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Die Erfindung betrifft neuronale Zellkulturverfahren und ihre Verwendung sowie damit hergestellte Zellkulturen. Insbesondere betrifft die Erfindung ein Verfahren zur Herstellung einer neuronalen planaren Zellkultur, bei dem man Stammzellen, z. B. humane induzierte pluripotente Stammzellen, in einem dreidimensionalen Zellaggregat vordifferenziert, welches mindestens zwei Regionen umfasst, die unterschiedlichen Gehirnregionen entsprechen, und welches als zerebrales Organoid bezeichnet wird, und Progenitor-Zellen aus einer Region, die einer bestimmten Gehirnregion entspricht, entnimmt und auf einem planaren Träger, z. B. einem MEA-Neurochip, weiter kultiviert. Dabei entsteht eine neuronale planare Zellkultur, bei der die Zellen ein neuronales Netzwerk bilden und eine elektrische bzw. elektrophysiologische Aktivität aufweisen, die für die bestimmte Gehirnregion spezifisch ist. Eine derartige Zellkultur kann z. B. im Hochdurchsatzscreening für das Testen von Substanzen auf neurologische Wirkung verwendet werden.
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Ein Test von Wirkstoffen in Bezug auf Wirkungen bei neuronalen Zellen ist für die Entwicklung neuer Medikamente gegen neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Parkinson, Alzheimer, Depressionen usw. von großem Interesse. In vivo Studien sind meistens limitiert durch die Komplexität in der Durchführung von elektrischen Ableitungen von mehreren Stellen und durch den Einfluss der Verschaltungen mit anderen Gehirnregionen.
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Neuronale Zellkulturen können aus Primärkulturen gewonnen werden, bei denen Zellen aus einem späten embryonalen Stadium oder postnatal entnommen werden. Diese sind also schon recht weit in ihrer neuronalen Entwicklung programmiert. Die in vivo Situation ist jeweils durch eine lokale neuronale morphologische und funktionelle Schaltkreisstruktur definiert. Unabhängig von dem Fehlen der genetisch definierten, geschichteten Netzwerkarchitektur der Zellkörper, teilen die primären neuronalen Netzwerke viele Eigenschaften ihres Ursprunggewebes, wie z. B. phänotypische Zelltypen, Rezeptoren, Ionenkanäle, intrinsische elektrische Membraneigenschaften, die synaptische Entwicklung und die Plastizität. In zahlreichen Einzelbefunden konnte gezeigt werden, dass aus Primärkulturen gewonnene Kulturen in vielfältiger Weise der Situation des Ursprungsgewebes entsprechen.
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Mit dissoziierten neuronalen Zellkulturen, die aus spezifischen Gebieten des Gehirns entnommen werden (z. B. Kortex, Hippocampus, Thalamus, Rückenmark) können Hirnregion-spezifische Eigenschaften und pathologische Situationen sehr gut abgebildet werden. Verschiedene Arbeitsgruppen haben in Tiermodellen bestätigt, dass Substanzen in diesen Gehirnregion-spezifischen Netzwerken elektrisch auch Gehirnregion-spezifische Änderungen in der Netzwerkaktivität induzieren, die für die in vivo Situation relevant sind (Gramowski et al., 2000, Xia et al. 2003a, Xia et al. 2003b).
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Wie in ihrem Ursprungsgewebe entwickeln sich die primären neuronalen Zellkulturen aus einem Gemisch verschiedener Neuronentypen und Gliazelltypen. Primäre neuronale Netzwerke setzen sich aus verschiedenen Gehirnregion-spezifischen Neuronentypen zusammen, wie z. B. Pyramidenzellen, Motoneuronen, diversen Interneuronen. Des Weiteren differenzieren sie auch diverse Glia-Zelltypen, wie Astrozyten, Mikroglia und zu einem geringen Anteil auch Oligodendrozyten aus. Wie auch im Gehirn erfüllen die Gliazellen hier verschiedenste Funktionen. Die Astrozyten haben wichtige Hilfsfunktionen für den Metabolismus, wie z. B. die Aufrechterhaltung des pH-Werts, des Kaliumspiegels, der Versorgung mit Nährstoffen und dem Recycling und Bereitstellung von Neurotransmittern. Die Mikroglia-Zellen sind im Gehirn angesiedelte Makrophagen und agieren hier als erste und hauptsächliche Immunabwehr im zentralen Nervensystem.
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Die neuronalen Eigenschaften von Substanzen können untersucht werden, indem man die durch sie bewirkten spezifischen Änderungen in der Aktivität neuronaler Netzwerke auf Mikroelektroden-Arrays (MEAs) evaluiert und charakterisiert. Solche Netzwerk-Zellkulturen sind über mehrere Monate spontan aktiv und pharmakologisch zugänglich. Es wurde gezeigt, dass diese primären Zellkulturen stabil mit ihren Gehirnregion-spezifischen Rezeptoren reproduziert werden können (Gramowski et al, 2006, Johnstone et al, 2010) und so funktionale und morphologische Eigenschaften z. B. in Frontalkortex und auditorischem Kortex (Xia et al., 2003b), im Rückenmark (Gramowski et al., 2000) und im Striatum (Schock et al., 2010) untersucht werden können.
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Diese Gehirnregion-spezifischen Netzwerke reagieren auch in einer Substanz-spezifischen Weise auf die applizierten Substanzen (Gramowski et al., 2004). Xia und Gross (2003a) zeigen in ihren funktionalen elektrophysiologischen Studien von Ethanol und dem Antidepressivum Fluoxetin auf primären kortikalen Netzwerken eine hervorragende Übereinstimmung ihrer Ergebnisse mit Untersuchungen aus experimentalen Studien an Tieren.
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Die sowohl für Gehirnregion als auch für Substanz spezifischen Aktivitätsmuster der neuronalen Netzwerke ermöglichen mit Hilfe von Mustererkennungsmethoden und Ähnlichkeitsanalysen die Erstellung von Wirkungsprofilen von Substanzen oder pathologischen Zuständen. Dadurch können die pharmakologischen und neurotoxischen Effekte von neuen Substanzkandidaten in der ZNS-Medikamentenentwicklung früher und schneller vorhergesagt werden, indem man funktionale Änderungen in den Netzwerken in einer räumlichen und zeitlichen Auflösung analysiert (Johnstone et al., 2010; Gramowski et al., 2010). Dadurch können potentielle Wirkmechanismen aufgeklärt werden, was die präklinische Entwicklung von im ZNS wirkenden Medikamenten beschleunigen kann.
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Die NeuroProof Technologie (Neuroproof GmbH, Rostock, Deutschland) verwendet murine neuronale Netzwerke auf MEAs routinemäßig zur Quantifizierung von Substanzeffekten durch die Messung der Einflüsse von Substanzen auf elektrophysiologische Aktivitätsmuster. Hier kommen verschiedene phänotypische Assays von Gehirnregion-spezifischen Netzwerken wie dem Frontalkortex, Hippocampus, Mittelhirn, Thalamus, Hypothalamus und Rückenmark zum Einsatz. Diese werden in der Regel für 4 Wochen in vitro kultiviert, bis die Netzwerke und deren Netzwerkaktivität ausdifferenziert sind. Es wurde gezeigt, dass diese komplexen Mikroverschaltungen von ausgereiften kortikalen Kulturen (4 Wochen in vitro) eine funktional sehr ähnliche Netzwerkaktivität hinsichtlich der Aktivitätsstärke, der Synchronität und des Oszillationsverhaltens zeigen, wie die kortikale in vivo Netzwerkaktivität.
