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Die Erfindung betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund.
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Um die Güte der Fahrzeugregelung zu verbessern, kann es bei Fahrzeugen, welche automatisiert gefahren werden sollen, wünschenswert sein, einen aktuellen Reibwert zwischen den Rädern des Fahrzeugs und einem Untergrund zur Verfügung zu haben. In der Regel werden hierzu auf Grundlage von fahrdynamischen Größen aus aktuell zu Verfügung stehenden Daten ein Arbeitspunkt in einer Reifenkennlinie bestimmt und hieraus ein aktueller Reibwert geschätzt. Jedoch entsteht durch Ungenauigkeiten in den zur Verfügung stehenden Messgrößen ein Bereich, in dem der geschätzte Reibwert streuen kann. Die alleinige Betrachtung des aktuellen Zustandes führt somit zu einer zum Teil unpräzisen und wenig robusten Abschätzung des Reibwertes.
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Aus der
DE 10 2007 039 176 A1 ist ein Verfahren zur Ermittlung des Reibwertes eines Fahrzeugreifens gegenüber dem Untergrund bekannt, wobei über ein Reifenmodell aus zumindest einer ersten Fahrdynamikgröße und aus einem Schätzwert für den Reibwert ein Schätzwert für eine zweite Fahrdynamikgröße berechnet wird, wobei der berechnete Schätzwert für die zweite Fahrdynamikgröße mit einem gemessenen Wert der zweiten Fahrdynamikgröße verglichen wird, wobei anhand des Vergleichsergebnisses der für den Reibwert angenommene Schätzwert korrigiert wird, wobei die vorbeschriebenen Schritte zur iterativen Korrektur des für den Reibwert angenommenen Schätzwertes zyklisch wiederholt werden und wobei die vorbeschriebenen Schritte jeweils ausgehend von einem als Untergrenze gewählten ersten Initialschätzwert und ausgehend von einem als Obergrenze gewählten zweiten Initialschätzwert durchgeführt werden. Weiterhin wird eine Vorrichtung beschrieben, die eine zur Durchführung des Verfahrens eingerichtete Berechnungseinheit umfasst.
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Aus der
DE 10 2014 012 685 A1 ist ein Verfahren zur aktiven Seitenkraft- und Reibwertschätzung bekannt, welches eine definierte Lenkbewegung an einem oder mehreren Fahrzeugrädern vornimmt und die sich ergebenden Bewegungsgrößen in Relation zu einem Referenzzustand nutzt, um Informationen über das Seitenkraftpotential an einem oder mehreren Fahrzeugrädern zu erhalten. Die Räder an einer beliebigen Fahrzeugachse werden je nach Fahrsituation zunächst in Geradeausstellung gebracht. Dieser Zustand dient als Referenzzustand. Anschließend werden die Räder gegensinnig eingelenkt. Unter Betrachtung der auftretenden Longitudinalkraft und des Giermoments werden die an den Rädern auftretenden Seitenkräfte geschätzt. In einer besonders vorteilhaften Ausführung werden die durch das Verfahren hervorgerufenen Longitudinalkräfte und das auf das Fahrzeug wirkende Giermoment durch Regler kompensiert. Zur Regelung dienen das Antriebsmoment des Fahrzeugs sowie der Lenkwinkel eines oder mehrerer Räder und alternativ oder ergänzend eine Antriebsmomentenverteilung. Das Ergebnis der Seitenkraftschätzung kann zu einer Schätzung des Fahrbahnreibwerts genutzt werden. Das dargestellte Verfahren kann in Fahrzeugen mit einer aktiven Spurverstellung oder einem einzelradgelenkten Steer-by-Wire-System eingesetzt werden.
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Aus der
DE 10 2014 201 564 A1 ist ein Verfahren zu Ermittlung von Reibwerten einem Fahrzeug vorausliegender Fahrbahnabschnitte bzw. Straßensegmenten einer Trajektorie des Fahrzeugs bekannt, wobei Reibwertinformationen auf drahtlosem Weg von einer fahrzeugexternen Datenbank empfangen werden und daraus die Reibwerte ermittelt werden.
