Books - Non-fiction, sexism und weininger">
Nothing Special   »   [go: up one dir, main page]

Otto Weininger Ueber Die Letzten Dinge

Als pdf oder txt herunterladen
Als pdf oder txt herunterladen
Sie sind auf Seite 1von 209

HP

iHii

iJrnI
Return this book on or before the Latest Date stamped below. A Charge is made on all overdue
books.
Universityof
Illinois

Library

iCir:

18
1

m
K 0'>

M32

Jlr^Vi

lifmii^m

J.

WEINmQER
(IPER DIE

LETZTEN DINQE

b^

OTTO WEININQER

(iPEK DIE

LETZTEN DINQE

niT EINEM PIOQR4FH. VORWORT VON DR. MORIZ R/IFF/lfORT

ZWEITE VERNDERTE

^^ UFLflQE

WIEN ^Nb LEIFZIQ


WILHELn
K. y. K.

BR/lVin<i(LLER
q.

HOF'

qNIVER-

5ITT5-BMCH Hif N bLER 1307

==

==

Alle Rechte, insbesondere das bersetzungsreeht vorbehalten.

K.

u. k.

Hofbachdruckerei Carl

Fromme

in

Wien.

<

Vorwort zur zweiten Auflage.


MOTTO:
Jedes wahre, ewige

^
pO
ft^

Problem

ist

eine ebenso wahre, ewige Schuld; jede Antwort eine Shnrmg, jede

Erkenntnis eine Besserung.


Weininger.

Das

Wo

Kreuz in G-olgatha kann dich nicht von dem Bsen, es nicht auch in dir wird aufgerioht', erlsen.
Angfilus Silesius,

Utto Weininger wurde am


frhlich

3.

April 1880 als das zweite

Kind eines Kunsthandwerkers in Wien geboren.


angelegter

Er war

ein

Knabe und

beteiligte sich gern

und hufig

an den Jugendspielen; ziemlich frh machte sich ein heftiger Wissensdrang bei ihm bemerkbar. Im Gymnasium eilte er durch
die eifrige

Lektre historischer, literarischer und philosophischer

Schriften seinem Alter weit voraus.


__
P

Er

interessierte sich damals

am

meisten fr Philologie, trug sich auch mit dem Gedanken,


(Franzsisch, englisch und italienisch be-

Philologe zu werden.

herrschte
gelufig.)

er vollkommen,

spanisch und norwegisch waren ihm

Der Sinn

fr Naturwissenschaften
als

und fr Mathe-

^
^'
00

matik erwachte erst spter,


Daselbst beschftigte
er
sich
Sophie, Biologie, Physiologie,

er die Universitt besuchte.

besonders eingehend mit Philo-

Physik und Mathematik. Laboratorium


hatte
er

Fr

die

experimentelle
[

Ttigkeit

im

wenig

Neigung.

Wer

ihn auf der Universitt beobachtete, mute ber seine

kolossale Arbeitskraft staunen.

Weininger besa
die

eine besonders

widerstandsfhige
scheinung,
seiner

Konstitution,

mit

seiner

ueren

Er-

hohen, hageren Statur seltsam kontrastierte.

138805

VI

Vorwort.

Auch
lassen,

sein

ausgesprochen nervses Wesen htte nie vermuten

da diese Nerven den grten Anstrengungen gewachsen

waren,

da

sie

von einigen wenigen,

zweifellos

nervsen

Herzkrmpfen abgesehen

niemals den Dienst versagten. Doch

wre
arbeit
sein

es

immerhin mglich, da die unausgesetzte Gedankenfortwhrend

und das

hochgradig

erregte

Gefhlsleben
er
es

Nervensystem geschdigt haben,


fest

ohne

da

selbst
viel-

merkte. Er war entschieden nicht dieser Meinung; er war

mehr

berzeugt davon,
Dieses
stolze

da ihm das Physische nichts anGefhl


der absoluten

haben knne.
lassen.

Herrschaft

ber seinen Krper hat ihn bis zum letzten Moment nicht ver-

Wenn

es

zum

Teil in seiner

Weltanschauung begrndet
gewi auch
viel

war,

so hat seine zhe physische Konstitution

dazu beigetragen.
Die geistige Entwicklung Weiningers zeigt eine gewaltige

Umwandlung
kritizismus

der gesamten Weltanschauung, welche etwa zwei

Jahre vor seinem Tode anhebt und ihn vom trockenen Empiriober

Kant und
zu

den nachkantischen Idealismus mit

Riesenschritten

einem metaphysischen,

von Mystik durch-

trnkten Weltsystem hinwegfhrt. Ursprnglich enthusiastischer

Verehrer von

Ave na r ins, wurde

er

Anhnger von Kant, Plato,

Plotin, Augustinus. Den Umschwung fhrten ethische Probleme


herbei,
als

welche mehr und mehr Besitz von ihm ergriffen; und

ihm klar wurde, da der Schlssel zur Lsung des WeltEthik zu suchen
sei,

rtsels in der

wandte er

sich

fr

immer
Ent-

ab von einer Philosophie, der Gut und Bse" gar nicht einmal

Problem

geworden war.

Der

Gottesbegriff,

frher

mit

schiedenheit abgelehnt, trat jetzt in den Vordergrund.

Die grten Denker sind fr


ihnen
das
gilt

Weininger Kant und Plato:


Gute und Schne)
entfernt von
als

der

Wert

(d.

h.

das Wahre,

absolut

Reale.

Sie

sind

am

weitesten

der

hedonistischen Weltanschauung,
gilt,

welcher nur die Lust

etwas

und von der asketischen, welche die Lust um jeden Preis verbannen mchte, die beide die Lust als das Tiefste und Letzte
in

der Welt ansehen.

fr

Weininger

ein ungeheures Verdienst

Wert und Lust getrennt zu haben, ist Piatons, Kants und

Vorwort.

VII

des Christentums; beides zu vermischeD, der schwerste Vorwurf,

den

er

gegen

Schopenhauer und Fechner

sonst

von

Weininger

hochgeschtzte Denker
ist

erheben
nur
in

kann.

Sehr charakteristisch

Weininger s

Verhltnis zur Musik,

fr die er ungewhnlich hoch veranlagt war.

Er vermochte

diese

Kunst jedoch

nicht

naiv,

sondern

Verknpfung mit

assoziierten Vorstellungsinhalten zu genieen.

Der musikalische
Herzschlages,
es sich

Eindruck erweckte in ihm Bilder aus dem Seelenleben oder aus


der Natur (Motiv des
Eifersucht,
absolute,

Sternenhimmels,
usw.),

des

der

der Rache

auch

dort,

wo

nur

um
und
der

jedem Text und Programm fernstehende Musik handelte.


die nicht auf Gefhle

Unter solchen Visionen gab es manche,

Stimmungen beschrnkt
als

blieben,

sondern sich

zum Anblick

hchsten und allgemeinsten Probleme erhoben. Bei Weininger,

dem

rein

materialen und

gar nicht formalen Denker, fr

den das abstrakteste Problem noch mit glhendem Empfindungsinhalt gesttigt war, ist es mglich geworden, da sich Melodien

mit philosophischen Gedanken assoziierten (Motiv des spielenden

Monismus, Motiv der resignierten Trennung vom Absoluten, der

Erbsnde usw.)

Der grte

aller Musiker, der grte Knstler

der Menschheit berhaupt,

ist fr

ihn Eichard
(S.

Wagner,

dessen

Genius er in dem vorliegenden Buche


hat.
hielt

85 bis 92) gewrdigt


meisten.

Nchst

Wagner

verehrte er

Beethoven am

Er

Beethoven
ist,

fr ein Genie,

dessen Gefahr das Verbrechen

gewesen

wie Knut

Hamsun, Augustinus. Die

Sehnsucht

nach Reinheit, das furchtbare Leiden und die titanenhafte Kampfnatur zogen ihn dort gewaltig an;
wrdige,
verklrte Freude,

noch mehr aber jene merk-

Beethoven allein fhig war er nannte sie die gerettete Freude" (Freude, schner Gtterfunken). Mozart, Bach und Hndel waren die in
deren

seinem Sinne

frmmsten Komponisten. Aus der modernen Musik hatte er eine besondere Vorliebe fr das Lied der Solveig in Griegs Peer-Gynt- Suite; er nennt dessen A-dur-Melodie
,die grte Luftverdnnung,
die je

erreicht

worden

sei".

Die

sogenannte leichte Musik" war ihm entweder gleichgltig oder


(wie
z.

B. alle Walzer) direkt antipathisch.

VIII

Vorwort.

Sehr charakteristisch

ist

auch sein Verhltnis zur Natur.


differenzierte

Er besa

eine ungeheuer starke,

und umfassende

Naturempfindung; und wie bei der Musik, so sehen wir auch


hier alle Eindrcke mit deutlichen Vorstellungsinhalten assoziiert.

Die spezifische Art

seines

Empfindens wird jedoch hier zum

philosophischen System;

die Assoziationen aus

dem Seelenleben
sie

begleiten nicht nur als subjektive Erscheinungen im Kopfe des

Einzelnen die Eindrcke

der Natur,

sondern

sind

reale

Symbole ethischer und psychischer Phnomene. Weininger hlt


seine eines

Impressionsverknpfungen in diesem Falle fr Abbilder


objektiv

bestehenden Verhltnisses zwischen dem Sicht-

baren und dem Unsichtbaren. Das war nicht abstrakte Reflexion,


sondern Erlebnis

von der denkbarst grten Unmittelbarkeit.


sitt-

Mit der Form und der Farbe zugleich erschaute er die


liche Potenz,

die Idee,

die sich dort materialisiert hatte.

Alles
ein-

Sinnliche

ward ihm zum Symbol

eines

Geistigen:

jedes

zelne Tier, jede Pflanze, jedes Mineral,

Berg und

Tal,

und Feuer, Licht und Wrme wurden Symbole. war ihm lange Zeit das Symbol der Sittlichkeit;
ist

Wasser Das Licht das Feuer

das

Flu des apollinischen,

Symbol der Vernichtung, die Quelle der Geburt, der das Meer des dionysischen Prinzips;

Hund, Schwein, Schlange des Verbrechens, das Pferd des Irrsinns usw. In dieser Symbolik traf sich seine Intuition mit der idealistischen Philosophie. Die Welt ist meine Vorstellung"

somit jener

kommt

allen

Dingen nur so weit Realitt

zu, als sie

Symbole

zweiten Welt sind, welche das hhere,

ewige Leben",

,das zeitlose Sein", die intelligible Welt", das hchste Reale"

genannt wird. Grundvoraussetzung dieser ganzen Auiassung


nicht

ist

eine vollkommen anthropozentrische Weltanschauung, die freilich

bewiesen werden

kann,

sondern immer Glaubens- und


Subjekt
ist

Gefhlssache bleiben wird: die Welt als der objektivierte Mensch,


der

Mensch

als

das

korrespondierende

des
hier

Objekts

Welt". Die

uralte

Lehre vom Mikrokosmus


fr

wieder

einmal fruchtbar geworden.

Das

tiefste

Verstndnis

das

Leben

und

Weininger s wird uns durch

seine Stellungnahme

Denken zum Dualis-

Vorwort.

IX
nach

Weininger aus zwei vom All, vom Kosmos, von der Gottheit, der andere vom Nichts, vom Chaos, vom Teufel (der fr Weininger blo die Personifikation
mus^)
erschlossen.

Der Mensch

ist

Teilen zusammengesetzt:

der eine Teil stammt

des Nichts"
alles,

ist).

Der

worin das Gute,

Teil aus dem Kosmos erstreckt sich auf Schne und Wahre zum Ausdruck kommt;
alles selbstndig Existierende,

in

ihm

liegt alles Positive,

jede

Kraft und Lebensfreude,


die

zugleich

auch

alles

Objektive, das
das
nicht
unfrei,

Menschen miteinander verbindet.


des Chaos,
enthlt

Die andere Hlfte,


alles

Erbteil

alles Negative,
z.

durch sich selbst Existierende (wie

. die Eitelkeit),

jede

Menschen trennt: an der [Spitze Verbrechen und Irrsinn. Ethik und Logik erschlieen dem Menschen das All, Verbrechen und Irrsinn nehmen ihm die Existenz; denn [als Mikrokosmos hat der Mensch nur
Furcht und Schwche und
alles,

was

die

dann wirkliche Existenz, wenn er selbst ein Abbild des Alls


ist.

Existenz.
stnde,

Weininger unterscheidet Ihr Quantum lt


die
sie

verschiedene Grade der seelischen


sich

uerlich durch

die

Wider-

zu berwinden vermag, bestimmen.

Kraft als

Selbstzweck geht viel eher

zugrunde

als

Kraft

durch Gte.

Energie aus Charakter hlt viel lnger stand als Energie aus
Eitelkeit.
fahr,
sagt.
alle

Das Gottvertrauen des Einsamen besteht in der Gewhrend die Frmmigkeit des Gesellschaftsmenschen verhielt es fr eine seiner wichiigsten

Weininger

Aufgaben,

Eigenschaften und Triebe durch

Selbstbeobachtung auf
Diese mute dann

ihre psychische Bodenstndigkeit

zu prfen.

mit der durch

Erfahrung

festgestellten Widerstandsfhigkeit

gegen uere Einflsse bereinstimmen.

Das Wort All" erlangt


deutung;
es

hier

psychologisch-ethische Be-

bezeichnet

die

seelische Verfassung,

welche im

Denken, Fhlen und Wollen auf das Weltganze, auf das Unendliche
gerichtet
ist.

Denn

jeder

einzelne

Denkakt, jeder
die

Willensakt, jeder sthetische Gefhlsakt wandelt


feiltigkeit

Mannig-

der Sinnesempfindungen in eine einheitliche Totalitt

i)

Das Wort Dualismus" wird hier nur im ethischen Sinne gebraucht.

X
um, wie es
Geschlecht
lichend

Vorwort.

Kant

gelehrt hat und


in

Weinin ger
Weininger
individuelle

in

seinem Buche

und Charakter"
Allheit

anschaulicher Weise verdeutgleichzeitig ein seelische

wiederholt.

bei

philosophischer Begriff und eine


schaft

Eigennur

ist

immer auch Einheit;

denn Totalitt

kann

durch Einheit aufgefat werden.

Das All" und das Nichts", das sind die beiden Mchte, um die Vorherrschaft im Menschen ringen. So erscheint uns das Seelenleben im tiefsten Grunde als ein ewiger Kampf.
welche

Die spezifische Art seines Chaos", seines Nein" bestimmt bei

jedem Menschen
jenigen ,Ja" aus

die

Entwicklung und Ausbildung gerade desdes Kosmos, welches seiner

dem Reiche
ist.

Form
jedes

des Chaos entgegengesetzt


die

Jede uerung des Nichts macht

korrespondierende uerung aus

dem
ist

All

mglich;

Stck Kosmos im Menschen trgt die Gefahr eines entsprechenden

Chaos
satz

in sich.

Menschliches Bewutsein
die

nur durch den Gegen-

mglich;

Gottheit

inkarniert

sich

im Menschen,

um

dort

im Kampfe gegen das Nichts ihrer selbst sich bewut zu So wie bei
aller

werden.
sich Gott

Erotik der

Mann im Weibe,

so will

im Menschen wiederfinden.
Irrsinn

Wir nannten dem wird


alles

und Verbrechen

die zwei bedeutendsten


ist,

Erscheinungsformen des Nichts.


des Urteilens verlt ihn.

Wem

der Irrsinn') Gefahr

Logische problematisch; die instinktive Sicherheit

Er mu, um

sich

gegen die allgemeine

Unsicherheit in der gedanklichen Orientierung zu schtzen,


nicht

um

den Boden unter den Fen zu verlieren, die obersten,


des Denkens

allgemeinsten Grundstze

zu Hilfe rufen.

Daher

kommt

es,

da sich gerade solche Menschen fr logische und

erkenntnistheoretische Probleme besonders interessieren.

Damit
sein.

etwas Problem wird, mu

es zuerst

problematisch

Wer krank

ist,

der

mu

sich

um

Krankheit,

Gesundheit und

Therapie kmmern,
)

mag ihm
fat

die Medizin sonst

noch so gleichzum
Irrsinn" alle

Weininger

unter

dem

Begriff Neigung

Strungen des logischen Gleichgewichtes zusammen, also auch Verfolgungswahn, Hypochondrie, Melancholie, Grenwahn, Manieen aller Art, Zwangsvorstellungen, Phobieen usw.

Vorwort.

XI

gltig sein; wo eine Gefahr ist, dort wird eine Erkenntnis ntig sein. Das gilt von den Gefahren fr die Erhaltung des Innenlebens gewi nicht minder als von den Bedrngnissen der Umgebung. Sicherlich war bei Kant alles in Frage gestellt, als er seine Probleme fand: Wie ist Erfahrung mglich? Wie ist reine Naturwissenschaft

mglich? ..."

Dem

Irrsinnigen verdunkelt

sich

das Denken,

dem Ver-

brecher das Gefhl fr den Wert.

Der Wert des menschlichen

Lebens, der Wert der Freiheit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit,


der Schnheit
es kein

das alles wird ihm problematisch.


ist,

Und wenn

vollkommener Verbrecher

sondern ein Mensch, dem

verbrecherische Neigungen neben sittlichem Streben innewohnen,

der sein besseres Ich gegenber allen Anfechtungen zu behaupten

dann entstehen aus dem Problematischgewordenen die entsprechenden Probleme. Die Selbstbeobachtung
sucht,
zeigt seins

ihm den inneren Feind,


ber ihn,
in

sie

giet

das Licht des Bewut-

dem

dieser

zugrunde

gehen

mu.

Denn

Bse im Menschen entsteht nach Weininger durch einen Mangel an Bewutheit. Bewutheit ist Sittlichkeit.
alles

Je mehr der Mensch


klarer ihm alles wird,
sein Inneres bewegt,

um
was
desto

alles

die

wei, was in ihm vorgeht, je Auenwelt ihm zutrgt und was

er zum Spiegel des UniSelbstbeobachtung ist das Mittel mit dem sich der Mensch vom inneren Feinde des verbrecherischen Instinkts befreien kann. Jetzt wird es klar, was Weininger mit dem Satze meinte: Jedes wahre, ewige Problem ist eine

mehr wird

versums, zum Mikrokosmos.

ebenso wahre, ewige Schuld; jede Antwort eine Shnung, jede

Erkenntnis eine Besserung". Je


war, desto gewaltiger

tiefer

aber der

Wert verdunkelt
ber Gut und
soll.

mu auch
dort

die Erleuchtung

Bse
in

sein,

wenn der innere Feind


gestellt
ist,

besiegt werden

Wo

alles

Frage

mu

der letzte Quell des Sittlichen

erschlossen werden.

Denn nur
zieht

die

vollkommen klare moralische

Bewutheit ermglicht die seelische Wiedergeburt.

Der neue Mensch

ein,

wenn der

alte

den Kampf

zwischen Kosmos und Chaos angesichts der letzten Grnde der

Xn
Sittlichkeit zur

Vorwort.

Entscheidung gebracht
Heiliger geworden.

hat.

Aus dem ehemaligen

Verbrecher

ist ein

Je mchtiger die Gefahr des Nichts" war, desto glorioser


wird das Sein", wenn es das
grte

Nichts

berwunden

hat.

Der

Mensch

ist derjenige,

der den grten Feind besiegt hat.

Das Genie ist nicht eine Art von Irrsinn oder Verbrechen, sondern deren vollkommenste berwindung. Das Prinzip des Gegensatzes lt sich mit einem biologischen Phnomen vergleichen. Bei jeder ansteckenden Krankheit
bilden sich die sogenannten Antitoxine, welche die Toxine,
die

Erreger der Krankheit, zu vernichten streben.


letzteren
ein.

Sobald sie den

an Zahl und Strke berlegen sind, tritt Genesung Nach den meisten ansteckenden Krankheiten bleiben diese Antitoxine jahrelang im Krper zurck, so da der Kranke gegen die betreffende Infektion immun wird; er widersteht

dann der strksten Infektionsgefahr.


Antimoralische

So wird auch derjenige,


alles

welcher den Verbrecher in sich berwunden hat, gegen

immun;
selbst

er

verliert

auch

alle

blo

gemeinen

Zge, die dem normalen Menschen anzuhaften pflegen.


fhrt
die

Er
als

ver-

gegen sich

und gegen andere mit einer Strenge,


begreifen

seine

Umgebung

nicht

kann,

die

sie

Hrte

oder als berspanntheit auslegt.


Heiligen.

So entsteht der Typus des

Der Heilige und der Genius haben im hchsten Ausmae


teil

an der Wahrheit.

Der Heilige hat

die Wahrheit,

die

den

Weg

der Selbstbeobachtung erhellt, das Genie jene, welche die

Beobachtung der ganzen Welt mglich macht.


erlst,

Der Heilige

ist

wenn das Licht des hheren Lebens in ihm selbst aufgegangen ist; dem Genius leuchtet die ganze Welt in diesem
Lichte.

Die Auffassung
lichkeit
ist,

Weininge rs, da

Genialitt hchste Sitt-

wird bei vielen Befremden erregen. Der Zusammen-

hang

ist

aber eigentlich ein sehr einfacher.

Der

Sittliche

hat

am hheren Leben, das der Quell alles Lebens ist, teilnimmt. Das Gefhl der eigenen freien und selbstherrlichen Existenz
Verstndnis fr alles Leben in der Welt, weil
er
selbst

Vorwort.

XIII

lt

auch die der anderen Geschpfe mitempfinden und hoch-

halten.

Dem

Verbrecher fehlt der Sinn fr Freiheit, Selbstzweck,

Leben; er empfindet es nicht bei sich selbst und achtet es nicht

beim anderen.
verstehen;

Lebewesen sind aber nur


ist

als

Selbstzwecke zu

das liebevollste Versenken in die Eigenart der einfr


die

zelnen

Tiergattungen

Forschung unerllich.
ist

Das

Verstndnis der Lebensvorgnge


das Verstndnis der Organismen;
ist

wieder die Grundlage fr

denn in jedem Organismus


als Mittel

eine

spezifische

kategorische Imperativ
aufzufassen",

Doch der zum Zweck der von Kant nur auf vernnftige Wesen andes

Form

Lebens festgehalten.

niemanden blo
sich
in

wendbar gedacht
kristall

ist,

lt

gewissem Sinne auf aUe

Schpfung ausdehnen. Auch einen Granitblock, einen Amethyst-

kann

ich nur

dann wirklich verstehen, wenn ich mich


, willen-

in der

von Schopenhauer beschriebenen Stimmung der

losen

Anschauung" befinde. Soweit etwas , interessant' ist, soweit fllt es unter den Begriff des Selbstzweckes. Die andere Auffassung aller Dinge ist vom Willen zur Macht
eingegeben;
greifen,

durch diese vermag

man

die

Dinge nicht zu be-

sondern bestenfalls nur fr bestimmte egoistische Zwecke

zu verwenden. Jeder Stein reprsentiert durch seine


seine

Form und

Farbe ein gewisses Quantum logischer und sthetischer


diese Existenz

Existenz;

zu empfinden,

zu erforschen, in sich

aufzunehmen,

ist die Sittlichkeit

des Naturforschers, des Malers.

Wer

selbst die grte Existenz besitzt, fr

den haben auch die

Dinge der Auenwelt den reichsten Inhalt. Das Gute und Hohe entwickelt sich nach Weininger im

Kampfe gegen seinen Gegensatz, und


hat seine negative Kehrseite.

alles Positive

Wir haben

diese

im Menschen Lehre des extremen

ethischen Dualismus sehr ausfhrlich besprochen;


halb,
ist,

zum

Teil des-

weil

sie

konstitutiv fr

die Auffassung

der Psychologie

hauptschlich aber deshalb, weil sie beraus charakteristisch


ist. Denn das LebensWeiningers war untrennbar mit Kampfesbewutsein

fr das Seelenleben ihres Schpfers selbst

gefhl Otto

verbunden, und sein polemisches Gebaren nach auenhin war

nur ein schwacher Reflex der tobenden Kmpfe in seinem Inneren.

XIV

Vorwort.

Kein Wunder, da so selten ein Lcheln, ein Scherz ber seine Lippen kam. Hart gegen sich selbst und streng gegen die
anderen, von eiserner Selbstzucht, jeden
aller

Moment zur Anspannung


Sein unerbittliches,

Krfte und zur Einsetzung seiner ganzen Person bereit,

behielt er stets einen soldatischen Habitus.

entschlossenes
nie

durch

Wesen wurde eine Anwandlung

wenigstens im letzten Jahr

von

Humor,

durch

irgendein

momentanes Behagen gemildert. Alles Idyllische war ihm fremd und fast unverstndlich; darum konnte er z. B. zu Fechner, zu Homer kein rechtes Verhltnis gewinnen. Hingegen verehrte
er

Goethe, der

wenn

er

auch

als

Naturphilosoph

Monist war

in

seinem gewaltigsten Werke den ethischen


hat, auerordentlich hoch.

Dualismus dargestellt

Weininger
Er sah
stieg zur hchsten

hat sich selbst fr einen Verbrecher gehalten.

in allen seinen geistigen

Bestrebungen, in seinem Auf-

Hhe der Welterkenntnis einen Kampf gegen das Nichts" des Verbrechers. Er fhlte in sich einen ungeheuren Antrieb zur Lge, zur Grausamkeit, selbst zum Mord. Unmittelbar
vor seinem freiwilligen Tode hat er aufgeschrieben: Ich morde

mich

selbst,

um

nicht einen anderen

morden zu mssen." Die

fters

schon bezwungene, damals aber unbezwingbare Furcht vor den


unheimlichen Mchten in ihm selbst hat ihn in den Tod getrieben.

Weininger,
alles

der unvergleichliche Selbstbeobachter,

sagt

das

aus,

nicht einmal,

sondern hunderte Male und durcL

Jahre hindurch.

Und doch

sind wir

kaum

imstande, es zu

gisvctJen.

Der Mensch, der Tag und Nacht mit unermdlicher Ausdauer die Wahrheit gesucht hat, soll im innersten ein Lgner; der das Leben im Sonnenstubchen bewundert, ein Mrder sein.
Freilich

knnte er solche Anlagen besessen haben; aber sie wren durch entgegengesetzte Willensrichtungen hundertfach berkompensiert gewesen. Oder waren sie blo gebndigt und
drohten
sie,

nach jahrelanger Unterdrckung, mit erneuter Kraft

hervorzubrechen?

Hat

die

schwer verdrngte Naturanlage


alles

in

einem schwachen Augenblick wieder

zurckerobert?

Ich wei es nicht und niemand kann es wissen. Ich glaube

aber eher folgendes: Weininger, der so vieles

in

sich trug,

Vorwort.

XV

konnte sich mit der grten Leichtigkeit auch in die Seele des
Verbrechers versetzen.

Er hat gewi

bei

seiner

universalen

Veranlagung
es

alle Instinkte

des Verbrechers mitempfunden. Muten


Seine

deshalb

ursprngliche Triebfedern sein?

Gefahr war
der

vielleicht

gar nicht einmal das Verbrechen,

sondern
ist

im

weitesten Sinne aufgefate

Irrsinn?

Es

bekannt, da die

Erscheinungen des Irrsinnes und des Verbrechens zum Teile


parallel
laufen.

Irrenrzte

beziehen

gerne alles auf Geistes-

krankheit,

Moralisten auf Snde; Philosophen nennen bald den

Irrtum eine Schuld (Descartes), bald die Schuld einen Irrtum


(Spinoza).
Natur,

Weininger
durch

neigte

durch seine stolze und aktive


alle

sowie

das

Bedrfnis,

Erscheinungen

im

innigsten

Zusammenhange zu

sehen,

von vornherein zu einer

ethischen Weltanschauung; denn nur dort erscheint

Weltall in einer wirklichen Einheit, nur dort


sein

ist

Mensch und der Mensch


Disposition

eigenes

Werk.

So knnte er denn die Strungen seines


dieser

seelischen

Gleichgewichtes

ursprnglichen

zufolge moralisch ausgedeutet haben.

Und

der stetige

Hang zur
es nichts

Lge, zur Tyrannei, die Mordlust


anderes als

vielleicht

waren

Zwangsvorstellungen. Die Furcht, zum Mrder werden zu mssen, die ihn in den Tod trieb, ist wahrscheinlich eine Phobie gewesen. Dann wre er dem weiten Gebiete der Geistesstrung zum Opfer gefallen. Jedenfalls hat ihn das Chaos, dem jahrelang trotzend er sich in strahlende Hhen geschwungen hat, zum Schlsse berwltigt: mag es nun dieses
Chaos oder jenes gewesen
sein.

Von
stze

psychiatrischer

Seite

ist

bezeichnet worden. Mit dieser Diagnose hielt

Weininger als hysterisch man seine Grund-

fr widerlegt. Ich begreife die Folgerung nicht; denn angenommen, da er neuropathisch (hysterisch ist ein sehr schwankender Begriff) war, so knnen hiedurch nur die sub-

jektiven Gefhlswerte tangiert worden sein. Beobachtungen und

Gedanken sind

objektiv,

sind entweder richtig oder falsch;

der
ist,

Zustand der Nerven hat, wofern das Bewutsein ungetrbt


keinen Einflu darauf.
nicht

Und ob

das Leben lebenswert

ist

oder

solche

und hnliche Fragen, die von den Nerven ab-

XVI
hngig
worten.
sind,

Vorwort.

mu ohnehin

jeder

Mensch

fr

sich selbst

beant-

Weinin ger
war
ist
,

hat immer die Gefahr vor sich gesehen. Daher


die

die

Furcht

Furcht vor sich selbst

ein konstitu-

tiver Bestandteil seines Seelenlebens, i)

Unter solchen Gefhlen

Ernst des Buches spiegelt


die Unfreiheit

Geschlecht und Charakter" entstanden; der ungeheure sie wider. Im Mittelpunkte steht
und
die

Unwahrheit, beziehungsweise der Irrtum,


liegt; ferner

der aller Erotik zugrunde

der Begriff der Kuppelei

das vergebliche Streben des Nichts,


Unsittliche in
darin, da er

zum Sein zu gelangen. Das der Erotik liegt nach Weininger fr den Mann den Wert auf ein anderes Wesen projiziert, statt
fr
will,

ihn selbst zu verwirklichen;

die Frau,

da

sie

durch die

Liebe erst Leben empfangen


zweiter

da

sie also ein

Leben aus

Hand

lebt.

Die Sexualitt trennt

Weininger vollkommen

von der Erotik. Er selbst war im hchsten Grade erotisch und


sinnlich,

doch lebte er in der letzten Zeit vollkommen keusch.


ist

Charakteristisch

sein

eigenes Urteil

ber Geschlecht und

Charakter"

Was

ich hier gefunden habe, wird keinen anderen

so schmerzen wie mich selbst." Oder:

Todesurteil; entweder

trifft

es das

Das Buch bedeutet ein Buch oder dessen Verfasser."

ber

seine Produktion

im Gebiete ethischer Probleme bemerkt

er: Die

Ethik wird einem nicht geschenkt." Gute Menschen

haben immer eine flache Ethik."


in der

Er

meint,

da die Erkenntnis
ist.

Moral nicht ohne innere Kmpfe zu erlangen

Weininger Gewalt erlebt. Darum


Otto

hat den ethischen Dualismus mit seltener

ging ihm alles besonders nahe, was


ist:

vom

Geiste des Dualismus erfllt

die

Lehre Piatons und Kants,


da noch niemand
so
tief

vor allem aber das Christentum, 2) dem er mit leidenschaftlicher

Verehrung anhing.
die Persnlichkeit

Er war
und
die

fest

berzeugt,

Motive Jesu Christi

ver-

standen habe wie


1)

er.

Der Gedanke der universellen Verantist

Bemerkenswert

liiebei,

da

Weininger
trat

auerordentlich viel
seiner

auf persnlichen Mut


2)

hielt.

Er war von Geburt Jude und


102)

am Tage

Promotion

(21. Juli

zum Protestantismus

ber.

^
wortlichkeit:
des
alles

Vorwort.

XVn
als

Bse der Welt


sich

die

eigene Schuld zu

empfinden, ging ihm auerordentlich nahe.

Denn das Moralische

Menschen

gibt

zuerst

im Verantwortlichkeitsgefiihl

kund; dieses aber wchst proportional mit dem Reichtum und


der Gre der seelischen Veranlagung.

Im

sittlichen

Genius um-

spannt es die ganze Menschheit.

Der Mikrokosmos-Gedanken erscheint hier auf ein ethisch-religises Mysterium bezogen: wenn der Mensch ein mehr oder minder deutliches Abbild des
ist

Alls

(Leibnitz),
alle

so

existiert

in

jedem einzelnen,

virtuell

oder aktuell,
ferner

berhaupt vorhandene Schuld.


hinzog,

Was
die

ihn

zum Christentum

war

die strenge

Scheidung von
groe
die

hherem, ewigem und niederem, zeitlichem Leben;


Vorstellung
(Lasset die

Bedeutung, die der Glaube an den Sndenfall hier erlangt;

vom inneren Tode

bei

uerlich lebendigem Leibe

Toten ihre Toten begraben).


fate

Alles

Leiden

ist

auch fr
jeder

Weinin ger durch verschuldet. Den Sndenfall


Mensch hat

einen metaphysischen Akt selbster durchaus individuell auf:

seine eigene Erbsnde";

darum

ist

auch die

Erlsung fr jeden auf einem anderen


Als Geschlecht und Charakter"
verdsterte sich die

Wege

zu suchen.

gerade erschienen war,

Stimmung Weiningers im hchsten Grade.

War

es berarbeitung?

War

es

die

durch das Wegfallen der

ablenkenden Arbeit von neuem auftauchende qulende Selbstbeobachtung? Oder war es die berlegung, da trotz seiner von
heiligem Zorn erfllten Schrift die Welt im alten Geleise weiterrollen
alles

und die alten Gtter anbeten wird? Vielleicht war es


zusammen.
bereits

Nach
der

seiner

eigenen Meinung hat ein pltz-

liches

moralisches Sinken die Depression verursacht.

Er

hatte

sich

vor

Ausarbeitung

von

Geschlecht

und

Charakter" mit Selbstmordabsichten getragen; jetzt fhlte er sich wieder als der alte, der sich blo einige Zeit lang selbst
vergessen hatte.

Damit beginnt eine Zeit schwerster

seelischer

Leiden fr

ihn.

Er

wollte auf

dem Wege der Selbstbeobachtung

die inneren Qulgeister verjagen, durch Konzentration des

ganzen Bewutseins auf einen Punkt die antimoralischen Triebe ausmerzen.


Weiningar, ber
die letzten Dinge.
2.

Aufl.

|)

XVIII

Vorwort.

Trotz aller Anstrengungen ging es immer schlechter; die

vollkommene Bewutheit, welche die unheimlichen Mchte in ihren dunklen Schlupfwinkeln beleuchten und hierdurch in die
Gewalt der Willenssphre bringen
sollte,

stellte sich nicht ein.

Im

Gegenteil,

die

nihilistischen,

chaotischen Instinkte wurden

immer selbstndiger, i^mer weniger der Selbstbeobachtung zugnglich, je mehr man sie suchte. Und doch war dies das einzige Mittel, ihrer Herr zu werden: Fremdkrper im Bewutsein, muten sie der Einheit der Persnlichkeit assimiliert werden; dann waren sie als Fremdkrper vernichtet, als unendlich reiche
Erkenntnis aber dem Subjekt gewonnen.
Bewutheit sind dasselbe.

Denn

Sittlichkeit

und

Es

ist

sicher,

da

Weininger damals

fast

immer der

Verzweiflung nahe war; aber trotzdem bewahrte er sich die


moralische Kraft, den Glauben an die Mglichkeit seines Sieges
bis zum Tode aufrecht zu halten. Diesen letzten, schweren Sommer hat er in Italien verbracht. In Syrakus schrieb er den grten Teil des vorliegenden Buches nieder. Dann hielt er sich in Calabrien
auf,

besuchte Casamicciola auf der Isola d'Ischia,

sah sich auch


hat er fast

Rom und

Florenz an.
gesprochen;

ber
doch

seine Eeiseeindrcke

gar nicht

lassen

seine

Briefe

erkennen,
ihn

da Syrakus und
haben.

Rom

eine

mchtige Wirkung auf

ausgebt

In

den

letzten

Tagen

des

September

kehrte er nach Wien zurck.

Seine Stimmung wurde von

Tag

zu Tag verzweifelter.
selbst

Die vielen vergeblichen Versuche, seiner


erschpft.

Herr zu werden, hatten seine Kraft

An

Stelle

der frheren Kampfnatur war ein scheues, in jedem Worte und

jedem Schritte unsicheres Wesen getreten. Er wollte noch immer


kmpfen, und fand die Kraft nicht mehr dazu. Ein abgrndlicher

Pessimismus
imstande,
die

brach

ber

ihn herein.

Trotzdem war er noch


niederzuschreiben;
weit-

Letzten

Aphorismen'

tragende

Gedanken,

denen

keine Spur von

Geistesverenthalten.
i)

wirrung
')

anhaftet; die nicht ein unberlegtes

Wort

Allerdings waren viele der Aphorismen in einer Art Geheimsprache

abgefat, welche nur der durch langen persnlichen Verkehr Eingeweihte verstehen konnte. Alle derartigen Stellen sind daher in der zweiten Auflage

Vorwort.

XIX
sogar

Ja,

Weininger

bekundet

hier

noch

einmal

groe

und erkennt, da auch sie nur Ausdruck der Eitelkeit, Knpfung des daher irdische Tuschung und nicht Wertes an die Person
Kraft,

indem er auf

die Individualitt Verzicht leistet

metaphysische Realitt

ist.

Als er den Entschlu gefat hatte, sich zu tten, verlie

Wohnung seiner Eltern und nahm sich ein Zimmer in Beethovens Sterbehaug. Er verbrachte dort eine Nacht; in der machte er seinem Leben durch Frh am 4. Oktober 1903
er die

einen Schu in die Brust ein Ende.

Briefe

Es seien an dieser Stelle noch Weiningers wiedergegeben.


G.:

einige

charakteristische

Aus den Briefen an Herrn A.

Mnchen, 29. 7. 02. Mnchen hat noch keinen groen Mann hervoralle

gebracht:

angezogen, keinen festgehalten.

Ich

komme

eben aus der Schack-Galerie. Dort hngt eine Kopie des groartigsten

Bildes

der Welt,

des Jeremias von Michel Angelo.

Ich habe bisher nicht gewut,

da es so etwas geben kann,


"

da von einem Bilde so viel ausstrahlen kann.

Dresden,

12. 8. 02.

Ich habe jetzt die berzeugung, da ich doch


bin.

zum

Musiker geboren

Noch am ehesten wenigstens. Ich habe


und die mich mit einem starken

heute eine spezifisch musikalische Phantasie an mir entdeckt,


die ich mir nie zugetraut htte,

Respekt
gesehen.

erfllt hat.

Ich habe jetzt die leibhaftige sixtinische


ist

Sie

Madonna
nicht

schn.

Aber nicht bedeutend;

groartig, nicht irgendwie erschtternd.

Und

die Leute davor!

Ich habe mich herzlich amsiert. Es gibt weit hervorragendere


Bilder hier.

Einen

hab' ich entdeckt,


"

einen tiefen

Kenner

des "Weibes: Palma vecchio!


weggelassen worden, so
ihres frheren

da die Letzten Aphorismen" zu einem Drittel

Umfanges reduziert wurden.


b*

XX
Fredrikshaven
,

Vorwort.

(Nordspitze Jtlands), 21. August 1902.

Ich habe also jetzt 14 Stunden Seefahrt hinter

mir,

darunter fast die ganze Nacht auf Deck zugebracht, bei

ziemlichem Sturme und bis 4


fest!

hohen Wellen; und bin seehatte. Ich glaube,

wie

ich's

von mir nicht anders erwartet

durch nichts kann die durch die Seekrankheit.

Wrde

des Menschen so leiden wie

Bezeichnend
"

genug

ist's,

da die

Frauen

alle seekrank werden.

Syrakns,

3.

August 1903.

bin
ich

Statt

in

Ancona auf
Neapel,

ein Schiff lange zu warten,

ber Rom,

Messina,

Taormina (einen der


hierher gereist.
die groartigste

schnsten Punkte der Erde), In

Catania (tna)

Rom

hrte ich den Trovatore, in

dem
ist

Darstellung des Herzschlages sich findet, und bin mehr als je

der Meinung, da Verdi ein Genie gewesen

hier hrte ich

vorgestern abends in einer zauberischen Gegend,


des

am

Strande

mondbeschienenen jonischen Meeres,

zwischen der pa-

pyrusbestandenen Quelle Arethusa und den Segelschiffen des


Hafens, von der Corso-Militrmusik die
spielen.

Cavalleria

rusticana

Als er die schrieb, damals war Mascagni gro. Ich habe


jetzt die

ganze Gegend gesehen,

in der sie spielt, bin

unweit

Francofonte gewesen, und habe mich sehr gefreut, wie voll-

kommen
ber die

richtig ich sie mir vorgestellt hatte: das


(la cirasa).

Getreide

Es

ist die

fruchtbarste

blondeste Gegend Europas.


ich reiche Be-

sizilianischen Duelle der

Bauern habe

lehrung gesucht und gefunden, und ber eine Art selbst den
Unterricht eines Ziegenhirten genossen, der wirklich und wahrhaftig auf der selbstgeschnitzten Syrinx blies

allerdings,

und

zwar sehr

schlecht, eine Melodie aus

dem Barbier von

Sevilla,

die gar nicht an den Ort pate.

Beneide mich aber nicht

zu sehr, auch wenn

dich,

was

ich dir hier schreibe,

noch so
Hier

sehr mit Sehnsucht erfllen

sollte.

Syrakus

ist die

eigentmlichste Gegend der Welt.

kann

ich nur geboren

werden oder sterben

leben nicht.

"

Vorwort.

XXI
die imposante

Auf dem tna hat mir am meisten


losigkeit des Kraters zu

Scham-

denken gegeben. Ein Krater erinnert


ich dir

an den Hintern des Mandrill.

Zur Beschftigung mit Beethoven rate

nur sehr.

Er

ist

das absolute Gegenteil Shakespeares, und Shakespeare


ist,

oder die Shakespeare-hnlichkeit

wie ich immer mehr sehe,

etwas, worber jeder Grere hinauskommen

mu und

hinaus-

kommt.
bei

Bei Shakespeare hat die Welt keinen Mittelpunkt,


sie einen.

Beethoven hat


Syrakus,
19.

August 1903.

DieBeilagen,auer der gewhnlichen Ansichtskarte,') sind:


2 Blten einer Papyrusstaude,
1 Stckchen Bast aus dem Stamme derselben was du dem Umstnde zuzuschreiben hast, da die Schiffer des Euderbootes, auf welchem ich den papyrusbestandenen Flu Anapo bis zur Quelle, der berhmten Cyane, fuhr (was ich dir [und zwar ebenfalls im Boote] unbedingt anrate, wenn du nach Syrakus kommst), gegen meinen ausdrcklichen Willen und ohne mein Wissen eine Pflanze abschnitten.

Die andere Ansichtskarte


Ansicht
Sttte,

ist

eben aus dem hier wach-

senden Papyrus selbst hergestellt und bietet eine sehr schlechte


der Ruinen des alten griechischen Theaters, jener

wo der Sonnenuntergang unter

allen Punkten, die ich

kenne,

am

ehesten zu ertragen

ist."

Aus den Briefen an mich:


Casamicciola, Isola
Es steht
viel

d'Ischia.

schlimmer,

als

ich selbst

noch vor zwei

Tagen

dachte, beinahe hoffnungslos."*)

Sorrent
Die Schlange
ist

das Symbol der

Lge

(gespaltene Zunge,
;

Hutungen, ihr Kriechen Gegenteil des Vogelfluges die Schlange


1) Du mut dir die Huser ganz gelb (wie Schnbrunn), das Meer vollkommen blau und absolut wolkenlos den Himmel denken. 2) Zur Zeit der Vollendung von ber die letzten Dinge" in Syrakus.

XXII
als

Vorwort.

der [innere] Feind

des Vogels)

Fr

die Griechen hat

es

im engeren Sinne keine Einsamkeit und kein Zeitproblem


ist

gegeben. Zwischen den Griechen und Beethoven


lichkeit,

eine hn-

indem bei beiden die Welt einen Mittelpunkt hat;


Licht.

absolutes Gegenteil Shakespeare.


unpolarisiertes

Es ist dort polarisiertes, Das Gegenteil des Mitleides ist

hier
bei

Shakespeare nicht Grausamkeit, sondern Stumpfsinn

Neapel.

Das
haft
ist,

Lamm
nmlich

ist

das frmmste Tier, obwohl es auch sndfeig;

mde und

Trgheit und Feigheit sind

verwandt, ebenso Flei und

Mut
dem Krmpfe

Hat das Erdbeben


des Epileptikers?

nicht Verwandtschaft mit

Der Ausspruch: ,Dir wird schon noch einmal


Gotthnlichkeit bang", deutet

bei deiner

darauf hin,

da Goethe auch

einmal Gott werden wollte, und sich spter beschieden hat.

Sind die Pferdebremse (die brigens eine gewisse sadi-

und der Floh und die Wanze auch von will und kann man nicht annehmen. Sie sind Symbole fr etwas, wovon Gott sich abgekehrt hat, spiegeln dem Menschen gewisse Dinge in ihm selber wider,
stische Schnheit hat)

Gott geschaffen?

Das

gleich wie das

Meer den Himmel

widerspiegelt.

Aber wenn
ist,

das Stinktier und der Schwefel nicht von Gott geschaffen


so
entfllt

auch das prinzipielle Bedenken beim Vogel und


:

beim Baume
fllung,

auch diese sind nur Symbole von Menschlichem,

Allzumenschlichem;
statt

sonst wre ja irgendwo Vollendung, Erimmer blo Erscheinung. Gott kann in keinem dieser Einzeldinge stecken, denn Gott ist das Gute; und Gott schafft nur sich selbst und nichts anderes.

Die Russen sind das ungriechischeste

aller Vlker.

Vorwort.

XXIII

Die Windungen der Schlange sind symbolisch fr die


windungsreiche Biegsamkeit des Lgners.
Alle Krankheit
sein mu.

ist

hlich;

darin

liegt,

da

sie

Schuld

Das Anbellen und Wieder -Zurckprallen des kleinen Hundes ist das furchtsame, kleine Sakrileg, das sofort Kehrt macht und um Gnade winselt, und nicht einmal verzweifelt ist
wie der Mrder.

Die Diskontinuitt im Zeitverlauf

ist

das Unsittliche an

ihm; deswegen gibt es auch keine Heiligkeit von Fall zu Fall.

Alle Sittlichkeit ist schpferisch;


nicht

darum

ist

der Verbrecher

arbeitsam und nicht produktiv (er hat keinen Willen


die Sittlichkeit des

zum Wert). Wre

Weibes

echt, so

mte

sie schpferisch sein.

Der Selbstmord
Feigheit,

ist

kein Zeichen von Mut,

sondern von

wenn auch unter den Feigheiten

selbst die geringste.

Neapel.
Die Furcht
ist

die

Rckseite alles Willens. Vorwrts

Etwas, rckwrts Nichts.

Darum

ist

es unheimlich, auf einem

Weg, den man


gelegte

geht,

bei

pltzlicher

Umdrehung

die zurck-

Strecke zu gewahren (Einsinnigkeit der Zeit).

Ich

glaube also doch, da Furcht mit Unsittlichkeit verschwistert


ist;

nur wchst eben das Gefhl fr das Chaos, je mehr Kosmos


sein will.

man

Das Nichts

ist

der

Rand des Etwas; und wird

der Mensch

alles,

wird er Gott, so hat er keine Rnder und

keine Furcht mehr.


die letzte, grte

Aber wahrscheinlich hat er kurz vorher

Furcht zu besiegen ....

Wien,

den

6.

April 1907.

Dr.

Moriz Rappaport.

Inhaltsverzeichnis.
Seite

Vorwort
Peer Gynt" und Ibsen. (Enthaltend einiges ber Erotik, ber Ha und Liebe, das Verbrechen, die Ideen des Vaters und des Sohnes) Aphoristisch-Gebliebenes. (Enthaltend die Psychologie des Sadismus und Masochismus, die Psychologie des Mordes, Ethisches,
Erbsnde
etc.)

V
1

49

Zur Charakterologie.
Friedrich Schiller,
sifal")

Sucher und Priester, ber Bruchstcke ber R. Wagner und den ,,Par(Enthaltend:
77

ber

die Einsinnigkeit der Zeit und ihre ethische Bedeutung nebst Spekulationen ber Zeit, Baum, "Wille berhaupt

ber rcklufige Bewegungen Das Zeitproblem

93 95
101

Anhang Metaphysik. (Enthaltend


brechers] etc.) Metaphysik

109
die Idee einer universellen

Symbolik,

Tierpsychologie [mit ziemlich vollstndiger Psychologie des

V ex111

113

Psychologie des Verbrechers


Tierpsychologie: Der

115
121 124

Hund

Das Pferd
Allgemeines
Pflanzen

126 128
129
131

Anorganische Natur

Die Kultur und ihr Verhltnis zu Glauben, Frchten und Wissen Letzte Aphorismen

173

Peer Gynt"

und

Ibsen.

(Enthaltend einiges ber Erotik, ber Ha und Liebe, das Verbrechen, die Ideen des Vaters und des Sohnes.)

Weininger, ber

die leteten Dinge.

2. Aufl.

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung


Peer Gynt".
(Zum
In
75.

Geburtstage des Dichters.)

dem

Verhltnis, das wir zu den


wii'

Werken

eines Knstlers
:

guttun, ein Mehrfaches zu unterscheiden ob wir Gedanken darin finden, die uns aufklren, eine Lsung, die uns befreit, eine Form, die uns befriedigt und dem Gegenstande angemessen erscheint, Fertigkeit, die wir dem Schpfer neiden, Phantasie die wir lieben oder frchten knnen; und anderseits
haben, werden
all

das,

Werk gedrungen
stalter,
es,

was von ihm selbst in all seiner Subjektivitt in sein ist, von ihm nicht als groem Denker und Ge-

sondern als genielosem Menschen. Und wohl scheint wre gerade dieses Element bestimmend fr den Stil" seiner Kunst. Stil", d. h. einen eigenen Stil; ihren Stil finden
als
freilich

nur geniale Menschen, aber die Unterschiede im

Stil

entstammen den sonstigen Unterschieden ihrer Eigenart; und je nachdem diese der unseren nher oder ferner steht, danach bemit sich unser gefhlsmiges Verhalten zu dem Knstler
ihr endgltiges Urteil ber ihn.

fr die groe Masse der Menschen ausschlielich danach auch

mu man in Betracht ziehen, um das Verhltnis zu welches die heutige Generation und ihre Wortfhrer zu Ibsen haben. Seine Sache ist keine Sache mehr, fr oder gegen die man sich ereifert. Er ist ein Moderner", und doch
Dies
begreifen,

er

gar nicht Mode". Jeder hat ihn lngst gelesen, den einen hat merkwrdig angezogen, den anderen lie er khl, dem dritten war er uerst antipathisch; man wei, da er fr die Frauen

und gegen
ihn,

die Lebenslge ist",

und rhmt seinen Dialog.

Man

agitiert nicht fr ihn,

wie fr Goethe, und schimpft nicht auf

wie auf Schiller.

Ein Mann, dessen Bcher

um

etliche

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Pfennige zu kaufen sind,

fr den auch seine Lektre nur eine

kann von vornherein dem Kulturmob, Frage des mglichst raren


zur Befriedigung seiner kostspieligen
so verschroben diese

Meublements

ist,

kaum

geistigen Ausstattungsbedrfnisse dienen;

Erklrung der jetzigen Ibsen- Verachtung oder khlen Ibsen-Anerkennung scheint, sie ist nicht verschrobener als die Motivenreihen, welche heutzutage zur Thronerhebung und zur Absetzung der knstlerischen Gren zu fhren pflegen. Ein Zeitalter, das die
innere

Unruhe

seiner Pbelhaftigkeit

dumpf

als

einen Makel

nach Parvenuart krampfhaft sucht, glaubte dieses lieber rasch bei jeder Gre entbehrenden Idyllikern wie Gottfried Keller oder Theodor Storm zu finden, die es in einem Atem mit Goethe zu nennen ohne Furcht vor Gelchter wagen durfte, statt in wachem Mitrauen gegen sich selbst der inneren Arbeit an sich zu gedenken, einer Aufgabe, an welche es von Ibsen unangenehm sich htte erinnert fhlen mssen. Freilich hat dieser Knstler dreimal schwer kompromittiert zu werden das Unglck gehabt. Als junger Mann fiel er jenem dnischen Journalisten in die Hnde, der seine Bekanntheit zumeist dem Umstnde dankt, da er als der erste die Gene verloren hat, den Trieb seiner angeborenen Natur zu befriedigen, d. h. smtliche berhmte Mnner Europas zu interviewen, und dessen unglaublich flache Schnrednerei ber die Literaturstrmungen des 19. Jahrhunderts nur darum anziehen konnte, weil man lange genug unter der professoralen Literaturgeschichtsschreibung zu leiden gehabt hatte. Das zweite Verhngnis,
treffen

empfindet und ein

Gegengewicht

dem Ibsens Werke verfielen, war ihr zeitliches Zusammendem Verlangen der Frauen nach Zulassung zu den brgerlichen Berufen, eine Koinzidenz, die man fr mehr als zufllig hielt und kausal deutete. Es widerstrebte in begreiflicher Weise tieferen Naturen, fr einen Mann sich einzusetzen, der von den Frauen wegen seiner Anschauungen belobt wurde.
mit

Schlielich drittens bemchtigten sich des Dichters auch die mnnlichen Theoretiker der heutigen Kultur. Er wurde vom Sozialismus und von der Gattungsethik reklamiert. Es hatten immer jene Dichtungen Ibsens, deren Tendenz zum Teil eine zeitlich begrenztere ist, und die deswegen von vergnglicherem Wert sind, den meisten Staub aufgewirbelt, denn sie schienen von jenen Tagesstrmungen nicht unbeeinflut; und wie man in der zweiten

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Hlfte des 19. Jahrhunderts die letzten

Worte Faustens

in

immer

engere Beziehungen
pretierten
alle

zum Liede
beiderlei

der Ai-beit" brachte,

so inter-

Weiber

Geschlechtes den Schlu von

Klein Eyolf" als die Hoflftiung auf das Jahrhundert des Kindes".

Und

die andere Seite der Weiblichkeit, das Liebesleben",

kam

voll auf die

Rechnung durch jenes Drama, das den Namen Ibsen am bekanntesten gemacht hat, durch die Gespenster", an welchen auch der Darwinist seine Freude hatte, indem
sie

ihm

,nur die Anwendung" hygienischer Vererbungstheorien auf Schule und Haus in populrer Weise nach dem Abschreckungssystem zu geben schienen. Die Blasierten des Sozialismus endlich lieen
Ibsen
sein
als

noch

unklaren und wenig entschiedenen Vorlufer

den Phrasenhelden beider Richtungen anstig, so war er den Symbolisten selbst zu wenig Stimmungsmensch, zu logisch, zu kalt. All dies kam zusammen, um jene gelangweilte, mimutige Stimmung zu erzeugen, in der man den Namen Ibsen heute fast immer aussprechen hrt. Er bedeutet den Vorgeschrittenen eine
Nietzsches
gelten.

War

reicher Symbolismus

Trivialitt, eine dem klassizistischen Epigonentum entgegengesetzte Losung, die mit dem erkmpften Siege ber jenes ihren Dienst getan habe. Was er gesagt hat, glaubt man bis zum berdru verstanden und lngst inne zu haben. Er ist ihnen der Verknder

einer Zeit, die ohnedies bereits angebrochen, solcher Werke, die


bereits

Gemeingut der Wissenschaft seien: nichts aber ist einem Kunstwerk tdlicher als dieses. Und da ihn jeder kennt, und
einige seiner

Dramen

berall widerstandslos aufgefhrt werden,

trgt nur dazu bei, ihn der Vergangenheit zu bergeben.

Wer
sich
in

also

heute ber Ibsen noch etwas sagen

will,

sieht

einer peinlichen Lage.