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Neuronale Primärzellkulturen humanen Ursprungs sind sehr limitiert möglich. Besonders die Verwendung von primären embryonalen Zellkulturen ist aus ethischen Gründen bedenklich, und ihre Verfügbarkeit ist begrenzt. Daher sind diese humanen primären Zellkulturen nicht für ein Routine-Screening von Wirkstoffen geeignet. Da die Verwendung tierischer, wie z. B. muriner Zellen aber nur bedingt eine gute Vorhersagbarkeit der Wirkungen von Substanzen erlauben, wäre es erstrebenswert, humane Stammzellen und daraus entwickelte Zellen vermehrt für Wirkstofftestungen einzusetzen. Bisher konnten aber bei aus humanen Stammzellen gewonnen neuronalen Kulturen Mikroschaltkreise ähnlich der in vivo-Situation nicht gefunden werden. Für eine Verwendung zur Testung von Substanzen für pharmakologische Zwecke sind solche Kulturen nicht geeignet, da sie in ihrer Prädiktivität extrem limitiert sind.
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Stammzellen weisen eine starke Selbsterneuerungskapazität auf die es diesen Zellen ermöglicht, beschädigtes Gewebe zu regenerieren. Deswegen sind sie weithin als eine wichtige biologische Quelle in der regenerativen Medizin und Medizintechnik Entwicklung anerkannt. Stammzellbasierte Technologien bilden bereits eine sehr wertvolle neue Industrieuntergruppe in der Zukunft der medizinisch/klinischen Industrie und werden große Auswirkungen auf andere Industriebereiche haben. Insbesondere die induzierte Stammzelldifferenzierung wird verwendet, um funktionell überlegene, gewebespezifisch differenzierte Zellen aus Stammzellen zu erhalten, was bereits als Kerntechnologie der Stammzellindustrie anerkannt ist und diese deutlich weiter entwickeln wird.
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Pluripotente menschlichen Stammzellen behalten die Fähigkeit, in jeden Zelltyp des Körpers zu differenzieren und gelten somit als attraktive Quelle für differenzierte Zellen. Gewebespezifisch differenzierte Zellen aus menschlichen Stammzellen bieten eine große Möglichkeit für die Grundlagenforschung in Gebieten der menschlichen Embryonalentwicklung, Zelltherapie, Wirksamkeitsprüfung, Zytotoxizität und vor allem zur Testung von Wirkstoffkandidaten.
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Im Jahr 2006 wurde von der Gruppe von Yamanaka (Takahashi et. al. 2006) erfolgreich eine de-Differenzierungsstrategie mit Transkriptionsfaktoren entwickelt. Seitdem ist es möglich, diese menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS), von denen gezeigt wurde, dass sie den menschlichen embryonalen Stammzellen ähnlich sind, aus menschlichen Körperzellen zu generieren (Park et. al. 2008; Takahashi et. al. 2007; Yu et. al. 2007). Dieser Fortschritt ermöglichte die Verwendung von aus Patienten stammenden iPS-Zellen und hatte ein schnelles Wachstum dieser Technologie zur Folge. Darüber hinaus bietet die gewebe-spezifische Differenzierung große Chancen für die Prüfung der Wirksamkeit, der Zytotoxizität und der Funktion von Wirkstoffkandidaten.
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Das Verfahren, aus bereits differenzierten Körperzellen induzierte pluripotente Stammzellen zu bilden, ermöglichte die Entwicklung von spezifischen Zellen aus Patienten, welche in Echtzeit beobachtet werden können. Darüber hinaus haben sie ermöglicht, einige neuronal-spezifischen Anomalien durch einen pharmakologischen Eingriff in Gewebekulturen zu korrigieren. Darüber hinaus wurden durch den Vergleich von iPS-Zellen aus gesunden Individuen und Patienten Unterschiede in den Stadien der Differenzierung von Stammzellen zu funktionellen Neuronen identifiziert, was ebenso Möglichkeiten für eine pharmakologische Intervention bietet (Vaccarino et. al. 2011a, b).
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Aktuelle Arbeiten in der Neuropsychiatrie mit iPS-Zellen von Patienten konzentrieren sich auf Erkrankungen, welche spezifische genetische Defizite aufweisen, wodurch bisher unbekannte Pathologien mit wenig bzw. unbekannter Herkunft aufgedeckt wurden und eine pharmakologische Interventionen ermöglicht wurde (Vaccarino et. al. 2011b).
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Für ein Testen von Wirkstoffen muss üblicherweise ein breites Spektrum von differenzierten Zellen in verschiedene und spezialisierte Zellkulturen separat hergestellt werden. Bei Verwendung herkömmlicher adulter Stammzellen mit einem begrenzten Differenzierungsspektrum erfordert dies gewöhnlich die Züchtung der differenzierten Zellkulturen aus unterschiedlichen Ausgangsstammzellen mit oft sehr unterschiedlichen Anforderungen an die Wachstumsbedingungen. Dies ist in der Regel mit einem großen Aufwand an Zeit und Kosten verbunden. Dieser Nachteil kann durch Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen, die in unterschiedlichste Zelltypen aller drei Keimblätter differenzieren können, teilweise vermieden werden, dies ist jedoch durch bereits erwähnte ethische Gründe stark limitiert. Überdies sind selbst bei der Verwendung pluripotenter embryonaler Stammzellen in diesen herkömmlichen Testsystemen mehrere verschiedene und räumlich getrennte Zellkulturen erforderlich. Ein weiterer, wesentlicher Nachteil dieser Zellmonokulturen besteht darin, dass die Wirkung einer Substanz auf einen Verbund verschiedener Zellen, wie er in einem natürlichen Gewebe oder Organ vorliegt, nicht untersucht werden kann.
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In der Vergangenheit wurden pluripotente Stammzellen der Maus wie embryonale Stammzellen weithin zur Differenzierung für in vitro Studien verwendet. Sie bilden komplexe dreidimensionale Zellaggregate, die als embryoide Körper bezeichnet werden (embryoid bodies, EBs). Durch diesen Zwischenschritt können Zellen der neuronalen Linie (
Bain et. al. 1995) sowie Gliazelllinien (
Brüstle et. al. 1999) aus murinen pluripotenten Stammzellen erzeugt werden. Einige der frühen Gehirnentwicklungsprozesse sind in dieser Mikroumgebung eines EB's vorhanden, was einer willkürlichen Ansammlung von Vorläufer und differenzierten Zellen aus verschiedenen Linien ermöglicht. Diese Studien haben das wissenschaftliche Feld der Embryoidkörper und komplexeren Organoiden (organoids, organoid bodies, OB's) aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen eröffnet. Zellkulturen, die aus diesen menschliche Embryoidkörpern abgeleitete sind, enthalten Zellen, die unterschiedliche Protein- oder mRNA-Marker exprimieren, die charakteristisch für mindestens zwei verschiedene Zelltypen sind (
WO 2001053465 A1 ).
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Embryoidkörper entwickeln sich, wenn Stammzellen unter Bedingungen kultiviert werden, die für einen dreidimensionalen Kontakt der Zellen sorgen, wie z. B. die Kultur in hängenden Tropfen, in Suspensionskultur usw. (
DE 10 2004 025 080 ,
WO 2005113747 A1 ,
Wobus et al., 1988,). Die entstehenden Embryoidkörper enthalten verschiedene Zellen aller drei Keimblätter. Durch Einsatz von Differenzierungsfaktoren können gezielt größere Mengen eines bestimmten Zelltyps hergestellt bzw. Embryoidkörper mit einer bestimmten Zelltyp-Zusammensetzung erzeugt werden. Es konnten beispielsweise Netzwerke aus neuronalen Zellen und Gliazellen, aber auch einfache neuromuskuläre Netzwerke hergestellt werden. Es wird vorgeschlagen, derartige Embryoidkörper für das Testen von Wirkstoffen zu verwenden (
DE 10 2004 025 080 A1 ).
