aus:
Bettina Braun/ Mareike Menne/ Michael Ströhmer (Hrsg.):
Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten in der Spätphase des Alten Reiches.
Epfendorf am Neckar 2008, S.239-262.
Stefan Heinz
>>Ecce
hora
est<<
Die Inszenieruns des Schönen Todes an Bischofssrabmälern
in Tiier und Mainz
Fällt der Terminus >>Barock<, so sind die Assoziationen oftmals kunst- oder kulturhistorischer Ar| auch wenn Barock als >Ausdruck geistlichen Herrschaftsstils<< fraglos zu
einer >politischen Kategorie< werden kann.l Da der Begriff sich ideal eignet, die
Repräsentation in einem geistlichen Staat zu charakterisieren, bietet er sich bei der
Analyse erzbischöflicher Grabmäler geradezu an. Insofem verwundert es, daß die Untersuchung nordalpiner Barockgrabmäler immer noch zu den kunsthistorischen Desideraten zählt, obwohl die Erforschung von Funeraldenkmälern hoher Würdenträger in
den letzten Jahren große Fortschritte erzielt hat. Neben verschiedenen Projekten, daraus resultierenden Tägungs- und Sammelbänden.2 liegen inzwischen mehrere Einzelstudien vor. die biographische3 oder typologischea Forschungslücken schließen. Dabei
sind die Grabdenkmäler längst aus dem Forschungskreis der reinen Kunstgeschichte
herausgetreten und haben die Aufmerksamkeit vieler anderer Disziplinen erfahren und
GöTTMANN, Frank: Politik und Herrschaftsverständnis Ferdinands von Fürstenberg, in: BöRSTE,
Norbert / ERNESTI, Jörg (Hg.), Friedensfürst und guter Hine. Ferdinand von Fürstenberg, Fürstbischof von Paderborn und Münster, Paderborn 2004, S.233-271, hier S.259; vgl. auch BRAUN,
Bettina / GöTTMANN, Frank: Der geistliche Staat der Frühen Neuzeit. Einblicke in Stand und
Tendenzen der Forschung, in: Dtes. / Dens. / Srnösunn, Michael (Hg.), Geistliche Staaten im
Nordwesten des Alten Reiches. Forschungen zum Problem frühmodemer Staatlichkeit (Paderborner
Beirräge zur Geschichre 13), Köln 2003, S.59-86, hier S.68 f.
Vorliegender Essay erwuchs aus dem ehemaiigen Grabmalprojekt des Täerer Sonderforschungsbereichs 235 >Zwischen Maas und Rhein<. Mein Dank gilt Prof. Dr. Dr. Andreas Tacke (Täer) und
den Teilnehmern seines Doktoranden-Kolloquiums. Für weitere Hinweise danke ich Prof. Dr. Wolfgang Schmid und Mario Simmer, M.A. (Tiier) sowie PD Dr. Bettina Braun (Mainz), Inga Brinkmann, M.A. (Berlin) und Dr. Martin Gaier (Basel).
Vgl. in Auswahl HENGERER, Mark (Hg.): Macht und Memoria. Begräbniskultur europäischer Oberschichten in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2005; PoESCHKE, Joachim / KuscH-ARNoLD, Bdtta / WEIcEL, Thomas (Hg.): Praemium Virtutis II. Grabmäler und Begräbniszeremoniell
in der italienischen Hoch- und Spätrenaissance (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche
Wertesysteme 9), Münster 2005; KansrsN, Arne / ZTTzLSeERGER, Philipp (Hg.): Tod und Verklärung. Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit, Kö1n / Weimar / Wien 2004; HETNZ, Stefan / RoruBRUST, Barbara / SCHMID, Wolfgang: Die Grabdenkmäler der Erzbischöfe von Täer, Köln und
Mainz, Trier 2004; BnrnvaNN, Carolin / Kansrex, Arne / ZTTzLSeERGER, Philipp (Hg.), Grab, Kult
und Memoria. Studien zur gesellschaftlichen Funktion von Erinnerung, Köln 2007; BenrselBRAND, Andrea: Grabdenkmäler nordeuropzüscher Fürstenhäuser im Zeitalter der Renaissance
1550 1650 (Bau + Kunst. Schleswig-Holsteinische Schriften zur Kunstgeschichte 9), Kiel 2007.
MERKEL, Kerstin: Jenseits-Sicherung. Kardinal Albrecht von Brandenburg und seine Grabdenk-
mäler, Regensburg 2004.
BRATNT,R, Luzie: Die erzbischöflichen Grabdenkmäler des 17. und 18. Jahrhunderts im Mainzer
Dom (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte I l3), Mainz 2005.
239
Stelan Heinz
von deren methodischen Vorgehensweisen profitiert. So fragt die Liturgiewissenschaft
nach der Einbettung der Denkmäler in den liturgischen Dienst, und die Memorialforschung ist eine eigene Wissenschaft geworden, während die Epigraphik wichtige Hinweise zu der Gegenstandssicherung, der Datierung und Klassifizierung beisteuert.
Tkotz des Methoden- und Disziplinenpluralismus ist die Grabmalforschung der >>klassischen<< Kunstgeschichte in den letzten Jahrzehnten dennoch nicht stehengeblieben, so
daß man heute die Genese der Gattung in recht elementaren Entwicklungsschritten
nachvollziehen kann, besonders für die Zeit des Mittelalters.s Auch zahlreiche Sonderformen der folgenden Jahrhunderte sind typologisch untersucht.
Gegenstand der folgenden Analyse sind Grabmonumente, die als Demi-Gisant bezeichnet werden. Dabei sollen zunächst allgemeine Fragen zu diesem Typus geklärt
werden, der in der italienischen Renaissance eine erste Blüte erlebte. Dem weniger
erforschten Fortleben dieses Typus im 17. und 18. Jahrhundert folgen beispielhaft zwei
hochrangige Grabmäler des Barock in Mainz und Tüer: das Denkmal für Anselm
Franz von Ingelheim sowie das Grabmal für Johann Philipp von Walderdorff. Abschließend werden Fragen des inszenatorischen Gehaits dieser Grabmäler diskutiert.
Erwin Panofslcy, der >Demi-Gisant< und seine inhaltliche Deutung
Aus dem Blickwinkel der Kunstgeschichte ist die Gattungsgeschichte von figürlichen
Grabmdlern untrennbar mit den grundlegenden Forschungen von Erwin Panofsky verbunden, obgleich seine Beobachtungen nunmehr fast ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Als Produkt einer öffentlichen New Yorker Vorlesungsreihe erschien 1964
gleichzeitig in Englisch und Deutsch der Band >iTomb Sculpture< bzw. "Grabplastik."6
In seinem grundlegenden Werk prägte der für seinen Humor bekannte Panofsky eine
Reihe von bis heute gültigen Begriffen, darunter so saloppe Bezeichnungen wie >Doppeldecker< für die übereinandergesetzte Kombination von betendem und totem Abbild
des Verstorbenen.T
Eine weitere Wortschöpfung Panofskys definiert eine Gruppe von Denkmälern a1s
Demi-Gisant Die Bezeichnuns resultiert aus der Vorstellune. daß die althersebrachte
BAUcH, Kurt: Das mittelalterliche Grabbild. Figürliche Grabmäler des 11. bis 15.Jahrhunderts in
Europa, Berlin / New York 1976; KöRNER, Hans: Grabmonumente des Mittelalters, Darmstadt 1997.
PANOFSKY, Erwin: Tomb Sculpture. Four lectures on its changing aspects from Ancient Egypt to
Bemini, New York 1964. * Im Folgenden zitiert nach der deutschen Ausgabe ouns.: Grabplastik.
Vier Vorlesungen über ihren Bedeutungswandel von AltAgypten bis Bemini. Köln 1964, ND Köln
1993.
Zu Panofskys eigener Einschätzung des Buches vgl. BREDECKER, Volker (Hg.): Siegfried Kracauer
- Erwin Panofsky, Briefwechsel 194l-1966 mit einem Anhang: Siegfried Kracauer >under the spell
of the living Warburg tradition< (Schriften des Warburg-Archivs im Kunstgeschichtlichen Seminar
der Universität Hamburg4), Berlin 1996, Nr.5l, Nr.69; Lavw, Irving: Panofskys Humor, in:
PANOFSKY, Erwin: Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im
Film, Frankfurt a. M. 1993, S. 7*15. Gute Auseinandersetzung mit Panofskys Wortwahl bei IIrlonoe, Joseph: Tiäumende Prälaten. Zt einer >>invenzione<< Andrea Sansovinos, in: POPP, Dietmar /
SUCKATE, Robert (Hg.), Die Jagiellonen. Kunst und Kultur einer europäischen Dynastie an der
Wende zur Neuzeit, Nürnberg 2002,5.375-383.
