Benutzer:Jochim Schiller

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Liebe WP-Gemeinde,

ich stamme von einem Bauernhof in der Nähe von Lübeck und bin heute Rechtsanwalt in Berlin. In meiner Freizeit komponiere ich und spiele Schlagzeug in einer Rockband (daher auch mein früherer Benutzername JoeStonebroke). Außerdem zeichne ich und schreibe Artikel über alles mögliche (innerhalb und außerhalb der Wikipedia).

Ich meine, daß man viele Texte ohne inhaltliche Änderung stark verbessern könnte (innerhalb und außerhalb der Wikipedia). Damit meine ich einmal die (zunehmenden?) Verstöße gegen Regeln, die eigentlich jeder schon in der Grundschule gelernt haben müßte (z.B. der/die/das "ein oder andere" oder die Aufforderung "bitte lese"). Und damit meine ich Boulevard-Stilblüten und Campus-Geschwubel, womit ein (meist banaler) Text künstlich aufblasen wird, also Formulierungen wie: "Beutelsäuger weisen in ihrem Körperbau eine hohe Vielfalt auf und stellen somit Anpassungen an verschiedenste Lebensräume dar". Leider verteidigen die, die so schreiben, ihre Ergüsse mit immer neuen Variationen derselben zwei Aussagen: "daß das falsch sein soll, hab' ich ja noch nie gehört" und "mach's doch besser!" Seufz.

Ich habe nicht viel Zeit, aber ich will versuchen, die Wikipedia etwas besser zu machen. Für Meinungsäußerungen bin ich immer dankbar. Allerdings lasse ich mich nicht leicht von dem abbringen, was ich für richtig halte.

Jochim Schiller

Vorschlag für eine Ergänzung der Projektseite Wie schreibe ich gute Artikel

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Problemstellung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Fachliche Korrektheit ist keine Entschuldigung für unverständliches oder gar falsches Deutsch. Es genügt nicht, dass ein Autor weiß, was er schreibt, er muss auch wissen, wie man schreibt. Auch freiwillige Mitarbeiter sollten danach streben, professionellen Maßstäben gerecht zu werden. Schließlich hat die Wikipedia kein Quantitäts-Problem, wohl aber ein gewaltiges Qualitäts-Problem. Deshalb kann es nie schaden, sich die Frage zu stellen: was würden professionelle Redakteure tun?

Die Wikipedia beruht auf dem Prinzip: jeder schreibt über die Themen, mit denen er sich auskennt (soweit, so gut) – nur wie man schreibt, das wissen leider die wenigsten. Die meisten denken, vor und dürfe man kein Komma setzen, und wenn man einmal auch benutzt hat, müsse es beim nächsten Mal stattdessen ebenfalls heißen, und beim dritten Mal womöglich gleichfalls (danke, gleichfalls! kann ich da nur sagen).

Ungeschicklichkeit ist aber nur eine Ursache für schlechten Stil. Der Wunsch, klug zu klingen, richtet noch mehr an. Wer das Ziel seiner akademischen Laufbahn noch nicht erreicht hat, der ist ängstlich darauf bedacht, so wissenschaftlich wie nur irgend möglich zu klingen – deshalb das ganze Denglisch, Geschwurbel und Schlausprech. Deshalb schreiben Zoologen von Weltrang, nach denen Straßen, Schulen und Preise benannt werden, ganz ungeniert von Lebensraum, wohingegen der Herr Wiss. Ass. Willi Winzig (eine halbe Stelle an der Universität Winzlingen) in der Wikipedia natürlich von Habitat schreibt – schließlich ist man ja Wissenschaftler und kein Bauer. Es ist ein bisschen wie mit den frischgebackenen Ärzten: sie tragen für jedermann sichtbar das gesamte ärztliche Handwerkszeug mit sich herum, um nicht zu sagen: vor sich her – während der Chefarzt höchstens einen Kugelschreiber dabeihat...

Aber wer möglichst reibungslos Wissen vermitteln will (und das ist die Aufgabe jedes Sachtextes), der hält sich zwei Dinge: selbst zurück und an ganz bestimmte Regeln. Und nach dieser Stilblüte geht es los.

