Haus Carstanjen
Haus Carstanjen (auch Villa Carstanjen, Haus von Carstanjen[1]) ist ein Schloss bzw. eine Villa in Plittersdorf, einem Ortsteil des Bonner Stadtbezirks Bad Godesberg. Es befindet sich oberhalb des Rheinufers (Von-Sandt-Ufer) an der Martin-Luther-King-Straße (Hausnummer 8) im Norden des Ortsteils und geht in seiner heutigen Form auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Das Anwesen steht einschließlich der Parkanlage als Baudenkmal unter Denkmalschutz[2] und umfasst auch einen 1967–70 als Bürogebäude für das Bundesschatzministerium entstandenen Erweiterungsbau. Seit 1996 wird es von den Vereinten Nationen genutzt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auerhof
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das schlossartige Anwesen geht auf die „Plittersdorfer Aue“ bzw. den „Auerhof“, einen Fronhof des Klosters Heisterbach, zurück. Das Kloster hatte den Hof gemäß Urkunden als Allod 1197 teilweise und 1318 vollständig[3] erworben. Im 18. Jahrhundert entstand der Kern des heutigen Baukörpers.[4] Im Zuge der Säkularisation (1802) gelangte der Hof in Staatsbesitz und wurde am 24. Februar 1807 vom Bankier Abraham Schaaffhausen erworben.
Der Auerhof verfügte als sogenannte villa rustica über einen umfangreichen wirtschaftlich genutzten Landbesitz, im Jahre 1824 über 490 Morgen, der von Pächtern bewirtschaftet wurde. Der zur Villa gehörige Garten umfasste eine Fläche von 25 Morgen und verfügte über Obstplantagen und Treibhäuser, die auf Betreiben von Schaaffhausen und seiner Tochter Sibylle angelegt worden waren. Nach dem Tod Schaaffhausens 1824 ging das Anwesen in den Besitz seiner Tochter Sibylle und ihres Mannes Joseph Ludwig Mertens über. In Folge des Todes ihres Mannes (1842) musste Sibylle den Auerhof verkaufen. Neuer Eigentümer wurde 1847 die Familie Solf.[5]
Schloss Carstanjen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1881 erwarb der Kölner Bankier Wilhelm Adolf von Carstanjen (1825–1900, 1881 geadelt) die Villa und bestimmte sie zu seinem Sommersitz, als den er sie aber nur wenige Jahre nutzte und frühzeitig seinem Sohn Robert übergab. Vermutlich im Zusammenhang mit seiner Adelung wandelte er den Hof zum Fideikommiss um.[6]:37 Er und sein Sohn Robert ließen anstelle des vorhandenen Gebäudes durch mehrfache Umbauten das heutige Schloss errichten:
- 1892 eine Erweiterung in neogotischen Formen nach Plänen der Architekten August Hartel und Skjøld Neckelmann (1854–1903)[4]
- 1894 ein neues Dörrhaus
- 1895–1896 eine Erweiterung nach Plänen des Kölner Architekten Johannes Baptist Kleefisch um einen Saalanbau an der Südostecke mit fünfgeschossigem Turm und einen Küchenanbau an der Südwestecke sowie die Errichtung des Mausoleums von Carstanjen
- 1906–1907 eine Aufstockung des alten Wohnhauses und der Anbau eines Nordturms[6]
- 1908 eine Gewächshausanlage
- 1918 eine 80 m lange Mauer für Spalierobst
Unter der Familie Carstanjen diente das Anwesen erneut als villa rustica und wurde laufend durch Landerwerbungen erweitert, der Schwerpunkt des Anbaus lag bei Äpfeln und Pflaumen.
