Gunda-Werner-Institut

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Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie
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Gründung 2007
Gründer Gunda Werner und Henning von Bargen
Sitz Berlin
Schwerpunkt Feminismus, Gender, Frauen- und Männerpolitik
Eigentümerin Heinrich-Böll-Stiftung
Beschäftigte 7
Website www.gwi-boell.de

Das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie (GWI) ist eine 2007 gegründete Einrichtung der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen mit Sitz in Berlin-Mitte.[1]

Gründung und organisatorische Struktur

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Die grünennahe Stiftung „Frauen-Anstiftung“ e. V., 1987 von Frauen aus der Frauenbewegung gegründet, schloss sich 1997 mit den übrigen grünennahen Teilstiftungen wie der alten Heinrich-Böll-Stiftung sowie den grünennahen Landesstiftungen zur neuen Heinrich Böll Stiftung zusammen.[2] Feministisches Kernstück der Fusion war die Gründung eines feministischen Instituts (FI) sowie ein in der Satzung verankertes Gesamtkonzept Geschlechterdemokratie für die neue Stiftung.

Das FI war als „‚feministischer think tank‘ und Teil eines internationalen Netzwerks für Frauenforschung und Frauenpolitik konzipiert“ und trat 1998 unter Leitung des damaligen Vorstandsmitglieds Dr. Claudia Neusüß ins Leben.[3] Die Stabsstelle Gemeinschaftsaufgaben Geschlechterdemokratie der Böll-Stiftung, die mit Gunda Werner und Henning von Bargen 1998 ihre Arbeit aufgenommen hatte,[4] fusionierte 2007 mit dem Feministischen Institut zum Gunda-Werner-Institut, „um Feminismus, Frauen- und Männerpolitik organisatorisch unter ein gemeinsames Dach zu bringen“.[5] Der Name des Instituts wurde zu Ehren der Mitgründerin und Vorstandsfrau der ehemaligen Frauenanstiftung und bis zu ihrem Tod im Jahre 2000 an Gründung und Arbeit des Instituts maßgeblich beteiligten Gunda Werner gewählt.[4]

Das Institut hatte 2021 sieben Mitarbeiter beiderlei Geschlechts.[6] Seit 2007 fungierten Gitti Hentschel (bis 2015) und Henning von Bargen als Leitung des Instituts,[7][8] die dem Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung unterstellt ist. 2015 übernahm Ines Kappert die gemeinsame Leitung zusammen mit von Bargen.[4][9]

Ziele und Tätigkeiten

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Das GWI versteht sich als Schnittstelle von Wissenschaft und Politik und will einen „Theorie-Praxis-Transfer“ befördern.[10] Das Institut ist keine Forschungseinrichtung, sondern es veröffentlicht externe Forschung und arbeitet anhand dieser Grundlagen. Dem GWI komme als Think-Tank eine „strategische Vordenkerfunktion“ für die Heinrich-Böll-Stiftung zu, so der Politikwissenschaftler Ulrich Heisterkamp.[11]

Um Gender-Kompetenz in der beruflichen Praxis zu vermitteln, führt das GWI Weiterbildungen durch, die so konzipiert sind, dass die Teilnehmenden in Teams von Frauen und Männern zusammenarbeiten. Diese Norm der „geschlechterparitäischen Zusammensetzung“, die von Henning von Bargen und Angelika Blickhäuser entwickelt wurde, nahmen die Herausgeberinnen des Buchs Chancengleichheit durch Personalpolitik (2011) als Ausgangspunkt ihrer Analyse, die zeige, dass Gender-Trainings nach dieser Norm „als paradoxen Effekt Geschlechterungerechtigkeit“ bewirke. Angesichts der Erkenntnisse der Geschlechterforschung sei es problematisch davon auszugehen, dass ein Mann und eine Frau das Geschlechterverhältnis repräsentieren müssten.[12]

Das GWI entwickelte auch eine Gender-Toolbox in vier Sprachen mit Übungen und Materialien zum Thema Gender als Unterstützung für Multiplikatoren, z. B. in der Lehramtsausbildung.[13]

Mit „Schriften des Gunda-Werner-Instituts“ gibt das Institut zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung seit 2007 eine monografische Reihe heraus.

Der 2008 (aktualisierte Neuauflage 2012) erschienene Band 4 Soziale Sicherheit neu denken befasst sich aus feministischer Sicht mit den Diskussionen um das Bedingungslose Grundeinkommen. Darin kritisiert die Sozialwissenschaftlerin Susann Worschech, dass bei den Modellen zum Grundeinkommen der Gender-Aspekt zu wenig oder gar nicht berücksichtigt werde.

In ihrer Rezension des 2013 erschienenen Bandes 9 Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie. Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse zog Sarah Dellmann, Wissenschaftlerin von der Universität Utrecht, das Fazit: „Die Beschränkung auf einen methodenkritischen und wissenschaftstheoretischen Blick ermöglicht es den vier Autor/-innen, Positionen zu hinterfragen, die sich selbst als „objektiv“ und „neutral“ erklären. Es gelingt ihnen, den oft pauschal und polemisch an die Gender Studies gerichteten Unwissenschaftlichkeitsvorwurf als unhaltbar vorzuführen und als politisch motiviert zu entlarven, ohne dass sie selbst in Polemiken verfallen. So trägt diese Broschüre dazu bei, sich auf einer sachlichen Art mit den Ergebnissen der Geschlechterforschung und Strategien der Geschlechtergleichstellung auseinanderzusetzen.“[14]

Jan Fleischhauer im Spiegel[15] und Peter Mühlbauer in Telepolis[16] kritisierten, dass „Gendertheorie-Kritikern“ wie Volker Zastrow, Harald Martenstein oder Gerhard Amendt „argumentative Schnittstellen zur NPD oder der FPÖ zugewiesen“ wurden.