240
il
)>Ecce
'
kora est<
Liegefigur der Tumba (der sogenannte Gisant) sich halb (demi)
aufgerichtet habe. Sein
Paradebeispiel ist das 15'74 von Germain Pilon fertigg"rt"ttt"
Graimat der valentine
Balbiani'8 Die Fragmente des ursprünglich in Ste. Catherine
du Val o"t 8""ü".r-"rrgestellten Grabmals befinden sich heute im Louvre. Erhalten
ist neben einem Assistenzputto und dem Relief des Leichnams auch die Liegefigur
der jugendlichen
Dame,
die in einem Buch riest, während sie den Kopf in aie nnte Hää
stutzt. Der halb
aufgerichtete Oberkörper wird so zum Demi-Giiant. Der Begriff
ist nicht unumstritten,
andere Autoren bevorzugen >semi-couch6< oder >>statue acäoud6e..,
wobei das Motiv
des Stützens auf die Hand eine weitere Bezeichnung als >Sansovino-Typus<
oder
>Sansovino-Haltung< erfahren hat.e
Diese und andere Komposita leiten sich von den berühmten
Grabmälern der Kardinäle sforza und della Rovere in Santa Maria del popolo in
Rom ab, die zwischen
1505 und 1512 durch den Bildhauer Andrea Sansovino
errichtet wurden.r0 Die beiden
Kardinalsgrabmäler führen durch die Hand- und Kopftraltung
die handelnde Figur in
die Grabmalsgeschichte ein. Diese invenzio ist wohl auf italienische
Humanist en zurückzuführen, die ciceros Konzeption vor agentes imagines
folgten, nach der han_
delnde Abbilder einen höheren Memorialwert hätten.lr iwar
istäum ein wirkliches
Handeln zu erkennen, allerdings ist ohnehin weniger ein aktiver
Lebenszustand dargestellt, sondern eher eine bestimmte Einstellung gegenüber
Leben und rod: Figuren
in halbaufgerichteter Haltung wecken durch die Visualisierung des Temporairei
des
Schlafes eine nachhaltigere Hoffnung auf die Auferstehung. FeÄer
ist zu konstatieren,
daß am Beginn des Cinquecento die Frage nach der Unsterbtichkeit
der Seele eine
y,nttle Rolle im religiösen Diskurs einnahm.l2 Die Visualisierung der person, also die
Möglichkeit, das Porträt des Verstorbenen zu integrieren, erkllirials zusätzlicher
Anreiz die Konjunktur dieses Typus. Wo exakt die mittelalterlichen oder
antiken Wurzeln
liegen, ist nicht vollends geklärt. Sah panofsky noch in Spanien die
ursprünge, so
werden inzwischen, etruskische Grabsteine als Vorbilder gehandelt
und damit antike
Thaditionen angenornmen.r3 Der Typus des Demi-Gisqnts erlebte
in Rom im frühen
I
e
,"
'
rr
.^
12
vgl. Parorsrv, Grabplastik (wie Anm. 6), s. g9 f.; vgl. auch ZER\ER,
Henri: Germarn pilon et l,afi
fun6raire, in: BRESC-BAUrrcn, Geneviöve (Hg.), dermain pilon
et r". ,.orpt u., fiangaises de la
Renaissance. Actes du colloque organisd au Äus6e
du Louvre pu, t" ,".ui"i
les 26 et 27
octobre 1990, Paris 1993, 5.193-212: BRESC-BAUrEn, Geneviöve:
"rlturel
La Sculpture
tun6raire de la
Renaissance franEaise au mus6e du Louvre. Les Limites
de la Restitution, in: Revue du Louvre 44.1
(1994), S.43_60.
Im Folgenden wird der allgemeine Terminus Demi-Gisant
verwenclet. Zu Begriffs- und Definitign:p.obl:-.n BRATNER, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), S. 146 f.
Luterzt ZITZLSPERGER, Philipp: Die ursachen der Sansovinograbmäler
in S. Maria del popolo
(Rom), in: KARSTEN / ZTT,LS'ERGER, Tod und
Verkltirung (wie"Anm. Zl, S. Sl_f f:.
AscnEn' Yoni: Form and content in some roman reclining
effigies from the eariy sixteenth century,
in: Gazette des Beaux-Arrs 144 (2002), S. 315_330.
vgl' Gamn,
Martin: Antonio eega.erü unJ lr"oio sunsovino. Grabmäler ftr
Kardinäle und protonotare in Rom und Modena, in: BnHnrrmNN / KARSTEN
/ zrrzLSpERGER, crau, rutt und Memoria
(wie Anm' 2),
159*180. Dr. Martin Gaier bin ich zu großem Dank verpflicirtet,
da er mir sein
s
Manuskript noch vor Drucklegung überließ und damit 6ei der
Klärung
"
"'ilg;;
wichtiger Fragen
Js1.,1o1o.srv, Grabprastik (wie Anm.6), S.gl-s3; dagegen Garea, Begareli (wie Anm.
S'
164; Ascrmn' Form (wie Anm.
12),
l1), s. 31G319. R<;it sctrtiigt beides als e"uelle aus und qeht von
241
Stefan Heinz
16. Jahrhundert eine erste Blütezeit, verbreitete sich in variierender Vielfalt in den
folgenden Dekaden zunächst \n ganz ltalien, schließlich europaweit. Erhaltene Darstel-
lungen reichen von Frankreich über die Niederlande bis nach Krakau und Lemberg.ra
Dabei ist häufig diskutiert worden, warum diese Figuren den Kopf in den Arm
stützen. Gerne zitiert man bei dieser Gelegenheit den englischen Dramatiker John
Webster und seine 1623 erstmals erschienene und vor 1614 uraufgeführte Tiagödie
>jThe Duchess of Malfi<<. In diesem Stück läßt Webster seinen Protagonisten Daniel de
Bosola (den übellaunigen Schurken) über die zeitgenössischen Grabmäler ein recht
negatives Urteil fällen: >>Princes' images on their tombs do not lie, as they were wont,
seeming to pfay up to heaven; but with their hands under their cheeks, as if they died
of the tooth-ache.,.1s Auch wenn die Prinzen wohl kaum >>an Zahnschmerzen<< gestorben sind, ist dies immerhin ein recht früher Versuch, die besondere Form inhaltlich zu
deuten. Die moderne Kunstgeschichte in Person von Erwin Panofsky sah in dem Motiv
zunächst eine >Gebärde wehmütiger Tiauer,,.16 während Johannes Röll und nach ihm
Joseph Imorde einen neuen Weg einschlugen und die Verstorbenen als Tiäumende
deuteten.rT Dieser Auslegung ist jüngst mehrfach widersprochen worden,r8 so daß eine
Adaption der Deutung auf die Beispiele des 17. und 18. Jahrhunderts um so kritischer
zu prüfen ist.
Der >Demi-Gisant< an Bischofsgrabmälern im 17. und
18.
Jahrhundert
Die Sansovino-Haltung an Grabmälern wird auf dem Gebiet der deutschen Staaten
nach 1600 entweder gänzlich aufgegeben oder verliert sich in eine >leere Form'<<le
>contemporary illustrations and prints< aus; vgl. RÖr-L, Johannes: >>Do we affect fashion in the
grave?< italian and Spanish Tomb Sculptures and the pose of the Dreamer, in: M.A'NN, Nicholas /
lysoy, Luke (Hg.), The Image of the individual. Portraits in the Renaissance, London 1998,
S. 154-164, hier S. 157.
ra TrMAl.rN, Ursula: Das Grabmal des Magnaten Mikotaj Herbut-Odnowski im Dom zu Lemberg,
gegossen 1551 von Pankraz Labenwolf in Nümberg, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums ( 1996), S.
93-l
14.
rs wEnsrsn, John: The Duchess of Malfi, 4. Akt,2. Szene,Zl. 152-159;
vg1. auch RANALD,
L.: John Webster (Twayne's English authors series 465), Boston 1989, S.44-57;
Malgaret
verschiedene
Verwender des Zitats aufgelistet bei luonon', Prälaten (wie Anm. '7)' 5.377.
16 PaNoFSrv, Grabplastik (wie Anm.6), S. 89.
17 RöLL. Fashion (wie Anm. l3), S. 158; IMoRDE, Prälaten (wie Anm' 7). Grundlagen zu dieser Deu-
tung finden sich bereits bei Gn-qrraeeRc, Werner: Die Liegestatue des Gregorio Magalotti. Ein
römisches Frühwerk des Guglielmo delia Porta. Bemerkungen zur Gruppe der DemiGisants in der
römischen Grabplastik des Cinquecento, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 17 (1972),
s.43-52.
r8 Am energischsten und überzeugendsten sind die Einwände von Ascsr,n, Form (wie Anm. 11),
S.318f. Grundsätzlich ist der Forderung nach einer kunstgeographisch differenzierten Sichtweise
der Demi-Gisants Rechnung zu tragen. Vgl. MENSGER, Ariane: Die Aristokratie des Geistes. Fragen
zum Grabmahl des Jean Carondelet in Brügge, in: M,q,ner, Kristin / PREISnIGER, Raphaöle / RrvMELE, Marius / K;ncsr,n, Katrin (Hg.), Bild und Körper im Mittelalter, Paderborn / München 2006,
s.207-221.
le IMonoe. Prälaten (wie Anm.7),
S. 381.
242
4
>Ecce hora est<
Neben geistlichen Würdenträgern, die sich in Sansovino-Haltung präsentieren, wie der
Paderborner Domherr Bernhard Theodor von der Lippe20 oder der Eichstätter Fürstbischof Johann Konrad von Gemmingen2l sind es nun auch weltliche Herrscher, die
diesen Typus auf ihren Epitaphien verwenden lassen. Bekannte Beispiele sind die
Grabmäler für Herzog Wilhelm V. in der Düsseldorfer Lambertuskirche und für Hans
Caspar von Ulm zu Marpach und Wangen in St. Pankratius in Wangen.22 Der Feldhen
und Reichsgraf Melchior von Hatzfeld greift sogar in seinen beiden Grabmälem von
1659 bzw. 1663
aff
das Motiv zurück.23
Ab dem 17. Jahrhundert entstehen zudem immer melv Demi-Gisants, die den Kopf
nicht mehr auf den Arm stützen. Stellvertretend sei nur auf das 1694 fertiggestellte
Grabmal ftir Kardinal Richelieu in Paris hingewiesen: Der streitbare Kirchenmann
liegt zwar halb aufgerichtet auf dem Sterbebett, hat die Hand aber auf der Brust ruhend
und nicht unter das Kinn gestützt. Begleitet von Personifikationen der Religion und der
wissenschaft ging sein Blick ursprünglich in Richtung des Altares, so daß das Grabmal zudem die Schemata einer >Ewigen Anbetung< anwendete.2a Während dieser
Typus des Demi-Gisant, bei dem auf die stützende Hand verzichtet wird, in England
oder Frankreich nicht an Amt oder Stand gebunden ist,25 findet man ihn auf dem
Reichsgebiet primär an den Grabdenkmälern geistlicher Machthaber.26 Das ll2l errichtete Grabdenkmal für Georg August von Nassau-Idstein in der Stadtkirche von
Idstein ist eine prominente Ausnahme und zugleich das späteste Beispiel für einen
weltlichen Fürsten als Demi- Gisant.27
STEGEMANN, Christoph: Heinrich Gröninger, um 1578-1631. Ein Beitrag zur Skulptur zwischen
Spätgotik und Barock im Fürstentum Paderborn (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 26), Paderborn 1989, S. 194-196.
Leider fehlt eine neuere Untersuchung. Vgl. MADER, Felix: Die Kunstdenkmäler von Mittelfranken.
