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Die Erfindung betrifft allgemein die Charakterisierung der Materialeigenschaften von Produkten. Insbesondere betrifft die Erfindung die Bestimmung der Bruchstabilität von mechanisch belasteten Bauteilen, wie etwa von Trägerstrukturen.
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Es bestehen bisher keine zuverlässigen Verfahren für die Bestimmung der Langzeitstabilität von Bauteilen aus Materialien, deren Stabilität durch deren Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst wird. Dieses Kriterium ist unter anderem bei sprödbrüchigen Materialien, wie Glas und Glaskeramik erfüllt. Glas und Glaskeramik sind an sich sehr feste Materialien, die erst bei Spannungen brechen, bei denen Stahl bereits versagt. Allerdings wird diese Festigkeit erheblich von der Oberflächenbeschaffenheit, im Speziellen vom Vorhandensein von Rissen an der Oberfläche beeinflusst. Solche Risse können die mechanische Grenzspannung um zwei Größenordnungen senken.
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Weiterhin wird bei einigen Bauteilen auch eine hohe Zuverlässigkeit gefordert, was mit einer sehr geringen Ausfallwahrscheinlichkeit innerhalb einer je nach Anwendung unterschiedlich lang vorgegebenen Zeitspanne einhergeht. Bei den geforderten niedrigen Ausfallwahrscheinlichkeiten sind wiederum wenige oder gar keine Messwerte vorhanden. Um in diesem Bereich für ein Bauteil aus sprödbrüchigem Material die Ausfallwahrscheinlichkeit oder bei vorgegebener Ausfallwahrscheinlichkeit die zulässige mechanische Spannung angeben zu können, werden daher vorhandene Daten extrapoliert. Dies führt im Bereich niedriger Ausfallwahrscheinlichkeiten zu sehr unsicheren Werten. Aufgrund dieser unsicheren Werte werden die Materialstärken der Bauteile eher überdimensioniert, um einen Ausfall des Bauteils zu vermeiden.
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Der Erfindung liegt mithin die Aufgabe zugrunde, die Charakterisierung von Bauteilen hinsichtlich ihrer Lebensdauer oder zulässigen mechanischen Belastung zu verbessern und damit auch die Dimensionierung von Bauteilen entsprechend anzupassen. Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen und Weiterbildungen der Erfindung sind in den abhängigen Ansprüchen angegeben.
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Demgemäß sieht die Erfindung ein Verfahren zur Spezifizierung eines Glas- oder Glaskeramik-Bauteils, beziehungsweise des Materials eines solchen Bauteils durch einen der folgenden Parameter vor:
- – die Mindestlebensdauer des Bauteils (1) in Abhängigkeit einer vorgegebenen mechanischen Belastung des Bauteils, oder
- – die mechanische Belastbarkeit in Abhängigkeit einer vorgegebenen Lebensdauer, während der eine mechanische Belastung auftritt.
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Die Spezifizierung erfolgt jeweils anhand der Beziehung
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Dabei bezeichnen
- t
- die Mindestlebensdauer,
- n
- der Spannungskorrosionskoeffizient des Materials des Glas- oder Glaskeramik-Bauteils,
- σ .r
- eine Spannungssteigerungsrate,
- σB,c
- die mechanische Belastung in Form einer innerhalb der Lebensdauer des Bauteils auftretenden mechanischen Zugspannung, und
- σB,r
- die Mindestfestigkeit des Bauteils in Form einer mechanischen Zugspannung bis zum Bruch unter Einwirkung der um die Spannungssteigerungsrate σ .r ansteigenden mechanischen Spannung im Bauteil.
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Hierbei wird die Mindestfestigkeit σB,r bestimmt, indem eine Mehrzahl von Proben des Glas- oder Glaskeramikmaterials mit um die Spannungssteigerungsrate σ .r ansteigender mechanischer Zugspannung belastet wird, bis die jeweilige Probe bricht, und wobei dann aus den Werten der beim Bruch vorliegenden Belastung die Mindestfestigkeit σB,r als Grenzwert bestimmt wird.