Nach Vollendung des Umbaus wurde die Villa durch den Eigentümer Robert von Carstanjen 1907 als Schloss und der Hof mit einer Fläche von nunmehr 127 ha als Gut bezeichnet. Carstanjen nutzte das Anwesen in seinen letzten Lebensjahren als ständigen Wohnsitz.[5] Nach dessen Tod verkaufte seine Witwe den Auerhof am 11. August 1941 an den Reichsfiskus (Heer), er diente in der Folge als Heeres-Lehrer-Akademie.[6]:41[3]
Sitz von Bundeseinrichtungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Zweiten Weltkrieg blieb Haus Carstanjen unbeschädigt und wurde nach Kriegsende von alliierten Besatzungstruppen beschlagnahmt. Nach der Bestimmung Bonns 1949 zum Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland wurde das Anwesen nach seiner Entlassung aus der Beschlagnahme Mitte November 1949 vom Land Nordrhein-Westfalen dem Bund zur Unterbringung des Bundesministeriums für Angelegenheiten des Marshallplanes („ERP-Ministerium“) angeboten. Nach der Zustimmung des Bundesfinanzministers Anfang Dezember 1949 erfolgten auf Kosten des Bundes sofortige Investitionen in Höhe von 200.000 D-Mark und später weiteren 311.000 DM unter anderem in die überalterten Wasserleitungen und Heizungsanlagen des Hauses.[7]
Von 1950 bis zu dessen Auflösung 1969 beherbergte Haus Carstanjen das später mehrfach umbenannte ERP-Ministerium (zuletzt „Bundesschatzministerium“), zeitweise auch einen Teil des Bundesministeriums für Bauwesen, Raumordnung und Städtebau mit 120 Mitarbeitern (Stand: 1974)[8] und bis 1996 mehrere Abteilungen des an die Stelle des Bundesschatzministeriums getretenen Bundesministeriums der Finanzen. Nachdem die verbliebenen Ställe und Scheunen mit dem Gewächshaus abgerissen worden waren, wurde von 1967 bis 1970 für das Bundesschatzministerium nach einem Entwurf von Manfred Adams als Mitglied der Planungsgruppe der Bundesbaudirektion (spätere Planungsgruppe Stieldorf) und unter künstlerischer Beratung von Sep Ruf bei Kosten von etwa 12,5 Millionen DM ein aus vier Gebäuden bestehender Anbau errichtet.[9] In den 1970er Jahren verkaufte die Familie Carstanjen die Ländereien an den Bund, von denen Teile heute in den Rheinauenpark integriert sind.
1996 wurde der Gesamtkomplex Domizil der in Bonn ansässigen und in diesem Jahr neu hier angesiedelten UN-Organisationen. Der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali weihte den neuen UN-Standort am 20. Juni 1996 ein.[10][11] Zunächst bezogen ab dem 1. Juli 1996 das Freiwilligenprogramm (UNV), das Regionale Informationszentrum (UNRIC), am 12. August das Sekretariat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und am 5./6. Dezember das bereits zuvor in Bonn beheimatete Sekretariat des Übereinkommens zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten (CMS) mit zunächst insgesamt etwa 200 Mitarbeitern das Haus Carstanjen.[12][13][14] Während immer mehr UN-Institutionen das Gebäude bezogen, sanierte es der Bund für sieben Millionen Euro.[15] Im Frühjahr 2006 ist der Großteil der Organisationen in den Langen Eugen umgezogen, um sie räumlich enger zusammenzufassen („UN-Campus“). Im Haus Carstanjen verblieb zunächst ein Teil des Klimasekretariats. Von 2008 bis 2011 wurden dort Sanierungs- und Umbaumaßnahmen bei Kosten von 4,5 Millionen Euro durchgeführt. 2010 wurde um das Gelände auf Veranlassung des UN Department of Security and Safety ein Sicherheitszaun gezogen.[16] Am 1. Januar 2016 nahm im Haus Carstanjen das Wissenszentrum für nachhaltige Entwicklung der in Turin ansässigen Fortbildungsakademie des Systems der Vereinten Nationen (UNSSC) seine Arbeit auf.[17]
Architektur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Altbau besteht aus einem winkelförmigen, dreigeschössigen Baukörper, dem zwei Rundtürme aufgesetzt sind.
Der von 1967 bis 1970 errichtete Neubau besteht aus zwei hintereinanderliegenden, dreigeschossigen und längsrechteckigen Gebäuden, einem siebenstöckigen, vorgelagerten Hochhaus und einem Kantinen-Flachbau. Letzterer ist über Wandelgänge mit dem Hochhaus und dem Altbau verbunden, die Holzkonstruktion ist vollständig verglast. Nur durch eine freistehende Ziegelmauer wird eine Unterteilung in Café und Restaurant erreicht. Die Bürobauten sind in Stahlbetonskelett-Bauweise ausgeführt, ihnen sind stählerne Umgänge vertikalen Sonnenschutz-Stahlrohrgestängen vorgelagert.