Stadt Eichstätt (Die Kunstdenkmäler von Bayem 5.l), München 1924, S. I02f; zum Künstler zuletzt JAHN, Peter Heinrich: Hans Krumppers Kuppelprojekt für den Freisinger Dom und die venezianischen Wurzeln der Münchner Architektur um 1600, in: Münchner Jahrbuch der bildenden
Kunst 53 (2002), S. 115-222.
SunH, Jeffrey Chipps: German sculpture of the later Renaissance. Ar1 in an age of uncertainty,
Princeton 1994, S. 152; BRATNER, Grabdenkmäler (wie Anm.4), S. 150, Anm. 595.
BREUER, Judith: Die kultur- und kunsthistorische Bedeutung des Hatzfeldgrabmals in Laudenbach,
in: Denkmalpflege in Baden-Wüfitemberg 3l (2002), 5.208-220.
Der Begriff >Ewige Anbetung< ist seitens der Kunst- und Liturgiewissenschaft nicht eindeutig
definiert und damit nicht unumstritten. Vgl. BRUHNS, Leo: Das Motiv der ewigen Anbetung in der
römischen Grabplastik des 16., 17. und lS.Jahrhunderts, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 4 (1940), 5.253432; ARENS, Fritz: Gotische Crabmäler mit der Darstellung der >Ewigen
Anbetung< in Deutschland, in: Das Münster 25 (19'72), S.333-340; vgl. neuerdings die Auseinandersetzung mit dem Begriff bei MERKEL, Jenseits-sicherung (wie Anm. 3), s. 87-93 und BnarNsn,
Grabdenkmäler (wie Anm. 4), S. 153-155.
Beispielsweise sei auf die Liegefigur des französischen Admirals Philippe Chabot verwiesen, vgl.
BRESC-BAUTIEn, sculpture (wie Anm. 8), s. 54-56. Für England sei nur die seit Dan Browns
Roman >Sakrileg< recht bekannte Skulptur des englischen Mathematikers Isaac Newton in Westminster Abbey genannt, vgl. ztlerzt KEvNES, Milo: The iconography of Sir Isaac Newton to 1g00,
Woodbridge 2005; weitere Beispiele bei BnqrNEn, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), S. 158, Anm. 632
und 636.
Neben den hier diskutierten Beispielen sei auf das Grabmal für Lothar Frzmz von Schönborn verwiesen, das in direkter Abhängigkeit vom Richelieu-Grabmal entstand. Vgl. BRATNER, Grabdenkmäler (wie Anm.4), S.290-314; HEINZ / RoTHBRUST / ScHl,rro, Grabdenkmäler (wie Anm.2),
s.185-190.
243
Stefan Heinz
Für Bischöfe ist die adäquate memoriale Repräsentation ein gleich wichtiges Anliegen wie für weltliche Herrscher. Im Gegensatz zu weltlichen Machthabern können sie
in ihrem Amt jedoch auf eine Sukzession zurückblicken, die mitunter bis in frühchristliche Zeit reicht.28 Nicht selten ist diese Ahnenreihe des Amtes in Form einer
steingehauenen Galerie der Amtsinhaber im Kirchenraum zum Ausdruck gebracht. In
dieser eigenständigen Tiadition nimmt der Demi-Gisant zwangsläufig einen Sonderstatus ein. Waren den erwähnten Sansovino-Grabmälern sehr schnell zahlreiche Nach-
folger beschieden, verkörperten diese zunächst ein humanistisches Anspruchsdenken,
welches der Dokumentation der Zugehörigkeit zum hohen Klerus diente. Der DemiGisant galt >bald nach seinem ersten Auftreten [...] als Chiffre für Erfolg.<<ze Während
die ersten Übernahmen dieses Schemas in Italien bereits am Beginn des Cinquecento
zu finden sind, sollte es bis zum Ende des 16. Jahrhunderts dauern, ehe das Formular
nördlich der Alpen umgesetzt wurde. Aufgegriffen wurden die Kardinalsgrabmäler
dabei von einer anderen klerikalen Elite, den Erzbischöfen.
Die beiden Grabmäler der Kölner Erzbischöfe Adolf und Anton von Schauenburg
im Kölner Dom stellen auf dem Reichsgebiet eine erste Übernahme des Typus dar.30
Eine formale Abhängigkeit der beiden ursprünglich als Pendant gegenübergesetzten
Grabmäler von den beiden römischen Denkmälern ist unverkennbar. Es stellt sich nun
die Frage, ob damit auch eine inhaltliche Aussage zu verknüpfen ist. Signalisieren sie
durch das Zitieren römischer Hochrenaissance dem Betrachter ein >Bekenntnis zur
katholischen Reform,<3r so bleibt darüber hinaus zu fragen, ob dieser Verweis auf das
Kardinalat abzielt oder an die Vorbildfunktion der ewigen Stadt Rom als Zentrum der
Gegenreformation gemahnt.32
Kunstgeographisch verweisen die beiden Kölner Beispiele jedenfalls in die Niederlande, nicht nur durch die Provenienz des Bildhauers. Es sind Werke von Cornelius
Floris, dem wohl einflußreichsten Bildhauer der manieristischen Spätrenaissance in
Nordeuropa. Über die katholischen Niederlande verläuft dementsprechend der direkte
Tiansfer dieser Ideen. denn die formalen Charakteristika werden - aus Frankreich oder
Maximilian von Welsch. Neue Beiträge zu seinem Leben und zu
seiner Tätigkeit für den Fürsten Georg August von Nassau-Idstein, in: Nassauische Annalen 74
(1963). S.79-170.
Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen weltlichen und geistlichen Grablegen vgl.
HerNz, Stefan / ScHMID, Wolfgang: Grab und Dynastie. Zur Bildhauerei der Renaissance in geistlichen und weltlichen Residenzen an Mittehhein, Saar und Mosel, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 63
EINSINGBACH, Wolfgang: Johann
29
30
(2002), s. 159-196.
Gann, Begarelli (wie Anm. l2), S.167.
Vgl. Bnanxen, Grabdenkm?iler (wie Anm.4), S. 150; HErNZ / RoTHBRUST
mäler (wie Anm.2), S. 128-131.
/ ScIiluD,
Grabdenk-
SCHMID, Wolfgang: Grabdenkmäler und Kunstpolitik der Erzbischöfe von füer und Köln im Zeitalter der Gegenreformation, in: ENaeacu, Michael / GERHARDT, Christoph / ScHMrD, Wolfgang u. a.
(Hg.), Sancta Tieveris. Beiträge zu Kirchenbau und bildender Kunst im alten Erzbistum füer.
Festschrift ftir Franz J. Ronig zum'70. Geburtstag, Tier 7999, S. 515-552, hier S. 532.
Allgemeiner Überblick bei Kaunvrl,mr, Thomas DaCosta: Höfe, Klöster und Städte. Kunst und
Kultur in Mitteleuropa 1450-1800, Köln 1998, 5.227-257; gute und differenzierte Analyse der
Forschungsaufgaben und Möglichkeiten bei Pacrersnn, Thomas: Zum Austausch von Konfessionalisierungsforschung und Kunstgeschichte, in: Archiv für Reformationsgeschichte 93 (2002),
s.317-338.
244
U
Abb. 1: Grabdenkmal des Bischofs Antoine Triest (t 1657). Genr,
st. Bavo. _ Bildarchiv Foro
Marburg.
Stefan Heinz
Italien kommend - hier rezipiert, um dann im Reichsgebiet aufgenommen zu werden.
Gerade in Flandern lassen sich daher mehrere frühneuzeitliche Beispiele fij;r DemiGisants finden. Eines der ersten und wichtigsten Monumente ist das Grabmal für den
Bischof Antoine füest in der Genter Kathedrale St. Bavo (Abb. 1).33 ZuLebzeitenließ
der Oberhirte bei J6röme Duquesnoy seine Grabmalskonzeption beginnen, ein Vorhaben, welches 1654 vollendet wurde. Die Grabanlage greift ganz bewußt römische
Vorbilder auf; so geht der als Assistenzfigur eingesetzte Schmerzensmann auf Michelangelos Werk in Santa Maria in Sopra Minerva zurück. Auch die Liegefigur variiert ein römisches Beispiel der Hochrenaissance, ist sie doch eine spiegelverkehrte
Wiedergabe des Grabmals von Kardinal Antonio del Monte in San Pietro in Montorio.
Diese von Bartolomeo Ammannati 1552 geschaffene Figur in der von Vasari und
Michelangelo entworfenen Grabkapelle für die Kardinäle aus dem Hause Del Monte
wurde von Papst Julius III. in Auftrag gegeben.3a Die Del Monte-Kapelle zählte zu den
künstlerischen Glanzpunkten in Rom, die Duquesnoy sicherlich kannte, da er lange
Zeit mit seinem Bruder in der Tiberstadt gelebt hat.35 Dennoch sollte die Rolle des
Bildhauers nicht überschätzt werden, denn auch der Auftraggeber Antoine Triest hielt
sich 1596 bis 1599 in Rom auf. Gleichwohl brauchte jener einen guten Grund, ein
Vorbild zu benennen, welches zu diesem Zeitpunkt bereits 100 Jahre alt war. Weder
die Kenntnis der Denkmäler Roms noch eine rein epigonenhafte, italophile Asthetik
sind hierlür alleine plausible Argumente. Denkbar wtire, daß die Stadt Rom hier ein
weiteres Mal als ein reformkatholisches Vorbild angesehen wurde.
in seiner formalen Gestalt eine stilvon Demi-Gisants des I1 . Jafugroße
Anzahl
die
zu,
welche
Schlüsselrolle
bildende
hunderts in den südlichen Niederlanden erklärt.36
Dessen ungeachtet kommt dem Täest-Grabmal
In eine direkte typologische Abhängigkeit wiire ein weiteres Denkmal zv setzen,
welches jedoch nicht in Flandern, sondem an der Mosel zu finden ist. In der Tlierer
Liebfrauenkirche bietet das Grabmal des 1636 verstorbenen Archidiakons Karl von
Metternich ein bemerkenswertes Vergleichsobjekt (Abb. 2).37 Das Grabmal hat wegen
seiner beeindruckenden Qualität immer schon im Fokus der kunsthistorischen Forschung gestanden. Virtuos ist die halb liegende Figur gezeichnet, und die Materialbearbeitung ist überwältigend, was sich besonders an den von deutlichen Adern gekennzeichneten Gliedmaßen zeigt oder an den faltigen Seiten des Buches, die genauso
geknittert wirken wie der schwere Brokatstoff des Mantels.
