Untermensch

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Auszug aus einem Ahnenpaß mit den Kapiteln „Der Rassegrundsatz“ und „Der Begriff der arischen Abstammung“

Untermensch ist ein Begriff aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten und der Eugeniker. In der Ideologie des Nationalsozialismus galten die „Arier“, also besonders die germanischen Völker, den übrigen als überlegen. Auch Vertreter anderer Gesinnungen verwendeten diesen Begriff, wenn auch nicht unbedingt in rassistischen Zusammenhängen. So nannte 1932 der Reichstagsabgeordnete der SPD Kurt Schumacher zwei Mitglieder der NSDAP Untermenschen, die ihn beleidigt hatten und gerichtlich verurteilt worden waren.[1]

Insbesondere die Juden galten für die Nationalsozialisten als schlimmste Feinde. Schon in Adolf Hitlers Buch Mein Kampf wurden sie als „Volksverderber“ oder „Reichsfeinde“ gebrandmarkt und bereits kurz nachdem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren drangsaliert und verfolgt. Die Nürnberger Rassengesetze von 1935 legten fest, wer als Jude oder „Mischling“ galt und wer „Arier“ war. Aber auch andere „Fremdrassige“, „Schwarze“ oder „Zigeuner“, ferner als „minderwertig“ geltende Minderheiten der deutschen Mehrheitsbevölkerung wie „Asoziale“ wurden als „Untermenschen“ angesehen, verfolgt und waren von Vernichtung bedroht.

Die Nationalsozialisten konnten sich dabei zum Teil auf volkstümliche Einstellungskomplexe wie Antisemitismus und Antiziganismus stützen.

Der Philologe Victor Klemperer stellte in seinen Tagebüchern aus der Zeit des Nationalsozialismus (Eintrag vom 26. Dezember 1940) folgende Betrachtung an:

„Ich finde im Stechlin, Kapitel 33 (Seite 342): ‚Jetzt hat man statt des wirklichen Menschen den so genannten Übermenschen etabliert; eigentlich aber gibt es bloß noch Untermenschen …‘ Man wird die meisten neuen Worte vereinzelt schon lange vor ihrer Neuheit finden. (Ich nehme an, daß auch Fontane den ‚Untermenschen‘ nicht erfunden hat, das Gegenstück zu Übermensch lag in der Luft.) Aber das tut ihrer Neuheit keinen Abbruch. Sie sind neu in dem Augenblick, wo sie als Ausdruck einer neuen Gesinnung oder neuen Sache auftauchen und in Mode kommen. Insofern ist Untermensch doch ein spezifisches und neues Wort in der Sprache des Dritten Reiches.“

In dem ihrer Verwendung des Begriffs am nächsten kommenden Sinne hatten die Nationalsozialisten den Terminus „Untermensch“ vom Titel der deutschen Übersetzung des 1922 erschienenen Buches The Revolt against Civilization: The Menace of the Under Man (dt.: Der Kulturumsturz – Die Bedrohung durch den Untermenschen 1925) des US-amerikanischen Anthropologen, Rassentheoretikers und Eugenikers Lothrop Stoddard übernommen. Da selbst die meisten englischsprachigen Historiker nicht wissen, dass das Wort ursprünglich von einem Amerikaner stammt, wird der Begriff zumeist anders ins Englische rückübersetzt, als sub-human beziehungsweise subhuman. Ein führender Nationalsozialist, der Stoddard als Schöpfer der Formel vom slawischen „Untermenschen“ identifiziert, ist Alfred Rosenberg, der in seinem Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) schreibt, dass der typische russische Bolschewist ein Vertreter jener Art von Mensch sei, „den Lothrop Stoddard als ‚Untermenschen‘ bezeichnete“ (S. 214). Obwohl er dies selbst nicht explizit so ableitet und der Begriff „Untermensch“ bei Nietzsche selbst nicht auftaucht, mag auch Stoddard bei seiner Wortschöpfung von Friedrich Nietzsches Konzept des Übermenschen beeinflusst gewesen sein. Jedenfalls demonstriert Stoddard in einer Passage seines Buches (S. 261), dass er mit dem Begriff vertraut ist.[2]