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Mit der Kenntnis dieser Parameter kann nun auch ein Glas- oder Glaskeramik-Bauteil entsprechend so ausgelegt und hergestellt werden, dass es einer vorgegebenen Last eine bestimmte Zeit bruchfrei widersteht. Das Verfahren zur Herstellung eines Glas- oder Glaskeramikbauteils basiert demnach auf den Schritten:
- – Vorgeben einer Mindestlebensdauer des Bauteils und einer mechanischen Belastung des Bauteils und
- – Dimensionieren der Maße des Bauteils, so dass die vorgegebene Mindestlebensdauer bei der vorgegebenen mechanischen Belastung mindestens erreicht wird,
- – Formen des Glas- oder Glaskeramikbauteils mit den ermittelten Maßen, wobei das Dimensionieren der Maße des Glas- oder Glaskeramikbauteils wieder anhand der oben genannten Beziehung (1) erfolgt. Dabei werden die Maße des Bauteils so gewählt, dass die im Mittel innerhalb der Mindestlebensdauer einwirkende Last keine Zugspannungen im Material des Glas- oder Glaskeramikbauteils bewirkt, welche im Mittel größer sind als σB,c, dadurch gekennzeichnet, dass die Mindestfestigkeit σB,r bestimmt wird, indem eine Mehrzahl von Proben des Glas- oder Glaskeramikmaterials mit um die Spannungssteigerungsrate σ .r ansteigender mechanischer Zugspannung belastet wird, bis die jeweilige Probe bricht, und wobei dann aus den Werten der beim Bruch vorliegenden Belastung die Mindestfestigkeit σB,r als Grenzwert bestimmt wird.
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Auf diese Weise wird unter Annahme einer vorgegebenen Last sichergestellt, dass das Bauteil zumindest innerhalb der Mindestlebensdauer nicht versagt oder umgekehrt wenigstens die Mindestlebensdauer bei vorgegebener Belastung bruchfrei überstanden wird.
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Es zeigt sich überraschend, dass mittels der Erfindung wesentlich schlankere Maße, also beispielsweise geringere Dicken von plattenförmigen Glas- oder Glaskeramikelementen ermöglicht werden, ohne dass der beabsichtigte Einsatzzweck des Bauteils beeinträchtigt oder die Ausfallsicherheit erniedrigt wird. Dies bringt unter anderem eine erhebliche Gewichtsersparnis.
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Die Erfindung basiert dabei auch auf der überraschenden Erkenntnis, dass sich Glas- und Glaskeramik-Bauteile unter steigender mechanischer Belastung bis zum Bruch nicht einer üblichen Weibull-Verteilung folgen. Vielmehr existiert überraschender Weise eine Mindestfestigkeit, so dass bei mechanischen Belastungen bis zu dieser Grenze ein Ausfall praktisch ausgeschlossen werden kann.
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Der Spannungskorrosionskoeffizient ist materialspezifisch und hängt von den Umgebungsbedingungen des Bauteils ab. Dieser Koeffizient kann ebenfalls gemessen werden. Auch existieren Werte in der Literatur. Meßverfahren zur Messung des dimensionslosen Spannungskorrosionskoeffizienten sind beispielsweise aus F. Kerkhof, H. Richter, D. Stahn, „Festigkeit von Glas, zur Abhängigkeit von Belastungsdauer und -Verlauf”, Glastechn. Berichte 54 (1981) Nr. 8, S. 265–277 bekannt.
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In diesem Dokument wird auch eine zur Beziehung (1) ähnliche Gleichung für die Lebensdauer angegeben, allerdings im Unterschied zur Erfindung in Form eines Vergleichs einer mit einem Riss bekannter Tiefe behafteten Platte mit einer rissfreien Platte. Die Beziehung (1) setzt anstellen dessen eine Mindestfestigkeit ein, die für eine bestimmte Spannungssteigerungsrate allgemein für bestimmte Glas- oder Glaskeramikbauteile mit definierter Oberfläche gilt. Damit wird eine Voraussage für die Lebensdauer und/oder Spannungsfestigkeit allgemeiner Art für industriell gefertigte Glas- oder Glaskeramikbauteile auch ohne tiefgehende Risse ermöglicht.
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Die Dimensionierung des Bauteils muss dabei nicht so gewählt werden, dass für eine geforderte Mindestlebensdauer gerade eben die geforderte mechanische Belastbarkeit erreicht wird. Vielmehr ist es im Allgemeinen günstig, wenn das Bauteil stärker dimensioniert wird, zumal sich ohnehin eine gegenüber bisher angewendeten Dimensionierungen für Glas- oder Glaskeramikbauteilen deutlich höhere mechanische Stabilitäten ergeben. So kann gemäß einer Weiterbildung der Erfindung das Bauteil so dimensioniert werden, dass sich die vorgegebene Mindestlebensdauer um bis zu 50% verlängert oder eine gegenüber σB,c um bis zu 50% höhere mechanische Belastbarkeit des Bauteils ohne Bruch erzielt wird.