In einer Enzyklopädie ist es ein Fehler, den Leser persönlich anzusprechen, und ein noch größerer Fehler, von sich selbst (als Autor) zu sprechen. Eigentlich weiß das jeder, aber dennoch wird häufig dagegen verstoßen mit passivischen Formulierungen wie hervorzuheben ist... (besagt nichts anderes als: ich möchte hervorheben) oder zu beachten ist... (besagt nichts anderes als: du musst beachten). Solche unenzyklopädischen Formulierungen erkennt man daran, dass man sie ohne Bedeutungsverlust in Sätze verwandeln könnte, die das Wort ich oder das Wort du enthalten. Einfachstes Rezept: Passiv meiden!

Eine häufige Frage lautet, ob ein bestimmtes Wort groß oder klein, zusammen- oder getrennt geschrieben wird. Dem liegt ein weit verbreiteter Irrtum zugrunde: dass man das über ein Wort losgelöst vom Zusammenhang sagen könne, etwa aufgrund der Wortart. Das kann man aber nicht. Es hängt nämlich immer davon ab, welche Funktion das jeweilige Wort in einem Satz hat.

  • Wenn ein Verb substantivisch gebraucht wird, schreibt man es groß:
    • Das Lesen macht mir Spaß.
    • Gegenbeispiel: Das zu lesen, macht mir Spaß.
  • Wenn ein Adjektiv Teil eines zusammengesetzten Begriffs ist, der substantivisch gebraucht wird, schreibt man es groß:
    • Der Lange Eugen war früher das Abgeordnetenhochhaus.
    • Gegenbeispiel: Der lange Eugen ärgert schon wieder die dicke Berta.
  • Ähnlich ist es mit der Zusammen- und Getrenntschreibung. Es kommt darauf an, welche Funktion die einzelnen Wörter haben:
    • MASH kommt komischerweise selten im Fernsehen.
    • MASH behandelt den Vietnamkrieg in komischer Weise.

Zeichensetzung, Groß- und Kleinschreibung, Zusammen- und Getrenntschreibung – all diese Dinge kann man nur beherrschen, wenn man weiß, was Satzglieder sind. Ohne dieses Wissen kann man sie zwar auch richtig machen, dann aber nicht deswegen, weil man sie beherrscht, sondern aus anderen Gründen (etwa, weil man viele gut redigierte Texte liest und deshalb einen guten Blick dafür hat, was wie geschrieben wird).

Mit der Satzstellung kann man am meisten richtig machen – oder eben falsch. Über die Verständlichkeit eines Satzes entscheidet seine Stellung mehr als alles andere (richtige Satzstellung macht Zeichensetzung fast schon überflüssig):

  • Man stellt das Wichtigste an den Anfang eines Satzes und kommt dann so schnell wie möglich zum Punkt. So macht es seit der Antike jeder, der Fehler vermeiden und seine Leser zuverlässig erreichen will. Am wichtigsten ist fast immer das Prädikat (das „Verb“), und am zweitwichtigsten das Subjekt eines Satzes. Selten ist es umgekehrt, und noch seltener ist ein Objekt wichtiger als das Subjekt oder gar wichtiger als das Verb.
  • Zusammengesetzte Begriffe soll man so wenig wie möglich trennen, also den Satz solange umstellen, bis „zusammenwächst, was zusammengehört“. Oder noch besser: man findet statt des zusammengesetzten Begriffs ein einziges Wort.
  • Einschübe jeder Art gehören soweit wie möglich nach hinten (gern in Klammern). Sie müssen keineswegs immer gleich hinter dem Satzglied stehen, auf das sie sich beziehen (also nicht: hinter dem Satzglied, auf das sie sich beziehen, stehen). Am besten macht man daraus einen Extrasatz (dieser Absatz ist ein Beispiel für den richtigen Umgang mit Einschüben).
  • Wer es feiner und trotzdem genauso verständlich haben möchte, der fragt sich am Schluss, ob ein Punkt wirklich richtig war – oft kann man nämlich den Lesefluss besser steuern mit einem Komma oder einem Gedankenstreich oder auch einem Semikolon. Und oft ist sogar nur ein Doppelpunkt oder ein Fragezeichen wirklich richtig.

Wie mit der Satzstellung kann man auch mit Vergangenheitsformen vieles richtig machen – oder eben falsch. Aber warum fällt es so schwer? Dafür gibt es einen sehr alten und einen relativ neuen Grund.

