Rezension von: Luke Sunderland: Rebel Barons. Resisting Royal Power in Medieval Culture,
Oxford: Oxford University Press 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 7/8 [15.07.2018], URL:
http://www.sehepunkte.de/2018/07/31492.html
Christoph Mauntel
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Mit "Rebel Barons" hat Luke Sunderland, Experte für französische Literatur aus Durham, ein
für die mediävistische Politikgeschichte durch und durch relevantes Buch geschrieben. Er
untersucht Widerstandsformen des Adels gegen das Königtum in mittelalterlichen chansons
de geste. Sunderland weiß um seinen speziellen Fokus und er räumt ein, mit dieser Perspektive
der Ästhetik des Genres der chansons de geste ebenso wenig gerecht zu werden, wie den
vielfältigen Themen, die es bietet: Liebe, Emotion, komplexe Handlungsstränge usw. (252). Als
seine Hauptziele benennt Sunderland eine breite literarische Motivgeschichte des
'rebellierenden Barons' schreiben und dessen Bedeutung für die politische Kultur
hervorheben zu wollen. (15) Man kann Sunderland zu dieser mutigen Ausrichtung nur
gratulieren, denn er hebt damit einen bisher übersehenen Schatz, da Rebellion in der Tat ein
häufig behandeltes Thema in den Liedern ist. Das erste selbstgesetzte Ziel erfüllt Sunderland
vollauf, beim zweiten bleibt er jedoch hinter den Möglichkeiten zurück, weil seine
Schlussfolgerungen zu sehr auf die untersuchte Gattung selbst bezogen bleiben. Sunderland
bekennt, er finde es nicht hilfreich, zwischen literarischen Texten und "externen politischen
Realitäten" (7) hin und her zu springen. Aus der Sicht des Historikers - und aus dieser
Perspektive schreibt der Rezensent - ist dies eine verschenkte Chance, denn das Buch und
seine Thesen hätten durch eine deutlich interdisziplinäre Ausrichtung viel gewinnen können.
Den Ansatz dazu bietet Sunderland durchaus, in dem er hier und da auf eben jene 'externen
Realitäten' verweist, auf die die literarischen Texte seinem eigenen Ansatz nach reagieren
würden (17). So spiegele etwas das Lied Gaydon die Streitpunkte, die 1215 in die Abfassung
der 'Magna Carta' mündeten (74). Die breitere Einbeziehung geschichtswissenschaftlicher
Forschungskonzepte und -ergebnisse hätte solche Einsichten in die politische Denkkultur des
Mittelalters vertiefen können.
Nach der Einleitung (1-19) nimmt Sunderland in sechs inhaltlichen Kapiteln verschiedene
Phänomene in den Blick, die er jeweils mit Einzelanalysen verschiedener chansons angeht. Das
Kapitel über "Sovereignty" (20-53) versteht sich als Vorbau: hier werden Autoren wie
Johannes von Salisbury, Thomas von Aquin und Marsilius von Padua als Advokaten einer
starken und übergeordneten Stellung des Königtums portraitiert (wobei die wichtige Frage
ihrer Rezeption und Wirkmächtigkeit hier leider ausgeklammert bleibt). Es sei genau diese
Sicht, gegen die die 'Rebel baron texts' sich wenden würden.
Derartige, mit der dominierenden politischen Theorie rivalisierenden Diskurse aus den
chansons de geste stellt Sunderland im folgenden Kapitel "Revolt" (54-97) vor. In den Werken
Les Saisnes (ca. 1180-1200) und Girart de Vienne (um 1180) etwa erscheinen Rebellionen als
Mittel, den Status verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auszubalancieren - der König
habe hier die Aufgabe, die widerstreitenden Interessen zu moderieren und könne selbst nur
1
durch den Konsens der Fürsten herrschen (61; 73). Hier hätte sich die Einbindung von Bernd
Schneidmüllers Konzept der 'konsensualen Herrschaft' angeboten. [1]
Das Kapitel über "Resistance" (98-137) zielt auf Beispiele, in denen königliche Zugriffe nicht
nur bekämpft, sondern rundheraus abgelehnt werden. So gehe es etwa in Girard de Roussillon
(1136-1180) um die Frage, ob feudale Bindungen einseitig kündbar seien, oder die königliche
Souveränität über dem Lehensrecht stehe (112). Interessant ist die Einbeziehung der
ereignisgeschichtlich orientierten Chanson de la Croisade Albigeoise (1219), deren Changieren
zwischen Treue zur Kirche und Verständnis für den okzitanischen Widerstand gegen den
Albigenserkreuzzug herausgearbeitet wird.
Im folgenden Kapitel ("Charlemagne", 138-174) wird Karl der Große als Modellkönig
vorgestellt, an dem sich die Adligen in vielen Versepen abgearbeitet haben. Der große
Karolinger changiere in den Texten zwischen Held und Schurke und verkörpere eine Figur, die
mal zur Adelssolidarität mahne und mal den Adel spalte. Neben diversen chansons de geste
bezieht Sunderland hier auch die Grandes Chroniques ein. Diese haben sich dem Sog der
reichen Erzähltradition nicht entziehen können und die (fiktive) Kreuzfahrervergangenheit
Karls übernommen, dabei dem Königtum kritisch gegenüberstehenden Perspektiven aber
keinerlei Raum eingeräumt.