Er

luft Gefahr,

sogleich sub-

sumiert zu werden unter jene Nachzgler, zu denen, wie das

Mode erst nach einer Reihe von Jahrzehnten dringt. Und wer gar in den Werken gerade dieses Knstlers, und vor allem in seinem gewaltigsten dramatischen Gedichte", dem Peer Gynt", Produkte nicht einer Zeit, sondern Schpfungen fr die Ewigkeit erblickt, der wei wohl fr wen, aber nicht recht, gegen wen er Zeugnis ablegt. Vor allem Eingehen auf den Gedankengehalt dieses Peer Gynt" soll noch ausdrcklich auf eine Auseinandersetzung mit jener so allgemein gangbaren Meinung verzichtet werden, welche
Fixsternlicht auf die Erde, die Weltpost der

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

in

dieser Dichtung

blo

eine Persiflage des

Norwegertums

er-

blickt, die eigentlich

verstndlich

sei.

nur fr die Landsleute des Dichters recht Gewi sind in den Peer Gjmt" Stellen und

Szenen geraten, die hnliches bedeuten. Der Held des Peer Gynt" ist aber die Menschheit berhaupt. Wer sich die Mhe nimmt, hier weiter zu lesen oder wer sich gar nachher den Genu bereiten mchte, die Dichtung selbst wieder zur Hand zu nehmen, dem wird jene Ansicht nicht anders vorkommen, als wenn jemand behaupten wollte, Goethe habe mit dem Faust nur eine Satire auf das deutsche Studententum schreiben wollen. brigens ist Ibsen wohl nirgends so wenig verstanden worden,
als

in

seiner

Heimat.

Dort,

Pan"

vielleicht

der schnste

wo man Knut Hamsun, dessen Roman ist, der je geschrieben

wurde, fr einen gewhnlichen Skribenten hlt und tief unter den talentierten Gar borg stellt, wo man stets nur Ibsen und Bjrnson" sagt, wo, wie speziell in Christiania, der Peer Gynt" vor einem Zirkus-Publikum in einer Weise dargestellt wird, die man beim besten Willen nicht anders als trottelhaft nennen
kann, dort
gelitten

mu Ibsen

haben.

allerdings furchtbar unter seiner Umgebung brigens hat er es ja in seinem Epilog selbst

zu verstehen gegeben, wie wenig er verstanden worden ist. Peer Gynt" ist ein Erlsungsdrama, und zwar der grten
eines,
als

um

es nur gleich zu bekennen. Tiefer


ein

und allumfassender
hinter
allen

irgend

Drama Shakespeares, ohne an Schnheit


an
sinnlichem

anderen Werken Ibsens berlegen, steht es an Bedeutung der Konzeption ebenbrtig neben, an Gewalt der Durchfhrung weit ber
diesen

zurckzubleiben,

Glnze

Goethes Faust" und reicht beinahe hinan zu den Hhen des Tristan" und Parsifal" von Eichard Wagner. Mit diesen drei

Dichtungen gemeinsam ist ihm die Stellung des MenschheitsProblems im allergrten Umfang und mit den allerunerbittlichsten Alternativen.

hat,

In der Bedeutung, welche das geliebte Weib fr den Mann der Zentralpunkt des Peer Gynt", und man hoffe nicht, diesen zu verstehen, ehe man sich nicht ber jene klar
liegt

geworden

ist.

Jene Bedeutung erinnert zunchst freilich wenig an den Parsifal" und den Tristan", eher an die Rolle der Frauen in Wagners ersten Dramen, dem Hollnder" und dem Tannhuser",

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

an Dante, an Goethe. Solveig

ist die Virgo immaculata, die geliebt, aber nicht mehr begehrt wird, die Madonna, die Beatrice. Der

Mensch jeder Mensch und darin liegt das groe Etsel der Liebe sowohl wie in kurzen Worten der eigentliche Sinn des ganzen Peer Gynt" ist eben nie so sehr er selbst als wenn er liebt. Die Liebe ist fr den Menschen eine Mglichkeit und wohl die hufigste, leichteste Mglichkeit, zum Be-

wutsein seiner selbst,


seiner

seiner Person,

seiner Individualitt,

Seele zu gelangen. Da er er ist, ein eigener Mensch, ein Mittelpunkt der Welt, und nicht in einem Empfindungsmeere treibt und untergeht: das kommt dem Menschen, wenn es ihm berhaupt bewut wird, und nicht wie den modernen Leugnern des Ich ewig unbewut bleibt, am hufigsten als Liebendem zur Abhebung. Darum macht die Liebe so viele Menschen zu Mystikern und hat selbst einen solchen Erfahrungsphilister wie Auguste Comte dazu umgewandelt. Die Philosophen gelangen zu jenem Akte, welchen sie (Schelng, Bahnsen, Maine de Biran,
Augustinus) als
intuitive

Selbsterfassung des Subjektes"

be-

zeichnen, eher durch das Bewutsein ihrer Einsamkeit im Welt-

von was sie hinanzieht, vor allem das Ewig -Weibliche" empfunden; wenn es auch das moralische Problem ist, das in gleicher Weise ihren wie der Philosophen letzten Klarheiten und letzten Dunkelheiten zugrunde liegt. Was den Peer Gynt" erlst diesen tiefsinnigsten Zug
den Knstlern wird
als das,

ganzen und durch die Reflexion auf das ethische Problem;

der Dichtung hat

man am wenigsten

begriffen

ist

nach Ibsen

und darin steht er an Wirklichkeitssinn hoch ber dem jungen

Wagner

nicht die lebende,

leibhafte Solveig,

die irgend ein

Gnschen sein mag; sondern es ist die Solveig in ihm, diese Mglichkeit in ihm, die ihm die Kraft dazu gibt. Diese Mglichkeit, durch Solveig und in der Liebe zu ir zu
beliebiges

hat er sein Leben lang Nur darum kann ihm Solveig sagen: Du, dein wahres (intelligibles) Wesen, warst bei mir dein ganzes Leben lang, als er sie oder vielmehr sich selbst in wilder Bestr-

seinem besseren Selbst zu gelangen,

vernachlssigt.

zung

fragt:

Wo war

ich?

Mit der Marke auf meiner Stirn, Mit dem Gottesfunken in meinem Hirn?"

ber Henrik Ibsen nnd

seine Dichtung Peer Gynt".

Ihm

selbst
:

war

einer Zwiebel

lauter

seine Existenz schon vorgekommen wie die Hute und kein Kern, lauter Attribute und

Modi und keine Substanz.

Man

interpretiert wird,

wird sich wundern, da hier Ibsen ganz philosophisch obwohl er gerade im Peer Gynt" ber die

deutsche (speziell die Hegeische) Philosophie sich lustig macht. Aber Ibsen gehrt zu jener Reihe groer Menschen, die kein sehr intimes Verhltnis zu dem vor ihnen Gedachten und

Gedichteten besitzen, ebenso wie etwa Zola, Knut Hamsun; ganz extrem vertreten diesen Typus z. B. Kleist und Shelley;
unter den Philosophen denke
besonders

man an Giordano Bruno und Kant,

aber an Descartes, Sokrates und Fechner; die

andere Art groer Menschen empfindet den Anschlu an eine hinter ihnen liegende Kulturvergangenheit stets als strkstes Bedrfnis ;! so in extremstem Mae Goethe, Wagner, ferner Grillparzer, Herder, die Romantiker berhaupt; unter den Philosophen Piaton, ^ Leibniz, Hegel, Nietzsche und fast

noch mehr Schopenhauer. Unter den Musikern drften Beethoven und Brckner der ersten, Schuhmann der zweiten Gattung angehren. Hiermit sind natrlich nur Pole bezeichnet, zwischen denen eine Menge vermittelnder Stufen liegen. Etwas Verwandtes mag auch der Carlyle-Emersonschen Unterscheidung zwischen dem Dichter" und dem Schriftsteller" vorgeschwebt haben, welche durch die neue Einteilung erweitert und schrfer begrndet scheint Welche tieferen Wurzeln dieser Unterschied in der Natur der beiden Abteilungen noch haben mag, dies bildet ein schwieriges Problem, dessen Lsung mir nicht gelungen ist. Ich sprach von Ibsen. Dessen offenbar mangelhafte Kenntnis der philosophischen Literatur kann bei seinem so starken und urwchsig tiefen Interesse an den ethischen Hauptproblemen wohl nur jenen Grund haben. Denn sonst mte Ibsen wissen, da seine Dichtung die Philosophie Kantens ist. Niemand anderer, nur Kant und Ibsen, haben Wahrheit und Lge als das tiefste ethische Problem erfat (von Fichte, der nur den unmittelbaren Nachla Kantens bernahm, kann ich mit gutem Recht absehen); niemand anderer auer ihnen hat erkannt, da Wahr1

Ohne darum weniger originell zu sein. Der immer Sokrates sprechen lt!

ber Henrik Ibsen nnd seine Dichtung Peer Gynt".

heit

Individualitt,

nur aus dem Besitze eines Ich im hheren Sinne, einer flieen kann: dies aber ist die Lehre des Ibsenschen Peer Gynt" nicht minder als der Kritik der praktischen Vernunft" niemand auer ihnen beiden hat die moralische Forderung in aller Strenge und Unerbittlichkeit, wie sie die innere
;

Stimme im Menschen tatschlich stellt, auszusprechen und so vor die Menschheit zu treten gewagt, whrend alle andere Religion, Philosophie und Kunst noch immer Kompromisse eingegangen sind. Alles oder nichts", das ist in gleicherweise das Wort Kantens wie des Ibsenschen Brand, und auch ihr Schicksal
ist

das gleiche bis auf das

Wort

igorist, mit

dem

alle

halben

und unaufrichtigen Naturen beiden geantwortet haben. Speziell das Problem der Lge hat ja Ibsen von Anfang bis zuletzt beschftigt, von der Komdie der Liebe" an ber Skule, den Volksfeind" und Hjalmar bis zu Gabriel Borkmans Freundschaft
mit Foldal.

Am

tiefsten aber ist er in seiner grten

Dichtung

gedrungen, im Peer Gynt".

Der Dr.

Begriffenfeldt,

in

dem man

so allgemein nur eine

Verspottung des deutschen Gelehrten erblickt, ist brigens wohl doch mehr als eine bloe Karikatur. Denn er erkennt sehr wohl
die ganze Hohlheit des Gyntschen Selbst (des empirischen Ich"), und wei, wo Peer Gynts Kaisertum einzig Geltung hat: im Irrenhause, bei den Verrckten, denen Vernunft (wieder im Kanti-

schen Sinne) berhaupt gebricht.^


Ibsen wei (und
zige,

wenn

er es auch nicht in Begriffen lehrt,

so zeigt es klar seine Darstellung des Peer Gynt), da das ein-

was einem Menschen Wert verleiht, der Besitz eines (intelliPersnlichkeit ist, und da aus dem Mangel eines solchen in einem Menschen das Bedrfnis entsteht, sich Wert von anderswo als aus sich selbst heraus beizulegen. Da der Wille zur Macht unendlich tief in allem Lebenden liegt, ist gewi eine groe und ber der allzu starken Beachtung seiner Zchtungsideale lange nicht genug gewrdigte Erkenntnis Nietzsches. Was aber speziell den Menschen betrifft, so ist das allertiefste in diesem und sein letzter Unterschied von dem Tiere, wie ich glaube, nicht der Wille zur Macht, sondern der Wille
giblen") Ich, einer
1

Kein Mensch

ist je

ganz er

selbst, solange er

der gnzlich Betrte vermag zu glauben,

auf Erden lebt; nur da er ganz sich gefunden hat,

weil er nicht mehr sucht.

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gyut".

zum Wert. Aus dem


Bestreben, sich
alles

Mangel eines Wertes an


Hochstapelei im
der den Menschen,
ein

sich erfliet das

Wert von anderwrts zu


alle
ist es,

verschaffen; so entsteht

Renommieren,
konstituiert.

weiteren Sinne.

Der
als

Wille zum Wert


solchen
Fall der

und vor sich von einem anderen, vor einem anderen zu erhalten: man agiert stets vor dem nmlichen Forum, von welchem das Urteil kommt. Sicherlich aber, irgendwie und irgendwo, sucht, zum Unterschiede von den Tieren, deren Streben nur nach der Lust, der Befriedigung natrlicher Triebe geht, jedes menschliche Wesen mglichst viel Wert fr sich zu gewinnen. Peer Gynt, der noch keinen Wert in sich selbst hat, lernen wir demgem gleich im ersten Akte als Prahlhans und Aufsich nicht von sich selbst aus so
selbst

Frauen

Kann

Mensch
ihn

Mann und Weib, dies ist immer

der

Wert

geben,

sucht

er

schneider kennen.

Ibsen wei, da

der Besitz

einer Persnlichkeit

sich

im

Menschen vor allem


schen Gesetze
fehlt,!
in

offenbart durch das Bestreben,

dem

morali-

sich

nachzukommen.

Peer Gynt, dem, wenn


in sich

ich Schopenhauers

Wort gebrauche, der Schwerpunkt"

gert damit ins Reich der Trolle, deren Losung nur lautet:
sei

genug; denn einem Wesen ohne die dem entstammende Moral fehlt auch das Streben, dieses intelligible Wesen, das reineich, selbst ganz zu werden, es hat kein Bedrfnis nach Vervollkommnung, es kennt nicht jenen Progressus" nach dem ethischen Ideale hin, von dem Kant gesprochen hat, ohne viel verstanden worden zu sein. Sich selbst genug sind die Tiere. Darum verdiente Peer Gynt den Affenschwauz. Ibsen wei, da erst der Besitz eines Ich im hheren Sinne zur Anerkennung eines Du im anderen fhrt, zu dieser fundamentalen Bedingung jedes Altruismus, da Selbstachtung Voraussetzung der Achtung anderer ist und Individualismus also das gerade Gegenteil von Egoismus. Darum zeigt er uns Peer Gynt engherzig und selbstschtig. Der Mensch ist fr Ibsen wie fr Kant ein Mittelding zwischen Tier und etwas hherem, aus Dreck und Feuer, um
Troll,

dir selbst

intelligiblen Subjekte

1 Hat man woM beachtet, was fr einen Namen Ibsen fr seinen Helden gewhlt hat? Peer Gynt wie wenig Gravitation liegt doch hierin. Dieser Name ist wie ein Gummiball, der immer wieder von der Erde aufspringt.

ber Henrik Ibsen und

seine

Dichtung Peer Gynt".

11

Goethe, er

ist

zugleich

Lehm und

zugleich Bildner,

zu

zitieren.

Wird der

sittliche

um Nietzsche Gedanke siegen oder der

Mensch seelenlos, wertlos zugrunde gehen? das ist die Frage, die Ibsen mit der Person des Peer Gynt stellt. Die Menschheit wre ein miglckter Versuch der Gottheit und mte umgegossen werden, wenn sie ihrer Bestimmung Trotz bte bis zum Schlu", d. h. sich bis ans Ende untreu, unfolgsam erwiese im Dienste des ihr innewohnenden Hheren, des Logos, des Geistes, der Vernunft (im Sinne Kantens). Der Knopfgieer im Peer Gynt stellt, so unpathetisch als nur mglich, in Name und Haltung, die Gottheit, das bedeutet fr Ibsen wie fr Kant und Piaton die sittliche Idee, und ihre Ansprche an die Menschheit dar.
Du warst nur gedacht als ein blinkender Knopf Auf der Weste der Welt; doch die se milang."

Es ist

eine groartige Szene, wie Peer Gynt, auf den (wie eben
sittlich

auf die meisten Menschen) nur zweierlei

luternd wirkt, die

Liebe und der Tod, unmittelbar vor dem Sterben anfangt, nach dem Inhalte seines Lebens zu fragen, wie er die Erinnerungen eine nach
der anderen heraufntigt, die ihm vor ihm selbst beweisen sollen, da er nicht ganz verloren, sein Leben als nicht ganz zwecklos zu betrachten sei. Mit einer Kraft und Kunst, wie vielleicht ber-

haupt nirgends sonst

in der Weltliteratur, ist hier die

AUegori-

sierung durchgefhrt. Die Gestalten sind mit grter konomie

behandelt und haben nicht den geringsten Behang erhalten,


hierdurch ihre Existenz und Essenz zu legitimieren; sie leben

um
so,

da wir uns zu ihnen verhalten wie Kinder zu einem Mrchen: wir finden es selbstverstndlich, da sie kommen; so, da Ibsen darauf verzichten konnte, ihnen dem Abstrakten nherliegende Namen zu geben, die freilich ihren tieferen Sinn der Allgemeinheit verstndlicher gemacht htten. Der Knopfgieer ist das Gewissen, durch das fr Ibsen wie fr Kant und Sokrates das Gttliche (der Meister") zum Menschen spricht; und wie sein Gewissen fordert und fragt, sucht sich Peer auszuweisen mit seinem vergangenen Leben. Denn er fhlt sich noch gar nicht schuldig, er nimmt noch keine seiner Taten auf sich, er will vielmehr sich blo retten vor dem drohenden Anspruch des moralischen Gesetzes als ob man diesem gengen knnte, um dann etwas anderes zu tun, als ob man eine einmalige Ab:

12

ber Henrik Ibsen und seine Dichtng Peer Gynt".

Zahlung an es zu leisten und dann weiter nichts zu tun brauchte. Peer Gynt ist noch immer zu verblendet, um zu fhlen: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der tglich sie erobern mu." Aber es taucht in seiner Erinnerung nicht einmal das auf, wonach er nur sucht, um sein Gewissen zu beschwichtigen. Im Gegenteil. Er mu sich an den Dovre-Alten und sein Leben im Eeiche der Trolle erinnern. Den Affenschwanz hat er sich zwar nicht anbinden lassen, selbst ganz Tier ist er nicht geworden; er ist aber doch schuldig geworden im Reiche der Tiere, er hat mit der Tochter des Trollknigs ein Kind; und hat deren

Losung akzeptiert,

ist selbstzufrieden gewesen, statt sich strebend zu bemhen". Jetzt sieht er erst ein, da die Seele doch etwas anderes ist als die Sanktion des Leibes und seiner Begierden

aller

und Trgheiten, denen er frher mit prinzipieller Abweisung Bedenken (vierter Akt, Anfang) frhnte, ja, sich auf dieses Selbst alles zugute tat; da es wenig verschlgt, einen Finger zu
verlieren, etwas

vom empirischen Ich einzuben, wenn man um


konnte).

diesen Preis seine Individualitt behaupten kann (was er frher


nicht

begreifen
er
die

Denn was

hlfe

es

dem Menschen,

ganze Welt gewnne, und nhme an seiner Seele Schaden?" Er sieht jetzt ein, da das hhere Selbst mit dem niederen im Kampfe liegt, und da der vllige Sieg des einen der Tod des anderen ist. Du selbst sein, heit sich selbst ertten." ' Das alles mu er sich sagen und sich selbst verurteilen.

wenn

Nun

verfllt

er

darauf,

ob

es
als

nicht

seine

Bestimmung (des

Meisters Meinung", die er


sollen)

gerade gewesen sei, und jedem gegen jene andere Bestimmung zu fehlen, sie zu bekmpfen, ob er nicht wenigstens bse gewesen sei, wenigstens etwas, nur nicht verwischt, gemein, nichts. Aber nein, er hat auch da nichts bedeutet. Denn der Snder im wirklich groen
Stil

Aushngeschild" htte tragen prinzipiell und bewut in allem

gibt's

heutzutage nicht eben

viel."

Auch den groen Ver-

brecher kann er sich nicht glauben, und der Magere (der Teufel), dem er sich so gern verschrieben htte, um nur nicht nichts zu sein, wrde durch ihn wenig fetter werden. Die Napoleons

und

die
1

Don

Juans,

die
8,

Jagos und Hagen sind ebenfalls dnn

Vgl. Evang. Marci

es verlieren,

nnd wer

sein

3436. (,Wer sein Leben will behalten, der wird Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen,

der wird es behalten.")

ber Henrik Ibsen und seine Dichtong Peer Gynt".

13

geset, nicht blos die Heiligen. Hier sprt


die tiefe

man den ganzen Zorn, Verachtung des Dichters fr das Gros der Menschheit einmal durch. Sie soll sich gar nicht einbilden, der Hlle wert
ist; der Teufel ganz andere Leute da, nicht fr Affen und fr Schweine. Dem Gedanken des Satan, dessen Majestt sie lieber nicht beleidigen sollten, stellt er die Konzeption seines Knopfgieers gegenber. Den verdiene die Menschheit reichlich, der tue ihr not. Man denke an das Wort in der Apokalypse (3, 16): Ich wei deine Werke, da du weder kalt noch warm bist. Ach da du kalt oder warm wrest! We du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." Peer Gynt wre unsterblich in Gott" oder unsterblich in Satan" wenn er eine Individualitt, im Guten oder im Bsen, mit Bewutsein behauptet htte. Aber er ist berhaupt ohne ein Ich gewesen, welches ihn der Zeit entrckt, ihm ein hheres, vom physischen Naturgesetz der Geburt und des Todes unabhngiges Dasein und Fortleben verbrgt htte, er hat keine weie, aber auch keine schwarze Seele. Peer Gynt ist der Typus der zahllosen unter uns wandelnden, unmoralischen Menschen, die fr mora-

zu sein, die fr sie viel zu nobel, zu groartig

ist fr

lisch gelten, weil sie nicht antimoralisch sind, nicht

Gre genug

im Instinkt oder im freien Entschlu haben,


zu verneinen, die nicht

um

das Moralische

etwa nicht an das Gute und Wahre

glauben und einem erklrten Unglauben gem offen handeln, ihn durch die Tat dokumentieren, die Moral demonstrativ verhhnen, 1 sondern die selbst zu glauben vermeinen ohne
tiefe in-

nerliche Frmmigkeit. Sie sind also nicht Verbrecher durch die

Tat oder den Plan zur Tat, und doch Verbrecher an sich selbst, weil Betrger ihrer selbt, indem das Gebot, das sie halten, nicht wirklich ihnen vom Herzen diktiert ist; sie handeln legal und uerlich oft mehr als legal, aber ihr Motiv ist, ohne da sie es klar wten, nicht, da sie selbst, sondern da die anderen im anderen Falle die Achtung vor ihnen verlieren mten. Es sind also in Peer Gynt alle diejenigen mitgetroffen, fr welche stets der andere Mensch magebend bleibt, alle eigentlichen JehovahZur Annahme und Darstellung einer solchen Gre im Antimoralium Ibsen nicht untren zu werden. Ich selbst halte Gre im Bsen fr eine Fiktion (Geschlecht und Charakter, 1. Aufl.
1

schen war ich hier verpflichtet,


S.

235

f.).

14

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Anbeter

in

der Menschheit:

Jehovah

ist

ja nur die kolossale

Personifikation des

anderen Menschen,

soweit er auf Denken

und Handeln des Einzelnen Einflu gewinnt.^ Peer Gynt glaubte autonom da zu handeln, wo er am heteronomsten lebte (man vergleiche seinen Vortrag ber das Gyntsche Selbst im vierten
Akt), unerschrockener,
selbstherrlicher Individualist zu sein, da
er blo ein jmmerlicher

und feiger Egoist war.

Er hat also
Selbst,

nicht seiner zeitlosen Persnlichkeit,


sich

dem

wahi'en

die

Macht ber

eingerumt, er war schon lange

tot vor seinem Tod".

So frh^ findet sich bei Ibsen die Form, in

welcher der Grundgedanke seines letzten dramatischen Epilogs" auftritt, das Motiv des hheren ewigen Lebens, der Grundgedanke
der Lehre Christi als bestimmender Faktor seines Denkens und
Dichtens. Ohne Individualitt, ohne einen Wesenskern, der durch

das

Medium

einer unwirklichen Zeit die Dinge dieser

Welt nur

anschaut, keine Unsterblichkeit: Unsterblichkeit der Seele gibt es

nur fr Wesen mit Seele. Dann


Ausschutopf,
harrt
bleibt).

soll

der Peer Gynt in den groen

wo

er die

Form

einbt,

wo nur

die Materie be-

(wie

der

Metallwert umgeschmolzener
esoterische

Mnzen
des

erhalten

Ibsen berhrt sich hier auch, ohne die damals noch nicht

nach Europa
1

gedrungene

Lehre

Buddhismus
Kant
fr

Man

hat Ibsen, den grten und tiefsten Individualisten seit

einen Sozialethiker auszugeben, den Verfasser des Brand", der Sttzen der
Gesellschaft" und der Frau

vom Meer"

fr

die Oberhoheit der Gesamtheit

gegen

die Freiheit der Individualitt auszubeuten versucht. Sicherlich ist Ibsen

kein Verchter des Sozialen, der Idee der Gesellschaft, wie es jene modernen
Pseudo-Individualisten sind, die an der allgemeinen Identifikation von Indivi-

dualismus und Egoismus die Schuld tragen die ihre Unlust sich durch Phnomene wie Krankheit und Armut im Gensse der Tafel- und Bettfreuden oder auch nur im Eifer der Zeitungslektre und in der Wrme des Salontratsches stren zu lassen, mit dem Namen des zum Darwinisten ausgedeu;

teten Nietzsche decken. Ibsens Individualismus ist viel entschiedener, weil viel

geklrter als der Nietzsches. Jedoch pflegt Ibsen

jedem

seiner

Kommentatoren

auf Fragen, die eine Legitimation fr den Interpreten erreichen wollen,

ohne

Unterschied zu
zum

antworten,

da

er

ihn

am

besten von allen verstanden

habe, und so hat er es wahrscheinlich auch jener Auslegung gegenber, die ihn
Sozialethiker stempeln wollte, nicht der

der Verwahrung zu sagen.

Wie konnte man

aber auch den

Mhe wert gefunden, ein Wort Mann fr die Gat-

tungsschwrmerei in Anspruch nehmen, dessen Hauptproblem Wahrheit und Lge, das indi vi dual ethische Problem xar' iioxi^v, ist! 2 Wenn nicht schon frher (Catilina). Vgl. Schienther, Ibsens Werke,
Bd.
I,

1903, Einleitung S. 48.

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

lo

ZU kennen, mit deren Lehren ber das Schicksal des Menschen nach dem Tode. Man erinnere hier sich auch der Aristotelischen Auffassung der Seele als Form! Von furchtbarster Angst vor dem Vergehen nach seinem aller Ewigkeit baren Leben gepeinigt, erkennt Peer Gynt endlich in dem Gedanken an Solveig, was er htte sein knnen, und was er nicht gewesen ist. In seiner Liebe war er doch er selbst; und wie die Liebe ihn einzig ber ein jmmerliches Erdendasein

emporzutragen vermocht
dasein hinweggetragen

hat, so

wird er auch jetzt vom Erden-

in Liebe. Jetzt endlich geht er in ein

hheres Leben ein und kann sein Selbst rein behaupten


zugleich als der Tod.
sprochen,

aber

nicht auf Erden. Solveig erscheint ihm als altes Mtterchen, und.

Niemand hat

es noch in Begriffen ausge-

aber es liegt hierin eine unendlich tiefe, unbewute Erkenntnis des knstlerischen Genius Ibsens, dieselbe, die hinter
der Alraune der Kleistschen Hermannsschlacht" sich verbirgt,
die

vierter

dem Varus seinen nahen Untergang verkndet (fnfter Akt, Auftritt): das alte Weib hat eine geheimnisvolle
die

Beziehung zum Tode (man denke auch an


sell"

Rattenmam-

des Klein Eyolf"). Alles, was in einer engen Relation


ist

zum

auch nicht ohne Beziehung zum physischen Tode. Das Weib hat durch die Mutterschaft das intimste Verhltnis zum Erdenleben: also auch zum irdischen Tode. Die Furcht vor dem alten Weibe ist nur Furcht vor dem Tode. So kombiniert sich in der Solveig des letzten Aktes das
physischen Leben steht,
reine Selbst des Peer Gynt, das nicht ohne

Tod

des empirischen

Ich vUig ins Dasein treten kann, und das Sterben des letzteren
in

Und darum ist Solveig fr Peer Gynt der Peer Gynt. Der Knopfgieer mahnt, fordert, drngt; aber lauter, im Sonnenaufgang des Pfingstmorgens, ertnt das unsglich wundervolle Lied, das Wiegenlied der Solveig:
ganz einziger Weise.
Tod, darum stirbt

Jeg skal vugge dig, jeg skal vage Sov og drom du, gutten min! Ich will wiegen dich, ich will wachen Schlaf und trum' du, Knabe mein."

.
.

Peer Gynt

ist erlst.

Sein unsichtbares Selbst, das hhere Leben seines Geistes,

wie es sich in ihm nur in der Liebe zu Solveig offenbart hat,


behlt

am Ende

seines

Lebens dennoch den

Sieg.

16

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Es ist nun klar dieser Peer Gynt ist keine einzelne Person und kein einzelnes Volk. Der Mensch berhaupt wird in ihm gegeielt, der das Tier losgeworden zu sein glaubt, sich seiner Menschheit brstet, ohne auch nur zu ahnen, was diese be:

deuten
sich

sollte.

Der Affenmensch, in der Person des Dovre-Alten, beklagt darum ber die Ungerechtigkeit, da man ihn fr tot
Von den Tochterkindern, wie schon gesagt, Nach dem alten Grovater keins iiiPhr fragt.
Sie meinen, ich lebte gar nicht mehi,

ausgebe

Nur hchstens

in alten zerlesenen

Schmuckem."

Der Mensch
Kant dem

ist

aber fr Ibsen, wie fr alle irgend tieferen

und Seele, oder, in der Fassung, die Dualismus gegeben hat, phnomenales und noumenales Subjekt, empirisches Ich und intelligibles als Gesetzgeber der Moral. Die meisten Menschen aber wissen nichts von der Existenz einer Seele und bestreiten dieselbe, weil eben die groe Mehrzahl von ihnen bis vielleicht auf wenige Augenblicke ganz seelenlos lebt. Peer Gynt" ist die Tragdie des Menschen, der seine Seele sucht, und daher sicherlich die Dichtung, welche fr die grte Anzahl von Menschen (wenn nicht
Geister seit Anbeginn Leib
ltesten fr alle) geschrieben
ist.

Die Seelenlosigkeit
grte
Eolle.

spielt

in

der Dichtung berhaupt die

Anitra reprsentiert sie in der ausgebildetsten Gestalt, in welcher sie beim Menschen mglich ist. Sie ist das, was den Mann sinnlich reizt, ohne ihm zu hherer Regung

Gelegenheit zu geben, die kokette Puppe. In ihr ist nicht einmal ein Streben nach einem Selbst da, statt dessen lockt sie der

Manne,

glnzende Edelstein, wie eine Elster.' In Peer Gynt dagegen, dem ist ein Streben, wenn auch ein vllig mileitetes, ein

knnen, weil er fort und fort auf sein empirisches Ich huft, ohne sich hierdurch mehr als einen Scheinwert geben zu knnen, der jeden Augenblick von ihm herunterfallen kann, wie der Prophetenmantel. Dieses Wesen des Peer Gynt wird uns nun von Ibsen
Sich-Suchen, ohne
sich finden zu
viel

nur immer mglichst

> Die Frauen suchen Seele nur beim Mann, Bart und Muskelkraft, nicht fr sich selbst.

als

Sexualcharakter wie

ber Henrik Ibsen nnd seine Dichtung Peer Gynt".

17

und

dies ist eine der strksten

genialsten
sich

Zge seiner Dichtung

als

Wirkungen und einer der durch alle Wandlungen

Ibsen

bleibend und als ewig dasselbe gezeigt; denn durchdrungen von der unerschtterlichen Wahrheit, da es ein Konstantes gibt, das in allen Momenten des Lebens sich gleich bleibt, da der eigentliche Charakter eines Menschen sich nicht ndert Im ersten Akte sehen wir, wie Peer Gynt durch erfundene Geschichten sein Ansehen zu steigern mit krampfhafter Sucht bemht ist. Hier liegt ihm noch nichts an der Achtung vor sich selbst; blo die Miachtung von anderer Seite, die kann er nicht
stets gleich
ist

ertragen.

Er

schreit es selbst:
Knnt' ich mit einem
Griff,

wie ein Schlchter,

Aus der Brust

die

Verachtung ihnen reien!"

Aber in dem Augenblick, wo er dies ausruft, sprt er, da auer seinen Worten noch etwas da ist eine Stelle von

groartiger Unheimlichkeit, so kurz sie

ist;

er sieht sich um, als

ob ein hhnischer Zwerg zu ihm gemeint htte, das da, die Bewunderung anderer, sei doch nicht alles. Dies ist die einzige moralische Regung in Peer, bevor er Solveig kennen lernt. Im zweiten Akte heit die Losung voll Ironie: Am Reitzeug erkennt man die vornehmen Leute." ^ Denn hier hat Peer Gynt zur Rache allem Besseren abgeschworen das Phnomen der

verschmhten Einkehr, der zurckgewiesenen Reue, an deren Stelle immer gewaltsame Rckwendung zu den geopferten Kostbarkeiten tritt (Tannhuser nach dem Urte des Papstes) und nun hlt er sich schadlos in der vlligen Gemeinschaft mit der Natur und ihren aller Moral fremden Dmonen. Bewunderungswrdig ist diese absolute Immoralitt der Natur personifiziert durch jene drei Sennerinnen, die mit Peer Gynt buhlen. Hier hat Ibsen etwas geschaffen, was den Mnaden und Satyrn

der griechischen Mythologie keineswegs nachsteht. Die Begegnung mit der grn gekleideten Trollprinzessin, die

Peer nach dem Abenteuer mit den Sennerinnen hat, zeigt, wie sein Wille zum Wert mit dem der Prinzessin auf gleicher Stufe
1

Vgl. Schopenhauer,

Neue Paralipomena
ist.
2.

220.

Im

vierten Akte ergibt sich dann, da es trotz

dem Lauf der Jahre


'

bei dieser Parole geblieben

Weininger, br

die letzten Dinge.

Aufl.

18

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Am Reitzeug erkennt man die vornehmen Leute", in Losung finden sie sich. Sie erinnert an die Art, wie Goethe im , Faust" den Teufel von der Erweiterung des Ich zum Mikrokosmus sprechen lt:
steht.

dieser

..Wenn ich sechs Hengste zahlen kann, Sind ihre Krfte nicht die meinen?"

Solch ein Herr Mikrokosmus", wie ihn Mephisto wnscht, Peer Gynt ganz und gar. Aber die Illusion, die ihn aus dem alten Eber einen edlen Renner machen lt, ist nicht nur eine moralische, sondern auch eine logische, nicht nur ein von vornherein vergeblicher Versuch, den eigenen Wert durch fremde
ist

Bewunderung zu steigern, auf sein empirisches Ich um so mehr zu hufen, je mehr ihm sein intelligibles gleichgltig ist, sondern
auch eine vollstndige Umwertung der Wirklichkeit, eine willkrliche Mideutung der Erfahrung, die ihm nicht nur mit der Trollprinzessin, sondern auch mit dem Fellah des Irrenhauses im vierten Akte gemeinsam ist. Die Szene im Irrenhause wird hier schon vorbereitet: denn auch die unegoistische Anteilnahme an der Auenwelt, wie sie sich aus dem Wahrheitsstreben als
intelligiblen

Wissensdurst differenziert, fliet aus dem gleichen Wesen des Menschen, das in Peer so schwach ist.

Nur

insoferne ist die Auffassung der Person des Helden als eines Phantasten gerechtfertigt, und keineswegs soll Peer Gynt" die Karikatur des Dichters sein; alle Dichtung ist ja nur hhere Wahrheit, nicht anders als Religion, Musik, Philosophie. Die Tuschungen ber die Auenwelt, denen Peer unterliegt, sind nur die objektive Seite seiner inneren Tuschungen ber
selbst, sein mangelnder Wirklichkeitssinn eins mit seiner mangelnden Wahrheitsliebe: sie flieen beide aus der Identitt von Logik und Ethik, die eben beide im letzten hchsten Begriffe der Wahrheit als des hchsten Gutes kulminieren. Darum gibt es fr Kant nur eine Vernunft, die theoretisch und praktisch zugleich ist. Die Tiere entbehren ihrer; im Reich der Trolle mu daher Peer Gynt einen anderen Blick bekommen, es mu eine Operation an ihm vorgenommen werden, bevor er ganz Troll sein kann. Auch Lachen und Weinen, Jubel und Schmerz sind nur menschlich, nicht tierisch. Darum fgt der Trollknig hinzu, um Peer die Operation vom Menschen zu empfehlen:

sich

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

19

Bedenke, wie vie

Verdru und Plage

Du

hiedurch

los

wirst mit einem Schlage.

Und war nicht stets fr die beizende Lauge Der Zhren die Quelle dein klares Auge?"

weniger emphatisch, sentimental und kann es zuindem er die Menschheit in seiner Person bejaht, auch den Schmerz auf ich nimmt 1 und auf das Glck verzichtet? Aber so sehr Peer verblendet ist, so leicht ihm der Dichter
es

Kann

gleich wundervoller ausgedrckt werden, da der Mensch,

auf die Frage des Trollknigs, wodurch sich Mensch und Troll
unterscheiden, die Satire in den
einander,
Zoll fr
Zoll"

Mund
ist,

legen kann: Sie gleichen

so gerne Peer

Gynt seinen ber-

zeugungen abzuschwren bereit


Ich,

um

dafr die Sigkeiten der

Trollprinzessin auszukosten, so hat er doch noch den Rest eines

an dem auch dieser Aufenthalt im Reich der Trolle in der

Und darum weigert er sich, auf ewig den Trollen sich zu verschreiben. Das Aufflackern seines hheren Wesens in dieser Regung, diesem Gefhl, dem die Ewigkeit Mastab ist bei der Entscheidung, befhigt ihn
Zeit vorbergehen mte.
die Glocke

des Priesters

verstehen.

Wie

christlich der Sinn dieser

daraus, da erst jetzt,

im Tale zu vernehmen, ihren Ruf zu Dichtung ist, sieht man vor diesem Tone die Trolle gnzlich ver-

sinken mssen.

Im

dritten

Akte trumt er aber schon wieder von dem

Eindruck, den sein erhoffter Palast auf andere machen werde;

seinetwegen liegt ihm wenig an dem zu erstehenden Hause, den

anderen soll es imponieren. Man kann an diesem Punkte Ibsen mit einem Manne vergleichen, dessen Bedeutung ich nicht anzweifeln will, der aber, mit Unrecht, sicherlich von fast allen,

an welche man die Frage richten wollte, in groer Entschiedenheit ber Ibsen gestellt werden wrde, mit Friedrich Hebbel. Wie drftig, wie einseitig auf einen einzelnen Punkt sich beschrnkend, hat dieser in Gyges und sein Ring" das gleiche Problem behandelt, wie wenig tief ist er gedrungen, wie wenig Willen und Bedrfnis nach Tiefe in der Ergrndung des Mannes, der seine
* Erinnert sei hier an das tiefe und wahre Wort des Reiling in der Wildente" (5. Aufzug): Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslge, so nehmen Sie ihm gleichzeitig das Glck."

2*

20

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

schne Frau dem anderen zu zeigen nicht unterlassen kann, beweist Hebbel 1 in dieser Dichtung.

Sehr fein ist es von Ibsen erdacht, da er Peer Gynt sich selbst so oft in der dritten Person denken lt. So besonders in seinen Kaisertrumen, z. B. im ersten Akte:

Voran seinem Trosse,

Eeitet Peer Gynt auf goldhufigem Rosse.

Die Mhr hat 'nen Federbusch zwischen den Ohren, Selbst hat er Handschuh und Sbel und Sporen. Der Mantel ist lang und mit Taft ausgeschlagen,

Wacker Er aber

sind die, die hinter


sitzt

ihm jagen,
zu Pferde,

doch

Er aber strahlt zur Erde. Drunten die Leut' stehn, ein schwarzes Gewimmel, Ziehen die Hut' ab und gaffen gen Himmel. Die Weiber verneigen sich. Alle gewahren Kaiser Peer Gynt und seine Heerscharen. Nickel und Silber, ein blankes Geriesel, Streut er hinunter wie Hnde voll Kiesel."

am stracksten doch am hellsten

Diese Behandlung seiner selbst, dieser Verkehr mit sich


selbst in der dritten Person, hat sehr tiefe Wurzeln. Stellt

Peer
er-

Gynt hiermit

vielleicht ein Bild

auer

sich,

dem Verehrung

wiesen wird, und

identifiziert sich nachtrglich

mit diesem Bilde,


mentali zu

um

sich

dieser

Verehrung seiner Person

in effigie

freuen, sie in einer Reihe mit den anderen mitzuverehren?

Man

knnte diesen Zug so auffassen: Als die Verlogenheit seiner Eitelkeit. Das wre aber weiblich und Peer Gynt ist ein Mann. Das wre der Traum eines Mdchens von dem Grafen, der sie zu heuern kommen werde, sie vor allen ihren Gespielinnen. Das wre die Art, wie die Frau den Mann immer belgt, indem sie der Idealgestalt von Tugend oder von Huslichkeit, die Liebesbedrfnis oder praktischer Sinn ihn verlangen lt, zu gleichen vorgibt, zumindest die Uebereinstimmung nie in Abrede stellt. Peer Gynts Entsubjektivierung liegt tiefer. Sie entsteht aus dem Verzicht auf die Freiheit des Willens, der in der Abnegation
Die Bedeutung Hebbels, welche in anderen Dichtungen, in seiner und Genovefa", wie auch in seinen aphoristischen Epigrammen viel strker zum Ausdruck kommt, soll hiermit ebensowenig angetastet als die vielen Feinheiten von Gyges und seinEing" verkannt werden. Hebbel ist sicherlich grer als Schiller, Grillparzer, Lessing zusammengenommen; aber hinter Ibsen oder Wagner bleibt er weit zurck.
1

Judith"

ber Henrik Ibsen und

seine Dichtung Peer Gynt".

21

der Persnlichkeit

liegt.

Peer Gynt setzt sich selbst in funker steht unter der

tionelle
hat, in

Beziehung zu etwas anderem;


als Idee

empirischen Kausalitt, sobald die intelligible Freiheit aufgehrt

ihm
sie

ein Verhltnis

bestimmend zu wirken. So stellt er sich in der Gebundenheit zu den anderen Menschen, er


Zuschauer und Beifallspender, er
ist ihr

braucht

als

Sklave

gerade dann, wenn er ihr Kaiser zu sein glaubt. Napoleon war ein Poseur vor allen, die er beherrscht hat. Vielleicht war er, wenigstens in Augenblicken, als junger General, aufrichtig gegen sich selbst. Peer Gynt hat bis nun ein verlogenes Leben ganz und gar gefhrt, er war nie er selbst, er hat kein Ich und ist darum dritte Person. Aber jetzt ertappt er sich doch schon
auf seinen Lastern und leidet gleichzeitig aufs schwerste unter diesen ewigen Eckfllen in die gemeinste Eitelselbst zuweilen
keit;

wie ja

alle

Indes seine sndige

Selbstbeobachtung moralischen Charakter hat. Vergangenheit kommt wieder und wieder

herauf, ihre Folgen ziehen ihn hinab,

und er hat nicht die Kraft,


an Solveigs Seite eine
will er alle

fhlt nicht soviel Sicherheit in sich, ihr

VergangenMutter in den Tod hinber. Denn er mu vergessen, was ihn drckt". Seine Mutter ^ hat ihm gegenber immer die Moral und die Einsicht vertreten; nun entzieht er sich gleichsam selbst seinen Mutterboden. Vielleicht liegt auch hier keimhaft der Gedanke zugrunde, da er gerade in seinem
bessere Zukunft entgegenzusetzen.
heit tten:

Darum

Er

reitet seine

Verhltnis
*

zum Weibe

allein er selbst war.^

Eine der vorzglichsten Frauengestalten Ibsens, wenn auch ohne


Die Interpretation dieser Schluszene des dritten Aktes, die ich hier ist, ich fhle es, sehr gewagt und ich kann sie nur noch durch den

sonderliche Tiefe behandelt.


2

versuche,

Hinweis auf den fnften Akt sttzen, wo die Mutter dem endlich zum Bewutsein seiner Schuld gelangten Sohne ebenfalls als Anklgerin eben im Hinblick auf diesen Eitt erscheint. Aber diese Szene des dritten Aktes fr die naive Auffassung die leichteste der Dichtung mu in einer so durchaus symbolischen Tragdie doch auch einen tieferen Sinn besitzen. Sollte dieser sein, da in Peer jetzt der Egoismus des Patienten, des von eigenen Leiden Geplagten und darum fr die der anderen Achtlosen zum Vorschein komme? Da er an allen anderen Wesen rchen wolle, da ihm kein Glck mit Solveig beschieden ist? Ich kann es nicht ganz glauben. Auch schiene mir nur noch folgendes mglich. Ibsen, der in den Zeiten seiner eigentlichen hervorragenden Produktion durchaus Masochist ist (Beweis vor aUem die Nordische Heerfahrt" und Baumeister Solness"), war in seiner Jagend nicht

22

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

So sehen wir ihn denn im vierten Akte


sunken.
Aifen,

am

tiefsten ge-

Der Mensch
als

lebt

nun

in vlliger

Gemeinschaft mit den

welche sich das Trollpack des zweiten Aktes enddie

gltig entpuppt (absichtliche Wiederholung des Wortes: Der Alte

war schlimm,
Prophet.

Jungen sind Bestien");

ja

der Gyntismus

wird zur Losung der Menschheit

berhaupt: Peer Gynt wird

In dieser Eigenschaft bietet er alles auf, um von einem Mdchen beachtet zu werden und hierdurch etwas fr sich zu gewinnen. Am Ende erfllt sich nun gar sein alter Traum: Er wird Kaiser. Aber mit Schrecken mu er zuletzt gewahren, da er in einem Irrenhause steckt und der Kaiser der wahnsinnigen, vertierten Menschheit i^t. In dieser Szene im Irrenhause liegt wohl die grlichste Ironie, die frchterlichste Satire, auf die je ein Mensch verfallen ist. Peer Gynt im Verein mit den Irren, von denen dieser wie eine Feder ist, die nie zum Schreiben, sondein stets nur als Streu-

sand gebraucht wird, jener wie eiu Papier, das nie beschrieben wurde: ein unaufgeschlagenes Buch in seiner Mutter Scho, sich Das absolute als verdruckt erweisend, da es aufgemacht wird. Fehlen eines Ich und das damit verbundene vllige Fehlen eines Soll; den Menschen, der nicht mehr wei, was er i^t und danach
schreit,

gefhrt zu

von irgend jemand seiner eigentlichen Bestimmung zuwerden, die er selbst nicht mehr finden und nicht

aktiv mehr verwirklichen kann; die Verzweiflung daran, je das dies alles sagt in sein zu knnen, wozu mau geboren ist

seinen

wenigen wilden Rhythmen der Dialog mit dem Minister

Hussein.

Es ist nicht meine Absicht, einen fortlaufenden Kommentar zu der Dichtung zu liefern, in der mir so manche Einzelheiten gar nicht durchsichtig sind. Solche Unternehmungen haben, abgesehen von ihrem Umfange, immer zu viel Prtention und knnen
darum nur geschmacklos wirken.
frei

von sadistischen Zgen (in vielen der von ihm lange zurckgehaltenen Gedichten und in .Olafs Liljekrans", auch im Pest auf Solhaug" ist noch eine Spur von Sadismus). Es sind nun wirklich in den Peer Gynt des zweiten (Eaub der Ingride") und des ersten Aktes (Drohung an Solveig) sadistische Zge geraten; mglich, da Ibsen auch diese Zchtigung an sich vornehmen wollte. Fr den Charakter des Peer Gynt wre das aber durchaus unwesentlich

und

also ein Fehler der Dichtung.

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

23

Ich will nur noch auf einige groe Schnheiten der Dichtung hinweisen: auer auf den in dieser Hinsicht allgemein berhmten Schlu des dritten noch auf die erste Szene des zweiten

und auf die auerordentliche Mitte des fnften Aktes, wo Peer Gynt des nicht gelebten Lebens seines hheren Ich gedenken mu (Knuel", Welke Bltter" u. s. w.; in der Nacht auf der Heide: Wir sind Lieder, hast du gesungen uns?" u. s. w.); ferner auf die mit groer Kraft packende Erzhlung vom Rennbock gleich am Anfang der Dichtung; und auf Peers Monolog nach der Ausschweifung mit den Senneiinnen. Von furchtbarer, zum tiefsten Herzen greifender Wirkung, hierin beinahe der Verfluchung des Lebens im dritten Akte von Tristan und Isolde" vergleichbar, ist aber jene Stelle des fnften Aktes, wo Peer die Sternschnuppe (das Symbol des Snndenfalles der Engel als der Sterne) den Raum dui-cheilen sieht und ihr zuruft:
,.GruJ3

von Peer Gynt, Bruder Meteor!


.!"

Leuchten, erlschen und verschwinden im Tor

Der Finsternis

noch vorhin jeden Gedanken an der fremde Passagier" ist welcher diesen Gedanken nahelegt zurckgewiesen dieser Botschaft aus der Unendlichkeit im tiefsten erschauert und da endlich das Gefhl eines verlorenen, dem Meteor gleichenden Lebens, sich durchringt gegen alle Eitelkeiten, wie er zur Ahnung (wenn auch noch nicht zur Behauptung)
pltzlich er, der

und wie Sinn und der Tod, hat, nach


;

nun

Zweck

des Lebens

denn

wahren Selbst und damit auch gleichzeitig zum UnsterbDer steinreiche Unternehmer, der Kaiser, dem die ganze Welt wie gewonnen war, erwacht aus dem Traum seiner Welten und sieht: So unsglich arm kann ein Mensch also geh'n.
seines
licbkeitsbedrfnis gelangt.

Zurck

in den

grauen Nebel des Nichts.

Du
Da

herrliche Erde, trag' mir nicht Ha,


ich achtlos zertreten nur Dein Gras.

Du mutest verschwenden Deinen leuchtenden Strahl in leeren Wnden, Kein Mund sprach zu Deiner Schnheit den Reim: Der Eigner, so sagt man, war niemals daheim. Herrliche Sonne, herrliche Erde Was nhrtet ihr meine Mutter an eurem Herde? Die Natur ist verschwend'risch, am Geist wird gespart Die Geburt mit dem Leben ben ist hart.
herrliche Sonne,

Du

24

ber Henrik Ibsen und

seine Dichtung Peer Gynt".

Ich will auf die hchsten Gipfel geh'u,

Noch einmal

die

Sonne aufgehn seh'n,


.

Starren mich md' aufs gelobte Land In einem Schneesturz mein Ruhbett haben;
. .

Man mag Und dann

drber schreiben: Hier

ist

dann

niemand

begraben";

dann komme das dann."

(Ich habe hier den beiden bersetzungen von Passarge und von Morgenstern das Beste zu entnehmen und an einigen wenigen Stellen, wo sie dem Originale nicht genug taten, noch selbst nachzuhelfen versucht. Der Vers: Die Geburt mit dem Leben ben ist hart," ist die einzige Stelle in Ibsens Werken,

wo

die

die groen Menschen viel zu wenig unabhngig von ihi en Werken. Man glaubt, das Leben dieser Menschen sei Produktion und erschpfe sich darin. Diese

Erbsnde enthalten ist.) Man betrachtet ganz allgemein

Meinung

ist freilich

eher unbewut als klar ausgesprochen, aber

um

so schwerer drfte sie zu

bekmpfen

sein.

Einige ihrer Fak-

toren sind jedoch wenigstens ohne

Mhe nachzuweisen.

wenigsten Menschen empfinden das Bedrfnis, von des Gedankens eine klare Vorstellung sich zu bilden. Sie sind gewohnt, bei der Nennung groer Namen nicht nur den Hut zu lften, sondern
Die

dem Charakter bedeutender Menschen der Tat oder

wie auf ein


Sie

rufen

Wagner

Kommando auch alles Denkens sich zu und Goethe nicht anders als

entuern.
eine Inter-

jektion. In dieser

Denkart steckt zwar ein nicht zu unterschtzen-

der Respekt vor dem Phnomen, und noch die so tiefe und so alte Wrdigung des Genies als einer gttlichen Offenbarung;

auch befinden sich die Menschen so viel wohler, als sie sich fhlen wrden bei jener anderen Denkart, welche berhmte Mnner mit Vorliebe in ihren Unterkleidern zeigt und triumphierend
auf ihrem Gange
dienen,
z.

zum Aborte
nur jener

berrascht. Aber nicht dieses eudai-

monistische Argument kann dieser Anschauung zur Empfehlung

sondern

Gehalt

an

verecundia",

welchen

Moreau de Tours und Lombroso offenbar nicht besessen

haben.

Dennoch bedeutet dieser Verzicht auf das Nachdenken ber groe Mnner, die Entrstung ber jeden fremden Versuch, in deren Innerem auch nur bestimmte Zge ausnehmen zu wollen, eine arge Wrdelosigkeit, eine spontane Leibeigenschaft des

ber Henrik Ibsen und

seine

Dichtung Peer Gynt".

25

Geistes, die ebenso blind wie unduldsam gegen jeden Freien ist. Jeder Name wird ein Atout, mit dem alles nchterne Sehen niedergeschlagen wird. Auch Hero- Worship, Helden Verehrung ist heteronom im Sinne Kantens, auch dieser Autoritten glaube ist unmoralisch. Wird der Mensch, und sei er nun auch Buddha

oder Beethoven, zur Gottheit, sein


geistige

Name

eine Losung, so schweigt

jede bewute, ruhige berlegung der eigenen Vernunft und alle

Entwicklung ist verrammelt. In jngster Zeit ist zu jener frheren gedankenlosen Unterwrfigkeit ein neues Element hinzugetreten. Die leichtfigen Tanzbeine der Zarathustra-Ideale, die lssige Grazie des sddeutschen
Walzers,
studentischer

Stumpfsinnsang und

kunst-

muten zusammenkommen, um es allem deutschen, nordischen Ernste gegenber hervorzubringen und zu behaupten. Ich meine die Lge von dem stilisierten Leben" der groen Menschen, welche jene Menschen zu Artisten degradiert, jene, die das Leben stets am ernstesten nahmen, weil sie von ihm am ernstesten sich genommen fhlten, jene, die sich selbst am wenigsten heimlich und glcklich begewerbliche

Lehnstuhlschwrmerei

funden haben, zu Artisten" ihres eigenen Lebens! Die alte Dreistigkeit, mit welcher die bedeutendsten Namen dazu mibraucht werden, um den eigenen, leichten Sinn noch als den Stil der genialen Menschen erscheinen zu lassen, soll uns

nun nicht lange

hier beschftigen.

Die so verbreitete Auffassung ist jedenfalls zurckzuweisen, welche den hervorragenden Menschen als ein Gef betrachtet, aus welchem nach und nach seine Geistes werke herausfallen, als ein Geschpf der Natur, durch das diese nichts weiter wolle, als uns gewisse Dinge schenken, als ein Orchestrion, dessen Aufgabe sich damit erschpft, eine Anzahl von Tonstcken abzuspielen.

Diese Auffassung macht den Poeten zum Schmetterling, den Maler zum Berufsphotographen, den Philosophen zum Theorienbcker und entkleidet sie alle jeglicher Gre. Gerade die alierstrksten Eindrcke sind, um nur vom Knstler zu sprechen, bei diesem zu mchtig, um sobald zum Ausdruck im Kunstwerk
fhren zu knnen.
Sicherlich ist das Leben groer Menschen keine Harmonie von Fortunas Gnaden, sondern viel bewegter und strmischer

26

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

als das der

anderen;

sicherlich

enthlt

es oft die grten, un-

ausgeglichensten Gegenstze, die Neigung zu den merkwrdigsten

VerirruDgen, aber auch den grten Kampf mit sich selbst und nur gerade nicht jene gaya scienza" und serenita", die Nietzsche so gerne htte erringen mgen, seitdem er die Riviera kennen
gelernt hatte.

den hervorragendsten Menschen zusein, unter was sie leiden, an was allem sie verzweifeln knnen, das vermchte Ibsens Peer Gynt" jeden zu lehren, der sicli daiber klar geworden ist, da man nur das autfassen, wie darstellen kann, was man selbst in sich hat.
furchtbar
es in

Wie

gehen kann,

was

alles in ihnen

Man kann die Menschen einteilen in solche, die sich lieben, und solche, die sich hassen. Damit meine ich nicht den Ha gegen das, was sie in sich Unmoralisches finden. r>as hat freilich jeder

Mann

in sich,

wenigstens in dem Augenblicke,

wo

er

und noch mehr, wenn er dieses Gestndnis unterdrcken will. Sondern, was hier den interessanten Unterschied zunchst ins Auge springen lt, ist das Verhalten gegen moralisch indifferente Zge der eigenen Person. Es gibt Menschen, die ihre ganze Subjektivitt (nicht das Subjekt selbst natrlich) liassenswert finden, es (auch in abstracto, als Begriffe) mit einer schmerzlichen Wut verfolgen; die anderen sind eher geneigt, alles an sich liebenswert zu finden, viel Nachsicht mit sich zu ben, im
es sich sagt

Umgang
sich

eventuell

mit sich selbst die uerste Delikatesse walten zu lassen, anderen als Muster vorzuhalten. Es seien z. B.
Nichtrauchern,

unter

zwei

um

absichtlich ein triviales Beispiel

niederster

Kategorie
einen

auszufhren,

der
sehr

eine

philautisch, der

andere misautisch: jener wird

mit sich zufrieden sein

und

es

als

sehr hoch inafEange stehenden

Zug

bei sich

betrachten, da er nicht rauche.