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Komplexere Strukturen als die in Embryoidkörpern werden in Organoiden gebildet, was ein Gerüst für ein 3D-Zellkultur erforderlich macht. Hierbei sind der Aufbau und das Design des 3D-Gerüstes von entscheidender Bedeutung, um verschiedenartige Zellen zu organisieren. Innerhalb dieser 3D-Matrix wird die biologische Wechselwirkung zwischen den Zellen und dem Gerüst gesteuert durch die Materialeigenschaften und die Gerüsteigenschaften, welche für eine optimale Zelladhäsion, Proliferation und Differenzierung erforderlich sind, und die dreidimensionale zelluläre Architektur, welche erforderlich ist, um organotypische 3D-Kulturen zu bilden. Im Vergleich zu in vitro Stammzellkulturen, die in 2D differenziert und kultiviert werden, ist es daher von erheblichem Vorteil, die Gewebeanatomie in einer 3D Kultur zu reproduzieren. Die jüngere Weiterentwicklung der 3D Kulturtechniken hat daher ermöglicht, sehr spezifische Kokulturen zu entwerfen und Stammzellen zu integrieren (Haycock 2011). Dennoch ist das Wissen über die optimale räumlich und zeitlich Mikroumgebung entscheidend für den Erfolg von organotypischen und Gewebe-spezifischen Differenzierungen wie die des Kortex oder anderer Hirnregionen.
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Beispielsweise erzeugt während der Entwicklung des Säugerkortex eine bestimmte Familie von Gliazellen, die sogenannten radialen Gliazellen, Schicht-spezifische Subtypen von exzitatorischen Neuronen in einer definierten zeitlichen Reihenfolge. Hier werden die Neuronen der unteren Schichten zuerst gebildet, gefolgt von denen der oberen Schichten, welche dann durch die unteren Schichten der Hirnrinde wandern (Franco et. al. 2012).
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In 2D-Kulturen aus embryonalen pluripotenten Stammzellen wurde gezeigt, dass es möglich ist, menschliche zerebrale neokortikale Stammzellen und funktionelle Neurone aller Klassen von kortikalen Projektionsneuronen zu bilden. Dabei wird der Prozess der kortikalen Entwicklung rekapituliert. Zunächst werden in vitro die menschlichen pluripotenten Stammzellen vordifferenziert, um erste kortikale Stamm- und Vorläuferzellen zu bilden, die dann kortikale Projektionsneurone in einer definierten zeitlichen Reihenfolge bilden, bevor diese spontan elektrisch aktiv werden und Aktionspotentiale aufweisen sowie aktive Synaptogenese betreiben und somit neue neuronale Verschaltungen bilden (Gaspard et. al. 2009; Shi et. al. 2012).
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Lancaster et. al. (2013, Nature 501: 373–9) haben ein dreidimensionales Organoidkultursystem entwickelt, welches aus menschlichen pluripotenten Stammzellen gebildet wurde und verschiedene diskret entwickelte und voneinander abhängige Hirnregionen aufweist. Dazu gehört u. a. eine Großhirnrinde, welche eine Vorläuferzellpopulation enthält, welche in der Lage ist, reife kortikale Neuronensubtypen zu produzieren und zu organisieren. Außerdem rekapitulieren diese zerebralen Organoide die Merkmale der menschlichen kortikalen Entwicklung, nämlich eine charakteristische Organisation in Zonen aus Vorläufern, wie der subventrikulären Zone, welche die in vivo auftretenden äußeren radialen Gliazellen enthält. Diese jüngste Entwicklung eines neuen dreidimensionalen Kultursystem für die Differenzierung von zerebralen Organoiden aus menschlichen induzierten pluripotenten Stammzellen ermöglicht die „in vitro Montage” eines menschlichen embryonalen Gehirnäquivalents, das die Entwicklung des Gehirn rekapituliert. Diese Organoide enthalten Vorläuferpopulationen, die sich in kortikale Neuronen-Subtypen entwickeln können, was die in vitro Untersuchung komplexer Hirnerkrankungen ermöglichen könnte, von denen geeignete Tiermodelle fehlen (Muzio & Consalez 2013). Cerebrale Organoide oder cerebrale organoide Körper, die aus pluripotenten humanen Stammzellen hergestellt werden können, weisen verschiedene (mindestens zwei) diskrete Regionen auf, in denen bekannte, für Gehirnregionen spezifische molekulare Markerproteine nachgewiesen werden können.
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WO 2013063588 A1 beschreibt die Generierung von dreidimensionalen Organoiden aus Explantaten menschlichen Gewebes zur Langzeitkultur, und die Nutzung zum Screening von möglichen Therapeutika.
EP 1088096 A1 beschreibt das Testen von Wirkstoffen an Organoiden aus Muskel- und Nervenzellen.
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WO 2001053465 A1 beschreibt Zellen, die aus humanen embryoiden Körpern gewonnen werden können. Unter anderem wird die Herstellung neuronaler Netzwerke und deren Verwendung zum Beispiel zum Testen von Wirkstoffen offenbart.
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Dem gegenüber stellten sich die Erfinder die Aufgabe, ein neues Verfahren zur Herstellung von Zellkulturen zur Verfügung zu stellen, die ein besseres Testsystem für Wirkstoffe darstellen, da es spezifischer auf bestimmte pathologische Zustände angepasst werden kann und daher besser auf eine in vivo Situation übertragbare Ergebnisse ergibt. Diese Aufgabe wird durch den Gegenstand der Ansprüche gelöst.
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Insbesondere betrifft die Erfindung ein Verfahren zur Herstellung einer neuronalen planaren Zellkultur, Schritte umfassend, bei denen man
- a) Stammzellen in einem dreidimensionalen Zellaggregat vordifferenziert, welches mindestens zwei Regionen umfasst, die unterschiedlichen Gehirnregionen entsprechen, und
- b) Zellen aus mindestens einer Region, die einer bestimmten Gehirnregion entspricht, entnimmt und
- c) auf einem planaren Träger weiter kultiviert, wobei eine neuronale planare Zellkultur entsteht, bei der die Zellen ein neuronales Netzwerk bilden und eine elektrische Aktivität aufweisen, welche für die bestimmte Gehirnregion spezifisch ist.
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Eine planare Zellkultur ergibt sich daraus, dass die Zellen auf einem planaren Träger kultiviert werden. Dadurch wachsen die Zellen in einer Ebene, also im wesentlichen zweidimensional, wobei die Zellen selbstverständlich eine diskrete Höhe aufweisen.
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Dreidimensional bedeutet im Zusammenhang mit der Erfindung, dass die Zellen nicht nur in einer Ebene wachsen, sondern auch dreidimensionale Strukturen ausbilden. Dadurch bilden sich, wie eingangs erläutert, morphologisch und physiologisch unterschiedliche Strukturen aus. Durch geeignete Maßnahmen (z. B. erläutert in Lancaster et al., 2013) lassen sich dreidimensionale Zellaggregate herstellen, die mindestens zwei Regionen umfassen, die unterschiedlichen Gehirnregionen entsprechen. Einfache dreidimensionale Zellaggregate sind die im Stand der Technik bekannten Sphären, es können aber auch komplexere Organoide verwendet werden, die ebenfalls im Stand der Technik bekannt sind. Beides wird im Rahmen der Erfindung als zerebrales Organoid bezeichnet. Die Zellaggregate können auch drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn oder mehr Regionen umfassen, die unterschiedlichen Gehirnregionen entsprechen. Als unterschiedliche Gehirnregionen werden im Rahmen der Erfindung bezeichnet: Hippocampus, Kleinhirn, Mittelhirn, Striatum, Amygdala, Stammhirn, Thalamus, Hypothalamus, Basalganglien, Rückenmark, Kortex, subkortikale Kerne, Riechkolben, optischer Nerv, Retina, Spinalganglien und Hypophyse. Es können also z. B. Zellen entnommen werden, die Hippocampus, Kleinhirn, Mittelhirn, Striatum, Amygdala, Stammhirn, Thalamus, Hypothalamus, Basalganglien, Rückenmark, Kortex, subkortikale Kerne, Riechkolben, optischer Nerv, Retina, Spinalganglien und Hypophyse entsprechen.