Der alte Grund ist: im oberdeutschen Sprachraum wird herkömmlicherweise nur das Perfekt benutzt, das Präteritum ist hingegen ungebräuchlich („wann zu mir oaner sagt, ‚i ging’, dann weiß i glei’: der is’ a Preiss“). Für den sicheren Umgang mit den Vergangenheitsformen fehlt es deshalb an Routine. Der neue Grund ist, dass für die Vergangenheitsformen im Englischen ganz andere Regeln gelten. Und aufgrund der Buchpreisbindung, die wirtschaftlich einem Strafzoll auf inländische Bücher gleichkommt, sind nicht nur alle Fernsehkanäle mit Material vollgestopft, das hastig aus dem Englischen übersetzt wurde, sondern auch alle Buchhandlungen. Dementsprechend selten findet man noch Texte, in denen alles richtig gemacht wird.

Es gibt junge Linguisten, die ernsthaft glauben, ein Bedeutungsunterschied zwischen dem Perfekt und dem Präteritum sei im Deutschen gar nicht existent. Für sie und alle anderen ist vielleicht der folgende Dialog zwischen einem fiktiven Deutschlehrer und seinen ebenso fiktiven Schülern erhellend:

  • Nun, liebe Kinder, last ihr alle das Buch, das ich euch gab?
  • Ja, wir lasen es.
  • Also dann: Wer schrieb „Mutter Courage“?
  • Brecht schrieb „Mutter Courage“!
  • Wer sagte das?
  • Ich sagte das: Kevin.
  • Gut machtest du das, Kevin. Nur dass du dich nicht meldetest, sondern einfach dazwischen riefst, das ist nicht so gut gewesen.

Kommentar überflüssig. Und wie macht man es nun richtig?

  • Mit dem Präteritum ist es ziemlich einfach: man schreibe das Präteritum nur da, wo man es auch sagen würde. Man sagt nicht: „Schön, dass du gut durch den Verkehr kamst, denn ich buk uns einen Kuchen“, also schreibt man es auch nicht.
  • Mit dem Perfekt ist es etwas schwieriger, vor allem für Dialektsprecher – nur weil man es sagen würde, darf man es noch nicht schreiben. Richtig ist: im Perfekt drückt man ein Geschehnis aus, das beendet ist (daher der Name), aber nicht, wenn es sich über längere Zeit erstreckt hat, und auf keinen Fall dann, wenn es den Hintergrund bildet für ein anderes Geschehnis, das sich währenddessen ereignet hat.
    • Ich habe Geburtstag gefeiert, da passierte folgendes, wäre falsch, denn trotz seiner Kürze bildet der Geburtstag hier den atmosphärischen Hintergrund.
    • Ich feierte Geburtstag, da passierte folgendes, ist richtig.
    • Ich hatte Geburtstag gefeiert, da passierte folgendes, ist dann richtig, wenn der Geburtstag schon vorbei war (und, liebe Berliner: nur dann).
  • Im Zweifelsfall nimmt man das Perfekt. Ein falsch gesetztes Perfekt macht viel weniger kaputt als ein falsch gesetztes Präteritum – das erste klingt nur etwas unbeholfen, das andere hingegen gestelzt und lächerlich (vielleicht deshalb, weil Dialektsprecher es dann benutzen, wenn sie glauben, sie müßten).

Gute Texte erfordern eine richtige Zeichensetzung. Richtig eingesetzt, erleichtern Satzzeichen das Lesen und das Verstehen des Textes. Zeichensetzungsfehler stören hingegen den Lesefluss, oft wirken sie sogar sinnentstellend oder zumindest verwirrend („Wir essen jetzt Opa“). Die Regeln, gegen die am häufigsten verstoßen wird, lauten:

  • Vor und gehört doch ein Komma – nämlich dann, wenn damit zwei vollständige Sätze voneinander getrennt werden. Das ist immer dann der Fall, wenn vor dem und auch ein Punkt stehen könnte und trotzdem kein unvollständiger Satz übrigbleibt. Die „Regel“, dass vor und kein Komma gesetzt werden dürfe, gilt nur für Aufzählungen. Die falsche Anwendung dieser Regel ist verantwortlich für die weitaus meisten Kommafehler in der Wikipedia (wie auch in anderen Texten). Beispiele:
    • Die Sonne scheint und hält uns warm. Hier würde dem Verb warmhalten das Subjekt fehlen, wenn man den Aussage in zwei Sätze trennen würde, deshalb darf hier kein Komma stehen.
    • Die Sonne scheint, und sie hält uns warm. Es handelt sich um zwei vollwertige Hauptsätze, zwischen denen ein Komma stehen muss.
  • Erst recht ist ein Komma erforderlich, um einen Nebensatz abzugrenzen – ganz egal mit welchem Wort der nächste Satz beginnt:
    • Was sich sagen lässt, lässt sich klar sagen, und worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen (Ludwig Wittgenstein).

Ein nach dem Artikel eingefügtes Komma ist insofern immer ein Alarmsignal (der richtig ohne Komma geschriebene Anfang dieses Satzes ist dafür ein Beispiel).

  • Nach einer Ankündigung sollte kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt stehen. Ankündigungen erkennt man so: Beim Lesen hebt man die Stimme und macht eine kurze Pause, bevor es weitergeht. Ob nach dem Doppelpunkt groß oder klein weitergeschrieben wird, ist hingegen nicht zwingend vorgeschrieben.
  • Nach einer Frage muss ein Fragezeichen stehen. Das gilt auch für Fragen in direkter Rede (Zitate) und für rhetorische Fragen. Oder sind rhetorische Fragen etwa keine Fragen?
  • Nach einer Aufforderung sollte ein Ausrufezeichen stehen. Aber wir sind hier in einer Enzyklopädie, also: Vermeide Aufforderungen!

„Sätze mit vielen Adjektiven sind wie ein Heer, in dem hinter jedem Soldat ein Kammerdiener geht“ (Quintilian). Adjektive sind zwar nicht immer schlecht, manchmal sind sie nötig. Aber sie verführen zu Stilblüten, etwa zu unlogischen Kombinationen wie soziale Kälte oder humanitäre Katastrophe. Noch schlimmer: sie verführen dazu, sie mit einem völlig leeren Substantiv zu kombinieren (konjunkturelle Situation statt Konjunktur). Aber vor allem sind sie oft überflüssig und damit lästig. Das gilt ganz besonders für Kombinationen, die gedankenlos verwendet werden, seit sie sich im Boulevardjournalismus eingebürgert und derart verfestigt haben, daß etliche Begriffe gar nicht mehr ohne das vermeintlich passende Adjektiv bzw. Adverb benutzt werden:

  • ausgiebig testen,
  • bedingungsloser Gehorsam,
  • begeisterte Fans,
  • brutal vergewaltigen,
  • eklatanter Widerspruch,
  • handfester Skandal,
  • heilloses Durcheinander,
  • kaltblütig ermorden,
  • kläglich scheitern,
  • krönender Abschluss,
  • magisch anziehen,
  • nahtlos anknüpfen,
  • nicht schlecht staunen,
  • scharf kritisieren,
  • schmerzlich vermissen,
  • sehnsüchtig erwarten,
  • spurlos verschwinden,
  • tatkräftige Mithilfe,
  • unsterblich verlieben,
  • würdiger Nachfolger,
  • vorderste Front.

Es gibt viele Begriffe, die in einen seriösen Text nicht hineingehören – obwohl man sie ständig antrifft. Man erkennt sie daran, dass zwar vielleicht mancher Schreiber sie vermissen würde, aber ganz bestimmt kein Leser. Hauptfall sind Schein-Synonyme, also Wörter, die bewusst eingesetzt werden, um ein anderes Wort zu vermeiden. In aktuellen Texten liest man ständig darstellen für sein, ebenfalls für auch und sowie für und. Diese drei Begriffe haben zwei Dinge gemeinsam: Erstens sind sie länger als nötig. Und zweitens kommen alle großen Autoren selbst in ihren längsten Texten mühelos ohne sie aus. In der Lutherbibel mit ihren 815.000 Wörtern findet sich keines dieser Wörter auch nur ein einziges Mal. Dass weniger große Autoren diese Begriffe geradezu inflationär verwenden, beruht auf einem fundamentalen Irrtum über richtige Wortwahl: dass man sich nicht wiederholen dürfe. Dieser Irrtum ist verantwortlich für den weitaus größten Teil aller Stilblüten und vermutlich auch für unzählige Übersetzungsfehler.