Dieser wird eher argwhnisch

zum Schiasse kommen: da er nicht rauche, msse irgend ein Manko in seiner Anlage sein, wird selbst geneigt sein, den Raucher ber sich zu stellen. Aber irgendwie wertend verhlt sich jeder Mann zu jedem Zuge in sich, auch zu jedem moralisch

tJber

Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

27

indifferenten Charakterzuge.i

Das Vorzeichen dieser Wertung,


hat nur

glaube ich nun, bestimmt, ja entscheidet recht eigentlich die

Tonart des inneren Lebens eines Menschen. Gewi

der Mann, nicht die Frau, ein Innenleben,^ und auch der Mann um so mehr, je hher er steht. Der allgemeine Inhalt alles

Innenlebens aber, wenn ich

vom Sinnen an die Vergangenheit und vom Trumen einer Zukunft absehe, ist erkennende Selbstbeobachtung und moralische Selbstbewertung. Da kann nun zweierlei sein: entweder der Mensch ist Pessimist von Geburt und glaubt nie recht an die Erlsung, sondern an den ewigen Unfrieden und die Verdammnis auf Erden, es ist das der Typus
in

des,

niedrigeren Regionen,

gerne schimpfenden,

matisen,

strengen

Menschen.

"Welt, er ist zu ihr

Oder er kommt erlsungsglubig auf die entschlossen, d. h. er ist ihrer immerhin auf

Erden eher noch


gerne,
nie

fhig.

Es

ist

das der milde, gutmtige, nie

scharf tadelnde

Mensch.

Er

ist oft bitter,

aber nie

tzend. So sind aber beide auch, ja zunchst sich selbst gegenber.

Gesetzt, beide erwischen sich ber der nmlichen, gleich

starken

oder gleich schwachen unmoralischen Regung: dieser

verzieht die Mundwinkel, jener beit die Zhne aufeinander, der


eine lchelt schmerzlich: schon wieder

einmal! der andere mur-

melt nicht ohne Ingrimm ber die eigene Gemeinheit:


wieder!

immer

Der

erste begnadigt sich gerne,

lange

schont er die

eigene Empfindlichkeit, nur von Zeit zu Zeit geht er zur Beichte,

zu der ihrem

Wesen nach immer


sich,

die Absolution gehrt.

Der

unbarmherzig, wenn auch seine Eitelkeit dabei noch wchst* (denn der Wille zum Wert wird durch jede negative Wertung der eigenen Person nur noch heftiger), er richtet und verfemt sich immerwhrend. Jener hat das Bedrfnis nach der Position, dieser nach der Negation ber-

andere

zerfasert

schweigend,

haupt; der Philautische bejaht, der Misautische verneint sich und


die

Welt*

Man

denke auch an jene Menschen, denen ihr eigener

Stil

gefllt,

immer mifllt. Nietzsches Stilknste sind zum Teile aus dem letzteren Grunde zu erklren. 2 Das Innenleben der Frauen dauert immer hchstens neun Monate.
und
jene, denen er
'
*

Darum

ist er

der richtige Aphuristiker.

Was

nicht

hindert,

da der Misautische das grte Bedr&iB hat

zu bejahen.

28

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Der philautische Mensch ist der starke und bestndige Um andere Menschen zu lieben oder zu hassen, mu man zuerst sich selbst lieben oder hassen. Man liebt und man hat nur, womit man irgend eine hnlichkeit hat; womit er gar keine hat, das kann der Mann hchstens frchten (das alte Weib ist jene Frau, die der Mann gar nicht versteht und nur frchtet) ebenso wie er die andere Grenze das fi-chtet, womit er vollkommen bereinstimmt (den Doppelgnger). Die Selbsthasser freilich werden immer von sich sagen, sie knnten nur einen Menschen lieben, der gar keine hnlichkeit mit ihnen habe, und behaupten, die Liebe sei nichts als ein Versuch von sich loszukommen weil sie berhaupt nicht lieben knnen, und doch das strkste Bedrfnis danach haben, zu lieben. Womit sie hnlichkeit haben, das knnen sie aber nur hassen und so
Erotiker.

versuchen
die

sie

ihr

Liebesbedrfnis an solchen zu befriedigen,

ihnen

nicht

gleichen;

ohne

Sache nach je gelingen kann.


schenken,

Etwas

da ihnen dies der Natur der lieben heit: ihm Seele

die eigene Seele vllig in es projizieren, allen

Wert

dazu mu es indifferent oder hnlich sein, aber nicht entgegengesetzt. Und noch dies: wie kme der Negativist zum Kinde, das die Position in der Liebe direkt verkrpert? Wie der niedere Sexualtrieb das Leben bejaht, setzt, so ist Liebe hchste Position, Bejahung des hheren, ewigen Lebens, und so erscheint sie im Evangelium Christi. Wer liebt, liebt berhaupt; wer hat, hat berhaupt; wer bejaht, bejaht berhaupt; wer verneint, verneint berhaupt. Dies ist nicht so zu verstehen, als wre dem Selbsthasser die Verneinung mehr denn ein Durchgangspunkt zur Bejahung. Es gibt keinen groen Menschen, der nicht zuletzt doch bejahte. Dies ist auch der letzte Grund, warum es ungeachtet des einleitend Bemerkten kein Genie gibt, das nicht produktiv wre. Auch aus der Liebe zu den Ideen

auf

es hufen:

und

ihrer Bejahung, in der

der Genialitt

am

tiefsten

Piaton und Schopenhauer das Wesen erkannt haben, entstehen Kinder.


Typus
ist die

Dem

Selbstha des misautischen


lieben.

Verneinung nie

Selbstzweck, sondern nur Mittel,^

um

das wahrhaft Liebenswerte


er nichts anderes

und nichts vor diesem zu


1

Nur vermag

Der Philautische liebt, der Misautische hat sein empirisches, beide lieben ihr intelligibles Ich. Das intelligible Wesen hat nur der

Verbrecher.

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

29

ZU bejahen als die Ewigkeit. Er kann nicht ein konkretes Weib und so oft er auch Anstze dazu macht, d. h. zu lieben, sich in der Leidenschaft zu bestrken versucht, er fallt immer in Krze aus ihr heraus: er kann nicht lieben. Nur der philautische Mensch ist deshalb auch im eigentlichen, engeren Sinne Vater, er hat das Bedrftiis nach dem leiblichen Kinde, denn er will sich mit allen seinen Eigentmlichkeiten, auch mit seiner Subjektivitt, seiner ueren und
lieben,

inneren

Erscheinung im Kinde wiederfinden. Sogar zu


Denn
die Vaterschaft

seinen geistigen Schpfungen hat der extreme Selbsthasser kein


rechtes warmes, inniges Verhltnis.
eigentlich der

kann
recht

sich auch auf das Geistige erstrecken. Ja, der

Lehrer

ist

Typus des Vaters, wie dieser der Verbreiter und nur im Intellektuellen noch auer dem rein Krperlichen. Da der Mann im Weibe nur sich liebt, darauf komme ich noch zurck; aber auch sein Kind ist nur
Frderer der Gleichheit,
soweit sein Kind, als es er selbst ist.^ Die Vaterschaft, deren Deduktion ich hier gegeben, und deren Zusammenhang mit der Liebe ich begrndet habe, ist natrlich jene, die ein dauerndes psychisches Bedrfnis befriedigt, und mu mehr bedeuten als
bloe akzidentieUe Paternite".

Es

ist

aber mglich, noch einen Schritt weiter,

tiefer in

dieser Sache

zu tun.

der Vaterschaft

Man gedenke der Rolle, welche die Idee im Neuen Testamente" spielt. Gott als der

Vater der Menschen: so hatten die Juden ihren Gott nicht empfunden. Ihnen war er der Herr, und sie seine Diener, die er schalt oder belohnte, je nach ihrer Leistung. In den Evangelien steht die neue Idee in engster Beziehung zu jenen beiden anderen christlichen, unjdischen Ideen der Liebe und des ewigen Lebens,

und hiermit

erfhrt die dargelegte Auffassung der Vaterschaft

eine neue Besttigung. .Ich bin das Brot des Lebens", sagt die

Gottheit des Johannesevangeliums

(6, 35).

Jesus Christus aber

gehrte nicht zu jenen Menschen, die sich samt ihrer Subjektivitt


lieben.

zu mir

Im Evangelium des Lukas (14, 26) heit es: So jemand kommt und hat nicht seinen Vater, Mutter, Kinder,
Wenn
er es liebt, weil es der

sich;

brigens
ist.

kommt

dies

Mutter hnelt, so liebt er eben auch wohl nur vor, wenn die Mutter frh ge-

storben

30

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Brder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Ich,

der kann nicht


als der

mein Jnger
als

sein."

Sicherlicli

hat sich nie ein Mensch sowenig

Vater

gefhlt

wie

der Stifter des Christentums;

in der besonderen Gestalt des liebenden Vaters. Jesus ist auch nicht Lehrer von Beruf, wie es etwa Sokrates in eminentem Sinne war. Wer Ohren hat zu hren, der hre!" Fasse das Wort,

Sohn

bedurfte

er vielleicht gerade

darum der Gottheit

wer

es fassen

mag"

so spricht kein Lehrer.


Pliilautie

Man

sieht,

wie

Vaterschaft,

Lehrertum,

immer miteinander da sind

oder fehlen.

Wer
als

sich als
es,

nmlich trieb
jektive

Sohn fhlt, kann sich nur hassen; den Sohn Sohn zu werden, sich zeugen zu lassen,
All dies Sub-

empirisch beschrnktes Subjekt zu entstehen.

und darum hat er sich. Der Sohn wei sich ewig unfrei, so wie er das eigene Wollen aufgab und eine Sttze suchte, als er geboren wurde. So erweitern sich die Typen des sich selbst liebenden und des sich selbst hassenden Menschen zu den Ideen des Vaters und des Sohnes. Da es Vter und da es Shne gibt, ist im tiefsten Sinne nur einer der Ausdrcke des Dualismus im Wesen der Welt. Shne Gottes sind die Menschen als geistige Wesen, wie Shne leiblicher Menschen als Erdenkinder: genau gesproclien freilich blo die Mnner. Denn Gott hat keine Tchter; und nur insofern bedarf die Vorstellung der Gotteskindschaft einer Korrektur. Der Sohn kann zur Freiheit nur auferstehen, indem er zum Vater emporsteigt, selbst aufhrt blo Sohn zu sein, und wieder eins mit dem Vater wird.
rechnet er sich zu,

lich,

Der philautische Mensch kann auch hassen; er hat nmwas ihn im Leben strt .... er ist der sthet". Der Selbsthasser dagegen kann nicht lieben, was irgend sinnfllig
wird.

unmglich.

Im extremen Falle wird ihm auch der Geschlechtsakt vllig Er ist also sicher viel unglcklicher als der andere.
der den Kasteiungen eines Menschen

Zum

philautischen Typus,

xjjvxi]V-

heit es im Griechischen {hi. k zyv tavrov iiv^^); Luther

bersetzt es hier uurichtit,' mit Leben".

ber Henrik Ibsen nnd seine Dichtung Peer Gynt".

31

jene wesentlich zartere

Form gibt er ist auch eine Bedingung der Abfassung einer Selbstbiographie gehren in extremstem Mae Shakespeare und Sophokles, besonders der erstere. Goethe

manche Stellen im Faust bezeugen wie falsch es wre, ihn ohne weiteres diesem Typus einzureihen. 1 Man lt sich berhaupt tuschen, wenn man in Goethe einen harmonischen Menschen vermutet, wie dies seit Heine blich ist und heute bis zum berdru wiederholt wird. Goethe war viel eher einer der unglcklichsten Menschen, die es je gegeben hat, und darum schamhafter und strenger im Verbergen Der Mensch, der sich selbst seines Unglckes als so viele andere. am meisten gehat hat, drfte Nietzsche gewesen sein. Sein Ha gegen Wagner und gegen die Askese, sein Hinberwollen zu Bizet und Gottfried Keller war ja nur ein Ha gegen den Wagnerianer und Asketen und den gnzlich unidyllischen Menschen, der er selbst war. Der Selbstha steht gewi moralisch hher als die Selbstliebe. Schlimm ist also die Unaufrichtigkeit, mit der Nietzsche tat, als wre ihm jener bergang (die Genesung" von Wagner, seiner Krankheit") gelungen es ist dies nicht die einzige Pose, die Nietzsche vor allen anderen und vor sich selbst angenommen hat.^ Pascal, der sich gewi furchtbar gehat hat, steht hier hoch ber Nietzsche er ist auch sonst nie so flach, wie Nietzsche manchesmal sein kann. Whrend jener es doch offen als Grundsatz auszusprechen vermochte, jenes Le moi
ist
es,

nicht rein philautisch

est

haissable"

(Pensees

I,

9,

24),

hat Nietzsche sogar diesen

seinen eigenen
er sich

Ha gegen

sich selbst verleugnet,


freilich

und
nur

so hate

verleumdet,
in

heruntergesetzt:

als

Eigen-

schaft Pascals.
aufrichtig:

Nur an einer Stelle wird Zarathustra hierber dem herrlichen, durchaus als ethisches Symbol
Vor Sonnenaufgang"
(im ETI. Teile):

zu

verstehenden Liede
1

Nur Hasser

sind wahrhaft groe Frauenkenner, weil sie

unangenehme

Selbstgestndnisse in diesem Punkte sich eher machen. Shakespeare, Sophokles, Zola und Goethe glauben an das edle" Weib, wollen daran glauben. Anders Schopenhauer, Nietzsche, Strindberg, Hebbel, Michel Angelo. 2 In der Nuova Antologia" war einmal ein Bericht zu lesen ber einen Besuch, den jemand Nietzsches Turiner Wohnung und seinen dortigen Mietsleuten gemacht hatte. Da erzhlten diese, wie Nietzsche, zur selben Zeit, als er den Fall Wagner" schrieb, immer zu ihrem des Klavierspieles kundigen Tchterlein kam, und immer wieder nur den Hing des Nibelungen" zu hren verlangte.

"

32

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

,0 Himmel ber

mir,

du Reiner! .... fliegen

allein will

mein

ganzer Wille, in dich hineinfliegen! Und wen hate ich mehr als ziehende Wolken und alles, was dich befleckt! Und meinen eigenen Ha hate ich noch, weil er dich befleckte! Den ziehen-

den Wolken bin


sie

ich gram, diesen schleichenden Raubkatzen: und mir, was uns gemein ist das ungeheuere, unbegrenzte Ja- und Amensagen. Gerade bei Nietzsche entsprang der Ha gegen sich seihst dem strksten Willen zur Bejahung. In ihm konnte darum dieser Ha schpferisch und tragisch werden. Schpferisch denn er hie ihn nach dem suchen, was er an Schopenhauer vermite, er zwang ihn zur Abkehr von diesem, der ihn Kant nicht kennen gelehrt hatte. Tragisch denn er war nicht gro genug, um

nehmen

dir

sich

selbstndig

aus

einer eigenen Kraft in Reinheit zu

durchzuringen,
bejahte,

den er nie gelesen hatte.

zur Religion gelangt: als er das


das sich nicht belgen
lt.

Kant Darum ist er nie bis Leben am leidenschaftlichsten

jenes Leben nmlich, Aus dem Mangel an Religion erklrt sich Nietzsches Untergang. Ein Mensch kann an nichts anderem zugrunde gehen als an einem Mangel an Religion; am frchterlichsten zeigt dies der Genius. Denn der geniale Mensch ist der frmmste Mensch, und verlt ihn die Frmmigkeit, so hat ihn das Genie verlassen. Nicht ohne tiefen Grund war Nietzsche der Gewissenlose des Geistes" Problem geworden: der , Gewissenlose des Geistes", das ist der , geistreiche* Mensch, und der geistreiche" Mensch war die Gefahr Nietzsches und der
da verneinte das Leben ihn

Abgrund, der ihn schlielich hinabzog.


ntig gehalten, es

Htte er es sonst fr

immer ausdrcklich zu betonen, wenn er einmal etwas ernst meinte, und ernst genommen wirklich sehen wollte? Was Nietzsche fehlte, war die Gnade; aber ohne Gnade ist die Einsamkeit auch von Zarathustra nicht zu tragen. So war ihm die Logik kein einzig teuerstes Gut, sondern ein Zwang von auen (denn er fhlte sich zu schwach, um nicht berall Gefahr zu wittern); wer aber die Logik negiert, den hat sie
bereits verlassen, der ist auf

Das

volle Gegenteil Nietzsches sonst,

dem Wege zum Irrsinn. war doch auch Spinoza

sowie Nietzsche ein Hasser seiner selbst. In ihm aber ist es nicht der Ha, der irgendwie schpferisch oder tragisch geworden
ist.

Nicht schpferisch

denn das Problem der Willensfreiheit,

ber Henrik Ibsen and aeine Dichtung Peer Oynt".

33

ZU dem der hhere Mensch durch den Ha gegen sich selbst geleitet wird, hat niemand so wenig verstanden, niemand dieses Problem als Ganzes so rde und intolerant zurckgewiesen wie er (Ethik I 32, II 35, 48, III 2). Nicht tragisch denn Spinozas Weltanschauung war kein mutiger offener Glaube, sondern ein System von Schutzmaregeln, mit dem er sich umgeben, hinter dem er wie mit Stacheldraht ein feiges Ruhebedrfnis ver-

schanzt hatte.

Ganz unfhig des Hasses gegen sich selbst scheinen die Frauen zu sein. Sie lieben sich aber auch nicht, sie sind nur, aber das immer, verliebt in sich. Die Mutter hat keineswegs, wenn das Kind ihr gleicht, jene Freude, die der Vater im anderen Falle empfindet.

Mnner, die sich entschieden gehat haben, waren Michel Angelo und Beethoven, die gewi, nicht weniger als Pascal und Nietzsche, beide vollkommen keusch gelebt haben Beethoven mit einem fast ebenso groen und ebenso ungestillten Bedrfiiis, das Weib zu finden, das er lieben knne, wie Nietzsche. Dagegen hat sich Mozart immer, haben Jean Paul und Richard Wagner meistens sich geliebt; Humor ist berhaupt ein Zeichen von Liebe, Satire eines von Ha gegen sich selbst und berhaupt denn der Humor ist selbst nur eine gut verkleidete Erotik. Von Philosophen, die sich geliebt haben, nenne ich Sokrates (den Lehrer) und Fechner, weniger schon Leibniz, noch weniger
;

Piaton; von Knstlern, die


Grillparzer und Rembrandt.

dem misautischen Typus angehren,

teilung,

Bei einem Manne wie Kant versagt aber wohl diese Einso umfassend sie auch sonst Anwendung finden mag:

bei solchen Erscheinungen


lich

ohne alle Subjektivitt fehlt sicherauch jede Weise, in der auf eine solche reagiert werden

knnte.

Es mag auch

in

demselben Menschen beides

sein

und

miteinander abwechseln; Complaisance und Nachsicht, wie Mi-

gunst und Unduldsamkeit gegen moralisch Indifferentes in sich. Dies wird sogar die Regel bilden. Die Selbsthasser sind die grten Selbstbeobachter. Alle
Selbstbeobachtung
ertappen.
Sie
ist ein

Phnomen der Hasser;


unpathetischesten,

sind

die

ihr Wort heit: we schamvoUsten


^

Menschen, die Menschen, denen Pathos berhaupt und in unanWeininger, ber


die letzten Dinge.
2.

Aufl.

34

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

genehmer Weise auffllt. Eine ganz einfache Rede ist ihnen unmglich, weil sie unter ihrem ganzen Selbst immer und ewig leiden, und dieses Leiden verleugnen mten, wenn sie pathetisch werden sollten. Der misautische Mensch ertrgt aus diesem Grunde die Einsamkeit so unendlich viel schwerer als der philautische; und doch sind keine Zweisamkeits- und Mehrsamkeitsversuche so unglcklich wie die seinen. Denn er leidet an dem furchtbarsten Geschick, das einen guten Menschen treffen kann: keinen anderen Menschen wirklich lieben zu knnen. Ihr Wesen kann nmlich
nie frei hinausstrmen, berstrmen in ein anderes, das sie lieben

mchten,

das sie liebt!

So furchtbar

ist

ihnen

ihr Ich

immer-

Hause mit ewig verschlossenen Fensterlden: das Licht der Sonne wrde wohl auch dieses Haus erwrmen und bescheinen mgen; aber das Haus tut sich
Sie gleichen einem

whrend gegeben.

nicht auf: scheinbar mrrisch, hart, abweisend, bitter verbittet es


sich das Licht; erschrickt es vor

dem Glcke. Wie

es

im Hause

ausschaut ? Eine wild verzweifelte Geschftigkeit, ein langsam-furcht-

sam Erkennen in der Finsternis, ein ewiges Zurechtstellen der Dinge da drinnen. Man frage sie nicht, wie es im Hause ausschaut. Ein Mann, der den Peer Gynt" geschrieben hat, kann nur ein Selbsthasser sein. Das Gedicht war persnlich fr

Ibseni gewi ursprnglich als die

Tragdie der Eitelkeit

(im

Salomonischen allgemeinsten Sinne) gedacht, und erst allmhlich ist es Ibsen klar geworden, da alle Eitelkeit vor anderen, alle primre Rcksicht auf andere das Aufgeben des eigenen Selbstes und des Wertes vor sich selbst zur Bedingung hat. Der lange Exkurs aber, von dem ich nun wieder zum Peer

Gynt" zurckgekehrt bin, und zu dessen prinzipieller Rechtfertigung auch die einleitenden Betrachtungen ber das gesteigerte moralische Innenleben groer Menschen dienen sollten, war notwendig, um zum Verstndnis jener Schpfung des Dichters zu verhelfen, die ich bisher noch nicht erwhnt habe, obwohl im ganzen vielinterpretierten Peer Gynt" sie am meisten zu raten gegeben hat, ohne da irgend eine Deutung die Deuter selbst befriedigt htte. .Der groe Krumme", die rtselhafteste und zugleich originellste Gestalt der Dichtung, ^ wird uns jetzt so weit
1

Wohl den

unpathetischesten Menschen, den es je gegeben hat.

Vielleicht bedeutet der Falke

im sehr berschtzten Brand" etwas

hnliches wie der

Krumme

des Peer Gynt".

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

35

klar, als er es seiner

besonderen Natur nach berhaupt zu werden vermag. Der , groe Krumme" spielt die wichtigste Eolle im zweiten und im fnften Akte: beide Mal wird er, dies ist wohl zu beachten, durch Solveig besiegt. Er ist die Gewalt, welche den Menschen immer wieder treulos gegen sich selbst werden lt, ihn immer wieder eitel zeigt, ja, wenn er sich noch so unbarmherzig aufgewhlt und gezchtigt hat, ihn in den letzten Falten seines Innern wieder die nicht ausgetriebene, unversehrte
Eitelkeit, sich gleich geblieben,

am

gleichen Platze, mit gleichem

Besitzstande gewahren lt:


Hin und zurck ist ebenso weit! Drauen und drinnen ebenso breit!

Da

ist er!

Dort! Rings,

Whn'

ich

wo ich mich weise! mich drauen, steh' ich mitten im Kreise!"'

Als Kind hrte ich einen Volksschullehrer der Klasse, in


der ich mich befeind, folgendes ber die Methode erzhlen, nach der

man in Ruland die Bren tte: zwischen zwei Baumstmmen werde ein Holzblock aufgehngt; um zwischen ihnen hindurchzukommen, msse der Br den Balken zur Seite stoen^

der nun,

vom Baumstamme

reflektiert,

mit

um

so grerer Kraft
in

seinen Schdel wieder

treffe,

worauf der Br gereizt und

Wut

dasselbe so lange wiederhole, bis ein strkerer Sto seinen Schdel

zerschmetterte. Ibsen htte auch diese Geschichte als Gleichnis


fr

das

bentzen

knnen,
ist

was

er

ausdrcken

wollte.

Der

groe

Krumme"

die ganze Kraft des empirischen Ich, mit

welcher es gegen das intelligible sich immer wieder erhebt, obwohl dieses noch eben vllig endgltig gesiegt zu haben vermeinte; und zugleich die Stimme, mit der es dem anderen nach

immer erneutem Rckfall zurt, den hoffiiungslosen, sinnlosen Kampf zu lassen. Daher die selbstsichere Ironie, mit welcher der

Krumme dem
gehen

tobenden Assaut Peer Gynts begegnet, ihn herumsich mit ihm abzufinden, weiterzuziehen und ihn sein zu lassen, statt die unbezwingliche Festung im Sturme nehmen zu wollen. Der Krumme ist das die Erlsung negierende Prinzip berhaupt; in ihm hat Ibsen
heit, ihn auffordert,

Kampfe eine Kreisbewegung ausan seinen Ausgangspunkt wider Willen zurckversetzt findet, darum heit das Symbol Der Krumme".
1

Eben',weil der Mensch in diesem

fhrt, sich

3*

36

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

den groen Verneiner

in sich selbst

ihn die Bequemlichkeit, die Trgheit, das

zu fassen gesucht. Man mag Band zwischen Seele

ohne Schwertstreich, und allmhwas Ibsen in sich durchbrechen wollte, als er diesen Peer Gynt, seinen Peer Gynt, festlegte. Aber er hat es selbst gefhlt: vor dem Tode werden wir mit ihm nicht fertig. Hiermit sehen wir uns nun noch einmal zum Sinne der ganzen Dichtung, zu der Antwort, die Ibsen fr seine Frage hat, zurckgefhrt. In dieser Schluszene des Peer Gynt" kann man die beiden Hauptprobleme seines Denkens und Schaffens zusammenlaufend finden. Einerseits das Problem Wahrheit Lge. So wohlbegrndet und befriedigend die Deutung mir scheint, die ich dem Krummen gegeben habe, er vertritt doch noch eine andere Idee. Die Symbole des wahren Knstlers sind keine Allegorien, nicht mit Personennamen behngte Personifikationen
(er siegt

und Krper nennen


jedenfalls

lich):

ist

er das,

scharf definierter,

eindeutiger

philosophischer

Begriffe,

in

die

Sprache eines bestimmten philosophischen Systems zurckzubersetzen, sobald nur der Schlssel der Chiffrenschrift gefunden
ist.

Was

der Dichter bei seinen Symbolen unmittelbar geschaut und


hat,

der Philosoph nur langsam und mit nachzukommen. Der Krumme, den Peer Gynt zeitlebens nie durchbrochen hat, weil er nie geradeaus gegangen
gefhlt
vieler Vorsicht
ist:

dem vermag

Lge. Leben nie in vlliger Wahrheit leben kann, da ihn von ihr immer etwas trennt, diesen Rest von Lge, Irrtum, Feigheit, Verstocktheit hat Ibsen im Krummen mit angedeutet.' Das volle Schauen der Wahrheit ist im jenseitigen Leben mglich; nach ihr kann im Diesseits nur immer gestrebt, erst mit dem Tode der Krumme bezwungen werden. Es ist also nur eine andere Differenzierung derselben Idee der Erlsungshemmung, die in dieser Seite des Krummen zum Ausdruck gelangt ist. Peer Gynt steht da unvergleichlich hher als der Hjalmar der Wildente", der in der Lge selbstdieser

Krumme ist Da der Mensch

zugleich die

in

diesem

zufrieden

ist,

die

liche Beleidigung empfindet, als ein Ansinnen, das

Wahrheitsforderung eigentlich als eine persnihm von an-

Darum Lwe und doch


1

erinnert an den

Krummen
ist.

die Sphinx, die sowohl

Weib

als

keines von beiden

ber Henrik Ibsen und seine Diehtnng Peer Gynt".

37

derer Seite gestellt worden


strter weiterleben zu

ist,

und wenn

sie

ihm aufgedrngt
so unge-

wird, sie nur uerlich akzeptiert,


;

um

in der

Lg um

knnen der das Unglck posiert und die kleinen Widerwrtigkeiten seines kleinen Lebens als ein Unrecht des Schicksals seiner Person gegenber empfindet, ja sie den anderen Menschen zum Vorwurfe macht. Hjalmar ist der absolut atragische Mensch; das ist Peer Gynt durchaus nicht. Im Gegenteil, das ganze Drama ist fast vollstndig ausgefllt von dem Problem des Subjektes, sein Held selbst meistens mit dieser Kardinalfrage beschftigt. Der Peer Gynt" entspricht darum der
Idee,

welche im Gedanken der Tragdie

liegt, der Dar-

und kmpfenden, irrenden und fehlenden, zum Schuldbewutsein gelangenden und nach Erlsung ringenden Individualitt so vollkommen wie keine andere Dichtung
stellung der suchenden

der Weltliteratur.

Peer Gynt will von der Lge, die mit dem Leben unaufverbunden ist es gibt keinen noch so heiligen Menschen, der nicht zur Notlge wieder und wieder sich gezwungen she, und die Notlge ist moralisch unentschuldbar wie jede andere Peer Gynt will von der Lebenslge loskommen, und er kann es nicht Die Erlsung wird, trotz allem Krummen, endlich herbeigefhrt durch das Weib. Und hier liegt das zweite Hauptproblem Ibsens: das Problem der Erlsung mit Rcksicht auf Mann und Weib. Wie verhlt sich die Frau und die Liebe
lslich

zur Frau mit Bezug auf das Menschheitsproblem berhaupt? das ist die Frage, die Ibsen in den letzten dreiig Jahren
seines Schaffens fast unablssig beschftigt hat. Nicht die simple
in ihrem vulgren Aspekte, die gleiche Begabung und die gleichen politischen Rechte sind es, die Ibsen am Herzen liegen, er ist nie ein Anwalt der einzelnen Frau oder der Gesamtheit der lebenden Frauen gewesen; und die Geringschtzung Ibsens, die immer mehr in Mode kommt, ist zwar psychologisch begreiflich man findet unwillkrlich durch die Hinweise der Frauen auf ihren angeblichen Schtzer den Schtzer aber sie ist gnzlich ungerechtselbst ein wenig blogestellt fertigt und Beweis eines sehr vorschnellen Parallelisierens. Wenn die Frauen den Dichter fr sich reklamieren, so mag ihnen dies nachgesehen werden; er ist zu mnnlich durch und

Frauenfrage

durch, als da sie in ein wirkliches Verhltnis zu seinen

Werken

38

ber Henrik Ibsen nnd

seine Dichtung Peer Qynt".

treten und seine wahre Absicht erfassen knnten. Nicht so sehr


die gleichen

Rechte,

das Weil) gefordert


liche Begriff.

als die gleichen

Pflichten hat Ibsen

fr

und

die Pflicht ist der absolut nnweib-

In gezogen,
lcherlich

,Peer
d. h.

Gynt"
so

wird der

Mann durch

das Weib emporals

vielmehr, er lt sich emporziehen. Nichts ist so

und

gemein,

wie

die Auffassung,

knnte die

bloe Passivitt des Geliebtwerdens irgend einen Einflu auf das

Schicksal derMoralittdes Individuums gewinnen, seine endgltige

Wertung als gut oder bse umwerten. Jemandem, der viel geliebt hat, mag vergeben werden, aber nimmermehr auch nur einem Menschen, weil er. wenn auch noch so viel, geliebt worden ist. )iese
1

Flachheiten sind jedoch der

offiziellen Il)sen-

pretation so geluflg, da man leider vorbergehen kann. Sie verrammeln vollstndig das Verstndnis der Erlsung durch die Liebe, und das logische Mysterium wird zur paradoxen Sentimentalitt. Beschmend genug ist es, der tiefen Auffassung der Erotik, die Ibsen gerade im Peer Gynt" offenbart, nichts anderes gegenberstellen zu knnen, als diese

und Wagner- Internicht an ihnen schweigend

gangbare Auslegung. Wenn auch Ibsen im Peer Gynt" noch ungemein kurz und dunkel ist, so leuchtet doch auch schon hier
die

Anschauung hervor,

die er in seinen spteren

Werken

krftiger

angedeutet hat. Die Liebe und die Mglichkeit der Erlsung durch sie besteht gerade im Peer Gynt" nur darin, da der Mann sein
besseres Selbst,

nicht

alles, was er lieben mchte und in sich lieben kann, weil es da nicht unvermischt vorhanden ist, auf die Frau projiziert und durch diese Trennung leichter in ein wollendes, strebendes Verhltnis zur Idee der Schnheit und des Guten und Wahren gelangt.! Dies ist der tiefe psychologische Grund fr jenen Akt des mnnlichen Egoismus, der an die Frau viel hhere moralische Anforderungen stellt als an den Mann - moralisch natrlich nur dem ueren Scheine nach als Befriedigung des Illusionsbedrfnisses die tiefe Wurzel des Postulates der Reinheit, der Virginitt fr die Frau. Ein hnliches Projektionsphnomen wie fr

Es lt, sich aber nicht leugnen, da diese Idee, da Solveig nur fr und durch Peer Gynt da ist, in der Dichtung nicht ganz rein zum Ausdruck

kommt

(i.

Akt).

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

39

die Liebe gilt fr

den Ha: Der Teufel

ist die

geniale objektive

Existenzialisierung eines Gedankens, welcher den

Kampf mit dem

Bsen der eigenen Brust Millionen von Menschen erleichtert hat, indem sie den Feind auer sich setzten und sich eben hierdurch von ihm unterschieden und schieden. Ein metaphysischer Akt der Projektion ist wohl demnach die allgemeine Wurzel alles Dualismus in der Welt: Gott will sich im Menschen finden. Der Dualismus mu sein, weil sonst der Monismus, das Streben nach
ihm, sinnlos, ein leeres

Wort
spielt

ist.

Im Peer Gynt"
als die

das

Weib keine andere


erteilt.

Rolle, als

die der Erlserin fr den

Mann;

sie

hat kein selbstndiges Leben,


Sie wird entseelt,

Funktion, die ihr der

Mann

um

beseelt, gemordet,

um

belebt zu werden. Hier liegt der seit No-

von so vielen gesuchte Grund, warum Sexualitt mit Grauist. Wie im Coitus psychisch ein dem Morde analoges Element liegt, weil die Zeugung des Lebens mit seiner Vernichtung verwandt ist. so ist noch in jeder, auch der hchsten Liebe eine eigentmliche Entwirklichungdes geliebten Menschen um ihm die eigene hchste Wirklichkeit zu substituieren. Hier liegt auch die Wurzel der Eifersucht, indem der Mann auf sein Selbst, auch wenn er es in der Frau lokalisiert hat, immer noch ein Recht zu besitzen glaubt. * Darum hat Constant recht, wenn er die Liebe, die doch das altruistische Gefhl an sich zu revalis

samkeit assoziiert

prsentieren scheint,
nennt.

de tous les sentiments


h.:

le

plus egoiVte"

Liebe,
oft

dem Umwege
Liebe so
hchsten,

Sich selbst will der Mann auf der Frau wiederfinden. Darum beginnt die
d.

mit Kasteiungen, Seibstvorwrfen, Selbsterniedri-

gungen und belebt das Schuldbewutsein.


Zweck.
Dieses Unrecht, das gerade der liebende
er dort
die

Das Weib

ist

der

wie der niedersten Erotik eben doch nur Mittel

zum

Mann an

der Frau

begeht, hat Ibsen schon im Peer Gynt" gefhlt; allerdings geielt


sinnliche Form, um ihr die geistige gegenberund ironisiert vor allem den seelenlosen Peer, der seinem Mdchen Anitm Seele noch schenken zu knnen vermeint.

zustellen

Die Frauen sind nicht eiferschtig in der leidenden Form, nur Denn sie haben kein Selbst, das sie wo anders zu behaupten suchen wrden.
1

neidisch oder rachschtig.

40

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

Jugend! Jugend! Herrschend thronend,

Wie

ein Sultan, heil und hei Nicht durch Gyntianas Banken,

Unter Palmenlaub und Ranken Sondern weil in den Gedanken Einer reinen Jungfrau wohnend! Wirst Du nun noch zweifelnd fragen, Kind, warum ich Dich erkret, Gndiglich Dein Herz gerhret. Dort gegrndet, sozusagen Meines Wesens Kalifat? Deine Sehnsucht will ich haben,

Allgewalt in meinem Staat!

Du

sollst sein allein die

Meine.

Peer mit seinem Geist und Gaben Sei Dir mehr denn Gold und Steine. Scheiden wir, so ist das Leben Ausgelebt das heit, das Deine! All Dein Du, inbrnstiglich. Willenlos mir hingegeben,

Sei erfllt

von meinem Ich."

Aber alles Verhltnis des Mannes zur Frau ist Enteignung, Entrechtung, soweit es erotisch ist. Das ist Ibsen spter klar geworden; der erste Schritt hierzu ist im Puppenheim" gemacht. Man hat die Nora fr das Wahlrecht der Frauen nutzbar gemacht und Ibsen, den Mann, der Zeit seines Lebens weniger als alle anderen Knstler vor und seit ihm sich selbst
ber das Weib zu belgen versucht hat, zum typischen Vertreter der psychologischen Gleichheitslehre gestempelt, den Schpfer
der

Hedda Gabler das lebende Weib


nach)

(seinen tatschlichen Quali-

hoch einschtzen lassen, wie den Mann. Darin liegt aber gerade die ganze sittliche Gre Ibsens und sein reiner Heroismus, da er vom Manne verlangt, das
tten

ebenso

Weib als

selbstndiges menschliches

Wesen zu

schtzen, die Idee

der Menschheit auch in der Person des Weibes zu ehren, es nicht,

wie in jeder Erotik, blo als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, obwohl die Realitt gerade dem von der erotischen Dunstwolke ungetrbten Blicke die Achtung vor dem Weibe die das Weib der Wirklichkeit vom Manne freilich

gar nie verlangt

so sehr erschwert.

auch seine Nora nichts Wirkliches und die berhmte Umwandlung von der kindischen, verlogenen und genschigen
So
ist

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer

(Jynt".

41

Schwtzerin zum Menschen mit freiem Entschlofi kein ableitbarer Charakterzug irgend einer wirklichen Frau, sondern eben

Mysterium der Umwandlung, welche Ibsen fr das Weib aus allgemein moralischem Grunde notwendig scheint. In der Nora begrt Ibsen die erste weibliche Individualitt, er
das

wie die Frau handeln sollte, nicht wie sie wirklich hanDie Vernderung in Nora ist eben das Wunder, aus dem frheren durchaus unbegreiflich; und niemand miversteht dieses Schauspiel so grndlich, als gerade der, welcher den Umschlag zu vermitteln und aus der Nora der ersten Akte zu motivieren sucht. In der .Frau vom Meer", welche endlich in Freiheit whlen darf und kann, hierdurch vom ueren sinnlichen Zwange sich befreit, aber zugleich die Verantwortung und somit die Pflicht auf sich nimmt, kehrt das Nora -Problem .wieder. Rosmersholm" bezeichnet nach dem Peer Gynt" den zweiten Gipfel der Entwicklung, die Ibsens Gedanken ber seine Probleme genommen haben. Zum zweiten Mal kehrt er zum Problem der Erlsung in seinem Verhltnis zum Problem der Geschlechtsliebe zurck. Hier liegt aber die Sache schon sehr viel anders als im Peer Gynt". Die Wiedergeburt erfhrt vor allem das Weib unter dem Einflu des Mannes, osmersholm, das ist
zeigt,
delt.

symbolisch die Bui*g der reinen Sittenstrenge, die Sttte der


moralischen Gter, habe sie gebrochen, ihre wden Triebe bezwungen, sagt die ehemals gnzlich amoralische Eebekka. Aber

auch

sie

hat auf osmer

im

ganzen doch einen luternden,

reinigenden Einflu zur Befreiung seines reinen Selbst gebt,

und ihr junges Schuldbewutsein ist fast heftiger als die Reue Rosmers ber seine unbewute Begnstigung ihres Vorgehens gegen Beate. So schliet die Dichtung mit der Frage Das eine sag mir noch, gehst Du mit mir, oder gehe ich mit Dir?" und die Antwort, die Ibsen darauf gibt, lautet: ,Der Frage werden wir wohl in Ewigkeit nicht auf den Grund kommen." Aber auch hier auf dieser zweiten Stufe ist Ibsen nicht stehen geblieben. In Klein Eyolf" wird das Schuldproblem an Rosmei-sholm neu aufgenommen. Hier handelt es sich aber nicht um eine Beate, nicht um die frhere Frau, wie in Rosmersholm, sondern ein anderer tiefer Gedanke um das Kind, welches gemordet worden ist. Das Ganze ist sinnbildlich zu verstehen: aus sndhafter Erotik kann nichts Ewiges erwachsen, in
:

42

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

liegt bereits Mord, Mord des Kindes; der Coitus, der das Leben zeugt, zeugt auch den Tod, dem in Snde Entstandenes notwendig verfallen mu. Die Immoralitt der Zeugung in der Lust, der Zusammenhang von Tod und Geburt, die Verschuldung der Eltern am Kinde, das leichthin in die Welt gesetzt wird, ohne vorher als Person ins Auge gefat worden zu sein, dies ist die Snde, die ber der Ehe von Alfred und Rita schwebt, welche die menschliche Ehe berhaupt reprsentiert. (Eyolf wird in derselben Stunde zum Krppel, da seine Eltern die wildeste

ihr

Wollust auskosten.) Das Schuldbewutsein, zu


erklrt sie gnzlich fr Alfreds
letzt

dem Rita schlielich erwacht, Werk: doch er selbst wird zu-

durch ihre aufrichtige Bue vor Verhrtung bewahrt. Pro-

dem nunmehr vereinigen. Zum letzten Mal erscheint das ganze Problem der Wiedergeburt beider, des Mannes und Weibes, im Epilog: Wenn wir Toten erwachen." Ibsen nennt es das letzte Wort, das er zu der Frage zu sagen hat; und ein Mann von fast zweiundsiebzig Jahren mute wissen, warum er es so genannt hat. Wir haben also hier den Kulminationspunkt der dritten Phase seines Denkens vor uns, den endgiltigen Abschlu der Aufgabe, der seine Lebensarbeit galt. Auch hier die Dreiheit von Mann, Weib und Kind: es wird aber jetzt offen ausgesprochen, da der Mann das Weib als selbstndiges metaphysisches Wesen, als Seele, ttet, indem er es liebt, weil dieser Liebe das Weib nur Werkzeug ist, mit dem er leichter Arbeit
duktion, Arbeit als das Kind reiner Liebe ist das Ziel, zu
sich beide

an sich verrichte. Dieser Mord, den

alle

Liebe verbt,

mu

sich

rchen;
sucht,
jeder

die

Furcht des liebenden Mrders


Reue
ist

heit Eifer-

seine

das rtselhafte

Schuldbewutsein, das

Weibe gegenber empfindet; es gibt aber Furcht und Schuld nur wegen frei von der Person selbst verbten Unrechtes. Das Gefhl, da er einen Mord verbt hat, lastet dumpf und dunkel auf dem Bildhauer Rubek, und darum stellt er sich als einen schuldbeladenen, die Reinwaschung suchenden Mann an der Sndenquelle in Stein dar. Aber man verneint berhaupt, und man mordet auch berhaupt, zugleich sich selbst mit und in dem anderen. Rubek hat in sich selbst
geliebten

Mann dem

Seele ttete.

den Quell des hheren Lebens verstopft, da er in Irene die Er mu nun selbst wieder zum hheren Leben er-

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt."

43

wachen. Der Sinn

ist hier

der gleiche wie die tiefere Bedeutung

kaum verstandenen schnen Sage vom armen Heinrich: der Mann kann durch die Liebe vom Bsen (dem argen Aussatz) geheilt werden, aber dazu mu sich ein
der von ihren Bearbeitern

Weib vernichten
auf die

lassen; doch ist erst der

Verzicht des

Ritters

Entseelung des Weibes die moralische Tat, die ihn wirklich einzig errettet. So soll nun auch Rubek nicht mehr (wie Lyngstrand in der Frau vom Meer") das Weib fr sich, sondern das Weib als Menschen, als Selbstzweck wollen; und das Weib nicht mehr den Mann, damit er blo Kinder mit ihr zeuge, das Weib soll nicht mehr sich selbst, wie bisher, als Mittel zum Zweck gebrauchen. Vom leiblichen Kinde ist die Rede nicht mehr. Das mgen Ulfheim und Maja, die Menschen der niederen irdischen Sphre zeugen, die den Weg, der durch Nacht- in den Bergen", im , Sturmwinde der Spitzen", zum Sonnenaufgang des hheren, ewigen Lebens fhrt, nicht zu gehen wagen, we dieser Weg das irdische Leben kosten kann; die sich nie bereits tot gefhlt haben, um neu erwachen zu mssen. Ibsen glaubt also nach langem Zweifel zum Schlsse dennoch an die Auferstehung des Weibes, an ein hheres, der niederen Sphre entrcktes Zusammenleben zwischen Mann und Weib, an das Sakrament der Ehe als eines metaphysischen Symboles einer nio mystica. Nicht ist ihm mehr das Weib eine Paradoxie der Natur, dem Manne aufgebrdet, da er sie wider ihren eigenen Willen initnehme; fr ihn selbst zwar stets die gefahrlichste Gefahr, aber doch nicht ein dauerndes, ewiges Hindernis dem Streben nach dem Ideal der hheren Menschheit. Zwar ist nach Ibsen selbst die sublimste Erotik des Knstlers bislang immer egoistisch gewesen; Mann und Weib aber knnen beide zur Setzung ihrer beider als Individualitt gelangen. Und so ist und nur so ist ihm eine Vereinigung beider unter der Idee mglich. Das ist der Sinn von Wenn wir Toten erwachen". Einen merkwrdig analogen Entwicklungsgang wie Ibsen
hat in dieser Frage jener

Mann genommen, dessen Vergleich mit ihm vielen einer Entschuldigung zu bedrfen scheinen knnte, nmlich Richard Wagner. Zieht man zunchst den jungen Wagner allein in Betracht, so gibt es keine nicht- Wagnerische Dichtung, die so ganz wagnerisch wre, wie der Peer Gynt" in seinem

44

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Qynt".

ganz dem , Fliegenden Hollnder" und dem .Tannhuser" gleichenden Schlsse mit dem Mysterium der Erlsung durch das Weib Im Hollnder" und im , Tannhuser " glaubt Wagner es ist. wie der junge Ibsen im Peer Gynt" an die Erlsung des Mannes durch das Weib, der Sehnsucht und des Leidens im Menschen durch die Liebe zu diesem Weibe. Die Nibelungensage hat beide, Ibsen und Wagner, in ihrer nordischen, mythischen Form zur Erfllung mit selbstndigem Geiste gelockt (Ibsens Helden auf Helgeland" oder Nordische Heerfahrt"), whrend Hebbel weit mehr Sucher als Wagner, und
selbst als Ibsen, der kein sehr tiefes Verhltnis zur
sa, die

Natur

be-

zivilisiertere sddeutsche Fassung^ vorzog. Wagners Ring des Nibelungen" entspricht etwa wie bei Ibsen Rosmersholm" der gleichen mittleren Phase im Denken beider. Brnnhilde wird zwar jetzt von Siegfried erweckt aus dem Schlafe,
der den

Tod im metaphysischen Sinne

symbolisiert; aber auch

Siegfried feiert erst in seiner Hochzeit mit der heiligen Braut"

sterbend die Vereinigung mit dem All. Es ist sozusagen die kosmische Begegnung des mnnlichen und weiblichen Prinzipes im Weltall damit angedeutet. Dabei erinnert an den Peer Gynt"

und

die

am

Schlsse

desselben

erfolgende

Identifikation

der

Solveig und Aase, da Brnnhild sich auch als Siegfrieds Mutter


bezeichnet. Sie reprsentiert die Ewigkeit der Gattung, mit der

das Individuum Siegfried als Wecker des Lebens" die Vereini-

gung eingeht.2 Auch bei Ibsen ist die In-Eins-Setzung von Mutter und Geliebter kein gedankenloser Vershnungseffekt noch knapp vor dem Tode, sondern deutet auf das hin, was Mutter und Geliebte immer gemeinsam haben. Sicherlich steht das liebende Mdchen zu dem Manne, den es liebt, sehr oft (wenn auch nicht immer) im Verhltnis einer gewissen Mtterlichkeit: auch der Mann, von dem sie ein Kind bekommen kann, ist selbst schon in gewissem Sinne ihr Kind; auf der anderen Seite wird der liebende Mann diesem Mdchen gegenber selbst zum Kinde und kann sie als eine Mutter apostrophieren. Es ist eben der
1

Ibsen steht als Charakter berhaupt in der Mitte zwischen Hebbel

und Wagner, Fichte und Schopenhauer. Er ist zudem in Tielem Kant hnlicher als irgend ein anderer historischer Mensch auer ihm. * Ewig war ich, ewig in s sehnender Wonne" u. s. w. (Siegfried
3.

Akt).

ber Henrik Ibsen und

seine

Bichtnng ^eer Gynt".

45

Genius der unsterblichen Gattung, der Peer in Solveig vor dem Tode entgegentritt. Ibsens Meinung klingt hier an die Schopenhauers ber die Unzerstrbarkeit unseres Wesens an sich, das nur der Lebenswille der Gattung sei, merklich an; spter hat Ibsen diese die Logik des einzelnen Menschenlebens negierende Weltanschauung berwunden und ist nie mehr auf sie zurckgekommen. Im Schlsse des Peer Gynt schillert sie aber, zum Schaden der Dichtung, ein wenig hindurch. Als Vertreterinnen
des ewigen Lebens der Gattung, das sie nur weiterzugeben haben,

erscheinen die Mtter mit jener symbolischen Weihe ausgestattet, welche dem kindlichen Gefhle des Mannes zu Brnnhilde wie zu Solveig eine tiefe Berechtigung verleiht. Der Tristan Wagners, der pessimistisch ist und nicht durch das Leben, sondern aus
sucht, kann Frage nicht in Betracht kommen. Die Zusammenfassung zweier Funktionen des Weibes, der Mutter und der Geliebten, in einer Person erinnert aber auch an die Doppelnatur der Kundry im Parsifal" Wagners. Dieser ist das Ergebnis der Revision, welche Wagner an den Anschauungen seiner Jugend und seines Mannesalters vorgenommen hat, und sein letztes Wort in vielen Dingen sonst wie auch im gleichen Probleme, das Ibsen in seinem Epilog zum letzten Male

dem Leben hinaus zum hheren Leben zu gelangen

fr diese

Wort lautet aber anders als das Wagner an seinem frheren Schaffen anbringt, ist eine weit radikalere Umkehrung der frheren Ansicht, als sie bei Ibsen stattgefunden hat. Im Parsifal knnte hchstens das Weib vom Manne erlst werden. Aber es will diese Erlsung nicht, es wehrt sich gegen sie. Also hat das Weib fr Wagner keine Sttte mehr im Eeiche Gottes, Kundry stirbt an der Schwelle desselben; das Weib kann als Weib nicht weiter
behandelt hat.
Dieses
letzte

Ibsens, die Berichtigung, die

existieren,

nachdem

es den Gral geschaut hat.

Es erschttert zu

sehen, wie derselbe

Wagner, der

einst die Elisabeth besang, ber

umgelernt hat; ohne tiefen Schmerz wird das kaum Er verneint jetzt das Weib durch die Bejahung der vlligen Keuschheit des Mannes. Es ist damit seiner
das Weib
sich vollzogen haben.

Funktion beraubt, zwecklos geworden in der Welt, es mu sterben. Die Vergehung des Mannes am Weibe, die in aller Erotik enthalten ist, hat Ibsen viel tiefer erfat und viel strker
bereut als Wagner; die Snde des Mannes wider sich selbst, die

46

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

in

der Geschlechtlichkeit
eines

liegt,

als

dem Wunsche, sich


zu knnen,

in
ist

den
das

Armen

Weibes

gnzlich

vergessen

Moment, auf welches Wagner schon im Tannhuser" sehr viel und Ibsen sehr wenig Nachdruck legt. Diese schwache Betonung der asketischen ^ Forderung fr den Mann drfte blo darin ihren Grund haben, da Ibsen, auch in seiner Kunst, eine viel weniger sinnliche Natur ist, als Wagner, und sicherlich sein Leben lang in einem persnlich reineren Verhltnis zu den Frauen gestanden
ist,

als dieser. Ob aber Ibsen die tiefere erotische Schuld des Mannes, die ihn so stark gedrckt hat, wie wohl niemanden vor ihm, und ber die gewi kein Mensch so viel nachgedacht hat wie er, ob ihn diese Schuld des Mannes fr das nicht mehr mibrauchte und verachtete Weib einer imaginren Zukunft nicht zu viel hat hoffen lassen; ob nicht der ganze Sinn des Weibes im Weltall (wie zweifellos die Absicht jeder einzelnen konkreten Frau) der ist, dem Manne Gelegenheit zum Schuldig- Werden zu geben; ob sie nicht das Objekt an sich verkrpert, an welchem nur das Subjekt immer und ewig zum Bewutsein seiner selbst die Untersuchung dieser Frage berwird gelangen knnen schritte denn doch zu weit die Grenzen dieses Aufsatzes, der sich von der heute so allgemein blichen impressionistischen und technischen Kritik weit genug entfernt hat, um nach Gewinnung hherer Gesichtspunkte zu streben; dessen Ziel aber dennoch geblieben ist, den Peer Gynt" von Ibsen, seine grte und darum am wenigsten verstandene Dichtung, einem weiteren Kreise von Menschen nher zu bringen -,2 und dem keine hhere

Ehrung widerfahren knnte,


Kunstwerkes
'

als eine Kritik


ist.

zu heien, die des

selbst nicht

unwrdig

Askese darum mehr eine selbstverstndliche Sache des Mannes). L'ii gewhnliche Auffassung des Epiloges als des Schmerzes eines Siebzigjhrigen um den verpaten Venusberg werde nur erwhnt, nicht zurckgewiesen. ' Ibsen hat im Laufe seines Lebens leider aufgehrt, gleich Groes zu wollen, wie zu der Zeit, da er den Peer Gynt" schrieb.
Ibsen
ist die

(als

geschlechtliche Enthaltsamkeit

Kaiser und Galiler" bezeichnet diese Strecke seines Lebens, wo eines der gewaltigsten Probleme angefat wird, mit nur schwachen Resten des Willens, es auch zu lsen. Wre Ibsen der Ibsen des Peer Gynt" geblieben, er wre grer als Goethe geworden; denn der Mensch kann alles, was er will.

Das hervorragendste Stck der spteren Zeit, Eosmersholm" ist schwach gegen Peer Gynt" und Ibsens Wille sinkt nach Rosmersholm weiter.
;

ber Henrik Ibsen und seine Dichtung Peer Gynt".

47

ber die Idee der menschlichen Vaterschaft gegenber der vorwiegenden Bercksichtigung der Verbindung des Kindes mit der Mutter sagt J. J. Bachofen, Das Mutterrecht, Stuttgart 1901, S. XXVII: Euht die Verbindung der Mutter mit dem Kinde auf einem stofflichen Zusammenhange, ist sie der Sinnenwahrnehmung erkennbar und stets Naturwahrheit, so trgt dagegen das zeugende Vatertum in allen Stcken einen durchaus entgegengesetzten Charakter. Mit dem Kinde in keinem sichtbaren Zusammenhange, vermag es auch in ehelichen Verhltnissen die Natur einer bloen Fiktion niemals abzulegen. Der Geburt nur durch Vermittlung der Mutter angehrend, erscheint es stets als die ferner liegende Potenz. Zugleich trgt es
erweckende Urschlichkeit einen urstofflichen Charakter, hegende und nhrende Mutter als vli], als zat^a und Ss^aiifvij ysvsasmg, als xiSi^vrj sich darstellt. Alle diese Eigenschaften des Vatertums fhren zu dem Schlsse: In der Hervorhebung der Paternitt liegt die Losmachung des Geistes von den Erscheinungen der Natur, in ihrer siegreichen Durchfuhrung eine Erhebung des menschlichen Daseins ber die Gesetze des stofflichen Lebens. Ist das Prinzip des Muttertums allen Sphren der tellurischen Schpfung gemeinsam, so tritt der Mensch durch das bergewicht, das er der zeugenden Potenz einrumt, aus jener Verbindung heraus und wird sich seines hheren Berufes bewut. ber da6 krperliche Dasein erhebt sich das geistige, und der Zusammenhang mit den tieferen Kreisen der Schpfung wird nun auf jenes beschrnkt. Das Muttertum gehrt der leiblichen Seite des Menschen an, und nur fr diese wird fortan sein Zusammenhang mit den brigen Wesen festgehalten; das vterlich-geistige Prinzip eignet ihm allein .... Das siegreiche Vatertum wird ebenso entschieden an das himmlische Licht angeknpft, als das gebrende Muttertum an die allgebrende Erde."
in seinem
als

Wesen dem gegenber

die

Aphoristisch- Gebliebenes.
(Enthaltend die Psychologie des Sadismus

und MasoehisErbsnde
etc.)

mus, Psychologie des Mordes,

Ethisches,

Weininger, ber

die letzten Dinge.