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Das Zellaggregat umfasst eine Vielzahl von Zellen.
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Im Allgemeinen werden zur Herstellung von Zellen einer erfindungsgemäßen neuronalen Zellkultur Zellen einer Region entnommen und weiter kultiviert, die einer bestimmten Gehirnregion entsprechen. Damit entspricht die hergestellte Zellkultur einer Kultur von Zellen aus dieser einen Gehirnregion.
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Selbstverständlich können aus einem zerebralen Organoid in einem Experiment parallel auch Zellen aus mehreren Regionen entnommen werden, die zwei oder mehr Gehirnregionen entsprechen, so dass man mit Hilfe eines Organoids z. B. eine Kortex-Zellkultur, eine Hippocampus-Zellkultur, und/oder eine Thalamus-Zellkultur anlegen kann, je nachdem, was für Regionen in dem Organoid vertreten sind, und je nach Bedarf.
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In einer Ausführungsform des erfindungsgemäßen Verfahrens werden in Schritt b) Zellen aus mindestens zwei Regionen, die einer bestimmten Gehirnregion entsprechen, entnommen (bevorzugt zunächst separat), wobei diese Zellen in Schritt c) in Co-Kultur, insbesondere in Mischkultur kultiviert werden. Eine Co-Kultur ist eine Kultur verschiedener Zelltypen aus verschiedenen Gehirnregionen auf einem planaren Träger, welche eine Kommunikation der Zelltypen aus verschiedenen Gehirnregionen, z. B. über neuronale Verbindungen und/oder lösliche Botenstoffe, die ins Medium abgegeben werden können, erlaubt. Eine Mischkultur ist eine bevorzugte Co-Kultur, bei der die verschiedenen Gehirnregionen entsprechenden Zellen gemischt und dann kultiviert werden. Alternativ ist eine Co-Kultur auch z. B. in verschiedenen, ggf. separaten Regionen eines Zellkulturgefäßes möglich, sofern eine Kommunikation möglich ist. Bei einer Co-Kultur oder Mischkultur werden bevorzugt nicht alle Zellen des Organoids gemeinsam kultiviert. Insbesondere können Zellen, die einer weiteren Gehirnregion entsprechen und in dem Organoid vorliegen, abgetrennt werden.
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In Schritt b) werden die Zellen in einem Stadium entnommen, in dem es sich bereits um terminal differenzierte Neurone, und auch noch um deren direkte Progenitor-Zellen handelt, da zur Ausbildung eines neuronalen Netzwerks mit elektrischer Aktivität so die Plastizität erhöht wird. Der Neuronentypus ist dabei aber bereits festgelegt.
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Die Region, die einer bestimmten Gehirnregion entspricht und aus der die Zellen in b) entnommen werden, weist mindestens einen molekularen Marker für diese Gehirnregion auf.
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Beispiele für molekulare Marker für bestimmte Gehirnregionen sind unterscheidbar zwischen dem sich entwickelnden, aber von anderen Gebieten abgrenzbaren Status und dem ausdifferenzierten Status. Beispiele für Marker sich entwickelnder Gebiete sind unter anderem:
- – GBX2, PAX2, für das Stammhirn;
- – SHH, Wnt5, Notch für das Mittelhirn;
- – OTX2, PAX6 für das Diencephalon;
- – Cerebrus, Dickkopf, FOXG1, SIX3, NKX2-1 für das Vorderhirn;
- – Marker der Nodal, BMP, Hedgehog, Wnt/ß-Catenin Signalwege und NPY, AGRP, POMC und CART für den Hypothalamus;
- – EMX1, FGF und SHH für die Kortexbildung und -Struktuierung
- – Hox, Pax, Pou, Lim für das Kleinhirn.
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Weiterhin können diverse Marker für spezifische Trennlinien von Gehirnarealen genutzt werden, wie zum Beispiel FGF8 (Stammhirn/Mittelhirngrenze), SHH (Diencephalon/Mittelhirngrenze); BMP, Wnts, SHH (lokale Vorderhirngrenzen und Organisierer).
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Beispiele für Marker ausdifferenzierter Gebiete sind (zum Teil neben den zuvor genannten Beispielmarkern) unter anderem:
- – Nurr1, PITX3 und Tyrosinhydroxylase für das Mittelhirn;
- – LIM-HD und HOX Gene für die Rückenmarksidentität;
- – Parvalbumin, Cholecystokinin, Somatostatin, Calretinin, NRP2, DZF9, PROX1 für den Hippocampus;
- – Emx1, AUTS2, TSHZ2, LMO4, Calretinin, CTIP2, SATB2 für den Cortex;
- – NPY, AGRP, POMC, CART und Orexin-A für den Hypothalamus;
- – Lhx2/9, Meis1/2, lrx3. LHX1, Math1, Pdelc für das Kleinhirn,
- – GAD65, GAD67, Calbindin, Calretinin, Dopaminrezeptoren 1 und 2, Somatostatin, Parvalbumin, tyrosine hydroxylase für das Striatum;
- – KROX20, ISL1 für das Stammhirn.
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Ein oder mehrere derartige molekulare Marker können, z. B. nach Anfärbung mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern, zur Identifizierung der Region des Organoids verwendet werden, die einer bestimmten Gehirnregion entspricht. Die Detektion von Markern kann auch auf RNA-Ebene stattfinden.
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Optional können die Stammzellen ein detektierbares Transgen umfassen, wobei das Transgen funktionell mit einem Promotor verbunden ist, der eine Expression des Transgens in einer bestimmten Gehirnregion bewirkt. Ein geeignetes detektierbares Transgen ist z. B. das grünfluoreszierende Protein (GFP), oder ähnliche singulär bestehende Proteine, RNA- oder DNA-marker, oder ein markiertes Zelltyp-spezifisches Fusionsprodukt wie z. B. GFP- oder His- oder ähnliche Marker, welche an zelltyp-spezifische Proteine, -RNA oder DNA fusioniert wurden. Beim Einsatz von z. B. Plasmidkonstrukten können diese in die undifferenzierten iPS-Zellen integriert werden, z. B. durch virale Transduktion oder Transfektion, was somit zu einer für Zelltyp- und Differenzierungsstadium spezifischen Markierung von Zellen führt. Damit wird eine definierte Region innerhalb des Organoids markiert. Auch mehrere Regionen können gleichzeitig markiert werden, wobei unterscheidbare detektierbare Transgene verwendet werden sollten. Dabei dient eine Detektion des Transgens zur Auswahl der zu entnehmenden Zellen. Die Promotoren der zuvor genannten Marker können hierfür zum Beispiel verwendet werden.
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Alternativ oder zusätzlich kann die Region, die einer bestimmten Gehirnregion entspricht und aus der die Zellen in b) entnommen werden, bei der Entnahme mittels Infrarotspektroskopie identifiziert werden.
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In einer anderen Ausführungsform kann die Region mittels morphologischer und anatomischer Strukturzusammenhänge mikroskopisch auf visuellem Wege identifiziert werden.
