Gemeindeordnung von Medina

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Die sogenannte Gemeindeordnung von Medina oder Verfassung/Konstitution von Medina (arabisch صحيفة المدينة, DMG Ṣaḥīfat al-Madīna; oder: ميثاق المدينة, DMG Mīṯāq al-Madīna) ist ein Bündnisvertrag, den der islamische Prophet Mohammed nach seiner Ankunft in der Stadt Yathrib (später: Medina) im Jahr 622 zwischen den Auswanderern aus Mekka und seinen Helfern in Yathrib schloss. Durch den zweiten Teil des Vertrags sind auch verschiedene jüdische Stämme in das Bündnis eingeschlossen. Das Dokument ist in Ibn Hischāms Bearbeitung von Ibn Ishāqs Prophetenbiographie überliefert; eine defektive Version ist außerdem in dem Kitāb al-Amwāl des Abū ʿUbaid al-Qāsim ibn Sallām (gest. ca. 837) enthalten.

Der Begriff „Gemeindeordnung“ als Bezeichnung für das Schriftstück wurde von Julius Wellhausen geprägt.[1] In dem Text selbst wird das Dokument am Anfang einfach nur als Kitāb („Schriftstück“, „Buch“)[2] und am Ende mehrfach als Ṣaḥīfa („Blatt“, „Schriftrolle“)[3] bezeichnet. In der Sekundärliteratur kommen neben „Gemeindeordnung“ auch Begriffe wie „Verfassung“, „Constitution“, „Charta“ usw. von Medina vor, Bezeichnungen, die allerdings „wenig glücklich sind, weil sie zu unsachgemäßen Assoziationen führen können“.[4] Die Frage, ob es sich um einen Bündnisvertrag oder die erste Verfassung des islamischen Staates handelt, wird bis heute unter muslimischen Gelehrten und Intellektuellen intensiv diskutiert.[5]

Aufbau und Inhalt

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Ziel des Vertrags war, die Feindseligkeiten und Clan-Rivalitäten unter den Vertragspartnern zu beenden und sie gegen Bedrohungen von außen zu vereinigen. Hierzu wurde eine Liste von (nicht auf der Scharia beruhenden) Rechten und Pflichten für die Unterzeichner aufgestellt, mit denen sie die Grundlage schufen, sich künftig als einzige und einige Gemeinschaft (Umma wāḥida) zu definieren.

Wellhausen, der den Text des Dokuments zum ersten Mal untersuchte, teilte ihn in 47 Paragraphen ein. In der Edition von Michael Lecker ist der Text in 64 Paragraphen eingeteilt.[6] Die überlieferte Version des Dokuments stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 627.

Am Anfang des Dokuments wird festgestellt, dass es sich um „einen Vertrag Mohammeds, des Propheten, zwischen den Gläubigen und Muslimen der Quraisch und von Yathrib und jenen, die ihnen folgen, ihnen verbunden sind und zusammen mit ihnen kämpfen“, (§ 1) handelt.[7] Sie seien „eine einzige Umma, die sich von anderen unterscheidet“ (§ 2). Anschließend werden die neun wichtigsten Vertragsparteien genannt. Dazu gehören die muslimischen „Auswanderer der Quraisch“ (§ 3), die als eine einheitliche Gruppe betrachtet werden, und acht Clane aus Yathrib, die sich aus Untergruppen (ṭawāʾif) zusammensetzen (§§ 4-11). Von jeder Gruppe heißt es, sie solle ihre tribale Organisation (ribāʿa) beibehalten und sei für die Zahlung von Blutgeld und Lösegeld unter ihren Angehörigen verantwortlich. Bei den Clanen aus Yathrib wird zusätzlich vermerkt, dass sie an ihre früheren Blutgeld-Abmachungen (maʿāqilu-hum al-ūlā) gebunden seien. Allerdings wird diese Solidaritätspflicht auf die Gläubigen (muʾminūn) unter ihnen eingeschränkt. In § 23 werden die Vertragsparteien aufgefordert, Streitfälle durch Mohammed schlichten zu lassen.

Der zweite Teil des Dokuments (ab § 27) befasst sich mit den Beziehungen zu den jüdischen Stämmen von Yathrib und ihren biṭāna (§ 39), d. h. ihren beduinischen Verbündeten.[8] In § 49 wird erklärt, dass das Tal von Yathrib für alle Vertragspartner geheiligt sei.

