Karl Christ
Karl Christ (* 6. April 1923 in Ulm/Donau; † 28. März 2008 in Marburg) war ein deutscher Althistoriker. Der „Nestor der deutschen Althistorie“ gilt als „Pionier der Wissenschafts- und Rezeptionsgeschichte seines Faches“.[1] Seine Arbeiten zur römischen Republik und Kaiserzeit galten lange als Standardwerke. Seine sammelbiographischen Bände Von Gibbon zu Rostovtzeff (1972) und Neue Profile der Alten Geschichte (1990) wurden unverzichtbare Bestandteile einer Historiographiegeschichte.
Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Sohn eines Kaufmanns legte 1940 am Humanistischen Gymnasium seiner Geburtsstadt das Abitur ab. Er hatte sich 1940 freiwillig als Offiziersanwärter für die Wehrmacht gemeldet. Erst nach dem anschließenden Kriegsdienst bis 1944 und der sowjetischen Kriegsgefangenschaft konnte er sich 1948 der Wissenschaft zuwenden. Bis 1954 studierte er Altertumswissenschaften und Geographie an den Universitäten Tübingen und Zürich. In Tübingen wurde er vor allem von Joseph Vogt, in Zürich von Ernst Meyer gefördert. Es war auch Vogt, der ihn 1953 mit einer Arbeit zu Drusus promovierte. Nach dem Staatsexamen für das Höhere Lehramt 1954 arbeitete er sich bis 1958 im Rahmen eines Stipendiums der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik in die Numismatik ein. Ein Thema aus diesem Gebiet lag auch der Habilitation bei Fritz Taeger in Marburg 1959 zu Grunde. Dieser Universität blieb er – trotz Rufen nach Aachen (1966) und Zürich (1968) – treu, von 1965 bis zu seiner Emeritierung 1988 als ordentlicher Professor. Zu seinen Schülern gehörten Klaus Bringmann, Alexander Demandt, Dieter Flach, Peter Kneißl, Hartmut Leppin und Volker Losemann.
1957 wurde Karl Christ zum korrespondierenden Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) gewählt. Seit 1966 war er zudem Mitglied der Historischen Kommission für Hessen. Seit 1984 gehörte er der Accademia di scienze morali e politiche Napoli, seit 1993 dem Istituto Lombardo an. Am 18. Mai 1993 wurde er durch eine Ehrenpromotion der Freien Universität Berlin geehrt. Christ war verheiratet und hatte drei Kinder.
Christ begann 1999 damit, seine Erinnerungen in skizzenhafter Form für seine Familie niederzuschreiben. Schwerpunkt sind hierbei der Zweite Weltkrieg und Christs eigene Erfahrungen als Soldat. 2006 übergab er dieses sogenannte Lebensmosaik an seine Verwandten. Der Historiker Stefan Rebenich hatte diese Aufzeichnungen 2023 ausgewertet und öffentlich bei der Verleihung des Karl-Christ-Preises für Alte Geschichte 2023, die mit einem mit Symposion zum 100. Geburtstag von Christ verknüpft war, vorgetragen.[2][3]
Zu seinem 85. Geburtstag am 6. April 2008 hatte die Universität Marburg ein Fest-Kolloquium geplant, welches dann wegen des Todes des Geehrten wenige Tage zuvor ihm „zu Ehren und zum Angedenken“ veranstaltet wurde.[4]
Wissenschaftliches Werk
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Schwerpunkte von Karl Christs Arbeit in Forschung und Lehre lagen seit der Promotion im Bereich der Römischen Geschichte. Viele seiner Bücher, die teilweise in mehreren Auflagen und in Übersetzung erschienen sind, gelten heute als Standardwerke, vor allem die Geschichte der römischen Kaiserzeit von 1988. Sein Hauptverdienst besteht jedoch darin, dass er die Beschäftigung mit der Geschichte seines Faches in Deutschland inauguriert hat.[5] Seine Forschungen auf diesem Gebiet reichen vom 18. Jahrhundert bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg; so konnte er noch kurz vor seinem Tod eine Biographie des Historikers und Dichters Alexander Graf Schenk von Stauffenberg vorlegen. Dieses Buch schließt die Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus ab, für die Christs Wirken einen vollständigen Neuansatz bedeutete – eine Aufgabe umso schwerer, als viele der belasteten Wissenschaftler noch am Leben oder zumindest ihre Schüler auf Lehrstühlen und in einflussreichen Posten der Wissenschaftsverwaltung und -förderung tätig waren.[6]
Karl-Christ-Preis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Goethe-Universität Frankfurt am Main und die Universität Bern loben 2012 einen Karl-Christ-Preis aus, der 2013 zum ersten Mal an Wilfried Nippel verliehen wurde. Der Preis zeichnet in einem zweijährigen Turnus „herausragende wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Alten Geschichte und ihrer Nachbardisziplinen sowie der Wissenschafts- und Rezeptionsgeschichte des Altertums aus“.[7]
Schriften (Auswahl)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Nero Claudius Drusus. Tübingen 1953 (ungedruckte Dissertation).