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Die Auswahl der korrekten Region kann nach der Entnahme und Kultur durch einen Vergleich der elektrischen Aktivität der Zellkultur mit typischen neuronalen Zellkulturen aus der bestimmten Region, welche z. B. in einer Datenbank abgelegt sein können, verifiziert werden. Alternativ kann auf diese Weise die bestimmte Gehirnregion im Nachhinein identifiziert werden.
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Bevorzugt sind die zur Herstellung der zerebralen Organoide eingesetzten Stammzellen adulte Stammzellen oder pluripotente Stammzellen, besonders bevorzugt induzierte pluripotente Stammzellen. Im Rahmen der Erfindung ist die Verwendung von humanen Stammzellen grundsätzlich bevorzugt, insbesondere können humane pluripotente, bevorzugt humane induzierte pluripotente Stammzellen verwendet werden. Bevorzugt werden bei der Herstellung der Stammzellen keine humanen Embryos verwendet oder zerstört. Es kann sich auch um nicht-humane, z. B. um Maus-, Ratten- oder Affen-Stammzellen handeln, z. B. um nicht-humane embryonale Stammzellen. Auch Stammzellen aus Nabelschnurblut können, auch vom Menschen, eingesetzt werden.
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In einer Ausführungsform sind die Stammzellen aus einem bevorzugt humanen Patienten isolierte Stammzellen, auch hier bevorzugt induzierte pluripotente Stammzellen.
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Der planare Träger kann z. B. eine Zellkulturschale sein, wobei eine Analyse der elektrischen Aktivität, z. B. auf Basis von Calcium-Signalling und entsprechenen Bildgebungsverfahren möglich ist.
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Der planare Träger ist bevorzugt ein Mikroelektroden-Array(MEA)-Neurochip. Dies hat den Vorteil, dass die elektrische Aktivität der Zellen einfach und genau sowohl auf Zellebene als auch auf Populationsebene analysiert werden kann. Dabei wird die elektrische Netzwerkaktivität der Neurone aufgezeichnet, analysiert und auf Ebene der Aktionspotenzial-Muster charakterisiert und klassifiziert. Neuroaktive Substanzen verändern die gewebetypischen Aktivitätsmuster in spezifischer Art und Weise und können somit über Veränderungen ihrer elektrischen Eigenschaften im Netzwerk charakterisiert werden. Ein entsprechendes Profil kann durch eine von NeuroProof GmbH (Rostock, DE) entwickelte und dort erhältliche multivariate Datenanalyse erstellt werden, bei der mehr als 200 die elektrische Aktivität beschreibende Merkmale analysiert werden.
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Der herausragende Vorteil der MEA-Technologie gegenüber anderen Techniken zur elektrischen Untersuchung neuronaler Zellen ist die gleichzeitige Aufzeichnung der elektrischen Signale in multi-zellulären Netzwerken, bei denen auch die Kommunikation zwischen den Neuronen untersucht werden kann.
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Die Population der analysierten Neuronen umfasst bei Analyse mit einem MEA-Chip üblicherweise zwischen mindestens 6 und maximal 256, üblicherweise zwischen 10 und 50 Zellen. Neben den analysierten Zellen befinden sich noch weitere, elektrisch nicht aktive Zellen in der Kultur, die wichtige Funktionen für die Aufrechterhaltung der Funktionen der Neurone erfüllen. Die Neuronen bilden in den Kulturen Netzwerke mit benachbarten Neuronen. Eine Kommunikation der Neurone eines Netzwerkes erfolgt über elektrische und/oder chemische Synapsen.
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Die Technologie wurde 1972 von Thomas et al. erstmals beschrieben und von Guenter Gross weiterentwickelt (Grosset al., 1977). Alle elektrisch aktiven Zellen können auf diese MEA Chips aufgebracht werden, um ihre extrazellulären Aktionspotenziale zu registrieren. Die Ableitung spontan aktiver, selbst-organisierter neuronaler Netzwerke auf diesen MEA Chips ermöglicht die Untersuchung des neuroaktiven Potenzials von Testsubstanzen durch die Aufzeichnung der extrazellulären Aktionspotenziale einer Vielzahl einzelner Neurone über mehrere Stunden. MEA Neurochips sind z. B. vom Center for Network Neuroscience (CNNS) der University of North Texas erhältlich. Diese 5 × 5 cm2 Glas Chips besitzen eine zentrale Matrix mit einem Durchmesser von 2 mm2, die 64 (oder in einer anderen Ausführung 2 mal 32) passive Elektroden und Indium-Zinn-Leiterbahnen umfasst, die in Silikon eingebettet sind und als vergoldete freie Elektroden enden. Der Elektroden-Durchmesser beträgt 20 μm, der minimale Abstand zwischen den Elektroden beträgt 40 μm. Die MEA Chips werden in einer Ableitkammer (CNNS) auf der Vorverstärker-Station (Plexon Inc, Dallas TX, USA) aufgebracht, welche eine Temperaturkontrolle und 64 Vorverstärker enthält. Die Aufnahme der extrazellulären Aktionspotenziale erfolgt mit einem Computer-kontrollierten 64-Kanal Verstärker System (Plexon Inc, Dallas TX, USA). Nach Einstellung der Schwelle für das Rauschen können von jeder Elektrode Aktionspotenziale von bis zu vier verschiedenen Neuronen abgeleitet werden. Die einzelnen Signale werden anhand ihrer Aktionspotenzial-Form mit Hilfe der Aufnahme-Software voneinander getrennt und aufgezeichnet. Dadurch können auf einem 64 Elektroden MEA-Neurochip Signale von bis zu 256 Neuronen aufgezeichnet werden. Die Amplitude der extrazellulären Signale liegt im Bereich von 15 bis 1800 μV. Die Abtast-Frequenz der Signale ist 40 kHz. Dadurch ist es möglich, neben der zeitlichen Abfolge der Aktionspotenziale auch deren Verlauf (Waveform) zu analysieren.
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Die Zeitpunkte des Auftretens der Aktionspotenziale werden in zeitlicher Abfolge fortlaufend aufgezeichnet (Spiketrains). Aktionspotenziale werden einzeln oder in Bursts (Gruppen schnell aufeinanderfolgender Aktionspotenziale) generiert. Die Eigenschaften dieser Netzwerk-Kommunikation kann mit einer Vielzahl von Merkmalen, die auf der elektrischen Aktivität einzelner Neurone beruhen, analysiert werden. Diese Merkmale beschreiben die Synchronität und Konnektivität der Netzwerke und deren pharmakologische Beeinflussung. Die Bursts können mit der von NeuroProof entwickelten Software NPWaveX (NeuroProof GmbH, Rostock, DE) definiert werden.
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Die Netzwerke aus den verschiedenen Geweben können auf Grundlage ihres elektrischen Fingerprints, die sich in der Aktivität der Neurone, der Burststruktur, der Regelmäßigkeit des Auftretens der Bursts und der Synchronität äußert, voneinander unterschieden werden. Die zeitliche Abfolge der Aktionspotenziale ist charakteristisch für die verschiedenen Gehirnregionen. In diesen Netzwerken lässt sich die Funktion einzelner Gehirnregionen studieren, die für bestimmte Krankheiten relevant sind. Die Hirnregionen-spezifische Aktivitätsmuster können auch pharmakologisch beeinflusst werden.
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Wenn Stammzellen in dreidimensionalen Kulturen vordifferenzieren, werden biologisch relevante zelluläre Signalwege und interzelluläre Kommunikation ausgebildet. Gegenüber der zweidimensionalen Ausdifferenzierung von Stammzellen in verschiedene Neuronentypen hat diese Technologie den Vorteil, dass die in vivo Organsituation besser abgebildet wird. Die komplexe Morphologie und Verschaltung der Zellen und Regionen erlauben biologisch relevante Zell-Zell-Kontakte und Zell-Matrix-Interaktionen. Dadurch können ähnliche physiologische Antwortmuster wie in vivo erreicht werden.