Die Kapitel "Feud" (175-212) und "Crusade" (213-250) nehmen abschließend zwei Sonderfälle
mittelalterlicher Kriegsführung in den Blick. "Fehde" wird zwar kurz als "kontroverser Begriff"
benannt, dient Sunderland dann aber als bloße "narrative Idee", weil er ja mit literarischen
Quellen arbeite (175). Während die Auseinandersetzung mit einem in der
Geschichtswissenschaft umstrittenen Forschungskonzept hier zu kurz kommt, gelingt es
Sunderland aber, den Wert seiner Quellentexte für die Fehde- und Konfliktforschung deutlich
zu machen: Die Adligen sähen sich gegenseitig als gleichrangig an und versuchten
entsprechend, die königliche Schlichtung von Konflikten zu umgehen bzw. diese sogar
zurückzuweisen (so etwa in der Vengeance de Fromondin (ca. 1260), 186). Das KreuzzugsKapitel bindet sich nur mühsam an die vorhergehenden Kapitel an: Hier geht es größtenteils
um religiös fundierte Gewalt und Ausgrenzungsmechanismen, so dass der Einwurf, der
tatsächliche Feind der Krieger sei der König in der Heimat (228), reichlich unvermittelt kommt.
Sunderland argumentiert, dass die Epen den karolingischen Hof als wenig attraktiv schildern
würden, vor allem im Abgleich mit den Möglichkeiten, die die Kreuzzüge eröffneten (250): Der
Kriegerkönig büße seine Attraktivität ein. Inwiefern dies 'Rebellion' ist, bleibt allerdings offen.
Sunderlands These, dass die karolingische epische Tradition einen politischen Diskursrahmen
bildete, der Fragen von Macht, Autorität und der Legitimität von Rebellion und Widerstand
verhandelte, kann man vollauf zustimmen. In der Tat bieten die Geschichten um adlige Helden
und Krieger einen ganz anderen Zugang zu politischen Vorstellungswelten, als die bisher im
Fokus der Forschung stehenden akademischen Theoretiker oder königsnahen Publizisten. Dies
herausgearbeitet zu haben, ist das nicht geringe Verdienst von Sunderlands Studie. Sein Wert
für die historische Forschung wird jedoch durch zahlreiche Schwächen gemindert. Kleinere
inhaltliche Fehler (Karl Martell wird fälschlich als König angesprochen (1), Philippe de
Beaumanoir wird im Index unter "de Beaumanoir" geführt, Thomas von Aquin unter "Aquin"
(276)) fallen dabei nicht so schwer ins Gewicht, wie methodische Makel. Den Mangel an
Forschungen über Adelsrevolten, den Sunderland eingangs (1) konstatiert, gibt es eigentlich
nicht: Neben einschlägigen monographischen Studien, die Sunderland selbst zitiert, gibt es
2
eine Vielzahl von Beiträgen zu speziellen Revolten. [2] John Watts Synthese über
mittelalterliche Politikvorstellungen wird nicht zitiert und Antony Blacks Standardwerk über
politisches Denken hätte deutlich stärker eingebunden werden können. [3]
Hauptkritikpunkt aus historischer Perspektive ist die schon angesprochene fehlende
Einbeziehung des historischen Kontexts: Zwar nimmt Sunderland in einzelnen Fällen Rekurs
auf zeitgenössische Konflikte, um aber über die politische Kultur Aussagen treffen zu können,
wie es sein Ziel war, müsste dies weitaus systematischer erfolgen. Nach der durchaus
gewinnbringenden Lektüre des Buchs wird klar, dass das Thema der Adelsrevolten und der
damit verbundenen politischen Vorstellungen eine interdisziplinäre Herangehensweise
erfordert. Im Umkehrschluss bedeutet dies für Historiker, die sich für politische Vorstellungen
im Allgemeinen oder Revolten im Speziellen interessieren, dass es sich zweifelsohne lohnt,
sich mit Sunderlands Studie auseinanderzusetzen.
Anmerkungen:
[1] Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im
Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig / Sigrid Jahns / Hans-Joachim Schmidt / Rainer Christoph Schwinges / Sabine
Wefers (Hgg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (Historische
Forschungen; 67), Berlin 2000, 53-87. Vgl. auch die englische Fassung: Rule by Consensus. Forms and Concepts
of Political Order in the European Middle Ages, in: The Medieval History Journal 16/2 (2013) 449-471.
[2] Es seien nur einige Bände genannt, die Sunderland nicht zitiert: Philippe Depreux (Hg.): Revolte und
Sozialstatus von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit, Révolte et statut social de l'Antiquité tardive aux Temps
modernes (Pariser Historische Studien; 87), München 2008; Monique Bourin / Giovanni Cherubini / Giuliano
Pinto (a cura di): Rivolte urbane e rivolte contadine nell'Europa del Trecento. Un confronto (Biblioteca di Storia;
6), Florenz 2008; Olivier Bouzy: La révolte des nobles du Berry contre Louis XI. Guerre et économie en 1465, Paris
2006. Gleichzeitig mit der Studie Sunderlands ist erschienen: Justine Firnhaber-Baker / Dirk Schoenaers (eds.):
The Routledge History Handbook of Medieval Revolt (Routledge Handbooks), New York et al. 2017. Nützlich
wären auch einzelne Aufsätze gewesen, etwa Valerie Vrancken: United in Revolt and Discourse. Urban and Noble
Perceptions of 'Bad Government' in Fifteenth-Century Brabant (1420-1), in: Journal of Medieval History 43
(2017), 579-599.
[3] John Watts: The Making of Polities. Europe, 1300-1500 (Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 2009;
Antony Black: Political Thought in Europe, 1250-1450 (Cambridge Medieval Textbooks), Cambridge 1992.
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