33
MnLnn LAwRENCE, Cynthia: Flemish Baroque Commemorative Monuments 1566-1725, New
York / London 1981, Nr.482; DrinraN-Rpss, Saskia: Das barocke Grabmal in den südlichen Nie-
derlanden. Studien zur Ikonographie und Typologie, in: Aachener Kunstblätter45 (1974),
S.235-330, hier S.245-250; DsarsNs, Elisabeth: Sint-Baafskathedraal Gent (Inventaris van het
Kunstpatrimonium van Oostvlaanderen 5), Gent 1965, S. 12V124.
3a Poe,ScHKE, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in ltalien, Bd. 2: Michelangelo und seine Zeit,
München 1992,5.199f.
35 Zu den Brüdern zuletzt BoIrDoN-MACHUEL, Marion: Frangois du Quesnoy 159'7-1643, Paris 2005,
S. 359 f.; MALGorryRES, Philippe: Le buste d'Antoine Triest (1576*1657), 6vöque de Gand, par les
fuöres Duquesnoy enfte au Louvre, in: Revue du Louvre 50.4 (2000)' S' 15-17'
36 Mehrere Beispiele bei DunrnN-Rrss, Grabmal (wie Anm. 33), 5.213-276 und S. 279-281.
37 Als erster auf die formale Abhängigkeit hingewiesen und die Vorbilder der italienischen Renaissance benannt hat FEIrLI.{ER, Adolf: Das Mettemichdenkmal in Tüer und sein Meister, in: Pantheon 2 (1928). S. 553-557.
246
il
\bb. 2: Grabdenkmal
des
Liebfrauenkirche.
Archidiakons und Chorbischofs Karl von Metternich (t 1636). Trier.
- Archiv
Stefan Heinz.
Stefan Heinz
Trotz der einhelligen Würdigung besteht seit jeher große Unklarheit in der exakten
Datierung und der damit korrelierenden Meisterfrage, da die Aufstellung heute nicht
mehr ursprünglich ist und der Rahmenaufbau samt Inschrift fehlt.38 Das Monument ist
sicherlich posthum angefertigt, vermutlich ist es zwischen 1610 und 1690 entstanden.
In der Meisterfrage stritt die Forschung lange, ob das Werk dem süddeutschen Matthias Rauchmiller oder dem in Frankfurt ansässigen Johann Wolfgang Frölicher zugeschrieben werden sollte. In ihrer Dissertation gliederte Nicole Beyer das Stück aus
dessen Oeuvre aus und erklärte es mit guten Gründen zu einem niederländischen
Importstück.3e Unabhängig von der Meisterfrage ist der konzeptionelle Aufbau ohne
jeden Zweifel niederländisch geprägt.
Die Neuerungen des Metternich-Grabmals haben den Typus des Demi-Gisant weithin bekannt gemacht; in der Nachfolge entstanden mehrere Denkmäler, die hierauf
zurückzuführen sind. Waren deren Bildhauer überdies in Thier tätig, scheint eine direkte Beeinflussung naheliegend. Das gilt beispielsweise für das Denkmal des Münsteraner Fürstbischofs Friedrich Christian von Plettenberg, welches 1707 begonnen
wurde.a0 Der Bildhauer Johann Mauritz Gröninger hatte in Täer im Auftrag des Erzbischofs Johann Hugo von Orsbeck gearbeitet und kannte das Metternich-Grabmal aus
eigener Anschauung. Freilich kann man ihm und seinem Auftraggeber gleichermaßen
eine direkte Kenntnis der flämischen Kunst attestieren.al Die typologischen Gemeinsamkeiten mit dem füerer Denkmal sind dennoch offensichtlich. Im Dom zu Münster
aufgestellt, besteht das Plettenberg-Monument ebenfalls aus der Kombination einer
Rahmenarchitektur mit einer lesenden Demi-Gisant-Figur, deren Buch jedoch von einem Putto gehalten wird. Ergänzt wird die Szenerie um die beiden Namenspatrone, die
heiligen Bischöfe Friedrich und Christian, welche Amt und Sukzession sichtbar legitimieren. Eine ebenfalls aufftillige Erweiterung stellt die übergroße Uhr dar, die an die
astronomische Uhr des Domes gekoppelt werden sollte und als Vanitassymbol als
Mahnung an den Betrachter zu verstehen ist.
Ein weiterer Bildhauer, der nach seiner Tätigkeit in Thier ein Grabmal schuf, welches dem Metternich-Denkmal folgt, ist Johann Wolfgang Frölicher, der das Ingelheim-Grabmal in Mainz fertigte. Geographisch liegen die beiden Kathedralstädte
Das Grabmal befand sich an der Chornordseite der Tüerer Liebfrauenkirche, wurde aber 1803 an die
nordöstliche Zwickelkapelle versetzt. Vgl. BoRGER-KEwEr-on, Nicola: Die Liebfrauenkirche in
Täer. Studien zur Baugeschichte (Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst, Beiheft 8), Ttier
1986, S. 149.
BBYER, Nicole: Das Werk des Johann Wolfgang Frölicher.
Ein Beitrag zur barocken Skulptur im
Deutschland des 17. Jahrhunderts (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 92), Malnz 1999, S. 248-252; BRATNER, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), 5.77 f.; Brnrs,
4l
Veronika: Zum Frühwerk Matthias Rauchmillers im Rheingebiet, in: Mainzer ZeitschrtftTl/'|Z
(1976/1977), S. 164-1'75, hier S. 169f.; Rrern, Horst: Fröhlicher oder Rauchmüller, in: Mainzer
Zeitschrift '71172 (1976/1977), S. 176-178; Fewxnn, Metternichdenkmal (wie Anm. 37), S. 556 f.
Vielleicht gelingt es der bei Prof. Dr. Georg Satzinger (Bonn) verfaßten Magisterarbeit >Die Grabmäler des Matthias Rauchmiller.. von Janine Dreger. diesen Sachverhalt aufzulösen.
RENSn,tc, Theodor: Monumenta memoriae, in: Westfalen 36 (1958), S. 6G-90; Gnore, Udo: Johann
Mauritz Gröninger. Ein Beitrag zur Skulptur des Barock in Westfalen (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 20), Bonn 1992, S. 136-140.
RENSTNG, Theodor: Fürstbischof Christian von Plettenberg a1s Auftraggeber und Mäzen, in: Westfalen 38 (1960), S. 174-2Al; GRoTE, Gröninger (wie Anm. 40),5.16-22.
248
il
>>Ecce
hora
est<<
ohnehin nur unweit voneinander entfernt, und die Domkapitel waren häufig in der
Hand der gleichen Familien, die mitunter dieselben Künstler für sich arbeiten ließen.a2
Das Grabmal für Anselm Franz von Ingelheim
Das Monument des Mainzer Erzbischofs Anselm Franz von Ingelheim steht im südlichen seitenschiff des Mainzer Doms (Abb. 3).43 Der Kurtürst war 1695 in der Mainzer Residenz Aschaffenburg verstorben, hatte aber testamentarisch verfügt, daß sollte
dieser Fall eintreten - in Mainz zu seinem Gedächtnis >ein standesgemäßes Epitaphium aufgerichtet, jedoch dazu nicht mehr als 1000 Gulden employiert und verwendet werden< sollten.* Das Begräbnis in Mainz, sei es auch nur in Form einer Eingen'eide- oder Herzbestattung wie im vorliegenden Fall, war nahezu unumgänglich; seit
1475, also einemzeitraum von 220 Jüren, waren alle Mainzer Erzbischöfe im Dom
beigesetzt worden.
Laut Inschrift ist der Erbe und Neffe des Verstorbenen, Franz Adolf von Ingelheim,
der Stifter des Denkmals, wobei Lothar Franz von schönborn bei der Konzeption in
beratender Funktion eine größere Rolle gespielt haben dürfte, da er als Koadjutor und
\litglied des Domkapitels in jedwede Entscheidungsprozesse eingebunden war.a5 Beauftragt wurde der renommierte Bildhauer Johann Wolfgang Frölicher mit den Arbeiten an dem Epitaphkonzept, die im Juli 1698 abgeschlossen wurden. Das Abbild des
Erzbischofs ruht dabei halb aufgerichtet in einer von einem Zelt umfangenen Nische,
den Blick in ein von einem Putto gehaltenes Buch verlieft. Am Fußende steht ein
Kruzifix, und über dem Vorhang reißt ein geflügeltes Skelett das Prunkwappen des
Kurfürsten hinfort.
Oftmals ist bereits herausgestellt worden, daß das Mainzer Grabmal mit der - we- jahrhundertealten Tiadition bricht.a6
m-se Jahre zuvor erst wieder aufgenommenen
Krsrv, Wilhelm: Die Domkapitel der geistlichen Kurfürsten in ihrer persönlichen Zusammensetzung im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte
des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 1.3), Weimar 1906; Dorwa, Sophie Mathilde
Gräfin zu: Die ständischen Verhältnisse am Domkapitel zu Täer vom 16. bis zum 18. Jahhundert,
füer 1960; RAUCH, Günter: Das Mainzer Domkapitel in der Neuzeit, in: ZRG.KA 92 (19l-5),
5. 1 61-227 ; 93 (197 6), 5. 19 4-27 8: 94 (197 7'), S. 132_17 9.
BRATNER, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), s.240-250; Henz / RorlßRUST / scnun, Grabdenkmäler (wie Anm. 2), S. 183-185; Bsyen, Frölicher (wie Anm. 39), S. 124-130; ReNsrwc, Monumenta (wie Anm.40), S. 84-87.
Das Testament im Ingelheimschen Archiv in Mespelbrum ist nicht zugänglich. Alle Editionen
beziehen sich auf AReNs, Fritz: Die Meister von drei barocken Kunstwerken in der Aschaffenburger
Stiftskirche. Johann Wolfgang Frölicher, Johann Michael Henle, in: Aschaffenburger Jahrbuch 4
i1957). S.'177186. hier S.780.
Bereits Bnermn, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), 5.247 deüet dies vorsichtig, aber vollkommen zu
Recht an. Der innovative Typus ist jedenfalls keine Erfindung des Bildhauers, wie Reber meint. Vgl.
Rrssn, Fröhlicher (wie Anm. 39), S. 177.