Die Frage, wer nach dem Tode des Propheten die Urkunde mit der Gemeindeordnung erhalten hatte, war unter Schiiten und Sunniten umstritten. Während erstere annahmen, dass er sie ʿAlī ibn Abī Tālib anvertraut hatte, wurde in sunnitischen Texten überliefert, dass ʿUmar ibn al-Chattāb der Empfänger war.[9]

  • Michael Lecker: Constitution of Medina. In: The Encyclopaedia of Islam. THREE. Brill Online, 2017. Digitalisat
  • Saïd Amir Arjomand: The constitution of Medina. A sociolegal interpretation of Muhammad’s acts of foundation of the umma (= International Journal of Middle East Studies. Band 41, Nr. 4). 1. November 2009, S. 555–575 (Online [abgerufen am 5. November 2021]).
  • Serdar Demirel: The Prophet Muhammad’s Models of Coexistence and the Constitution of Medina. In: The Journal of Rotterdam Islamic and Social Sciences. Band 4, Heft 1 (2014), S. 1–10, doi:10.2478/jriss-2014-0001
  • Frederick Mathewson Denny: Umma in the Constitution of Medina (= Journal of Near Eastern Studies. Band 36). 1977, S. 39–47, JSTOR:544125.
  • Hans Jansen: Mohammed. Eine Biographie. (2005/2007) Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-56858-9, S. 225–229 (Die Konstitution von Medina).
  • Tilman Nagel: Die Verfassung von Medina, in: Materialdienst der EZW 79/4 (2016), 141-145.
  • Uri Rubin: The 'Constitution of Medina' Some Notes, in: Studia Islamica 62 (1985), 5-23. doi:10.2307/1595521
  • Günter Schaller: Die ‚Gemeindeordnung von Medina‘ – Darstellung eines politischen Instrumentes. Ein Beitrag zur gegenwärtigen Fundamentalismus-Diskussion im Islam. Augsburg, Univ., Diss. 1985. Digitalisat
  • Richard B. Serjeant: The Sunna Jāmiʿah, Pacts with the Yathrib Jews, and the Taḥrīm of Yathrib. Analysis and Translation of the Documents Comprised in the So-Called ‘Constitution of Medina’. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies (BSOAS). Band 41, 1978, S. 1–42, doi:10.1017/S0041977X00057761.
  • Harald Suermann: Die Konstitution von Medina. Erinnerung an ein anderes Modell des Zusammenlebens. In: Collectanea Christiana Orientalia. Band 2, 2005, S. 225–244, doi:10.21071/cco.v2i.693.
  • W. Montgomery Watt: Muhammad at Medina. Clarendon Press, Oxford 1956, S. 221–228.
  • Julius Wellhausen: Mohammeds Gemeindeordnung von Medina. Skizzen und Vorarbeiten. Bd. IV. Reimer, Berlin, 1889. S. 65–83, archive.org

Einzelnachweise

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  1. Julius Wellhausen: Mohammeds Gemeindeordnung von Medina (= Skizzen und Vorarbeiten. Band IV). Reimer, Berlin 1889, S. 65–83 (archive.org [abgerufen am 23. Juli 2014]).
  2. Abd el-Malik Ibn Hischâm: Kitāb Sīra Rasūl Allāh. Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâq. Aus den Handschriften zu Berlin, Leipzig, Gotha und Leyden. Hrsg.: Ferdinand Wüstenfeld. Band 1. Dieterichsche Universitäts-Buchhandlung, Göttingen 1858, S. 341, Zeile 4 (archive.org [abgerufen am 26. Juli 2014]).
  3. Abd el-Malik Ibn Hischâm: Kitāb Sīra Rasūl Allāh. Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâq. Aus den Handschriften zu Berlin, Leipzig, Gotha und Leyden. Hrsg.: Ferdinand Wüstenfeld. Band 1. Dieterichsche Universitäts-Buchhandlung, Göttingen 1858, S. 343 f. (archive.org [abgerufen am 26. Juli 2014]).
  4. Albrecht Noth: Früher Islam. In: Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt. 2., durchgesehene Auflage. C.H. Beck, München 1991, ISBN 3-406-31488-0, S. 32.
  5. Ḥilmī M. Zawātī: Is Jihad a Just War? War, Peace, and Human Rights Under Islamic and Public International Law (= Studies in Religion and Society. Band 53). Mellen, Lewiston NY 2001, ISBN 0-7734-7304-1, S. 56 (books.google.de [abgerufen am 23. Juli 2014]).
  6. Michael Lecker: The ‘Constitution of Medina’. Muḥammad’s First Legal Document (= Studies in Late Antiquity and Early Islam. Band 23). Darwin Press, Princeton NJ 2004, ISBN 0-87850-148-7, S. 7–31.
  7. Die Übersetzung folgt William Montgomery Watt, Alford T. Welch: Der Islam I. Mohammed und die Frühzeit, islamisches Recht, religiöses Leben. Kohlhammer, Stuttgart 1980, S. 96 f.
  8. Michael Lecker: The ‘Constitution of Medina’. Muḥammad’s First Legal Document (= Studies in Late Antiquity and Early Islam. Band 23). Darwin Press, Princeton NJ 2004, ISBN 0-87850-148-7, S. 153–155.
  9. Michael Lecker: The ‘Constitution of Medina’. Muḥammad’s First Legal Document (= Studies in Late Antiquity and Early Islam. Band 23). Darwin Press, Princeton NJ 2004, ISBN 0-87850-148-7, S. 194–200.