Im Juli 2017 schaltete die Böll-Stiftung das Internet-Projekt agentin.org frei, das nach eigener Angabe ein „Antifeminismus-kritisches Online-Lexikon“ ist. Redaktionell verantwortlich war das Gunda-Werner-Institut. Das Angebot stieß auf breite negative Kritik.[17] Am 4. August 2017 wurde es offline genommen. Ein Text informierte, dass die Seite derzeit überarbeitet und erweitert werde, um sie verständlicher und vielfältiger zu machen.[18] Am 4. November gab das GWI bekannt, das Projekt nicht weiterführen zu wollen.[19]

Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung teilte dazu in einer Stellungnahme am 7. August 2017 mit: „Die öffentlich und intern geübte Kritik am Format der ‚Agent*In‘ hat uns deutlich gemacht, dass dieser Weg nicht geeignet ist, die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung zu Antifeminismus zu führen. Wir bedauern sehr, dass durch die gewählte Form manche an antidemokratische Methoden erinnert werden und entschuldigen uns bei denjenigen, die sich möglicherweise persönlich verletzt fühlen.“[20] Der Soziologe Andreas Kemper, Mitbegründer der Agent*In, kündigte an, man werde das Projekt in einer überarbeiteten Form weiterführen.[21][22] 2018 ging es als „Diskursatlas Antifeminismus“ ohne Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung online.[23]

Einzelnachweise

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  1. Kai Gehring (MdB): Grußwort zum Festakt zur Gründung des „Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie“ am 15. Juni 2007 in Berlin, (pdf, 9 kB), abgerufen am 4. August 2017
  2. So läuft's. In: Die Tageszeitung: taz. 22. Februar 1996, ISSN 0931-9085, S. 15 (taz.de [abgerufen am 26. April 2024]).
  3. Zitiert nach Ulrich Heisterkamp: Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06858-5, S. 383, doi:10.1007/978-3-658-06858-5.
  4. a b c Ulrich Heisterkamp: Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06858-5, S. 384, Fn. 1411, doi:10.1007/978-3-658-06858-5.
  5. Ulrich Heisterkamp: Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06858-5, S. 384, doi:10.1007/978-3-658-06858-5.
  6. Das Gunda-Werner-Institut - Selbstdarstellung
  7. Statut des GWI, beschlossen in der Mitgliederversammlung am 20. April 2007 (pdf)
  8. [1], Porträt Gitti Hentschel
  9. "taz" verliert Leiterin des Meinungsressorts, Horizont am 1. Juni 2015, abgerufen am 4. August 2017
  10. Ulrich Heisterkamp: Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06858-5, S. 384 f., doi:10.1007/978-3-658-06858-5.
  11. Ulrich Heisterkamp: Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06858-5, S. 385, doi:10.1007/978-3-658-06858-5.
  12. Gertraude Krell, Renate Ortlieb, Barbara Sieben (Hrsg.): Chancengleichheit durch Personalpolitik. 6. überarbeitete Auflage, Gabler Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-8349-2979-2, Einleitung, S. 146–151
  13. Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hrsg.): Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung, Transcript Verlag, 2015, ISBN 978-3-8376-2822-7, Literatur S. 546
  14. Methodische Mängel der Gender-Gegner/-innen. Rezension von Sarah Dellmann. Querelles, Jg. 15, Nr. 2 (2014), online auf querelles.net, abgerufen am 12. August 2017
  15. Jan Fleischhauer: Vorsicht, Gender-Gegner! In: Spiegel Online. 11. Juli 2013, abgerufen am 24. Januar 2018.
  16. Peter Mühlbauer: Sozialwissenschaftliche Selbsttäuschung. In: Telepolis. 16. Juli 2013, abgerufen am 24. Januar 2018.
  17. Kathleen Hildebrand: „Pranger“ oder Alltag im Geschlechterkampf? In: sueddeutsche.de. 28. Juli 2017, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 31. Juli 2017]).
  18. Antifeminismus-Liste der Böll-Stiftung Agent*in „vorübergehend offline“ taz online, abgerufen am 4. August 201
  19. Stellungnahme des Vorstands zum endgültigen Ausstieg aus dem Wiki „Agent*in“. Gunda-Werner-Institut, 4. November 2017, abgerufen am 9. November 2017.
  20. Stellungnahme der Heinrich-Böll-Stiftung vom 7. August 2017.
  21. Heide Oestreich: „Ein hochideologischer und verzerrter Diskurs“. In: taz. 18. August 2017, S. 3 (Online [abgerufen am 22. Januar 2018]).
  22. Markus Kowalski: Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus – Über „Demo für alle“ schreiben? Für die Böll-Stiftung zu heikel. In: queer.de. 9. November 2017, abgerufen am 16. Januar 2018.
  23. Patricia Hecht: Die Agent*in ist reaktiviert, TAZ-online, 26. April 2018