„Das kompositorische Zusammenspiel der unterschiedlich dimensionierten, filigran gegliederten Baukörper entfaltet im Park des Schlosses große plastische Wirkung.“
„Der Kontrast des gotisierenden alten Hauses mit den kühlen Neubauten aus Stahl und Stahlbeton in dem alten Park ist sehr reizvoll.“
Park Carstanjen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der südlich vom Haus Carstanjen gelegene Park hat eine Größe von ca. 27.000 Quadratmetern und ist der Öffentlichkeit zugänglich. Der Park zeichnet sich durch einen vielfältigen und zum Teil sehr alten Baumbestand aus. Da im Jahr 2020 zahlreiche Bäume gefällt wurden, hat sich eine Anwohnerinitiative gebildet („Die Baumwächter“), die sich für den Erhalt des Baumbestands und den angemessenen Ersatz gefällter Bäume einsetzt.[20]
Mausoleum Carstanjen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2005 wurde das ca. 350 Meter weiter südlich gelegene Mausoleum von Carstanjen der Familie an die Bürgerstiftung Rheinviertel vererbt. Nach einer zweijährigen Renovierungsphase, welche 300.000 Euro in Anspruch nahm, wurde die seit Jahrzehnten vernachlässigte Grabstätte 2007 zu einer modernen Nekropole, die bis zu 3.000 Urnen aufnehmen kann.[21]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914. Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, Band 3, Katalog (2), S. 26–41. (zugleich Dissertation Universität Bonn, 1994)
- Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, Band 1, S. 50–52. (zugleich Dissertation Universität Bonn, 1994)
- Andreas Denk, Ingeborg Flagge: Architekturführer Bonn. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-496-01150-5, S. 114.
- Ursel und Jürgen Zänker: Bauen im Bonner Raum 49–69. Versuch einer Bestandsaufnahme (= Landschaftsverband Rheinland [Hrsg.]: Kunst und Altertum am Rhein. Führer des Rheinischen Landesmuseums in Bonn. Nr. 21). Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969, S. 143/144.
- Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945: Bauten in der Bundeshauptstadt und ihrer Umgebung. Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn 1984, ISBN 3-7928-0479-4, S. 51.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Eintrag beim Weg der Demokratie
- Haus Carstanjen ( vom 4. März 2016 im Internet Archive), Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
- Zu Wilhelm Adolf von Carstanjen und seiner Mäzenaten- und Sammlertätigkeit
- Zur Geschichte des Hauses
- rheinische-geschichte.lvr.de
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Deutsche Grundkarte
- ↑ Denkmalliste der Stadt Bonn (Stand: 15. Januar 2021), S. 39, Nummer A 1654
- ↑ a b Wolfgang Henrich: Haus Carstanjen.
- ↑ a b Paul Clemen: Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Bonn. L. Schwann, Düsseldorf 1905, S. 325 f. (= Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz, Band 5, Abt. 3, S. 621 f.) (Unveränderter Nachdruck Verlag Schwann, Düsseldorf 1981, ISBN 3-590-32113-X) (Textarchiv – Internet Archive)
- ↑ a b Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer: 1819–1914. Band I
- ↑ a b c Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer 1819–1914. Band II.
- ↑ Stadt Bonn, Stadtarchiv (Hrsg.); Helmut Vogt: „Der Herr Minister wohnt in einem Dienstwagen auf Gleis 4“. Die Anfänge des Bundes in Bonn 1949/50. Bonn 1999, ISBN 3-922832-21-0, S. 204–206.
- ↑ Dietrich Höroldt: 25 Jahre Bundeshauptstadt Bonn: eine Dokumentation (=Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn, Band 14). Ludwig Röhrscheid Verlag, Bonn 1974, ISBN 978-3-7928-0374-5, S. 144.
- ↑ Der Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.); Wolfgang Leuschner: Bauten des Bundes 1965–1980. C. F. Müller, Karlsruhe 1980, ISBN 3-7880-9650-0, S. 39/40.
- ↑ Die Vereinten Nationen (VN) in Deutschland. ( vom 29. Juli 2009 im Internet Archive) Auswärtiges Amt
- ↑ 20. Juni 1996: Bonn wird deutsche UNO-Stadt ( vom 23. Dezember 2015 im Internet Archive), Stadt Bonn
- ↑ Bonn wird Entwicklungsstadt. In: Die Welt, 19. Juni 1996
- ↑ Bonn ist neue UN-Stadt. In: Die Welt, 21. Juni 1996
- ↑ Drucksache 13/6674 (PDF; 247 kB) Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 6. Januar 1997
- ↑ Bund baut in Bonn für über eine Milliarde Euro. General-Anzeiger, 3. November 2004
- ↑ Sicherheitszaun am Haus Carstanjen gibt Rästel auf. General-Anzeiger, 11. August 2010
- ↑ UN bauen weiter am „Powerhaus“ Bonn. General-Anzeiger, 4. März 2016
- ↑ Andreas Denk, Ingeborg Flagge: Architekturführer Bonn.
- ↑ Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945: Bauten in der Bundeshauptstadt und ihrer Umgebung.
- ↑ Der Park baumwaechter-park-carstanjen.jimdofree.com/. In: baumwaechter-park-carstanjen.jimdofree.com. Abgerufen am 24. August 2020 (deutsch).
- ↑ Letzte Ruhe am Rhein. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF) In: Rheinischer Merkur, Nr. 47 2007; abgerufen am 28. November 2009.
Koordinaten: 50° 42′ 16,1″ N, 7° 9′ 46,7″ O