2.

Aufl.

Aphoristisches.
Der hchste Ausdruck
Der Mensch handle
Individualitt liege.
so,

aller

Moral

ist:

Sei!

da in jedem Momente seine ganze

Schlaf und

Traum haben

sicherlich etwas mit

dem Zustande

vor unserer Geburt gemein.

Die Algebra

ist begrifflich, die


ist die

Arithmetik anschaulich.

Die Gegenwart

Form

der Ewigkeit; das Urteil ber

Aktuelles hat dieselbe Form, wie das Urteil ber Immerwhrendes.

Zusammenhang mit der

Sittlichkeit, welche alle Gegenwart in Ewigkeit verwandeln, in die Enge des Bewutseins alle Weite der Welt aufnehmen will.

Determinismus fhren wird, ist die da der Kampf immer wieder aufgentigt wird. Im Einzelfalle mag die Entscheidung ganz ethisch erfolgen, mag der Mensch sich fr das Gute entscheiden; die Entscheidung ist aber nicht von Dauer, er mu wieder kmpfen. Freiheit, knnte man sagen, gibt es nur fr den Moment. Und das liegt im Begriffe einer Freiheit. Denn was wre das fr eine Freiheit, die ich durch einen guten Akt aus irgend
Tatsache,
einer frheren Zeit fr alle Zeit hervorgebracht, verursacht htte

Was immer auch zum

gerade der Stolz des Menschen, da er in jedem Augenneuem frei sein kann. Also fr Zukunft wie fr Vergangenheit gibt es keine Freiheit; ber sie hat der Mensch keine Macht. Darum kann sich der Mensch auch nie verstehen: Denn er ist selbst ein zeitloser Akt, ein Akt, den er immer
ist

Es

blick von

4*

52

Aphoristisches.

wieder vollzieht, und es gibt keinen Moment, wo er diesen

Akt nicht vollzge,


stnde.*

wie dies sein mte, damit er sich ver-

Die Ethik lt sich ausdrcken: Handle vollbewut, d.h. so, da in jedem Momente Du als Ganzer seiest, Deine ganze Individualitt liege. Diese Individualitt erlebt der Mensch im Laufe seines Lebens nur im Nacheinander; darum ist die
handle
Zeit unsittlich und kein lebender

Mensch je heilig, vollkommen. Handelt der Mensch ein einziges Mal mit dem strksten Willen so, da alle Universalitt seines Selbst (und der Welt; denn er ist ja der Mikrokosmus) in den Augenblick gelegt wird, so hat er die Zeit berwunden und ist gttlich geworden. Die gewaltigsten musikalischen Motive der Weltmusik sind
solche,

wo

dieses

Durchbrechen

der Zeit in der Zeit,

das

Brechen aus der Zeit heraus darzustellen versucht wird, wo auf

Ton ein solcher Iktus fllt, da er die brigen Teile der Melodie (welche als Ganzes die Zeit vorstellt; einzelne Punkte, zusammengefat durchs Ich) resorbiert und dadurch die Melodie
einen

aufhebt. Das Ende des Gralmotives im Parsifal", das Siegfriedmotiv sind solche Melodien. Es gibt jedoch einen Akt, welcher die Zukunft sozusagen in sich resorbiert, allen knftigen Rckfall ins Unmoralische
bereits
als

Schuld

voraus empfindet, nicht minder als alle un-

dadurch ber beide hinauswchst: Eine zeitlose Setzung des Charakters, die Wiedergeburt. Es ist der Akt, durch den das Genie entsteht. Sittliches Gebot ist: In jeder Handlung soll die ganze Individualitt des Menschen sichtbar werden, jede soll vollkommene berwindung der Zeit, des Unbewuten, der Enge des BewutMeistens tut der Mensch aber nicht, was er will, seins sein. sondern was er gewollt hat. Er gibt sich durch seine Entschlsse immer nur eine gewisse Direktion, in der er sich dann bis zum nchsten Momente der Besinnung bewegt. Wir wollen nicht
moralische Vergangenheit, und
fortwhrend, wir sind nur zeitweise, schubweise wollend. So er-

sparen

wir

Wo Ileus.
1

uns zu wollen: Prinzip der konomie des Aber der hhere Mensch empfindet dies immer als

Parsifalmotiv

variiert

III.

Akt (Den

heil'gen Speer, ich bring ihn

euch zurck).

Aphoristisclies/

53

durchaus unsittlich. Gegenwart und Ewigkeit sind verwandt: Zeitlose, allgemeine, logische Urteile haben die Form der Gege^iwart (Logik ist erreichte Ethik): Und so soll auch in jeder

Gegenwart
innen
nicht

alle

Ewigkeit liegen. Wir


Autonomie

drfen uns

auch von

determinieren; auch

diese letzte Gefahr, dieser


ist

letzte trgerische Schein der

zu meiden.
er

Wolle! d. h.: Wolle Dich ganz! Das Richtige im Sozialismus ist, da jeder Mensch, wie
sich selbst, seine Eigenart suchen

und auch sich zu finden trachten soll, auch sein Eigentum erst zu erwerben trachten solle; und hier darf er von auen nicht in seinen Mglichkeiten von vornherein
beschrnkt
sein.

Auf erworbenen Reichtum mag


Arbeit blicken.

ein

Mensch

stolz sein

und

mit Recht auf ihn wie auf ein sittliches Symbol auch innerer

Der Psychologismus ist die bequemste Auffassung des Lebens, denn nach ihm gibt es berhaupt keine Probleme mehr.

Er

verurteilt

darum von vornherein auch

alle

Lsungen, indem

er die eigentlichen Probleme so wenig anerkennt wie den


heitsbegriff.

Wahr-

Es

gibt keinen Zufall.

Kausalgesetzes, welches

sammentreffen

zweier

wre eine Negation des da auch das zeitliche Zuverschiedener Kausalreihen noch einen
Zufall
verlangt,

Der

Grund habe. Der Zufall wrde die Mglichkeit des Lebens vernichten, er wrde den Menschen, der erst im Begriffe ist, das Bse zu berwinden, abberufen von seinem Wege. Der Zufall wrde die Telepathie unmglich machen, die doch eine Tatsache ist. Er wrde den Zusammenhang der Dinge, die Einheit im
Universum
streichen.

Wenn

es

einen Zufall

gibt,

so gibt es

keinen Gott.

Die Liebe schafft die Schnheit Der Glaube schafil das Sein Die Hoflftiung schafft das Glck

alle

aber schaffen

das Leben.
ist

Ha

hlich

nichts

Der Schmerz

das psychische

Unglaube Furcht

Korrelat der Vernichtung.

Schmerz.

(Krankheit und Tod.)

54

Aphoristisches.

Die Lust ist das psychische Korrelat der Schpfung. Die Wollust ist von intensivem Schmerz begleitet, weil in ihr Schpfung und Vernichtung in eins flieen.
Lust:

Schmerz: Furcht Liebe

= =

Sein: Wollen
Sein: Wollen.
ist

Das Nicht-Sein des Verbrechers


und im eigentlichen Sinne

darum der grte Schmerz

die Hlle.

Hoffnung

Furcht:

Psychologie des Spielers. Jeder leiden-

schaftliche Spieler leidet stark an der Furcht.

Kennt
lust in der

die Pflanze Lust und Schmerz? Orchideen? Die WolBegattung scheint ihr zu fehlen! Hermaphroditismus

der Pflanzen!

Die Enge des Bewutseins und die Zeit sind nicht zweierlei, sondern eine und dieselbe Tatsache. Entgegengesetzt ist das Parallelogramm der Krfte; indem zwei verschiedene Bewegungen sich zu einer einzigen vereinigen, und vom selben Krper zu gleicher Zeit ausgefhrt werden knnen. Psychisch ist die Abwechslung, auch das Oszillieren.

wo
die

die

Das Seelenleben der Pflanzen nun mu ein solches sein, Enge des Bewutseins fehlt. Dem entspricht nmlich, da Pflanze sich nicht bewegen kann und da sie keine Sinnes-

organe hat; denn Entwicklung der Motilitt und der Sensibilitt sind immer parallel und gehren zueinander. Die Enge des Bewutseins (die Zeit) ist die Form der Bewegung des Psychischen.

Arbeit

Schpfung
Raubmord
ist

Schmerz

Lust.

Da

es keinen

gibt,

verstndlich Recht. Einen

Mord um

damit hat Nietzsche selbstGeldes willen gibt es nicht.

Aber der Raub

keine Einflsterung der annen Vernunft"


:

zum Morde das Rauben ist ein Gemordete htte noch immer Realitt, wenn er Geld bese: darum mu er beraubt, d. h. vllig gettet
des Mrders, sondern er gehrt
vlliges Tten; der

werden.

Aphoristisches.

ob

allen prinzipiell lsbaren Problemen Beziehung des Willens zum Wert, oder, was dasselbe ist, des Menschen zu Gott. Schafft der Wille den Wert oder der Wert den Willen? Schafft Gott den Menschen oder verwirklicht Ergreift der Wille das Gute oder das erst der Mensch Gott? Gute den Willen? Es ist dies das Problem der Gnade, das hchste und letzte Problem innerhalb des Dualismus, whrend die Erbsnde das Problem des Dualismus selbst ist. Es ist, wie ich glaube, so aufzulsen: Der Wert wird selbst Wille, wenn er in Relation zur Zeit tritt; denn das Ich (Gott) als Zeit ist der Wille. Es kann also gar nicht die Rede sein von Schpfung des Willens oder des Wertes: das Problem erweist hier eine Nachbarschaft zur Erbsnde. Der Wille hingegen wird Wert (der Mensch wird Gott), wenn er gnzlich zeitlos wird; der Wert ist ein Grenzdasein des Willens, der Wille ein Grenzdasein des Wertes. Wenn Gott Zeit
ist die

Das schwierigste unter

wird, dann wird er Wille,

d. h.

sowie das Sein in ein Verhltnis

Nicht-Sein sich eingelassen hat. Aller Wille will nur

zum zum Sein

zurck (sagt die Erbsnde), und ist etwas zwischen Nicht-Sein und Sein. Von Schpfung kann nicht die Rede sein. Wie das Auge zur Sonne, so verhlt sich Mensch zu Gott. Es ist weder die Sonne nur durchs Auge, noch durchs Auge die Sonne.
Idiotie ist das intellektuelle quivalent der Rohheit.

Epilepsie ist vllige Hilflosigkeit, Fallsucht, weil der Ver-

brecher Spielball der Gravitation geworden


tritt nicht auf.
erlischt

ist.

Der Verbrecher

Gefhl des Epileptikers: wie wenn das Licht

Ohrensausen beim Schall ein. Der Epileptiker hat Visionen von roter Farbe: HUe, Feuer.
vllig jeder uere Halt fehlt.

und

Anfall: vielleicht tritt,

wenn Licht

fehlt,

Aus unserem Zustand vor der Geburt


die

ist vielleicht

darum

keine Erinnerung mglich, weil wir so tief gesunken sind durch

Geburt: wir haben das Bewutsein verloren, und gnzlich

triebartig geboren zu

werden verlangt, ohne vernnftigen Ent-

schlu und ohne Wissen, und darum wissen wir gar nichts von
dieser Vergangenheit.

56

AphoristischeB.

Der Mord ist eine Selbstrechtfertigung des Verbrechers; er sucht sich durch ihn zu beweisen, da nichts ist.

Man
etwa

darf sich auch nicht selbst kausal bestimmen wollen

mich selbst durch eine Handlung gut werden und von Natur aus gut handeln, weil ich dann nicht anders knnen werde. Denn hierdurch verzichtet man auf die Freiheit, welche in jedem Momente alle Vergangenheit negieren kann und insofern
so; ich

werde

jetzt

machen und

hierdurch ein fr allemal gut

dem passiven (Heringschen) Gedchtnis entgegengesetzt ist. Man macht sich zum Objekt, indem man so die Kausalitt
einfhrt; denn eine
schon keine mehr.
Sittlichkeit,

zu der ich gezwungen

bin, ist

Mssen
Verhltnis
ethisch

mehr Wollust und sinnliche Gier in dem zum Weibe ist, desto tiefer die Kinder stehen? Desto mehr Verbrecherisches im Sohne, desto
nicht,

je

des Mannes

mehr Dirnenhaftes

in der Tochter sein?

Man

liebt

seine

physischen Eltern; darin liegt wohl ein


sie

Hinweis darauf, da man

erwhlt

hat.

Der Zustand der menschlichen Kindschaft


viel klglicher,
als

ist

darum

so-

der des neugeborenen Tieres und der neu-

geborenen Pflanze, und nur darum mu der Mensch allein aufgezogen und erzogen werden, weil hier die Seele sich so verloren hat; darum ist das Menschenkind so hilflos und schwach und (Kindersterblichkeit!) der Todesgefahr so viel nher, als der Erwachsene und leidet der Mensch an Kinderkrankheiten, welche Tier und Pflanze nicht kennen.
Htte der Mensch sich nicht verloren bei der Geburt, mte er sich nicht suchen und wiederfinden.
so

Die Welt ist meine Vorstellung" da dies ewig wahr ist und nicht widerlegt werden kann, mu einen Grund haben. Alle
diese Dinge, die ich sehe, sind nicht die volle Wahrheit, sie ver-

hllen das hchste Sein noch immer vor dem Blicke. Als ich ward, verlangte ich aber nach diesem Selbstbetrug und diesem

Aphoristigchea.

^7

darauf, blo die

Als ich auf diese Welt kommen wollte, verzichtete ich Wahrheit zu wollen. Alle Dinge sind nur Erscheinungen, d. h. sie spiegeln mir immer nur meine SubSchein.

jektivitt wieder.
So wie sich der Mensch zu jeder kleinsten und unbedeutendsten seiner psychischen Regungen verhlt,
so

Gott

zum

Menschen. Beide suchen sich


wirklichen.

in

jenen zu offenbaren und zu ver-

Dem

Verbrecher
sind.

ist es

angenehm, wenn

viel verbrecherische

Menschen da

Denn
;

er sucht den Mitschuldigen, er

kann

keinen Richter brauchen


fhlt

er will den Richter, das Gute, aus der


allein

Welt schaffen und dem Nichts er sich von Widerspruch


ist,

Realitt geben.

Darum

befreit

und

entlastet,

wenn der

andere auch so

wie

er.

Der Verbrecher ist der Gegenpol des sich schuldig fhlenden Menschen. Denn dieser nimmt seine Schuld auf sich, der Verbrecher gibt sie dem anderen: Er rcht und straft den anderen fr sich: So erklrt sich der Mord.
selbst in den Tod, wenn er da er endgltig bse wird; der gemeine Mensch mu zum Tode durch ein richterliches Urteil gezwungen werden. Das Gefhl seiner Immoralitt ist dem anstndigen gleich einem Todesurteil; er erkennt sich nicht einmal zum Rume, den er

Der anstndige Mensch geht

fhlt,

verkleinert

einnimmt, die Berechtigung mehr zu, er verkriecht sich, sich, krmmt sich zusammen, mchte vergehen,
Die Moralitt hingegen
zu. als ihr

zum Punkte zusammenschrumpfen.


erkennt sich

Recht

das ewige Leben und den grten

Raum,

d.

i.

Raumlosigkeit oder Allgegenwart

Schuld und Strafe sind nicht zweierlei, sondern eins.

Jede Krankheit
Psych-iatrie,

ist

Schuld und Strafe;

alle

Medizin mu

mu
d. h.

Seel-sorge werden.

Es

ist

irgend etwas Unselbst innerlich

moralisches,

Unbewutes, das zur Krankheit fhrt; und jede


sie

Krankheit ist geheilt, sobald erkannt und verstanden ist.

vom Kranken

58

Aphoristisches.

Die alte Auffassung ist sehr tief, welche die Kranken und Ausstzigen fragen lt, was sie verbrochen htten, da Gott
sie so zchtige.

Der Mann schmt

sich

darum der Krankheit, das Weib

nie.

Auch die Gesetze der Logik, nicht nur die der Ethik, suchen ihrem eigentlichen Sinne nach immer besser zu verstehen und wollen sie immer richtiger aussprechen lernen.
wir

Phantasie und Schmuck, ^

Phantasie und Kunst, Phantasie und Spiel,

Phantasie und Liebe, Phantasie und Schpfung,


Phantasie und Form,
Phantasie und Schmuck.

Die Kunst schafft, die Wissenschaft zerstrt die sinnliche Welt; darum ist der Knstler erotisch und sexuell, der Wissenschaftler asexuell. Die Optik zerstrt das Licht.
Die Diskontinuitt im Zeitverlaufe
ist

das Unsittliche an ihm.


ist

Das Verhltnis der Finalitt zur Kausalitt Lsung des Zeitproblems zu bestimmen.
Ursache
Mittel

nicht ohne

Wirkung

Zeit

Zweck

Die Umkehrung der

Zeit.

den Zweck zum Mittel macht und die Folge wie den Grund behandelt, der kehrt die Zeit um; und die Umkehrung der Zeit ist bse.
Mitrauen gegen sich selbst
Mitrauens.
ist

Wer

Bedingung

alles

anderen

Richter sind Menschen mit vielem Bsen. Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet!" Wer ber andere zu Gericht
1 Vielleicht bezieht sich diese Znsammenstellung Kosmos"? (Anmerkung des Herausgebers.)

auf den Begriff

Aphoristisches.

59

sitzt,

geht selten in

sich.

Henker.

Er wtet auf

die

Der Richter hat innerlich viel vom Weise gegen sich selbst, da er

gegen den anderen


Monarch
als

streng

ist.

Organ und Monarch

als

Symbol.

zu alle Liebe ein Versuch ist, sich im anderen und alles, was geschaffen wird, nur durch Liebe geschaffen wird, kann dann die Schpfung des Menschen durch Gott nicht als der Versuch Gottes aufgefat werden, sich im Menschen zu finden? So erhlt auch der Gedanke der Gotteskindschaft einen Sinn. Die Menschheit und ihr Korrelat die Welt ist die sichtbar gewordene Liebe Gottes. Das Sittengesetz ist dieser Wille Gottes, sich im Menschen zu finden: das Wollen Gottes als das Sollen des Menschen (Fechner). Und zugleich ist Gott
finden,

Wenn

durch die theoretische Vernunft (die Normen der Logik) der Lehrer der Menschheit (Lehrerschaft als andere Seite der Vaterschaft).

Der Mrder wird durch jedes Lebenszeichen des Menschen,


der sein Opfer werden soU, von seinem Vorsatz zurckgeschreckt,
d. h.

widerlegt;

darum sucht
totesten.

er

am

dies der inneren Absicht seines

liebsten das alte Weib, weil Mordes nicht widerspricht; denn

es ist selbst

am

Der Engel im Menschen


Teufel in ihm
ist

ist

das Unsterbliche in ihm; der

Da ein Schuld mglich.

nur das, was zugrunde geht. Mensch irrsinnig wird, ist nur durch eigene

Ein Mensch kann innerlich an nichts anderem zugrunde


gehen, als an einem Mangel an Religion,

Warum streben das Etwasund Nichts immer gegeneinander? Warum wird der Mensch geboren, warum will der Mann zum
Weibe?
Das Problem der Liebe ist, so sehen wir hier, das Problem der Welt, das Problem des Lebens, das tiefste, unauflsbarste, der Drang der Form, Materie zu formen, der Drang des Zeitlosen in die Zeit, des Raumlosen in den Raum. Dieses

60

Aphoristisches.

Problem treffen wir berall an es ist das Verhltnis der Freiheit zur Notwendigkeit. Der Dualismus in der Welt ist das Unbegreifliche: das Motiv des Sndenfalles ist das Rtsel, der Grund und Sinn und Zweck des Absturzes vom zeitlosen Sein, vom ewigen Leben ins Nichtsein, ins Sinnenleben, in die irdische Zeitlichkeit; der Fall des Schuldfreien in die Schuld. Ich vermag nie einzusehen, warum ich die Erbsnde beging, wie das Freie unfrei werden konnte. Und warum? Weil ich eine Snde erst erkennen kann, wenn ich sie nicht mehr begehe. Darum kann ich das Leben nicht begreifen, solange ich das Leben begehe, und die Zeit ist das Rtsel, weil ich sie noch nicht berwunden habe. Erst der Tod kann mich den Sinn des Lebens lehren. Ich stehe in der Zeit und nicht ber der Zeit, ich setze die Zeit noch immer, verlange noch immer nach dem Nichtsein, wnsche noch immer das materielle Leben; und weil ich in dieser Snde stehe, vermag ich
:

sie

nicht

ich bereits. ich

zu fassen. Was ich erkenne, auerhalb dessen steh' Meine Sndhaftigkeit kann ich nicht begreifen, weil
Irrsinnige leben diskontinuierlich.

immer noch sndhaft bin. Der Verbrecher und der

Der Mensch

lebt so lange, bis er

entweder in das Absolute


selbst in

oder in das Nichts eingeht.


nichtet
sich

Er bestimmt

Freiheit

sein knftiges Leben: er whlt Gott oder das Nichts.


selbst oder schafft sich selbst

Ein doppelter Progre ist fr ihn mglich: (zur vollkommenen Weisheit und Heiligkeit, zu einem der Idee des Wahren und Guten vllig adquaten Zustande) und dem zur ewigen Vernichtung. Nach einer dieser beiden Richtungen aber schreitet er immer fort: ein drittes gibt es nicht.
Weil

Er verzum ewigen Leben. der zum ewigen Leben

die Zeit einsinnig

ist,

darum

der Zustand vor unserer Geburt.

interessiert uns weniger Unsere Geburt setzt etwas

Neues, beginnt eine neue Reihe.

Die
Knstler

Wissenschaft
ist sexuell,

ist

asexuell,

weil

sie

resorbiert,

der

weil er emaniert.

Aphoristisches.

61

Der Dualismus schaffen, ber die

liegt darin,
vsir

da wir die Empfindungen nicht

denken.

Der Idealismus
stellung", zeigt

aller Philosophie:

die

Welt

ist

meine Vor-

Philosophen am ein Teil der Welt, er nhert sich den Dingen an und hebt so die Nireaudifferenz zwischen Mensch und Natur auf.

Resorption der Dinge durch das Ich des klarsten. Fr den Knstler ist der Mensch eher
die

Da

das Psychische das Physische schafft,

mu

der Mensch

entweder nmlich der Mensch ist dem Absoluten gleich geworden, ins ewige Leben eingegangen, dann kann er nicht in materieller Form existieren, begrenzt in Eaum und Stoff; er wird, w^enn es einen psychophysischen Parallelismus gibt, einen Leib bekommen, der mit der ganzen sichtbaren Natur eins geworden ist, er wird die Seele der Natur, die Natur sein Krper; so wie der Baum, unter dem Buddha starb, bei seinem Tode pltzlich zu blhen angefangen haben soll: weil neues Leben die ganze Natur durchdrang. Die andere Mglichkeit ist fr den Menschen, da er dem
sterben. So findet der

Tod

seine Erklrung:

Nichts anheimfalle; er lst sich in lauter materielle Atome auf:

der absolute Verbrecher. Die Vorbereitungen zu dieser psychischen Disgregation werden vom Verbrecher schon im Laufe seines

Lebens getroffen. Die Hlle ist die Furcht des Guten vor dem Bsen: weil das Feuer das Agens ist, um Geformtes zu zertreiben und zu z^stuben. Aber es gibt keine Hlle: der Gute schafft sich, der Bsse vernichtet sich selbst.

Der Mensch entkeht krperlich durch Vater und Mutter;


geistig

durch das Verlangen

des Etwas,

des

Absoluten zum

Mythus von Uranos und Gaia. Insofern sind wir Kinder Gottes und Shne des Staubes (der Materie) zugleich. Der Mensch kann auch geistig dem Vater oder der Mutter nachgeraten dem Vater, indem er Gott wird, der Mutter, indem er psychisch zugrunde geht. So entsteht der Mensch durch eine hhere Art von
Nichts.
:

Vererbung, als das Tier; er kehrt zum Vater zurck, wenn er


die

Erbsnde

verneint,

er

taucht in die
sie bejaht.

Verborgenheit

des

Mutterschoes unter, wenn er

G2

Aphoristisches.

Ist die Epilepsie nicht die

Einsamkeit des Verbrechers?


hat,

Fllt er nicht, weil er nichts

mehr

an das er sich anhalten

knne ?

Phnomene ein anderes kann man aus folgendem erkennen. Gesetzt, es wre festgestellt, da eine unmoralische Regung stets mit einer bestimmten Krperbewegung, einem bestimmten Gefhle im Herzen assoziiert wre, eine moralische Regung stets mit einer anderen Geste, einer anderen krperlichen Empfindung verbunden, und die Art und die Lokalisation dieser physischen Begleiterscheinungen sei der Wissenschaft oder einem einzelnen Menschen ganz genau bekannt und fr ihn wiedererkennbar: so wre es ganz und gar, im allerhchsten Grade unmoralisch, wenn dieser Mensch die Begleitempfindungen als Mastab dafr bentzen wollte, ob seine psychischen Regungen moralisch seien oder nicht. Hier liegt der eigentliche Unterschied des Psychischen vom
Inwiefern
es

um

die psychischen

ist als

um

die physischen,

Physischen. Das Psychische


als

Forderung der Ethik. Man eben noch einen anderen Mastab und ein anderes Erkenntnis- und Beurteilungsorgan fr das, was man selbst tut und denkt und fhlt, als fr die ueren Phnomene. Und darum kann blo Selbstbeobachtung wahre Resultate liefern: Philosophie
das Physische
das
ist

mu
eine

unmittelbarer erkannt werden,

besitzt

und Kunst sind

nichts als verschiedene

Weisen einer

vertieften

Selbstbeobachtung.

Nur aus

sich selbst

kann der Mensch

die Tiefe der

Welt

erkennen: in ihm liegen die Zusammenhnge der Welt.

Da wir

keine Erinnerung an ein Leben vor der Geburt

Einwand gegen die Erbsnde und den Fall aus der wahren Existenz, da es vielmehr gar nicht anders sein kann als so, und eine Erinnerung an ein Vorleben geradezu einen Widerspruch gegen den Gedanken des Sndenfalles bilden mte. Denn diese Erinnerung wrde die Zeit inkludieren die Zeit ist aber erst mit der Geburt, mit dem Sndenhaben, bildet so wenig einen
;

fall, da.

Da

es Probleme, Krankheit,

d. h.

Schuld gibt, dies beweist

und Nicht-Sein drfen nicht in zeitlichem Verhltnis, sondern mssen nebeneinander gedacht werden.
die

Erbsnde.

Sein

Aphoristisches.

63

Der Mord wird vom Verbrecher verbt aus


Verzweiflung: er
zufllen ;
ist

frchterlichster

Leere ausVerbrecher will er nichts mehr, tut er nichts mehr; er sieht, da sein Leben zu keinem Ende fhrt, und daram will er etwas bewirken. Dabei ist ihm ganz gleichgltig, wen
Mittel, die grte innere

ihm das

denn

als

tes

ermordet; dieMordabsichtrichtet sich nieauf einbestimmIndividuum, sonst stnde ja Mordlust als psychologische

Disposition nicht so tief; er will nur berhaupt morden, verneinen.

Gewhnung (bung)
Fortpflanzung
Alle

|
(

Schuldvermehrung,
Zeit.

Funktion

der

Schuld sucht von selbst sich zu vermehren: daraus


Qualitten des niederen Lebens sich erklren lassen.

mssen

alle

Die Vegetarianer haben ebenso Unrecht wie ihre Gegner.

Wesen nicht beitragen will, der drfte nur Milch trinken denn wer Obst oder Eier it, ttet noch immer Keime. Milch ist vielleicht darum die gesndeste Nahrung, weil
zur Ttung lebender
;

Wer

es die sittlichste

ist.

schauen

Der Mensch vertrgt es nicht einmal, so schwach und unreif ist er.

in

die

Sonne zu

Die Geburt ist eine Feigheit: Verknpfung mit anderen Menschen, weil man nicht den Mut zu sich selbst hat Darum sucht man Schutz im Mutterleibe.

Der Verbrecher hat auch keinen geraden Gang

(schiefer

Der auch zum wirklichen Buckel: der Bucklige, der Krppel, scheint immer bse zu sein).
nicht

Gang des Hundes),


Verbrecher
geht

nur keinen zentrierten Blick. stets gebckt (alle Grade bis

Zola

ist

der absolut humorlose Mensch.

Rauch

der Sonne bei ihrem Untergange.

64

Aphoristisches.

Der Ekel verhlt sich zur Furcht, wie

die

Lust

zum Wert.
Die Fixsterne bedeuten den Engel im Menschen. Darum orientiert sich der Mensch an ihnen; und darum besitzen die Frauen keinen Sinn fr den gestirnten Himmel; weil ihnen der Sinn fr den Engel im Manne abgeht.

Ob auch die Natur eine Geschichte hat? Ob auch frs Naturgeschehen als Ganzes (Anorganisches miteingeschlossen) die Zeit gerichtet ist? Insoferne wre ein wahres an der Entwicklungslehre (Palontologie). Ob es eine Entwicklung der Gewitter, des Wetters gibt (etwa korrespondierend der menschlichen Geschichte und symbolisch fr diese?)?
Das Merkwrdige an der Zeit ist, da trotz der ewigen Vernderung alles in ihr gleich bleibt (alles ist schon dagewesen", , nichts Neues unter der Sonne"). Langeweile GesetzFreiheit. Die berwindung der lichkeit Kausalitt. Neuheit

Die Zeit fhrt zum Begriff des Ewig Jungen" (Wagner). Natur ist ewig jung. Denn hier ndert sich wohl nichts und ist doch alles immer neu. Menschen, die wenig berzeitliches haben, wie die Juden, fhlen sich immer blasiert und gelangweilt, weil in der Zeit sich alles gleich bleibt; Siegfried hingegen ist ewig
jung".
so raumlos, wie zeitlos; und das Ziel bestimmen als Nurgegenwart, als Allgegenwart (man versteht unter Allgegenwart meist nur Freiheit vom Rume, statt darunter auch die Resorption von Vergangenheit und Zukunft, von allem Unbewuten in die bewute Gegenwart zu verstehen). Die Enge des Bewutseins soll das All umfassen: Dann erst ist der Mensch ewig jung" und vollkommen.

Die

Gegenwart
lt

ist

des Menschen

sich

Lust ist noch allgemeiner zu bestimmen denn als das Gefhl der Schpfung. Eindeutig zu bestimmen ist sie nur als Gefhl

des Lebens,

als

Innewerdung der Existenz; Schmerz

als

Gefhl irgendwelchen Todes (darum ist die Krankheit schmerzhaft). Gegen den Eudaimonismus ist hierbei so viel zu bemerken, da das Ziel des Strebens nicht verwechselt werden darf mit

Aphoristisches.

65

dem

Gefhle, das sich

am

Ziele einstellt (das ich aus Erfahi'ung

kennen mag). Wenn ich nach hherem Leben strebe, so strebe ich nach etwas, dessen Begleiterscheinung hhere Lust ist, aber nicht nach der Lust selbst. Ebenso verlangt der Mann nach dem Weibe, das Weib nach dem Manne, nicht direkt nach der Lust.
Alle Worte, welche mit dem Leben mae zusammenhngen, haben L:
in

einem gewissen Ausleise, lispeln,

Leben, Liebe, Lust, voluptas. Lachen, leicht,


Lenz, lschen, Lax, Laben,
lux,
lose, largus,

Licht, Luxus, Libet (Lubet, lateinisch), volo (ich will

= ovXofiai),

Flu, Flte, Lilie, Luchs,


fisXt,

locker, schlpfrig, glatt, gleiten, List, ykvxvg,


Xafijtca,

Lotos, lindern,

Lappen (weiches Tueh), Lamm, Leim, weil A der reibungsloseste Konsonant ist und Reibung der Ganzheit und Einheitlichkeit am strksten entgegenlumen,
Ivxvog,

Lecken,

gesetzt.

Es

lassen sich hiergegen freilich anfhren:

Last, Leder, Lernen,

Lahm, letum,

lechzen, links.

Grundzug

alles

Menschlichen:

Suchen nach Realitt.


alle

Wo

die Realitt gesucht

und gefunden wird, das begrndet

Unterschiede zwischen den Menschen.

Was
einer

der Mensch erlebt, sind jeweilig abgehobene Teile aus


rumlichen, stofflichen, farbigen,
sind zunchst zweierlei Dinge

unendlichen, zeitlichen,

klingenden Mannigfaltigkeit.
mglich:
Alls

Darum

Er sucht

die Realitt im Ganzen, in der Totalitt des

und seinem unendlichen Zusammenhang; oder ihm wird zur

Realitt jedes einzelne, sozusagen punktuelle Element des Welt-

ganzen. Es ist ganz dieselbe Welt, ihrer Quantitt nach gleich, ganz gleich unendlich; aber dem einen ist der Teil immer nur Teil und nur so weit real, als er im ganzen mitbegrndet ist. Der andere umspannt die gleiche Welt; aber jedes einzelne Element besteht ihm fr sich als real, und er sucht unter allen den Teil von grter Realitt. Auf das Religise angewendet (denn beide Typen knnen fromm sein): Dem letzteren kann die Sonne selbst oder eine historische Gestalt selbst, oder die Madonna selbst, an und fr

W e in inger,

ber die letzten Dinge.

Aufl.

66

Aphoriitischeg.

sich,

zur Gottheit werden.

ein einzelnes

um

so eher,

Dem anderen wird immer nur so weit Ding Gott, als es symbolisch ist fr das Ganze, und je mehr Dinge in ihm zusammenhngen.

Auf das Sexuelle angewendet: Dem einen ist das einzelne Weib real; es ist der Sadist: Der Sadist wirkt darum auf das
Weib, weil es fr ihn die denkbar grte Realitt ist (vgl. Geund Charakter, 1. Aufl., S. 397 bis 401); dem Masochisten hingegen ist das einzelne Weib nie real, er sucht in ihm immer noch nach etwas anderem, als nach dem Weibe. Darum vsarkt er nicht auf das Weib. Der Sadist lebt diskontinuierlich in einzelnen Zeitmomenten, er versteht sich nie: Jeder Augenblick hat fr ihn an sich schon Realitt; darum ist er leicht entschlossen, indes der Masochist immer erst aus dem All heraus handeln knnte. Der Masochist kommt nie in die Lage, sich selbst zu fragen: Wie hab' ich das nur tun knnen? Ich verstehe mich nicht!" Dem Sadisten ist dies die gewhnliche Stellung zu seiner Vergangenheit, die fr ihn jedoch darum durchaus ihre punktuelle Realitt nicht verliert. Der Sadist hat das feinste Auffassungsvermgen und das beste Gedchtnis fr alles Einzelne im Moment; seine Sinne sind fortwhrend beschftigt, weil alles Einzelne fr ihn Realitt
schlecht
hat.

Der Masochist

leidet unter langen Pausen, die er mit keiner

Realitt ausfllen kann.

Unter dem, was ihm irreal ist, leidet nmlich der Masowie unter einer Schuld. Darum fhlt e r sich vor dem Weibe verlegen, der Sadist nie. Er ist dem Weibe gegenber passiv, wie jeder Empfindung gegenber, der er erst durch Assoziation, die zuletzt zur Begriffsbildung fhrt, eine Realitt fr sich geben kann. Der Sadist assoziiert nicht: er reit der Empfindung gegenber den Mund auf, bereit und willens, sich ganz in sie zu strzen, ganz und gar in einer Empfindung aufzugehen. Der Masochist kann darum nie ein Bild, eine Statue lieben: hier ist allzuwenig Realitt (Aktivitt) fr ihn. Der Sadist sehiwohl; er ist ja auch galant, und Galanterie ist zuerst Schmcken von Statuen, denen man nachher den Schmuck wieder nimmt, oder die man zertrmmert, wenn sie keine Realitt
chist

mehr aus Der


lich; in

sich saugen lassen.

eigentliche Begriff von Gott ist


ist

dem Sadisten unverstndstets alles,

der Kunst

er

Empfindungsmensch, huft

Aphoristisches.

67

auch mit Ungerechtigkeit, auf einen Mann, auf einen Moment, auf eine Situation. Er kann erzhlen; der Masochist nie (nicht einmal Witze), weil ihm nichts einzelnes real genug ist, als da er liebevoll darin aufgehen knnte. Dem Masochisten ist der Name Napoleon Ausgangspunkt, vom dem er sich entfernt, um zu denken und ihn denkend zu erfassen: fr den Sadisten liegt in einem solchen Namen alle Welt. Der Masochist also ist der Empfindungswelt gegenber ohnmchtig schwach: der Sadist in ihr stark. Der Masochist sucht sich der Erscheinung, der Vernderung gegenber zu behaupten: er allein kennt den Begriff des Absoluten (Gottes, der Idee, des Sinnes). Der Sadist fragt die Dinge nicht nach ihrem Sinn: Carpe diem!" ist ihm das Gebot seines Ich; die Vernderung erscheint ihm real; was ihm an der Zeit auffallt, ist nicht sie, sondern die Dauer (aere perennins").

Der Rhythmus, welcher jeden einzelnen Ton, jede einzelne Silbe genau beachtet, ist sadistisch; die Harmonie masochistisch, wie auch der eigentliche melodise Gesang (in dem die einzelnen Tne nicht als solche hervortreten). Der Mystiker (sei er nun Theosoph wie Bhme, oder
Rationalist wie Kant)
ist

identisch mit

dem Masochisten ;i der

amystische Mensch ist der Sadist. Masochisten sind die Nordlnder (auch die Juden) Sadisten die Sdlnder. Bei Deutschen und Griechen findet sich beides ; dort berwiegt der Masochismus.
;

Venetianische

Epigramme,
Tasso,

Hermann

und

Dorothea

(?)

sind

Werther, Faust (grtenteils: eine Ausnahme bildet teilweise die Gretchen-Episode) masochistisch. Der Verfasser der Odyssee war Sadist; blo die Circe ist natrlich
sadistisch; Iphigenie,

masochistisches Ideal

(d. h.

das Ideal des Masochisten, der seinen


will).

Masochismus nicht bekmpft, sondern in der Passivitt

dem Einzelding gegenber verbleiben

Aischylos,

Richard Wagner, Dante, vor allen aber Beethoven und Schumann sind Masochisten; Verdi (ebenso Mascagni, auch Bizet) ist mehr Sadist, ebenso alle anakreontischen Poeten und die Franzosen des 17, und 18. Jahrhunderts, ferner Tizian, Paolo Veronese, Rubens, Rafael. Shakespeare hat viel Sadistisches, ist aber doch
Philosophen mit sadistischen (unmystischen) Zgen sind Descartes,

Hume,

Aristipp.

68

Aphoristisches.

mehr Masochist, dem Weibe gegenber jedoch ohne die schroffe Trennung von Sexualitt und Liebe, wie sie Goethe, Dante,
Ibsen, Richard
ist

Wagner

haben.
,

Vollkommenster Masochismus

im ersten Akte von


[Der Harmonie

Tristan und Isolde"; geringer im Tanndie Geometrie,

huser, Rienzi, Hollnder).


entspricht

dem Rhythmus
dies

die Arithmetik

(Addition

der Zeiteinheiten?):

zur Erlu-

terung der frheren Bemerkung.] Verbrecher, die einzelne starke verbrecherische Taten begehen, sind Sadisten;

Verbrecher im groen

Stil, die eigent-

Verbrechen begehen, sind Masochisten; Napoleon war Masochist, nicht Sadist, wie oberflchlich geglaubt wird; Beweis sein Verhltnis zu Josephine und seine Begeisterung fr den Werther, sein Verhltnis zur Astronomie und zu Gott. Das einzelne Weib hat fr ihn nie wirkliche Existenz besessen. Der Sadist kann brigens durchaus ein anstndiger und
lich kein einzelnes losgelstes

guter Mensch sein. Der Lutmord

ist vielleicht

eine Hilfe des Sadisten,


(? ?)

wenn

die Realitt des einzelnen

Weibes zu gro wird.

Ein Rache-

akt wie bei Zola mu er vielleicht gar nicht sein. Die Englnder sind smtlich Masochisten, und vielleicht ihre Frauen darum oft so verkmmert in der Weiblichkeit. In dem Worte Napoleons an seine Soldaten: Du haut de ces pyramides quarante sicles vous contemplent", steckt etwas
Metaphysisches, dessen
fhig wre.
ein echter

Franzose und Sadist nicht

Dem

Masochisten

fllt

zuerst hnlichkeit,

dem Sadisten

zuerst Verschiedenheit auf.

Dem

Masochisten sind schon

als

Kind Uhren, Kalender


ist.

das grte Rtsel, weil ihm die Zeit stets Hauptproblem

Der Masochist kann sich nie leichten Fues ber etwas frheres hinwegsetzen, was der Sadist stets tut, wenn der neue Augenblick mehr Realitt verspricht als der alte. Der Masochist empfindet alles als Schicksal; der Sadist
zu spielen. Besonders im konkreten den Masochisten immer die Idee des Schicksales; der Schmerz hat fr ihn nur so viel Realitt, als Anteil an dieser Idee. So ist der Sadist das Schicksal des Weibes das
es,

nebt

das

Schicksal

Schmerz

liegt fr

Aphoristisches.

69

Weib das

Schicksal des Masochisten. Weib"

ist sadistisch

(wer

Frau" masochistisch. Das Verhltnis des Sadisten zum Masochisten ist das Verhltnis der Gegenwart zur Ewigkeit. Die Gegenwart ist das einzige, worber der Mensch Macht hat; wer sich in ihr frei fhlt, wird sie nutzen, wie der Sadist; wer sich in ihr leidend fhlt, weil sie ihm nicht real ist, sucht sie zur Ewigkeit zu erwecken. So lt sich auch das ethische Streben beider charakterisieren: der eine will alle Ewigkeit in Gegenwart, der andere alle Gegenwart in Ewigkeit verwandeln. Das Gleiche gilt fr den Kaum. Der Sadist glaubt an, hofft auf das Glck auf Erden: er ist der Mann des Tuskulum", des Sans-Souci"; der Masochist braucht einen Himmel. Die Reue verbelt sich der Sadist und hlt sie fr eine Schwche (Carpe diem!); der Masochist ist durchdrungen von ihrer Erhabenheit (Carlyle). Der Selbstmrder ist fast stets Sadist; weil dieser allein aus einer Gegenwart heraus wollen und handeln kann; der Masochist mte erst alle Ewigkeit befragen, ob er sich tten
ist);

aktiv in der Empfindung des

Weibes

drfe, msse.

stante

Der Sadist sucht Menschen (wider ihren Willen, ihre konDisposition) zu (momentanem) Glck oder Schmerz zu

verhelfen: er ist dankbar oder rachschtig.

In Dankbarkeit und Rachsucht liegt stets Mitleidlosigkeit, Rcksichtslosigkeit gegen den (zeitlosen) Nebenmenschen;

beide sind, wie alle Unsittlichkeit,


funktionelle

Grenzberschreitungen,
d.

d.

i.

Verknpfungen mit dem Nebenmenschen.


h.

Psychische Schamhaftigkeit,
einzelnen Inhalt nicht leicht aus

Kontinuitt,

die

einen

dem Ich

entlt (vgl. Geschlecht

und Charakter",

1. Aufl., S.

436), ist

masochistisch.

liche,

statt

Die heutige Gesundheitspflege und Therapie ist eine unsittund darum erfolglose: sie sucht von auen nach innen, von innen nach auen zu wirken. Sie entspricht dem
des Verbrechers: dieser verndert sein ueres
her, statt

Ttowieren
von auen

durch eine nderung in der Gesinnung. Er

verneint so eigentlich auch sein ueres und

mag

deshalb nicht

70

Aphoristisches.

in

den Spiegel sehen, weil er sich (das

intelligible

Wesen)

hat,

ohne Bedrfnis, sich zu lieben. Der Verbrecher freut sich, wenn andere an ihm Ansto nehmen (wie ihm berhaupt jede Verbindung mit anderen, jeder Einflu auf sie, jede Beunruhigung
ihi-er

Person durch seine angenehm ist). Jede Krankheit hat psychische Ursachen; und jede mu vom Menschen selbst, durch seinen Willen, geheilt werden: er mu sie innerlich selbst zu erkennen suchen. Alle Krankheit^
ist

nur unbewut gewordenes, ,in den Krper gefahrenes" Psyso wie dieses ins Bewutsein hinaufgehoben wird, ist die Krankheit geheilt.
chische;

Der Verbrecher im allgemeinen wird nicht krank;


seine Erbsnde ist eine andere. Such' ich mir das ganz sinnenfllig vorzustellen, so

geht es etwa so: der Verbrecher strzt im Augenblick des Sndenfalles vom Himmel auf die Erde, indem er Gott den Rcken zukehrt, auf den Punkt, auf dem er stehen knne, jedoch wohl achtet. Der andere, der Kranke (Neurastheniker. Irrsinnige) strzt sich mit flehentlich zu Gott erhobenem Gesicht und Antlitz, und ohne Bewutsein und Aufmerksamkeit

dafr,

wo
die

er zu liegen
die

komme.
ersteren

Wenn
das

die Gefahr des letzteren


ist,

die

Pflanze,

des

Tier

so reimt sich das

wchst vom Erdmittelpunkte senkrecht weg gerade dem Himmel entgegen; der Blick des Tieres ist gegen
wohl:
die

Pflanze

Erde gerichtet. (Die Pflanze kann nie Symbol gelten, wie so viele Tiere.)

als

antimoralisches

Jedermann kann
fassen;
erst durch

sich selbst

immer blo

als Qualitt auf-

Vergleichung mit anderen werden quantiZeit.

tative Betrachtungen nahegerckt. Zahl und

Was

ein guter

Musiker

ist,

dessen Melodien haben vor allem

langen Atem.
Geschichte und Gesellschaft: Personen, die in einem sind, bilden immer eine Gemeinschaft gegen

Rume beisammen
Neu-Eintretende.

Nicht nur die Hysterie.

Aphoristisches.

Dankbarkeit und Rachsucht sind eines und dasselbe: es


gehrt zu beiden eine Empfindung des Einzelmomentes als real:

dankbar wie rachschtig

ist

der Sadist, nicht der Maschist.

Wenn

eine Frau, in entkleideter Stellung berrascht, auf-

schreit, 80 ist das

nur so zu verstehen, da

sie nicht

gut genug

darin auszusehen frchtete.

Die Disharmonie ist ein tragisches Element in der Musik. Gerade die grten Kunstwerke der Welt (Tristan und Isolde) haben diese tragische Grelle und sind mehr als schn.

Der gute Aphoristiker mu hassen knnen.

Gar mancher glaubt den einen Gott


er sich

los

zu werden, indem

mehreren anderen verschreibt.

Nichts wird so oft verwechselt, wie Eigensinn und Energie

vom

Eigensinnigen.
ist

Der Mathematiker ist das Gegenteil des Psychologen: er der einfache Mensch, einfach wie der Raum.

Wre der Mensch nicht frei, so knnte er die Kausalitt gar nicht auffassen, und gar keinen Begriff von ihi* bilden. Einsicht in die Gesetzmigkeit ist schon Freiheit von ihr
und das Bedrfnis nach dem (inneren) Wunder, das Erlsungsgeht Hand in Hand mit dem strengsten Gefhl fr Kausalverkettung im Empirischen. Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Band I, 2. Aufl., S. 346, findet es von Hume
bedrfois

merkwrdig, da der Mann, der die Erkenntnis kausaler Verhltnisse fr ein berall miliches und hchstens wahrscheinliches Ding erklrte, in der Psychologie des Willens durch eine Reihe glnzender Untersuchungen vertrat". Einer tieferen Einsicht wird dieser scheinbare Widerapruch zur Notwendigkeit. Auch Mach, Avenarius sind so strenge Deterministen, da die Frage der Willensfreiheit fr sie kaum zu existieren scheint, und doch beide Leugner der Kausalitt. Es erklrt sich dies daraus, da nur, wer von der empirischen

72

Aphoristisches.

Gesetzlichkeit

durchdrungen

ist,

das Bedrfnis nach Befreiung

von

ihr empfindet.

Kausalitt wird von Freiheit aufgefat, er-

kannt, gesetzt. Der Verbrecher erkennt die Kausalitt nicht an,


er will sie durchbrechen er will z. B. von einem Buckel, einem Hinken pltzlich frei werden so wenig erkennt er die Tatsache an (darum ist auch sein Wirklichkeitssinn gering). Ich glaube, Paulus sagt: Eine bse und ehebrecherische Art ist es, die nach Zeichen verlangt." Das ist vollkommen richtig. Das Wunder von auen erwartet nur der Verbrecher; der sittliche Mensch wrde sich des Wunders von auen schmen; denn da wre er ja
:

passiv. Alle

Bigotten

sind Verbrecher.

Der Transzendentalismus ist identisch mit dem Gedanken, da es nur eine Seele gibt, und da die Individuation Schein ist.

Hier widerspricht der monadologische Charakter der kantischen Ethik schnurgerade der Kritik der reinen Vernunft".
Die Frage, ob es eine Seele gibt oder mehrere, darf nicht werden; weil die Verhltnisse der Noumena ber den zahlenmigen Ausdruck erhaben sind.
gestellt

sthetisches

und mathematisches Element (Proportionen-

lehre) in der Gerechtigkeit.

Spiritismus und Materialismus sind eines, und verschiedene

Phasen,
Geistige

in

die

der nmliche

verlre

seine ganze Dignitt,

Mensch nacheinander tritt. Das wenn es sich materiali-

sieren wrde.

Einen Menschen (Kant oder Fechner) vollstndig verstehen,


heit ihn

berwinden.
die hysterische

Der Masochist wirkt auf


als

Frau

(das

Pflanze),

der Sadist auf die

nicht

hysterische

(das

Weib Weib

als Tier).

Die Megre
rakter"),

ist nicht,

das

Gegenteil

der Hysterika,

wie ich glaubte (Geschlecht und Chasondern das Gegenteil

der

Dame.

Aphoristisches.

73

Herr und Dame gehren zusammen, ebenso wie Pantoffelheld und Megre.

des

Das Bedrfnis, geliebt zu werden, wchst mit dem Gefhle Verfolgtseins und ist diesem proportional.

Wo

der

Mann

stiehlt, ist das

Weib nur neidisch.

Doppelter Begriff des Wunders: Es gibt entweder ein Wunder, welches man ersehnt (das die Erlsung bringen soll; Wunderbedrfnis als Erlsungsbedrfnis), oder viele Wunder, das sind Besttigungen des Glaubens, Besttigungen sozusagen der Gesetze des Himmelreiches, wenn auch nicht der Gesetze
der mathematischen Physik.

Beide

sollte

man

scheiden.

Es kommt auch
tief

vor, da

unter einem steht

wenn man

einem jemand imponiert, weil er ihn nicht versteht.

Dreierlei konstituiert den Philosophen, drei Elemente

mssen

zusammenkommen, um ihn zu erzeugen:


Ein Mystiker,
ein Wissenschaftler, ein Systematiker

(Gegenteil: Sadist) (Gegenteil: Knstler) (Gegenteil: Experimentator).

Der Mystiker
-j-

gibt erst einen Theologen, einen Dog-

Wissenschaftler

matiker irgend eines Glaubens.


gibt

Der Mystiker

den

Theosophen, der

blo

der

+ Systematiker
DerWissenschaftlerl

individuellen

Intuition folgt,

ohne

Streben nach Beweisen und Sicherung.


gibt den theoretischen Physiker, Bio-

Systematiker
ist

logen

etc.

eindeutig zu bestimmen durch die Problematisation des Absoluten und des Nichts. Am aufflligsten ist
die Problematisation der Zeit.

Der Mystiker

Der Wissenschaftler ist bestimmt in Wissenschaft und ist der transzendentale Mensch (Kant als Nichtmystiker), er sucht vollkommene Anerkennung fr alles, was er sagt, Widerlegung aller Gegenmglichkeiten.
Kultur"; er

74

Aphoristisches.

Der Systematiker ist das Gegenteil des Technikers und Experimentators es gibt in jeder Wissenschaft Theoretiker und Techniker. So sind in der Mathematik:
;

Euler
in der Linguistik

Techniker

Riemann Theoretiker
Humboldt
(Popp)

Pott
in der

Physik Faraday
in

Maxwell
u. a.

beides

hohem Mae Helmholtz, Dai-win

Alter

ist

Tod, Jugend

ist

Leben. Je grer ein Mensch

ist,

desto weniger altert er, desto weniger wird sein Wille schwcher

im Alter.

Es

gibt aber auer Jesus Christus niemand, der nicht

im

Alter weniger gewollt htte, als in der Jugend. Das zeigt der musikalisch schwache Parsifal (der gedanklich eine frischere, kraftist, als der musikalischen Ausfhrung nach; wenngleich seine Themen, Grab- und Plumenau-motiv, aber auch Abendmahl- und Parsifalmotiv in der Variation des 3. Aktes, zu den grten gehren). Das zeigt vor allem Ibsen, dessen Wollen zwei Gipfelpunkte hat, einen hchsten, Peer Gynt, einen niedrigeren, Rosmersholm, sich sonst aber auf stetig absteigender Linie bewegt; das zeigt auch Beethoven, dessen Kunst ihre hchste Hhe in der Appassionata und besonders in der Waldsteinsonate " (in. Satz, wo sie beinahe Gott nahe kommt) erreicht, dann aber doch abfllt; die Neunte" ist nicht Beethovens

vollere Konzeption

grtes Werk.

Der Verbrecher sucht kommenen Menschen (und


kommenheit
viel

(als

Sklave)
hier
als

oft

einen

sehr voll-

ist

Richter ihrer UnvoU-

hrter als ein guter Mensch), weil er so von durch innere Wandlung der Gesinnung) Glauben gewinnen mchte. Er gibt sich, wenn er einen solchen gefunden zu haben glaubt, bei ihm in die vollkommenste Sklaverei, und 5;i: eilt in zudringlicher Weise Menschen, bei denen er als Sklave dienen knne. Auch will er als Sklave leben, um nie einsam zu sein.

auen

(nicht

Aphoristisches.

7o

Wenn dann ein dritter Mensch in den Kreis tritt, der Verbrecher ratlos; denn bekanntlich kann man nicht zweier HeiTen Knecht zu gleicher Zeit sein, der Verbrecher aber ist jedes Menschen (ob Freien, ob Unfreien) Knecht, mit dem er zusammen ist.
ist

Problem der zwei Menschen, Problem der drei Menschen. Mit vieren beginnt die Mengenpsychologie.

Phnomene der Einstellung". Man schreibt jedem Menschen


anders, oft selbst kalligraphisch verschieden.

Je grer die Gnade, die ein Mensch von Gott empfngt, das er Gott dafr bringen wird. Bei Jesus war Gnade und Opfer am grten.
desto grer das Opfer,

ziehen. Diese sind unmittelbar evident ; diese

Evidenz kann sich nur auf die letzten Denkgesetze beEvidenz ist die Gnade.

Wert: Macht

= Licht:

Feuer.

Es
lichkeit.

gibt keine Grade der Wahrheit, keine Grade der Sitt-

Die Erbsnde erfolgt fortwhrend: Ewiges und Zeitliches


sind nebeneinander da.

Unterscheidung zwischen Genesis und Kodifikation des Aberglaubens. Kodex: Bauemkalender. Genesis: Schuld.

Der Unterschied zwischen Amoralischem (Weib) und Antimoralischem (Verbrecher), wie ihre Verwandtschaft, liegen darin, da das Weib heruntergesetzt werden will, whrend der bse

Mann sich
Zur

selbst heruntersetzt.

tiefeten

gelangt der Mensch immer

Erkenntnis seiner selbst und seiner Bestimmung erst, wenn er sich untreu geworden ist,
(Gott) gefehlt hat, durch

wenn er gegen seine Bestimmung

Schuld.

Darum

ist vielleicht

das Leben auf der Erde notwendig, damit

Gott sich selbst finde; satz mglich.

denn Bewutsein

ist

nur durch Gegen-

76

Aphoristisches.