BevEn, Nicole: Künstlerischer Ausdruck der Ansprüche und Stellung der Mainzer Erzbischöfe in
der frühen Neuzeit: Das Beispiel von Grabdenkmälern, in: HARTMANN, Peter Claus (Hg.), Kurmarnz, das Reichskanzleramt und das Reich am Ende des Mittelalters und im 16. und 17. Jahrhundert (Geschichtliche Landeskunde4T), Stuttgart 1998, S. 173-197, hier S. 190; Bnarnrn, Grabdenkmäler (wie Anm.4), S. i35.
249
Abb.
3:
Grabdenkmal des Erzbischofs Anselm Franz von Ingelheim (11695). Mainz, Dom.
Bildarchiv Foto Marbure.
-
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>>Ecce
hora est<
Der Bischof steht eben nicht mehr als repräsentative Standfigur in einer Rahmenarchitektur mit Heiligen oder Wappenschilden. Allen Stilschwankungen von der Gotik
über Renaissance und Manierismus bis zum Barock zumTrotz wurde diese Tiadition
in Mainz bis zum
Ingelheim-Grabmal aufrecht erhalten. Vordergründig scheint es
so, als sei dies das Ende des vielbeschworenen Mainzer Typus, der über 300 Jahre beständig blieb und zwar Variationen zuließ, aber sein festes Schema beibehalten
konnte.aT
Dabei sollte man jedoch nicht vorschnell urteilen, denn auch Gemeinsamkeiten
fihrt das Grabmal einen neuen Typus ein, orientiert sich
aber in vielen Details an den traditionellen Vorgaben. Ein solches bewahrendes Element ist die Orientierung an der Pfeilerbreite, die entscheidend für die gleichbleibenden Proportionen ist. Damit wurden die megalomanen Auswüchse an bischöflichen
Grabmälern verhindert, wie wir sie im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Täer an dem elf
Meter hohen Nikolausaltar für Karl Kaspar von der Leyen beobachten können.48 Daß
solche Tendenzen kein Einzelfall sind, belegen andere Beispiele wie das Paderborner
lassen sich aufzählen. Zwar
Fürstenberg-Monument.ae
Da in Mainz die Grabmäler der Erzbischöfe seit dem 15. Jahrhundert als Wanddenkmäler an den Pfeilern aufgestellt wurden, waren die Plazierungsmöglichkeiten
eingeschränkt. Daher war auch die Topographie des Gedenkens, also die langfristige
Aufstellung der Grabdenkmäler, ebenfalls nach einem spezifischen Schema organisiert.50 Während die Grabmonumente des 15. Jahrhunderts bis hin zu dem des 1514
verstorbenen Uriel von Gemrningen an jedem zweiten Pfeiler des Mittelschiffs aufgestellt worden waren, etablierte sich im 16. Jahrhundert das Nordschiff als Aufstellungsort, nachdem Albrecht von Brandenburg hier auf testamentarischen Wunsch sein
Denkmal erhalten hatte. Im 17. Jahrhundert verlagerte sich die Akzentuierung in das
Südseitenschiff, begonnen durch Damian Hartard von der Leyen, der gegenüber der
von ihm gestifteten Laurentiuskapelle ein Grabmal erhielt.
Das Ingelheim-Grabmal befindet sich am zweiten Ost-Pfeiler des Südschiffes, und
der Verstorbene blickt dabei auf die Kapelle Johannes des Täufers mit dem sogenannten Fürstenberger Altar. Dieser ist aber nicht der Bezugspunkt, sondern die Allerheiligenkapelle im Südosten des Doms, da dort weitere Angehörige der Familie Ingelheim
ruhen.5l Daß gerade dieser Pfeiler - und nicht etwa der nähere, östlichste - ausgewählt
wurde, könnte ein Beleg für die Aufstellungstradition sein. Man blieb bei der neu
im Südseitenschiff und übernahm sogar das mittelalterliche
begonnenen Topographie
4',7
48
HEINZ / Rornenusr / ScHMD, Grabdenkmä1er (wie Anm. 2), S.193-201.
Gnoss, Markus: Der Grabaltar des füerer Kurfürsten und Erzbischofs Carl Caspar von der Leyen
ft1616), in: Das Münster 43 (1990), S.61 f.
STEGEMANN, Gröninger (wie Anm. 2O), 5.202-2lI; HECK, Kilian: Genealogie als Monument und
Argument. Der Beitrag dynastischer Wappen zur politischen Raumbildung der Neuzeit, München /
Berlin 2002, S. 207 -215.
Hsnrz, Stefan / Sctnrro, Wolfgang: Memorialsysteme in Kathedralkirchen. Die Topographie
des
-
Gedenkens in Täer, Köln und Mainz, ca. 7200 ca. 1600, in: MoRAHT-FRoMM, Anna (Hg.), Kunst
und Liturgie. Choranlagen des Spätmittelalters
ihre Architektur, Ausstattung und Nutzung, Ostfildern 2003, S. 231-252.
BRArI.{ER, Grabdenkmäler (wie Anm. 4), 5.241, Anm. 953.
25r
Stefan Heinz
Schema des Hauptschiffs, immer genau einen Pfeiler zu überspringen. Geschah dies
im Mittelschiff aufgrund der halbrunden Wandvorlagen, die man scheinbar nicht abarbeiten wollte, verhielt man sich im Südschiff genauso, auch wenn man die Halbsäulen entfernen mußte, da im Seitenschiff jeder Pfeiler eine Wandvorlage besitzt. Eine
altemative These ist allerdings ebenso denkbar: Durch den leeren Pfeiler hielt man sich
die Option offen, dem nur kurz regierenden Vorgänger Karl Heinrich von MetterrrichWinneburg (I 1679), der nur eine Grabplatte, aber noch kein Denkmal erhalten hatte,
an diesem Pfeiler ein Monument zu setzen - was nie geschah.
Die Mainzer Pfeilerbreitenorientierung ist somit eine formale Tiaditionsbekundung,
die man an weiteren Punkten des Denkmals festmachen kann. So ist das Stoffgebilde,
welches wie ein Vorhang wirkt und am ehesten als Baldachin zu bezeichnen ist, ebenfalls eine Rerniniszenz an die Fialbekrönung mittelalterlicher Grabmonumente. Gleichwohl nahmen Stoffbaldachine in der Fest- und Funeralkultur des Barock eine bedeutende Rolle ein, besonders in Form des ephemeren Katafalks, aber auch in Marmor
gehauen, wie am Grabmal Papst Alexanders VII.52 Ebenfalls der Konvention entspricht
die Inschrift,53 welche trotz einer sehr modernen Kursiv-schdftart recht traditionelle
Inschriftenformulare des 16. Jahrhunderts verwendet. Neben Titel und Geburtsdatum
wird darin auch die Königs- und Kaiserkrönung von Joseph I. 1690 erwähnt, ein Anklang an die mittelalterliche Tiadition, jedoch ohne die politische Ikonographie des
14. Jahrhunderts abzubilden.sa In Ergänzung dazu wird auch das Erzkanzleramt zitiert
- zum letzten Mal auf einem Mainzer Grabmal.
Schließlich kann man in der halbrunden Muschelnische einen letzten Anklang der
Tiadition lesen. Diese Nische ist außerordentlich bemerkenswert in Szene gesetzt;
beinahe entsteht der Eindruck, die Figur des verstorbenen Erzbischofs hätte sich -
in seiner Nische stehend - aus eben dieser hingelegt. Hinsichtlich der traditionellen Elemente des Grabmals ist dies eine deutliche Allusion an die vorangegangenen Nischenfiguren der erzbischöflichen Grabmdler. Die annährend leere Nische ist
dabei eine eitzigartige Schöpfung, für die es kaum Parallelen gibt, obwohl die figurenlose Muschelädikula als Gliederungselement bereits 1505 an Bramantes Tempietto
in San Pietro in Montorio vorkommt. Formal anders gestaltet, aber als Vorbild nicht
auszuschließen, sind die großen flankierenden Kastennischen der Medici-Grabmiiler,
vor denen sich indirekt ebenfalls lasemde Gestalten befinden.ss
ehemals
Grundlegend zur ephemeren Katafalkarchitekfur POPELKA, Liselotte: Castrum Doloris oder >>TiauSchauplatz.<< lJntetsuchungen zu Entstehungen und Wesen ephemerer Architeknrr 1Österreichische Akademie der Wissenschaften, Veröffentlichungen der Kommission für Kunstgeschichte 2),
Wien 1994; niletzt vgl. ScHRAVEN, Minou: The Rhetoric of Virfue. The Vogue for Catafalques in
Late Sixteenth Century Rome, in: POESCHKE / KuscH-ARNoLD / SEtcel, Praemium Virtutis II (wie
riger
Anm. 2), S.43-61.
Vollständiger Text bei ARENS, Fritz Viktor: Mainzer Inschriften von 1651 bis 1800 (Beiträge zur
Geschichte der Stadt Mainz 26),B,d. 1: Die Inschriften des Domes zuMainz, Mainz 1985, Nr. 1683.
Zu den Mainzer Krönungsgrabsteinen zuletzt WILFDLMY, Winfried: Ein unbekanntes Krönungsrelief der Mainzer Erzbischöfe. Bonifatius und die Bildpropaganda der sedes Moguntiae imZeitalter
der Goldenen Bulle, in: Mainzer Zeitschrift 99 (2004), S. 17-30; zur Krönung 1690 vgl. DucHnenoT, Heinz: Krönungen außerhalb Aachens: Die Habsburger bis 1806, in: Knqtvrp, Mario (Hg.),
Krönungen. Könige in Aachen - Geschichte und Mythos,8d.2, Aachen 2000, S.636-642.
Zur figurenlosen Nische KALUSoK, Michaela: Tabernakel und Statue. Die Fisurennische in der
252
T
>>Ecce
hora est<
Über die Würdeformel hinaus ist die Muschelnische hier wohl als übergang zum
Mal auf eine
ältere Lösung zurückgreift. Die Deutungsmuster, den Nischenraum als Ort des übergangs zu interpretieren, lassen sich bereits für mittelalterliche Grabmäler anführen, da
diese in ihrer formalen Anordnung als Variationen von Portalen mit Gewändefiguren
verstanden werden können. Die Nische wird in beiden Fällen zum >dbr des Himmels<<,
welches der aufwachende Jakob in Genesis 28,17 erkennt, um dort ein >Steinmal< zu
Jenseits zu deuten,56 wobei das Ingelheim-Grabmal damit ein weiteres
errichten.
