Enrique Dussel
Enrique D. Dussel (* 24. Dezember 1934 in Mendoza, Argentinien; † 5. November 2023 in Mexiko-Stadt, Mexiko) war ein argentinischer Philosoph, Historiker und Theologe.
Dussel gilt als einer der großen lateinamerikanischen Denker und Mitbegründer der politischen Befreiungsphilosophie Lateinamerikas. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu Themen der Theologie, Politik und Philosophie einschließlich Ethik, politische Philosophie, Ästhetik und Ontologie. Dussel hat mit anderen Philosophen wie Karl-Otto Apel, Gianni Vattimo, Jürgen Habermas und Richard Rorty philosophische Dialoge geführt.
Leben
BearbeitenEnrique Dussel wurde 1934 als Urenkel eines Schweinfurters in Mendoza (Argentinien) geboren. Von 1953 bis 1957 studierte Dussel Philosophie in Mendoza. Sein Studium beendete er mit einer Licenciatura: Das ist ein in Südamerika üblicher Abschluss nach einem vier- bis sechsjährigen Studium und mit einem Diplom vergleichbar. 1959 wurde Dussel an der spanischen Universität Complutense Madrid in Philosophie promoviert. Von 1959 bis 1961 arbeitete er als Zimmermann in Nazareth.[1] Es folgten 1961–1965 ein Theologiestudium am Institut Catholique de Paris, das er mit einer Licence (Bachelor) abschloss, und 1967 ein weiterer Doktorgrad, diesmal in Geschichte an der Pariser Sorbonne bei Robert Ricard. Während dieser Zeit war er 1964 am Mainzer Institut für Europäische Geschichte bei Joseph Lortz als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.[2]
Im Jahr 1967 kehrte Dussel nach Argentinien zurück in einer Zeit, in der in Lateinamerika revolutionäre Bewegungen die oligarchischen Herrschaftsverhältnisse überwinden wollten. Von 1967 bis 1975 lehrte Dussel als Professor für Kirchengeschichte und Ethik in Argentinien. In Argentinien begann Dussel, in stetem Austausch unter anderem mit Juan Carlos Scannone,[3] mit der Ausarbeitung seiner Ethik der lateinamerikanischen Befreiung (Ética de la liberación latinoamericana), die auf fünf Bände anwächst.[4] 1975 wurde er von den Peronisten vertrieben und ging ins Exil nach Mexiko. 1976 trat er eine Professur für lateinamerikanische Theologie- und Kirchengeschichte und philosophische Ethik an der philosophischen Fakultät der Universidad Autónoma Metropolitana im Bezirk Iztapalapa von Mexiko-Stadt an. Später lehrte er an der Universidad Nacional Autónoma de México (ebenfalls in Mexiko-Stadt) und wurde Koordinator der Asociación de Filosofía y Liberación (AFYL).
Dussel war 2010 Albertus-Magnus-Professor an der Universität zu Köln.[5]
Enrique Dussel starb am 5. November 2023 in Mexiko-Stadt.[6]
Philosophie und Positionen
BearbeitenDussel kritisierte scharf die Moderne. Seine Befreiungsphilosophie ist jedoch nicht antimodernistisch. Dussel idealisierte nicht die prämodernen Kulturen Lateinamerikas, wie es z. B. Alberto Acosta tut. Statt einer Postmoderne ist sein Gegenentwurf die „Transmoderne“.[4]
Ehrungen
Bearbeiten- 1981: Ehrendoktorwürde von Freiburg im Üechtland (Schweiz)
- 1995: Ehrendoktorwürde der Universidad Mayor de San Andrés in La Paz (Bolivien)
- 2010: Albertus-Magnus-Professur
- 2019: Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
Veröffentlichungen
Bearbeiten- Historia de la Iglesia en América Latina. Mundo Negro-Esquila Misional, Madrid 1971
- Herrschaft und Befreiung. Ansatz, Stationen und Themen einer lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Edition Exodus, Fribourg 1985, ISBN 3-905575-11-6.
- Ethik der Gemeinschaft (in der Reihe Bibliothek Theologie der Befreiung / Die Befreiung in der Geschichte). Patmos, Düsseldorf 1988, ISBN 3-491-77715-1.
- Die Geschichte der Kirche in Lateinamerika. Übersetzt von Horst Goldstein. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1988, ISBN 3-7867-1341-3.
- Philosophie der Befreiung. Übersetzt von Peter Penner. 3. Auflage. Argument-Verlag, Hamburg 1989, ISBN 3-88619-374-8.
- Prophetie und Kritik. Entwurf einer Geschichte der Theologie in Lateinamerika. Edition Exodus, Fribourg 1989, ISBN 3-905575-35-3.