Dafür, ein Wort durch ein anderes zu ersetzen, gibt es selten einen sachlichen Grund. Und noch seltener gibt es überhaupt ein Wort, das ein anderes ersetzen kann, ohne dabei die Stilebene, die Genauigkeit oder sogar die Bedeutung zu ändern. Jedenfalls muss man dabei die Prägnanz opfern, denn der ursprüngliche Begriff, der einem zuerst einfällt, ist fast immer am kürzesten. Und schließlich ist ein Text umso schwerer zu übersetzen, je größer der verwendete Wortschatz ist (siehe Kontrollierte Sprache). Deshalb haben praktisch alle Schein-Synonyme drei Nachteile: sie verlängern den Text, sie machen ihn weniger präzise, und sie machen ihn für Nicht-Muttersprachler schwerer verständlich. Zumindest für eine Enzyklopädie ist damit über sie der Stab gebrochen (Neudeutsch: es sind drei Knockout-Kriterien).

Abgesehen davon ist auch die Prämisse falsch, dass Wiederholungen unschön wären. Ähnlich wie bei der Gesundheitskraft des Spinats handelt es sich um einen schlichten Irrtum, der irgendwann in die Lehrpläne Eingang gefunden hat und seither nicht mehr auszurotten ist. Das Gegenteil ist richtig: auch wenn der Schönheitsbegriff einem steten Wandel unterworfen war und ist, gibt es einen Anblick, der seit Menschengedenken in allen Kulturen als „schön“ galt und bis heute gilt: Symmetrie – und die erfordert zumindest eine Spiegelung, also eine Wiederholung. Ohne Wiederholung wären auch weder Rhythmik noch Akkorde denkbar. Tatsächlich leben alle Künste von Aneinanderreihung und von der Symmetrie, also von der Wiederholung. Deshalb strotzen nicht nur Bauwerke und Musikstücke vor Wiederholungen, sondern auch die Texte großer Literaten (die wirkmächtigsten weltanschaulichen Texte sowieso). Niemals wäre Grass auf den Gedanken gekommen, den Protagonisten seiner Blechtrommel, um ihn nicht so oft Oskar nennen zu müssen, zur Abwechselung etwa den Danziger zu nennen – auf solche Gedanken kommen nur Boulevardjournalisten und diejenigen, die ihr Stilempfinden an deren Texten schulen. Stilkundler haben nur Hohn und Spott übrig für das Bemühen ungeschickter Autoren, ein einmal benutztes und damit vermeintlich „verbranntes“ Wort durch ein anderes zu ersetzen (siehe Wechsel im Ausdruck). Und originell sind die Ergebnisse solcher Bemühungen schon lange nicht mehr, im Gegenteil: inzwischen hebt man sich ab vom Einerlei, wenn man nachfragen schreibt statt nachhaken oder in Sicherheit statt auf der sicheren Seite.

Dennoch wird bis auf den heutigen Tag in Redaktionsstuben und Studierzimmern Arbeitszeit und Geisteskraft darauf verwendet, und alle Nachteile an Länge, Ungenauigkeit und Unverständlichkeit werden in Kauf genommen, nur um etwas zu erzeugen, wonach kein Leser eines Sachtextes je verlangt hätte, nämlich Abwechselung, und um etwas zu vermeiden, was niemanden stört, nämlich Wiederholung. Man schließe die Augen und denke an Privatsender – sofort hört man vor seinem geistigen Ohr all diese Stilblüten, die ich hier zusammengetragen habe, durchsetzt mit falsch ausgesprochenen Fremdwörtern (pardon: Lehnwörtern). Wer damit aufräumt, kann viel Gutes tun. Fangen wir also an.