Anmerkung.
Ein der frheren Bearbeitung von , Geschlecht und Charakter" angehngter Exkui-s versuchte morphologische und parallele psychologische Analogien zwischen Mund-, Hals- und After- Genitalregion aufzudecken, und anknpfend daran ber die Urform des
Wirbeltiertypus etwas zu ermitteln.
Sie suchte das Gemeinsame von Mund und After, Zunge und Geschlechtsteil aufzufinden und zu ermitteln, warum das Vorstrecken der Zunge hnlich empfunden wird, wie das Weisen auf den Hinteren; warum Essen vor anderen bei manchen Naturvlkern als schamlos galt (wie noch heute die Sitte Essen auf der Strae verpnt); welche Analogien zwischen Genital- und phagischem Trieb bestehen; warum der Zungenku der Ejaku-

so nahe steht; warum die Schilddrse (die einen rudimentr gewordenen Ausfhrungsgang hat, der an der Zungenwurzel endet) in so merkwrdigen Beziehungen zu den Keimdrsen steht, warum die Stimme besonders sexuell erregend wirkt, und so stark sexuell differenziert ist. Dem Menschen als dem Mikrokosmus wird die Bedeutung dieser Dinge, ihre innere Verwandtheit mehr oder minder bewut, darum schmt er sich des Mundinneren. Wre hingegen die Deszendenztheorie richtig, so mten die Tiere, welche dem Balanoglossus (wo die Geschlechtsteile noch in der Kiemenregion liegen) noch nher stehen, mehr Scham empfinden als der Mensch.
lation

Es

gibt eine Platzscheu, die Lichtscheu

ist,

und

die der sich

schuldig fhlende

Mensch

hat, der

vor Gott nicht besteht.

Die
seinen
2.

Vogelstimmen
Fall
in

sind

das,

sicheren

den

was demselben Menschen Untergang sagt (Peer Gynt",

Akt).

Dohlen, Raben,

schwarze Vgel

findet

man

nicht

auf

offenen lichten Pltzen.

Wer
Zypresse;
als

sich

an

die

Sonnenglut

hingibt,

ist

selbst

die

es ist pflanzenhafte Passivitt

und Glckseligkeit

Geschenk". (?)

Zur Charakterologie.
(Enthaltend: Sucher

und
R.

Priester,

ber Friedrieh

Schiller,

Bruchstcke ber

Wagner und den

Parsifal".)

Sucher und Priester.


die Menschen einteilen in Sucher und in Priester und wird durch diese Einteilung viel gewinnen. Der Sucher sucht, der Priester teilt mit. Der Sucher sucht vor allem sich, der Priester teilt vor allem anderen sich mit. Der Sucher sucht sein Leben lang sich selbst, seine eigene Seele; dem

Man kann

Priester ist

sein Ich von vornherein als Voraussetzung alles anderen gegeben. Den Sucher begleitet stets das Gefhl der Unvollkommenheit; der Priester ist vom Dasein der Vollkommenheit

berzeugt.

Der Unterschied, den


klarsten: die

ich

meine,

wird

so

vielleicht

am

Nur Sucher sind


entspringt

Eitelkeit

Denn aus dem Bedrfnis nach dem Finden


eitel (und empfindlich).

gefunden und dem Gefhle, noch nicht sich noch nicht zu haben. Der Priester ist nicht eitel, er fhlt sich nicht leicht geti'offen, und ist ohne Bedrfiiis nach der Anerkennung von auen, weil er diese Untersttzung nicht notwendig hat. Dagegen hat er Bedifois nach dem Ruhme; Voraussetzung des Ruhmbedrfnisses ist innerliche berzeugung von sich; sein Wesen, dieses Ich den anderen mglichst vollkommen darzubringen und sich ihnen so zu verbinden. Der Ruhm wird hierdurch dem

Opfer verwandt. Ich will nun je

vier Beispiele von Suchern

und von Priestern

anfhren, bevor ich in der Analyse fortfahre.

Sucher waren: Hebbel, Fichte, ^ Brahms, Drer. Priester: Den Suchern gemeinsam ist, wie man sieht, die Linie ohne Farbe; den Priestern gemein die Farbe ohne Linie.
Shelley, Fechner, Hndel, Bcklin.
1

Fichte war Prediger.

Man

verwechsle das nicht mit Priester.

80

Sucher und Priester.

Die Farbe

ist hier als

Symbol der Sinnlichkeit gedacht; zur

Sinnlichkeit nmlich steigt der Priester herunter, indes der Sucher

von

ihr zur Geistigkeit hinauf will.

Darum

hat der Priester das

eigentlich starke, groe Verhltnis zur

kommt vom

Geiste und sucht die


soll hell

Natur; denn der Priester Welt zur Deckung mit sich zu


Feuer
in

bringen; alles

erstrahlen, wie das

ihm

selber.

Der Sucher hingegen hat vor dem

Priester voraus das Verhltnis

zur Gesellschaft: denn sozial wird der Mensch, weil er sich selbst im anderen sucht. Zur Kultur, zu Recht und Staat und
tritt so nur der Sucher in ein tiefes Verhltnis; in der Natur hat er hchstens fr ein Phnomen groen Sinn Fr den Wald, als das Symbol des Geheimnisses. Denn der Priester hat die Offenbarung hinter sich, und Tag ist in ihm; der Sucher strebt zu ihr empor, aber er ist noch blind. Der Priester steht bereits im Bunde mit der Gottheit; nur er kennt die mystischen Erlebnisse (extreme Sucher, wie Kant oder noch besser Fichte, kennen solche nicht). Das Ab-

Sitte

solute,

die

Gottheit

ist

dem

Priester

als

Voraussetzung,

als

Pfand des Hchsten; dem Sucher als Wert, als Ziel. Der Priester bringt sich der Welt dar, trgt ihr den Bund an der Sucher entflieht der Welt, weil er noch keine Weihen empfangen hat. Jeder Suchende ist naturgem ein
als
;

Schatz gegeben oder

Fluchender: der

Priester

ist

das Gegenteil des Blinden, ein

Sehender und

ist dem Sucher hingegen ewig unverstndlich. Man hlt oft den Priester fr den eigentlichen Knstler und erklrt Mnner, wie Ibsen, der dem Sucher sehr nahe, und Hebbel, der ihm noch viel nher steht, fr keine echten Knstler: Ganz mit Unrecht; man ist hier getuscht durch einen falschen Begriff von Sinnlichkeit in der Kunst. Shakespeare war gewi ausschlielich Knstler und doch sicher viel mehr Sucher als Priester. Im brigen sind Sucher und Priester Extreme; die

ein

Segnender. Der Segen

grten Menschen sind beides,


sich

am

ftesten zuerst Sucher,

um

dann

in

Priester zu verwandeln:

funden, sich selbst erlebt haben.


ist

den Quell geSo Goethe, so Wagner. Goethe


sie

wenn

Sucher im Urfaust, Priester in der Iphigenie; Wagner ist Sucher im Hollnder, im Tannhuser (der Pilgerchor gibt eine wunderbare Vorstellung von dem, was Suchen heit), aber auch denn der Sucher ist erotisch, im Tristan, besonders im 2. Akt

Sucher und Priester.

81

der Priester sexuell, ohne besonders von


differenzierte Liebe. Priester ist

dem Geschlechstriebe Wagner schon im Lohengrin (der


ist

Sinn fr das Fest, fr die Feier,

durchaus priesterlich); vor

wo der Sinn fr das Gefundenhaben, der Triumph der Erfllung so ungeheuer gro ist. Denn der Priester mu kein friedlicher, idyllischer Mensch sein
allem aber im HI. Akte des Siegfried,

aber er hat

als

Kmpfer nur Sinn


Ringens,
nicht

fr den
fr

Sieg, nicht fr die

Anstrengung
Niederlage.

des

das

Bangen vor

der

Nietzsche war lauge Sucher; erst als Zarathustra tat er den


Priestermantel um, und da stiegen nun jene Eeden
herunter, die bezeugen, wie viel Sicherheit
er

vom Berge

durch die Ver-

wandlung gewonnen hat. Des Priesters (als des Sehers!) Erlebnisse sind intensiver als die des Suchers; und darum ist er berzeugter von sich, er fhlt sich als erkorenen Sendboten von Sonne, Mond und Sternen, und horcht nur, um deren Sprache so ganz zu verstehen, wie er es als seine Pflicht fhlt. Sucher waren noch Rousseau, wie es scheint, Calderon, Sophokles, Mozart; ein beinahe vollkommener Priester scheint Pindar. Beethoven ist Sucher im Fidtlio, Priester in der Waldsteinsonate, deren letzter Satz der hchste

Gipfel

apollinischer

Kunst ist. Der psychophysische Parallelismus scheint


Vorstellung zu sein
will die

eine priesterliche

Geiste und Natur aufnehmen, er fhlt sich mehr vor der Natur, der Sucher mehr vor dem Geiste schuldig); er ist darum auch Determinist, weil ihm Freiheit und Gesetzlichkeit von vornherein eins sind. Der Sucher ist Indeterminist und Verflucher

(denn der Priester

kommt vom

des Leibes.

Der Sucher

ist

schweigsam, verschlossen (nicht zu verd. h.

wechseln mit dem verschlossenen,

unaufrichtigen und unsich

sozialen Verbrecher); der Priester offen,

darbietend (nicht

zu verwechseln mit Schamlosigkeit), weil er nicht sucht, sondern die Vollendung schon enthlt und nur ganz zu verstehen, aus-

zudrcken

strebt.

Weininge T,

ber

die letzten Dinge.

2.

Aufl.

82

ber Friedrich

Schiller.

ber Friedrieh
In so schlechte Gesellschaft

Schiller.
begibt,

wenn man an das Ansehen


schlich er es
ist,

dieses

man sich leider heute Namens tastet, indem

haupt-

gegen welchen die Schuljungen-Opposition der Modernen wider alle offiziellen Gren der Historie sich richtet, so sollte diese Furcht doch nicht dazu verleiten, Schiller fr einen wahrhaft bedeutenden Menschen zu erklren, ihn fr mehr zu halten als einen extrem begabten Mann und zugleich den tchtigsten Journalisteu, den die Welt bisher gesehen hat. Diese Wertung lt sich mit wenigen Worten begrnden; das brige ist in Otto Ludwigs Dramatischen Studien" nachzulesen.
Schillers einzige Gre ist darin zu erblicken, da er die Tragdie vollkommen ruiniert hat: sie hat sich noch lange nicht davon erholt. Die Helden seiner Dramen haben nie die geringste innere Vergangenheit; einzig der Fiesco", sein bestes und wohl
Tr-

darum von den Literaturgeschichtsschreibern so schlecht behandeltes Stck, weniger bereits die Jungfrau von Orleans" knnten als Ausnahme in Betracht kommen. Er selbst ist so vllig ohne Verstndnis fr Probleme im Menschen, es fllt ihm so wenig ein, den Mord oder die Liebe, den Erkenntnistrieb oder
die Eitelkeit, die Herrschsucht oder die Opferwilligkeit irgendwo wahrhaft ernstlich zum Vorwurf einer Dichtung zu machen, da er vielmehr stets die grere Hlfte" aller Schuld den unglckseligen Gestirnen" zuschreibt. Damit ist das Schicksal seiner Dichtung besiegelt und Schiller das UrteU gesprochen. Die Kon-

zum Menschen immer Zufall, und sie kann selbst bei Schiller nur in die alleruerlichste Verbindung mit der Handlung treten. Der Zufall ist das absolut Atragische, auf ihn baut sich gerade das Lustspiel auf. Es gehrt der ganze Waffenlrm der beredten Schillerschen Heroen dazu, um die Erkenntnis zu bertuben, da hier die entgegengesetztesten Dinge berhaupt, Fatum und Zufall, verwechselt werden. Ist es nicht
stellation der Gestirne ist relativ

klglich, einen

Don Carlos
einen

an einem berlegenen Spionage-

einer ueren, nie wiederholten Schuld zugrunde gehen zu lassen (da er einmal einen ehrgeizigen Soldaten in einer allzu ungeschickten Weise

System

scheitern,

Wallenstein an

ber Friedrich

Schiller.

83

Drama

Plne benutzt hat)? Diese Dichtung das grte der Deutschen? Eine spannende Intrigue, wie in allen Schlerschen Stcken, ein hohler diplomatischer Klapperapparat,
als Mittel fr seine

keine kosmische
keine

Gegenstzlichkeit,

bilden ihr Getriebe.

Es sind

Spuren eines inneren Kampfes an Schillers Personen wahrzunehmen, sie atmen eine verdammt verdchtige Objektivitt, aber nicht die Naivett alles dreifach ausgedehnten Natrsondern die

Anmie flchenhafter Schatten, als ob sie des Dichters empfangen htten; Schiller ist im Grunde ein Epiker und kein Dramatiker, oder es mangelt ihm wenigstens, was der Dramatiker vom Lyriker bernehmen kann: die Subjektivitt des Helden. Hier sind nicht ein Unbegrenztes und ein Begrenztes im Menschen entzweit, hier steht nicht die geistige mit der sinnlichen Welt im Kampfe. Es ist im Grunde nur die Tcke und die Gemeinheit der Auenwelt, welcher der Held schlielich zum Opfer fllt. Darber beklagt sich Schiller noch in seiner letzten, vllig phraseologischen und das Laster der Rachsucht verherrlichenden Dichtung, dem Teil": Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bsen Nachbar nicht gefallt." Den Feind in der eigenen Brust, die Einsamkeit und ihre Schrecken, das Schicksal im Menschen, scheint Schiller kaum gekannt zu haben. Die Braut von Messina" hat den Knig Oedipus" schlecht nachgefft; was diesem seine Gre und seine alles berragende Wirkung verleiht, ist ja nur die Einbeziehung des Zufalls in die Schuld, die der Held selbstlichen,

nichts

vom Herzblut

ttig

vollzieht, der hchste

Heroismus des Nicht- Entlastet-Sein-

Wollens, der jede Entschuldigung verschmht.

wie gnzlich seicht, wie ametaAber die Gedichte!" wird man einwenden; ,sind sie nicht eher zu philosophisch?" Was ist es doch, das an jenen Gedichten so beleidigt? Es ist das Verletzende an Schiller berhaupt, es ist seine Freude im Chor, in der Herde; sein ganz ungeniales Glcksgefhl, gerade in der Zeit zu leben, in der er lebte ;i seine willige Selbstbegrenzung innerhalb der Geschichte, sein befriedigter Zivilinicht,

Merkt man brigens

physisch Schillers

Dramen

sind?

Wenn man

es

geben: Schiller

ist ein

zu wrtlich nicht nimmt, mu man Hebbel Recht Verdienst des groen franzsischen Kaisers."
6*

84

ber Friedrich

Schiller.

Er hat recht eigentlich den Dnkel des Europers und den verlogenen Enthusiasmus des Fortschrittsphilisters besationsstolz.

grndet

Eigenschaften, deren vollgltige Reprsentanten heute


sie

zumeist Juden sind, auch wenn


loszusagen erklren.

von Schillers Namen sich


Schillers

Was

tiefere

Menschen von Schiller immer


trotz

abstoen
in der

sollte,

was Goethe

Zudringlichkeit

Annherung, wie im Begreifen-Wollen, von diesem stets in so groer Entfernung gehalten hat, ist jener voraussetzungslose Optimismus in ihm, kein transzendent-religiser, kein nach dem Herausbrechen aus der Zeit verlangender, kein des Gottvertrauens voller, sondern ein immanent-historischer Optimismus; ein Optimismus, der sich freut, wenn die Menschheit um tausend Jahre lter geworden ist, und begeistert die Addition in seinen Kalender eintrgt; ein Optimismus, der nicht hoflt, sondern selbst in seinen Hoffnungen schon gesttigt ist, weil ihm die Erscheinungen nicht das Mittel sind, um zu den Symbolen durchzudringen, sondern die Symbole ihm nur die Erscheinung sollen verschnern helfen. Darum ist Schiller nicht sehnschtig, sondern nur sentimental, wenn die Erscheinung mit der Idee nicht kongruiert.^ Er ist so auch der eigentliche Schpfer des sthetentums, das unter den modernen Juden die meisten Anhnger zhlt: es flchtet vor aller Tiefe, oder heuchelt Tiefe, um den Schein sich retten zu knnen. Schiller ist der eminent unerotische Mensch; und niemand so wenig wie er Dichter des Einsamen, niemand so ganz wie er Dichter der Familie. Und neben der ungeheueren

Werke ist es diese verlogene Vergoldung des Philistertums, diese raffiniert-knstliche Weihe des Alltagslebens (Die Glocke"), aus dessen Perspektive er alle geschichtlichen Erscheinungen erblickt, um sie zum Hintergrunde des brgerlichen Idylls zu machen, welche zu seiner Popularitt das meiste beigetragen hat.
technischen Routine seiner
Philosophie

Hierdurch erst wird das Bild Schillers vervollstndigt. Seine ist so monistisch wie seine Dichtung, seine Weltanschauung so wenig tragisch wie seine Tragdien. Er ist der
die auf die

Typus jener Menschen,


1)

Grnde des Seins gekommen


als weiblich; sie ist der

Die Sentimentalitt

ist

noch mehr jdisch

Weltschmerz der Schmcke.

ber den Qedankengelialt der Werke Kichard Wagners

etc.

85

ZU sein glauben, blo weil sie seine Abgrnde nie empfunden haben. Schillers Kantianismus ist ein pures Miverstndnis ; leicht konnte er den Pflichtbegriff ins Lcherliche ziehen und die Kantische Ethik dort verspotten, wo sie am tiefsten ist. Denn die Resignation der Vernunftkritik verwandelt sich bei ihm zur
Sffisance der Immanenz, und die teilt
tivistisch veranlagten

er mit

Judentum

nicht ohne

dem stets posiGrund war auch er

Antisemit.

Einen Journalisten durfte ich ihn mit Grund nennen. Denn dem Journalismus durch seine Versabilitt verschrieben, die ihn in Wallensteins Lager" goethisch, bald darauf wieder romantisch, nun griechisch, nun shakespearisch sein lt; und da er gewisse Gedichte und vieles aus dem Teil" blo nach Erzhlungen Goethes ber Italien und die Schweiz abfassen konnte, das ist eben der strkste Beweis fr meine Meinung, da er nicht aus eigenstem Erleben heraus singen mute, sondern in raffinierter und affektierter Steigerung anderen, was sie geer ist

schaut hatten, nachleben konnte.


Journalisten
stempelt,
ist

Was

ihn

aber endgltig
die

zum

einem tragischen Geschehnis schwtzt, wenn ein Mensch auf der Gasse berfahren wird; und es ist vor allem eben jene Bindung an den Tag und die Stunde, jene Philistrositt, die sich am kosmischesten gestimmt dann fhlt, wenn ein Jahrhundertwechsel vor sich geht. In Schiller hat die journalistische Moderne nur
die

Rhrseligkeit,

von

sich selbst.

ber den Gedankengehalt der Werke Riehard Wagners, insbesondere seines Parsifal".
Noch
nie hat eine

Kunst das Kunstverlangen irgend einer

Zeit so vllig zu fesseln und so ganz und gar auszufllen ver-

mocht, wie die Schpfungen Wagners. Alle Bestrebungen zur Hervorrufung einer neuen Literatur, zur Begrndung einer neuen
Kunst, nehmen sich vor dem, was wir in seinen Werken bewundern, wie gemacht und unwahr aus. Da diese gnzliche Befriedigung von so vielen nur bei Wagner gefunden wird, entspricht der wohl unbezweifelbaren Tatsache, da es nie zuvor

86

ber den Gedankengehalt der Werke Eichard Wagners

etc.

Ausdruckes gegeben hat als kommt, ist, wie Wagner selbst


aber findet beinahe

ungeheuer gewaltigem Bedrfnis des ihn. Der ihm hierin am nchsten stets empfunden hat, Beethoven; und auch dieser bleibt hier weit hinter ihm zurck. Nur darum
einen
so
ein jeder

Menschen von

bei

Wagner

das,

was der Er-

fllung am nchsten kommt; denn

er hatte selbst den hchsten

Begriff vom Kunstwerk, den je ein Knstler gefat und die grte Forderung an sich gestellt, die je ein Schaffender zu stellen gewagt. Die gleiche Vollendung, das gleiche Erflltsein atmet darum von einem gewissen Zeitpunkt an (von Lohengrin" bis zum Parsifal") alles, was er geschaffen; und das Eigentmliche gerade der Wagnerschen Motive ist auch musikalisch ein Maximum von Dichtigkeit, wenn ich so sagen darf; sie sind nie verdnnt, sondern sagen immer alles. Die hchste Prgnanz und Konzentration und Unwiderstehlichkeit seiner Melodien, die weiteste Entfernung von allem Sauerstoffmangel, das Gegenteil aller Luftverdnntheit und Leerheit an Masse, das kennzeichnet die Motive Wagners selbst dort, wo er ber Bergesgipfeln schwebt und am Gletscher sich berauscht und jene Hhenluft atmet, fr die niemand so viel Sinn hatte, wie er. Ich verstehe zu wenig von der Lehre der Musik, um in ihrer Sprache genau bezeichnen zu knnen, woran dieses Eigenartige der Wagnerschen Musik gerade in ihren Melodien liegt. Wagners Musik ist aber eben durch all das eigentmlich, um was sie mehr ist, als Mathematik, was sie alles noch ist auer einer Sprache von Eaum und Zeit; wie hier die ganze Physik des Weltalls resorbiert ist in die Mathematik, oder die Mathematik nur zum Mittel der Physik geworden. Wagner ist der Mensch mit dem grten Naturempfinden, das je ein Mensch

besessen hat: Gegen sein Rheingold" gehalten, verblassen selbst

Goethes Lieder von allem Wasser in Nebel, Wolke und Flu, Wohl mag zu den Sternen Beethoven im Scherzo der neunten Symphonie (das Wagner, eben darum, wohl gnzlich miverstanden
hat)
ein
tieferes

Verhltnis

Tannhuser ",

vielleicht

offenbart haben, als Wagner im Schubert den Bach, Weber das Dmo-

nische des Waldes

besser

verstanden haben; aber ein Natur-

gefhl von solcher Intensitt und einem Umfang, der die ganze

Erde, alles in ihrer Flche, ihrer Hlle, ihrem Inneren beherrscht, ist noch in keinem Menschen in einem Ausmae verwirklicht gewesen, wie hier.

ber den Gedankengehalt der Werke Richard Wagners

etc.

87

Aber nicht davon wollte


sche

ich sprechen,

warum

die

Wagner-

anderen Eindrcke der Kunst, selbst Goethes Faust" und Beethovens Waldstein-Sonate" und selbst Bachs Prludien" und selbst Michel Angelos Jeremias" hinter sich lt. Was ich ernstlich zu zeigen versuchen will nicht weil
alle

Musik

mir alles auerordentlich erscheint, was Wagner geschaffen hat ist, da die Wagnersche Dichtung der Tiefe ihrer Konzeption

nach die grte Dichtung der Welt

ist.

Es sind die gewaltigsten Probleme, die je ein Knstler sich zum Vorwurf gewhlt hat, bedeutender noch als die Probleme des Aischylos und Dante, Goethes, Ibsens und Dostojewskys

um

von den Problemen Shakespeares zu schweigen.

Motive der Eheintchter: ,Wagalaweia"-Motiv ist die spielende Unschuld des Paradieses; vollkommen monistisch, vor dem Sndenfall, ohne Kenntnis des Dualismus; voraussetzungsloser, naiver, berall nur sich selbst antreffender, an sich selbst sich freuender Monismus. (Vor dem Sndenfall Alberichs Aufgeben der

Liebe.)

Motiv aus der Gtterdmmerung,

3.

Akt, Aning:^ der


vlligen

Motiv der absoluten Trennung. Motiv Loslsung vom Absoluten gleichsam ein Abfinden
samkeit und doch eine Resignation; wunderbar
wart, als Zeit
ist,

mit der Ein-

in der Vergangenheit erfolgte Schuld doch zugleich

wie hier die als GegenStrafe konstatiert wird, wunderbar das Verhltnis von
Zeitlosen.

zum

ist hier nicht mehr ; vollkommene Redukvollkommene Abfindung mit dem Sndenfall, schmerzlos zugleich und doch berschmerzhaft. Motiv am Schlu der Gtterdmmerung: Aufnahme des Verlorenen in die Gemeinschaft, Erlsung von der Erbsnde und zugleich selig berquellendes Staunen darber, da das Wunder sich vollzieht (der Ring zu den Rheintchtern, das Bse zur Lust und zum ewigen Lcheln zurckkehrt); denn das Lcheln ist wohl das Gefhl, das

Sehnsucht, Wille

tion ist eingetreten,

1 Gemeint ist hier die ganze Rheintchterszene, insbesondere der aufsteigende Terzsextengang. (Anmerkung des Herausgebers.)

88

ber den Gedankengehalt der Werke Richard Wagners

etc.

sich nach

dem Tode
h.

Leben

(d.

(d. h. im ewigen Leben) ber das ber allen Tod) am strksten einstellt.

Das Bamotiv des Orchesters


Kurwenal, wie, du shst

in Tristan", S.Akt,

nach jener

furchtbaren Prostration vor der Schnheit, bei den Worten:


sie nicht?" u.
ist.
s.

Und

w., ist

das grte Motiv

des Todes, das je erdacht worden

Es

liegt darin

der schein-

bar aktive Verzicht auf das Leben, auf die Freiheit, das in Wahrheit schon die passive Hingabe und Gefangenschaft ist; das Eins-

werden

des

Willens mit den Trieben,

sein

Kapitulieren

vor

diesen; es ist

Identifikation mit

dem eigenen Schicksal,

der Punkt, an

dem Wille

in Trieb, Freiheit in Unfreiheit ber-

geht, sich an sie knpft, sich ihr bergibt.

Zum

Parsifal.

Der Mensch empfindet allem Unmoralischen der ganzen


Natur, der ganzen Geschichte gegenber eine tiefe Schuld; denn

Welt und Mensch


ist

sind Wechselbegriffe, alles bel in der Welt nur durch den Menschen, mit dem Menschen da. Dieses Ge-

fhl ist das Gefhl, das in Jesus Christus

am

lebendigsten war,
die

so lebendig, da er diese Schuld mit

dem Tode ben und


diese

Welt entshnen

wollte,

indem er

fr alle

Schuld,
ist

seine

Schuld, auch die Strafe erleiden wollte. In ihm

das

Gefhl

der universellen Verantwortlichkeit, das Gefhl, welches die ganze

Welt tragen
Jesus

will, die Genialitt,

der Wille,

am

grten gewesen.

indem er die Welt von der Schuld erlst, eben sich und nur sich von der Schuld: das ist der Sinn des Wortes Erlsung dem Erlser". In Bayreuth wird der , Parsifal" gespielt, als ob man ihn dort verstnde; wer Glck mit den Sngern hat, kann dort das einzige ei'leben: eine Vorfhrung eines Kunstwerkes, bei dem die Darstellung nicht strt. So stark ist die Nachwirkung Richard Wagners, so intensiv hat er den anderen einzuprgen gewut, was er wollte. Als besonders groartig habe ich diese Regie im zweiten Akte empfunden, in der Szene zwischen Kundry und Parsifal.
erlst,

ber den Gedankengehalt der Werke Eichard Wagners

etc.

89

Gerade wie hier die Leidenschaft gedmpft, die Farben nicht dick und doch bengalisch -grell sind, die Geberden einfacher, mehr gezeichnet als gemimt, ohne Othello- Verzerrungen, gerade das hat mich so stark angesprochen. So tritt der symbolische Charakter des Ganzen mit tiefer Deutlichkeit hervor. Wer die Bilder des Buonaventura Genelli in (Berlin und Mnchen) kennt, wird mich hier am besten verstehen. Die lange Kleidung und Schleppe der Kundry, ihre vorgehaltenen Arme und ihr vorgebeugter Krper bei der Bitte an Parsifal erinnern an jene Bilder. Wo so viel Eaum wre fr leidenschaftliche Eufe und Bewegungen, erscheint alles gedmpft, gemalt, wie als ein Glasgemlde auf einem Kirchenfenster; das Rot brennt und das Grn funkelt; und doch hlt der Mensch den Atem an.

Das Orchester
nicht aus der Tiefe!

eine reinste Orgel aus seligster Hhe, Woher, fragt der Hrer zitternd? aber ....

wohin?
Die Moralitt des Mannes empfindet den Geschlechtsverkehr Snde (Verwundung des Amfortas durch den Speer).

als

Das Weib hat keinen Sinn mehr, wenn der Mann keusch dagegen wehrt es sich; es ruft unmerklich das Gefhl zur Mutter in Parsifal wach (wann dann ihr Arm dich wtend umschlang ."), hlt ihm auch die von Wagner frher festgehaltene Erlsung des Mannes durch die Liebe als Mglichkeit vor.
ist;
. .

Kundry in

Parsifal" (das Sehnen**

ist's,

zum

Gral,

d.

i.

zum

Sittlichen, Gttlichen

das ihn verhindert, zu kommen): das ist

der Fluch der Kundry",

Das alles stellt Wagner hoch ber Goethe, dessen letztes Wort doch nur das vom Ewig- Weiblichen", die Erlsung des
Mannes durch das Weib, war.

Kundry mte
ihr widersteht.

freilich

schon im

2.

Akte sterben, da Parsifel

90

ber den Gedankengehalt der Werke Eichard Wagners

etc.

Die Fusalbung durch Maria Magdalena.


8,

E van g.

Job. 12, 3

ff.

ff.

Parsifal und Klingsor: das Transsexuelle und das Sexuelle im Mann, auf 2 Personen verteilt.

Das Weib

als

Sklavin des Sexuellen im

Manne

(Klingsor)

Vgl. Geschlecht

und Charakter".

tation, wie das


ist

Gral und Speer sind verwandt", wie Licht und GraviEtwas, und sein Spiegel, das Nichts. Das Nichts nur der Reflex des Etwas, und es fr real zu halten, das ist
schlielich erkannt werden.

der Sndenfall. Diese letzte Identitt, das Nicht-Sein des Nichts,

mu

Auch der Empfindung

liegt

das

Ding an

sich zugrunde.

Klingsor will das Sittliche nicht im Kampfe erobern und


behaupten,
(der

sondern

Asket gewordene Verbrecher), um

da er die Idee des

Entmannung erzwingen, erreichen Er fhlt nicht, Sittlichen damit bereits prostituiert, wenn
durch

er sie fertig haben und ihres Besitzes sich erfreuen und dann irgend etwas beliebiges anderes tun will; er wei nicht, da Sittlichkeit ewige Tat, ewige Schpfung ist. Der Wunsch, Gott zu sein, ist frevelhaft, der Wille, Gott zu werden, nur aktiv zu
sein, einzig gut. Klingsors

Wunsch

ist

rein hedonistisch; er will

haben vor den eigenen Anfechtungen; indes Gott zwar vollkommen ist, aber eben vollkommen als vollkommen aktiv, niedertretend dem Bsen gegenber. Klingsor bentzt Gott als Mittel zum Zweck, d. h. er bringt ihn in die Zeit.
als

Gott

Ruhe

Bedenkt man, wie das Bewutsein seiner selbst am strksten wird nach einer Schuld, so kann als der Sinn der Erbsnde der
aufgefat werden, da Gott den Spiegel, das Nichts, braucht, um seiner selbst bewut zu sein.

Auch Parsifal findet den Gral (die Sittlichkeit, das Gewissen) im Momente, da er (den Schwan) ttet.

ber den Gedankengehalt der Werke Richard Wagners

etc.

91

Suche dir Ganser die Gans"


steck dir nicht das Reich Gottes

heit heirate,
Ziel.

aber dann

zum

Zum Raum wird


freilich,

der

Raum

zum Raum, dem Tode.

hier die Zeit": hierin liegt, recht dunkel Symbol der Vollendung. Denn wie Zeit so verhlt sich das Erdenleben zum Leben nach
als

Das Motiv der Blumenmdchen ist das Flehen Existenz, Auftauchen eines Irrlichtes aus dem Nichts,
Untertauchen.

um
und

Vergessen unsittlich:

Was

alles

verga ich wohl noch?"

Das Lachen der Kundry geht aufs Judentum. Die metaphysische Schuld des Juden ist Lcheln ber Gott.

Am

Karfreitag,

dem Weltentshnungstag,

findet

sich

von

selbst alles

zusammen.
ist

Kundry

Symbol

alles

der Natur; mit ihr

ist die

nur Sinnlichen, nicht Sittlichen in Natur entshnt: der Mensch als Er-

lser seiner selbst ist Erlser der Welt.

Alle Schuld als die eigene; Parsifal (Christus) spricht:

Mu

Welcher Snden-, welcher Frevel Schuld dieses Toren Haupt Seit Ewigkeit belasten!"

Tor: Jesus Abneigung gegen das Judentum wird zur Abneigung gegen die Gescheitheit", zur Erhebung der Einfalt.

Der Speer
fhren.

ist

Symbol des Bsen, Parsifal darf ihn nicht

Die Welt
nicht ohne die

ist nicht

Welt;

es

ohne den Menschen; und der Mensch gibt keine Welt, in der nicht der

Mensch

ist.

92

ber den Gedankengehalt der Werke Richard Wagners

etc.

Der dumpfe Rest des Gefhles fr ein Verhngnis ber (Arthur Gerbers Gedicht Sie sang")/ das sind die Schreie der Kundry im 1. und 2. Akte.
sich

Dieses Weib, das menschliche Weib, die Dirne (nicht das


tierische, die Mutter)

hat den Mann schwach, aber

es hat ihn
ihr

doch; darum hat Kundry dumpf den Amfortas, Willen war, weil er sie auf dem Gewissen hat.

der

zu

Psychologie des Sakrilegs: Alberich-Klingsor.

Sie gfried-Parsifal.

Wotan- Amfortas
ins Moralische.

Umdeutung des Sinnes des Rings aus dem Natrlichen

Sie sang. (Als Manuskript gedruckt.)


Sie sang ein Lied

vom Sturm.

Da

glhte ihr Auge so dster.

Ein Lied vom Sturm Wie er wogt und wallt. Die Eiche mit seinen Fngen umkrallt, Sie niederschmettert mit mnnlicher Macht Und weiterwirbelt und saust und lacht!

Sie sang ein Lied

Da

glhte ihr

vom Sturm. Auge so dster.

Ein Lied vom Sturm, Der in Liebesgeltist' Die Felszinne kt,


Sie tndelnd lst

In den Abgrund stt,

Und

dster glhte ihr

Auge

ber die Einsinnigkeit der Zeit


und
ihre ethische
Zeit,

Bedeutung nebst Spekulationen ber

Raum, Wille berhaupt.

ber rcklufige Bewegungen.


(Vom amechanischen Standpunkte.)
(War ursprnglich
als

Aufsatz fr eine Zeitschrift gedacht.)

Man

hat in den geometrischen Gebilden vielfach Symbole

einer hheren Realitt erblickt.

Ob der Grund

dieser Erscheinung

da wir in ihnen eine apriorische Funktion unserer eigenen Anschauung, also immerhin etwas mit den Eigenschaften und dem Werte aller Aprioritt Ausgestattetes wiedereinzig darin gelegen
ist,

finden,

wie dies Kant gelehrt hat, oder ob darum, da wir in ihren Gesetzen nur die der eigenen Phantasie entdecken, sie nicht vielmehi- aller transzendenten Symbolik zu entkleiden geeignet ist

Ganz einfach und allgemein ist die von beiden Antworten erledigt. Das Dreieck z. B. dient seit altereher und auch heute noch in der theosophischen Lehre als magisches, mystisches Symbol und erweckt sicherlich auch oft im Beschauer, der diese Tradition nicht kennt, einen unheimlichen Eindruck, beinahe Furcht. Das Viereck hat von dieser Eigenschaft fast gar nichts. Vielleicht hngt damit auch die merkwrdige Rolle der
dahingestellt bleiben.

mag

Frage

sicherlich mit keiner

Dreizahl zusammen.

Wundt

hat in seiner

historischen Wissenschaften" Logik, n/2,

2. Aufl.,

Methodenlehre der Leipzig 1895)

verschiedene Theorien zusammengestellt, die sich nach seiner Ansicht nur durch ihre ganz unbegrndete, verwerfliche Neigung

zur Trichotomie erklren und sich dadurch immer verraten, da die Wirklichkeit unter dem apriorischen Gesichtspunkte der Dreizahl betrachtet und vergewaltigt wird.

Er

fhrt die dialektische

Methode von Fichte und Hegel, Comtes Gesetz" der religisen, metaphysischen und wissenschaftlichen Menschheit und mehreres andere von sehr ungleicher Bedeutung nebeneinander an und (in

96

l'lber

rcklufige Bewegungen.

einem spter verflFentlichten Aufsatze ber naiven und kritischen Realismus", Philosophische Studien 1897) auch die Vitalreihentheorie von Avenarius,

welche

er an

ihrem Dreischnitt

bereits als ein mythologisches Gespinst wiedererkennt

aller-

dings das schlimmste, was

Es mu
Rolle

aber, trotz

dem Ametaphysiker begegnen kann. Wundt, einen tieferen Grund haben, da in

allen Mrchen,
spielt

(Die 3

Mythen, Sagen die Dreizahl eine so bergroe Wnsche, die 3 Gesellen, 3 Strophen des

Meistergesanges, 3 Stze der Sonatenform, 3 Zeiten, 3


3 Parzen, 3 Grazien, 3 Weltregenten
(Zeus,

Nomen,

Hades, Poseidon), 3 Unterweltsrichter (bei den Indern Vishnu, Indra, ^iva als die 3 Gtter), Trilogieform vgl. August Pott, Zahlen von kosmischer Bedeutung, Zeitschrift fr Vlkerpsychologie, Bd. XIV, 1883).
;

Sieben, neun, zwlf, dreizehn werden wohl ausgezeichnet und haben doch nicht diese hohe Bedeutung. Wie rmlich ist hingegen das Gefhlsquivalent, welches der Wichtigkeit der Fnfund Zehnzahl in jenem dekadischen Zahlensystem, in dem wir uns rechnend fortwhrend bewegen, in uns entspricht! Wie wenig Tieferes empfinden wir in diesen Zahlen, die doch in jahrtausendelangem Gebrauch nach biologischer Art Zeit genug gehabt htten, sich in uns zu fixieren, die wir an den uns mit so vielen Wirbeltieren gemeinsamen Extremitten wahrnehmen knnen, ja zumindest als Affen fleiig benutzen durften whrend fr jene anderen Zahlen durchaus kein ebenbrtiges Vorbild in
:

Es lt sich vermuten, unbekannte Grund der Bedeutung der Dreizahl identisch sein wird mit der Ursache der Dreizahl der Dimensionen unseres Raumes. Doch scheint den Ansprchen der Dreiheit ein Gefhl zugrunde zu liegen, als ob sie vorzglich die im Absoluten erfolgende Vereinigung der in der Erscheinung differenzierten Gegenstze (wie Liebe Ha, Furcht Glaube, Angst Hoffnung,
der empirischen Wirklichkeit besteht.

da der

tiefere,

Gut

Bse)
1

versinnbildliche.

und 3 haben eine Verwandtschaft. Die Dreizahl hat einen


die Einheit

monistischen Charakter; durch sie wird die Eins, wieder bejaht. Darum sind beide ungerade (durch 2
bar): weil sie

nicht

teil-

einheitlich

sind.i

Der Dritte spricht das ausschlaggebende, vershnende,

letzte

Wort
s.

die dritte Gttin, die

dem Paris

erscheint, ist die eigentlich schne u.

w.

ber rcklufige Bewegungen.

97

Warum
nirgends

ich hierbei lnger verweilt habe, wird sich spter *

zeigen; jetzt will ich auf ein damit verwandtes Thema, das noch

zum Gegenstande einer Frage gemacht scheint, etwas nher eingehen. Man hat allgemein dem Kreise eine besonders hohe Dignitt als dem vollkommensten, symmetrischen, ebenen Gebilde zuerkannt. Jahrtausendelang hat die Auffassung, die einzige erhabener Gegenstnde wrdige Bewegungsform sei die im Kreise,

bestanden und bekanntlich noch Kopemikus gehindert, die Planetenbewegung um die Sonne anders zu denken als kreisfrmig. Da die Planeten sich kreisfrmig bewegen mten, war fr ihn, wie fr alle seine Vorgnger ein Axiom, an dem ein Zweifel in ihm gar nicht aufstieg. Die Erhabenheit der vollkommensten, unerschtterlichen Gleichmigkeit, jene Empfindung, die in den Gesngen der Erzengel des Faust-Prologes, in den groartigsten Versen der Welt, zum Ausdruck kommt, liegt offenbar dieser Forderung zugrunde. Als Keplers Gesetze Anerkennung fanden, versuchte man durch ein Lcheln ber die frhere kindliche

Auffassung diese zu widerlegen. Die elliptische Bewegung teilt zwar nicht ganz mit der kreisfrmigen das Pathos des Gesetzes, die Wrde der Launenlosigkeit, dafr aber haftet ihr in gleicher

Eigenschaft an, die hier

zum Gegenstande der


ist

Weise wie jener die Kritik gemacht

werden soll. Die rcklufige Bewegung

wegung

xar'i^ox'^v. Sie ist selbstzufrieden, sie schliet das


ist,

nmlich die anethische BeStreben


moralisch be-

aus, sie wiederholt das Gleiche immerfort, sie

trachtet, schlimmer als der wenigstens

immer

weiter rckwrts

wollende,

wenigstens

sinnvolle

Krebsgang.

Blo

im unab-

lssigen Streben liegt fr Goethe wie fr

Kant das

Sittliche.

Wie

berechtigt die

Argumente sind, die sich vom Standpunkte dieser einzig freien Ethik gegen jede positiv ethische Wertung der Planetenbewegung herleiten lassen, lt sich leicht an einigen vulgren Analogien zu derselben dartun. Sich im Kreise drehen
ist sinnlos,

zwecklos

jemand, der sich auf der Fuspitze herum-

dreht, selbstzufriedener, lcherlich eitler,

Tanz

ist

eine weibliche

gemeiner Natur. Der Bewegung, und zwar vor allem die Be-

S, 107.
die letzten Dinge.
2.

Weininger, ber

Aufl.

98

ber rcklufige Bewegungen.

da ein Weib um so von der Dirne an sich hat. Hiermit hngt ferner der Charakter des bayerisch-sterreichischen Volksstammes, insbesondei-e des Wieners, zusammen. Seine groe Neigung zur Tanzmusik ist kein isolierter Zug seines Wesens, sondern in diesem tief begrndet. Die Kreisbewegung hebt die Freiheit auf und ordnet sie einer Gesetzlichkeit unter; die Wiederholung des nmlichen wirkt entweder lcherlich oder unheimlich (Robinson). Der Charakter des Wieners ist imEthischen fatalistisch (Lass' gut sein, da kann man nichts machen); der Fatalismus, ins Intellektuelle bersetzt, ist Indifferentismus; darum ist der Wiener apathisch, gemtlich". Der Walzer ist die absolut fatalistische Musik; aber darum zugleich der adquate musikalische Ausdruck der Kreisbahn. Das Ringelspiel. Zu ihm fhlen sich stets Frauen mehr als Mnner hingezogen. Die Abneigung des Mannes gegen das Ringelspiel und die eigentmliche Beklemmung, welche es erweckt, knnen hchst intensive Grade annehmen. Die wenigsten Mnner werden auch, wenn sie zu ihrem Ausgangsorte zurckzukehren gezwungen sind, gerne auf derselben Linie zurckein gehen, die sie auf dem Hinweg eingeschlagen haben Phnomen, das durchaus hierher gehrt. Nur der unethisch veranlagte Mensch wird keinerlei Widerstreben in solchem Falle empfinden. Darum berhrt uns auch der Gedanke des Wanderers so sympathisch; und darum haben selbst die hchststehenden Frauen sogar kein Bedrfnis zu reisen. Allem Reisen aber liegt unbestimmte Sehnsucht, ein metaphysisches Motiv

wegung der
lieber,

Prostitution.

Man wird
mehr

finden,

um

so besser tanzt, je

es

zugrunde.

Aus dem gleichen Grund

ist

es

auch

alles eher als eine

Befriedigung des Unsterblichkeitsbedrfnisses, jene ewige Wiederkunft des Gleichen anzunehmen, wie sie pythagoreische und indische Lehren (auch die Weltentage des esoterischen Buddhismus)

kennen, und wie

sie

Nietzsche wieder verkndigt hat. Im Gegen-

denn es ist nur der Doppelgnger, zwar nicht in zeitlicher Koexistenz, sondern in der Sukzession. Der Wille zum (eigenen) Wert, zum Absoluten ist ja die Quelle
teile, sie ist frchterlich:

des Bedrfnisses nach Unsterblichkeit. Alles Streben nach unend-

Vervollkommnung wird aber durch nichts so verhhnt, wie durch den Gedanken, da jede berwindung der Unvolllicher

ber rcklufige Bewegungen.

99

kommenheit uns dem RckfaU


nher bringt.

in

deren strksten Grad zeitlich


(vgl. die

Darum

ist

auch das Gefhl so unheimlich

Theorie

der Furcht), das viele Menschen kennen, eine

neue Situation

bereits einmal erlebt zu haben. Man hat in diesem Gefhle ganz unsinnigerweise die tatschliche Basis des Glaubens an die Unsterblichkeit gesucht.^ Unsinnig ist diese Ableitung: denn jenes Gefhl ist voll Furcht, we wir uns in solchem Augenblick wie vllig determiniert, wie an ein Rad oder an eine Zykloide) gebunden vorkommen; der Unsterblichkeitsgedanke negiert aber gerade die Determiniertheit durch irgend eine Kausalitt von auen, er setzt und bejaht etwas, das gerade allein nicht Funktion der Zeit ist, er ist der Freiheitsgedanke, der Besieger der Furcht, Unsterblichkeitsbewutsein: hchstes Selbst-

bewutsein.
Kein
,ens

metaphysicum"

will die drehende


ist selbst

der Mensch will eine Unsterblichkeit in Freiheit, nicht


ein Weltproze will; ja Unsterblichkeit

Bewegung we es

nur ein Teil

der Freiheit, Freiheit (Nicht-Bedingtheit) von der Zeit (Freiheit selbst umfat

Freiheit

vom

Stoff).

noch mehr: ist noch Freiheit vom Rume, Freiheit wird negiert durch ein Gesetz

der Periodizitt.

Der Fatalismus, das ist der Verzicht des Menschen, sich Freiheit eigene Zwecke zu setzen, empfngt sein Symbol im Wiener Walzer. Die Tanzmusik begnstigt im Menschen die Verabschiedung des sittlichen Kampfes, ihre Wirkung ist ein Gefhl der Determiniertheit; hheren Menschen ist sie darum ebenso unheimlich und widerwrtig, wie die Entdeckung des Robinson, im Kreise herumgegangen zu sein. Sicher gibt es auch im Leben des Menschen, nicht nur des Weibes, sondern auch des Mannes, eine Periodizitt.^ Aber
selbst je in

gleiche Zustand wieder. Wenn wir im luftleeren Rume schwingen sehen knnten, so wrde, wenn wir von uns, den Beobachtern, absehen, der eine Zustand der uersten Elongation rechts von der Gleichgewichtslage nach einer ganzen Schwingungsdauer
nie

kommt

hier

ganz

der

ein mathematisches Pendel

1 2

Vgl

, .Geschlecht

und Charakter",

1. 1.

Aufl., S. Aufl., S.

162, 517.

Vgl. Geschlecht und Charakter",

64

f.,

135

f.

100

ber rcklufige Bewegungen.

wiedergekehrt sein, und zwar vollstndig als dernmliche. Wir sagen freilich, er unterscheide sich von dem frheren (nur)
durch eine ganze Schwingungsdauer; d. h. aber, er unterscheidet sich von ihm dadurch, da jener ihm vorangegangen ist; sonst
ist hier das zeitliche Doppelgngertum durchaus realisiert. Von jenem Vorangehen haben wir Kunde durch unser Gedchtnis,

welches das
Zeit
ist.

psychologische
verschieden.

Werkzeug

fr

die

Auffassung der

nur die Zeitda zur Zeitmessung nur geeignet ist, wem sonst Zeitliches, d. h. Vernderung mit der Zeit, nicht anhaftet. Da wir eine solche Voraussetzung von den Fixsternen mit noch geringeren Fehlern als von irgend einem realen Pendel machen drfen, bentzen wir sie als letzte Messer der Zeit. Die Kreisbewegung ist schlielich auch lcherlich, wie alles blo Empirische, d.h. Sinnlose; indes alles Sinn volle erhaben ist.
besteht also vllige Identitt sonst,

Es

momente

sind

Wir sehen

hier,

Damit hngt auch wohl zusammen, da der Kreis und die schn sind. Der kreisfrmige oder elliptische Bogen, als Ornament, kann schn
Ellipse als abgeschlossene Figuren auch nicht
sein: er bedeutet nicht,
heit,

wie die ganze Kurve, die vllige Sattist,

wie die um die Welt geringelte noch etwas Unfertiges, der Vervollkommnung Bedrftiges und Fhiges, er lt noch ahnen. Darum ist auch der Ring immer Symbol von etwas Unmoralischem oder Antimoralischem der magische Kreis fesselt, er raubt die Freiheit; der Hochzeitsring fesselt und bindet, er nimmt zweien die Freiheit und Einsamkeit, er bringt statt dessen die Knechtschaft und Gemeinschaft. Der Ring des Nibelungen ist das Abzeichen des Radikal-Bsen, des Willens zur Macht und der Ring des Zauberers, einmal um den Finger gedreht, verleiht die Macht. Da also die Planeten in runden Bahnen laufen, darin vermag, wer mit Kant im Progressus, im Kampfe das Sittliche sieht, nur etwas Unethisches zu erblicken, etwas vollkommen Moralder nichts mehr anzuhaben

Midgardschlange.

Im Bogen

ist

Auch in den Planeten finden wir also nicht die wrdige Anlehnung fr unser Dasein als sittliche Wesen. Dieses gewinnt freilich nur noch an Erhabenheit, wenn es von allen Einzeldingen der sichtbaren Natur losgelst wird. Wre also das
fremdes.

Sonnensystem

speziell ethisch gedacht, so drfte die

Bahn

eines

Das Zeitproblem.

101

Planeten nie in sich zurcklaufen. Es dreht sich ja auch der Mond, dem sicherlich nichts irgendwie Ethisches liegt (sein intimes Verhltnis zur weiblichen Physis und zum Hunde ist hierfr Beweis),
in

in der gleichen

Und

der Saturn,

Bewegung um die Erde, wie diese um die Sonne. zu dem der Mensch sicherlich unter allen

Planeten in der nchsten Beziehung steht, mit seinen Ringen und Monden erscheint geradezu als die Summation des Bsen.
Vielleicht gibt es Himmelskrper, die keine rcklufigen Be-

wegungen ausfhren,
tigung dieser Kritik

an denen
der in

die

Astronomie zuschanden

wird.i Keinesfalls aber wird, selbst im Falle der vollen Berechsich zurcklaufenden Bahnformen,

der gestirnte Himmel, den Kant neben das

Sittengesetz

stellte,

nun

all seine

Majestt zugunsten des


soll

Sittengesetzes

verlieren

mssen. Nur

man

in

ihm nicht mehr suchen,

als er tatschlich

psychologisch fr uns reprsentiert, das Symbol fr die

Unend-

lichkeit des Weltalls, deren allein wir uns im Sittengesetze wrdig fhlen, die allein des Sittengesetzes wrdig ist, und seine
schmerzlose Lichtseligkeit.

Das Zeitproblem.
jahung und der Furcht finden ihre

Phnomene der Neigung und Abneigung, der BeZusammenfassung in der Einsinnigkeit der Zeit. Diese besteht darin, da die reale G-egenwart zwar zur realen Vergangenheit, aber nie zur realen
Alle jene

Zukunft wird: oder, wie man auch sagen knnte, darin, da die Zeit sich nur in der Form entwickelt, da das Quantum der Vergangenheit immer grer, das der Zukunft immer kleiner wird, nie umgekehrt. Nur ideale Gegenwart kann zur realen Zukunft werden: indem ich etwas will, schaffe ich Zukunft.

Grund der Einsinnigkeit der nur in einem Sinne, ihrer Nicht-Umkehrbarkeit viel nachgedacht, aber nur Unsinn zutage gefrdert. Die Einsinnigkeit der Zeit ist mit dem Weltrtsel (dem Etsel des Dualismus) das tiefste Problem im Universum, und
hat ber den tieferen
Zeit, ihres Vorschreitens
1

Man

Aber auch
sittliche.

die

Bewegung

in

der

Spirale

ist,

trotz

Goethe, keine

eminent

102

Das Zeitproblem.

es

ist

nicht zu wundern, da

die

hervorragendsten Denker der

darber Schopenhauer auch dort, wo sie mit der Zeit selbst sich beschftigten. Und doch htte vor allem Kant nicht schweigen sollen; denn, wenn die Zeit nur apriorische Anschauungsformist, ohne Bedeutung fr die Dinge an sich selbst, so bleibt das Rtsel eines Sinnes, einer Richtung der Zeit drckender als zuvor. Auf einer geraden Linie mag ich hin und her spazieren; und der Zeit, die doch als eine Gerade vorgestellt wird, fehlt diese Eigenschaft. Die Einsinnigkeit der Zeit, d. h. das Nie -Wiederkehren des Vergangenen, ist aber der Grund aller jener besprochenen Phnomene des Widerstrebens gegen rcklufige, drehende Bewegungsformen. Diese Form der Bewegung ist, wie sich herausstellte, unethisch. Dai3 die Zeit einsinnig ist, dafr mu demnach der
Welt
Plato,

Augustinus,

Kant,

smtlich geschwiegen liaben,

Grund im Moralischen

Um
doch
ein

so

liegen. schneidender empfinden wir den Widerspruch im


:

Kantischen System wenn die Zeit einen Sinn hat, so mu, sei sie noch so sehr Form bloer Erscheinung (und das ist sie sicher),

Zusammenhang zwischen

ihr

und

dem

intelligiblen,

ethischen Grunde der Welt bestehen.

Da

die Einsinnigkeit der Zeit ein


ist,

Ausdruck der Ethizitt

des Lebens

darauf weist vieles hin.


sittliche

Es

ist

unsittlich,

zweimal dasselbe zu sagen:


der an sich die hchste
verloren wei,

wenigstens empfindet der Mensch,

Anforderung
ist

stellt

und

sich

wenn

er nicht ihr gehorcht, es so.


die tiefste

So hat es auch Christus empfunden: es

und

zugleich die strengste (an Strenge noch ber Kant hinausgehend) sittliche Vorschrift des Evangeliums in dem nie beachteten

Worte (Evang. Matth. 10, 19) enthalten: Sorget nicht, was Ihr sagen werdet^ wenn man Euch fragt, sondern sprechet, was Euch
der
Geist

eingeben
ich,

wird.
iv avrfj

{Mrj
rfj

fisQiiivrjGrjts

nag

?)

rc

ka^drjts,

od^riesxai, yccQ vfiiv

coQce

xi kali^6r}TE.

mir vorgenommen habe zu sagen, zwischen jenem Augenblick der berlegung und dem neuen, der die Handlung erfordert, liegt; ich begehe eine Lge gegen den neuen Augenblick, setze ilin nmlich als identisch mit dem frheren und bin damit zugleich determiniert, indem ich mich durch einen frheren Augenblick,

Denn: sage

was

ich

so streiche ich die Zeit,

die

Das Zeitproblem.

103

durch
nicht

empirische

Kausalitt,

determiniert

habe.

Ich

handle

mehr frei, aus dem Ganzen meines Ich heraus, suche nicht mehr neu das Richtige zu finden; und hin doch wirklich ein anderer als in jenem frheren Moment, zumindest um jenen reicher; und nicht mehr ganz identisch mit dem
frheren.

Unethisch
Alle

ist es, die

Vergangenheit ndern zu

wollen:

Lge

ist

Geschichtsflschung. Man

flscht zuerst seine

eigene Geschichte, dann die der anderen. Unethisch, die

Zukunft

nicht ndern zu wollen, sie nicht anders, besser als die Gegenwart, d. h. nicht schaffen zu wollen. Wolle! so knnte der
kategorische Imperativ

Reue

werden. Das Phnomen der der eigentliche Ausdruck der Einsinnigkeit der Zeit): Es bejaht die vergangene Schuld, aber als
formuliert

verbindet beides

(es ist

Vergangenheit und verneint


ihr

sie als

Zukunft,

d. h.

es setzt

den Willen zur Besserung in der Zukunft entgegen. Die Zukunft ist noch nicht wahr, die Vergangenheit
ist

ist

wahr. Die Lge


sie

Machtwille ber die Vergangenheit,


ist.

der

keine Freiheit oder Existenz schenken kann, weil die Gegenwart

gleich unfrei, gleich tot

In der Gegenwart berhren sich Ver-

gangenheit und Zukunft; sie ist das, .'was der Mensch kann; ber die Vergangenheit hat er keine Macht mehr und ber die

Zukunft noch keine. Wenn Ewigkeit und Gegenwart eins geworden sind, dann ist der Mensch Gott geworden, und Gott ist

allmchtig. Die Lge also ist unethisch, ist Umkehrung der Zeit: Indem der nderungswille hier auf die Vergangenheit statt auf die Zukunft sich erstreckt. Alles Bse aber ist Aufhebung des Sinnes der Zeit: Verzicht darauf, Verzweiflung daran, dem Leben
einen Sinn zu geben.