- Drusus und Germanicus. Der Eintritt der Römer in Germanien. Schöningh, Paderborn 1956.
- Antike Münzfunde Südwestdeutschlands. Münzfunde, Geldwirtschaft und Geschichte im Raume Baden-Württembergs von keltischer bis in alamannische Zeit (= Vestigia. Beiträge zur alten Geschichte. Bd. 3, 1–2). 2 Bände (Bd. 1: Untersuchung. Bd. 2/5: Anmerkungen, Tabellen, Karten, Diagramme und Tafeln.). Quelle & Meyer, Heidelberg 1960.
- Die Fundmünzen der römischen Zeit in Deutschland. 4 Bände, Mainz 1963/1964.
- Die Griechen und das Geld. In: Saeculum, Bd. 15, 1964, S. 214–229. ISSN 0080-5319
- Antike Numismatik. Einführung und Bibliographie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1967 (3., unveränderte Auflage. ebenda 1991, ISBN 3-534-03707-3).
- Von Gibbon zu Rostovtzeff. Leben und Werk führender Althistoriker der Neuzeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1972, ISBN 3-534-06070-9 (3., um einen Nachtrag erweiterte Auflage. Ebenda 1989).
- Römische Geschichte. Einführung, Quellenkunde, Bibliographie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1973, ISBN 3-534-04908-X (5. Auflage, ebenda 1994, ISBN 3-534-04908-X).
- als Herausgeber: Hannibal (= Wege der Forschung. Bd. 371). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1974, ISBN 3-534-06077-6.
- Krise und Untergang der römischen Republik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1979, ISBN 3-534-08061-0 (8. Auflage, (unveränderter Nachdruck der 7. Auflage 2010). Ebenda 2013, ISBN 978-3-534-20041-2).
- Die Römer. Eine Einführung in ihre Geschichte und Zivilisation. Beck, München 1979, ISBN 3-406-04453-0 (3., überarbeitete Auflage. ebenda 1994, ISBN 3-406-38504-4).
- Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. Beck, München 1982, ISBN 3-406-08887-2.
- Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. 3 Bände. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982–1983;
- Band 1: Römische Republik und Augusteischer Principat. 1982, ISBN 3-534-08337-7;
- Band 2: Geschichte und Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit. 1983, ISBN 3-534-08338-5;
- Band 3: Wissenschaftsgeschichte. 1983, ISBN 3-534-08339-3.
- als Herausgeber: Sparta (= Wege der Forschung. Bd. 622). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-08809-3.
- Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Augustus zu Konstantin. Beck, München 1988, ISBN 3-406-33327-3 (6. Auflage mit aktualisierter Bibliographie. Ebenda 2009, ISBN 978-3-406-59613-1) (russische Übersetzung 1997).
- Neue Profile der Alten Geschichte. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1990, ISBN 3-534-10289-4.
- Caesar. Annäherungen an einen Diktator. Beck, München 1994, ISBN 3-406-38493-5.
- Griechische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte (= Historia. Einzelschriften. Bd. 106). Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06915-1.
- Von Caesar zu Konstantin. Beiträge zur römischen Geschichte und ihrer Rezeption. Beck, München 1996, ISBN 3-406-40521-5.
- Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. Beck, München 1999, ISBN 3-406-45312-0.
- Die römische Kaiserzeit. Von Augustus bis Diokletian. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47052-1 (4. Auflage, ebenda 2011, ISBN 978-3-406-47052-3).
- Sulla. Eine römische Karriere. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49285-1 (Unveränderter Nachdruck, 4. Auflage. ebenda 2011, ISBN 978-3-406-61724-9; in spanischer Sprache: Sila. Herder, Barcelona 2006, ISBN 84-254-2415-1).
- Hannibal. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15414-2 (italienische Übersetzung 2005, spanische Übersetzung 2006).
- Pompeius. Der Feldherr Roms. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51543-6 (Rezension von Stefan Rebenich) (spanische Übersetzung 2006).
- Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54181-X.