  • Die folgenden Begriffe haben keinerlei Daseinsberechtigung. Ihr einziger Zweck besteht darin, einen Text künstlich aufzublähen, denn für jeden von ihnen gibt es ein tadelloses kürzeres Wort, das jeder (auch jeder Nicht-Muttersprachler) sofort versteht:
    • ansonsten für sonst (typischer Kanzleistil),
    • aufweisen für haben (noch schlimmer als Kanzleistil: Technokratenstil),
    • aussehen für sein (so sieht's aus),
    • Bekanntheitsgrad für Bekanntheit,
    • dadurch, dass für weil,
    • darstellen für sein (zwei völlig verschiedene Dinge),
    • Drohgebärde (fast immer genügt das Wort Drohung),
    • ebenfalls oder ebenso für auch (abgesehen von ihrer Aufgeblasenheit sind sie auch beschränkt, denn wenn überhaupt, funktionieren sie nur direkt vor dem gemeinten Satzglied),
    • Eigeninitiative (fast immer genügt das Wort Initiative),
    • ein hohes Maß an (viel genügt vollkommen),
    • Endeffekt (ein Effekt tritt immer am Ende ein),
    • Erfahrungswerte (fast immer genügt das Wort Erfahrungen),
    • Erwartungshaltung (fast immer genügt das Wort Erwartung),
    • Fingerspitzengefühl (selten wirklich treffend, nie originell, und immer genügt das Wort Gefühl),
    • Frontlinie (die Front ist immer eine Linie),
    • fungieren (gespreizt für dienen oder falsch für arbeiten),
    • Geräuschkulisse (fast immer genügt das Wort Geräusche),
    • gleichfalls für auch (siehe oben bei ebenfalls),
    • Innenleben (fast nie ist dabei von Lebewesen die Rede, und immer, wirklich immer genügt das Wort Inneres),
    • pur (zur Verstärkung angehängt),
    • Restrisiko (abgesehen von seiner Herkunft aus Atompropaganda: fast immer genügt das Wort Risiko),
    • Sicherheitsrisiko (ausnahmslos immer genügt das Wort Risiko),
    • sowie für und,
    • verbauen für einbauen (schlimmster Technokratenstil, richtig allenfalls für die Zukunft dessen, der ohne Not solche Wörter benutzt),
    • vorprogrammiert (programmieren heißt vorschreiben),
    • Waffenarsenal (Arsenal heißt Waffenlager),
    • weiterhin für außerdem (schlicht falsch, bedeutet nämlich fortwährend, also trotz neuer Entwicklungen unverändert; richtig wäre hingegen ferner oder weiter – wenn man das tadellose Wort außerdem partout durch ein anderes ersetzen will).
  • Genauso ohne Daseinsberechtigung sind Nicht-Übersetzungen falscher Freunde aus dem Englischen (dessen Hochform großenteils aus keltisch ausgesprochenem Latein besteht). Davon gibt es inzwischen Tausende, deshalb nur als Beispiel:
    • adressieren für ansprechen,
    • Charakter für Figur (in einem Buch/Film/Spiel/Theaterstück),
    • Ding für Sache,
    • einmal mehr für nochmals,
    • Episode für Folge (einer Fernsehserie),
    • Idee für Ahnung (von etwas),
    • nicht wirklich für eher nicht,
    • Sinn machen für Sinn haben,
    • sollte für müßte (im Sinne von wird vermutlich),
    • Technologie für Technik.
  • Eigentlich überall fehl am Platz sind ferner (ehemalige) Modewörter, mit denen man sich (absichtlich oder unabsichtlich) von der Hochsprache abgrenzt:
    • abgespeckt für vereinfacht,
    • Abzocke für Wucher,
    • angehen für behandeln,
    • aufspüren für finden,
    • auftauchen für erscheinen,
    • aussteigen für aufhören,
    • Auszeit für Pause,
    • Bares für Geld,
    • Blessuren für Verletzungen,
    • Feature für Merkmal,
    • filzen für durchsuchen,
    • Gas geben für sich anstrengen,
    • Highlight für Höhepunkt,
    • kapieren für verstehen,
    • kassieren für vereinnahmen,
    • klarkommen für zurechtkommen,
    • kicken für Fußball spielen,
    • Langfinger für Dieb,
    • mitbekommen für bemerken,
    • nachhaken für nachfragen,
    • Oma und Opa (so nennt man Großmütter und Großväter nur im engsten Familienkreis und im Ruhrpott),
    • sauer für erbost,
    • Scheibe für CD bzw. Schallplatte,
    • Shopping für Einkaufen,
    • Streifen für Film,
    • Stress für Streit,
    • toppen für übertreffen,
    • werkeln für arbeiten.