Der WiUe des Menschen schafft die Zukunft: Der Mensch nimmt die Zeit voraus, indem er beschliet; und er nimmt die Zeit zurck, indem er bereut. Im Willen des Menschen, der stets Wille zur Ewigkeit ist, wird die Zeit zugleich gesetzt und verneint.

finieren,

Ein eminent unetMsches Gefhl, weil nur dadurch wirklich zu deda die Einsinnigkeit der Zeit in ihm aufgehoben erscheint, ist die

Langeweile.

104

Das Zeitproblem.

Die Eiiisinnigkeit der Zeit ist sonach identisch mit der Tatsache, da der Mensch zutiefst ein wollendes Wesen ist. Das Ich als Wille ist die Zeit. Das realisierte Ich wre Gott; das Ich auf dem Wege zur
Selbstrealisierung ist Wille.

etwas zwischen Nichtsein und Sein; sein Weg zum Sein (denn aller Wille ist Wille zur Freiheit, zum Wert, zum Absoluten, zum Sein, zur Idee, zu Gott; .Geschlecht und Charakter", 1. Aufl., S. 578). Da das Sein noch

Der Wille

ist

geht

vom

Nichtsein

nicht

ist,

das Nicht- Sein noch

ist,

das

ist

der Grund,
ist

warum

die Zeit wirklich ist; da das

Sein wird, das

der Grund

ihrer Einsinnigkeit

und deren tiefere, wesenhaftere Bedeutung. Hiermit wren die aufgeworfenen Fragen beantwortet. Die Einsinnigkeit der Zeit ist somit identisch mit der Tatder Nichtumkehrbarkeit des Lebens,

sache

und das Zeitrtsel

Lebens (obschon nicht mit dem Rtsel der Welt). Das Leben ist nicht umkehrbar; es gibt keinen Rckweg vom Tode zur Geburt. Das Problem der
identisch mit

dem Rtsel

des

Einsinnigkeit der Zeit Lebens.

ist die

Fragenach dem Sinn des

In dieser Einsinnigkeit der Zeit liegt der Grund dafr, da unser Unsterblichkeitsbedrfnis nur auf die Zukunft (nicht auf das Leben vor unserer Geburt zurck) sich erstreckt. Deshalb
interessiert uns

wenig unser Zustand vor der Geburt, gar sehr

aber jener nach dem Tode. Und wre die einsinnige Zeit nicht dasselbe wie der Wille, so knnte ja der Wille zurckwollen und

ist

Vergangenheit ndern (nach dem Worte Nietzsches: Was aber des Willens grter Schmerz? Da er ber die Vergangenheit nicht gebieten kann"). Der Wille mte nicht Wille sein und der Satz der Identitt wre aufgehoben, wenn der Wille Vergangenheit ndern wollte oder knnte; denn eben, da er Wille ist, darin liegt die Kluft zwischen Vergangenheit und

Zukunft und ihr ewiger Unterschied ausgesprochen. Der Wille ist etwas Gerichtetes und seine Richtung ist der Sinn der Zeit.

Das Ich verwirklicht


faltet sich in der

sich selbst als Wille,

d.

h.

es erlebt, entdie

Form

der Zeit:

Die

Zeit

ist

Form der

inneren Anschauung, wie Kant dies gelehrt hat.


Aller Wille will Vergangenheit als Vergangenheit; und nur der Verbrecher, der nicht mehr den Blick nach Gott will.

Das Zeitproblem.

105

sondern nach unten sinkt, lgt,

d. h.

mordet Vergangenheit;

der Zeit ist das Radikal-Bse, und die Furcht vor dieser Umkehrung ist die Furcht vor dem Bsen. Der Wille setzt die Zeit und verneint sie (darum erwacht man, wenn man will, erwacht das Medium, wenn der Hypnotiseur will); in ihm ist das Sein Gottes und des Nichts, in ihm der Dualismus in der Welt am deutlichsten ausgesprochen. So ist das Problem des Willens zugleich das tiefste Problem der Welt und eins mit diesem.
die
Psychologisch
die Zukunft"
die
ist

Umkehrung

die Zeit*
die

die

Zeit,

in

der wir leben,

Zeit,

wir noch

erleben werden.

Die

formale, transzendentale Zeit hrt aber mit

dem physischen Tode

nicht auf, sondern erstreckt


Sie wird eben gesetzt

sich

ber die Individuen hinweg.

der

vom Ewiglebenden. Warum der Mensch geboren wird, um zu sterben, wanim Wert (das Ich) Wille wird, warum das Absolute sich an ihm
realisiert, d. h.

im irdischen Leben
sinnig
ist,

warum

die

Zeit ein-

Frage nach dem Sinn des Daseins, und nicht durch das Wort, sondern nur durch die Tat zu lsen. Sie
das
ist die ist

aber identisch mit der Frage, mit

dem Sinn der

Einsinnig-

keit der Zeit.

Man lebt nur einmal", das gilt nicht nur sondern auch von jedem einzelnen Moment.
Weil Furcht
zieht sie sich
die Kehrseite des Willens

vom Ganzen,
ist,

zum Wert

be-

auf das, was geschehen wird, nicht auf das, was


(ebenso

obwohl ihr Grund immer in der Vergangenheit bei ihrem Gegenteile: der Hoffnung). Die Furcht ist so ein guter Ausdruck der Einsinnigkeit der Zeit; die Schuld, aus welcher sie entspringt, ist vergangene Zeit; die
geschehen
ist,

zu suchen

ist

kommende Zeit. Der Glaube hingegen geht aufs Zeitlose. Aufs Zeitlose beziehen sich Mut und Glaube, auf die Einsinnigkeit der Zeit
Strafe, vor der ihr bangt, ist die

(ihren einzigen Wertbestandteil, die doch sonst das


sich
ist)

Wertlose an

Hoffnung und Furcht.

Die Zukunft ist das, was durch den WiUen geschaffen wird; nur der Wollende hat Zukunft. Darum lebt der Mensch solange, als er noch irgendwie will, zum Wert hinauf will, als er noch zwischen Sein und Nichtsein steht, und die Menschen

106

Das Zeitproblem.

sterben im Momente, da sie sich vllig entfaltet haben: entweder

am Ziele angelangt, Wert geworden ist, d. h. der Mensch Gott oder Engel geworden ist; oder iwenn der Wille (und die Hoffnung) am Ziele angekommen und damit auch die
ihr Wille

Fhigkeit

dazu gnzlich erloschen ist: ein Mensch, der gar keinen Willen zum Wert (also auch gar keine Furcht) mehr hat,

stirbt ebenfalls.

Der vollkommene Verbrecher kann als Mensch nicht leben denn der Mensch hat noch immer

Mglichkeit zu sein, so lang er lebt

darum stirbt der

voll-

kommen

bse gewordene

Verbrecher,

und darum

ist es

so

wahrscheinlich, da er Tier oder Pflanze wird, und da die Inder Recht haben, wenn sie vor allem Lebenden deswegen
sich scheuen.

Darnach
stimmen.
die Absicht^

also

ist

die

Lebensdauer des Menschen zu benicht

Wagner

hatte den Parsifal vollendet, und

mehr

noch zu schaffen; was er je wollte, hatte er zu wirken vermocht. Ebenso war Goethes eigentlichste Lebensarbeit der Faust, und er betrachtete selbst die wenigen Tage als geschenkt, die er nach seiner Vollendung noch lebte. Die Antizipation einer extensiv-groen Zukunft kann auch Hoffnung genannt werden: der Mensch lebt so lang als er hofft. Der Spieler ist der Mensch, der Hoffnung am notwendigsten hat, weil er an der Furcht am strksten leidet. Er ist stets ein Desperado. Bei Rossini hingegen scheint mir ich glaube ihm nicht Unrecht zu tun ein umgekehrter Proze vor sich gegangen zu sein. Er hat groe Versuche zweimal gemacht (Barbier" und Teil"), schlielich aber aufgehrt zu wollen; sein Gesicht als alten Mannes ist von frecher, fetter Sinnlichkeit. Bei den weiblichen Schriftstellerinnen, Knstlerinnen usw. ist auffallend, da keine eine Entwicklung hat, keine einem Kunstideal nachstrebt und allmhlich nher kommt. Die Frauen haben keine Entwicklung, weil sie keinen Willen zum Wert haben: Hiermit ist das begrndet, was ich einmal (Geschlecht und Charakter", 1. Aufl., S. 382) allzu abgerissen behauptet habe: da fr die Frauen die Zeit nicht gerichtet ist.

Ist somit die Zeit das Ich als Wille, so fragt es sich noch,

der Raum, die andere verhalten sich die beiden?


ist

was

Form der Erscheinung und wie

Das Zeitproblem.

107

Die

Bewegung

ist es,

die

hierauf Antwort

gibt; in ihr

Die Zeit durchmessen werden kann; es gibt keine Fernwirkung. Sie ist aber auch die einzige Form, in welcher das Ich (Gott im Menschen) sich findet. Der Eaum ist also eine Projektion des Ich (aus dem Reich der Freiheit ins Reich der Notwendigkeit). Er enthlt im Nebeneinander, was nur im zeitlichen Nacheinander erlebt werden kann. Der Raum ist symbolisch fr das vollendete,
Zeit.
ist die Art, in

vereinigen sich in rtselhafter Weise

Raum und

welcher der

Eaum

einzig

die Zeit fr das sich

wollende

Ich.

Darum

scheint der

Raum

erhaben, die Zeit nicht. Das Ich aber ist die Synthesis des Alls, die Einheit aller Gegenstze und darum, von wegen der synthetischen, vollendenden Bedeutung der Dreizahl \ die drei Dimensionen des Raumes. Darum ist die Bewegung, die Projektion des Willens, ein (Muskelkontraktion), und sichtbarer, krperlicher Ausdruck Schopenhauer ein wenig gerechtfertigt, der beide gar identifiziert. Der Trieb stellt nur die Erscheinung des Willens im niederen Leben dar darum ist auch das Leben der Tiere und
;

noch einsinnig, menschliches Leben.


Pflanzen

weil

sie

nur

symbolisch

sind

fr

Der Wille

(die

Bewegung

des Psychischen: die

Enge des Bewutseins) ist die Form der Enge des Bewutseins, so lange

eng ist, und nicht alle Ewigkeit in sich resorbiert Tatsache der Zeit; und es werden hier als zwei Tatsachen ausgegeben, was eins und dasselbe ist. Darum ist der Krper rumlich und entsprechen seine Achsen den Raumachsen; weil er die Projektion des Ich, seine Erscheinung ist. Wie im Reiche der Natur, das ist im Reiche der Gesetzlichkeit, der Funktionalitt, der Raum, das berall qualiBewegung tativ Gleiche, in der Zeit durchmessen wird d. h. wie die Vielheit der Raumpunkte die Zeit ist; so enthalten im Reiche des Geistes, dem Reiche der Freiheit, des
es noch irgend
hat, ist ja die

Nicht-irgendwie-noch-abhngig-Variablen,

die

vielen

diskreten

Momente des individuellen Lebens immer das ganze zeitlose Ich, den Charakter (nur jetzt in umfangreicherer, dann in beschrnk1

Die dialektische Methode; vgl. bes.

S.

97

f.

108

Das Zeitproblem.

terer Bewutheit). Dieses Enthaltensein des Ich in

jedem Momente

des Lebens ist identisch mit der Tatsache der Freiheit.

Diese doppelte Erscheinungsform des Ich als


Zeit ist der tiefste
griffen,

Raum und

als

Grund dafr

(was

man

nie noch ganz be-

worber man sich mit Zeno wundert), da Geometrie

auf Arithmetik, Arithmetik auf Geometrie angewendet werden

kann: weil Eaum und Zeit nur verschiedene Erscheinungen eines und desselben sind. Das Leben ist eine Art Reise durch den Raum des inneren Ich, eine Reise vom engsten Binnenlande freilich zur
umfassendsten, freiesten berschau
des
Alls.

Alle

Teile

des

Raumes

sind qualitativ ununterschieden, in allen


(potentiell)

Momenten des
ist

Lebens steckt

der

ganze Mensch. Zeit

Vielheit,

aus vielen Einheiten zusammengesetzt; Raum ist Einheit, aus Vielheit zusammengesetzt (Symbol des einheitlichen Ich).

Das Unbewute

ist die Zeit,

beides eine

Tatsache.

Die Melodie entspricht der Zeit (die einzelnen Tne konstituieren den Rhythmus), die Harmonie dem Raum (geometrisches Verhltnis der Schwingungszalilen Harmonie der Sphren). Darum wird die Melodie durch eine Linie dargestellt. Musik ist die Mathematik im Reich der Freiheit (vgl. Geschlecht und
;

Charakter", Licht

Raum (Auge mit Fixationspunkt). Schall Zeit (Gehrssinn ohne Lokalzeichen").


Ich kehre

1.

Aufl., S. 32G).|

zum Thema zurck:


im Morgen etwas anderes sehen,
unterscheiden
als

Wre

der Mensch anethisch, wie die drehende Bewegung,

so knnte er nicht

im Heute,

das neue Jahr nicht

vom

alten,

sich entwertet

fhlen und Furcht empfinden,

wenn

er sich auf einem frheren

wie eine Gestalt Tolstois ,Herr und Knecht"). So der Spiebrger in der Zeit zu reflektieren beginnt: es liegt doch darin ein gewisses kosmisches Gefhl, ein Gefhl fr Vergangenheit und Vergnglichkeit, der eine hoffnungsvolle Zukunft entgegengesetzt wird. AUe Drehung aber ist Aufhebung der Zeit, sie wird als Wiederholung ja auch nur erkannt und bewertet durch unsere blo einsinnige Zeitanschauung, die Bedingung aller Eindeutig-

Punkte wiederfindet, wie Robinson, oder (in seiner hervorragendsten Erzhlung -.ehr es zum Lcheln reizen mag, wenn Silvesternacht von der Zeitung auf die

Das Zeitproblem.

109

keit, aller

Wahrheit

ist:

wir wrden im anderen Falle


die

allen
fort-

Halt verlieren. Whrend

Erde,

auf der wir

leben,

whrend kreist und

kreist,

bleibt

der Mensch unberhrt

vom

kosmischen Tanze. Sein Geist ist nicht mit dem ganzen Systeme mechanisch verbunden frei blickt er hinaus und gibt oder nimmt dem Schauspiel seinen Wert.
;

AnhangIch will noch zwei musikalische Motive hier welche in Beziehung zu dem Probleme stehen.
1.

besprechen,

drckt die

Die Melodie des Hirten, Tristan und Isolde, 3. Akt, sinnlose Zeit aus, als wre die Zukunft nicht

etwas, was der Vergangenheit entgegengesetzt wird. Das ewige Einerlei soll sie ja auch nach der Absicht Wagners
bezeichnen.

Das Hauptmotiv der Appassionata" ist das Motiv des (als des Wesens mit dem Willen zum Wert), das grte Motiv zwischen Sein und Nicht-Sein. Sein aufsteigender Teil ist die Liebe, die Sehnsucht nach dem Wert,
2.

Menschen

nach der Eeinheit.


Sein zweiter, absteigender, abfallender Teil drckt das Zurckgeschlagenwerden, das Erfolglose, Unglckliche aller Versuche aus, sich dem Wert zu nhern: das ewige Zurckfallen in die Sinnlichkeit. Alles Schicksal, alles Unbewui3te, alle Ver-

gangenheit und Zukunft neben der Gegenwart, alles, worber der Mensch keine Macht hat, liegt in diesem zweiten Teile.

Der sieghafte Schlu des dritten Satzes bringt nur mehr den ersten, nicht mehr den zweiten Teil: die erfolgreiche Annherung an den Wert, die Vereinigung mit ihm. Das Motiv ist das grte Motiv der Einsinnigkeit der Zeit.

Metaphysik.
Symb olik, (Enthaltend die Idee einer universellen Psychologie Tierpsychologie [mit ziemlieh vollstndiger
des

Verbrechers]

etc.)

Metaphysik.
Was
mit
ich hier als Metaphysik darlegen will, deckt sich nicht

Begriffe von einer solchen. Ich untersuche und Nicht-Sein und trachte nicht, beide voneinander zu scheiden. Seit Kantens Auftreten scheint es geboten, solche Untersuchungen nach einer anderen als der metaphysischen, nach der Methode der Transzendentalphilosophie auszuhier nicht Sein

dem gewhnlichen

fhren;
heit

es

ist

ihnen

dies

durch

eine

groe

Strenge, Rein-

und Sicherheit gewhrleistet. Vielleicht besteht daneben auch noch die introspektiv-psychologische Methode zu Recht, wenn der Psychologe selbst nur tief genug ist; aber absolut, wie ein Musikstck, darf sich die Metaphysik nicht mehr entwickeln. Was ich hier im Sinne habe, htte ich auch Symbolik, universelle Symbolik nennen knnen. Denn nicht auf das Ganze, sondern auf die Bedeutung alles einzelnen im ganzen kommt es mir an. Was das Meer, was das Eisen, was die Ameise, was der Chinese bedeuten, die Idee, die sie reprsentieren, aufzudecken, darauf gehe ich
aus.

Und
Es

insofern ist dieses Unter-

soll die ganze Welt umDinge blozulegen, im eigentlichen Sinne zu erklren trachten. Es ist diese Metaphysik darum nicht nur Metaphysik, sondern auch Metachemie, Metabiologie, Metamathematik, Metapathologie, Metahistorie usw. Das Unternehmen ist so gro, so gewaltig, da ein Einzelner seine Bo-fte daran ins Ungemessene wird wachsen lassen knnen. Der Grundgedanke und die Voraussetzung des Buches, die Basis, auf der alles Folgende ruht, ist die Theorie vom Menschen als dem Mikrokosmus. Da der Mensch zu allen Dingen in der Welt ein Verhltnis hat, so mssen alle Dinge derselben schon in ihm irgendwie vorhanden sein. Mit diesem Gedanken des

nehmen das erste spannen, und den

in

seiner

Art.

tieferen Sinn der

Weininger, ber

die letzten Dinge.

2.

Aofl.

114

Metaphysik.

Mikrokosmus macht nun dieses Buch zum ersten Male ernst: ist ihm identisch mit dem System des Menschen. Jeder Daseinsform in der Natur entspricht eine Eigenschaft im Menschen, jeder Mglichkeit im Menschen ent-

Das System der Welt

spricht etwas in der Natur. So wird die Natur, alles Sinnliche,

Sinnenfllige in der Natur

gedeutet durch die psychologischen

als Symbol fr diese betrachtet. Die erkenntnistheoretische Berechtigung dieses Unternehmens darzutun, wrde sofort in die verwickeltsten, schwierigsten Probleme fhren; fr seinen Wert und sein Wohlbegrndetsein mu es im Laufe seiner Entwicklung die berzeugendsten Beweise selbst liefern. Nur so viel ist zu bemerken: Der Sinn des Unternehmens ist ganz im Einklang mit der Thesis alles philosophischen Idealismus, da wir nur Erscheinungen und nicht. Dinge an sich selbst" in den Gegenstnden der Auenwelt vor uns haben. Da hier diese sinnliche Erscheinung als Symbol einer psychischen Realitt angesehen wird, einer psychischen Realitt noch dazu, welche Erfahrung im Menschen ist, das freilich ist etwas, das ber jene allgemeinste idealistische Anschauung hinausgeht, und speziell einer Lehre des vollendetsten idealistischen Systemes, einer Lehre Kantens, zuwiderluft. Es gab, wenn ich die persnliche Bemerkung machen darf, fr mich eine lngere Zeit, wo ich an der ganzen theoretischen Philosophie Kantens den Gedanken, da auch die psychischen Phnomene nur Erscheinungen seien, ganz so wie die physischen, fr den grten und genialsten Gedanken Kantens ansah. Spter wurde ich hierin

Kategorien im Menschen und nur

bedenklicher, vor allem durch moraltheoretische


leitet.

Erwgungen

ge-

Die Anschauung, welche diesem Buche zugrunde liegt, ist die einer greren Realitt der psychischen als der physischen Phnomene; wenn ich einstweilen auch noch auerstande bin, diese Grundvoraussetzung systematisch und methodisch vollkommen begrnden oder einordnen zu knnen. Die Gedanken, die ich im folgenden zu einem solchen System der Welt entwickle, sind nur wenige ander Zahl. Aber sie lassen den Grundri des Ganzen wenigstens ahnen und wenn ich nicht die Mglichkeit fr mich sollte erlangen knnen, den Bau selbst zu Ende zu fhren, so beanspruche ich fr mich doch auer dem einzelnen Folgenden auch den Ruhm, als erster ihn gedanklich konzipiert zu haben.
;

Tierpsychologie.

1 15

Das erste, was mich zum Nachsinnen fhrte, war das Phnomen der Tiefseefauna, ber die ich einiges wenige hrte und las (was in mir den Wunsch erregte, in Neapel selbst
weiteres hierber zu studieren).

Es kam mir (Frhling 1902) der Gedanke,


see
in einer

da die Tief-

Beziehung zum Verbrechen stehen msse. Und daran glaube ich auch heute im allgemeinen festhalten zu knnen. Die Tiefsee hat keinen Teil am Licht, dem grten Symbole des hchsten Lebens; und so mu auch, was den Aufenthalt dort whlt, lichtscheu, verbrecherisch sein. Die Polypen und Kraken knnen, wenn sie Symbole sind, jedenfalls nur als Symbole von

Bsem betrachtet werden. Im Laufe des folgenden Sommers und Herbstes entwickelte
sich hieraus

immer klarer der Plan zu einem Unternehmen, von


wenige aus der ungeheuren Zahl der Auf-

dem

ich nur ganz

gaben, die es in sich schliet, bisher ausfhren konnte, der Plan

zu einer

Tierpsychologie
einem ganz anderen Sinne als bisher (Romanes, Schneider). Jenes Tier, dessen Bedeutung mir am klarsten wurde, ist der Hund. Ich wei nicht, ob der Hund das Symbol des Verbrechers berhaupt ist; aber das Symbol eines Verbrechers
in
ist er.

Hier bedarf es freilich einer Aufklrung ber das Wesen des Verbrechers. Der Verbrecher ist derjenige Mensch, welcher den Sndenfall fortwhrend begeht und immer weiter fortsetzt, ohne Bemhung, ber ihn hinauszukommen. Das irdische Behagen geht ihm ber alles, und er ist auch der einzige Mensch, der sich obwohl er, in tieferem nicht eigentlich unglcklich fhlt sicher der Sinne, und auch wie seine Handlungen bezeugen unglcklichste Mensch ist. Der gute Mensch fllt, wird geboren, aber er fhlt sich danach auch sein ganzes Leben lang mit Schuld belastet und hat in sich nie Grund zu Zufriedenheit oder Hochmut. Er braucht sein

ganzes Leben,

um

wieder aus der Unfreiheit zur Freiheit zu ge8*

langen; diesen Sinn gibt er seinem Leben. Der Verbrecher hin-

116

Tierpsychologie.

gegen hat nicht diesen Willen


zerfllt in
:

zum Wert;
am
der

in

ihm geht eine

kontinuierliche Desorganisation vor sich bis zu seinem Ende, er

Stcke und
ist

lst sich

Schlsse wohl in materielle

Atome auf Er
Bewutseins",
alles wei,

der Mensch,

brecher lebt sein ganzes Leben

wirklich stirbt. Der Verohne eigentliche Einheit des


einheitliches Ich,

ohne

kontinuierliches

was

es tut, sich alles zurechnet; der

das um Verbrecher zer-

fllt (die Verbrechen, die er begeht, sind die letzten Mittel,


sich

um

dasselbe

oder, was immer mehr dem Nichts zu, versinkt in Nacht und Hilflosigkeit. Der Verbrecher entsteht durch einen unbegreiflichen spontanen Akt des Verzichtes auf den individuellen Wert.i Ein Willensphnomen ist
ist,

zusammenzuhalten). Der Verbrecher hat keinen Willen zum Wert


keinen Willen,
er

kehrt

sich

das Urteil; der Verbrecher urteilt nicht, auch an der Erkenntnis


ist

ihm nichts gelegen, auch das intellektuelle Gewissen mangelt Der Verbrecher wertet nicht, er wertet auch sich nicht, denn er sucht kein Ich zu behaupten,
ihm. Alles Urteilen ist Werten:
ist

das ber seinen psychischen Geschehnissen stnde; er

ohne

Selbstbeobachtung und
nichts beurteilt,
so

lebt

unbewut. Da

er nichts wertet,

wertet

er

auch sich nicht, beurteilt sich

nicht mehr;

der Freiheit des Urteilsvermgens hat er sich be-

geben; und darum erwartet jeder Verbrecher sein Urteil, das von jemand anderem gefllt, zu hren; jedes Urteil, das ihm von anderer Seite wird, nimmt er Mb, auch
Urteil ber sich selbt,

gegen das Todesurteil revoltiert er psychisch gar nicht mehr: denn er hat sich des hheren Lebens, der Mastbe dessen, ob ihm, ob berhaupt Recht oder Unrecht geschieht, begeben. Er hat die Angst des Tieres vor dem unmittelbar bevorstehenden krperlichen Tode und wird diesem zu entgehen trachten, aber nicht, weil er vom Unrecht seiner Richter berzeugt wre. Weil er auf alles Wollen verzichtet hat, darum ist der Verbrecher stets Fatalist und der wirkliche Fatalist immer ein Verbrecher (natrlich oft ohne es zu wissen; der Verbrecher wei ja doch nie, da er Verbrecher ist; er fhlt es nur dumpf).

Er erwartet darum geradezu das Todesurteil,


sich selbst als

fhlt dumpf,
als

da

er es verdient, weil er

wertlos, d.h. nicht

onto-

logische Realitt gewollt hat.

"

Tierpsychologie.

117

Das kommt eben damit


zichtet hat, ist dasselbe,

berein,

da der Verbrecher sein

Urteil von anderswo erwartet; da er auf den freien Willen ver-

wie da er auf die


so

Autonomie
fr

ver-

zichtet hat: er bentzt sich selbst bereits als Mittel

zum Zweck.
gnzlich

Wrde

er noch

wollen,

wrde er

sich

nicht

durchs Schicksal gebunden halten.


Dieser Fatalismus des Verbrechers
fall

ist

aber nur ein Spezial-

desjenigen Verhaltens,

welches die

allgemeinste Definition

des Bsen
stellt:

vom

logisch-erkenntnistheoretischen Standpunkte dar-

des konstanten Triebes zum, oder der konstanten Unterist

werfung unter den absoluten Funktionalismus. Ethisch


;

Wille zur Freiheit, und Wille zur Freiheit ist freier Wille Freiheit ist nur zu definieren als Unabhngigkeit von anderen
Variablen, Aufhren, bestimmt zu werden,

Ende der

Passivitt,

Anfang der Aktivitt und Spontaneitt. Der Verbrecher ist der Mensch, der allgemein (auch fr sich) die kausale Verknpfung aller Dinge anstrebt und verwirklicht. Darum schrickt er am leichtesten zusammen unter jedem heftigeren Gerusch und jedem
grelleren Licht; er sieht nicht mehr, er hrt nicht mehr, apperzipiert nicht

mehr; er hat kein Gefhl fr den Ort, auf dem er

steht, fr die Zeit, in der er ist;

ihm

fehlt

der Sinn, fr die

rumlich-zeitliche

Gegenwart,

weil er nicht ber dieser steht,

sondern in

sie einbegriffen ist.

Ebenso wie mit den Dingen, hat er sich mit den Menschen verknpft und funktionell verbunden: entweder als ihr Beherrscher" oder als ihr Knecht. Denn diese sind die zwei denkbaren Arten des Funktionalismus; entweder, du mut dich ndern, wenn ich mich ndere; oder: ich mu mich ndern, wenn du dich nderst. Der Verbrecher gibt, sowenig wie sich selbst, irgend einem anderen Menschen, irgend einem anderen Dinge die Freiheit (vgl. den Begriff der Freiheit des Objekts", Geschlecht und Charakter, 1. Aufl., S. 248 f.; und die freie Auffassung des Nebenmenschen" gegenber dem Beeinflutwerden durch sein Dasein, S. 268, 384 f.; ber , Grenzberschreitung berhaupt als Typus der Unsittlichkeit gegen andere, S. 296, 301). Das erste ist der Typus des Despoten, das zweite der Typus des Sklaven. Der Despot kann natrlich mit gutem Recht als eine Form des Sklaven und der Sklave als eine Form des Despoten aufgefat werden: so mu es ja sein, weil, wenn x f (x) f(y), auch y

118

Tierpsychologie.

Die Gegenwart des Nebenmenschen zwingt den Despoten Eroberung, den Sklaven zur Unterwerfung. Der Despot ist also ganz ebenso unfrei wie der Sklave; und der Sklave, der sich an den Machthaber drngt und sich ihm als Diener aufzwingt, ebenso mchtig" wie der Despot. Dieses Heraustreten aus dem universalen Reiche der Freiheit, dieser Absturz in die Notwendigkeit bedingt, dai3 der Verbrecher nie einsam ist, und zugleich doch gnzlich unsozial. Der Verbrecher spricht stets mit anderen, au ch wenner allein
ist.

zur

zu denken

scheint.

Wenn
er

er einsam wird, d. h.

der andere Mensch, mit

dem

beisammen war, von ihm fortgeht, so fhlt er sich schwach und hilflos (Epilepsie); er frchtet sich vor der Einsamkeit,
scheut
es,

mit sich je allein zu

sein,

weil

er dadurch

an sich

wrde erinnert werden;


sein ganzes

er ist froh,

wenn

er sich entkommt,

Tun

ist:

Sucht, vor sich zu entwischen

und was eben

in sich vergeblich ist.

Da Furcht und Ekel

identisch sind, so ist eingeordnet, da

der Verbrecher nicht nur stets Furcht, sondern auch stets

Ekel
er

vor sich selbst hat. Der Verbrecher rechtfertigt dabei entweder


tut,

alles,

was

vor anderen oder klagt sich vor ihnen an (der Sklave); oder
sie

er berfhrt

in

Gedanken, klagt
ist

sie

an,

besiegt sie
stets

(der

Machtgierige). Aber er

nie

einsam,

weil

mit Dingen

und Menschen funktionell verbunden; darum aber auch nie zweisam und mehrsam, weil er die fremde Psyche nicht auffassen, nicht verstehen kann, noch will, sondern in Abhngigkeit von ihr sich befindet. Darum lgt er auch immer (denn man belgt nie sich, sondern immer andere.) In diese Abhngigkeiten also hat sich der Verbrecher begeben. Sein ganzes Innenleben ist eine Heuchelei vor anderen, und das hhere Leben in ihm wie gestorben. Diese Wegwendung

vom hchsten Leben, von der


als Schuld;

Freiheit, empfindet er nicht direkt


ist

denn

er kennt

keine wahi-e Eeue, sondern

ver-

hrtet, verstockt, der Einsicht

und dem Mitleiden unzugnglich. Das Aufgeben seines freien Selbst uert sich bei ihm als Ha gegen alles, was noch frei ist. Wie er in sich das ewige Leben und den Christ gettet, ausgetrieben hat, so mchte er es berall gettet, ausgetrieben sehen. Er hat daher alle Vorstellungen von

Tierpsychologie.

119

VoUkommenheit, Umkehr, Reue, Leben, ja die bloen Namen derselben. Jedes verbrecherische Unternehmen hat seine unwillkrliche Sympathie; auch in der Dichtung hofft und frchtet er mit dem Schuft, mit dem Mrder, mit dem Eroberer; jede Nachricht ber Tod und Untergang und Schaden und Krankheit wird von ihm begrt, bejaht, ebenso alle Sinnlichkeit (darunter auch als ein Spezialfall, jeder Koitus; bei ihm ist auch die Kuppelei
Sittlichkeit, Unschuld, Gte, Heiligkeit, Weisheit,

Seele, Einkehr,

noch einem hheren, allgemeineren untergeordnet; die Weiblichwenn sie auch stets einen Teil von ihm ausmacht). Dagegen ist ihm der Gedanke an Christus und am strksten der Gedanke an Gott und das Wort Gott in der Seele zuwider. Auch sein Erkenntnistrieb ist nie reine, hoffende, bedrftige Sehnsucht, nie gegen den Irrsinn gerichtet, nie inneres Erhaltungsbedrfnis; sondern er will die Dinge zwingen, und darum auch erkennen. Die Vorstellung, da ihm etwas unmglich sein sollte, widerspricht seinem Geiste
keit des Verbrechers erschpft ihn nicht,

des absoluten Funktionalismus, der sich mit allem, alles mit sich

verknpfen will; darum ist ihm die Vorstellung von Schranken, Grenzen (auch der Erkenntnis) unertrglich. Hier wchst das

Verbrechen ins Groe

seine Einsichten sind nie aus

dem Ganzen

heraus geschehen, nie Synthesen von*innen, sondern stets von auen heraus denn sein psychisches Leben ist selbst ein solches
;

Dennoch will er das Universum umfassen; aber er sucht sich nicht Gott zu nhern, sondern Gott zu ersetzen durch die Erkenntnis. Die unmitteldiskontinuierliches, in Stcke zerschlagenes.

bare Intuition hat er nicht, weil er ja nicht in der Idee des

Ganzen

lebt,

sondern gerade von dieser sich abgekehrt hat; aber

er will das Genie, das ihm fehlt,

zusammensetzen,

die

Welt

Stck fr Stck auch geistig erobern (das ist der Typus des Eroberers in der Wissenschaft, der Typus Bacos). Wo noch nicht dieser absolute Funktionalismus hergestellt ist, da hat er, wie er sein eigenes intelligibles Wesen hat, d. h. verneint; der Ha ist die Vorstufe des Mordes, 'wie die Liebe die Erzeugerin des Lebens. Darum hat der Verbrecher wtend den Gedanken an Unsterblichkeit; denn Unsterblichkeit ist ein Spezialfall der Freiheit, nmlich Freiheit von der Zeit. (Von den drei Kantischen Ideen sind zwei identisch, nmlich Gott und Freiheit, die dritte, Unsterblichkeit, in ihnen

120

Tierpsychologie.

Das Streben des Verbrechers ist, nichts frei zu lassen; weder sich, noch etwas anderes (das Verbrechen ist genau so berindividuell, transzendental wie das Recht). Und darum wird er zum Tempelschnder, darum begeht er das Sakrileg. Die niederste, gemeinste Form des Dranges nach Verknpfung (Unfreiheit) ist die Sucht, die Dinge krperlich zu beschmutzen, und auf diese Weise sich selbst mit ihnen zu verbinden die hheren Formen gehen auf Vernichtung und Zerstrung; weil alle Existenz noch irgendwie frei ist. Darum
bereits begriffen.)
;

wird das
das,

letzte,

verzweifelte

Streben

des Verbrechers

endlich

was Ibsen den Kaiser Julian knapp vor seinem Ende ausrufen lt: Maximos, ich mchte die Welt zerstren! Denn was noch ist, ist eine Widerlegung des Verbrechers und seines Strebens, eine Widerlegung des Verbrechers, der nicht mehr ist. Ganz trocken habe ich das Verbrechen definiert als Drang nach dem Funktionalismus; lebendiger kann ich es ausdrcken: es ist das Bedrfnis, Gott zu tten; es ist hchste allgemeinste Verneinung.

Die Formen,

die

das Verbrechen annimmt,

ergeben sich

hieraus ungezwungen.

Mord, aus der Verneinung Vernichtung, sobald die Gesinnung Tat wird. Diebstahl und Raub sind Demonstrationen gegen die Eigenheit des Eigners
.wird

Aus dem Ha

und ihr Recht auf freies Eigentum; die Ttung endlich ist der zur Handlung gewordene Ha gegen Unsterblichkeit. Der Mord ist das letzte, was der Verbrecher tun kann
sein letztes Mittel, sich als Verbrecher zu behaupten er
;

Gott ttet

Aber es gibt Mord, und zwar psychologisch ganz mit der Ttung des Menschen
meisten,
er den
ttet.

am

wenn

Menschen

auch sonst: z. B. das Bedrfnis, ein hohes, edles, berhmtes Kunstwerk zu zerstren. Es ist das genau die gleiche Verzweiflungstat wie der Mord, die Sucht, das Seiende zu verneinen, zu widerlegen, das Nichtsein zu rechtfertigen. Wenn der Verbrecher nicht mehr aus noch ein wei, dann sucht er als durch ein letztes Mittel sich zu helfen, durch Mord. Der Mord ist die Tat des schwchsten Menschen. Ein Surrogat fr den Mord ist der Koitus, und nur durch
identisch,

eine Linie

genau
als

vom Mrder getrennt der Don Juan. Er ist innerlich und verzweifelt wie der Mrder, und braucht Sttze die Eroberung durch den Koitus. Es ist die einzige
so leer

Tierpsychologie.

121

Ausfllung der Zeit,


existieren

diese

die gewisse Menschen haben (vielleicht Menschen brigens nur als Mglichkeiten im

Genie), da sie koitieren. So ersetzen sie Gott: sie leben doch,

obwohl sie sich heruntergesetzt haben. Wie der Mrder nach dem Morde den Tatort umkreist, weil er die Tat braucht (das seiner selbst gewisse Gedchtnis, das es
empfinden doch Lust,

ihm sagen knnte, das er es gewesen ist, hat er lngst nicht mehr), so mu der Don Juan fortwhrend Weiber haben, um sich nicht gewahr zu werden; von Don Juan zum Mrder ist wie gesagt, nur ein Schritt. Es ist das einzige Mittel zur Erfllung der Zeit (die ihnen keinen Sinn mehr hat, da sie von keiner Vergangenheit mehr beschwert sind, von keiner Zukunft mehr etwas haben wollen), da der Don Juan verfhrt, da der Mrder mordet. So allein erzeugen sie eine Gegenwart, stellen die Negation als Position auf; beides ist in gewissem Sinne allerdings gegen die Langeweile gerichtet. Der epileptische Anfall ist, wie ich vermute, an das momentane gnzliche
knpft; und

Erlschen

der Fhigkeit zur Apperzeption ge-

wenn

es heit, da

Verbrechen

oft

im epileptischen

Anfall begangen werden, so sollte es wohl umgekehrt ausgedrckt

werden:

sie

werden gegen den epileptischen Anfall begangen,

dessen di-ohende Nhe versprt wird. Die AnfUe des Epileptikers

hufen sich im Laufe seines Lebens und werden immer furchtbarer, und schlielich stirbt er in einem letzten grlichsten der in Anfall; gegen die furchtbarste Hilflosigkeit, welche
Epilepsie
oft zum Ausdruck kommt, flchtet er in den Mord auch in die Frmmelei und Bigotterie. Im brigen: der Verbrecher ist durchaus ohne Innenleben, er ist wie tot; man mordet zuerst sich selbst, bevor man den anderen mordet. Darum kennt er auch eigentlich weder Lust

noch Schmerz. Ich kehre jetzt endlich zum Thema.

Der Hund.
Das Auge des Hundes
hervor,
ruft

unwiderstehlich den Eindruck

Hund etwas verloren habe: es spricht aus ihm (wie brigens aus dem ganzen Wesen des Hundes) eine gewisse rtselhafte Beziehung zur Vergangenheit, Was er verloren
da der
hat, ist das Ich,

der Eigenwert, die Freiheit.

122

Tierpsychologie.

Der Hund hat eine merkwrdig tiefe Beziehung zum Tode. Monate bevor mir der Hund Problem geworden war, sa ich eines Nachmittags gegen 5 Uhr in einem Zimmer des Mnchener Gasthofes, in welchem ich abgestiegen war, und dachte an Verschiedenes

und ber Verschiedenes.

Pltzlich

hrte

ich

einen

Hund

in einer ganz eigentmlichen, mir neuen, durchdringenden

Weise bellen und hatte im gleichen Momente unwiderstehlich das Gefhl, da gerade im Augenblick jemand sterbe. Monate nachher hrte ich, in der furchtbarsten Nacht meines Lebens, da ich, ohne krank zu sein, buchstblich mit dem Tode rang denn es gibt fr grere Menschen den seelischen Tod nicht ohne den physischen Tod, weil bei ihnen Leben und Tod am gewaltigsten und intensivsten als Mglichkeiten sich gegen-

berstehen

dreimal, gerade
Weise

als ich zu unterliegen dachte, einen

Hund Hund
ins

in hnlicher

bellen,

wie damals in Mnchen; dieser


in diesen drei

bellte die

ganze Nacht; aber

Malen anders.

Ich bemerkte, da ich in diesem

Momente mit den Zhnen mich

Leintuch festbi eben wie ein Sterbender. hnliche Erlebnisse mssen auch andere Menschen gehabt

haben. In der letzten

Strophe von Heines bedeutendstem und schnstem Gedichte ,Die Wallfahrt nach Kevlaar" heit es, wie die vom Leben erlsende Mutter Gottes dem Kranken sich naht:
Die Hunde bellten so laut."

Ich wei nicht, ob der Zug bei Heine originell oder der Volkssage entnommen ist. Wenn ich nicht irre, spielt auch irgendwo bei Maeterlinck der Hund eine hnliche Rolle. Kurze Zeit vor dieser erwhnten Nacht hatte ich mehrfach dieselbe Vision, die Goethe, nach dem Faust zu schlieen, gehabt

haben mu: einigemale, wenn ich einen schwarzen Hund sah, schien mir ein Feuerschein ihn zu begleiten. Ausschlaggebend aber ist das Bellen des Hundes: die absolut verneinende Ausdrucksbewegung. Sie beweist, da der Hund ein Symbol des Verbrechers ist. Goethe hat dies, wenn es ihm auch vielleicht nicht ganz klar geworden ist, doch sehr deutlich empfunden. Der Teufel whlt bei ihm den Leib eines Hundes. Whrend Faust im Evangelium laut liest, bellt der Hund immer heftiger: der Ha gegen Christus, gegen
das Gute und Wahre.

Tierpsychologie.

123

Ich bin, wie ich bemerke, gar nicht von Goethe beeinflut. Die Heftigkeit jener Eindrcke, Erregungen und Gedanken war so gro, da ich mich an den Faust erinnerte, jene Stellen hervorsuchte und nun zum ersten Male, vielleicht als erster berhaupt,

ganz verstand.

Ich fhre nun weiteres an:

Der Hund handelt, als ob er die eigene Wertlosigkeit fhlen wrde; er lt sich vom Menschen schlagen, an den er sich gleich wieder herandrngt, wie stets der bse Mensch an den guten. Diese Zudringlichkeit des Hundes, das Hinaufspringen am Menschen, ist der Funktionalismus des Sklaven. In der Tat haben Menschen, welche rasch fr sich zu gewinnen suchen, und doch
Menschen, die man Hier erwhne ich zum ersten Male jene groe Besttigung meines Gedankensystemes. Es gibt wenige Menschen, die nicht ein oder mehrere Tiergesichter haben; und jene Tiere, denen sie
zugleich so sich schtzen

gegen

Angriffe,

nicht abschtteln kann,

Hundegesichter, Hundeaugen.

hneln, gleichen ihnen auch im Benehmen.

Die Furcht vor dem Hunde


es keine Furcht

vor

vor

dem

Verbrecher.

ist ein Problem; warum gibt dem Pferde, vor der Taube? Sie ist Furcht Der Feuerschein, der dem schwarzen Hunde

(vielleicht

dem

bsartigsten) folgt, ist das Feuer, die Vernichtung,

die Strafe, das Schicksal des Bsen.

Das Schweifwedeln des Hundes bedeutet, da


jedes andere Ding
selbst.
viele den

er

als

wertvoller anerkennt als sich

Die Treue des Hundes, welche so gerhmt wird, und die Hund fr ein moralisches Tier halten lt, kann mit

Recht nar als Symbol der Gemeinheit gefat werden: der Sklavensinn (das Zurckkehren nach den Sehlgen ist kein Vorzug). Interessant ist es, wen der Hund anbellt; es sind im allgemeinen gute Menschen, die er anbellt, gemeine, hndische Naturen nicht. Ich habe an mir selbst beobachtet, da ich von Hunden um so mehr angebellt wurde, je weniger hnlichkeit ich psychisch mit ihnen hatte. Merkwrdig ist nur, da die Dienste des Haushundes gerade gegen den Verbrecher in Anspruch genommen werden.

Die Hunds wut


leicht der

ist

ein sehr merkwrdiges Phnomen, vielin

Epilepsie verwandt,

welcher dem Menschen eben-

124

Tierpsychologie.

falls

Schaum aus dem Munde

tritt.

Beide werden von der Hitze

begnstigt.

Wenn
und gerade

der

Hund
dann

nicht wedelt,
ist

hlt,

verbrecherische Tat, alles

sondern den Schweif starr da er beit: das ist die andere, auch das Bellen nur Zeichen
Gefahr,

der bsen Gesinnung. Hunde unter den Menschen in der Literatur sind der ,alte Ekdal" in Ibsens Wildente und am groartigsten Minutte in

Knut Hamsuns Roman Mysterien".


Magister"
reprsentieren
lichen Verbrechern.

Viele sogenannte alte den Hundetypus unter den mensch-

Denn da
die

es

noch andere Verbrecher


ist

gibt,

das beweisen

Schlange, das Schwein.


Sehr

bedeutsam

auch

das Schnffeln des Hundes.

Hierin liegt nmlich Unfhigkeit zur Apperzeption. Ganz wie der

auch die Aufmerksamkeit des Verbrechers durch Sachen ganz passiv angezogen, ohne da er wei, warum er sich ihnen nhert oder sie berhrt: er hat eben keine

Hund,

so wird

einzelne

Freiheit mehr.

Da
in

er auf die

Wahl berhaupt
der

verzichtet hat,

kommt auch

der Regellosigkeit

Kreuzung

des

Hundes mit irgend

welcher Hndin zum Ausdruck. Diese wahllose Vermischung ist vor allem eminent plebejisch und der Hund ist der plebejische Verbrecher: der Sklave. Ich wiederhole nochmals: es ist Blindheit, den Hund als
ethisches

Symbol zu betrachten;

selbst

R.

Wagner

soll

einen

Hund geHebt haben (Goethe

Punkte tiefer geblickt zu haben.) Darwin erklrt das Wedeln des Hundes als Ableitung der Erregung" (, Ausdruck der Gemtsbewegungen"). Es ist natrlich der Ausdruck der rgsten Gemeinheit, der unterwrfigsten Devotion, die auf jeden Futritt gefat ist und um alles nur mehr bettelt.
scheint in diesem

Das

Pferd.

Der Pferdekopf hatte mir, bevor ich noch als Tierpsychologe an das Pferd dachte, einen merkwrdigen Eindruck gemacht, einen Eindruck von Unfreiheit; und zugleich verstand ich, da dieser Pferdekopf komisch wirken knne. uerst rtselhaft ist

Tierpsychologie.

125

das fortwhrende

Nicken

des Pferdes.

Lange

nicht mit gleicher

Sicherheit wie beim Hunde, aber doch als aufklrender

Gedanke

kam mir

der Einfall, da das Pferd den Irrsinn reprsentiere.

Hierfr spricht das Alogische im Benehmen des Pferdes, das Nervse und Neurasthenische, das dem Irrsinn verwandt ist und worber die Pferdezchter so viel klagen und staunen sollen. Der Irrsinn aber ist das Gegenteil der Logik und Erkenntnistheorie (vielleicht nur der letzteren?). Wer sich in diesen Disziplinen zu orientieren sucht, der hat stets den Irrsinn als Gefahr in sich. In ihm ist das logische Denken problematisch, und dies die Richtung, in der seine Erbsnde hauptschlich zu suchen ist. Der Irrsinnige hat darum nichts vom Verbrecher in sich; Menschen, die vor dem Irrsinn in Furcht leben, kennen dafr die Furcht vor dem Teufel nicht und umgekehrt. Der Verbrecher oder Heilige (als umgekehrter Verbrecher) hat ein ziemlich sicheres, scharfsinniges Orientierungsvermgen im Denken, und hat keine Kmpfe des intellektuellen Gewissens" zu bestehen. Das Genie ist entweder diemkehrung des vollkommenen Irrsinnigen oder die Umkehrung des vollkommenen Verbrechers. Vor einem von beiden lebt jedes Genie in Furcht; es hat in jedem Augenblicke seines Lebens und in den grten Augenblicken am strksten, gegen eine dieser beiden Formen des Nichts sich zu behaupten, sich selbst gegen sie zu setzen: Das Ich, das Genie ist eine Handlung (ewig jung"), ein fortwhrendes Ja! Menschen, in denen das Ethische problematisch ist, haben entweder Furcht vor der Lge oder sind verlogen; Menschen mit Problematisation des Logischen hassen und frchten den Irrtum, oder erliegen ihm. Nun wirkt der Irrtum immer komisch;

und

so wirkt auch der Pferdeschdel komisch. Bei mehreren Menschen mit Irrsinnsfurcht habe ich auch morphologisch Annherung an den Pferdekopf gefunden. Der Hund bellt das Pferd an; weil der Bse das Gute
anbellt.

Das Pferd ist auch sonst das Gegenteil des Hundes es ist aristokratisch und sehr whlerisch bei der Wahl des sexu:

ellen

Komplementes.
Allerdings bildet die Existenz des Gaules hiergegen einen

Einwand; ebenso wie es auch aristokratischere Hunde (Bernhardiner, gewisse Doggen) zu geben scheint.

126

Tierpsychologie.

Das Verbrechen
Logik

richtet sich

gegen den Sinn der Zeit; die

darum das Pferd kein Verhltnis (auch kein Verhltnis des Verlustes) zu Vergangenheit und Zukunft. Das aristokratische Genie hat ein starkes Verhltnis zum Irrsinn (Nietzsche, noch mehr Lenau); das plebejische zum Verbrechen (Beethoven, Knut Hamsun, Kleist).
ist zeitlos; vielleicht

hat

Einige allgemeinere Bemerkungen.

Den Mnnern, welche die Sprache schufen, lagen hnliche Eindrcke vor, wie diejenigen, auf Grund deren ich hier spreche Menschen, die als Schweine, Kamele, Affen, Ochsen, Esel, Hunde bezeichnet werden: das zeigt, da hier die Erkenntnis vorliegt, da gewisse Menschen spezielle Tier-Mglichkeiten
verwirklichen. Anderseits
stattet die Tierfabel jedes Tier mit

einem bestimmten Charakter aus; nur dem Menschen weist sie keinen solchen Charakter zu. Da die charakterologische Nomenklatur die Tiernamen alle als Schimpfnamen bentzt, ist weiter bezeichnend, und ebenso, da sie gewissen Menschen geistig die
Tier-hnlichkeit beilegt.

Das sind Antizipationen, prhistorische Antizipationen meiner


liegt in den platonischen Ideen vor den Lehren Piatons vom Schicksal der Menschen nach dem Tode: der eine beziehe den Leib eines Vogels, der andere einen anderen usw. eine Lehre, die sehr viel fr sich hat (Als mir die entwickelten Gedanken kamen, waren mir die betreffenden Stellen aus Plato brigens noch unbekannt). Denn Menschen mit unmoralischem Hang nehmen, je mehr sie diesem Hange nachgeben, mit zunehmendem Alter auch immer mehr diese Tierphysiognomien an. Von den Tieren also hat nach der Sprache jede Spezies einen einzigen, allen ihren Mitgliedern gemeinsamen menschlichen Charakter, der unter den Menschen nur gewissen wenigen eigentmlich ist. (Abgesehen allerdings von den Hunden: Mops und Pudel, Kter und Windspiel sind ganz verschieden; die Hunde zeigen brigens merkwrdige Imitationen vieler anderer Tiere, des Lwen, des Bren, des Dachses, selbst der Schlange.) Im Gegensatz zu den Tieren wird von der Sprache den Pflanzen kein Charakter zugeschrieben; insoferne wohl mit Eecht, als die Pflanzen keine bestimmten Triebe und Nei-

Theorie. Eine historische

und

in

Tierpsychologie.

127'

gungen zu haben scheinen, was mit ihrer Bewegungslosigkeit bereinkommt; denn die Bewegung ist die physikalische Seite
des Triebes.^

weist

"Was fr Aussichten diese Tierpsychologie am sichersten ihre merkwrdige (von mir


mit der Systematik.
ist

fliet,

das beals

gar nicht ge-

suchte) bereinstimmung

Dem
ist

Hunde,

Verbrecher,
ist sicher

Gier, vielleicht
(die

Symbol der aber noch von etwas anderem), und der Wolf

der Wolf verwandt (der Wolf

verbrecherisch;

dem Pferde

(der Irrsinn),

dem Esel

Dummheit; der Esel ist vor aUem die eigensinnige, starrkpfige und selbstzufriedene Dummheit; er ist die Karikatur der Frmmigkeit; dazu stimmt, da den Juden, wie die Frmmigkeit, auch dieses Abbild fehlt; es gibt keinen jdischen Esel). Auch dafr, da Affe und Mensch einander hnlich sind,
bietet sich hier eine (nicht deszendenztheorethische) Erklrung.

Der
ist

Affe ist nmlich

das alles nachahmende Tier und notwendig

hnlich;

er zeigt,

Karikatur des Mikrokosmus: er dem Menschen aufweiche Weise man noch alles sein
die

kann.
Die
ausgestorbenen Tiere
gleichen

den

ausgestorbenen

Vlkern, den Riesen, den Zwergen.

Der systematischen Verwandtschaft entspricht also in drei FUen auch die psychologische hnlichkeit und Nachbarschaft:
der Psychologie (als Charakterologie) ist danach identisch mit dem Systeme der Zoologie. Merkwrdig ist das Verhltnis der Haustiere zu ihren wilden Schwein Eber Fliege: Gelse Ahnen, z. B. Hund: Wolf

das System

Katze: Tiger.

Worauf der Unterschied zwischen Haustier und wilden Ahnen psychologisch weist, dafr habe ich keine Lsung gefunden. Aber es liegt hier ein tiefes Problem verborgen. Nach den Vgeln scheinen viele Unterschiede unter den
Frauen sich bestimmen zu
lassen:;

Die Gans, die Taube, die Henne, der Papagei, die Elster, die Krhe, die Ente, das findet man alles physiognomisch wie charakterologisch unter den menschlichen Weibern vertreten. Die

wehren

Die Pflanzen ahnen wohl auch den Tod nicht, sind ohne Angst und sich nicht gegen das Sterben.

128

Pflanzen.

dieser Vgel sind Pantoffeltielden (mit Ausnahme des Hahnes; Papagei?). Dagegen sind Kuh, Hndin, Eeh, Gazelle, Katze Sugetiere, deren Typen mehr den menschlichen Frauen entsprechen Ochs und Schaf sind wieder zwiefach verwandt. An der Schlange sind sehr merkwrdig und tief antimoralisch die Hutungen; auch besteht ein Zusammenhang mit

Mnner

dem

Kreise.

Das Verhltnis von Hund und Hase hat eine Beziehung Hund und Katze, entsprechend der hnlichkeit zwischen Katze und Hase. Hund und Hase: der Feige jagt den Feigen. Kater findet man unter Mnnern fters, auch mit Vorliebe fr Katzen unter den Frauen (,mon chat"). Der Wurm und die Schlange haben beide zum buckligen Verbrecher Beziehungen. Stechende Augen gewisser Verbrecher:

zum

Verhltnis von

gehren zu den Reptilien.

Der Vogel ist die Sehnsucht der Schildkrte (des verschlossenen Menschen, der die Umkehr vollzieht, aber noch immer nicht fliegt).

Pflanzen.
Hier nur die Vermutung: wenn alle Tiere unter den Menschen Verbrecher sind, gibt es Pflanzen unter den Menschen, und was reprsentieren diese? Unter den Frauen gibt es sicher Pflanzen Rose, Tulpe, die Veilchen nicht zu vergessen. Aber Lilie, Vergimeinnicht, unter den Mnnern? Entspricht nicht das pflanzenhafte Sein der Neurasthenie? Den Mangel an Bewegungsfhigkeit im Neurastheniker wrde das wohl erklren. Der Neurastheniker ist anmisch: mangelnde Zentralisation in der Pflanze (kein
:

Nervensystem): schlielich hat die Pflanze keine Sinnesorgane (Mangel an Aufmerksamkeit beim Neurastheniker).
eigentliches

Anorganische Natur.

129

Anorganische Natur.
Das Licht
der

Sterne

ist

ein

Licht,

das

nicht

mehr

brennt. Das Verhltnis zum gestirnten Himmel ist darum asexuell (Kant gegenber Wagner), weil der Stern der Engel ist, und der Engel ohne Sexualitt. Die Blumen sind wohl alle weiblich. Die Bume mnnlich. Dazu stimmt, da nur im Tierreich die Weibchen weniger schn sind als die Mnnchen (Geschmack des Verbrechers ....??), Das Licht ist das Symbol des Bewutseins. Die Nacht (der Schlaf) entspricht dem unbewuten. Der Traum hat viel
Verbrecherisches.

Das Licht raucht

nicht; alles

Feuer raucht (schwarz,

anti-

moralisch; absolutes Nichts; Kohle; Diamant als Gegenteil, Re-

prsentant des Etwas, vollkommen durchsichtig; Durchsichtigkeit


als

moralisches
:

Symbol;

Bedeutung des

Gegensatzes in der

Psychologie

Kohle Diamant).

