published in: Andreas von Arnauld and Marc Bungenberg (eds), Enzyklopädie Europarecht. Band 12: Europäische Außenbeziehungen, 2nd edn (Nomos, 2022), § 18, 2022
Die Stärkung der EU-Integration in der Außenpolitik gehört zu den traditionellen Zielen der meist... more Die Stärkung der EU-Integration in der Außenpolitik gehört zu den traditionellen Zielen der meisten Europapolitiker. Es geht um nicht weniger als einen Schritt hin zum oft vagen Endziel einer politischen Union. Doch trotz des Strebens nach gemeinsamer Außenpolitik gestaltete sich die Zusammenarbeit schwierig. Nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in den 1950er-Jahren konzentrierte sich die Integration lange Jahre auf die Wirtschaft, während die Außenpolitik am Rande des Integrationsprozesses angesiedelt blieb. Anstelle der supranationalen Gemeinschaftsmethode entwickelte sich in der Außenpolitik eine Zusammenarbeit auf intergouvernementaler Grundlage. Dies änderte sich nur partiell, als der Vertrag von Maastricht die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) als zweite Säule der Europäischen Union offiziell begründete. Bis zum heutigen Tag begründet die GASP, zu der auch die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) gehört, ein Politikfeld, das innerhalb der EU-Rechtsordnung eigenen Regeln folgt. Dies ändert jedoch nichts an der prinzipiellen Bedeutung der GASP für die Ambitionen des EU-Integrationsprozesses, der seine Finalität nicht auf die Wirtschaftsintegration beschränkt, sondern das Ziel umfasst, durch eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union „ihre Werte, ihre grundlegenden Interessen, ihre Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Unversehrtheit zu wahren.“
Bookmarks Related papers MentionsView impact
Uploads
Papers by Daniel Thym
Having reminded readers of the underlying reasons for the legal and conceptual ambiguity of Union citizenship, it will be demonstrated that institutional practice fluctuates between two models: one based on residence and the other focusing on social integration. As ideal types, these models influence the resolution of specific questions, although positions of policy actors will most likely reflect a blend, thereby reinforcing the overall trend towards constant variation and conceptual indeterminacy (below II.). The pertinence of this approach will be tested in relation to ongoing disputes about social benefits and transnational solidarity (III.), political participation and the significance to nationality (IV.) as well as migration and collective identities (V.). It will be shown that the evolution of citizens’ rights in these areas is intimately connected to broader constitutional trends, such as the euro crisis, the failure of the Constitutional Treaty or arguments about immigration. Answers to specific questions in the case law and the political process can be rationalised as building blocks of an EU that accepts the limits of the federal vision by accommodating the continued diversity among Member States.
Sozialstaat: Schließung nach außen und soziale Sicherheit im Inland bedingten sich wechselseitig und tun dies bis heute. Die Gleichheitssemantik des Sozialstaats beruht auf einer eingeschriebenen „Ungleichheitsschwelle.“ In der Gegenwart wird der Blick auf die Ungleichheitsschwelle durch das Territorialitätsprinzip kaschiert, das soziale Leistungsansprüche an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpft. Dies lässt die sozialstaatliche Ungleichheitsschwelle nicht verschwinden, verlagert diese jedoch auf das Migrationsrecht, das als Vorposten über den Gebietsverbleib entscheidet, während das Sozialrecht den faktischen Inlandsaufenthalt gleichstellt. Zwingend ist dies nicht. Man kann Territorialität und Sozialrecht auch anders zuordnen.