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Die erfindungsgemäß hergestellten planaren Kulturen sind jedoch besser für die Untersuchung von Wirkstoffen auf deren physiologische Aktivität geeignet als dreidimensionale Zellverbände, die nach dem Stand der Technik verwendet werden können:
- – zweidimensionale Kulturen weisen weniger ischämische Zustände auf, da ein effizienter Gasaustausch mit dem umgebenden Medium gewährleistet ist,
- – es findet eine bessere elektrische Kopplung der Neurone mit den Elektroden der MEA-Chips statt. Daher erhält man ein verbessertes Signal-Rausch-Verhältnis,
- – die Neurone sind pharmakologisch direkt zugänglich für Wirkstoffe. In dreidimensionalen Strukturen müssen die Wirkstoffe zunächst durch den gesamten Gewebeverband diffundieren, um an ihren Wirkort zu gelangen.
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Mit erfindungsgemäßen, für Gehirnregion spezifischen Zellkulturen lassen sich daher für pharmakologische Fragestellungen physiologisch bessere prädiktive Tests durchführen.
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Ein Routine-Screening von Substanzeffekten mit primären humanen neuronalen Zellen ist nicht möglich. Die pharmakologische Untersuchung der Eigenschaften neuronaler Netzwerke in zweidimensionalen Zellkulturen erfolgte bisher durch Verwendung von dissoziierten Zellen aus Gehirnen von Mäusen oder Ratten. Die Verwendung erfindungsgemäßer Neuronenkulturen stellt daher einen enormen Vorteil gegenüber herkömmlichen Screening-Verfahren in der frühen Wirkstoff-Testung dar, weil sie die Prädiktivität der Aussagen über die Wirksamkeit deutlich verbessert.
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Der Vorteil der Verwendung humaner Zellen liegt in der deutlich höheren Prädiktivität gegenüber Tiermodellen, die die humane Physiologie nicht adäquat abbilden. Dadurch können enorme Kosten in der Wirkstofftestung eingespart werden, weil etwa 90% aller Substanzen, die in Hochdurchsatz-Screeningverfahren (HTS) identifiziert werden in der klinischen Phase nicht bestehen. Dies liegt zum einen an der geringen Übertragbarkeit der Effektivität der Substanzen von Testverfahren, bei denen tierische Zellen verwendet werden, in die humane Physiologie und zum anderen an Nebenwirkungen, die in Tiermodellen nicht vorhersagbar waren.
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Die Isolation spezifischer Neuronen, Neuronengruppen oder Regionen aus den zerebralen Organoiden und deren Weiterkultivierung auf Mikroelektroden-Arrays erlaubt die individuelle elektrische Analyse einzelner Neurone und von Neuronengruppen in ihrem Netzwerk in ihren Region-spezifischen Eigenschaften. Dissoziierte Neuronen aus verschiedenen Hirnregionen der Maus weisen typische Aktivitätsmuster auf, die durch die spezifische Zusammensetzung aus verschiedenen erregenden und hemmenden Neuronentypen entstehen. Diese Muster und deren Veränderungen können nach Applikation von Substanzen charakterisiert werden. Diese zwei-dimensionalen Zellkulturen eignen sich besonders für die pharmakologische Untersuchung der Netzwerke, weil Substanzeffekte unmittelbar an den Zellen in Konzentrations-Wirkungs-Kurven untersucht werden können. Die Analyse der Spiketrains und einer Vielzahl daraus abgeleiteter Merkmale, die die allgemeine Aktivität, die Burststruktur, die Regelmäßigkeit der Bursts und die Synchronität und Konnektivität der Neurone beschreiben, ermöglicht eine multiparametrische Datenanalyse und eine anschließende Klassifikation der Substanzen in verschiedene Substanzklassen, wie bspw. Antikonvulsiva, Antipsychotika, Antidepressiva, Analgetika etc.
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Die vorliegende Erfindung stellt damit auch ein Verfahren zum Testen einer Substanz zur Verfügung, welches Schritte umfasst, bei denen man
- a) mit dem erfindungsgemäßen Verfahren eine neuronale planare Zellkultur herstellt,
- b) die Zellen analysiert,
- c) die zu testende Substanz in Kontakt mit der neuronalen planaren Zellkultur bringt,
- d) die Zellen nochmals analysiert,
wobei eine Wirkung der Substanz sich durch einen Vergleich der Zellen vor und nach In-Kontakt-Bringen mit der Substanz ergibt.
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Eine Substanz kann ein bereits bekanntes Medikament mit neuronalen Effekten sein, aber auch eine bisher nicht in dieser Hinsicht charakterisierte Substanz. Es kann sich z. B. um ein Protein, ein Peptid, ein Lipid, einen Zucker, eine Nukleinsäure, einen Antikörper oder ein niedermolekulares (bis 900 g/mol) Molekül handeln.
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Ein beispielhaftes erfindungsgemäße Verfahren zum Testen einer Substanz ist in der parallel eingereichten Anmeldung der Neuroproof GmbH „Verfahren zum Testen neuroaktiver Substanzen” offenbart, welches mit erfindungsgemäß hergestellten neuronalen planaren Zellkulturen, welche von Stammzellen (z. B. humanen induzierten pluripotenten Stammzellen) abgeleitet sind, durchgeführt werden kann.
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Die Erfindung stellt auch ein Verfahren zur Bewertung der Differenzierung einer neuronalen planaren Zellkultur zur Verfügung, welches Schritte umfasst, bei denen man
- a) mit dem erfindungsgemäßen Verfahren eine neuronale planare Zellkultur herstellt,
- b) die Zellkultur analysiert.
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Ein solches Verfahren ist z. B. nützlich, um neuronale Entwicklungsstörungen zu untersuchen, oder um weitere Erkenntnisse über die physiologische und/oder pathologische Entwicklung des Gehirns und/oder von zerebralen Organoiden zu erlangen. Es kann auch genutzt werden, um Kulturbedingungen für zerebrale Organoide, insbesondere in Bezug auf die Herstellung von erfindungsgemäßen planaren neuronalen Zellkulturen, die bestimmten Gehirnregionen entsprechen, zu optimieren. Dieses Verfahren ermöglicht weiterhin die Identifikation biologischer Marker, sowie deren Änderungen im Expressionsmuster, die bei der Entstehung einer Erkrankung gebildet oder modifiziert werden, oder fehlen können und erlauben die Erstellung eines personifizierten Krankheitsmusters spezifisch für den Patienten, von dem die Ursprungszellen entnommen wurden, aus denen die Stammzellen abgeleitet sind.
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Die Erfindung stellt auch ein Verfahren zur Diagnose oder Klassifikation eines pathologischen Zustands, zur Verfügung, welches Schritte umfasst, bei denen man
- a) mit dem erfindungsgemäßen Verfahren eine neuronale planare Zellkultur aus Stammzellen eines Patienten mit einem pathologischen Zustand herstellt,
- b) die Zellkultur analysiert, wobei man das Ergebnis der Analyse mit dem Ergebnis der Analyse einer entsprechenden Zellkultur von Patienten mit bekannten pathologischen Zuständen und/oder Gesunden vergleicht.
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Dabei kann es nützlich sein, eine Datenbank aufzubauen, die entsprechende Analyseergebnisse von Patienten mit bekannten pathologischen Zuständen und/oder Gesunden enthält. Auf Software-Basis können dann z. B. Analyseergebnisse eines Patienten mit Ergebnissen aus der Datenbank verglichen werden, um den pathologischen Zustand zu klassifizieren bzw. die Erkrankung zu diagnostizieren.