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In der
US 2006/0190158 A1 ist eine Abbremsungsvorrichtung für Fahrzeuge beschrieben, bei der ein Reibwert geschätzt wird. In der
US 2010/0114449 A1 ist eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Schätzen der Reibungsbedingungen an der Kontaktfläche des Reifens zum Untergrund beschrieben. In der
DE 10 2014 219 493 A1 ist ein reibwertabhängiges Kollisionsvermeidungssystem beschrieben.
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Der Erfindung liegt das technische Problem zu Grunde, ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund zu schaffen, bei denen die Reibwertschätzung verbessert ist.
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Die technische Aufgabe wird erfindungsgemäß durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 und eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Patentanspruchs 10 gelöst. Vorteilhafte Ausgestaltungen der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen.
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Insbesondere wird ein Verfahren zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund zur Verfügung gestellt, umfassend die folgenden Schritte: Zerlegen einer bereitgestellten Trajektorie in einzelne Kurvensegmente mittels einer Steuerung, Schätzen einer Seitenkraft und eines Schräglaufwinkels für eine Vorderachse des Fahrzeugs mittels einer Zustandsschätzeinrichtung über ein Einspurmodell unter Berücksichtigung von beim Durchfahren des jeweiligen Kurvensegments von mindestens einem Sensor erfassten Zustandsgrößen des Fahrzeugs, Zuordnen jeweils geschätzter Seitenkräfte und Schräglaufwinkel zu den zugehörigen einzelnen Kurvensegmenten und Hinterlegen dieser Wertepaare in einem Speicher mittels der Steuerung, Schätzen einer Reifenkennlinie für jedes der Kurvensegmente auf Grundlage der für das jeweilige Kurvensegment in dem Speicher hinterlegten Wertepaare mittels einer Kennlinienschätzeinrichtung, Schätzen eines Reibwertes für jedes Kurvensegment auf Grundlage der jeweils geschätzten Reifenkennlinie mittels einer Reibwertschätzeinrichtung, Hinterlegen der geschätzten Reibwerte zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten in einer Reibwertkarte mittels der Steuerung.
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Ferner wird eine Vorrichtung zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund geschaffen, umfassend eine Steuerung zum Zerlegen einer bereitgestellten Trajektorie in einzelne Kurvensegmente, einen Speicher, eine Zustandsschätzeinrichtung zum Schätzen einer Seitenkraft und eines Schräglaufwinkels für eine Vorderachse des Fahrzeugs über ein Einspurmodell unter Berücksichtigung von beim Durchfahren des jeweiligen Kurvensegments von mindestens einem Sensor erfassten Zustandsgrößen des Fahrzeugs, wobei die Steuerung derart ausgebildet ist, geschätzte Seitenkräfte und Schräglaufwinkel jeweils den zugehörigen einzelnen Kurvensegmenten zuzuordnen und die Zuordnung in dem Speicher zu hinterlegen, eine Kennlinienschätzeinrichtung zum Schätzen einer Reifenkennlinie für jedes Kurvensegment auf Grundlage der für das jeweilige Kurvensegment in dem Speicher hinterlegten Paare von geschätzten Seitenkräften und Schräglaufwinkeln, eine Reibwertschätzeinrichtung, welche derart ausgebildet ist, einen Reibwert auf Grundlage der geschätzten Reifenkennlinie für das jeweils zugehörige Kurvensegment zu schätzen, und wobei die Steuerung ferner derart ausgebildet ist, die geschätzten Reibwerte zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten in einer Reibwertkarte zu hinterlegen.