Rechtliche, politische und kulturelle Zugehörigkeit: In den 1970er-Jahren entwickelte sich in Wissenschaft und Praxis ein Konsens, dass eine Gebietszulassung schrittweise zu Aufenthaltssicherheit und soziökonomischer Gleichstellung führen soll. Es entstand ein hybrider Status, den die Sozialwissenschaft bald als „Denizenship“ bezeichnete; Ausländer erlangten eine Wirtschafts- und Sozialbürgerschaft, nicht jedoch die volle Zugehörigkeit in Form der Bürgerschaft („Citizenship“).In der Gegenwart sind wir weiter. Mit der Staatsangehörigkeitsrechtsreform 1999 und dem Zuwanderungsgesetz 2004 verabschiedete sich der deutsche Gesetzgeber von der Denizenship. Ausländer sollen vollwertige Bürger werden können. Heute ist das Hauptproblem nicht länger die fehlende Teilhabeoption in Form des Wahlrechts und sonstiger Partizipationsrechte, sondern der begrenzte Teilnahmewunsch.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Integration betrifft neben der strukturellen Einbindung in gesellschaftliche Teilbereiche auch die Tiefenschicht des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die wir im Sinn eines sedentären Bias bisweilen als selbstverständlich voraussetzen. Aus der historischen Kontingenz kollektiver Identitätskonstruktionen folgt nicht, dass der Staat als Ordnungsprinzip sowie ein hierauf bezogener sozialer Zusammenhalt irrelevant wären. Dem Grundgesetz ist ein Verfassungsziel der gesellschaftlichen Integration zu entnehmen, das inhaltlich auf Verständigung zielt, ohne eine Gestaltform vorzugeben. In öffentlichen Debatten wird das Grundgesetz häufig als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschworen, ganz im Sinn eines Verfassungspatriotismus. Es wäre jedoch ein Fehler, den Verfassungsbezug statisch zu deuten. Es wird näher ausgeführt, wie der Zusammenhalt im Zeichen von Migration erneuert werden kann.
Einwanderung: Der Verfassungspatriotismus erläge einem sedentären Bias, wenn er die interne Öffnung unbesehen nach außen projizierte und annähme, dass die Option einer gleichen Zugehörigkeit eine Einwanderungsfreiheit beinhalte. Migrationssteuerung und Integrationsförderung widersprechen sich nicht. Mit dem liberalen Paradoxon gleichzeitiger Öffnung und Schließung umzugehen, gehört zum Lernprozess für eine Gesellschaft, die das Öffentliche Recht nicht länger auf ein Leitbild der Sesshaftigkeit gründet.
Against this background, this contribution will extrapolate three trajectories which define the academic debate on the judicial evolution of Union citizenship. Many authors support a certain degree of ‘aspirational citizenship’ that promotes social change and supports the inclusion of outsiders, such as third-country nationals (IV). In contrast, proponents of ‘citizenship as a legal creation’ focus on the wording and structure of the EU Treaties: they emphasise the need for sound doctrinal hermeneutics, including respect for the wider constitutional landscape (V). Finally, ‘citizenship as a social fact’ explores the empirical underpinnings of citizens’ rights and highlights their corresponding weaknesses (VI). Throughout this chapter, I will use selected examples to explain the relevance of these routes in the resolution of individual cases disclosing the status of Union citizenship.
Having reminded readers of the underlying reasons for the legal and conceptual ambiguity of Union citizenship, it will be demonstrated that institutional practice fluctuates between two models: one based on residence and the other focusing on social integration. As ideal types, these models influence the resolution of specific questions, although positions of policy actors will most likely reflect a blend, thereby reinforcing the overall trend towards constant variation and conceptual indeterminacy (below II.). The pertinence of this approach will be tested in relation to ongoing disputes about social benefits and transnational solidarity (III.), political participation and the significance to nationality (IV.) as well as migration and collective identities (V.). It will be shown that the evolution of citizens’ rights in these areas is intimately connected to broader constitutional trends, such as the euro crisis, the failure of the Constitutional Treaty or arguments about immigration. Answers to specific questions in the case law and the political process can be rationalised as building blocks of an EU that accepts the limits of the federal vision by accommodating the continued diversity among Member States.