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Der Beziehung (1) liegt dabei auch die Erkenntnis zugrunde, dass auch ohne sichtbare, tiefe Risse in oberflächennahen Bereichen der Glaskeramik Defekte, wie insbesondere Mikrorisse vorhanden sein können, die dann maßgeblich für die Lebensdauer des Bauteils unter auftretenden Zugspannungen sind. Diese Risse wachsen unter Einwirkung der an der Oberfläche auftretenden Zugkräfte. Das Risswachstum wird dabei auch von der Umgebung beeinflusst. So wächst ein Riss in feuchter Umgebung schneller, als im Vakuum oder in trockener Atmosphäre. Dieser Material- und Umwelteigenschaft wird mit dem Spannungskorrosionskoeffizient n (auch als Spannungsrisskorrosionskoeffizient bezeichnet) Rechnung getragen. Die Koeffizienten n sind für eine Vielzahl von Gläsern und Glaskeramiken bekannt.
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Nachfolgend sind einige Beispiele für Spannungsrisskoeffizienten genannt:
- a) Für Zerodur-Glaskeramik kann für n ein besonders konservativer Wert zwischen 27 und 33 an Luft mit relativer Feuchte zwischen 30% und 60% angesetzt werden. Aus der Literatur liegen auch Messwerte vor, die zwischen 50 und 55 liegen. Werte von n im Bereich von 50 bis 55 gelten auch im Vakuum und unter inerten Bedingungen.
- b) Für Kalk-Natron-Glas wurden in der Literatur folgende Werte angenommen:
– n = 16 für einen Riss unter Wasser,
– n = 18,1 für einen Riss in einer Glasoberfläche an Luft mit 50% relativer Feuchte und
– n = 70 unter inerten Bedingungen oder im Vakuum.
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Gemäß einer Weiterbildung der Erfindung kann der Spannungskorrosionskoeffizient auch in einfacher Weise gemessen werden. Insbesondere kann dazu eine Mehrzahl von Proben mit ansteigender mechanischer Belastung bis zum Bruch belastet werden, wobei hier jeweils unterschiedliche Spannungssteigerungsraten verwendet werden. Die Bestimmung des Spannungskorrosionskoeffizienten kann dann anhand folgender Beziehung erfolgen:
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Dabei bezeichnet σf die Zugspannung beim Bruch der Probe und σ . die Spannungssteigerungsrate. An die Messwerte kann dann die Beziehung (2) unter Variation des Parameters const. und des Spannungskorrosionskoeffizienten n angepasst und damit der Spannungskorrosionskoeffizient bestimmt werden. Die Anpassung kann beispielsweise durch einen Best-Fit erfolgen. In einer doppellogarithmischen Darstellung der Bruchspannung als Funktion der Spannungssteigerungsrate stellt dabei der Spannungskorrosionskoeffizient die Steigung einer Geraden dar.
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Die Erfindung wird nachfolgend anhand von Ausführungsbeispielen und unter Bezugnahme auf die beigeschlossenen Zeichnungen näher erläutert. Dabei verweisen gleiche Bezugszeichen in den Zeichnungen auf gleiche oder entsprechende Elemente. Es zeigen
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1 schematisch ein mechanisch belastetes Glas- oder Glaskeramikbauteil,
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2 ein Ausführungsbeispiel eines Glaskeramik-Bauteils,
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3 ein Diagramm gemessener Bruchfestigkeiten von Glaskeramik-Proben,
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4 ein Diagramm gemessener Bruchfestigkeiten mit erweitertem Datensatz,
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5 und 6 Diagramme der Lebensdauer in Abhängigkeit der mechanischen Belastbarkeit
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Anhand von 1 wird ein Ausführungsbeispiel erläutert, wie bei der Dimensionierung des Bauteils anhand einer im Einsatz des Bauteils auftretenden mechanischen Belastung ein Wert für die erforderliche mechanische Belastbarkeit in Form einer durch die mechanische Belastung am Bauteil auftretenden maximalen Zugspannung im Glas- oder Glaskeramikmaterial ermittelt werden kann.