Den Begriff Untermensch verwendete auch der konservative Publizist Paul Rohrbach wiederholt. In der Zeitschrift Gewissen äußerte er sich wie folgt:

„Was ist das, der Untermensch? Kein Begriff, keine bloße Idee, kein Sinnbild und kein Gleichnis, sondern etwas schreckhaft Lebendiges. Wenn wir sagen, daß unsere Volkszukunft bedroht ist durch den Untermenschen, so heißt das: unter uns verkleinert sich die Zahl der Menschen, deren Erbmasse reich genug an Tüchtigkeit ist! […] Wo kommt der Untermensch her? Er kommt nirgends her, er ist da, von Anfang an und in jedem Volk.“[3]

Unter der Heraufkunft des Untermenschen verstand Rohrbach eine zunehmende Vermassung, die übermäßige Vermehrung der Unterschicht und den Verlust vermeintlich höherwertigen Erbgutes innerhalb des Volkes. Gegen Ende von Rohrbachs Roman Der Tag des Untermenschen (1929) äußert der Protagonist:

„Eine Gnadenwahl des Blutes schlechthin will ich nicht behaupten. Aber der Untermensch ist da von Anfang an und in jedem Volk; nur war er nicht das Volk. Noch ist er es nicht – aber er schickt sich an, es zu werden.“[4]

Himmlers Broschüre Der Untermensch von 1942

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Als im Sommer 1941 die Wehrmacht in die Sowjetunion einfiel, veröffentlichte der Reichsführer SS Heinrich Himmler eine Broschüre mit dem Titel Der Untermensch. Das Heft sollte die deutsche Bevölkerung zum Hass gegen die Völker der Sowjetunion aufstacheln (nicht wie oft angenommen gegen die „slawischen Völker“, denn dieser Ausdruck taucht in der Broschüre nicht auf, allerdings fällt der Ausdruck „Osteuropa“) und die Kampfmoral der Truppen stärken.

Das Heft enthielt weniger Informationen über die Sowjetunion und den Kommunismus, sondern bestärkte vor allem primitive rassistische Vorurteile. Der überwiegende Teil bestand aus Fotos, die in entstellter Form sowjetische – und nicht, wie oft angenommen, nur russische – Kriegsgefangene mit fratzenhaften Gesichtern zeigten.

Bereits im Kinofilm Die Nibelungen von Fritz Lang wird der Schmied Mime als Untermensch dargestellt.[5] Auch die Wochenschau zeigte regelmäßig Propagandafilme über den „Russlandfeldzug“. Einfach gebaute russische Holzhäuser, ärmlich gekleidete Bauern und schlechte Straßen sollten die Deutschen davon überzeugen, wie primitiv die Russen lebten. Zugleich sollte der deutsche Einmarsch gegenüber der breiten Öffentlichkeit begründet werden.

In einigen deutschen Nachkriegsfilmen, aber auch in den deutschen Fassungen ausländischer Streifen (u. a. mit Louis de Funès) wird der Begriff „Untermensch“ verwendet, allerdings nicht im Zusammenhang mit einer Herabwürdigung von Angehörigen fremder Völker, sondern als Bezeichnung für charakterlich tiefstehende Angehörige des eigenen Volkes.

Schleichende Rücknahme der Broschüre Der Untermensch

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Schon Ende 1941 kam es zu ersten Differenzen zwischen dem Reichsführer SS Heinrich Himmler und der Wehrmacht wegen der Herausgabe jener Broschüre. Einige Befehlshaber der Wehrmacht waren der Meinung, man könne die sowjetische Bevölkerung durch eine liberale Politik gewinnen und sie sich zum Verbündeten im Kampf gegen den Bolschewismus machen. Himmler widersprach dem entschieden, weil die Völker der Sowjetunion seiner Meinung nach minderwertig waren. Dennoch wurde im Laufe des Jahres 1942 der Verkauf der Broschüre eingestellt.