Die hochsprachlichen Wörter haben zwar nicht in jedem Fall genau dieselbe Bedeutung, das ist aber kein Grund für die Verwendung von Slang und Jugendsprache (siehe dazu auch WP:OmA). Ironische Wortwahl nach SPIEGEL-Manier gehört selbst dann nicht in eine Enzyklopädie, wenn so wahnsinnig witzige Themen verhandelt werden wie der Darwin Award, das fliegende Spaghettimonster oder die wahnsinnig witzigen Elaborate von Douglas Adams bzw. Terry Pratchett.

  • Typischer Boulevard-Stil und jedenfalls in einer Enzyklopädie fehl am Platz sind extra zum Zwecke der Abwechselung geschaffene oder missbräuchlich zu eng verwendete Begriffe:
    • an den Kragen für gegen,
    • an der Tagesordnung für üblich,
    • auf dem Prüfstand für im Test,
    • Auftakt für Beginn,
    • Bajuware für Bayer (oder gar für den Spieler eines in Bayern ansässigen Fußballvereins),
    • Berlin für Bundesregierung (obwohl sechs der vierzehn Bundesministerien im Jahr 25 nach dem Mauerfall immer noch in Bonn sitzen, und obwohl das Bundesland Berlin natürlich auch selbst eine Regierung hat),
    • Bolide für Rennwagen,
    • Domstadt für Köln (als ob es nicht andere Städte mit genauso bedeutenden Domen oder in Köln sonst nichts Bedeutendes gäbe),
    • Domizil für Wohnung (typisch SPIEGEL: altertümlich und deshalb ironisch, haha),
    • Elf für Fußballmannschaft,
    • Erdtrabant für Mond,
    • Fehlanzeige für nicht vorhanden,
    • Fünfte Jahreszeit für Karneval,
    • für ... sorgen für erzeugen (völlig unpassend, wenn von unerwünschten Folgen die Rede ist),
    • Hanseat für Hamburger (oder gar für Spieler eines dort ansässigen Fußballvereins),
    • Hansestadt für Hamburg ... oder Stockholm oder Buxtehude oder eine andere der 200 Ortschaften, die das irgendwann mal waren (Köln übrigens auch, aber dafür haben wir ja den Begriff Domstadt),
    • hinter Gitter(n) für in Haft,
    • hochkarätig für prominent oder hochwertig,
    • Kirchenoberhaupt für Papst (oder für das Oberhaupt irgendeiner anderen als der katholischen Kirche),
    • Kostenpunkt für Preis,
    • kühles Nass für Wasser,
    • Lagunenstadt für Venedig,
    • Mime für Schauspieler,
    • Nachwuchs für Kinder,
    • Nobelherberge für Luxushotel,
    • Ordnungshüter für Polizist,
    • Quecksilber für Thermometer oder gar für Temperatur,
    • regelmäßig für immer wieder,
    • Richterspruch für Urteil,
    • Softwaregigant für Microsoft (oder Google oder sonstwen),
    • Streicheleinheiten für Zuwendung,
    • tabu für verboten,
    • Unparteiischer für Schiedsrichter,
    • Urnengang für Wahl.
    • Vierbeiner für Haustier (anders natürlich, wenn wirklich die Gruppe der Tetrapoda gemeint ist),
    • Waffengang für Krieg.
  • Genauso typischer Boulevard-Stil und jedenfalls in einer Enzyklopädie fehl am Platz sind krampfhaft originelle Zusammensetzungen wie:
    • an den Nagel hängen für aufgeben,
    • auf dem Spiel stehen für sich entscheiden,
    • auf der Anklagebank sitzen für beschuldigt werden,
    • auf der Leinwand für im Film,
    • auf der sicheren Seite für in Sicherheit,
    • auf die Beine stellen, für organisieren,
    • auf sich warten lassen für dauern,
    • aufs Kreuz legen für hereinlegen,
    • aufs Tapet bringen für ansprechen,
    • aufwarten mit für bieten,
    • Dach über dem Kopf für Wohnung,
    • das Jawort geben für heiraten,
    • das Licht der Welt erblicken für geboren werden,
    • das Nachsehen haben für unterliegen,
    • das Zeitliche segnen für sterben,
    • das Zepter in der/die Hand für die Führung,
    • dem Rotstift zum Opfer fallen für eingespart werden,
    • den Besitzer wechseln für verkauft werden,
    • den Geist aufgeben für kaputtgehen,
    • den Kampf ansagen für bekämpfen,
    • der Vergangenheit angehören für nicht mehr geben,
    • die Finger davonlassen (oder gar: davon lassen) für unterlassen,
    • die Schulbank drücken für lernen,
    • eigene vier Wände für Wohnung,
    • Einzug halten für erscheinen,
    • einen hohen Stellenwert haben für wichtig sein,
    • hinter verschlossenen Türen für heimlich,
    • leer ausgehen für erfolglos bleiben,
    • im Scheinwerferlicht für auf der Bühne (das ist doch schon metaphorisch genug),
    • in den letzten Zügen für im Sterben,
    • in der Beliebtheitsskala auf Platz eins für am beliebtesten,
    • in die Quere kommen für behindern,
    • in Reinkultur für nur (vgl. pur),
    • Marke Eigenbau für selbstgemacht,
    • nach dem Zufallsprinzip für zufällig oder willkürlich,
    • nichts unversucht lassen für alles tun,
    • nichts zu suchen haben für nicht hingehören,
    • Not am Mann für Not,
    • Seltenheitswert haben für selten sein,
    • sein Bestes geben für sich anstrengen,
    • sich einfallen lassen für sich ausdenken,
    • sich häuslich niederlassen für einziehen,
    • sich Zugang verschaffen für eindringen,
    • Todesopfer fordern für töten,
    • unter die Lupe nehmen für untersuchen,
    • unter einen Hut bringen für miteinander vereinbaren,
    • vor Ort für da,
    • zu Gesicht bekommen für erblicken,
    • zu guter Letzt für schließlich,
    • zu bezweifeln wagen für bezweifeln,
    • zu Buche schlagen mit für kosten,
    • zu Werke gehen für arbeiten,
    • zur Welt kommen für geboren werden.
  • Ist eine „Liste mit Pfui-Wörtern“ nicht furchtbar unwissenschaftlich?