Rot ist die Farbe des niederen Lebens und seiner Lust (grn bei der Pflanze, die Farbe der statischen Lust, entspricht dem Rot, der dynamischen Lust des Tieres, Neurastheniker anmisch, Verbrecher polymisch): blau ist die Farbe der Freude und Seligkeit des hchsten Lebens. Das Rot der Hlle ist das Gegenteil vom Blau des Himmels. Sehr tief liegt es, da der Rauch das Auge schmerzt. Sehr tief liegt es auch, da das Blut eisenhaltig ist. Leben und Mord: 6 xQceas IdEtai (Euripides, Telephos). Die Wunde
schliet der Speer nur, der sie schlug." (Parsifal.)

Der Berg Der Flu Das Meer

ist

das Symbol des Riesen.


das Ich als Zeit. das Ich als Raum.

ist
ist

Die Quelle

ist die

Geburt,

das

Meer Symbol

so fr

Tod

wie fr Leben: Aufhren der Individuation kann Tod, kann erst eigentlich Leben bedeuten. Flu: Meer. Apollinisch: Dionysisch

Der Regen befruchtet (Zeugung); der Quell ist die Geburt. Licht ist auch sinnbildlich fr Erkenntnis; Licht und Schall sind Positionen, darum beide immer eines Anteiles
Weininger, ber
die letzten Dinge.
2.

Aufl.

130

Anorganische Natur.

sicher. Das Dunkel hingegen wie die Stille fhrt Furcht: der Verbrecher, der sich im Dunkel frchtet, wird, ohne es zu wissen, erinnert an das Dunkel, das in ihm ist (an den Tod seiner Seele); er frchtet sich in diesem Augenblick

am Werte

zur

also vor sich selbst.

Feuer

Aus der nmlichen Ursache, die Licht in der Nacht (das ist das Licht der Nacht) anders, greller, unheimlicher

leuchten lt, als

am Tage, rauschen Wasser

anders, lauter, furcht-

barer in der Nacht, als zur stillsten Tageszeit (Ertrnktwerden

durch Wasserfluten ist das seltenere Korrelat der anderen, gewhnlicheren Vorstellung von der Hllenpeiu: des Flammentodes).

Und
ist

die

Ruhe

des Mittags,

wo

alle

Tne

leiser verhallen,

das Unheimliche der (scheinbaren) Vollkommenheit, der Wunsch(scheinbaren)


entspricht
Erfllung.

Unheimlichen des Furcht vor vlligem geistigen Klarsehen, vor Entrtselung aller Probleme (vor dem Lebensende: die Furcht vor der atheistischen Lsung). Tief ist auch die Furcht vor dem Weien (Leichentuch);
losigkeit, der

Dem

Mittags

(Pan)

vielleicht

die

ebenfalls dieser falsche Schein der Vollkommeulieit.

Die Gravitation ist das Symbol des Gnadelosen; so hoch er sich auch werfe, der Mensch wird ohne Gnade hinabgezogen. (Der Fall des Sternes ist der Sndenfall.) Das Licht ist das Symbol der Gnade; es verhlt sich zum Auge, wie Gott zum Glubigen: es lt sich nicht sagen, wessen Verdienst das Sehen ist, ob Verdienst des Lichtes, ob Verdienst
des Auges.

Das Fliegen
Gravitation.

ist

keine volle, geradlinige berwindung der

Krankheiten sind
Seele
dort
fehlt

vielleicht alle nur Vergiftungen: der Mut, das Gift ins Bewutsein zu heben, und im Kampfe unschdlich zu machen; darum wirkt es im

der

Krper weiter. Eine solche Vergiftung

ist

wohl sicher die

Gicht;

sie

drfte stets auf unmoralische Sexualitt zurckgehen.

Die Lahmheit

ist

wohl ein erstarrter Krampf.

Die Kultur
und
ihr Verhltnis

zu Glauben, Frchten und Wissen.

9*

Wissenschaft und Kultur.


Oval vfuv
-iclslSa

roZg vo/iMols

ort

rJQccrs

zijv

T^s yvascog- avtol owi slc^l&aTs

xal roZg stasQxo(JiSvoi,g ixcoXvaars.

(Wehe Euch

Schriftgelehrten!

Denn ihr

haht den Schlssel der

Erkenntnis weggenommen. Ihr kommt nicht hinein,

und wehrt denen, die hinein woUen.) Evang. Luc. 11, 52.

Welche Stellung der Wissenschaft im ganzen der Kulturzwecke rechtlich gebhrt, ist die Frage, welche hier untersucht werden soll. Was ist Wissenschaft, was kann sie sein und was
soll sie sein?

Diese Arbeit gliedert sich naturgem in drei Tee:


erste wird das

der

Wesen

aller Wissenschaft,

der zweite das

Wesen

aller Kultur, der dritte das

Wesentliche ihres Verhltnisses zu

erforschen suchen mssen.


I.

Wesen der Wissenschaft.


kommt von Wissen.
Mit

Wissenschaft

dem

Begriff des

Wissens, auf die Welt angewendet, ergibt sich sofort die Frage

Wie

kann der Mensch wissen? Das Unternehmen der Wissenschaft besagt, der Gedanke, der in ihr liegt, heit: der Mensch kann alles wissen. Er kann es, denn er will es. Es liegt in der Idee der Wissenschaft, wie
viel

in allen historischen

ungestm und

Versuchen zu ihrer Verwirklichung immer, mit kindlichem Wagemut oder mnnlichem Trotz, die Forderung: Alles, oder nichts. So stellt auch Goethe das Problem individuell fr Faust: Alles, oder nichts wissen knnen. Den Begriff des Wissens untersucht die Wissenschaft nicht, prft ihn nicht. Er ist ihre Voraussetzung, ihre Bedingung, die
naiv,

oder unbeugsam und zielbewut,

134

Wissenschaft und Kultur.

Frage stellen lassen kann. Sie fragt nur, um das Wissen zu bejahen, nicht um es in Frage zu stellen. Sokrates und Kant, die schon bei der Frage stocken, was Wissen sei,
sie nicht in

sind ihre
ihr

gegeben.

Mnner nicht. Sie strmt vorwrts, und ihr Ziel ist Denn sie hat einen Feind, das ist der Glaube,

Glaube im weitesten Umfang. Ein Tatbestand kann in doppelter Weise bejaht werden: durch das Wissen und durch den Glauben. Wenn ich ein Urteil bejahe in Form des Wissens, so mache ich seinen Inhalt damit unabhngig von mir. Ich setze hierdurch in der Natur sozusagen eine Schrift, die jeder in gleicher Weise lesen msse. Ich stelle ein Faktum hin, als eine Position, die von meiner Existenz nicht bedingt ist; ich objektiviere etwas, vor dem ich wie andere in alle Zukunft mich werde beugen mssen, das aber unser aller nicht weiter bedarf. Wenn ich hingegen etwas glaube, so setze ich meine Persnlichkeit an die Stelle jener Objektivitt, jener allgemein gltigen Existenz; ich gebe durch einen freien Akt meine Zustimmung zu einer Mglichkeit, ich setze mich ein fr ein problematisches Urteil. Die Gewiheit des Gewuten ist unabhngig von meinem Wissen, die Gewiheit eines Glaubenssatzes beruht darauf, da ich ihn glaube. Ein Glaube ist nichts ohne die Gemeinde, die ihn glaubt. Die Gewiheit meiner Heilung durch Berhrung einer Reliquie ist da mit meinem Glauben an diese Mglichkeit. Auch der ganze Mensch kann mit seinem Glauben stehen und fallen es kommt darauf an, wie viel von sich er in seinen Glauben hineingelegt hat. Hat er sich ganz hineingelegt, so handelt es sich um Leben und Tod. Hierbei ist streng unterschieden zwischen Glauben (mexis) und Meinen (d^a). Die Meinung eines Mannes der Wissenschaft, da sich in seinem Gebiete etwas in bestimmter Weise verhalten werde, die Hypothese, verzichtet durchaus nicht auf Begrndung; da auch der logische Charakter der wissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit, blo auf das eine gemeinsame Element des Nicht-Wissens hin, mit dem gnzlich alogischen Charakter des Glaubens so oft auf eine Stufe gesetzt, da das Vermuten mit dem Glaubenstitel bekleidet wird, tritt der prinzipiellen Klrung ber den Begriif des Glaubens immer wieder hindernd
:

entgegen.

Der

Glaube,

von dem

als

solchem

sein drfte,

wenn

nicht grundverschiedenes

einzig die Rede den gleichen Namen

Wissenschaft und Kultur.

13o

empfangen
tun.

soll,

hat auch mit der Wahrscheinlichkeit nichts zu

Er bedarf der Logik nicht; whrend im tiefsten Grunde die Logik nicht auf ihn verzichten kann. Die letzten Stze
der Logik, der Satz des "Widerspruches und der Identitt, knnen

nicht

mehr gewut, sondern mssen geglaubt werden.

Wie

die Ethik ein Subjekt voraussetzt, das will, so bedarf auch die
reine, formale Logik, deren Prinzipien in stolzer

Erhabenheit und
gewollt

Selbstgeschlossenheit ber den Kpfen der Individuen zu thronen


scheinen, eines Subjektes, das glaubt.

Da

die Ethik

da die moralische Maxime sich an den WiUen wendet, da der sittliche Wert mit dem Anspruch auf Schaffung

werden mu,

des Willens auftritt, wird man eher geneigt sein zuzugeben, als da die theoretischen Stze der Logik an die Zustimmung des Individuums gebunden sein sollen. Und doch ist dem so. Der

da die Logik sich nicht an das autonome Individuum wendet als ein zweiter kategorischer Imperativ, der unbedingten Gehorsam verlangt, und dessen Quelle ebenso in unserem intelligiblen Wesen zu suchen ist, wie die des anderen Imperativs, den Kant irrtmlich fiir den einzigen ansah, wohl weil beide im Grunde eines sind dieser Schein entsteht dadurch, da die Ethik eine Verwirklichung in der Zeit will, whrend die Logik sozusagen vor aller Zeit ist. Die Ethik sagt, was werden soll, die Logik sagt, was ist, da etwas ist, da gewisse Stze Geltung haben. Die Ethik gibt so der Geburt einen Sinn im Hinblick auf den Tod, die Logik nimmt dem Streben seine Sinnlosigkeit, indem sie von der Geburt aus negiert, da ihm
Schein,

alles

verfllt.

A nicht anerkennen, ihn vielmehr ich den Satz A zu widerlegen versuchen wollte, so wrde ich mich der Logik
Wenn
ich mich irgendmeine Ableitung sei falsch. Der Satz selbst ist also das Kriterium von Wahr und Falsch, und bereits der Mastab meiner Deduktion, die Norm,

bedienen mssen,

d.

h.

eben dieses Satzes.

Wenn

wo

nicht nach ihm richtete, so

wrde

es heien,

die ich selbst

an

sie anlege,

sowie ich zu deduzieren

beginne.

Ich kann also nur alles Folgern ablehnen, mich des Urteiles ent-

nun zu widerlegen, oder auch, ob ich er wre beide Male schon in der Argumentation als wahr vorausgesetzt, ich htte das Resultat in beiden Fllen erschlichen. Der Satz bleibt also eine These,
halten.

Ob

ich den Satz

ihn zu beweisen unternhme,

136

Wissenschaft und Kultur.

bewiesen und nicht widerlegt werden kann. Ich kann bekmmern, bin aber dazu logisch nicht mehr verpflichtet, denn die Logik gipfelt eben in dem Inhalte dieses
die nicht

mich

um

ihn

Satzes (und seinen beiden anderen Ausdrucksformen,

auf deren
ein-

grere

oder geringere Vorzge vor einander hier nicht


soll,

gegangen werden
kann,

den Stzen vom Widerspruch und vom

ausgeschlossenen Dritten).

Da

ich

von ihm nicht loskommen

mag den

pathologischen Psychologen interessieren, fr die

Auseinandersetzung mit ihm ist es von keiner Bedeutung; ich kann auch von verschiedenen anderen Dingen nicht loskommen, z. B. von mir selber. Die Logik lt sich also nicht beweisen, nicht ableiten aus etwas anderem: was zu be-

weisen war.
Ich kann
Satz

demgem

die

Logik nur aus freiem Willen an-

erkennen, indem ich den absoluten Mastab mit ihr setze.

Der

=A

ist

die These berhaupt:

die Tatsache

des Ma-

Mastab gibt, ist mein freier Akt. Htte das Prinzip der Identitt einen Obersatz, so glte von diesem dasselbe u. s. f. Mit der Freiheit des Subjektes als Noumenon ist es ja gar nicht anders vertrglich: die Logik darf
stabes, d. h. da es einen

ihm keine Vorschriften machen, an die es sich binden mte. Es kann die Logik anerkennen, indem es sie selbstndig, durch den hchsten Akt der Spontaneitt, zur Norm des eigenen Denkens macht: es darf aber nie von der Logik bezwungen werden. Ob ich die Logik setze und sie zum Richter ber all mein
knftiges

Denken mache, oder auf

sie verzichte, in

beiden Fllen

handle ich frei.

Wer

auf die Logik verzichtet, der verzichtet auf

das Denken, AVer auf das Denken verzichtet, der ergibt sich aus
freiem Willen der Willkr.
gesetzt, aber mit ihr

Auch die Logik ist aus freiem Willen bindet sich die Persnlichkeit in Freiheit.

die sittliche Pflicht,

, Gesetz der Freiheit" nicht minder als nach jenem Begriffe Kantens von den Gesetzen, , welche sagen, was geschehen soll, ob es gleich vielleicht nie geschieht, und sich darin von Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht, unterscheiden, weshalb sie auch

Die logische

Norm

ist ein

praktische Gesetze genannt werden". (Kritik der reinen Vernunft,

Kanon der reinen Vernunft, erster Abschnitt.) Damit ist gezeigt, da auch die Logik sich an ein freies Wesen wendet, mit dem Anspruch, von demselben zur bin-

Wissenschaft und Kultur.

137

denden Maxime seines Denkens gemacht zu werden; ebenso wie der kategorische Imperativ Kantens mit der Forderung auftritt, zur alleinigen unbedingten Maxime des Handelns gemacht zu werden. Mit diesem Nachweise der Logik als spontaner Bindung des intelligiblen Subjektes ist eine Ergnzung der Kantischen
Philosophie erstrebt.

Man

wird also die Absicht dieser Untersuchung nicht mi-

verstehen. Nichts liegt ihr ferner als an der absoluten Logizitt

des Weltalls auch nur den leisesten Zweifel zu erheben, von der sie

ebenso

durchdrungen
ist,

ist

Was

ich behaupte,

wie von seiner absoluten Ethizitt. da man beide nicht wissen, sondern

nur glauben kann.i Fr Logik und Ethik liegen die Verhltnisse ganz gleich. Es lt sich nicht beweisen, da der Mensch
das Gute tun soll.
die Idee des

Mittel

Denn liee sich das noch ableiten, so wre Guten Folge einer Ursache und knnte also auch zum Zwecke werden. Das Gute mu, wenn es getan
soll,

werden
sein

um

seiner selbst willen getan werden, also identisch

mit

dem,

absolut nicht Mittel


ich nicht

was absolut nicht Folge eines Grundes sein, zum Zwecke werden kann. Ebenso aber kann

mehr beweisen, warum das Wahre vor dem Falschen ist; die Wahrheit kann ihren Rechtsanspruch vor der Falschheit, vor Irrtum und Lge nicht mehr begrnden, ebensowenig als Kant in jenem Kapitel seiner Religionsphilosophie,
zu erwhlen
das

ber

den

bsen" berschrieben

Rechtsanspruch des guten Prinzips vor dem ist, das Gute noch plausibel zu machen

vermochte. Gegen den Teufel argumentiert

man

nicht.

Man

be-

hauptet sich gegen ihn oder

man

verfallt ihm.

Berechtigung der tiefsten christlichen Wer die Logik, die Ethik nicht setzt; wem nicht sonnenklar ist, da das Gute zu erwhlen ist vor dem Bsen, wer hier nicht unbedingt eindeutig, einsinnig whlt und sich entscheidet, wer sich gegen den Teufel nicht behaupten will und zweifelt, ob man sich gegen ihn betiefe

Hier liegt die


der Idee

Idee,

der

Gnade.

haupten solle, der

ist eines

Dinges nicht

Gnade. Auf ihn hat

sich die

teilhaft geworden der Taube nicht gesenkt, er ist nicht


:

1 Kant verwendet in diesem Sinne von Glauben das Wort berzeugung. Die subjektive Zulnglichkeit heit berzeugung (fr mich selbst), die objektive Gewiheit (fr jedermann)." (Kr. d. r. V. S. 622, Kehrbach.)

138

Wissenschaft und Kultur.

von jenem
ergreift.

heiligen

Geiste

erfllt,

der das

Gute und Wahre


oft

Vielleicht

verstehen

wir jetzt auch jenes


se

angefhrte
Prop.

Wort Spinozas: Sane


festat, sie veritas

sicut lux

ipsam

et

tenebras maniII,

norma

sui et falsi est."

(Ethices Pars

43, Schol.)

Mit der Idee der Wahrheit

begebe ich mich auch

des Mastabes, an dem ich etwas messend es fr falsch erklren kann; wo kein Gesetz mehr ist, da ist nur mehr Willkr. Auch
die Idee der
sie sich

Wahrheit

lt sich nicht demonstrieren;

demonstrieren,

so

drfte

ich

die

darf

anderen willen wollen. Ebenso darf sich sich das Ich nicht beweisen lassen, soll, und ebenso das Du nicht ableiten lassen,

denn liee Wahrheit um etwas meine eigene Existenz, wenn es Wert haben

wenn

es nicht

Folge eines Grundes ist, und wenn es nicht als Mittel zum Zweck soll gebraucht werden knnen. Die Widerlegbarkeit des Solipsismus wre mit der Ethik gar nicht vertrglich, ebensowenig wie es die Mglichkeit wre, die Existenz des eigenen Ich zu beweisen. Da weder die eigene noch die fremde Seele
bewiesen werden kann,
schlossen.
liegt

also

in

der

Idee

der

Seele

be-

wre sie nicht das Letzte. Die These des Solipsismus wird immer wieder zu widerlegen versucht, von den letzten zwanzig Jahren ist nicht eines vergangen, ohne mindestens einen Widerlegungsversuch desselben zu
sie ableitbar, so

Wre

bringen.

Man

versteht

offenbar das Pathos gar nicht,


ist

auf dem
bedeutet:

der Satz ruht: die Welt


zur

meine

Vorstellung."

Er

Es wird etwas gendert, wenn


Substanz,
und
duae

ich nicht bin. Ich werde ejusdem naturae substantiae non dantur". (Spin. Eth. 2, 10 Schol.) Das Zurckschrecken vor dem Solipsismus ist Unvermgen, dem Dasein selbstndig Wert zu
geben,
der

Unvermgen zu einer reichen Einsamkeit, Bedrfnis, in Menge sich zu verstecken, in einer groen Anzahl zu verschwinden, unterzugehen. Es ist feige.
Logik und Ethik fhren beide zur Idee des letzten Zweckes

der Zwecke und des letzten Grundes der Grnde, zur Idee des Absoluten oder

der Gottheit,

und

es

war von Piaton und Kant


Ethik zu basieren,
sie blo

einseitig, die Gottesidee blo auf die

dem moralischen Gebiete der religisen Vorstellungen zu entnehmen. Die Idee dessen, was nicht mehr durch ein anderes
bedingt,
d. h,

frei ist,

und so auch nicht Mittel zu einem anderen

Wissenschaft und Kultur.

139

Zwecke werden kann,


Ursache
in
ist,

d. h.

selbst oberster

Zweck und

absolute

bildet zugleich die Idee eines hchsten

Wesens, die
onto-

Idee des Subjektes in hchster Potenzierung, die Idee desjenigen,

dem Wert und Wirklichkeit vollkommen

kongruieren,

und phnomenale Eealitt eins geworden sind; die Idee Gottes ist die Idee des Dinges an sich, sie ist aber auch die Idee einer Weltseele. Die Widerlegung der Gottesbeweise, so scharfsinnig sie ist, sie ist berflssig; denn es liegt in der Idee eines hchsten Wesens, da dieses nicht mehr ableitbar ist. Und auch die Mahnung der Religionen, Gott nicht zu versuchen, so tief sie ist, sie ist in sich widerspruchsvoll; denn wer Gott versucht, d. h. als Mittel zum Zweck gebraucht, der kann dessen, was seiner Idee nach nicht Mittel zum Zweck werden kann, gar nicht teilhaft sein; wenn er Gott kennt, so wird er ihn nicht versuchen; und wer ihn versucht, der kennt ihn nicht.
logische

Wer
etwas
er ist

das

Wunder

verlangt,

um

zu glauben, der verlangt


des
ist

letzten Grunde?, auch bse, denn er versucht Gott, er bentzt ihn als Mittel zum Zweck, damit er an ihn glaube. Darum sagt Goethe absichtlich nicht: Der Glaube ist des Wunders liebstes Kind," sondern: Das Wander ist des Glaubens liebstes Kind." Das Wunder kann nur aus dem Glauben folgen, der Glaube wirkt immer Wunder, aber nie wirkt das Wunder den Glauben (auer bei den Frauen). Das
in sich

Widerspruchsvolles, Grnde

tricht

und verblendet; aber er

Wuuder, das vom Unglubigen verlangt wird, auf da er glaube, Unmoral: denn er verlangt so, zum Glauben von auen gezwungen zu werden; dies ist die grbste Persiflage des Gedankens der Gnade, und ein Miverstndnis, das oft (insbesondere bei den Juden) zu treffen ist, Geschenke von Gott sind nicht Geschenke, bei denen der Mensch passiv, unfrei wird; es ist das Geschenk der Freiheit selbst, um das es sich handelt. Kehren wir von diesem denkbar hchsten Gipfel, der unserer Untersuchung zu besteigen mglich war, und den sie so frh erklommen hat, mit gereinigter Anschauung zu ihrem Ausgangspunkte zurck, so erblicken wir als ihr Resultat von hchster
ist seine letzte

Wichtigkeit dieses, da alles

Wissen

auf

dem Glauben

beruht.

keineswegs die ebenso trivale als grundfalsche und bodenlos seichte Phrase wieder aufgewrmt, da Wahrheit nur ein hchster Grad von Wahrscheinlichkeit sei. Die gewonnene

Damit

ist

140

Wissenschaft und Kultur.

Erkenntnis geht vielmehr darauf, da alles Wissen nur in Anwendung der Logik auf konkrete Inhalte beruht, die Logik selbst
aber nur

geglaubt werden knne. Die Religion kann das Wissen, das Wissen aber nicht auf den Glauben, die Religion verzichten. Aus der Thesis A A kann nicht, wie Fichte wollte (in einem bei allem Schein der

auf auf

man
Ab-

straktheit an gewaltigster Khnheit einzigem Unternehmen), mittels

der dialektischen Methode die ganze Welt deduzieren; aber die Thesis A A ist gesetzt in der Urthese, in der metaphysischen

Position, da etwas sei, in der freien Setzung eines existierenden Vollkommenen, des hchsten Gutes durch den Menschen, in jener Handlung, welche Religion heit. Religion ist die Erneuerung der Welt durch die Tat, indem durch sie die Welt erst unter dem Gesichtspunkte eines absoluten Wertes und Zweckes betrachtet und damit des von ohngefhr" entkleidet wird; ihre Wiederholung und hchste Bejahung durch das frei whlende Individuum, das dem Ganzen vermge hchster Spontaneitt einen Sinn gibt; der Entschlu des Menschen, eine Bestimmung zu haben und diese Bestimmung zu erfllen. Gott ist die Bestimmung des Menschen, Religion der Wille des Menschen, Gott zu werden. Religion ist die freie Position des Reiches der Freiheit, des Absoluten, Neuschpfung des Universums, Setzung des Etwas im Gegensatze zum Nichts. So bleibt dem Glauben sein Recht stets gewahrt gegenber dem Wissen, als dessen Voraussetzung er sich uns enthllt hat. Wie der Glaube berall zum absoluten Etwas, so fhrt der Unglaube berall zum Nichts. Er bejaht kein vrag 6v, keinen hchsten Wert, als das metaphysisch Seiende, und wird darum theoretisch zum Nihilismus (Relativismus, Skeptizismus, heute in merkwrdiger und sehr bezeichnender Verkehrung, sozusagen vom Geschftsstandpunkte aus, meist Positivismus genannt), in praktischer Beziehung zum Indifferentismus. Beide differenzieren sich, je nachdem sie dem Glauben an die Logik oder dem an die Ethik entgegenstehen: ohne die Idee der Wahrheit kommt es theoretisch zum Agnostizismus oder Phnomenalismus, in dem fr den Begriff der Wahrheit kein Platz mehr ist, praktisch zum Illusionismus, der der Wirklichkeit so wenig selektiv gegenbersteht, wie der schlafende Mensch den Traumgestalten, die an seinem nur passiven Geiste vorberziehen; ohne die Idee des Guten

Wissenschaft und Kultui-.

141

erbrigt theoretisch nur der

Determinismus, der das

Indivi-

mehr werten lt, weil er ihm nichts mehr zurechnet; und praktisch der Fatalismus, der auf jedes Wollen, weil auf jedes Wollen des Zieles, Verzicht geleistet hat.
nicht

duum

Angesichts des unsglich tiefen Niveaus der heute blichen Kontroversen ber voraussetzungslose Wissenschaft" sei nochmals wiederholt: es gibt nur ein freies Glauben der Logik, wie ein freies Wollen der Ethik. Religion ist das letzte hier

wie

dort.

Das Wissen hat nur


die Idee der

die

Logik, das Erkennenist die stete,

Wollen

Wahrheit

zu seiner Vorausseli^ung; an

diese aber

kann

ich nur

glauben. Glaube

bewute

oder unbewute Voraussetzung der Wissenschaft,

er immaniert

vom Uranfang an jeder ihrer Unternehmungen. Die Idee des Guten


Wahren,
die Existenz

eines

hchsten wesenhaften Wertes und


die Existenz Gottes, be-

eines hchst

voUkommenwertigen Wesens,
ist

weisen zu wollen,
es liegt

eine

praktische Contradictio

in adjecto:

im Begriff der Gottheit, da sie nicht bewiesen, sondern nur geglaubt werden kann. So gibt es auch keinen hheren Richterstuhl mehr, vor dem sich Logik und Ethik auszuweisen, vor dem sie zu bestehen htten; ich kann beider Rechte nicht

mehr begrnden. Dem verzweifelten Worte Pascals (Pensees 2, 17, 107), man msse den absoluten Mastab auch darum annehmen, wenn
existiere

man

nicht wisse,
sei,

ob

er

bestehe,

weil

man nur

auf diese Weise sicher


ich

nicht gegen ihn zu fehlen,

wenn

er

diesem Argumente des entsetzlichsten Zweifels mchte


soll.

Gott mu sein, wenn ich ist, so kommt auch fr mein Leben das Wertproblem nicht mehr in Frage, ich bin dann nichts, und nicht einmal zur Demut habe ich dann Veranlassung, weil auch diese mir meine Wertlosigkeit angesichts des Wertes vorstellt: Gott mu sein, auf da ich sei; ich bin nur soviel, als ich Gott bin. Da dies das Wesen des Gottesgedankens und. seine Bedas andere entgegensetzen:

Wert haben

Wenn

Gott nicht

deutung fr die Menschheit ist, da Gott der vollendete Mensch, der vollendete Mensch wie Jesus Christas, Gott ist, da der Glaube an Gott nur der hchste Glaube an sich selbst ist, haben die tiefsten Geister wohl erkannt; Geister zweiten Ranges freilich ist das gibt es, welche gerade dahin nie gekommen sind.
.

denkbar grte Miverstndnis der Gottesidee, und anwendbar

142

Wissenschaft und Kultur.

nur auf den Gottesbegriff der Juden, mit Schopenhauer (Neue Paralipomena, 395) zu sagen: , Sobald Gott gesetzt ist, bin ich nichts", oder mit Nietzsche (Also sprach Zarathustra) Aber
:

Freunde, da ich Euch ganz mein Herz verrate: wenn es einen Gott gbe, wie ertrge ich es dann, kein Gott zu sein? Also
gibt es keinen Gott."

Das Ich wird nicht

durch allen wahren Glauben.


geht, erweist sich

kleiner, sondern grer

Der Glaube, auf dessen Elimination die Wissenschaft ausdemnach als ihre eigene Basis. Freilich hat auch noch immer jedes Zeitalter von extremer Wissenschaftlichkeit Blten getrieben, welche die Idee der Wahrheit selbst zu verleugnen suchten; die bertreibung des Wissensanspruches fhrt zu seiner Negation, indem die Logik, seine Voraussetzung, als nicht mehr wibar, in Zweifel gezogen wird. Dem Glauben nmlich korrespondiert der Zweifel, (praktisch: die Verzweiflung); die Idee des Wissens hat zur Korrelation die Frage. Der Zweifel, der ebenso individuell ist als der Glaube, hat, was konkrete Inlialte anlangt, in der Wissenschaft keinen Platz; der Glaube der Wissenschaft ist der an die formale Logik. Die Unterscheidung zwischen Glauben {Ttiatig) und Wissen {yvoiig), der Kampf darum, ob ein Urteil auch gewut werden
kann, nicht nur geglaubt, hat in der Geschichte der Philosophie
eine

berhmte Rolle gespielt

(Hume-Kant) und nimmt noch


in
ein.

heute einen sehr weiten


wissenschaftliche

Eaum

den zahlreichen Kontroversen


Sicher scheint mir,

ber die Theorie des Urteiles

wenn

die

mathematische Wahrscheinlichkeit, ihrem psychologischen Charakter gem, vom Gebiete des Glaubens ausgeschieden werden, folgendes festzustehen: Im Glauben wird auf Beweisbarkeit, auf Ableitbarkeit, auf das allgemeinere Sichtbar- und Plausibelmachen des Geglaubten, auf alles Demonstrierbare verzichtet. Der Glaube involviert eine Schenkung meinerseits, ich gebe dem Urteil, an das ich glaube, von mir, gebe ihm mich. ^ Das Geglaubte steht auerhalb der Logik, an die ich ja selbst nur glauben kann. Darum kann ich
die

Vermutung und

glaubend, aber nicht wissend

bejahen,

was absurd"
Das Opfer

ist.

Der

Idee des Opfers: Hingabe an die Idee.

ist die Ant-

wort auf die Gnade.

Wissenschaft und Kultur.

143

seinem Subjekt ein Objekt gegenber, lst aber von jenem, als einer Welt der Realitt angehrig, die unabhngig von seinem und jedem Subjekt besteht.
stellt

Wissende

dieses vollstndig

Glauben kann man im Grunde nur an sich


die berindividuellen

selbst.

Die

transzendentale Methode Kantens bestand darin, im Individuum

Bedingungen aufzusuchen, welche WissenEr fragte, was Wahrheit ihrem Begriffe nach sei, nochmals und anders als man bisher gefragt hatte. An die Idee der Wahrheit selbst kann aber der Mensch nur glauben und sich ihr unterordnen durch sein individuelles Wahrheitsstreben. Fichte hat erkannt, da der Satz der Identitt, der formal sich mit dem Begriffe der Wahrheit deckt, identisch ist mit dem Satze: ich bin. Also auch der Glaube an die Logik ist im letzten Grunde Glaube an sich selbst. Und der bekannte Vers des Angelas Silesius, in dem es heit, da Gott ohne ihn nicht sein knne, zeigt uns nun den Grundgedanken der Mystik als identisch mit der tiefsten Tiefe der Logik und
schaft
als solche konstituieren.

von dieser aus erreichbar. Der Wissenschaft liegt, vermge dieses Gegensatzes zwischen Individualitt und Allgemeingltigkeit, alles daran, den Glauben zu eliminieren. So wenig sie sonst ihre Argumente aus der Ethik holt, hier hat sie es immer geliebt, die moralische Verurteilung zu bentzen, welche aller Aberglaube mit Recht erfhrt, und diesem den Glauben als einen Spezialfall unterzuordnen, allen Glauben in Aberglauben aufzulsen. Was ist Aberglaube? Aberglaube ist eine Bejahung des Alogischen,
welche
nicht
eine

Selbstbejahung

des

Ich voraussetzt,
ist

nicht

durch ein wertspendendes Ich erfolgt; er

Setzung eines nicht

gewuten Zusammenhanges, also nicht in freier Aktivitt, sondern in passivem Zwange. Im Aberglauben (seiner Psychogenesis nach) fgt sich das unfrei gewordene Subjekt jedem beliebigen Inhalt. Darum hngen auch Aberglaube und Furcht so innig zusammen. Es gibt keinen Aberglauben, der nicht furchtsam machte, keine Furcht, die nicht aberglubisch wre. Furcht aber gibt es nur vor der Aufhebung der Individualitt, vor dem Verluste des Zusammenhanges mit dem Absoluten, fr den der Mensch durch das Logische und das Ethische in seiner Persnlichkeit (durch die Vernunft" Kantens)

Gewhr

hat. Todesfurcht,

Furcht vor dem Doppelgnger, vor dem Weibe

(die

nur das Gefhl

144

Wissenschaft und Kultur.

da die Frau keine metaphysische Realitt, keine Existenz hat), dem Irrsinn, das lt sich mit leichter Mhe aus diesem allgemeinsten Schema der Furcht ableiten.
ist,

vor der Snde und vor

Der Wille zum Wert, zum Absoluten, zu ihm hin oder zu


Festhaltung,
ist die letzte,

seiner

allgemeinste menschliche Eigenschaft.

Furcht ist gleichsam nur die Kehrseite des Willens zum Werte, die Weise, in der er offenbar wird, wenn seine Negation droht. Die furchtbarste Furcht, die Furcht vor sich
selbst, erklrt sich ebenfalls

auf diesem Wege: es


punktuelles

ist die

Furcht
ist

vor

dem empirischen
Persnlichkeit

Ich; die Furcht vor der Reduktion der zeit-

losen

auf

ein

Zeitelement

in

jenem Augenblick immer da, wo die Gegenwart als Zeitaugenblick berhaupt zum Bewutsein kommt, statt da der Mensch irgendwie durch den Gedanken an Zukunft oder Vergangenheit ausgefllt werde, d. h. sich wollend oder denkend verhlt. ^ Die objektive Seite der Furcht vor sich selbst kommt in der Unheimlichkeit der These des absoluten PhnomenaHsmus zum Vorschein, welche lehrt, da nur die Empfindung Realitt habe, und
ich

der fortdauernden Existenz einer Wand,


habe,
nicht

die

ich eben be-

mehr versichert bin, wenn ich ihr den Rcken zukehre. Indem es in Frage gestellt wird, ob die Wand
trachtet

noch da sei, wenn ich mich umdrehe, scheint die Existenz der Welt des transzendentalen Objektes, wie frher die des transzendentalen Subjektes", auf ein Zeichen eingeschrnkt und dadurch irreal, wertlos gemacht; der Kontinuitt des Ich, welcher objektiv die Kontinuitt der Welt entspricht, droht Aufhebung. Der Verbrecher, der sein kontinuierliches Ich prostituiert, preisgegeben hat, besitzt nichts mehr, das er Diskontinuitten
in der
er so
leicht

Auenwelt entgegensetzen knnte: darum schrickt zusammen; denn Schrecken gibt es nur vor
ist ist

Diskontinuitt.
Unheimlich
Redensart: Das
nicht

darum alles Vergessen, unheimlich die mehr wahr;" denn sie bergibt einen

Erinnerung von mir, der Vernichtung. Furcht ist also der durch die Gefahr seiner Negation offenbar gewordene Wille zum Wert. Da aber Negation des Wertes
Teil meines Ich, eine
1 Diese Reduktion des Ich auf ein Zeitatom, seine Einsamkeit in der Zeit (statt einer Verbindung mit allen Ewigkeiten) ist das, was das Einhorn in Bock lins Schweigen im Walde" vollkommen genial symbolisiert.

Wissenschaft und Kultur.

145

nur durch den Wert und vor dem Wert mglich ist, so erklrt sich hieraus auch die Furcht vor der Strafe Gottes, die Furcht vor Krankheit und Armut, sofern diese als solche betrachtet werden, und die Furcht vor der Hlle. Kein Mensch ist gut%
hat Christus gelehrt, und einerseits ist darum kein Mensch frei von Furcht; aber, trotz aller ,moral insanity", es gilt auch der andere Satz: Kein Mensch ist bse.i Der absolute Verbrecher

ebensowenig die Furcht kennen, wie der absolute da es aber auch keinen Menschen gibt, der gnzlich bse wre, so ist auch hier keine Instanz gegen die Allgemeinheit der Furcht zu finden, wenn es auch Annherungen an Furchtlosigkeit gibt. Die Furcht des Verbrechers ist die aus dem dumpfen Bewutsein seiner Tat erwachsene, nicht vor der Idee

wrde

freilich

Heilige;

des hchsten Wertes,

der Bestimmung des Menschen bestehen als wertlos beiseite geworfen zu werden. dieser von zu knnen, Darum ist Furcht nur durch das sichere Bewutsein von eigenem

Werte zu berwinden. Den eigenen Wert


in

schafft aber der

Mensch

Freiheit,

oder

er

wirft

ihn

weg und

verzichtet auf die

Schpfung, die immer Wertschpfung ist. In der Furcht gelangt dem bejahenden, schaffenden Menschen die Negation der Tat zur Abhebung: darum gibt es, kurz gesprochen, Furcht nur vor Passivitt. Furcht vor dem Unbekannten ist Furcht vor dem Unbewuten; denn nur wessen der Mensch sich bewut ist, dem gegenber ist er frei (weil er noch auer ihm, ber ihm steht). Der Mensch wrde sich auch vor dem Tode nicht frchten, wenn er ganz Sicheres um ihn wte. Da aber kein Mensch
wei, wieviel

von ihm leben wird,


bleibt-

(denn nur sein Engel


weil jeder schuldig
Ich
fasse
ist,

ob er nicht blo Engel ist sondern auch Teufel, darum frchtet sich jeder vor dem Tode.

am

Leben),

zusammen, aus denen sich hier die Theorie der Furcht ergibt. Furcht gibt es nur vor dem NichtSein, vor dem Nichts; Furcht gibt es nur vor dem Bsen, vor Irrsinn, Vergessen, Diskontinuitt, vor dem Weibe, dem Doppeldie Daten

gnger,

vor

dem Tod, vor Schuld Strafe

(-=

Vergangenheit

1 Es kann darum ebenso unheimlich sein, wenn der Mitmensch ganz dasselbe wahrnimmt oder denkt wie ich (mein Doppelgnger im Geistigen ist), als wenn er das, was ich wahrnehme und denke, gar nicht wahrnimmt und versteht. Durch das erste werde ich, durch das zweite die Welt ver-

nichtet.

Weininger, ber

die letzten Dinge.

2.

Aufl.

1"

146

Wissenschaft und Kultur.

Zukunft), vor Schmerz, vor Passivitt, vor


Schicksal), vor Krankheit, vor Verbrechen

dem Unbewuten (dem

das alles aber ist Furcht vor dem Tode. Ich berufe mich hier auf die Theorie des zweifachen Lebens (Geschlecht und Charakter", 1. Aufl., S. 377 bis 381; vgl. S. 274, 399, 440). Furcht ist die Kehrseite des Willens zum Leben,
eines.

Es

ist

die

Reaktion

alles

Lebens gegen

alle

seineFeinde. Darum

und gewhnlichere Furcht, je nachdem es ans irdische oder ans ewige Leben geht: Furcht vor dem irdischen, stofflichen, Furcht vor dem metaphysischen, seelischen Tode. Die erste Furcht kennen auch die Tiere, die zweite nur der Mensch (er freilich auch die erste). Weil nun alles Leben durch Liebe entsteht, das niedere durch Liebe zur Materie (Essen und
gibt es tiefere

Geschlechtsverkehr), das hhere durch Liebe

zu

Gott (geistige

Nahrung; Liebe zu Gott kann Liebe zur Wahrheit, zum Guten, zum Schnen heien), so ist Furcht das aller Sexualitt und
aller Erotik Entgegengesetzteste.^

Menschen, die gettet werden

sollen, koitieren

wenn ein Erdbeben sie zu vernichten Mensch (nicht nur des physischen Erfolges halber) stets Verbindung mit anderen, wenn er sich frchtet; zwei Menschen schlafen zusammen, um leichter einer Furcht Herr werden zu knnen. Die Furcht vor der Einsamkeit ist die Kehrseite des Willens zur Totalitt und alle Furcht steigei't sich, je weiter
von der rumlich-zeitlichen Totalitt wird. Darum auch das physische Abbild der Furcht im niederen Leben Atemnot; (weil der Atem, das Prinzip des Lebens, den Zusammenhang mit dem All herstellt; Geschlecht und Charakter", S. 380, Anm. 1), und ist Atemnot der Angst so verwandt, da Angst mit enge, angustiae, angina (Zuschnrung der Kehle) aus
die Entfernung

Darum umschlingen sich Mann und Weib, droht. Darum sucht der

aber

ist

derselben Wurzel gebildet

ist.

Furcht also ist das Gefhl einer Leblosigkeit; und es gibt Furcht nur vor dem Tode.
Die Furcht und die Liebe haben beide ihre Phantasie: die Furcht eine passive, die Liebe (in jenem weiteren Sinn, in dem auch geistige Produktion Liebe ist) stets eine aktive. Die Visionen
i

Im
ccXX'

eisten Johannisbrief
7]

4,

18 heit
ayanr).

es auch:

$og ovx tanv hv

zrj

AyccTCtj,

zssia

aydurj

t'^co

Xlsi
xfj

zbv cpov,

Ott 6 qioog xoXuglv

fjjst,

6 de q)oovnsvos ov tstsXsimtai, sv

Wissenschaft und Kultur.

147

und dasselbe Ding fortwhrend sich verpassive Phantasie, und Ausflu von Furcht: hier wird nicht der Satz der Identitt mehr gesetzt (auch frs Objekt; vgl. Geschlecht und Charakter", weil in ihm am S. 201 f., 246). Auch der Verbrecher leidet, meisten Passivitt ist, darum an schreckhaften Halluzinationen,
des Hamlet, der
ein

wandeln

sieht,

sind

er hrt fortwhrend Stimmen,


Irrsinnige.

wenn

er allein

ist,

gleich wie der

Mut: das ist dasSelbstvertrauen des hherenLebens. ganz mutig ist, wie Siegfried, der ist rein, schuldlos. Darum hngt der Mut mit dem Herzen zusammen; er entspricht der Gewalt des Herzschlages, wie der Atem der Verbundenheit" (Rappaport), und es ist das Quantum Mut, das ein Mensch hat, der sicherste Anzeiger seiner Gre, Reinheit, Genialitt. Furcht aber ist das Mitrauen des Lebens, weil es noch Rnder hat, und dort Abgrnde sind. Der Glaube an sich schafft den Mut und die Hoffnung (das ist das Ich auf dem Wege zu

Wer

seiner Verwirklichung).

Der Glaube, welcher das ewige Leben durch seine Bejahung im Wollen und Denken setzt, ist der Antipode des Gefhles der Leblosigkeit, er ist der Besieger der Furcht. In einem Glauben selbst steckt aber um so mehr Furcht je mehr Aberglaube in ihm ist. Es gibt wohl keinen speziellen individuellen Glauben, der ganz frei von Aberglauben wre. Durch den Aberglauben aber wird, in Gegenstzlichkeit zum Glauben, die autonome Persnlichkeit vernichtet, jedem zuflligen, zeitlich-rumlichen Zusammentreffen zweier Geschehensreihen, die erfahrungsgem voneinander unabhngig sind, d. i. dem Zufall

preisgegeben. Im Aberglauben verknpft der Meas.^h sich funktionell mit anderen, negiert die eigene Freiheit fuK,alle Zukunft, und erklrt sein Wollen und Sollen fr fatalistisch gebunden.
Aller Aberglaube verlangt darum Zeichen und Wundej^f denn Aberglaube ist die Abdikation selbstndigen Denkens und Handelns der bigotte Feldherr, der nach den Eingeweiden
;

oder Sonnenfinsternissen seine Beschlsse einrichtet

(und

hier--,

durch nur seine Furcht verrt; wie Nikias, wie Kaiser Julian bei Ibsen), hat auf alle Aktivitt, und damit auch auf den
Erfolg, von vornherein verzichtet.
10'

148

Wissenschaft und Kultur.

Im Glauben bejaht in Freiheit khn und todesmutig der Mensch^ sich selbst, sein innerstes gttliches Wesen, im Aberglauben nickt er furchtsam zu jeder Wendung des Spieles, er
sie

Freiheit des Denkens und Handels auf, indem er au etwas bindet. Darum ist der Aberglaube stets kleinmtig und feig, Glaube groherzig und tapfer; darum leidet ein Mensch
gibt seine

um

so

mehr an seinem Aberglauben,

je

mehr

er

zum Glauben

fhig

ist.

keit

Das Problem der Furcht gibt an Tiefe und Abgrndlichkeinem anderen etwas nach. Ich habe nicht die Absicht, diese Woen Andeutungen hier nach allen Seiten hin auszufhren. Aber das Problem des Wissens hilft es uns noch weiter erlutern durch eine Gegenberstellung. Ein Mensch, der die Wand in seinem Zimmer knacken hrt,
oder pltzlich in der Stille des Mittags oder der Mitternacht ein

Gerusch vernimmt, kann hierauf in doppelter Weise reagieren: entweder erschrecken oder nachschauen. Neugier und Furcht sind die beiden entgegengesetzten Verhaltungsweisen des Gemtes. Der Wissenschaftler ist der neugierige Mensch, er forscht uach, er will die Ursachen der Erscheinungen erkennen. Das Gegenteil des Forschers, das man vielfach im Knstler, im Metaphysiker oder im Mystiker gesucht hat, ist eigentlich erst ganz der Dmonolog. Die Furcht schafft die Dmonen. Der Mensch, der mutig aufstellt, um hinzugehen und dem Gespenst die Kapuze vom Alltags gesicht zu ziehen, ist der Ent-Decker. Der Mensch, der extrem an der Furcht leidet, wird nie auch nur eine gedankliche Entdeckung machen. Dieselben Mchte in der Natur, die der Wissenschaftler mit den Hebeln und Schrauben verfolgt und bis zur Darstellbarkeit durch Differentialgleichungen zu bringen sucht, kommen dem an der Furcht Leidenden als die Dmonen der Natur zum Bewutsein. Es ist eine Torheit, die Dmonologie fr ausgestorben, fr eine ltere, psychisch berwundene Auffassungsform der Welt zu halten, an deren Stelle allmhlich im Laufe der Geschichte die wissenschaftliche Anschauungsweise getreten sei. Beides sind zwei polar entgegengesetzte, konstante Charakteranlagen innerhalb der Menschheit, und so alt und ewig wie diese. Ebenso wie heute gab es immer Forscher neben Dmonologen; ebenso wie in den Zeiten, welche der Prhistoriker und Ethnolog mit

Wissenschaft und Kultur.

149

Vorliebe aufsucht, gibt es heute Dmonologen, vereinzelt, aber in

unverminderter Anzahl, neben dem Korpus der Wissenschaftler. Die Dmonen sind die Naturgesetze fr den an Furcht leidenden Menschen, Wissenschaft und Dmonologie die zwei
Arten, in welchen der Mensch auf das Naturgeschehen reagieren

kann. Poe und Schopenhauer, Brger und Knut

Hamsun

sind

der Natur gewi nicht fremder, als Newton und Kasp. Friedr. Wolff, als Baco und Lagrange, aber jene erfassen sie anders als

Ein Mensch kann Dmonolog und Wissenschaftler sein, gengend universell veranlagt ist: Goethe war beides in grtem Stil. Die Wissenschaft bringt das Licht und vertreibt die Dmonen der Nacht. Es ist traurig, aber unabnderlich, da der Wissenschaftler die Dmonen und die Furcht vor ihnen nie verstehen, immer belcheln und wohl auch den Dmonologen meist verfolgen wird. Das soll niemand hindern, noch beirren, die Wissendiese.

wenn

er

schaft als

die

groe Leuchtfackel des

Geistes

moralisch und
ist

kulturell hochzuhalten gegenber


sittliche

der Furcht.

Denn Furcht

und gedankliche Schwche, sie macht den Menschen klein und lt ihn zusammenschrumpfen. Durch Vernunft und nur durch Vernunft knnen die Gespenster verjagt werden.
IL Begriff der Kultur.
Nichts
ist

schwieriger, als von einem Schlagwort zu einem

Begriff zu gelangen.

heute
so

Und Kultur ist das Wort, in dessen Zeichen jedermann kmpft und siegt. Wenn auch der Versuch,
ermutigt
anderseits

dieses Zeichen rein zurckzugewinnen, hierdurch sehr erschwert


ist,

zu

solchem

Unternehmen gerade

jener Glaube an die allgemein zwingende Kraft des Wortes; es


scheint darauf hinzudeuten, da mit ihm etwas bezeichnet wird,

zu allgemeinsten Werten in Beziehung steht, fr das Individuum gilt und doch dem einzelnen nie ntzt um dem anderen zu schaden. Natur und Kultur sind Begriffe, die einander oft gegenbergestellt worden sind, besonders von dem Spaziergnger Schiller, der einer Klrung des Kulturbegriffes auf lange hinaus dadurch entgegengewirkt hat, da er Kultur immer mit Zivilisation identi-

was

fizierte. Sicherlich ist

zuzugeben, da durch ein noch so inniges

Verhltnis zur Natur allein noch kein Mensch auch nur ein

150

Wissenschaft und Kultur.

Titelchen der Bezeichnung kultiviert" sich verdienen kann. Aber

ebensowenig ist die wilde Natur in ihrer Wirkung auf den Menschen antikulturell und darum der Gegensatz irrefhrend.

Der andere,

bessere, von

Windelband und Rickert

in

der

letzten Zeit in schnen Untersuchungen

ausgefhrte Gegensatz

von Natur und Geschichte kann uns hier eher weiterleiten. Offenbar hngt, was man unter Kultur versteht, mit der Geschichte der Menschheit aufs innigste zusammen. Ja, Kultur, soweit sie vergegenstndlicht ist in den erhaltenen Werken der vergangenen Geschlechter, sich mit Hegels Begriff vom objektiven Geiste" deckt, wird ganz allgemein geradezu identifiziert mit dem, was von dem Leben der Vlker brig bleibt, mit der Summe der Projektionen ihres Daseins auf die Erde, und jede spezielle Kultur danach gewertet, wie viel von jenen Projektionen die Individuen und Nationen berdauerte. Das Wirken des Politikers, soweit er Eroberer und Eevolutionr, Zerstrer und Machtsucher, und nicht Gesetzgeber und Staatsmann ist, wird in diesem Sinne als vergnglich den Kulturschpfungen gegenbergestellt.

Man

nhert sich aber heute


in

unter

dem

Einflu jener

den letzten Jahrzehnten das Kulturproblem am ernstesten genommen haben, Rieh. Wagners und Nietzsches vielfach doch schon der richtigeren Auffassung, da es sich zunchst um psychische Qualitten handeln msse, wenn die Frage nach Kultur gestellt werde, und nicht um die Residuen aus frheren Zeiten, in welchen sich vielleicht diese Qualitten offenbart haben. Da lag es nun nahe, den Grad der geistigen Kultur eines Menschen oder einer ra nach der greren oder geringeren Intimitt des Verhltnisses zu beurteilen, welches sie zur Geschichte frherer Zeiten besitzen. Der Historiker im

zwei Mnner, die

weitesten Sinne Avre dieser Anschauung der eigentliche Kulturmensch. Das ist es, worauf die gierige Sucht der heutigen Mode

nach Kultur eigentlich abzweckt, im Gegensatze zur Bildung, welcher mehr das positive Wissen zugewiesen wird: Beschftigung mit Literatur und Kunstgeschichte, Orientiertheit ber die vergangenen groen Mnner der Menschheit und persnliche Beziehung zu ihren Schpfungen. Kultur wrde danach ihre Definition von einem entgegengesetzten Begriffe der Barbarei erhalten, welcher die vllige Unbekmmertheit um das von anderen und lteren Geschaffene bezeichnen mte. Es leuchtet aber ein, da

Wissenschaft und Kultur.

151

auch dieses Kriterium mit der innersten geistigen Kultur eines Menschen nichts, gar nichts zu schaffen haben kann. Denn glte es in Wahrheit, so wre der Mensch am kultiviertesten, der die meisten Bcher gelesen, die meisten Konzerte gehrt, die meisten Museen besucht hat. Das ist natrlich niemandem zu behaupten
eingefallen,

aber aller Kultursnobismus geht auf diese Fiktion


ja

zurck.

Auch mte

dann das Quantum einer kollektiven

Vergangenheit, die der Jahreszahl nach sptere Stellung eines Menschen den Grad seiner Kultur mit entscheiden. Die Kultur,
auf

ankommt, nimmt aber keineswegs (Sandkorn zu im Laufe der menschlichen Geschichte. Der Sinn des Glaubens an den Fortschritt ist ein Glauben an die sittliche Idee des Fortschrittes: Kultur bleibt immer ein Ideal, und wir wollen uns ihm nur nhern. Ebenso wie die Furcht vor dem Aussterben der Menschheit als Gattung nur darauf zurckgeht, da wir dann auf der Welt keinen Vertreter der
die es hier

fr Sandkorn")

sittlichen Idee zurckgelassen sehen,

an den wir so gerne noch

Hoffnung knpfen, die Unvollkommenheit verbietet: so


alle die

uns das Gefhl der eigenen ist auch der Gedanke der Ent-

wicklung bei irgend tieferen Menschen nicht sowohl auf eine berschau der Vergangenheit und ihren Vergleich mit der Gegenwart gegrndet, sondern nur Ausdruck eines Postulates, das sie an die Menschheit auch als ein Ganzes in der Zeit heranbringen,

obwohl sich im einzelnen Geschehen stets aUes gleich bleibt, und spt wie frh immer nui- der gleiche Kampf vom gleichen Kampfort aus in gleicher Weise unternommen wird. Es gibt

keine Entwicklung; was den Menschen zutiefst bewegt, ist ja n^ur der Wunsch nach Entwicklung; es gibt nur ein Bedrfnis, der Gesamtheit der zeitlichen Ereignisse einen realen Sinn auerhalb der Zeit unterlegen zu knnen; es gibt keine geschehene, sondern nur gewollte Geschichte. Der Wille zur Geschichte der Menschheit erweist hier seinen Ursprung aus
demselben tiefsten Quell,
bedrfnis des Menschen

aus

welchem
er

das Unsterblichkeitsist

fliet;

selbst

identisch mit

dem

Bedrfnis nach der Erlsung.

darum keine Geschichte des Menschen, weder des einwenn einzelne Zge lange Zeit verschwunden scheinen), noch auch, wenn ich ihn mit den anderen vergleiche, die Tausende von Jahren vor ihm gelebt haben.
gibt

Es

zelnen (der Charakter bleibt konstant, auch

152

Wissenschaft und Kultur.

objektiven

eine Geschichte jenes Baues zu dem sich die Leistungen der einzelnen vereinigen; es gibt nur , Kulturgeschichte". Alles andere, z. B. der Krieg, wird nicht an

Es gibt nur

der Idee der Vollkommenheit dieses Baues gemessen; es


es wertet nicht.

ist

Epos,

Da

empirische Geschichte, als in der Zeit erfolgend, nichts


sein

kann und kein Bedrfnis des Menschen zu da es immer und ewig das qualvollste Leiden des Menschen bleibt, keine Geschichte zu haben, und sein sehnschtigstes Motiv immer nur, endlich Geschichte zu erleben darum kann Kultur nicht in der geistigen ckbeziehung liegen, durch die eine Zeit mit einer anderen sich enger zu verknpfen glaubt. Die historischen Renaissancen lterer Kulturen haben noch niemals Kultur neu geschaffen, und mau irrt gewaltig, wenn man der Berhrung mit vergangenen Kulturkreisen die magische Kraft einer vllig primren Wiederbelebung zuschreibt. Kultur bleibt ein Ideal, und einem Ideal vermag auch nur der einzelne suchende Mensch und nicht eine Kompagnie in Geh- oder Eilschritt sich anzunhern. Der Kultur einer Nation mu die Kultur der Individuen vorangehen; und schon darum sind Befrchtungen lcherlich wie jene, die von
befriedigen vermag;

Wirkliches

kultureller berflgelung eines Volkes reden,

weil

ein anderes

mehr Massenproduktion aufweist. Kultur ist nichts, wozu sich zwei Menschen vereinigen, woran sie kollaborieren knnten.
Als das

Wesentliche
rein geistig,

in

aller

Kultur wird
ist

man
der

einen

Sinn zu betrachten haben, der seine zwei Seiten hat. Bedingung


aller

Kultur und,

mit ihr identisch

Sinn

fr Probleme. Darum ist aber alle Kultur auf Individualitt gegrndet, denn es gibt Probleme nur fr Individualitten. Diese Bestimmung gibt auch sofort Rechenschaft ber die
innigen Beziehungen des Kulturbegriffes
geschichte.

zum

Begriff der Geistes-

Kunst und Philosophie hat, solange es Menschen ewigen Probleme, die groen Probleme der Menschheit und des Daseins behandelt. Die groen Themen der Weltliteratur bleiben die gleichen, fr jeden Musiker erneut sich das Motiv des Requiems, die Probleme der Philosophie sind die gleichen von den ltesten Mythen und Sprchen der Babylonier und Inder bis auf den heutigen Tag. Man denke an die Variationen

Denn

alle

gibt,

dieselben

Wissenschaft und Kultnr.