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Bei dem Glas- oder Glaskeramikbauteil 1 handelt es sich bei dem Ausführungsbeispiel um einen an beiden Enden gehaltenen Träger. Der Träger wird bei diesem Ausführungsbeispiel mittig durch eine Kraft F belastet. An der Oberfläche 2 des Trägers kommt es dadurch aufgrund dieser mechanischen Belastung und der damit verbundenen Durchbiegung zu einer Zugspannung σ. Die auf der anderen Seite entstehende Druckspannung ist im Idealfall gleich groß. Da die Zugspannung für die Festigkeit von Glas- oder Glaskeramikbauteilen kritischer ist, wird im Folgenden nur diese Zugspannung betrachtet.
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Für die maximale, an der Randfaser in der Mitte des Trägers auftretende Zugspannung σ
max gilt dabei:
wobei F die angreifende Kraft, L die Länge des Trägers und W
y das Widerstandsmoment bezeichnen. Für das Widerstandsmoment gilt:
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Dabei bezeichnet h die Höhe des Trägers und I
y das axiale Flächenträgheitsmoment. Bei einem rechteckigen Träger gilt für I
y:
wobei A die Querschnittfläche des Trägers bezeichnet. Damit ergibt sich in diesem einfachen Fall für die maximale Zugspannung unter Belastung des Trägers mit der beispielsweise durch ein aufliegendes Gewicht einwirkenden Kraft F:
σmax = 3F·L / 2A·h. (6)
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Dem Fachmann sind Berechnungsmethoden für komplexere Geometrien bekannt. Beispielsweise kann für komplexer geformte Bauteile 1 auch eine finite Elemente-Berechnung verwendet werden.
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Das Bauteil kann nun entsprechend so dimensioniert und dann hergestellt werden, dass die maximale Zugspannung innerhalb der geforderten Mindestlebensdauer und vorgesehenen mechanischen Belastung die Mindestfestigkeit σB,r, wie sie aus der oben angegebenen Beziehung (1) ermittelt werden kann, nicht erreicht oder überschreitet. Damit wird das Bauteil also so dimensioniert, dass die vorgegebene Mindestlebensdauer bei der vorgegebenen mechanischen Belastung, im Beispiel der 1 also der Kraft F, mindestens erreicht wird.
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2 zeigt ein Ausführungsbeispiel eines Glas- oder Glaskeramikbauteils 1 in Form eines Leichtgewichts-Trägers. Der Träger ist aus Zerodur-Glaskeramik gefertigt und hat eine wabenförmige Struktur, um eine besonders hohe mechanische Belastbarkeit bei gleichzeitig niedrigem Gewicht bereitszustellen. Derartige Glaskeramik-Bauteile kommen beispielsweise in der Raumfahrt zum Einsatz. Das Glaskeramik-Bauteil ist aus Stegen 6 aufgebaut, die Waben 5 bilden. Die höchsten Zugspannungen treten bei der Belastung des Bauteils 1 hier typischerweise an den Kanten 7 der Stege 6 auf.
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Bei derartigen Bauteilen treten hohe mechanische Belastungen insbesondere beim Start der Trägerrakete auf, diese entstehen jedoch vornehmlich durch die Beschleunigung der Rakete und treten daher nur für wenige Minuten auf. Das Bauteil kann daher in diesem Falle so dimensioniert werden, dass zwar eine hohe mechanische Belastung aufzunehmen ist, diese jedoch nur für eine kurze Dauer, beispielsweise zwischen 5 und 15 Minuten. Das Bauteil wird dann vorzugsweise so ausgelegt, dass die Mindestlebensdauer länger ist, als die Dauer der auftretenden mechanischen Belastung. Mit anderen Worten werden also die Maße des Bauteils 1 so dimensioniert, dass die vorgegebene Mindestlebensdauer bei der vorgegebenen mechanischen Belastung ohne Bruch mindestens erreicht, vorzugsweise überschritten wird, so dass das Bauteil 1 auch nach Ablauf der Mindestlebensdauer unter der mechanischen Belastung noch intakt ist. Bei dem dargestellten Beispiel kann die Dimensionierung dabei beispielsweise durch Festlegung der Breiten der Stege 6 erfolgen. Wird die Stegbreite vergrößert, so sinkt bei gleicher mechanischer Belastung die Zugfestigkeit an den Kanten 7 der Stege 6.