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Die Kernidee der Erfindung ist, eine Trajektorie, welche automatisiert durchfahren werden soll, in einzelne Kurvensegmente zu zerlegen und basierend auf aktuell für die einzelnen Kurvensegmente geschätzten Paaren aus Schräglaufwinkeln und Seitenkräften eine Reifenkennlinie für das jeweilige Kurvensegment zu schätzen. Hierzu werden die Paare aus geschätzten Schräglaufwinkeln und Seitenkräften in einem Speicher hinterlegt und die Reifenkennlinie an den entsprechenden Verlauf durch ein Optimierungsverfahren angepasst (angefittet). Auf Grundlage der für ein Kurvensegment geschätzten Reifenkennlinie wird dann anschließend mindestens ein Reibwert für das Kurvensegment geschätzt. Die jeweils für die einzelnen Kurvensegmente geschätzten Reibwerte werden in einer Reibwertkarte hinterlegt. Der Vorteil des Verfahrens ist, dass im Gegensatz zu einer ausschließlichen Betrachtung des aktuellen Zeitpunkts eine erhöhte Robustheit und Genauigkeit der Reibwertschätzung geschaffen wird.
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Das Fahrzeug kann insbesondere ein Kraftfahrzeug sein. Ferner kann das Fahrzeug aber auch ein anderes geregelt oder automatisiert fahrendes Fahrzeug mit Rädern sein, beispielsweise ein Roboter.
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In einer Ausführungsform ist vorgesehen, dass der Schräglaufwinkel aus einer Giergeschwindigkeit, einem Schwimmwinkel, einer Schwerpunktsgeschwindigkeit und einem Lenkwinkel geschätzt wird. Beispielsweise werden diese Zustandsgrößen über entsprechend an dem Fahrzeug ausgebildete Sensoren erfasst und anschließend in der Steuerung weiterverarbeitet, so dass der Schräglaufwinkel berechnet wird. Beispielsweise werden aktuelle Messwerte für diese Zustandsgrößen von in modernen Fahrzeugen serienmäßig verbauten Einrichtungen der elektronischen Stabilitätskontrolle (ESP etc.) zur Verfügung gestellt. Im einfachen Einspurmodell lässt sich der Schräglaufwinkel
αv der Vorderräder dann wie folgt berechnen:
wobei
β der Schwimmwinkel,
lv der Abstand zwischen der Vorderachse und dem Schwerpunkt des Fahrzeugs, v die Schwerpunktsgeschwindigkeit, ψ̇ die Giergeschwindigkeit und
δv der Lenkwinkel (in der Literatur auch als Radlenkwinkel bezeichnet) sind.
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Natürlich kann der Schräglaufwinkel auch anders bestimmt werden, insbesondere auf Grundlage von komplexeren Modellen, in die mehr Zustandsgrößen eingehen.
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In einer weiteren Ausführungsform ist vorgesehen, dass die Seitenkraft aus der Querbeschleunigung und der Gierbeschleunigung geschätzt wird. Beispielsweise werden diese Zustandsgrößen über entsprechend an dem Fahrzeug ausgebildete Sensoren erfasst und anschließend in der Steuerung weiterverarbeitet, so dass die Seitenkraft berechnet wird. Beispielsweise werden aktuelle Messwerte für diese Zustandsgrößen von in modernen Fahrzeugen serienmäßig verbauten Einrichtungen der elektronischen Stabilitätskontrolle (ESP etc.) zur Verfügung gestellt. Im (nichtlinearen) Einspurmodell berechnet sich die Seitenkraft
F auf die Vorderräder dann nach folgender Formel:
wobei
lh der Abstand zwischen der Hinterachse und dem Fahrzeugschwerpunkt,
l der Abstand zwischen der Vorderachse und der Hinterachse des Fahrzeugs (Radstand), m die Masse des Fahrzeugs,
ay die Querbeschleunigung des Fahrzeugs,
Jz das Trägheitsmoment des Fahrzeugs in Bezug auf eine vertikale Rotationsachse am Fahrzeugschwerpunkt und ψ̈ die Gierbeschleunigung sind.
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Natürlich kann die Seitenkraft auch anders bestimmt werden, insbesondere auf Grundlage von komplexeren Modellen, in die mehr Zustandsgrößen eingehen.