Die Nationalsozialisten benötigten klare, in der Bevölkerung populäre Feindbilder. Solche waren der „Ewige Jude“ und der „bolschewistische Untermensch“. Alles, was die Nationalsozialisten, aber auch andere rechtsextremistische Kräfte wie die Deutschnationalen bekämpften (Judentum, Pazifismus, Demokratie, Kommunismus, Freimaurerei), wurde in diese Feindbilder einbezogen (siehe auch: Holocaust, Kirchenkampf).

„Untermensch-Propaganda“ in anderen Staaten

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Im Rahmen der Kriegsverbrechen der Japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg fanden in China und Südostasien Menschenversuche an Kriegsgefangenen und Zivilisten statt. Die Einheit 731 wurde später für biologische und chemische Menschenversuche mit Krankheitserregern und Kampfstoffen bekannt, beispielsweise mit Pesterregern, Pockenerregern und Kampfgasen. Die Versuchspersonen in diesen Gefangenenlagern wurden von den Japanern als maruta (japanisch für ‚Holz‘, ‚Material‘, ‚Rohstoff‘) bezeichnet, worin eine Geringschätzung ähnlich derjenigen des „Untermenschen“ zum Ausdruck kommt.

Despezifikation des Feindes

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Für Domenico Losurdo gibt es in der Neuzeit, nämlich im totalen Krieg und im Kolonialismus, zwei Arten, mit denen der Nächste aus der Gemeinschaft der Menschen ausgeschlossen und für Mitleid unzugänglich gemacht werden soll, damit brutale Gewalt sich entfalten kann:

  1. „naturalistische Despezifikation“, die die Voraussetzungen für den Ausschluss aus der menschlichen Gesellschaft auf ethnischer oder rassistischer Ebene feststellt und darauf aus ist, dem Gegner insgesamt das Menschsein abzusprechen;
  2. Despezifikation auf politisch-moralischer Basis, so dass der Feind aus der politisch-sozialen Wertegemeinschaft ausgeschlossen und bekämpft werden kann.

Dabei könne es in den Auseinandersetzungen auf politisch-moralischer Basis, wie sie für Revolutionen und Bürgerkriege kennzeichnend sind, leicht zu Überschreitungen in naturalistische Despezifikation kommen, ehe zum Gedanken von der Einheit des Menschengeschlechts zurückgekehrt wird.[6]

Verwendung in anderen Kontexten

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Während des Israel-Gaza-Krieges 2023 verwendete Arieh King, stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem, den Begriff Untermenschen für von der israelischen Armee in einer Sandgrube festgesetzte Palästinenser. King erklärte, hätte er die Entscheidungsgewalt, hätte er die Gefangenen mit Bulldozern lebendig begraben; sie seien keine Menschen oder menschliche Tiere, sondern Untermenschen.[7] Dabei setzte er die Palästinenser mit dem mit den biblischen Israelis verfeindetem Volk der Amalekiter gleich, das gemäß biblischer Überlieferung durch die Israelis gänzlich getötet wurde. Jede Erinnerung an die Amalekiter müsse, so King, „ausgelöscht werden“.[7]

  • Domenico Losurdo: Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen. Nolte, Furet und die anderen. Papyrossa, Köln 2007, ISBN 978-3-89438-365-7.
Wiktionary: Untermensch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
  1. Rede Kurt Schumachers im Reichstag am 23. Februar 1932 als Replik auf Angriffe Joseph Goebbels auf seine Partei als „Partei der Deserteure“.
  2. Zu Stoddard und Rosenberg vgl. Domenico Losurdo: Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen. Nolte, Furet und die anderen. PapyRossa, Köln 2007, S. 21, 29 (Rosenberg), 191.
  3. Paul Rohrbach: Aufstieg und Untermensch. In: Gewissen. 9. Jahrgang, Nr. 12, 21. März 1927, S. 2–3.
  4. Paul Rohrbach: Der Tag des Untermenschen. Berlin 1929.
  5. Anton Kaes: Shell Shock Cinema: Weimar Culture and the Wounds of War. Princeton University Press, 2011, S. 138 [1]
  6. Domenico Losurdo (2007), S. 74–82.
  7. a b Gaza: Bilder von entkleideten Gefangenen sorgen für Kritik, Neue Zürcher Zeitung, 8. Dezember 2023, abgerufen am 14. Dezember 2023.