- Von der Erfindung Amerikas zur Entdeckung des Anderen. Ein Projekt der Transmoderne. Patmos, Düsseldorf 1993, ISBN 3-491-77931-6.
- Der ethische Sinn des Maya-Aufstands von 1994 in Chiapas (= Arbeitshefte des Lateinamerika-Zentrums, Nr. 38). Lateinamerika-Zentrum, Münster 1997.
- Prinzip Befreiung. Kurzer Aufriss einer kritischen und materialen Ethik. Gekürzte Übersetzung von Ética de la liberación en la edad de la globalización y de la exclusión (= Concordia-Monographien, Band 31). Wissenschaftsverlag Mainz, Aachen 2000, ISBN 3-86073-697-3.
- 20 Thesen zu Politik. Lit Verlag, Münster 2013, ISBN 978-3-643-12253-7.
- Der Gegendiskurs der Moderne. Kölner Vorlesungen. Turia + Kant, Wien 2013, ISBN 978-3-85132-914-8.
Literatur
Bearbeiten- Stefan Drees: Diskurs- und Befreiungsethik im Dialog. Eine Fallstudie zur Soziologie der Philosophen. Wiss.-Verl. Mainz, Aachen 2002 (Untersuchung zu den Bedingungen des Dialogs mit Karl-Otto Apel).
- Andreas Lienkamp: Die Herausforderung des Denkens durch den Schrei der Armen. Enrique Dussels Entwurf einer Ethik der Befreiung. In: Friedhelm Hengsbach u. a. (Hrsg.): Jenseits katholischer Soziallehre. Neue Entwürfe christlicher Gesellschaftsethik. Patmos, Düsseldorf 1993, ISBN 3-491-77932-4, S. 191–212 (Digitalisat).
- Peter Penner: Die Außenperspektive des Anderen. Eine formalpragmatische Interpretation zu Enrique Dussels Befreiungsethik. Argument-Verlag, Hamburg u. a. 1996, ISBN 3-88619-636-4.
- Peter Penner: Das Einvernehmen. Grundriss einer phänomenologischen Konsenstheorie. Alber, Freiburg im Breisgau, ISBN 978-3-495-48664-1.
- Anton Peter: Enrique Dussel. Offenbarung Gottes im Anderen. Mainz 1997.
- Hans Schelkshorn: Ethik der Befreiung. Einführung in die Philosophie Enrique Dussels. Freiburg im Breisgau 1992.
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Enrique Dussel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Axel Bernd Kunze, Maria Moser, Irene Tokarski: Der Ansatz von Enrique Dussel. Website der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (PDF-Datei; 568 kB). Abgerufen am 6. Februar 2007.
- Miguel Ángel Quintana Paz: Einige Kommentare zu Enrique Dussels Philosophie der Befreiung… und der Gewalt ( vom 5. Juli 2022 im Internet Archive). In: TABVLA RASA, Ausgabe 27, Januar 2007.
- Peter Penner: Wege zu einer universalistischen Ethik. In: Polylog Nr. 5/2004.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Enrique Dussel: Die Gezeiten des Evangeliums. Wenn die evangelisierten Armen zu Evangelisatoren werden. In: Concilium, Jg. 22 (1986), S. 382–388, hier S. 385.
- ↑ Enrique Dussel: Die Geschichte der Kirche in Lateinamerika. Grünewald Verlag, Mainz 1988, S. 8.
- ↑ Guadalupe Estefanía Arenas Pacheco: Una aproximación al pensamiento inculturado en el itinerario intelectual de Juan Carlos Scannone. In: Revista Pelícano, ISSN 2469-0775, Jg. 2 (2016), S. 106–115, hier S. 110.
- ↑ a b Sophia Boddenberg: Enrique Dussels Philosophie der Befreiung, Deutschlandfunk, 12. November 2017.
- ↑ Pierre Hattenbach: Kölner Albertus-Magnus-Professor 2010: Enrique Dussel ( vom 14. Juni 2010 im Internet Archive). Website der Universität zu Köln, 7. Juni 2010. Abgerufen am 7. Februar 2011.
- ↑ Murió Enrique Dussel, uno de los fundadores de la Filosofía de la Liberación. In: aristeguinoticias.com/. 5. November 2023, abgerufen am 6. November 2023.
Personendaten | |
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NAME | Dussel, Enrique |
ALTERNATIVNAMEN | Dussel, Enrique D. |
KURZBESCHREIBUNG | argentinischer Philosoph, Historiker und Theologe |
GEBURTSDATUM | 24. Dezember 1934 |
GEBURTSORT | Mendoza (Argentinien) |
STERBEDATUM | 5. November 2023 |
STERBEORT | Mexiko-Stadt, Mexiko |