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Anhand der nachfolgenden Zeichnungen wird diese Dimensionierung, die anhand der Beziehung (1) vorgenommen wird, sowie die erfindungsgemäße Spezifizierung der Festigkeit und Lebensdauer von Glas- oder Glaskeramikbauteilen 1 weiter verdeutlicht.
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Anhand von 3 wird zunächst die Problematik bei der bisherigen Dimensionierung von Glas- oder Glaskeramik-Bauteilen verdeutlicht. 3 zeigt ein Diagramm in Form eines Weibull-Netzes, in welchem die Messwerte zweier Serien von Bruchfestigkeiten von Zerodur-Glaskeramikproben eingetragen sind.
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Die beiden Serien unterscheiden sich hinsichtlich der Oberflächenbearbeitung der Proben. Die mit „D151” bezeichneten Messwerte wurden an Proben gemessen, deren Oberfläche mit einem Schleifmittel mit einer maximalen Körnung von 151 μm geschliffen wurde. Die mit „D25” bezeichneten Messwerte wurden an Proben gemessen, die mit einer mittleren Körnung von 20 μm geschliffen wurden. Anhand der unterschiedlichen Bruchfestigkeiten wird ersichtlich, dass die Oberflächenbearbeitung von Glas- oder Glaskeramikbauteilen einen Einfluss auf die Bruchfestigkeit hat. Dabei weist die mit feinerer Körnung behandelte, also glattere Glaskeramik auch eine höhere Bruchfestigkeit auf.
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An die Messwerte wurden jeweils zweiparametriger Weibull-Verteilungen angepasst. Dabei bezeichnet die Kurve
10 die Weibull-Verteilung zur Meßserie „D151” und die Kurve
11 die Weibull-Verteilung zur Meßserie „D25”. Die Weibull-Verteilung ist dabei gegeben durch:
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Dabei bezeichnet σ die Zugspannung. σc wird bei einer Weibull-Verteilung allgemein als Lageparameter und λ als Formparameter bezeichnet. Zusätzlich eingezeichnet sind die 95%-Konfidenzintervalle 12, 13 der Verteilungen 10, 11. Überraschend überkreuzen sich die Kurven 10 und 11 bei niedrigeren Ausfallwahrscheinlichkeiten. Dies würde bedeuten, dass die an sich festere Glaskeramik mit glatterer Oberfläche im für hohe Zuverlässigkeit wichtigen Bereich niedriger Bruchwahrscheinlichkeiten weniger fest ist, als die rauere Glaskeramik. Folgt man nun der angepassten Weibull-Verteilung 11 und möchte sicherstellen, dass das entsprechende Glaskeramik-Bauteil keinesfalls versagt, führt dies dazu, dass nur sehr niedrige Zugspannungen zugelassen werden können und das Bauteil entsprechend stark zu dimensionieren ist.
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Zieht man hier noch das Konfidenzintervall hinzu, so wird aus 3 ersichtlich, dass für niedrige Ausfallwahrscheinlichkeiten von 0,01% eine Zugspannung von 10 MPa im Bauteil nicht überschritten werden sollte. Problematisch bei dieser Betrachtung ist offensichtlich die hier notwendige Extrapolation der Daten über mehrere Größenordnungen der Bruchwahrscheinlichkeit. Zudem kann ein Bruch hier nicht völlig ausgeschlossen werden, da die zweiparametrigen Weibull-Verteilungen am in 1 nicht dargestellten Ursprung beginnen.
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Der Erfindung liegt nun unter anderem die Erkenntnis zugrunde, dass die zweiparametriger Weibull-Verteilung nicht geeignet ist, um den Bereich niedriger Bruchwahrscheinlichkeiten korrekt wiederzugeben.
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Mit einem erweiterten Datensatz, der im Diagramm der
4 dargestellt ist, wird dies offensichtlich. Bei den Datensätzen „D151” und „D25” handelt es sich wiederum um Bruchfestigkeiten die mit den entsprechenden Körnungen geschliffenen Proben ermittelt wurden. Es sind nun Daten auch zu aufgrund der niedrigen Bruchwahrscheinlichkeit entsprechend seltenen niedrigeren Bruchspannungen verfügbar. Diese Bereiche der beiden Meßwertsätze sind mit Ovalen eingekreist und hervorgehoben. Es zeigt sich hier eine deutliche systematische Abweichung zu einer Anpassung mit einer zweiparametrigen Weibull-Verteilung. Insbesondere ist anhand von
4 ersichtlich, dass die beiden Meßwertsätze gegen einen Grenzwert der Bruchspannung streben. Unterhalb dieses Grenzwerts, der Mindestfestigkeit σ
B,r kann zumindest innerhalb der durch die bei der Messung verwendeten Spannungssteigerungsrate σ .