Ich weiß, dass sich für jeden dieser Begriffe mindestens ein vehementer Verteidiger finden wird. Aber wir sind uns wohl einig darüber, dass ein Brockhaus-Redakteur, der so schreiben würde, sofort seinen Hut nehmen könnte (das musste noch sein). Wenn wir es also hier dulden, dann machen wir es anders, und bestimmt nicht besser. Auch wenn manche Leser sich mit Boulevard-Schreibe vielleicht wohler fühlen, weil die „nicht so trocken“ ist, wäre das kein Argument. Wer durch Wortgeklingel unterhalten werden will, der kann ja Privatfernsehen gucken oder in einer Illustrierten blättern. Eine Enzyklopädie ist dazu nicht da. Denn wie gesagt: die vermeintlichen Synonyme machen den Text länger, ungenauer und schwerer zu übersetzen.

Dass diese Begriffe „gut“ oder gar „nötig“ wären, wird niemand behaupten. Dass sie „nicht schlecht“ sind, ist schon das Beste, was man über sie sagen kann. Die Ausgangsfrage lautet aber: „Wie schreibe ich gute Artikel?“

Ich weiß, dass die Germanisten seit 1968 nur noch „deskriptiv“ und nicht mehr „präskriptiv“ sein wollen (mich wundert allerdings, dass man in der Welt der Germanisten etwas gelten kann, wenn man zu solchen Wörtern greift), und dass strenge, pardon: „starre“ Regeln im Klima der Kuschelpädagogik verpönt sind. Nunja. Aber ist es nicht doch auffällig, dass die von mir zusammengetragenen Begriffe weit überproportional dort auftreten, wo bestimmte Themen verhandelt werden, nämlich Autos, Filme, Computer und Sport? Man nehme noch das Kochen hinzu, und die Liste der Boulevard-Themen wäre komplett. Offensichtlich handelt es sich um die Lieblingsthemen bestimmter Soziotope. Sich in Fragen des Sprachstils ausgerechnet an diesen Soziotopen auszurichten, wie wissenschaftlich kann das wohl sein?