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Die Erfindung stellt auch ein Verfahren zur Optimierung der medikamentösen Therapie eines Patienten zur Verfügung, welches Schritte umfasst, bei denen man
- a) mit dem erfindungsgemäßen Verfahren eine neuronale planare Zellkultur aus Stammzellen eines Patienten herstellt,
- b) die Zellen analysiert,
- c) ein zu testendes Medikament in Kontakt mit der neuronalen planaren Zellkultur bringt,
- d) die Zellen nochmals analysiert,
wobei eine Wirkung des Medikaments sich durch einen Vergleich der Zellen vor und nach In-Kontakt-Bringen mit dem Medikament ergibt.
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Dabei kann die Optimierung der Therapie eine Optimierung der Dosis eines Medikaments und/oder eine Auswahl eines therapeutisch wirksamen Medikaments sein.
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Die Analyse kann darauf beruhen, dass man
- a) die Morphologie der Zellen analysiert, und/oder
- b) Expressionsmuster der Zellen analysiert, bevorzugt unter Verwendung einer Methode, welche ausgewählt ist aus der Gruppe umfassend, Nachweis von Markern mit Fluoreszenzmikroskopie, spektroskopischem Assay, Immunhistochemischem Assay, Immuncytochemischem Assays, FACS, Immunoassay, enzymatischem Assay, Proteinassay, elektrophoretischem und chromatographischem Assay, HPLC, Westernblot, Northerblot, Southerblot, Lumineszenzdetektionsassay, ELISA-Bindungsassay und kolorimetrischem Assay, und/oder
- c) die elektrische Aktivität der Zellen analysiert, bevorzugt auf einem MEA-Neurochip, mehr bevorzugt mit einem Spike Train Analyseverfahren oder Klassifikationsverfahren.
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In einer bevorzugten Ausführungsform kann man die Zellen in einem Hochdurchsatz-Screening durch photometrische Messungen der Aktivität im Multiwell-Format oder, bevorzugt, durch Aufzeichnung der elektrischen Aktivität der Neurone mit Mikroelektroden-Arrays im Multiwell-Format analysieren.
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Geeignete Software zur Analyse der elektrischen Aktivität, insbesondere zur Analyse von Spike Trains oder zur Klassifikation, ist von Neuroproof GmbH, Rostock, Deutschland, erhältlich (NPWaveX).
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Gegenstand der Erfindung ist auch eine neuronale planare Zellkultur, welche durch ein erfindungsgemäßes Verfahren herstellbar ist.
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Dabei können die Stammzellen von einem humanen Patienten mit einem pathologischen Zustand abgeleitet sein, was erstmalig die in vitro Analyse und damit systematische Testung von Patienten-Neuronen aus einer bestimmten Gehirnregion, z. B. auf einem MEA-Neurochip erlaubt.
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Die erfindungsgemäße Zellkultur kann auch eine Co-Kultur oder Mischkultur von Zellen umfassen, die physiologisch in dieser Form nicht vorkommt, z. B. eine Co-Kultur oder Mischkultur von Zellen aus Kortex und Hippocampus, Amygdala und Hippocampus, Striatum und Frontalkortex, Mittelhirn und Kortex und weitere Kombinationen.
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In einer Ausführungsform ist die Zellkultur eine humane neuronale Zellkultur ist, die auf einem MEA-Neurochip vorliegt.
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Legende
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1 Native Aktivität verschiedener Gewebe-spezifischer neuronaler Zellkulturen aus murinen Embryonen auf MEAs. A: Frontalkortex (FC), B: Rückenmark (SC), C: Mittelhirn (Mb + FC), D: Hippocampus (Hc). Es sind jeweils die Spiketrains mehrerer Neurone (jede Zeile entspricht der Aktivität eines Neurons) über eine Länge von 60 s dargestellt.
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2A Native Aktivität eines murinen Hippocampus Netzwerkes, bei dem der Hippocampus am Embryonaltag E17 präpariert wurde. In A ist eine synchrone, iktale Aktivität in Form von Populationsbursts einer Dauer von > 5 s zu erkennen. Eine Applikation von 50 μM Carbamazepin auf dasselbe Netzwerk führte zur Verhinderung der langen Populationsbursts. Alle Neurone sind aber noch aktiv und generieren kurze Bursts (B). Dargestellt sind die Timestamps (Spikes) von 10 Neuronen über eine Dauer von jeweils 80 s.
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Beispiel 1
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Die Erfinder konnten zeigen, dass Netzwerke aus bestimmten Gehirnregionen spezifische Aktivitätsmuster ausprägen. Diese lassen sich an Hand der nativen Spike Trains deutlich voneinander unterscheiden.
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Aus embryonalen Mäusen an Tag 15–19 wurden verschiedene Hirnregionen (Gewebe des Frontalkortex (FC), Hippocampus (Hc), Mittelhirn, Mittelhirn + Frontalkortex (Mb + FC), Rückenmark (SC)) herauspräpariert, die Zellen anschließend enzymatisch und mechanisch dissoziert und auf Microelektroden-Array-Chips über 27 bis 35 Tage, meist über 4 Wochen, kultiviert.
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Die Kultivierung erfolgte in serumhaltigem Zellkulturmedium mit Glucose. Die Zelldichte wurde Gewebe-spezifisch eingestellt. Auf die MEA Neurochips wurden jeweils 300 μl dieser Zellsuspension auf das Elektrodenfeld gebracht. Außerhalb des Elektrodenfeldes wurden zusätzlich jeweils 100 μl Fütterzellen gebracht, welche der Konditionierung der Netzwerke dienen, aber keinerlei physische Kontakte mit den zu analysierenden Neuronen ausbilden können.
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Ab Tag 28 in vitro (28 DIV) wurde die native Aktivität dieser neuronalen Zellkulturen mit extrazellulären Ableitungen aufgezeichnet und analysiert.
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Die native Aktivität der Kulturen aus den verschiedenen embryonalen Hirnregionen wurde multiparametrisch analysiert und es wurde eine Klassifikation durchgeführt.
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Die verwendeten 204 Aktivitäts-beschreibenden Merkmale beinhalten Merkmale, die die generelle Aktivität der Netzwerke, die Burst-Struktur, die Regelmäßigkeit des Auftretens der Bursts und die Synchronität der Netzwerke beschreiben. Die vier Gewebe lassen sich in einigen dieser Merkmale voneinander unterscheiden. Alle Datensätze wurden genutzt, um die native Aktivität der Netzwerke miteinander zu vergleichen. Eine Kreuzvalidierung wurde durchgeführt, um zu überprüfen, ob sich die verschiedenen Kultur-Typen voneinander unterscheiden. Dazu wurde ein Klassifikator mit 90% jeweils zufällig ausgewählten Datensätzen trainiert. Anschließend wurden jeweils die verbleibenden 10% dieser Datensätze gegen das Lern-Datenset klassifiziert. Dabei wurde die % Zuordnung der nativen Aktivität in die jeweiligen Gewebe ermittelt. Es konnte gezeigt werden, dass sich alle nativen Aktivitäten der Gewebe-spezifischen Netzwerke mit einer hohen Erkennungsrate (85%–96%) in die Aktivität der jeweiligen Hirnregionen einordnen lassen. Die Aktivitätsmuster der verschiedenen Gewebe können also quantifiziert werden.