r bestimmten Zeit kein Bruch mehr auftreten. Dies gilt zumindest, soweit die Probe keine weitergehende Schädigung aufweist. Bei dem in
4 gezeigten Beispiel betrug die Spannungssteigerungsrate σ .
r 2 MPa pro Sekunde. Die Messwerte beider Meßserien lassen sich sehr gut durch eine dreiparametrige Weibull-Verteilung anpassen. Diese ist gegeben durch:
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Diese Funktion wird durch die drei Parameter γ, η und β bestimmt und kann durch Variation dieser Parameter an die Messwerte angepasst werden. Die dreiparametrige Weibull-Verteilung verschwindet insbesondere auch für den Fall, dass die Zugspannung σ den Wert γ annimmt. Dieser Parameter kann bei einer Anpassung einer dreiparametrigen Weibull-Verteilung an die Messwerte somit als Mindestfestigkeit σB,r angesetzt werden. Bei Zugspannungen kleiner oder gleich dieses Werts ist die Bruchwahrscheinlichkeit gleich null.
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Demnach ist in Weiterbildung der Erfindung, ohne Beschränkung auf Glaskeramik oder Zerodur als speziellem Material vorgesehen, dass die Mindestfestigkeit σB,r bestimmt wird, indem eine Mehrzahl von Proben des Glas- oder Glaskeramikmaterials mit um die Spannungssteigerungsrate σ .r ansteigender mechanischer Zugspannung belastet wird, bis die jeweilige Probe bricht, und wobei dann aus den Werten der beim Bruch vorliegenden Belastung die Mindestfestigkeit σB,r als Grenzwert bestimmt wird, indem eine dreiparametriger Weibull-Verteilung an die Messwerte angepasst und die Mindestfestigkeit als diejenige Zugspannung bestimmt wird, bei welcher die Weibull-Verteilung gleich null wird. Es kann hier auch sicherheitshalber eine etwas kleinere Mindestfestigkeit, vorzugsweise eine bis höchstens 20% niedrigere Zugspannung als diejenige Zugspannung verwendet werden, bei welcher die Weibull-Verteilung verschwindet. Ein Sicherheitsfaktor kann aber auch anderweitig bei der Dimensionierung der Bauteile vorgesehen werden.
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Bei dem in 4 gezeigten Beispiel ergibt sich als Grenzwert der Weibull-Verteilung nun eine Mindestfestigkeit von 47,3 MPa für die Meßserie „D151” und eine Mindestfestigkeit von 67,7 MPa für die Meßserie „D25”. Verglichen mit der bisher üblichen Auslegung von Zerudur-Bauteilen auf Zugspannungen von höchstens 10 MPa können also Bauteile mittels der Erfindung deutlich anders, insbesondere wesentlich leichter dimensioniert werden, ohne dass die Ausfallwahrscheinlichkeit bei der vorgesehenen Last ansteigt. Dies gilt, sofern die zugbehaftete Oberfläche des Bauteils die gleiche, vergleichbare oder ähnliche Eigenschaften aufweist. Der Grund für die verschiedenen Zugspannungs-Festigkeiten je nach Oberflächenbehandlung ist in Mikrorissen in der Oberfläche zu sehen. Diese sind zwar üblicherweise gar nicht mehr sichtbar, beeinflussen aber dennoch die Festigkeit. Dies insbesondere, da Risse, auch wenn diese noch so klein sind, in Glas und Glaskeramik unter Zugbelastung der Oberfläche wachsen.
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Für das Rißwachstum kann dabei folgende Differentialgleichung angesetzt werden: da / dt = A·(σ√a·f)n (9)
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In dieser Beziehung bezeichnet a die Risslänge, A ist eine Materialkonstante, σ bezeichnet die Zugspannung, f ist der Rissformfaktor, der im Allgemeinen f = 2 gesetzt werden kann, und n ist wiederum der Spannungskorrosionskoeffizient. Die Beziehung (1) ergibt sich daraus im Prinzip durch Lösung der Differentialgleichung (9) bei konstanter Zugspannung σ und konstanter Spannungssteigerungsrate σ .r.