Allen diesen Argumenten einer latent der Tladition verbundenen Gestaltung zum
Tiotz herrschen die Neuerungen gegenüber bisherigen Grabmalskonventionen vor. Der
wie ein Zelt gebauschte Vorhang, der mit einer Inschrift versehene Teppich und nicht
zuletzt das Skelett als personifizierter Tod sind Elemente, die ältere Grabmäler in
Mainz nicht aufweisen. Am auffälligsten jedoch ist der Wechsel von der statuarischen
Repräsentation zur szenischen Darstellung des Verstorbenen. Diese Inszenierung gelingt durch die Anordnung der Figur des Bischofs in halb aufgerichteter Position. Die
Haltung als Demi-Gisant wäre am Ingelheim-Grabmal ohne das Thierer MetternichDenkmal kaum vorstellbar, wobei der formale Prototyp um den theatralischen Rahmen
erweitert, um die traditionellen Elemente ergänzt und damit an die Mainzer Vorgaben
angepaßt wird. Die Tätsache, daß der Bildhauer Frölicher zuvor in Täer tätig war, mag
dabei nützlich gewesen sein. Nach Johann }1.aut'rtz Gröninger, der nach seinem Aufenthalt in Tüer das Münsteraner Plettenberg-Grabmal schuf, bestätigt sich ein weiteres
Mal die Vorbildwirkung der Metternich-Liegefigur und die Relaisfunktion Täers im
europäischen Kunsttransfer zwischen den Niederlanden und dem Reichsgebiet.
Die Rezeption des Metternich-Denkmals ist in füer selbst hingegen am stiirksten
und bietet sich für Mitglieder des gleichen Standes gerudezu an. Aus der infolge der
Säkularisation 1803 abgerissenen Pfarrkirche St. Laurentius stammt das heute ebenfalls in Liebfrauen aufgestellte Grabmal des Weihbischofs Matthias von Eyß, der 1729
starb.s? Auch wenn das Werk des jüngeren Johann Neudecker nicht die filigrane
Qualität seines vorbildes erreicht, ist doch die Musterwirkung unübersehbar, was sich
besonders in der Anordnung der Figur widerspiegelt. Neben einer Skulptur des heiligen Simeon von 7148, die der Bildhauer Theodor Amlinger für die Südkapelle des
Simeonstifts anfertigte,s8 ist schließlich als weiteres Glied dieser Rezeptionskette das
Grabmal des Kurfürsten Johann Philipp von Walderdorff im Täerer Dom zu nennen.
italienischen Kunst des Mittelalters und der Renaissance (Beiträge zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3), Münster 1996, S. 196-204.
56 Beispiele
aus der Malerei bei Bnanrnn, Grabdenkmäler (wie Anm.4), s. 15g, Anm. 631.
SEEWALDT, Peter: Johann Neudecker d. J. Sein Beiftag ntr Bildnerei des Spätbarocks in Täer und
im Täerer Land, in: Täerer Zeitschift 55 (1992), S. 303-340; BoRGER-KEwELou, Liebfrauenkirche
"
(wie Anm.38), S.49.
58 HEYEN,
Franz-Josef: Das Stift St. Simeon
2002, S. 140. Anm. 1 und S.507-509.
in Thier (Germania Sacra N.F. 4l), Berlin / New York
253
Stefan Heinz
Das Grabmal des Johann Philipp von Walderdorff
Der Täerer Erzbischof und Wormser Bischof war am 12. Januar 1768 verstorben und
hatte testamentarisch vertügt, daß seine Überreste in die füerer Kathedrale übertührt
werden sollten. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten kam es erst 117'7 zur Aufstellung des Grabmals, welches der in Metz und füer tätige Jean Baptist Simar fertigte.se
In Auftrag gegeben hatte es der Neffe des Erzbischofs, Philipp Franz Wilderich
Nepomuk von Walderdorff, der zu dieser Zeit Statthalter in Täer war.60
Der Verstorbene ruht aJs Demi-Gisant in einem großen Buch lesend vor einem
Obelisken auf einer schwarzen Marmofiumba mit einer ausführlichen Grabinschrift
(Abb. 4). Ihm tritt der personifizierte Tod als Sensenmann entgegen und weist auf eine
leicht nach links gerückte Inschrift am Obelisken6r mit den Worten >Ecce Hora est<.
Es handelt sich wohl um eine Anlehnung an das Johannes-Evangelium 16,32, wo es
heißt >>Ecce hora venit< (Sieh, die Stunde kommt). Da der Vers mit den Worten >>non
sum solus quia Pater mecum est< (aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir)
endet, also von starkem Vertrauen auf die Auferstehung gekennzeichnet ist, bietet er
sich für ein Grabmal an.
Die Anordnung der Figur des Erzbischofs erinnert evident an die Haltung des Karl
von Metternich an dessen Denkmal. Daß sich Walderdorffs Grabmal auf das 100 Jahre
ältere Monument bezieht, ist aber nicht nur zu beobachten, sondem auch quellenmäßig
belegt. Im Vertrag zwischen Künstler und Auftraggeber wurde genau festgelegt, wie
das Grabmal auszusehen hatte und an welchem Vorbild man sich orientieren wollte:
>Auf dem tombeau und an dem fuß der pyramide die bildnuß Ihro Churtürstlichen
gnaden in lebensgröße [...] in der Stellung, wie Ihro Churtürstliche gnaden von Metternich dahier zur Liebfrauen.<<62 Welches Ideal die Nachkommen vor Augen hatten, ist
damit eindeutig belegt, warum man aber ausgerechnet dieses Grabmal nachgebildet
wissen wollte, ist im Text leider nicht überliefert. Es ist ungewöhnlich, da kein direktes
Verwandtschaftsverhältnis bestand und Karl von Metternich mehrfach mit dem seinerueit regierenden Kurfürsten Philipp von Sötern in Konflikt geraten war.63 Warum
Metternich im Vertras fälschlicherweise sar als >Churfürstliche snaden< bezeichnet
Grundlegend, nicht nur wegen des umfangreichen Quellenanhangs Gnoss-MonceN, Markus: Das
Grabmal des Trierer Erzbischofs Johann Philipp von Walderdorff. Ein Werk des Bildhauers JeanBaptiste Simar, in: Neue Forschungen und Berichte zu Objekten des Bischöflichen Dom- und
Diözesanmuseums füer (Kataloge und Schriften des Bischöflichen Dom- und Diözesanmuseums
Trier 3), Tier 1994, S. l2l-152.
Zur Familie allgemein JüRGENSMEIER, Friedhelm (Hg.): Die von Walderdorff. Acht Jahrhunderte
Wechselbeziehungen zwischen Region
Köln 1998.
-
Reich
-
Kirche und einem rheinischen Adelsgeschlecht,
Auf die Bedeutung des Obelisken kann hier nicht gesondert eingegangen werden. Siehe HerNz,
Stefan: Der Neue Brunnen in Mainz. Seine Denkmals- und Bildideen, in: Mainzer Zeitschrift 101
62
63
(2006), S. 73-95; Gnoss-MoRGEN, Grabmal (wie Anm. 59), S. 137 f.; BRATNER, Grabdenkmäler
(wie Anm.4), S. 193-208.
GRoss-MoRGEN, Grabmal (wie Anm. 59), Quelle 4, S. 146.
LAUFNER, Richard: Politische Geschichte, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1580-1794, in:
DüwELL, Kuft / IRSIGLER, Franz (Hg.), Trier in der Neuzeit (2000 Jahre füer31, füer 21996,
s.15-21.
a<A
T
Abb.
4:
Grabdenkmal des Erzbischofs Johann Philipp von Walderdorff (t 1768). Trier,
Dom. - Archiv Stefan Heinz.
Stelan Heinz
wird, bleibt offen.ba Es war wohl die epochale Qualität, die den Auftraggeber dazu
veranlaßte, in der Absicht, ein ebenso mustergültiges Werk zu erhalten, obwohl das
erzbischöfliche Stück im direkten Vergleich etwas abfällt. Dies liegt einerseits sicherlich am geringeren handwerklichen Können des Bildhauers Simar, andererseits daran,
daß das Walderdorff-Grabmal heute unvollständiq ist und im 19. Jahrhundert in sroßen
Partien überarbeitet werden mußte.
Durch eine erhaltene Entwurfszeichnung (Abb.5) sowie die recht detaillierten Verträge und Rechnungen läßt sich das ehemals vorhandene Aussehen jedoch nahezu
vollständig rekonstruieren. So gab es ursprünglich unter anderem einen zusätzlichen
Putto, der das unverzichtbare Wappen des Erzbischofs festhielt und außerdem ein
>>doppeltes Creutz< in den Händen halten sollte.ut Dieser kleine Engel fehlt heute im
Rücken des Erzbischofs, was auch die ungelenk wirkende Sitzhaltung des Kurfürsten
erklärt. Das Gegenstück auf der anderen Seite, ein kauernder Löwe, der Kurhut und
Krummstab in den Klauen halten sollte, ist ebenfalls verloren. Es ist zwar nicht immer
eindeutig zu entscheiden, ob alle Elemente der Zeichnung auch tatsächlich verwirklicht werden sollten, doch scheint der Entwurf viel bewegter als seine Umsetzung.66
Eine völlige Neuschöpfung des 19. Jahrhunderts ist der Kopf des Kurfürsten, so daß
wir kaum entscheiden können. ob der Blick des Erzbischofs ins Buch oder darüber
hinaus gehen sollte.
Diese Beobachtung ist bei der Frage nach der Trierer Grabmaltopographie von gro-
ßer Bedeutung. Den Ort des Walderdorff-Denkmals bestimmte das Domkapitel,
welches ihm >die plaz linker hand im hohen Dom [...] nebst den Grab mahl des
Churfürsten Jacoben von Elz<< zugedacht hatte.67 Walderdorff ruht also am nördlichen
Vierungspfeiler des Domes, einem Bereich, wo seit dem Mittelalter bereits die Überreste von Arnold von Isenburg (I 1259) und Boemund von Saarbrücken (t 1362) lagen.