- Der andere Stauffenberg. Der Historiker und Dichter Alexander von Stauffenberg. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56960-9.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Alexander Demandt: Zum Tode des Marburger Althistorikers Karl Christ. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. April 2008, S. 35.
- Peter Kneißl, Volker Losemann (Hrsg.): Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1988, ISBN 3-534-03564-X.
- Peter Kneißl, Volker Losemann (Hrsg.): Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag. Steiner, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-06929-1.
- Christiane Kunst: Karl Christ (Ordinarius 1965–1988). In: Volker Losemann, Kai Ruffing (Hrsg.): In solo barbarico ... Das Seminar für Alte Geschichte der Philipps-Universität Marburg von seinen Anfängen bis in die 1960er Jahre. Münster/New York 2018, S. 251–267.
- Hartmut Leppin, Stefan Rebenich: Karl Christ. In: Elke Stein-Hölkeskamp, Karl-Joachim Hölkeskamp: Ethos – Ehre – Exzellenz. Antike Eliten im Vergleich (= Karl-Christ-Preis für Alte Geschichte. Bd. 3). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, S. 8–12.
- Hartmut Leppin: Christ, Karl. In: Peter Kuhlmann, Helmuth Schneider (Hrsg.): Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 6). Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02033-8, Sp. 228–229.
- Volker Losemann (Hrsg.): Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Gedenkschrift für Karl Christ (= Philippika. Bd. 29). Harrassowitz, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-447-05905-3.
- Volker Losemann: Akademischer Klimawandel. In: Marburger UniJournal. Nr. 31, Oktober 2008, ISSN 1616-1807, S. 16–18, Online-Ausgabe, (Zum Tode von Karl Christ).
- Volker Losemann: Prof. Dr. Dr. h. c. Karl Christ. In: Anzeiger für die Altertumswissenschaft. Bd. 61, 2008, S. 125–128.
- Wilfried Nippel: Karl Christ (1923–2008). In: Süddeutsche Zeitung. Jg. 64, Nr. 77, 2. April 2008, S. 16.
- Leandro Polverini: Karl Christ †. In: Gnomon. Bd. 82, 2010, S. 476–479.
- Frank Raberg: Biografisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm 1802–2009. Thorbecke, Ostfildern 2010, ISBN 978-3-7995-8040-3, S. 59.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Karl Christ im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Karl Christ in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Karl Christ bei Perlentaucher
- Christ, Karl. Hessische Biografie. (Stand: 15. April 2021). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Philipps-Universität Marburg: Lebensleistung von Karl Christ (1923–2008) gewürdigt.
- ↑ Alexander Thies: Tagungsbericht Symposion zum 100. Geburtstag von Karl Christ. In: boris.unibe.ch. Abgerufen am 20. Dezember 2023.
- ↑ Stefan Rebenich: Die Schreie der Niedergewalzten gellten noch lange. In: faz.net. 19. Dezember 2023, abgerufen am 20. Dezember 2023.
- ↑ Volker Losemann (Hrsg.): Alte Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik. Wiesbaden 2009. Die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge wird von einer vollständigen Liste der Schriften Christs – 589 Nummern, einschließlich Rezensionen und Zeitungsartikeln – sowie einer Aufstellung der betreuten Promotionen (23) und Habilitationen (3) begleitet.
- ↑ Als programmatisch gilt der Aufsatz: Zur Entwicklung der Alten Geschichte in Deutschland. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Bd. 10, 1971, S. 577–593. Der Text war ursprünglich der Kern eines Antrags an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der dort nicht einmal behandelt wurde.
- ↑ Eine erste übergreifende Darstellung hat dann schon 1975 sein Schüler Volker Losemann als Dissertation vorgelegt, gekürzt veröffentlicht als: Nationalsozialismus und Antike. Studien zur Entwicklung des Faches Alte Geschichte 1933–1945 (= Historische Perspektiven. Bd. 7). Hoffmann & Campe, Hamburg 1977, ISBN 3-455-09219-5. Schon der Verlag lässt erkennen, dass die Veröffentlichung nicht ohne Probleme erfolgte.
- ↑ Abteilung für Alte Geschichte und Rezeptionsgeschichte der Antike. Karl-Christ-Preis für Alte Geschichte. Abgerufen am 28. Dezember 2016.
Personendaten | |
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NAME | Christ, Karl |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Althistoriker |
GEBURTSDATUM | 6. April 1923 |
GEBURTSORT | Ulm |
STERBEDATUM | 28. März 2008 |
STERBEORT | Marburg |