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In einer weiteren Ausführungsform ist vorgesehen, dass die Reifenkennlinie durch eine Pacejka-Reifenkennlinie modelliert wird. Die Pacejka-Reifenkennlinie stellt einen empirisch aufgestellten Zusammenhang zwischen verschiedenen Eingangsgrößen (z.B. der Normalkraft auf den Reifen und dem Schräglaufwinkel) und verschiedenen Ausgangsgrößen (z.B. der Seitenkraft) an einem Reifen her, welcher mit der Realität gut übereinstimmt, so dass sich das Verhalten eines Reifens damit gut schätzen lässt. Allgemein sieht die Formel für die Pacejka-Reifenkennlinie wie folgt aus:
mit:
und
wobei
Y die abhängige Variable, hier beispielsweise eine Seitenkraft
F,
x die unabhängige Variable, hier beispielsweise der Schräglaufwinkel,
B eine Steifheit des Reifens,
C ein Formfaktor,
D der Maximalwert,
E ein Krümmungsfaktor und
SH und
SV ein horizontaler und ein vertikaler Offset sind.
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In den Maximalwert D geht auch der Reibwert µ ein, so dass dieser sich bei Kenntnis der geschätzten Reifenkennlinie und einer Normalkraft auf den Reifen hieraus berechnen lässt.
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Ferner kann darüber hinaus auch vorgesehen sein, dass der Reibwert µ anhand einer Referenzreifenkennlinie geschätzt wird.
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Prinzipiell kann das Modell für die Pacejka-Reifenkennlinie aber auch anders ausgebildet sein, insbesondere komplexer durch Berücksichtigung weiterer Koeffizienten.
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Ferner kann prinzipiell auch ein anderes Reifenmodell und somit eine andere Reifenkennlinie verwendet werden. Beispielsweise kommen hier auch noch das Burckhardt-Modell oder das Kiencke-Modell zur Modellierung des Reifenverhaltens in Frage.
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In einer weiteren Ausführungsform ist vorgesehen, dass das Anpassen der Pacejka-Reifenkennlinie an die hinterlegten Wertepaare über ein lineares Optimierungsverfahren durchgeführt wird. Dies ist besonders in Bezug auf einen notwendigen Rechenaufwand von Vorteil, da dieser reduziert werden kann.
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In einer anderen Ausführungsform ist vorgesehen, dass das Anpassen der Pacejka-Reifenkennlinie an die hinterlegten Wertepaare über ein nichtlineares Optimierungsverfahren durchgeführt wird.
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In einer weiteren Ausführungsform ist vorgesehen, dass das Zerlegen der bereitgestellten Trajektorie in einzelne Kurvensegmente zumindest teilweise vor einem Durchfahren der bereitgestellten Trajektorie durchgeführt wird. Dies ermöglicht es, bereits vor der Fahrt im Wege einer „offline“-Zerlegung die bereitgestellte Trajektorie in einzelne Kurvensegmente zu zerlegen. Dies kann im Hinblick auf eine effiziente Nutzung vorhandener Rechenleistung vorteilhaft sein, beispielsweise wenn eine solche Zerlegung dann durchgeführt wird, wenn das Fahrzeug nicht anderweitig benutzt wird und somit sämtliche Rechenleistung, beispielsweise eines Bordcomputers, zum Segmentieren der Trajektorie zur Verfügung steht.
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Ferner kann in einer weiteren Ausführungsform auch vorgesehen sein, dass das Zerlegen der bereitgestellten Trajektorie in einzelne Kurvensegmente zumindest teilweise während eines Durchfahrens der bereitgestellten Trajektorie durchgeführt wird. Mittels dieser „online“-Zerlegung kann stets auch auf eine aktuelle Änderung der bereitgestellten Trajektorie reagiert werden, so dass immer die aktuell bereitgestellte Trajektorie zerlegt wird.
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In einer Ausführungsform ist vorgesehen, dass nach dem Schätzen der jeweiligen Reifenkennlinie eine Validierung durchgeführt wird, wobei die Werte der Reifenkennlinie auf ihre Plausibilität hin geprüft werden. Beispielsweise können die Fitparameter für die geschätzte Reifenkennlinie dahingehend überprüft werden, ob diese in einem plausiblen Bereich liegen. Die Validierung kann beispielsweise mittels der Steuerung durchgeführt werden.