Sozialstaat: Schließung nach außen und soziale Sicherheit im Inland bedingten sich wechselseitig und tun dies bis heute. Die Gleichheitssemantik des Sozialstaats beruht auf einer eingeschriebenen „Ungleichheitsschwelle.“ In der Gegenwart wird der Blick auf die Ungleichheitsschwelle durch das Territorialitätsprinzip kaschiert, das soziale Leistungsansprüche an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpft. Dies lässt die sozialstaatliche Ungleichheitsschwelle nicht verschwinden, verlagert diese jedoch auf das Migrationsrecht, das als Vorposten über den Gebietsverbleib entscheidet, während das Sozialrecht den faktischen Inlandsaufenthalt gleichstellt. Zwingend ist dies nicht. Man kann Territorialität und Sozialrecht auch anders zuordnen.
Rechtliche, politische und kulturelle Zugehörigkeit: In den 1970er-Jahren entwickelte sich in Wissenschaft und Praxis ein Konsens, dass eine Gebietszulassung schrittweise zu Aufenthaltssicherheit und soziökonomischer Gleichstellung führen soll. Es entstand ein hybrider Status, den die Sozialwissenschaft bald als „Denizenship“ bezeichnete; Ausländer erlangten eine Wirtschafts- und Sozialbürgerschaft, nicht jedoch die volle Zugehörigkeit in Form der Bürgerschaft („Citizenship“).In der Gegenwart sind wir weiter. Mit der Staatsangehörigkeitsrechtsreform 1999 und dem Zuwanderungsgesetz 2004 verabschiedete sich der deutsche Gesetzgeber von der Denizenship. Ausländer sollen vollwertige Bürger werden können. Heute ist das Hauptproblem nicht länger die fehlende Teilhabeoption in Form des Wahlrechts und sonstiger Partizipationsrechte, sondern der begrenzte Teilnahmewunsch.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt: Integration betrifft neben der strukturellen Einbindung in gesellschaftliche Teilbereiche auch die Tiefenschicht des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die wir im Sinn eines sedentären Bias bisweilen als selbstverständlich voraussetzen. Aus der historischen Kontingenz kollektiver Identitätskonstruktionen folgt nicht, dass der Staat als Ordnungsprinzip sowie ein hierauf bezogener sozialer Zusammenhalt irrelevant wären. Dem Grundgesetz ist ein Verfassungsziel der gesellschaftlichen Integration zu entnehmen, das inhaltlich auf Verständigung zielt, ohne eine Gestaltform vorzugeben. In öffentlichen Debatten wird das Grundgesetz häufig als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenhalts beschworen, ganz im Sinn eines Verfassungspatriotismus. Es wäre jedoch ein Fehler, den Verfassungsbezug statisch zu deuten. Es wird näher ausgeführt, wie der Zusammenhalt im Zeichen von Migration erneuert werden kann.
Einwanderung: Der Verfassungspatriotismus erläge einem sedentären Bias, wenn er die interne Öffnung unbesehen nach außen projizierte und annähme, dass die Option einer gleichen Zugehörigkeit eine Einwanderungsfreiheit beinhalte. Migrationssteuerung und Integrationsförderung widersprechen sich nicht. Mit dem liberalen Paradoxon gleichzeitiger Öffnung und Schließung umzugehen, gehört zum Lernprozess für eine Gesellschaft, die das Öffentliche Recht nicht länger auf ein Leitbild der Sesshaftigkeit gründet.
Against this background, this contribution will extrapolate three trajectories which define the academic debate on the judicial evolution of Union citizenship. Many authors support a certain degree of ‘aspirational citizenship’ that promotes social change and supports the inclusion of outsiders, such as third-country nationals (IV). In contrast, proponents of ‘citizenship as a legal creation’ focus on the wording and structure of the EU Treaties: they emphasise the need for sound doctrinal hermeneutics, including respect for the wider constitutional landscape (V). Finally, ‘citizenship as a social fact’ explores the empirical underpinnings of citizens’ rights and highlights their corresponding weaknesses (VI). Throughout this chapter, I will use selected examples to explain the relevance of these routes in the resolution of individual cases disclosing the status of Union citizenship.