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Durch Messung des Spannungsrisskoeffizienten kann das Material von Glas- oder Glaskeramikbauteilen 1 nun hinsichtlich der Mindestlebensdauer in Abhängigkeit einer vorgegebenen mechanischen Belastung, oder der mechanischen Belastbarkeit in Abhängigkeit einer vorgegebenen Lebensdauer, während der eine mechanische Belastung auftritt, charakterisiert werden. Die nachfolgenden 5 und 6 zeigen solche Charakterisierungen am Beispiel von Zerodur-Glaskeramik.
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5 zeigt die logarithmisch aufgetragene Mindestlebensdauer t als Funktion der am Bauteil auftretenden Zugspannung σ. Die sich aus Beziehung (1) ergebenden Kurven sind für zwei an Zerodur-Glaskeramik gemessene Spannungskorrosionskoeffizienten n = 29,3 und n = 51,7 aufgetragen. Der Wert von n = 29,3 wurde dabei an der Glaskeramik für die Risskorrosion an feuchter Luft gemessen. Der Wert n = 51,7 wurde für die Risskorrosion in einer anderen Messung ebenfalls bei normaler Raumfeuchte bestimmt, kann aber auch als Wert für die Risskorrosion im Vakuum angesetzt werden. Beide Kurven wurden für eine mit einer Körnung von höchstens 151 μm geschliffene Glaskeramik bestimmt. Die Kurven gelten also für glaskeramische Bauteile, die entsprechend dem in 4 gezeigten Datensatz „D151” oberflächenbehandelt sind.
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Im Diagramm sind zusätzlich Linien für bestimmte Lebensdauern, nämlich die Linie 1h für eine Mindestlebensdauer von einer Stunde, die Linie 1d für eine Mindestlebensdauer von einem Tag, die Linie 1m für eine Mindestlebensdauer von einem Monat, sowie die Linien 1y und 10y für Mindestlebensdauern von einem, beziehungsweise von 10 Jahren gekennzeichnet. Einer Lebensdauer von 30 Jahren entspricht etwa die Linie bei 1·109 Sekunden.
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Soll beispielsweise das Glaskeramik-Bauteil als Komponente eines Satelliten, beispielsweise als Spiegel oder als Träger für einen Spiegel verwendet werden, so treten hohe mechanische Belastungen nur kurzfristig beim Start der Trägerrakete auf. Wird hier also bereits mit einem Sicherheitsfenster versehen eine Mindestlebensdauer von einer Stunde unter der beim Start der Rakete auftretenden mechanischen Belastung gefordert, so kann das Bauteil nun mit einer Belastbarkeit von 35 MPa dimensioniert werden. Dabei wird zugrunde gelegt, dass sich das Bauteil beim Start der Rakete noch an Luft mit normaler Feuchte befindet, so dass die Kurve mit dem Spannungskorrosionskoeffizienten n = 29,3 gilt. Ist das Bauteil in der Rakete in einer Inertatmosphäre, so kann demgegenüber die Kurve mit n = 51, zugrundegelegt werden. In diesem Fall kann das Bauteil so dimensioniert werden, dass die mechanische Belastbarkeit bei etwa 40 MPa liegt. Verglichen mit den bisher zugrunde gelegten Zugspannungen von 10 MPa kann mittels der Erfindung daher ein Bauteil erheblich schlanker dimensioniert werden, ohne dass die Bruchwahrscheinlichkeit ansteigt. Betrachten man beispielsweise das in 2 gezeigte Bauteil, so bedeutet dies, dass die Breite der Kanten 7 um gut einen Faktor drei reduziert werden kann. Ein entsprechendes Bauteil würde daher nur noch einen Bruchteil eines nach bisherigen Vorgaben dimensionierten Bauteils wiegen, ohne dass man eine höhere Bruchwahrscheinlichkeit akzeptieren müsste.
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6 zeigt umgekehrt ein Diagramm der mechanischen Belastbarkeit in Form der während des Einsatzes des Bauteils zu erwartende mechanische Belastung σB,c als Funktion der logarithmisch aufgetragenen Mindestlebensdauer t. Zusätzlich eingetragen sind die Linien „10min” und „30y” für Mindestlebensdauern von 10 Minuten, beziehungsweise 30 Jahren. Den Daten liegen wiederum die Mindestfestigkeiten zugrunde, die anhand der Meßserie „D151” ermittelt wurden. Die beiden Kurven mit Spannungskorrosionskoeffizienten n = 29,3 und n = 51,7 sind entsprechend mit „D151” gekennzeichnet.
