so
gestaltet sich die redaktionelle Umsetzung dadurch wesentlich schwieriger. Die letztendlich
294 Abbildungen, 144 Tafeln und 36 Beilagen
befanden sich aus genannten Gründen auf
einem sehr unterschiedlichen Stand, der die
technische Entwicklung dreier Jahrzehnte
widerspiegelte, von Letraset bis Photoshop. So
war bei der Druckvorbereitung viel Absprache
und Feintuning mit Volker Babucke vom Likias
Verlag notwendig, der neben Satz und Layout
auch graphische Nachbearbeitungen übernahm. Gleichzeitig kannte er als einstiger
studentischer Grabungshelfer auf Säben den
Platz aus eigener Anschauung.
Neue Erkenntnisse
Die eigentliche Auswertung, die archäologische
Analyse, fragt zunächst nach dem Charakter
des Kirchengebäudes, das hier irgendwann
in den Jahrzehnten um 400 entsteht. Eine
Begräbniskirche oder Gemeindekirche für den
Wortgottesdienst? Vielleicht auch eine der
Mischformen, wie sie in dieser Zeit mitunter
begegnen? Es kommt auf kleine Details an, die
umso schwieriger zu bewerten sind, je schlechter sie im archäologischen Befund erhalten
Abb. 4: Originalzeichnung aus
der Grabungsdokumentation.
Im Maßstab 1:20 werden die
Mauern und Schichten zunächst
gezeichnet und beschrieben.
Darauf aufbauend folgt später
die Auswertung.
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Literatur
V. Bierbrauer, H. Nothdurfter: Die Ausgrabungen im spätantikfrühmittelalterlichen Bischofssitz Sabiona-Säben in Südtirol I.
Frühchristliche Kirche und Gräberfeld (≈ Münchner Beiträge
zur Vor- und Frühgeschichte 58), München 2015, 294 Abb. im
Text, 144 Taf., 36 Beilagen.
DER AUTOR
Dr. Marcus Zagermann ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter
des Vorhabens „Vergleichende
Archäologie römischer Alpenund Donauländer“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von 2008 bis 2015
leitete er die Ausgrabungen auf
dem Monte San Martino und
wertet diese derzeit aus.
sind. Nach einem ersten Umbau der Kirche
scheinen der Befund und seine Interpretation
klarer, denn nun entstehen Bereiche, die für Laien nicht mehr zugänglich sind. Sie sind Mitgliedern des Klerus, also geistlichen Amtsträgern,
vorbehalten. Ein weiterer Schwerpunkt der
Analyse liegt auf dem zugehörigen Gräberfeld,
einem der größten bekannten Friedhöfe der
frühchristlichen Zeit im Alpenraum. Viele Gräber sind beigabenlos, einige enthalten wichtige
Objekte. Meistens überlagern sich die Gräber
gegenseitig. Viele Überschneidungen sind der
Fall, aber auch zusammengeräumte Bestattungen, wenn man beim Anlegen eines neuen auf
ein altes Grab stieß, kommen vor.
Wieder steht am Beginn die Dokumentation,
und zwar als Katalog mit Abbildung des Grabes
und der zugehörigen Beigaben. Darauf baut die
ausführliche Auswertung auf. Ausgehend von
Säben werden darin Bestattungs- und Beigabensitten im Alpenraum zwischen 400 und 700
n. Chr. diskutiert – eine Zeit, in der vieles noch
althergebrachten Traditionen verhaftet blieb,
Neues, vor allem christlich Geprägtes, aber
mehr und mehr in den Vordergrund drängte.
Das Fehlen von Beigaben in Form von Gefäßen
oder persönlicher Ausstattung muss dabei nicht
bedeuten, dass es sich um eine ärmliche Bestattung handelt. Winzigste Goldfäden zeigen bei
verschiedenen Säbener Gräbern, dass die dort
Beerdigten bzw. ihre Familien zwar keinen Wert
mehr auf mitgegebenes Sachgut legten, ihre
Toten aber in golddurchwirkten Gewändern beisetzten, was sie als Mitglieder der Oberschicht
kennzeichnet (Abb. 2). In zwei großen naturwissenschaftlichen Beiträgen sind diese Goldfäden
aus Säben untersucht worden, technologisch
und auch funktional.
Abschluss in feierlichem Rahmen
Am 29. Februar 2016 zeigte sich, wie groß der
Stellenwert Säbens in Südtirol ist (Abb. 5). Der
Festsaal des Ansitzes Seebegg bot einen feierlichen Rahmen für die Buchpräsentation, nicht
alle der zahlreichen Gäste fanden einen Platz
im Saal. Maria-Anna Gasser Fink, die Bürgermeisterin der Gemeinde Klausen, verkündete
bei der Begrüßung auch die Ernennung Hans
Nothdurfters zum Klausener Ehrenbürger.
Georg Mühlberger als Vorsitzender des Südtiroler Kulturinstitutes und die beiden Landesräte Florian Mussner und Philipp Achammer
unterstrichen die Bedeutung Säbens und der
dortigen archäologischen Forschungen für
das Land Südtirol. Bischof Ivo Muser betonte
die Wichtigkeit der „Heimat der Diözese“ bis
zum heutigen Tag. Mit der feierlichen Präsentation ging für die Akademiekommission das
Publikationsprojekt Säben nach 35 Jahren zu
Ende. Für die Fachwelt geht es selbstverständlich weiter, denn nun können die Befunde und
Funde diskutiert werden und die Forschung
bereichern.
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Abb. 5: Buchpräsentation in Klausen. Blick in
den Festsaal des Ansitzes Seebegg.
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ABB.: GEMEINDE KLAUSEN
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