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Beispielsweise können im Rahmen einer solchen Validierung Zusatzinformationen, wie beispielsweise Informationen über das aktuelle Wetter mit berücksichtigt werden. So liegen die Werte für den Reibwert auf trockenem Asphalt beispielsweise bei µ = 1, bei Schnee etwa bei µ = 0,5 und bei Eis auf der Fahrbahn etwa bei µ = 0,1. Ebenfalls können bereits bekannte Reifenkennlinien, wie beispielsweise Referenzkennlinien, welche unter bekannten oder vorbestimmten Testbedingungen bestimmt wurden, oder zu vorherigen Zeitpunkten für das gleiche Kurvensegment geschätzte Reifenkennlinien, zum Abgleich mit der geschätzten Reifenkennlinie verwendet werden.
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Nachfolgend wird die Erfindung anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele unter Bezugnahme auf die Figuren näher erläutert. Hierbei zeigen:
- 1 eine schematische Darstellung einer Ausführungsform einer Vorrichtung zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund;
- 2 eine schematische Darstellung einer in einzelne Kurvensegmente zerlegten, bereitgestellten Trajektorie;
- 3 eine schematische Darstellung zur Erläuterung des Einspurmodells zum Schätzen eines Schräglaufwinkels und einer Seitenkraft;
- 4 eine schematische Darstellung einer Vielzahl von Wertepaaren aus jeweils einer geschätzten Seitenkraft und einem geschätzten Schräglaufwinkel;
- 5 eine schematische Darstellung einer an die Vielzahl der Wertepaare aus der 4 angepassten Fitfunktion;
- 6 eine schematische Darstellung einer beispielhaften Pacejka-Reifenkennlinie für die Seitenkraft;
- 7 eine schematische Darstellung einer Reibwertkarte;
- 8 ein schematisches Ablaufdiagramm einer Ausführungsform des Verfahrens zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund.
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In 1 ist eine schematische Darstellung einer Ausführungsform einer Vorrichtung 1 zum Schätzen von Reibwerten µ eines Rades eines Fahrzeuges 50 gegenüber einem Untergrund gezeigt. Die Vorrichtung 1 umfasst eine Zustandsschätzeinrichtung 2, eine Steuerung 3, einen Speicher 4, eine Kennlinienschätzeinrichtung 5 und eine Reibwertschätzeinrichtung 6. Sämtliche Einrichtungen 2, 4, 5, 6 werden beispielsweise von der Steuerung 3 angesteuert.
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Die Steuerung 3 zerlegt eine bereitgestellte Trajektorie 20 in einzelne Kurvensegmente 21. Die bereitgestellte Trajektorie 20 kann beispielsweise in dem Speicher 4 hinterlegt sein und aus diesem von der Steuerung 3 abgerufen und bereitgestellt werden oder von einem Navigationssystem bereitgestellt werden. Anschließend schätzt die Zustandsschätzeinrichtung 2 über ein Einspurmodell unter Berücksichtigung von beim Durchfahren des jeweiligen Kurvensegments 21 von den Sensoren 7-1 bis 7-6 erfassten Zustandsgrößen des Fahrzeugs 50 eine Seitenkraft F und einen Schräglaufwinkel αv . Beispielsweise kann der Schräglaufwinkel αv aus einer erfassten Giergeschwindigkeit ψ̇, einem erfassten Schwimmwinkel β, einer erfassten Schwerpunktsgeschwindigkeit v und einem erfassten Lenkwinkel δv berechnet werden. Die Seitenkraft F kann beispielsweise aus einer Querbeschleunigung ay und einer Gierbeschleunigung ψ̈ berechnet werden. Die geschätzte Seitenkraft F und der geschätzte Schräglaufwinkel αv werden von der Zustandsschätzeinrichtung 2 an die Steuerung 3 weitergeleitet. Die Steuerung 3 ordnet die Wertepaare aus geschätzten Seitenkräften F und geschätzten Schräglaufwinkeln αv den zugehörigen einzelnen Kurvensegmenten 21 der bereitgestellten Trajektorie zu und hinterlegt diese Wertepaare in dem Speicher 4.