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Wie bereits anhand von 4 ersichtlich ist, lassen sich die mechanische Belastbarkeit und die unter mechanischer Belastung sich ergebende Mindestlebensdauer noch erheblich steigern, wenn die Oberfläche glatter bearbeitet wird. In 6 sind dazu zusätzlich zwei Kurven der mechanischen Belastbarkeit für ein Zerodur-Glaskeramikbauteil, dessen Oberfläche ensprechend der Proben der Meßserie „D25” bearbeitet wurde, eingezeichnet. Die beiden Kurven unterscheiden sich ebenfalls durch die zugrunde liegenden Spannungskorrosionskoeffizienten von n = 29,3 und n = 51,7. Wie anhand eines Vergleichs der Kurven zu gleichem Spannungskorrosionskoeffizienten ersichtlich wird, steigt die mechanische Belastbarkeit aufgrund des Schleifens mit feinerer Körnung um mehr als 40% an. Noch deutlicher ist der Anstieg der Mindestlebensdauer. So liegt die Mindestlebensdauer unter mechanischer Belastung von 40 MPa für das mit 151 μm Körnung geschliffenem Bauteil bei 100 Sekunden. Demgegenüber liegt die Mindestlebensdauer für das mit einer Körnung von maximal 25 μm geschliffene Bauteil bei einer Mindestlebensdauer von etwa 3·106 Sekunden, erhöht sich also um mehr als vier Größenordnungen.
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Generell zeigt sich hieran, ohne Beschränkung auf die Ausführungsbeispiele dass eine abtragende Oberflächenbearbeitung die Festigkeit und Dauerhaftigkeit von Glas- und Glaskeramikbauteilen erhöht. Es ist daher in Weiterbildung der Erfindung allgemein vorgesehen, dass zumindest die zugbelastete Oberfläche des Glas- oder Glaskeramikbauteils nach der Formung einer materialabtragenden Bearbeitung unterzogen wird. Die Ursache der Festigkeitssteigerung ist, dass durch diesen Materialabtrag Oberflächenbereiche entfernt werden, die mit Mikrorissen behaftet sind.
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Besonders hohe Steigerungen der Festigkeit und Lebensdauer sind gemäß noch einer Weiterbildung der Erfindung durch einen Materialabtrag der im Einsatz mit einer Zugspannung belasteten Oberfläche des Glaskeramikbauteils durch Ätzen erreichbar. Ganz besonders effektiv ist hierbei eine Kombination aus einem abrasiven Abtrag und ein nachfolgendes Ätzen. Hier wurden an Zerodur-Glaskeramik folgende Werte gemessen: Aus der oben beschriebenen Meßserie „D151” ergab sich wie bereits gesagt eine Mindestfestigkeit von 47,3 MPa. Wird eine derart geschliffene Oberfläche zusätzlich geätzt, so dass zusätzlich 83 μm Material von der Oberfläche entfernt wird, so steigt der Wert der Mindestfestigkeit auf 79,9 MPa.
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Die Erfindung eignet sich besonders für die Herstellung von Glas- oder Glaskeramikbauteilen in der Raumfahrt, beispielsweise für satellitengestützte Teleskopspiegel oder Spiegelträger, sowie auch für Träger in Mikrolithographie-Steppern. Hier kommen sowohl Träger für die Masken, als auch für die zu belichtenden Wafer in Betracht. Bei diesen Trägern kommt es einerseits auf eine sehr niedrige Temperaturausdehnung an, andererseits werden die Masken und Wafer auch mit sehr hohen Beschleunigungen mit entsprechend hohen mechanischen Belastungen bewegt.
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Es ist dem Fachmann ersichtlich, dass die Erfindung nicht auf die anhand der Figuren dargestellten Ausführungsbeispiel beschränkt ist, sondern in vielfältiger Weise variiert werden kann. So wurde die Erfindung anhand von Messungen an Zerodur-Glaskeramikteilen erläutert. Selbstverständlich können aber auch andere Bauteile aus anderen Glaskeramiken erfindungsgemäß dimensioniert und hergestellt werden.