153

den an die Siegfriedsgestalt (= Feramors-Achilleus), an die Metamorphosen des vollendeten Bsewichts als Hagen, Eichard in., Franz
des
Juan-,

Don

des

Faust-,

des

Prometheus-Motivs

in

Literaturen der Vlker, an Hamlets Wiederkehr als

Skule,

Moor, Golo, Bischof Nikolas.

Die

Idealitt

der Zeit wird vor


fast

Kant von den Upanishaden


dasselbe,

gelehrt,

Anaximanders Ethik sagt

wie die Schopenhauers, der christliche Gottesstaat begegnet uns wieder in der Gralsritterschaft der Parsifal-Sage und in Kantens Konzeption eines Corpus mysticum. Im letzten Grunde
sind auch die Probleme des Knstlers und die des Philosophen dieselben, nur ihre Behandlung eine verschiedene. Denn Frage und Gedanken sind beiden gemeinsam, dem groen Knstler und dem groen Philosophen. Der Gedanke ist aber

demonstrierbar, und

darum bedarf
in der

die

Kunst der Logik nicht


ist

minder

als die Wissenschaft.

Anschauung

das Individuelle
in der

in Philosophie

und Kunst;

ersteren unsinnlich,

letzteren sinnlich, in der einen

zum Begriff

fhrend,

in der

anderen zum Symbol. Gegenber der modernen Kunst, die durch den absoluten Mangel der Gedanken charakterisiert ist und diesen Mangel zu einem Prinzip erhoben hat, indem sie

vom Gedanken

in der

Kunst nichts wissen

will,
ist,

soll

betont

werden, da jede wahre Kunst Gedankenkunst


Philosoph. Alle groe Kunst ist

jeder groe

Knstler ein groer Denker, wenn er auch anders denkt als der

darum tief; es gibt nur symbolische Kunst (die freilich nicht mit symbolistischer", d. h. mit heutiger Stimmungskunst" verwechselt werden darf). Da es den genialen Menschen ausmacht, da er in bewutem Zuin

sammenhange mit dem Universum steht, so wird auch den Werken des Genius immer der Puls des Dinges an sich, der Atem des Weltganzen sprbar sein mssen.
auch von der Einsicht in das Wesen des so, groen Knstlers selbst aus, da die Tiefe des Gedankens absolut dazu erforderlich ist, da auch das Kunstwerk gro sei. Dieser Mastab, und erst spter der der Form, mu an jedes Kunstwerk in allererster Linie angelegt werden; und da alle

Wir erkennen

Kunstkritik noch immer so blind tappt, daran ist nur dies Schuld, da sie ihren Gegenstand nicht an dem Ideal gedanklicher Tiefe
mit. Freilich

wrden

die

trchtlich zusammenschmelzen,

Gren der Weltliteratur an Zahl bewenn man mit solcher Prfung

154

Wissenschaft und Kultur.

Ernst zu machen anfinge, und gar viele Namen wrden von dem Postamente der Berhmtheit strzen, auf das sie die groe Menge derer gehoben hat, die von der Kunst nur Rhrung oder Aufregung, Stimmung oder Pathos erwarten. Da wrden sie hinuntersteigen mssen, einer nach dem anderen, Wieland und Uhland, Horaz und Lope de Vega, Schiller und Otto Ludwig, Grillparzer und Maupassant, Gottfried Keller und Lessing, Storm und Thackeray, Grabbe und Anzengruber, Racine und Walter Scott, Byron und Dickens, Moliere und Walther von der Vogelweide; und ebenso unter den anderen Knstlern, z. B. Botticelli und Segantini, Murillo und Thorwaldsen, Gounod und Johann Strau keiner, keiner hielte dieses Ma der Ewigkeit aus.^ Des Gelchters und der Entrstung aller heutigen Kritiker wre eine solche strenge Scheidung, wenn sie auch mit den Lebenden ins Gericht zu gehen aus guten Grnden sich gehtet htte, sicher; aber dennoch wrde sie sich an dem Anerkannten soweit vergreifen mssen, da sie sogar an der Gre des gttlichen Homer" zu zweifeln sich nicht scheuen drfte, obwohl sie sich doch hier gegen das einstimmige Urteil aller anderen nur auf die Zustimmung eines einzigen, freilich auch des einzigen, auf

die Piatons, berufen knnte.

Insoferne nun die groen Probleme lngst gestellt sind, hngt Kultur mit Kulturgeschichte wirklich zusammen. Aber sie mssen immer neu gestellt werden; ob mit oder ohne Anschlu an frhere Lsungsversuche, ist fr das Beginnen gleichgltig und kann auch fr den Erfolg nicht wirklich magebend sein. Am strksten ist der Sinn fr Probleme im hervorragenden Menschen; denn die Probleme sind in ihm lebendiger als in den anderen. Er empfindet sie als seine Probleme, gerade er kommt nie blo uerlich zu ihnen, sie sind ihm nicht durch berlieferung und Umgang angeflogen, sondern er wird durch seine Individualitt, durch das Problematische in ihr, immer wieder zu ihnen zurckgefhrt.^ So setzt sich objektive Kultur in ihrem Grundstock aus den Opfern zusammen, welche die groen
1

Von den Franzosen

blieben

da

einzig

Zola und Baudelaire ber,

kein Maler, kein Bildhauer!

Menschen ganz uerlich und nicht aus der geraten knnen, sind unter den Philosophen Descartes, unter den Dichtern etwa Gerh. Hauptmann.
2

Beispiele, wie begabte

Tiefe ihres Gemtes heraus zu Problemen

Wissenschaft und Kultur.

155

Menschen

aller Zeiten

am

Altare des Weltrtsels

dargebracht

haben. Subjektive, psychische

Kultur

ist,

in formal stets gleicher

Weise, innerer Kultus; ihre objektive Vergegenstndlichung ein Darbringen des eigenen Kindes in hchster Verehrung eines unpersnlichen Hchsten.!

Kultur auch etwas Soziales: der Altar an dem Augen aller Sehenden. Die ffentlichkeit des Kulturdienstes hat man stets dunkel emp-

Dennoch

ist

geopfert wird, liegt frei und offen fr die

das AUerindividuellste, was es gibt, die Religion, Frage nach dem Sinn und der Aufgabe des eigenen Lebens, nie als zur Kultur gehrig betrachtet, wenn auch dieses letzte Problem allen anderen Problemen, vielleicht oft unbewut, immanieren wird. Sowie jeder hhere Mensch sein moralisches Innenleben mit sich selbst ausmacht und den ueren Beichtvater als sittliche Schwachheit und Schwchung empfindet, so bleibt eben Frmmigkeit, die schlielich mit Moral doch identisch ist, dem ausschlielichen Leben des Einzelnen aufgespart. Auch von der anderen, der Werkseite her, wird sich diese Restriktion empfehlen. Frmmigkeit tut keine Werke, die auf Erden fortdauern. Religion liegt demnach bereits jenseits von Kultur, denn sie hat einen Inhalt, der nicht selbst spezielles Problem werden kann: den letzten Grund des Individuums und der Welt berdie

funden, und

haupt.
Sie ist das Individuellste glauben, sahen wir, kann der Mensch nur an sich selbst, und an sich selbst kann er nur glauben, soweit er dem Absoluten oder Gott als Idee des Guten und Wahren nachstrebt und ihr hnlich zu werden trachtet. Kultur ist individuell, aber nicht als Problem der Individualitt, sondern als Folge der problematischen und durch die Religion als Position erneuerten (wiedergeborenen) Individualitt. Kultur ist transzendental
:

(nach dem von Kant geschaffenen Begriffe); alle transzendentalen Funktionen fhren schlielich zur Idee des Absoluten als ihrem Schlubegriff, diese ist aber nicht durch einen logischen Beweis aus ihnen ableitbar. Erst die Transzendentalitt schafft Kultur. Die Transzendentalitt als der Inbegriff der ber das einzelne Individuum in ihrer Gltigkeit hinaus1)

Ich

wage

hier

dem Opfer Abrahams einen Sinn unterzulegen, den

es

vielleicht nicht gehabt hat. Vgl.

Kants Eeligion innerhalb der Grenzen der

bloen Vernunft,

S.

92 (Reclam).

156

Wissenschaft und Kultur.

gehenden und doch nur von ihm selbst immer wieder zu vollziehenden Wertsetzungen ist Bedingung aller
Sozialitt,
sie

macht

die Kultur

wieder zur sozialen Sache,


selbstndig
in

zum Werte, der von jedem Individuum


geprft werden mu,

Freiheit

und von jedem immer wieder in formell gleicher Weise anerkannt wird. Soferne z. B. rechtliche Einrichtungen nicht blo nach dem festen Paragraphen gehandhabt
Idee der Gerechtigkeit

werden, sondern zur Problematisation verhelfen unter der leitenden und des Unrechtes als allgemein magebender Faktoren bei ihrer Erwgung und Anwendung, insoweit

und nur insoweit haben Rechtssatzungen kulturelle Bedeutung. So ist es auch nicht die mglichst ausgedehnte und mglichst kontinuierliche Bentzung mglichst vieler technischer Erfindungen, welche dem Individuum oder der Gesamtheit Anspruch auf Kultur verleiht, und ebensowenig haben die Resultate der
Wissenschaft kulturelle Bedeutung. Weder der Universalgelehrte noch der Universal-Sportsman reprsentieren den Kulturmenschen. Da jedermann eine Uhr in der Westentasche trgt, hat

Atom von Wert, solange nicht jedem einzelnen und ihre Messung und moralische Verwertung Gegenstnde des Nachdenkens geworden sind. Also auch Kultur als Sinn fr Probleme ist ein Ideal: kein Mensch tut diesem Ideal genug, auch der Kultivierteste wird oft darber erschrecken mssen, ber wie viele Dinge er noch nicht nachgedacht hat. Kein Mensch hat Kultur; aber jeder soll Kultur wollen. Denn Kultur ist auch eine Aufgabe und nicht nur ein Problem, die Kulturfrage hat wie jede andere Frage von wirklichem Schwergewicht ihre praktische neben der theoretischen
kulturell nicht ein
die Zeit
Seite.

Und

so differenziert sich Kultur nach der anderen, prak-

tischen Seite hin psychisch als


fr

Sinn fr Aufgaben. Der Sinn Probleme mu sich in die Tat umsetzen wollen, und das wird er immer, wenn es dem Menschen mit den Problemen ernst ist. Probleme ohne Aufgaben sind zwecklos, Aufgaben ohne Probleme sind grundlos. Das Spiel als solches ist zwecklos; denn es stellt Probleme, die nie Aufgaben werden knnen. i Der Sport als solcher ist grundlos denn er stellt Aufgaben, die nie Probleme gewesen sind. Beide sind darum aller Kultur solange
'

Darum

hat alles Nur-sthetische keinen Kulturwert.

Wissenschaft und Kultur.

157

einem Menschen der einen wie der anderen Bedingung nachkommen. Als unumgngliche Voraussetzung aller Kultur wird man daher auch die uere Freiheit der Individuen immer fordern mssen. Freiheit ist die Grundlage, ohne die Kultur nicht gewollt werden kann, und hiermit ist erst eigentlich der Sinn jener Meinung vllig klar geworden, die als Bedingung der Kultur freie Zeit, Mue im Gegensatz zur Arbeit ansieht. Diese Forferne, als sie nicht in

mulierung beizubehalten, ist nicht mglich. Erstlich wird Mue meist mehr fr die Pflege, als fr die Kultur des Individuums
verwendet, und dann liegt eben doch

auch im

Prinzipe

der

Arbeit

ein, oft

miverstandenes, und doch sehr wichtiges Element

ist weder das Gute noch das Bse an an sich ethisch indifferent; wenn auch der arbeitende Mensch, wie die Erfahrung zeigt, moralisch ber dem nicht arbeitenden zu stehen pflegt, so kommt es doch stets auf den Zweck an, den Arbeit verfolgt. Kulturell wertvoll kann nur solche Arbeit sein, die auf Arbeit an sich selbst zurckweist. Da sie auch den anderen Menschen zugute kommen wird, wenn sie Kulturwert hat, liegt eben im transzendentalen Charakter der Kulturwerte begrndet (der Ideen der Wahrheit, Schnheit, des Eechtes usw.). Eine Arbeit, die blo der Brotbereitung fr die eigene oder fr fremde Familien gelten kann, wird nie Kulturwert besitzen. Soziale Knechtschaft, selbst wenn sie zu letzten Endes kulturell wertvollen Leistungen zwingt, ist daher an sich antikulturell, wie die Phnomene der Armut oder der Krankheit von vornherein durchaus antikulturell sind. Das Gefhl hierfr hat zur kulturellen Hochwertung aller Bettigungen des Individuums gefhrt, bei denen es keinem ueren Zwange Untertan ist; und so sind Sport und Spiel zu ihrem freilich ebenso unberechtigten Ansehen als Symptomen von Kultur gelangt. Jene stete Wechselbeziehung auf die allgemeinen Kulturgter lassen aber sowohl Spiel als Sport gnzlich vermissen. Indessen ist eben dies der Ernst und die Gre des Kulturgedankens: Kultur mu von Individualitt emanieren und sich

der Kultur.i Die Arbeit

sich, sie ist

Diogenes, der &sa)QCris svsxsv"

aus

seinem Passe herausschaut,

ist

keineswegs die Inkarnation der Kulturidee.

158

Wissenschaft und Kultur.

vor dem allgememen


ist

Forum der

berpersnlichen

Werte
das

be-

haupten. Das ens transzendentale,

das

animal metaphysicum"
als

darum eben dasselbe und kein anderes Wesen

^or

Ttohrixov: der Mensch. So beantwortet sich die berhmte


aller Soziologie:

Frage

die Gesellschaft;

was frher gewesen sei, das Individuum oder beide sind zugleich, miteinander, da von
von
allen

Anfang

an. So, schmeichle ich mir, erklrt sich jene wunder-

barste Tatsache, da

Wesen,

die

wir kennen, der

Mensch auf der einen


das

Seite das zur selbstndigsten Ausbildung

der Individualitt befhigte

am

meisten durch den sozialen


ist".

bedingte
sophie,
2.

und zugleich auf der anderen Seite Zusammenhang der Gattung (Windelband, Die Geschichte der neueren Philo1899, Bd.
II,

Aufl.,

S. 227.)

Das Zeichen, unter dem die Individuen zur Gesellschaft zusammentreten, und zu dem emporblickend sie als Gesellschaft entscheiden, heit Kultur. Kultur ist als Idee ihrer logischen Seite nach ein berindividuelles Problem, ihrer ethischen Seite nach eine berindividuelle Aufgabe. Kultur als das Verhltnis des Individuums zur Idee ist Sinn fr theoretisches Problem im Denken, Sinn fr praktische Aufgabe im Handeln. So ist Kultur zugleich berindividuell als Idee und individuell als Ideal.
III.

Die mglichen Absichten von Wissenschaft sehung von Kultur.


ber nichts wird heute

in

An-

so eifrig verhandelt, wie ber Kultur.

kaum etwas und mit solchem Interesse verfolgt wie diese. Keinen hheren Ehrgeiz gibt heute Jung und Alt, Kelch und Arm zu haben vor, als den nach Kultur. Dem Kultur-Snob, der sein Bedrfnis nach der neuen Kravatte in das antiquarische Interesse fr allgemein ungekannte Knstler und Kunstwerke
Nichts wird so fleiig studiert, wie Kulturgeschichte,
so emsig gefordert

sublimiert hat, sind wir bereits begegnet.

Daneben dringt

die

Kindernhrmehlform heulenden Kulturwolfes gar vernehmlich an das Ohr des Lauschenden. Snob und Mob aber bedrfen und ergnzen einer den anderen. Jener war eine vereinzelte, komische und doch

Stimme

des

nach

Naturwissenschaft

in

nicht ganz unsympathische Erscheinung. Dieser, weniger verlogen, aber selbstschtiger, untersttzt sein Begehren wie jener durch

Wissenschaft und Kultur.

159

das einzige Argument, den Euf: Kultur! Ja, in der groen Allgemeinheit ist Kultur heute nicht einmal identisch mit eistesgeschichte
;

die Elemente, die sie

dem

Zeitgeist hauptschlich zu

konstituieren scheinen, sind Wissenschaft und Technik.

Betrachten wir das merkwrdige Schauspiel: nichts geht neben aller Krisenhaftigkeit der anderen Prozesse so sicher in seinem maschinenmigen Gange weiter, wie jenes riesige, ber die Erde ausgestreckte Wesen, die Wissenschaft; nichts erhebt
die gleichen

Ansprche wie

diese, nichts erfreut sich der gleichen

Frsorge. Die Mcene haben ihre Schtzlinge gewechselt.


einst ihre

Galt

Bemhung dem Knstler und dem Philosophen

(Plato,

Aristoteles, Descartes, Grotius, Spinoza, Leibniz, Voltaire), so gilt

heute den Zwecken der Wissenschaft. Allerdings es ist auch nicht mehr der Aristokrat, der das Geld in der Hand hat. Der groe Kapitalist hat die Entscheidung, und er optiert fr
sie

die Wissenschaft.

Das hehre Ideal der Wissenschaft


Wissenschaftler sein Ansehen dankt.
sein Stolz sein; in seinem

ist

es,

welchem der
allein sollte

Dieses

Ideal

Namen bewut

zu arbeiten, der Idee

ein bloer Diener zu leben, seine Ehre.

Die tiefe Verachtung, welche jeder Wissenschaftler (im weitesten Sinn) fr jeden Techniker (im weitesten Sinne; in welchem auch der Jurist und
der Arzt dazu gehren) als solchen hegt, rhrt daher.

Die Achtung vor dem Gedanken der Wissenschaft hat sich dann aber auf die offizielle Gilde ihrer Jnger bertragen. Besonders im vergangenen Jahrhundert und besonders in Deutschland ist diese Wertausstrahlung erfolgt. Sie ist als Ganzes unberechtigt, im einzelnen mag ebensoviel Recht wie Unrecht hierbei geschehen sein, und die Geschichte der Wissenschaft wird hier selber noch reichlich Kritik ben mssen. Ich meine die geistig beherrschende Stellung, welche die Professoren der Universitten in den letzten hundert Jahren gewonnen haben. Ein Universittsprofessor spricht, und die Welt horcht. Das ist an sich ein erfreuliches Zeichen. Aber viele sprechen oft sehr von oben herab von den Universittsprofessoren; von den Kektoratsreden-Rednern, und sehr zur Kultur hinunter. Nur selten stecken sie mehr die Ziele hher, um den trgen Flug der anderen anzuspornen, meist glauben sie zuversichtlich, vom Borne selbst zu kommen, Kultur mit vollen Hnden aus ihm zu schpfen und der Welt zu kre-

160

Wissenschaft und Kultur,

denzen. Diesem

Zwecke

dieut

Begriffes aus einem freien

die Umdeutung des Alma MaterBoden des Studiums in einen heiligen

Hain der edelsten Frchte der Menschheit, indem sie die Personen entlastet und durch die Fiktion des besonderen Quelltrunkes sakrosankt macht. Hiermit aber beginnt allmhlich sich eine Vorstellung von der Wissenschaft zu entwickeln, welcher gar wenig von dem Drang nach Erkenntnis und System anzuerkennen ist. Wissenschaft wird zur
Parole,

zum

Ziel

nicht

mehr

als

Erkenntnis,

sondern als mglichst groe Summe der positiven" Erkenntnisse. Die Arbeitsweise wird so mechanisiert und auf die bestehende Schablone eingeschrnkt.

Weil

in

der Reihe

der Paraffine

noch einige Homologe


es,

nicht zur Darstellung gebracht worden sind, gilt

auch diese

zu gewinnen, nicht als ob davon eine wirkliche Frderung des Denkens erwartet wrde, sondern fr die Wissenschaft".
lichen

Weil das Verhltnis der ebenmerklichen zu den bermerkEmpfindungsunterschieden mit Bezug auf die Schallstrke noch nicht untersucht ist, mu es ehestens geschehen. Wozu? fr die Wissenschaft. Die Arbeit selbst liest kein Mensch, sie kommt in die Bibliotheken und Bibliographien, und man hat nun die Beruhigung, da es gemacht ist". Machen: das ist das Wort fr den heutigen Fabriksbetrieb des Erkennens, in welchem die Vorsteher der groen Laboratorien und Seminare die Funktionen
in der

kapitalistischer

ludustriebarone

vortrefflich

ausfllen.

Quellen!" heit es in der Geschichtsforschung. Versuchsreihen!"


Statistik, die

exakten Wissenschaft. Despotisch herrschen die Zahl, die Fehlermethode, die genaue Gewichtsanalyse. Nicht ohne tiefe Berechtigung hat diese Wissenschaft alle ihre Feststellungen als gleich wichtig verkndet. Die Akademien der Wissenschaft sind die mchtige Gerusia dieses Staates, die frchterlichen Gromtter der europischen Kultur;^ und sie hten und mehren das Erbe. Und wehe dem, der es wagte, an der Wissenschaft, die sie reprsentieren, an dieser Wissenschaft als Zweck der Zwecke zu zweifeln! Der es wagte, an das Recht der Wissenschaft auf die Bentzung des Spitalskranken zu Versuchen mit neuen Immunisierungsmitteln zu tasten, ist ein

An

Kindesstatt liebt die europische Kultur das Frulein Ellen Key.

Wiffsenijcliaft

und Kultur,

161

Dunkelmann und Antisemit; der es beklagte, da Tiere fortwhrend ohne Not lebendig geqult werden, mit seiner Sentimentalitt ein verhater lcherlicher Strenfried. Vielleicht nur,
weil diese Wissenschaft eine Demokratie
ist

ohne Prsidenten,
ist

der in ihrem

Namen zu

sprechen die Vollmacht htte,

es

noch nicht offen gesagt worden, da die kleinste mikrochemische Feststellung mehr wirklichen Wert fr die Menschheit besitze als die grte Dichtung. Kunst, Religion, Philosophie werden vom rechten Wissenschaftler als berflssig empfunden; die Beschftigung mit ihnen ist geeignet, jeden Jnger der Wissenschaft bei seinenKollegen zu verdchtigen, sie ist unsolide Windbeutelei. Dieser Moloch einer inventarisierenden Wissenschaft nimmt den Menschen eben ganz in Beschlag, alles mu er fr ihn sein und tun, dann wird er fr vollwertig befunden. Und wer ausginge, den Gtzen zu zertrmmern, der kme in die Verlegenheit des Don Quixote. Denn er findet keinen sichtbaren Gegner, nur ein leeres
Wort, ein Luftgebilde, welches diese Gemeinschaft zusammenhlt, die ihn nicht unbarmherzig niederstoen, sondern ein noch klteres Schweigen seinen Angriffen entgegensetzen wrde. Um kurz auszudrcken, was die heutige Wissenschaft ist und was sie nicht ist, knnen wir sagen: diese Wissenschaft besitzt Resultate

und

stellt sich

Aufgaben, aber

sie

kennt

keine Probleme
sich,

mehr. Probleme gibt es nur fr Menschen, die fr und ber


schaft heit.

und nicht fr ein Gtzenbild denken, wenn das Idol auch Wissen-

Whrend so uerlich Wissenschaft zum obersten Zwecke


wurde,
freilich

Wissenschaft als Vermehrung des Prsenzstandes

der Erfahrungen und Uniformierung derselben, ging in der Auffassung der Wissenschaft und ihrer Stellung im geistigen Leben
des Menschen eine scheinbar entgegengesetzte
schaftler stets mit
alles

Wandlung vor

sich.

Seine unendliche Geringschtzung der Technik hatte der Wissen-

groem Recht dadurch begrndet, da dieser Wissen nur Mittel zum Zwecke, ihm Wissen Selbstzweck sei.

Die Wissenschaft selbst recht eigentlich als Mittel zum Zwecke zu proklamieren, war unserem Zeitalter vorbehalten. Die Philosophie" dieser Anschauung ^ ergab sich aus der allgeMach, Die Geschichte und Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Prag 1872, ferner Die Gestalten der Flssigkeiten" und Die konomische Natur der physikalischen Forschung'.
1

Arheit,

We

n i n g e r, ber die letzten Dinge.

2.

Aufl.

162

Wissenschaft und Kultur.

meinen konomischen Auffassung dessen, was bisher einen hheren Wertungen behauptet hatte. Wie der historische Materialismus den ganzen Wert der Vergangenheit der Menschheit vernichtet, indem er der Geschichte keinen weiteren Sinn zu vindizieren trachtet, als den Kampf um Fourage und Fouragepltze, so degradierte die Auffassung der Wissenschaft als Komfort den Erkenntnistrieb des Menschen um ein so Ungeheueres, wie es wohl in der Geschichte nie zuvor dagewesen ist. Sie war
Platz in den
geistreich vorgetragen, gewi, und hat durch den leichten

Zauber
ge-

ihrer Darstellung sicherlich

mehr

als

einen

in ihren

Bann

zogen,

bestimmt war, mehr als kurze Zeit bei ihr bleiben zu knnen. Es fehlte ihr auch nicht an dem heute blichen biologischen Geprnge. Aber die biologische Betrachtungsweise, wie man sie heute versteht, ist ja nichts anderes als eine
es nicht
utilitaristische, sie erweitert

dem

die

utilitaristischen

Gesellschafts-

prinzipien

berhmter

englischer

Flachkpfe
sie,

zu

denen

des

Pflanzen- und Tierreiches. Hierin hat


eine Entfernung von

wenn auch

spterhin

Darwin eingetreten ist, ihren Ursprung, die Anregung, welche Darwin Malthus schuldete, nie verleugnet. Also das Wohlgefallen an der Biologie ist mehr ein spezieller Fall des Zuges zur konomie. Auch das Wort von der konomie der Wissenschaft" stammt von einem Nationalkonomen. Nicht umsonst habe ich den praktischen Betrieb der heutigen Wissenschaft mit dem eines groindustriellen Etablissements verglichen. Die Besttigung, da es auch im Theoretischen sich so verhalte, wird uns von ihren Theoretikern. Da die Wissenschaft ein Geschft ist, der Gedanke wrde jedem Handelsvolke Ehre machen. Er hat auch wirklich bei den Amerikanern und bei den Juden den meisten Beifall gefunden. Ich habe nicht die Absicht noch die Mglichkeit, hier die konomische Auffassung der Wissenschaft zu kritisieren und ihre psychologische Unhaltbarkeit zu erweisen; sie soll vorlufig nur

gewertet werden. Die Leugnung aller Probleme, welche mit ihr

Hand

in

Hand

geht, ist charakteristisch

fr

den

aller

wahren

Kultur fremden Charakter dieser Anschauung, wenn auch ganz folgerichtig vom Standpunkte eines Empfindungsmonismus aus,
1

Allerdings noch eines anderen Zuges wegen, des Zuges zur sexuellen
(fr den die

Zuchtwahl

Kunst aus der Liebeswerbung des Auerhahnes sich

entwickelt hat).

Wissenschaft und Kultur.

163

der alle Problematisationen selbstverstndlich immer nur relati-

nehmen kann. Doch wird man nicht :leicht annehmen Leugner aller Probleme selbst sehr problematische Naturen sein werden. Ebenso notwendig war die Leugnung eines erkennenden Subjektes, dem ein zu erkennendes Objekt gegenbersteht. Indem der Mensch nicht mehr erkennen wollte, und doch, ja dann um so mehr, einem fremden Zwecke Sklave sein
vistisch

wollen, da die

mute,

erfolgte

stillschweigend in

sicherer Allmhlichkeit die


fr die Wissenschaft" ist
:

Konstruktion eines sozialen Ideals der Wissenschaft, fr die das

Individuum arbeiten msse; der Ruf


so meist nur eine
, fr die

Komponente

des Geschreies

fr die Gattung",

Gesellschaft"; der Moloch der Wissenschaft ist nur ein kleiner

Gott aus dem Gtzenreiche der Sozialethik, noch ein liebenswrdiger Zug derselben, noch eine Belehrung mehr an das Individuum, da dieses vor allem an die Gesamtheit Abgaben zu leisten habe. Die Weisheit selbst wurde Mittel, als diese Wissenschaft zum Zwecke wurde. Und da dieses Mittel nicht hoch im
Preise stehen bleiben konnte, wird

man

jetzt verstehen.

ermesse aber trotzdem noch einmal die ganze Jmmerlichkeit des Schauspieles. Der Strmer nach Erkenntnis verwandelt sich unter dem sittigenden Einflu der konomie in einen befr

Man

sorgten Ofenhocker, der Ungestm seiner Jugend wird fader Witz die Gre des Erkenntnisdranges hat er das berlegene

Lcheln des Nicht-Begreifenden. Die ungeheuere Schuld der Anschauungs- und Denkformen, mit welcher das Erkennen dem grten Erkenner belastet ist, drckt ihn nicht mehr, drckt sein erbrmliches Behagen" nicht mehr! Er sucht nicht mehr und fragt nicht mehr, er sammelt, sammelt und ordnet, ordnet. Die kolossale Tragdie des Erkennens verabschiedet sich mit ihm durch die kommentierende Fratze: Wozu die Aufregung? Wir wollen ja
nur haushalten! Verlassen wir die Lehre, welche die Wissenschaft als Mittel zum Zwecke ansieht, und wenden wir uns jener zu, welcher Wissenschaft Selbstzweck ist. Wir werden aber auch hier noch
nicht unbedingt positiv werten knnen. Auch Selbstzweck kann Wissenschaft in doppelter Weise sein: Wissen kann der Mensch wollen als Macht, und er kann es wollen als Wert.

wird

Wissen kann gewollte oder gehtete Macht sein. Wissen als Macht gewollt von jenem Menschen, welcher die Natur
11*

164

Wissenschaft und Kultur.

nicht anerkennt, das Dasein berhaupt verneint, vom bsen Menschen. Er sieht die Probleme, sieht, da Menschen an ihnen leiden, aber er will die Probleme vs^iderlegen und auf diese Art jenen Menschen seine Verachtung beweisen. Die Frage mag er nicht, kennt er nicht, sie ist ihm hchstens Mittel, um Antwort zu erzwingen; und die Antwort gibt er nicht, weil ihm innere Klrung nie ein sittliches Bedrfnis ist, sondern die Grundform seiner Antwort ist triumphierende Ironie ber die Frage. Es ist nicht Faust, der dem Erdgeist, dem Symbole alles Geschehens in der Zeit, ins Auge sieht, dem Problem sich flehentlich nhert, zum Problem hinan will, sich selbst inbrnstig zur Idee emporzieht; nein, er trachtet das Problem zu sich hinabzuziehen, er will das Sein durch Erkennen widerlegen, die Erkenntnis

heruntergesetzt hat.

da er erkennt, heruntersetzen, wie er sich selbst Darum lt Wagner im Parsifal" Klingsor, der sich selbst entmannt, als Mittel zum Zwecke bentzt hat,
damit,

mit Zauberwerkzeugen und nekromantischen Vorrichtungen ausgerstet sein. Denn, was ich hier im Auge habe, ist die groe Idee des Zauberers, die auch heute noch ihren tiefen Sinn hat, wenn man sie nur richtig als die Hypostasierung einer be-

der ihr

stimmten Sinnesart erkennt. Jener berhmte Mann der Geschichte, am nchsten kommt, ist Baco von Verulam. Wir begreifen jetzt den inneren Zusammenhang der Lehre dieses Mannes, der das Wort: Wissen ist Macht, Tantum possumus quantum scimus, gesprochen hat, des ersten, der auf die Entdeckungen und Erfindungen voll Hochmut (Nov. Org. 1, 129)
hingewiesen hat, des Groahnen der heutigen Fortschrittsphilister, mit seinem unredlichen Lebenslaufe. Hier ist auch der Ort, einiges ber die Technik zu sagen,
soweit diese

mehr

ist

als eine

Methode, praktische Aufgaben


d. h.

unter Leitung der Erkenntnis rationell zu lsen,


singulren konkreten

die

Theorien

Zwecken nutzbar zu machen (Konstruktion); oder mehr als ein Mittel, vom Denker geahnte Zusammenhnge sichtbar nachzuweisen. (Experiment.) ^ Dieses Mehr ist der Erfindungsgeist, wenn er die Grenzen des geistigen Spieles oder
praktischer Ntzlichkeit
berschreitet.

In

der Erfindung kann

Soweit auch

sie

nur Geschft

ist,

ist

sie

amoralisch, noch nicht ein-

mal antimoralisch.

Wissenschaft und Kultur.

16^

psychisch sehr viel Bses liegen,


sehr viel Wille zur Macht.

das lt sich nicht leugnen,


spricht
es ja aus: die Beherr-

Man

schung der Natur


folge.

ist

das Endziel, und rhmt sich solcher Er-

Es

liegt

aber nicht nur Unkeuschheit, Sucht zur

Ent-

und Beschmung des Nackt-Betroffenen in diesem Niederreien aller Mauern (dies wrde ihm vollkommen gemeinsam sein mit dem Erkennen aus antimoralischen Motiven). E& sind die Erfindungen vielmehr gerade diejenigen Wunder, die der Teufel wirkt," und es ist zu verstehen, warum die Lokomotive als diabolisch empfunden wurde. Der Wille zur Macht verneint auch die Naturgesetze, denn er will sie zwingen. Wii* haben im Wunder, das der Satan wirkt, den Gegenpol des
blung

Wunders vor

uns, das die Gottheit wirkt.

Es

ist

nicht die ber-

windung der Naturgesetzlichkeit durch den Gedanken der Freiheit des moralischen Subjektes vom Naturgesetz (Mysterium der Auferstehung), sondern ihre berwindung aus dem Grunde, we nichts frei bleiben darf, alles geknechtet werden mu. Wille zur Macht ist Wille zur Unfreiheit berhaupt, zur eigenen wie zu der alles anderen. Der Wle zur Macht, der in Wahrheit nicht Wille, sondern Willkr heien sollte, behandelt die Menschen so, als glte der Satz der Identitt nicht der Machthaber verlangt von seinen Untertanen jeden Tag etwas anderes, ent:

gegengesetztes.

Und

so kehrt auch die Willkr des


will, sich

Menschen,

der ber die Natur Macht


in der Natur, sondern will

nicht an die Gesetzlichkeit

sie

niederwerfen und durchbrechen.

Es

ist ein

unendlich tiefer

Zug

in allen Teufelsmythen,

da dieser

dem, der sich ihm anheimgibt, die Mglichkeit verschafft, von

einem Punkte der Welt momentan sich nach jedem anderen zu versetzen, ihm Reichtum ohne Arbeit, Gold aus nichts, alles
ohne Kontinuitt, ohne Kausalitt zufallen lt (so wnscht es nmlich das bse Streben im Menschen). Die Kausalitt nmlich
anerkannt, gesetzt (um ein Objekt zu haben,
sich als Freiheit behaupte,

wird nur von Freiheit erkannt, aber eben durch Freiheit auch dem gegenber es

Der Bse erkennt auch keine Kausalitt


keine Freiheit, weil
er
selbst
tiefer strzt, er springt in

nach der Weltauffassung Kantens). an, er gibt dem Objekte


sich in Unfreiheit fort

und

fort

und liefert von Freiheit gesetzt wird. Diese

Willkr auch mit den Tatsachen um, so den empirischen Beweis dafr, da Kausalitt nur
funktionelle, willkrliche

Gewalt

166

Wissenschaft und Kultur.

ber die Freiheit des Naturgesetzes also liegt der Idee des Zauberers, der ber die Dmonen der Natur Gewalt besitzt, im
tiefsten zugrunde;

er

ist

der

Verchter des Objektes,

das

er nicht gro, in feierlicher Majestt, vor sich sieht

und verehrt,

sondern bezwingen und knechten will. Ich will die Erfinder nicht berschtzen; so grandios dia-

nun freilich kaum je veranlagt, und selten gewinnt dieses Streben bei ihnen grere Intensitten. Sie sind erfahrungsgem keine gewaltigen Unholde, aber oft sehr gemeine Naturen, die unbewut etwas von jener Idee des Zauberers verwirklichen. Darum empfinden wir aber auch in der Technik so
bolisch sind sie
vieles als magisch, als unheimlich.

Es werden

sicher

nicht
,

psychologischen Errterungen
sten Aberglauben und von
ich werte hier nicht die
Teufels.

reaktionr" finden,

wenige auch diese theoretischvom schwrzeeingegeben.

Gespensterfurcht
sind

Doch

Erfindung und nenne


zu
oft

nicht sie des

Aber

die

Erfinder

moralisch

hchst be-

und mich interessiert nur die Gesinnung. Es ist aber, so beginnt Kant seine Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", nichts in der Welt, was gut oder bse genannt werden knnte, als der Wille. Wissen als Geschft war moralisch gleichgltig indifferent, und der Theorie dieser Anschauung lag jede Ahnung eines ethischen Elementes im Wissenstrieb ferne. Wissen als Wille zur Macht w^ar antimoralisch; es hatte fr das Moralische des Erkennens den sicheren Instinkt des Tempelschnders und woUte
denkliche Individuen;
es entwerten durch Besitz. Wissen als Wert ist jene Sinnesart, welche der Wissenschaft die moralische Hochachtung ewig sichern

wird.

Zum Wissen um
willen

der Macht willen verhlt sich das Wissen

um

des Wertes

wie

zum Koitus
also ist

die Liebe,

die Belebung.

Der Wissensdrang

zum

dritten Willen

zum Morde zum

Wert; Erkenntnis diesem reinen Triebe gewollter Wert, gehtetes Juwel. Seine Ironie beschrnkt sich und frohlockt nicht. Er kennt den Ernst der Frage und den Schmerz der unbefriedigten Antwort; er ringt sich durch alle Bangigkeiten und Schrecknisse des Zweifels durch zur Grndung der wahrhaft festen, der unerschtterlichen berzeugung. Darum stellt er die hchsten, lautersten Ansprche an das Wissen; den beiden tiefsten Denkern der historischen Menschheit, Plato und Kant, die beide das Wert-

Wissenschaft und Kultur.

167

Problem als das letzte Problem der Welt wie des Menschen erfat haben, ist neben so vielem anderen auch die grte Hochschtzung der Mathematik gemeinsam, die am ehesten das
Wissensideal zu verwirklichen scheint, und die sie darum allen anderen Wissenschaften als ein unerreichbares Beispiel voranstellen.

Und doch haben beide, Plato wie Kant, die Mglichkeit, durch bloe Wissenschaft zur Weltanschauung zu gelangen, mit
Eecht verneint. Eine Weltanschauung hat
er Knstler oder Philosoph
ist,

der Mensch, soweit

aber nicht als bloer

Wissenschaft. Die Wissenschaft sucht immer nur

Mann der Wahrheiten,

nicht die Wahrheit.^ Positive Wissenschaft hat an und fr sich weder Tiefe noch Flche; sie soll aber darum nicht aggresiv werden gegen Tiefe, nicht Tiefe verbieten wollen, wie dies die Erkenntnistheoretiker der positiven Wissenschaft von Demokrit
bis

Mach

in irgendeiner

Form

(Materialismus, Monismus, Posi-

tivismus, Empiriokritizismus)

immer wieder versucht haben. Ihr

kommt nicht hinein, und wehrt denen, die hinein wollen!" Es liegt in der Gemtsanlage der Philosophen begrndet,
da ihnen agitatorisch-aggressives Auftreten schwerer fllt als anderen Menschen. Sonst htte die schnde und freche Behandlung, welche die Wissenschaftler ihnen so gerne zuteil werden lassen, das unverschmte Achselzucken ber ihre , unfruchtbare" Beschftigung, sie schon lngst zu einer Zurckweisung veranlat.

So

sei es

denn ausgesprochen: Auch

der (originelle) Philosoph


Schleiermacher, Krause,

sechsten und siebenten Ranges, Hegel,

Maine de Biran, Carlyle, Nietzsche, steht noch immer weit hher als der grte und originellste Nur- Wissenschaftler, als ein Newton,
Gau,
1

Galilei,

Maxwell, Darwin, Berzelius, Helmholtz, Jacob Grimm;


die Wissenschaftler nicht eine

Darum, weil

Weltanschauung aus sich

seihst haben, die ihnen das

Ma

der Dinge wird, sondern nur einige wenige

Dinge, die ihen das


schaftlern nicht in ihr

Ma

der ganzen

Welt

sind,

wiederholen sich immer die

gleichen Vorgnge: taucht irgendeine Erscheinung auf, die von den Wissen-

umfangarmes System eingefhrt werden kann, so wird Abrede gestellt, und ein jeder, dessen freierer Blick ihm die Mglichkeit zugeben lt, wegen seiner furchtsamen Phantasie, seines Narrenund Khlerglaubens verlacht. So war es mit den hypnotischen Erscheinungen,
sie schroff in

mit der double personnalite", mit vielen Symptomen der grande hysterie", so ist's jetzt mit der Telepathie, dem Versehen der Schwangeren, dem Einflu der Gestirne auf

den Menschen, und so wird

es

immer

sein.

168

Wissenschaft und Kultur.

hher nmlich an Genialitt, an den Eigenschaften, welche einen

bedeutenden Menschen konstituieren. Freilich, wenn man nur an die Sicherheit der Ergebnisse denkt, nur an die Befhigung seiner Resultate, gleich in Kompendien und Schulbchern Aufnahme zu finden, dann mu man gewi den Wissenschaftler dem Knstler, wie dem Philosophen vorziehen. Aber darauf

kommt

es nicht an. Jede wissenschaftliche Entdeckung wird immer von zweien oder mehreren gleichzeitig gemacht, und wer

eine macht, hat nie das Gefhl, da dies kein anderer so htte
schaffen knnen. ^ Die groen Philosophen dagegen sind wie die

groen Knstler Individualitten, keiner durch den anderen


setzbar.

er-

die positive Wissenschaft mit ihren immer nur relativen im Theoretischen und immer neu sich verschiebenden Zielen im Praktischen gibt es im Grunde keine wirklichen Probleme, keine absoluten Aufgaben des Menschen und der Menschheit; sie geht ja darauf aus, in der Erfahrung alles selbstverstndlich scheinen zu lassen. Wre ihr dies aber gelungen, knnte es ihr je gelingen, so wre auch im Praktischen aller Vervollkommnungstrieb geschwunden. Es ist der Mastab eines hochstehenden Menschen, wie einer hochstehenden Zeit, da ihnen alles zur Nebensache wird vordem metaphysischen Problem und der ethischen Aufgabe. Nicht ohne Grund hat Goethe dem Faust einen Wagner gegenbergestellt und ber diesen

Fr

Rtseln

jenen sich entsetzen lassen:


Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet, Der immerfort am schalen Zeuge klebt, Mit gier'ger Hand nach Schtzen grbt, Und froh ist, wenn er Regenwrmer findet."

auch mglich, da ein Wissenschaftler gar nicht tun nicht die Wissenschaft bereits soweit wre, und ganz anders wissenschaftlich denken wrde, wre er zu einer anderen Zeit geboren. Der Mann der Wissenschaft stckelt nur an. Daher kommt es, da, wenn ein Mann der Wissenschaft in seinem Leben auch nur ein noch so schlechtes Gedicht gemacht hat, er dieses innerlich mehr lieben wird als alles, was er je wissenschaftlich geleistet. Denn im Gedichte steckt er selbst. Damit ist nun nicht bezweckt, da noch mehr Menschen Gedichte machen sollen. Aber die Wissenschaft sollte anders betrieben werden.
1

Wie wre

dies

wrde, was er

tut,

wenn

Wissenschaft und Kultur.

169

Wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht!" diese Freude des Wagner ist die Melodie aller Geschichte der positiven Wissenschaften.

Im Ernst ausgesprochen bedeutete sie das Ende, Kagnark, die Gtterdmmerung. Denn dann wre das Bewutsein fr die Hauptsache verloren gegangen. Und in der Hauptsache steht es ganz gleich von den vedischen Hymnen bis auf den heutigen Tag.
Es
es

gibt keine neuen philosophischen Gedanken, ebenso wie

keine

neuen

knstlerischen

Themen

gibt.

Das

liegt

aber

daran, da Philosoph
sind,

und Knstler

als Individualitten zeitlos

aus ihrer Zeit nie zu begreifen und

nie

mit ihr zu ent-

Im Philosophen und im Knstler liegt Ewigkeit, im bloen Mann der Wissenschaft als bloem Gattungswesen nur die Unsterblichkeit des treu bewahrten und vermehrten Fideikommisses. Der Philosoph ist also der hhere Mensch als der Wissenschaftler. Mit der Wissenschaft bleibt immer notwendig etwas Fachsimpelei" verbunden, denn es gibt nur Wissenschaft
schuldigen.

vom Fache;
ganze Welt
Mikrokosmus

die

Philosophie

ist

ebenso allumfassend wie die

Kunst. Der groe Philosoph


in

hat

wie

der groe Knstler die


ist

sich,

sie sind

der bewute Mikrokosmus; im


der
virtuell.

gewhnlichen Menschen,
ebenfalls,

auch im Nur- Wissenschaftler,

Hier liegt der Grund, da Knstler und Philosophen immer nur ber dieselben ewigen Probleme sprechen; und wir stehen vor der paradoxen und doch unzweifelhaften Tatsache, da gerade das echte Genie nie etwas ganz Neues, nie Dagewesenes findet, whrend der groe Wissenschaftler immer wirklich etwas Neues entdeckt; allerdings ist sein Ganz -Neues als solches im letzten Grunde auch immer ganz uninteressant (Regenwrmer "). Die Individualitt des Genies fhrt es mit sich, da
aber unbewut,

immer anders und doch stets in formal gleicher Weise die Frage des Verhltnisses des Ichs zum All gestellt wird; die positive Wissenschaft ist nur gattungsmig und sozial, und kann darum wohl eine Geschichte haben, aber sie kennt keinen Heroismus und keine Tragik, keine Lust und keinen
Schmerz. Die positive Wissenschaft schaltet die Individualitt
aus: also

kann
noch

sie

nicht Kultur sein. Sie kennt

weder absolute
negiert
sie

Probleme
Kultur.

absolute

Aufgaben:

insofern

die

170

Wissenschaft und Kultur.

Nur machen'^ soll die Wissenschaft nicht mehr; nicht einem bloen Worte, dem Worte Wissenschaft sich verschreiben. Die Seele des Menschen, seine Individualitt ist zeitlos, auch gegenber dem Zeitahlauf von Jahrtausenden; die Individualitt
ist

nicht Funktion der Zeit. Dennoch, in der Wissenschaft macht

sie sich hierzu.

Wissenschaft

sollte

ein
soll

Mensch nur von dem

Medizin studieren. Den Problemen der Wissenschaftler ist bis heute nie, wie denen der Philosophen und Knstler, individuelle S chuld zugrunde gelegen. Jedes wahre, ewige Problem aber ist eine ebenso wahre, ewige Schuld; jede Antwort eine Shnung, jede Erkenntnis eine
treiben,

was ihn angeht: der Kranke

Besserung.

Wrde

das

so,

wie ich es hier

als

Wunsch

ausspreche, so

wrde das Tppische, Rohe und Freche aus dem Betriebe der Wissenschaft schwinden. Der Wissenschaftler wte, da es seine Sache ist, um die es sich handelt; und da wrde er sein

dem Tafelschwamm,
Philosophie

Objekt nicht anfassen mit der Feuerzange, nicht darberfahren mit es nicht behandeln wie mit dem Wurstmesser.

nun
den

ist

auch
ihrer

Wissenschaft,
nach.

nicht

ihrem

Gegenstande, wohl aber


konstituieren
alle

Methode

Drei Elemente

auch notwendig auch sonst unter ihnen noch gibt: Erstens das mystische Element (identisch mit dem Bedrfnis und der Forderung nach dem Absoluten); zu zweit das systematische oder theoretische Element (das Bedrfnis nach der Architektonik). Diese beiden Qualitten reichen noch nicht hin, denn eine theologische Dogmatik, die an den Glauben appelliert, entspricht solchen Bedingungen ebenfalls. Es kommt als Drittes hinzu das Element
erst

Philosophen,

aber
es

Philosophen,

so

viele

Unterschiede

des

barkeit.

Wissens, das Postulat der Ableitbarkeit, der DemonstrierDa es eine Geschichte der Philosophie" gibt, liegt nur an diesem berindividuellen Anspruch des Wissens und dem
der wissenschaftlichen

Einflu

Methode

(die

Philosophie

hat

keine eigene Methode); eine Geschichte der


nicht.

Mystik

gibt es

Ebenso

ist

eigentlich

Geschichte
es

gleichen Grnden) ein Unding,

gibt

der Kunst (aus den nur eine Geschichte

der Technik (des sozialen Elementes in der Kunst). Der Philosoph soll wissen und mu beweisen. Nur darum
hat Philosophie einen berindividuellen, kulturellen,
positiven

Wissenschaft und Kultur.

171

Wert, Die individuellen Erleichterungen des Nur-Mystikers sollen nicht angezweifelt werden, aber fr die Kultur haben sie keine Bedeutung. Die Philosophie ist kulturell wertvoll, weil sie Wissenschaft und weil Wissenschaft transzendental ist; aber Wissenschaft
selbst ist nur kulturell wertvoll, sofern sie philosophisch
ist, d. h.

nicht etwa Lehrstze eines bestimmten philosophischen Systems

zu beweisen von vornherein ausgeht, sondern im Geiste des Forschenden selbst in steter und unauflslicher, frommer Beziehung und Absicht auf das Weltrtsel steht.

Letzte Aphorismen.

Krankheit und Einsamkeit sind verwandt. Beider geringsten Krankheit fhlt sich der Mensch noch einsamer als vorher.

Alles,

was

sich spiegelt, ist eitel;

Snde
der

alles Lichts.

das ist denn auch die Das Licht kann darum nicht einmal Symbol
sein.

Gnade (geschweige der Ethik)


Symbol

Die Sterne sind sym-

bolisch fr Menschen, die alles auer der Eitelkeit

berwunden
die

haben. Das Gute hat kein Natur.


Ihrer sind viele

als

das

Schne:

ganze

denn das Problem der Eitelkeit ist das Die Individualitt hat Kant, der Individualitt. der Problem uerst eitel war, erkenntnistheoretisch berwanden durch den Transzendentalismus; ethisch nicht; denn er hat das intelligible Ich" nicht berwunden (die Eitelkeit verbindet ihn mit
;

Eousseau).

Das intelligible Ich" ist aber nur Eitelkeit, d. h. Knpfung des Wertes an die Person, Setzung des Realen als nicht real; es ist zugleich identisch mit dem Zeitproblem: denn das Zeitliche ist eitel.

Es

gibt kein Ich, es gibt keine Seele;


ist allein

kommener Realitt
inhalte in sich schliet.

^ von hchster, volldas Gute, welches alle Einzel-

Die Individualitt entsteht aus der Eitelkeit

weil wir Zu-

schauer brauchen und gesehen werden wollen. Der Eitle interessiert sich auch fr andere Menschen und ist ein Menschenkenner. Weil auch das Bse in allen Menschen eines ist (,Ein Unglck kommt selten allein"), darum "sieht der Mensch
1

Seele (als

Damit ist nickts von dem zurckgezogen, was ber das Ich und die dem Ausdruck des Intelligiblen in der empirisclien Welt) gesagt
es ist hier blo eine

wurde

Aussage ber die ontologische Realitt gemacht.

(Anmerkung des Herausgebers.)

176

Letzte Aphorismen.

nach mir, den ich fixiere er will nmlich von mir gesehen Meine Neugier ist seine Schamlosigkeit.
;

sein.

Dem

Teufel

ist

seine Macht, ist alles

nur geliehen;

er

darum rcht er sich an Gott; alles Bse ist Vernichtung des Glubigers; der Verbrecher will Gott tten) und wei es nicht oder anders (darum ist er am jngsten Tag der Gefoppte) und da er dies wei und doch nicht wei, das ist zugleich seine Lge.
seinen Geldgeber;

wei das (darum schtzt er Gott als

Der Teufel nmlich ist der Mensch, der alles hat und doch nicht gut ist; whrend Allheit nur aus Gte flieen soll, und nur durch Gte ist. Der Teufel kennt den ganzen Himmel und will Gott als Mittel zum Zwecke bentzen (er ist darum
vor allem

Frmmler); und

ist natrlich in

gleichem Grade der

als Mittel Bentzte.

Der Herr des Hundes


Hndisches
in

ist

derjenige Mensch, der gar nichts

sich

hat;

Hundes

hlt sich einen

sucht der Hund; der Herr des Hund, sowie das Bse in Gott ist: er
ihn

hlt es im Bewutsein.

Der Hund hat

alle

Tierformen (Schlange,

Lwe

etc.);

er

selbst aber ist der Sklave.

Auch

die

individuelle Unsterblichkeit

ist

noch Eitelkeit

oder Ruhm-Egoismus.

Der Sumpf
Wassers

ist

eine

falsche Allheit des

Flues, und sein

Scheinsieg ber sich selbst.

Er

entsteht durch Vermischung des

mit Erde

(das

Mnnliche geht durch die Poren des


seine

Weiblichen).

Der See ist eine Station des Flues; Stunde. Auch er ist eine falsche Allheit.

beschauliche

(und

Der Greis ist eine falsche Ewigkeit: das Schne Wahre) ist ewig-jung. Das war

Alter.

Das Gute

es auch,

worum

Letzte Aphorismen.

177

Wagner als seiner eigenen UnvolJkommenheit wute; er war Wotan. Der Siegfried und Parsifal ist noch nicht erschienen. Der vollkommen gute Mensch (Jesus) mu jung sterben.
Die Sterne lachen nicht mehr; sie haben zur Lust keine Beziehung mehi-; nur mehr zur Seligkeit und Freude. Aber sie glitzern, sie sind eitel. Sie knnen darum fallen. Die Snde der Soune ist Lust Schmerz, statt Wert Unwert sie lacht (aber sie sticht, glht, brennt, blendet, raucht wie ein Feuer).
:

Der Sndenfall
Sternschnuppe.

ist die Individualitt

und sein Symbol

die

Die Lava

ist

der Dreck der Erde.

da sprach

Als die Sonne sich verdunkelte, ging es Christus schlecht; er: Gott, warum hast du mich verlassen?"

Das Tiefe im Baumeister Solne" ist die Einheit des durch Eaum und Zeit. Der bse Wunsch bei mir entspricht einem bel (und einer Furcht) wo anders. Der den Mrder frchtet, setzt ihn; wer morden will, setzt den, der den Mrder frchtet.
bels

Ziel.

Der Athlet hat Kraft als Selbstzweck ohne ethisches Der Athlet mu an sich selbst zugrunde gehen, wie das
stirbt.

Walhall-Motiv an sich selbst

Michel
wahn).

Angeles

Schuld

war Pessimismus

(Verfolgungs-

Das Mitleid mu einsichtig innere Trauer (mit Anerkennung der G-erechtigkeit) werden und darf nicht Wille zur Lust bleiben. Denn erst dann liebt man die Menschen
wirklich.

Der Dumme lchelt verschmitzt ber die Frage, der Jude ber die Schuld. Beide nehmen nichts ernst
Wein in g er,
ber
die letzten Dinge.
2.

Aufl.

10

178

Letzte Aphorismen.

Verbrechen

(Mord)

heit:

dem anderen

(Gott)

Schuld

geben wollen.
Der Hund,
legen,
die (Schlange etc. suchen die anderen zu wider-

um

sich zu rechtfertigen (Bellen, Zischen).

Der Vogel hat die Ehren in den Knochen

falsche Leichtigkeit; er fliegt,


hat.

weil

er

Der Verbrecher
statt

berwindet

die

Furcht durch den Ha,

durch die Liebe.

Der Jude beldt sich mit gar keiner Schuld (und also auch mit keinem Problem): darum ist er unproduktiv. Seine Schuld ist es, die Zeit nicht einmal zu setzen, den Endzweck und den Weltproze nicht zu wollen, weder Gut noch Bse zu wollen. Er widersetzt sich dem AVillen Gottes, der auch das
Bse
will.

Das könnte Ihnen auch gefallen