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Es wurde ein Merkmal-Score zur Bewertung deskriptiver Merkmale für die Unterscheidung der Gewebe ermittelt. Die in der Tabelle genannten Merkmale sind Merkmale, die sich unter den 15 am besten beschreibenden Merkmalen aller 204 Merkmale befinden. Tabelle 1: Merkmale, die die verschiedenen Gewebe sehr gut voneinander unterscheiden
FC – Hc | FC – Mb + FC | FC – SC | Hc – SC | Hc – Mc + FC | SC – Mb + FC |
Burstrate (SUM) | Burstdauer | %Spikes in Bursts | Peakfrequenz-Amplitude | Peakfrequenz-Amplitude | %Spikes in Bursts |
Burst Surprise | Burstevent Periode | Peakfrequenz-Position | Peakfrequenz-Position | SynAll | SynAll |
Spike contrast | Burstdauer (SUM) | Burstrate (SUM) | %Spikes in Bursts | Eventrate | Eventrate |
Burstrate SD | Burst-Form: langsam | SynAll | Spikerate | Interspike Intervall | Peakfrequenz-Position |
Peakfrequenz Position | | Burstrate (SD) | Spikerate in Bursts | | Maximale Spikerate in Bursts |
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Die Kulturen aus Frontalkortex (FC), Rückenmark (SC), Mittelhirn + Frontalkortex (Mb + FC) und Hippocampus (Hc) wiesen Gewebe-spezifische Muster auf (1). FC-Kulturen sind durch eine hoch synchrone Burstaktivität und wenig Interburst-Spikes gekennzeichnet (1A).
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Für eine Kreuzvalidierung der 4 Gewebe FC, SC, Mb + FC und Hc wurde die native Aktivität aller Datensätze mit 204 Aktivitäts-beschreibenden Merkmalen analysiert. Der Klassifikator wurde mit 90% zufällig ausgewählter Datensätze (DS) angelernt. Die restlichen 10% der jeweiligen Datensätze wurden anschließend dagegen klassifiziert. Die jeweilige Anzahl der Datensätze (DS) ist in Tabelle 2 angegeben. Die Zahlen in der Tabelle geben die Zuordnung in die jeweiligen Gewebe an (in %). Tabelle 2: Kreuzvalidierung der automatischen Zuordnung zu bestimmten Gehirnregionen
| FC | Hc | Mb + FC | SC | DS |
Fc | 88 | 2 | 8 | 1 | 2315 |
Hc | 2 | 96 | 2 | 1 | 646 |
Mb + FC | 10 | 4 | 85 | 2 | 336 |
SC | 1 | 1 | 3 | 95 | 302 |
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Beispiel 2
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Gemäß dem Verfahren von Lancaster et al., 2013, werden zerebrale Organoide hergestellt.
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Zellen, die einer bestimmten Gehirnregion, z. B. dem Hippocampus, entsprechen, werden identifiziert, z. B. indem sie mit fluoreszenzmarkierten Antikörpern gegen einen für diese Region spezifischen Marker (z. B. Parvalbumin, Cholecystokinin, Somatostatin, Calretinin, NRP2, DZF9, PROX1 für den Hippocampus) angefärbt werden.
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Die identifizierten Regionen werden z. B. mittels Mikrosektion vom restlichen, unmarkierten Organoid isoliert, das entnommene Organoidstück enzymatisch verdaut, um die Zellen zu vereinzeln. Die enzymatische Zerkleinerung soll durch eine Inkubation in Papain und DNase im CO2-Brutschrank bei 37°C erfolgen. Danach wird das Gewebe-Enzym-Gemisch für 4 min bei 800 U/min zentrifugiert. Der Überstand wird mit einer serologischen Pipette vorsichtig abgezogen und verworfen. Das Zellpellet wird mit einer serologischen Pipette titriert, bis die Zellsuspension trüb erscheint. Danach wird das Zentrifugenröhrchen für 5 min stehen gelassen, damit sich größere Zellverbände absetzen. Der Überstand wird dann in ein neues 50 ml Zentrifugenröhrchen überführt und weiter verarbeitet. Die Zellzahl wird mittels einer Neubauer-Zählkammer ermittelt und die Zellzahl auf einen optimierten Wert eingestellt. Auf jedes Elektrodenfeld wird ein Tropfen mit jeweils 300.000 Zellen gegeben.
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Die Zellsuspension soll dann auf die Elektrodenfelder der MEA-Neurochips aufgebracht werden, die zuvor mit Poly-D-Lysin und Laminin zum besseren Anheften der Zellen behandelt wurden. Die MEA Neurochips mit den Zellsuspensions-Tropfen werden im Brutschrank inkubiert, nach etwa 2 h werden die Chips mit jeweils 3 ml Zellkulturmedium (wie DMEM oder Neurobalsalmedium mit den entsprechenden Zusätzen zum besseren Wachstum der Zellen) aufgefüllt. Die Kultivierung erfolgt in einem Brutschrank bei 37°C und einem CO2 Gehalt, der dem Zellkulturmedium angepasst wird. Die Zellen werden alle 3–4 Tage gefüttert, indem jeweils 1/3 des Mediums durch frisches Medium ersetzt wurden. Wenn die Gliazellen konfluent sind, wird ggf. eine antimitotische Behandlung durch Zugabe von FDU (Fluoro-Desoxy-Uridine) und Uridine ins Kulturmedium durchgeführt. Dies verhindert die weitere Proliferation der Gliazellen. Die beiden Antimitotika wurden bei jedem weiteren Mediumwechsel ausschleichend wieder entfernt. Der Zeitpunkt einer stabilen elektrischen Aktivität wird bestimmt und für ein Substanzscreening festgelegt.
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Optional kann der Typ der Zellen bzw. die entsprechende Gehirnregionen nochmals mit Hilfe von Markern und/oder Transgen bestätigt werden.
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Nach Ausbildung des Netzwerks kann die elektrische Aktivität – wie in Beispiel 1 für murine Zellen beschrieben – mit MEA-Neurochips analysiert werden. Wenn ein Testen einer Substanz beabsichtigt ist, kann die elektrische Aktivität vor und nach In Kontakt Bringen mit der Substanz analysiert werden.
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Beispiel 3
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In murinen Netzwerken des Hippocampus können spontane lang andauernde (> 5 s) hoch synchrone, iktagene Bursts auftreten, deren Dauer durch Applikation von Antikonvulsiva, wie beispielsweise Carbamazepin oder Valproat verringert wird (2).
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Bei Netzwerken aus Neuronen, die aus hippocampalen Regionen aus Organoiden entnommen und weiterkultiviert werden, die aus pluripotenten Stammzellen von Patienten generiert wurden, sollen vergleichbare iktagene Ereignisse analysiert werden. Dadurch soll es möglich werden, eine Anfälligkeit für Epilepsien auch in Patienten/Probanden vorhersagen zu können, auch wenn Epilepsien noch nicht manifestiert sind oder klinisch durch EEG Ableitungen nachgewiesen werden konnten.
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Weiterhin soll es möglich sein, in vitro eine Vorhersage über den Erfolg einer pharmakologischen Behandlung treffen zu können. Vor allem bei der Temporallappenepilepsie gibt es eine hohe Zahl von Patienten, die auf Therapien nicht adäquat ansprechen. Das hier beschriebene Verfahren würde eine Vorabtestung verschiedener Medikamente erlauben, bevor eine pharmakologische Therapie am Patienten begonnen wird. Somit kann auch eine eventuelle Entstehung von Resistenzen vermieden werden oder nach geeigneten additiven oder Kombinationstherapien gesucht werden. Dies hätte einen enormen Vorteil für die Patienten, weil eine für sie personaliserte Therapie entwickelt werden kann und auch durch eine langwierige Therapiefindung auftretende Nebenwirkungen eingeschränkt oder gar verhindert werden.
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