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Auf Grundlage der für das jeweilige Kurvensegment 21 in dem Speicher 4 hinterlegten Wertepaare schätzt die Kennlinienschätzeinrichtung 5 eine Reifenkennlinie 17 für das jeweilige Kurvensegment 21. Das Schätzen der Reifenkennlinie 17 kann beispielsweise über das Anfitten einer Pacejka-Reifenkennlinie an die Menge aus Wertepaaren durchgeführt werden, wobei lineare oder nichtlineare Optimierungsverfahren zum Einsatz kommen können.
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Nach dem Schätzen der Reifenkennlinie 17 oder Reifenkennlinien 17 schätzt die Reibwertschätzeinrichtung 6 auf Grundlage der jeweils geschätzten Reifenkennlinie 17 für jedes Kurvensegment 21 einen Reibwert µi . Die für jedes Kurvensegment 21 geschätzten Reibwerte µi werden von der Steuerung 3 zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten 21 in einer Reibwertekarte 16 hinterlegt. Auf diese Weise entsteht eine Reibwertkarte 16, in der jedem Kurvensegment 21 ein aktueller Reibwert µi zugeordnet ist. Der Vorteil des Verfahrens ist, dass eine erhöhte Robustheit und Genauigkeit beim Schätzen der Reibwerte µi geschaffen wird, da stets eine aktuell für jedes Kurvensegment 21 geschätzte Reifenkennlinie 17 beim Schätzen der Reibwerte µi berücksichtigt wird.
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In 2 ist eine in einzelne Kurvensegmente 21 zerlegte, bereitgestellte Trajektorie 20 gezeigt. Die Kurvensegmente 21 der Trajektorie 20 werden beispielsweise von der Steuerung über einen Mindestkrümmungsradius erkannt. In jedem der Kurvensegmente 21 werden während der einzelnen Einlenkvorgänge sowohl Seitenkräfte als auch Schräglaufwinkel modellbasiert geschätzt und in einem Speicher abgelegt. Auf diese Weise entsteht eine Menge aus Wertepaaren aus Seitenkräften und Schräglaufwinkeln. Das Erkennen der Kurveneingänge bzw. das Segmentieren der Trajektorie 20 in einzelne Kurvensegmente 21 kann sowohl vor einem Durchfahren der Trajektorie 20 als auch während eines Durchfahrens der Trajektorie 20 durchgeführt werden.
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In
3 ist eine schematische Darstellung zur Erläuterung des Einspurmodells zum Schätzen eines Schräglaufwinkels und einer Seitenkraft gezeigt. Das Einspurmodell ist ein einfaches Modell zur Erklärung der stationären und instationären Querdynamik von zweispurigen Fahrzeugen. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das Fahrzeug an der Vorderachse gelenkt wird. Ferner wird angenommen, dass beide Räder der Vorderachse zu einem Vorderrad
22 und beide Räder der Hinterachse zu einem einzigen Hinterrad
23 zusammengefasst werden. Das Vorderrad
22 befindet sich hierbei in einem Abstand
l, dem sogenannten Radstand, von dem Hinterrad
23. Zwischen dem Vorderrad
22 und dem Hinterrad
23 befindet sich der Fahrzeugschwerpunkt
24. Der Fahrzeugschwerpunkt
24 hat einen Abstand
lV vom Vorderrad
22 und einen Abstand
lH vom Hinterrad
23. Der Schräglaufwinkel
αV ist der Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor
26 im Radaufstandspunkt
25 und der Schnittlinie zwischen Radmittenebene
27 und der Fahrbahnebene. Der Schräglaufwinkel
αv lässt sich aus dem Schwimmwinkel
β, der Schwerpunktgeschwindigkeit
v, der Giergeschwindigkeit ψ̇ und dem Lenkwinkel
δv nach folgender Formel:
berechnen. Hierbei werden die Zustandsgrößen Schwimmwinkel
β, Schwerpunktgeschwindigkeit
v, Giergeschwindigkeit ψ̇ und Lenkwinkel
δv beispielsweise über entsprechend an dem Fahrzeug ausgebildete Sensoren erfasst und bereitgestellt. Die auf das Vorderrad wirkende Seitenkraft
F kann beispielsweise aus einer Querbeschleunigung
ay und einer Gierbeschleunigung ψ̈ über folgende Formel:
berechnet werden. Hierbei stellt m eine Fahrzeugmasse des Fahrzeuges dar und J
z ein Trägheitsmoment des Fahrzeugs in Bezug auf eine Rotation um eine Drehachse senkrecht zur Papierebene um den Fahrzeugschwerpunkt. Die auf diese Weise geschätzten Schräglaufwinkel
αv und Seitenkräfte
F werden dann als aktuelle Wertepaare zum Schätzen einer Reifenkennlinie für die Seitenkraft
F verwendet.