Die Figur des Johann Philipp erhebt sich somit in Richtung des Hochaltares. Damit
entspricht die Anordnung zumindest teilweise noch der Trierer Tiadition, den Verstorbenen in Ewiger Anbetung zu zeigen, wobei auf das traditionelle Hinknien verzichtet
wird. Bemerkenswerter ist, daß ein anderes Konzept aufgegeben wird, denn Walderdorffs Grabmal ist kein Altar mehr. Dies stellt einen Tiaditionsbruch nach fast 300
Jahren dar, in denen die füerer Erzbischöfe allesamt Grabaltäre erhielten.68
Die Kunstgeschichte hat recht einvernehmlich konstatiert, daß das WalderdorffGrabmal stilistisch und typologisch zwischen Barock und Klassizismus angesiedelt ist.
Aufeestellt am Vorabend der Französischen Revolution. ist es verständlicherweise eine
61
68
Ob diese Mißdeutung eine Konsequenz aus der Demi-Gisant-Haltung ist, wäre noch zu überprüfen.
Das gesamte Grabdenkmal für Karl von Metternich harrt einer eingehenden Untersuchung.
GRoSS-MoRcEN, Grabmal (wie Anm. 59), Quelle 4, S. 146; zu mehrfachen Kreuz- und Krummstäben an Grabdenkmälem vgl. Mlnrn, Jenseits-Sicherung (wie Anm. 3), S. 41.
Zum Problem von Vorzeichnung und Umsetzung im Barock allgemein VoLK, Peter (Hg.): Entwurf
und Ausführung in der europäischen Barockplastik. Beiffäge zum internationalen Kolloquium des
Bayerischen Nationalmuseums und des Zentralinstituts für Kunstgeschichte München, 24. bis 26.
Juni 1985, München 1986.
GRoss-MoRGEN, Grabmal (wie Anm. 59), Quelle 1, S. 145.
Zu Grabaltären fehlt eine einschlägige Untersuchung. Vgl. HeiNz / RoTHBRUST / Scuun, Grabdenkmiiler (wie Anm. 2), S. 5G-52; THA{IER, Dagmar Alexandra: Der Epitaphaltar, München 1984.
256
T
Stefan Heinz
der letzten Übernahmen des Schemas Demi-Gisant, denn mit dem Ende des Kurstaates
endete auch diese Ara.6e Annähernd gleichzeitig sollten in Mainz im Auftrag des l'714
verstorbenen Erzbischofs Emmerich Josef von Breidbach-Bürresheim noch zwei Grabmäler für ihn und seinen Onkel entstehen. Fertiggestellt wurde nur das Epitaph mit
dem Demi-Gisant seines Onkels, des bereits 1743 verstorbenen Dompropsts Karl Emmerich Franz. Das Pendant-Grabmal für den Erzbischof gelangte aus verschiedenen
Gründen nicht mehr zur Ausführuns.7o
Der >Demi-Gisant< und die Inszenierung des Sterbens
Diese Grabmiiler sind die letzten Übernahmen eines Schemas, welches seit Jahrhunderten existierte, sich aber nie ganz durchsetzen konnte. Daß es sich überhaupt so
lange hielt, ist vielleicht >signifikant für die verspätete Rezeption am Mittelrhein,.Tr
wobei die Interpretation des Motivs als rein retardierendes Element kaum überzeugt.
Vorab kann lapidar festgehalten werden, daß die Idee des Sich-Erhebens als Hinweis
auf die christliche Auferstehung gedeutet werden darf. Dieses Aufrichten setzt aber
eine starke Auseinandersetzung mit dem Tod zu Lebzeiten voraus. Den gleichen Tenor
findet man häufig a1s Topos bei gedruckten Leichenpredigten.T2 So fordert eine der
Leichenpredigten auf Johaln Philipp von Walderdorff: >wohl demnach jenen, welche
Zeitihres Lebens öfters an den Tod
gedenken...73
In gleichem Maße wollen die Grabmäler den Beffachter im Sinne eines Memento
mori an die eigene Todesstunde mahnen. Unterstützt wird diese Lektion durch die
Figur des Todes, welche sich in Mainz wie in Täer recht auffällig präsentieft. Ist das
Skelett bei Ingelheim damit beschäftigt, das Wappen des Erzbischofs hinfort zu reißen,
so hat es beim Walderdorff-Grabmal eine verstärkt hinweisende Funktion. In beiden
Fällen ist es nicht zwangsläufig negativ konnotiert. Seit den Papst-Grabmälern hat der
personifizierte Tod eine durchaus positive Ikonographie, da er die Enthüllung der
Verdienste des Verstorbenen gewährleistet. Das Skelett erscheint nicht mehr als finsterer Totentänzer des Mittelalters, sondern erhält als >Schöner Tod<< durchaus positive
Aspekte im Antlitz der Öffentlichkeit.Ta
10
Selbst in den historistischen Denkmälem des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich häufig an den
Grabmonumenten der vorangegangenen Jahrhunderte orientierten, fand das Schema keine Verwendung mehr. Vgl. Hrwz / RoTHBRUST / ScHMID, Grabdenkmäler (wie Anm. 2), S.220-227.
ZArs, Ernst: Melchiors Projekt zum Grabdenkmal des Kurfürsten Emmerich Joseph von Mainz, in:
Monatsschrift des Frankenthaler Alterlumsvereins 5 (1897), S. 1-3; Bnarxnn, Grabdenkmäler (wie
Arm.4). 5.340-342.
71
'72
BRATNER, Grabdenkmäler (wie
Anm.4), S. 160.
Vgl. allgemein Boce, Birgit / Bocwsn, Ralf Georg (Hg.): Oratio Funebris. Die katholische Lei-
in der frühen Neuzeit. Zwölf Studien (Chloe. Beihefte zum Daphnis 30), Amsterdam
1999;LnNz, Rudolf: De mortuis nil nisi bene. Leichenpredigten als multidisziplinäre Quelle unter
besonderer Berücksichtigung der Historischen Familienforschung, der Bildungsgeschichte und der
chenpredigt
Literaturgeschichte (Marburger Personalschriften-Forschungen 10), Sigmaringen 1990.
BENSHEIMER, Phiiipp Maria: Das demuthvolle, annehmlich=gutthätige, und zugleich christliche
Herz vorgestellt in einer Lob= und Tiauer=Rede über den höchst=betrübten Todes=Fall Hochwürdigsten Fürsten und gnädigsten Landes=Herrn Herm Johann Philipp [...], Koblenz 1768, S.4.
258
il
>Ecce hora est<
Dementsprechend könnte der gesamte Aufbau der Grabmäler Ingelheim und
Walderdorff als die in der Barockzeit verbreitete Darstellung des >>Schönen Todes<<
interpretiert werden. Auf das Mainzer Beispiel angewendet, würde dies bedeuten, daß
Ingelheim sich in einem Sterbezimmer befindet. Das am Fußende seines Lagers befindliche Kruzifix wäre somit als Sterbekreuz zu lesen. Es soll dem Sterbenden im
Sinne der Ars moriendl einen guten und wohlvorbereiteten Tod gewährleisten. Der
Privatsphäre implizierende Vorhang steht dabei ebenso für das publikum, denn das
Sterben des Souveräns besaß einen ausgeprägten Öffentlichkeitscharakter; mitunter
waren der gesamte Hofstaat, Minister und Vertraute im Sterbezimmer zugegen. Der
Tod des Herrschers entfaltete sich wie auf einer Bühne und war >kein verstohlener
Abgang [...], sondern eine langsame, geregelte, geordnete Annäherung, vorspiel, feierlicher Übertritt von einem Zustand in einen anderen.<<75
Das Öffentlichmachen zeigt sich nrcht zuletzt an dem Motiv des Buches, dem bei
Grabmälern per se eine große Bedeutung beigemessen werden muß. Die Präsentation
von Büchem an Epitaphien ist nicht ungewöhnlich; häufig dient sie der Zurschaustellung von Bildung. Gelehrte, speziell Juristen, stützen sich sogar auf die Bücher als
Zeichen ihrer Gelehrsamkeit, eine Darstellungsform, die auf einen Holzschnitt Burgkmairs zurückgeht.l6 Ahnliches gilt für Matthias von der Schulenburg in Wittenbeig,
der sogar auf seinen Büchern kniet, während er ein Kruzifix anbetet.TT Auch Verstorbene als Demi-Gisant müssen nicht zwangsläufig in dem Buch lesen, welches ihnen
zugeordnet ist. Bereits die 1538 geschaffene Liegefigur des ehemaligen Bischofs von
chiusi, Gregorio Magalotti, hatte die Seiten zugeschlagen.T8 Der in Paris beigesetzte
ehemalige Fürst von capri, Alberto III. Pio, liest zwar als Demi-Gisanl in einem Buch,
hat aber zu seinen Füßen zwei weitere, geschlossene Wälzer liegen.Te Sebastian Echter
von Mespelbrunn, Bruder des Würzburger Erzbischofs Julius, erhielt durch diesen
151'7 ein Grabmal im Kiliansdom.s. Seine sansovino-Haltung nutzt er, um sich auf
zwei Bücher zu stützen, die ihn als Doktor beider Rechte ausweisen; eine Anordnung,
die bereits am Grabmal für Kardinal Del Monte etwas subtiler vorsebildet ist.
77
76
79
STEGEMANN, Christoph: Vom Bild des Toten zur Allegorie des Todes, in: Bilder und Tänze des
Todes. Gestalten des Todes in der europäischen Kunst seit dem Mittelaiter, Ausstellungskatalog
Unna 1982, S.43-73.
HAWLIK-VAN DE WATER, Magdalena: Der schöne Tod. Zeremonialstrukturen des Wiener Hofes bei
Tod und Begräbnis zwischen 1640 und 1740, Wien 1989, S.11.
Vgl. SCHMID, Wolfgang: Zum Bild des Juristenstandes auf Grabmälern, Altarbildern und porträts an
der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums (2001),
S.7-28; MERKEL, Jenseits-Sicherung (wie Anm. 3), S. 5i f.
BRTNKMA\N, Inga: Das Wandgrabmal für Matthias von der Schulenburg (+ 1569) in der Wittenberger Stadtkirche. Zlm Problem lutherischer Grabmalstypen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderls, in: wBcnraNN, susanne / wrMBöcK, Gabriele (Hg.), Konfessionen im Kirchernaum.