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In 4 ist eine schematische Darstellung einer Vielzahl von solchen Wertepaaren aus jeweils einer geschätzten Seitenkraft F und einem geschätzten Schräglaufwinkel αv gezeigt. Hierbei ist die Seitenkraft F auf der y-Achse aufgetragen und der Schräglaufwinkel αv auf der x-Achse.
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5 zeigt eine schematische Darstellung einer an die Vielzahl der Wertepaare aus der 4 angepassten Fit-Funktion. Eine solche Fit-Funktion kann beispielsweise eine Pacejka-Reifenkennlinie für die Seitenkraft F sein.
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In
6 ist eine schematische Darstellung einer beispielhaften Reifenkennlinie
17 nach Pacejka für die Seitenkraft
F gezeigt. Hierbei ist die Seitenkraft
F auf der
y-Achse aufgetragen und der Schräglaufwinkel
αv auf der
x-Achse. Allgemein sieht die Formel für die Pacejka-Reifenkennlinie wie folgt aus:
mit:
und
wobei
Y die abhängige Variable, hier beispielsweise eine Seitenkraft
F,
x die unabhängige Variable, hier beispielsweise der Schräglaufwinkel,
B eine Steifheit des Reifens,
C ein Formfaktor,
D der Maximalwert,
E ein Krümmungsfaktor und
SH und
SV ein horizontaler und vertikaler Offset sind.
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In den Maximalwert D geht auch der Reibwert µ ein, sodass dieser sich bei Kenntnis der geschätzten Pacejka-Reifenkennlinie und einer Normalkraft Fz auf den Reifen hieraus berechnen lässt.
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Sind die Pacejka-Reifenkennlinien 17 für die einzelnen Kurvensegmente der Trajektorie geschätzt, so kann aus den geschätzten Pacejka-Reifenkennlinien ein Reibwert zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten geschätzt werden. Die geschätzten Reibwerte zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten werden anschließend den Kurvensegmenten zugeordnet und in einer Reibwertkarte hinterlegt.
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Eine solche Reibwertkarte 16 ist schematisch in der 7 gezeigt. Hierbei wird jedem der Kurvensegmente 21 der Trajektorie 20 jeweils ein Reibwert µi zugeordnet. Die für die einzelnen Kurvensegmente 21 der Trajektorie 20 hinterlegten Reibwerte µi können beispielsweise bei jeder durchgeführten automatisierten Fahrt des Fahrzeugs aktualisiert werden. Ferner ist es möglich, die aktuell aus den aktuell geschätzten Pacejka-Reifenkennlinien geschätzten Reibwerte µi anhand von vorher geschätzten Reibwerten oder anhand einer hinterlegten Referenzkennlinie zu validieren. Hierbei findet ein Abgleich zwischen den aktuell geschätzten Reibwerten µi und für diese geschätzten Reibwerte µi plausiblen Wertebereichen statt.