Dimensionen des Sakralraums in der Frühen Neuzeit (Studien zur Kunstgeschichte des Mittelalters
und der Frühen Neuzeit 3), Berlin 2007, S. 305*324.
Zur Deutung des Buches GRAMBERG, Liegestatue (wie Anm. 17), S.49.
Im Zusammenspiel mit der Rüstung wird so der humanistische Topos yon anna und litterae symbolisiert. Vg1. MINNING, Martina: Zu Begräbniszeremoniell und Grabmal des Fürsten Alberlo III.
Pio da capri, in: PoEscsxs KuscH-ARNoLD wbrcEl-, praemium virtutis
(wie Anm. 2).
s. 93-1 i7.
SnnH, Sculpture (wie Anm. 22), S. 152-154.
/
/
II
259
Stefan Heinz
Als Pendant zum Denkmal für Johann Konrad von Gemmingen im Eichstätter Dom
errichtete Fürstbischof Franz Ludwig Schenk von Castell 112'7 ein bronzenes Grabdenkmal für sich und seine beiden Vorgänger im Amt aus derselben Familie.sl Auch er
präsentiert sich als Demi-Gisant und liest ebenfalls nicht in seinem Buch, obwohl er
sich ebensowenig darauf stützt. Statt dessen hält er es dem Betrachter entgegen, damit
dieser den Hinweis >Mementote Praepositorum vestrorum< (Denkt an Eure Vorsteher)
lesen soll. Der Vers aus dem Hebräerbrief 13,7 findet seine Fortsetzung in dem Satz
>die Euch das Wort Gottes verkändet haben; schaut auf das Ende ihres Lebens und
ahmt ihren Glauben nach.< Die Buchseiten erinnern nicht nur an die vorbildlichen
Amtsvorgänger und legitimieren die quasidynastische Sukzession, sondern beziehen
sich auch auf die Predigttätigkeit des Bischofs.
Das seit dem füdentinum propagierte Ideal des predigenden Bischofs82 wird anhand
des aufgeschlagenen Buches zusätzlich betont. In der Lektüre des Münsteraner Fürstbischofs Friedrich Christian von Plettenberg befand sich der erste Vers des Buchs der
Weisheit >Diligite iustitiam, qui judicatis terram<< (Liebt Gerechtigkeit, die Ihr auf
Erden zu richten habt). Die als Predigt präsentierten Bibelworte unterstreichen hier
neben den weltlichen Tugenden auch die geistlichen Verdienste des Fürstbischofs.83
Obwohl im Buch des Walderdorff-Grabmals nichts zu lesen ist, gibt uns die erhaltene
Entwurfszeichnung eine interessante Hilfestellung. Eindeutig ist ein Kretz zu erkennen, womit das Bild als Kanonbild zu interpretieren wzire und das Buch damit als
Missale ausgewiesen wird.sa
Während die Bücher von Klerikern auf ihren Epitaphien zumeist kleiner sind, damit
als Breviere für das Stundengebet identifiziert werden können, sind es bei den Erzbischöfen Ingelheim und Walderdorff und insbesondere dem gemeinsamen Vorbild
Metternich große Folianten. Jenseits der persönlichen Bedürfnisse handelt es sich damit jeweils wohl um ein liturgisches Buch, vermutlich ein Missale, das Buch für den
Meßgottesdienst. Im Falle von Metternich, der Chor- und Weihbischof war, ist dies
naheliegend. Es scheint wie eine Ironie, daß sein Gegenspieler zu Lebzeiten, Erzbischof Philipp Christoph von Sötern, auf dem Totenbett sein Gebetbuch nicht mehr mit
eigener Hand umblättern konnte. Ob dies bei der Planung des Grabmals intendiert war,
muß allerdings offen bleiben. Der Biograph des Erzbischofs betont jedenfalls, wie
wichtig jenem das Feiern der Messe und das Stundengebet auch auf dem Totenbett
noch waren: >Hocque admireris, quod diem nullum sine Missae sacrificio, in suo
conclavi celebrato, transmiserit; canonicas etiam horas usque ad ultima vitae tempora,
nec manus ad tenendum volvemdumque librum posset extendere [...] exsolverit..s5
83
E4
VoLK, Peter: Guillielmus de Grof (1676-1'742). Studien zur Plastik am kurbayrischen Hof im
18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1966, S.54-58; Maoen, Eichstätt (wie Anm.21), S. 106.
BRAUN, Bettina: Seelsorgebischof oder absolutistischer Fürst? Die Fürstbischöfe in der Spätphase
des Alten Reiches zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Dres. / GöTTMAI.TN / STRöIilurER,
Geistliche Staaten (wie Anm. 1), S. 87-1 16, hier S. 90 f.
GRorE, Gröninger (wie Anm.40), S. 139.
HAUssLING, Angelus Albert: Das Missale deutsch. Materialien zur Rezeptionsgeschichte der lateinischen Meßliturgie im deutschen Sprachgebiet bis zum zweiten Vatikanischen Konzil (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 66), Münster 1984.
WYTTENBACH, Johann Hugo / MÜusn, Michael Franz Joseph (Hg.): Gesta Tievirorum integra
lectionis varietate et animadversionibus illustrata, Bd.3, Tiier 1839, S.93.
260
T
>Ecce hora est<
(und Du wirst Dich darüber wundern, daß er keinen Thg ohne das Meßopfer, gehalten
in seinem Gemach, verstreichen ließ. Auch die Stundengebete verrichtete er bis in die
Letzte Zeit des Lebens, obwohl er die Hand zum Halten und Umblättern des Buches
nicht ausstrecken konnte). Über das stets gegebene Symbol der Bildung hinaus ist das
Buch auf den Grabmälern also auch als Zeichen für das Lesen der Messe zu verstehen.
Zusammengefaßt läßt sich festhalten, daß die barocken Grabmäler des Anselm
Franz von Ingelheim im Mainzer Dom und des Johann Philipp von Walderdorff in der
Täerer Kathedrale - trotz vieler lJnterschiede im Detail - in ihrer Gesamtgestaltung als
Demi-Gisant eine entscheidende Gemeinsamkeit besitzen. Sicherlich sind sie (ebenso
wie das Münsteraner Denkmal Plettenbergs) dahingehend vom Mettemich-Grabmal
inspiriert worden, welches seinerseits wiederum vom Täest-Monument in Gent wichtige Impulse erfahren hat. Dessen formales Vorbild ist im Del Monte-Grabmal in Rom
zu finden, welches sicherlich ein spätes Zitat von Sansovinos Grabmälern darstellt.
Diese formale Kausalität, die Adolf Feulner als >Ahnenreihe< bezeichnet,86 ist trotz
aller Anpassungen durch die Jahrhunderte plausibel. Weitaus schwieriger als das Aufzeigen ist die Interpretation dieser Erkenntnis.
Da der spezielle Typus des Demi-Gisant bei weltlichen Würdenträgern kaum vorkommt, ließe sich die Hypothese aufstellen, die Tiaditionslinie hätte neben einer formalen Abhängigkeit auch eine inhaltliche Komponente. Rom kann dabei letztlich immer eine Vorbildfunktion erfü11en.87 Das Zitteren römischer Kardinalsgrabmäler wäre
folglich ein Bekenntnis zum katholischen Glauben und dokumentierte notabene die
Zugehörigkeit zu einer religiösen Elite. Eine zu offensichtliche inhaltliche Deutung ist
allerdings problematisch, da das Kardinalat für die frühneuzeitlichen Fürstbischöfe
nicht mehr die höchste Attraktivität hatte. Es war zwar eine angesehene Würde, brachte aber auch einige Nachteile mit sich, so daß es verhältnismäßig wenig deutsche
Kardinäle in der Frühen Neuzeit gab. Die geistlichen Kurfürsten fühlten sich einem
Kardinal ohnehin rangmäßig gleichwertig und sahen den purpurnen Hut also nicht als
ivesentlichen Aufstieg. Ein kirchenrechtliches Gegenargument kam hinzu. Starb ein
Bischof als Kardinal, fiel das Recht, den Nachfolger zu bestimmen, vom Domkapitel
an den Papst. Meist delegiefie der Papst sein wahlrecht zwar wieder an das Domkapitel, aber der Verlust stand de jure im Raum. Zudem war das Kardinalat eine finanzielle Belastung für das Domkapitel. Manche Wahlkapitulationen enthielten deshalb
die Bestimmung, daß der Bischof nicht Kardinal werden dürfe.8s
Die veränderte Einstellung zum Tod und die Deutung der Szenerien an den Grabmälern als Inszenierung des >Schönen Sterbens< wirken vor diesem Hintergrund ersichtlicher. Zwar rst beides nur bedingt an das Erscheinungsbild gebunden, doch bleibt
festzuhalten, daß sich die Darstellung des Verstorbenen als Demi-Gisqnt filr einen
FEULNER,
(wie Anm. 37). S.555.
i''" Für MainzMettemichdenkmal
vgl. MarnEus, Michael: Zur Romimitation
in der Aurea Moguntia, in: DorzAUER,
KreresR, Wolfgang / MATHEUS, Michael u. a. (Hg.), Landesgeschichte und Reichsgeschichte (Geschichtliche Landeskunde 42), Festschrift für Alois Gerlich, Stuttgart 1995, S. 35-41.
- Umfassende
!3
Untersuchungen zum Ansehen und der Attraktivität des KardindJamtes in der Frühen
Neuzeit fehlen leider. Für die freundlichen Hinweise danke ich Frau PD Dr. Bettina Braun. die mir
bei der Beantwortung diesbezüglicher Fragen sehr hilfreich war.
Winfried
/
26r
Stefan Heinz
geistlichen Herrscher viel stdrker anbot als für einen weltlichen Fürsten, zumindest auf
dem Reichsgebiet. Da das formale Konzept sogar Märtyrergräber und Heiligenschreine
zieren konnte,se war es einem Bischofsgrabmal näher als einem Fürstenmonument.
Beispielsweise der Reliquienschrein und das Grab des hl. Engelbert im Kölner Dom. Vgl. HEtr{z /
/ Scrnno, Grabdenkmäler (wie Anm. 2), S. 85-90.
RoTHBRUST
262
il
Geistliche Fürsten und
Geistliche Staaten in der
Spätphase des Alten Reiches
Herausgegeben von
Bettina Braun ' Mareike Menne' Michael Ströhmer
bibliotheca academica Verlag