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In 8 ist ein schematisches Ablaufdiagramm einer Ausführungsform des Verfahrens zum Schätzen von Reibwerten eines Rades eines Fahrzeugs gegenüber einem Untergrund gezeigt. Nach dem Start 100 des Verfahrens wird eine bereitgestellte Trajektorie in einem ersten Verfahrensschritt 101 mittels einer Steuerung in einzelne Kurvensegmente zerlegt. Dies kann sowohl teilweise vor als auch teilweise während des Durchfahrens der bereitgestellten Trajektorie durch das Kraftfahrzeug erfolgen. Im anschließenden Verfahrensschritt 102 wird eine Seitenkraft und ein Schräglaufwinkel für eine Vorderachse des Fahrzeugs mittels einer Zustandsschätzeinrichtung über ein Einspurmodell unter Berücksichtigung von beim Durchfahren des jeweiligen Kurvensegments von mindestens einem Sensor erfassten Zustandsgrößen des Fahrzeugs geschätzt. Die Zustandsgrößen zum Schätzen des Schräglaufwinkels können beispielsweise ein Schwimmwinkel, eine Giergeschwindigkeit und ein Lenkwinkel sein. Die Zustandsgrößen zum Schätzen der Seitenkraft können beispielsweise eine Gierbeschleunigung und eine Querbeschleunigung sein. Nach dem Schätzen der Seitenkraft und der Schräglaufwinkel werden die Wertepaare im Verfahrensschritt 103 zu den einzelnen Kurvensegmenten zugeordnet. Hierzu werden die geschätzten Wertepaare mittels der Steuerung in einem Speicher hinterlegt. Für jedes der Kurvensegmente wird im Verfahrensschritt 104 mittels einer Kennlinienschätzeinrichtung auf Grundlage der für das jeweilige Kurvensegment in dem Speicher hinterlegten Wertepaare aus Seitenkraft und Schräglaufwinkel eine Reifenkennlinie geschätzt. Im Verfahrensschritt 105 können die für die einzelnen Kurvensegmente geschätzten Reifenkennlinien anschließend anhand einer Referenzkennlinie oder anhand einer Plausibilisierung mittels für das jeweilige Kurvensegment erwarteten Wertebereichen validiert werden. Als Modell für die Reifenkennlinie kommt beispielsweise das Modell von Pacejka für die Seitenkraft in Abhängigkeit des Schräglaufwinkels infrage. Für jedes Kurvensegment wird im Verfahrensschritt 106 mittels einer Reibwertschätzeinrichtung auf Grundlage der jeweils geschätzten Reifenkennlinie jeweils ein Reibwert für das Kurvensegment geschätzt. Im letzten Verfahrensschritt 107 werden die geschätzten Reibwerte mittels der Steuerung zu den jeweils zugehörigen Kurvensegmenten in einer Reibwertkarte hinterlegt. Anschließend ist das Verfahren beendet 108.
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Bezugszeichenliste
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- 1
- Vorrichtung
- 2
- Zustandsschätzeinrichtung
- 3
- Steuerung
- 4
- Speicher
- 5
- Kennlinienschätzeinrichtung
- 6
- Reibwertschätzeinrichtung
- 7-1 bis 7-6
- Sensoren
- 16
- Reibwertkarte
- 17
- Reifenkennlinie
- 20
- Trajektorie
- 21
- Kurvensegment
- 22
- Vorderrad
- 23
- Hinterrad
- 24
- Fahrzeugschwerpunkt
- 25
- Radabstandspunkt
- 26
- Geschwindigkeitsvektor
- 27
- Radmitte
- 50
- Fahrzeug
- l
- Abstand (Radstand)
- lv
- Abstand
- lh
- Abstand
- αv
- Schräglaufwinkel
- δv
- Lenkwinkel
- β
- Schwimmwinkel
- v
- Schwerpunktgeschwindigkeit
- ψ̇
- Giergeschwindigkeit
- F
- Seitenkraft
- ψ̈
- Gierbeschleunigung
- ay
- Querbeschleunigung
- jz
- Trägheitsmoment
- m
- Fahrzeugmasse
- D
- Maximalwert
- Fz
- Normalkraft
- µ
- Reibwert
- µi
- Reibwert