Police-Pilot-System
Police-Pilot-System ist die umgangssprachliche Bezeichnung für ein elektronisches Messgerät zur Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit von Fahrzeugen.
Gerätebeschreibung
Das im Jahr 2008 aktuelle System heißt ProViDa 2000. Bis 2000 war der Hersteller ProVida division of Jai A/S in Dänemark.[1]
Eine Front- und eine Heckkamera sind an einem zivilen Polizeifahrzeug angebracht. Dieses Fahrzeug hält über eine bestimmte Distanz einen festen Abstand zum gemessenen Fahrzeug (beachte unten "gleichbleibender Abstand"). Die Geschehnisse werden durch Knopfdruck auf Video aufgezeichnet.
Die Geschwindigkeit wird ermittelt, indem die Wegstreckenimpulse pro Zeiteinheit vom ProViDa-Gerät in die Geschwindigkeitseinheit Kilometer pro Stunde (km/h) umgerechnet werden. Wegstreckenimpulse werden vom geeichten Wegstreckenzähler des Messfahrzeugs geliefert.
Auf dem Bildschirm ist links oben die geeichte zurückgelegte Strecke in Metern angegeben und rechts oben ist die geeichte Zeit in Form von Frames (1 F = 0,04 s) angegeben. Unten rechts wird die momentan gefahrene Geschwindigkeit angezeigt. Durch verschiedene Messmethoden (bei ProViDa gibt es MAN, Split, Auto1 und Auto2) kann die Geschwindigkeit des vor oder hinter dem Messfahrzeug fahrenden Fahrzeug gemessen werden. Mit ProViDa kann auch eine stationäre Geschwindigkeitsmessung sowie die Rotlichtüberwachung an Ampeln durchgeführt werden.
Die Kameras der modernen Messfahrzeuge sind etwa so groß wie ein Finger und haben eine nicht veränderbare Brennweite.
Die Videoaufzeichnung in den Fahrzeugen läuft permanent mit, so dass auch zufällig aufgenommene Verstöße dokumentiert werden. Dies ist aber nicht mehr in allen Bundesländern der Fall, da es verschiedene Datenschutzrichtlinien gibt.
Toleranzabzug
Beim ProViDa-System werden verschiedene Toleranzen bei der Geschwindigkeitsmessung gewährt: 10 Prozent bei gleichbleibenden Abstand zum gemessenen Fahrzeug und 5 Prozent bei Vergrößerung des Abstandes zum Messfahrzeug. Fehlt es an einer nachträglichen Überprüfbarkeit durch das Messvideo ist darüber hinaus aufgrund der möglichen Fehleinschätzung des Abstands durch die Messbeamten ein weiterer Sicherheitsabschlag von 10 % gerechtfertigt. [2]
Grundsätzlich gilt beim Toleranzabzug folgendes:
Die Toleranz für Fehler am Gerät (also einschließlich Messfahrzeug) beträgt 5 %. Bei korrekter Messung/Auswertung nach Vorgaben des Herstellers sind zusätzliche Fehler ausgeschlossen. Die Erhöhung auf 10 % stammt aus Zeiten, als mit anderen Messgeräten, also mit nur geeichtem Tacho und (geschätzt) gleichbleibendem Abstand während der Nachfahrt gemessen wurde. Die Erhöhung von 5 auf 10 % sollte Fehler abdecken, die dadurch entstehen, dass das gemessene Fahrzeug vielleicht doch minimal eingeholt wurde und das Messfahrzeug demnach schneller als das gemessene Fahrzeug fuhr.
Messmethoden
Es bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die Geschwindigkeit eines anderen Fahrzeugs zu ermitteln:
a) Bestimmung der Durchschnittsgeschwindigkeit des Messfahrzeugs und Übertrag auf ein schnelleres Fahrzeug.
b) Unmittelbare Bestimmung der Geschwindigkeit des zu messsenden Fahrzeugs.
Bei -a- handelt es sich i.d.R. um eine Nachfahrmessung (i.d.R. über Menü-Funktion Auto2, nicht zu verwechseln mit einer Nachfahrmessungen mit geeichtem oder ungeeichtem Tacho). Ausführliche Beschreibung siehe unter "gleichbleibender Abstand". Bei -b- wird über zwei beliebig zu wählende Messpunkte auf/neben der Fahrbahn eine Messstrecke festgelegt und deren Länge sowie die vom zu messenden Fahrzeugs benötigte Durchfahrtszeit für diese Strecke ermittelt. Aus beiden Werten wird unmittelbar die Geschwindigkeit dieses Fahrzeugs errechnet (Menü-Funktionen Auto1, MAN, SPLIT).
Die Messmethoden nach den Menü-Funktionen einzuteilen ist eigentlich falsch. So beinhalten z.B. die Funktionen MAN und SPLIT jederzeit die Möglichkeit eine Messung nach Auto2 durchzuführen. Bei nachträglicher Auswertung der Videoaufzeichnung können alle Messvarianten durchgeführt werden.
gleichbleibender Abstand
Bei der aktuell praktizierten "Nachfahr"-Messung (oben -a-) mit Provida-2000 kann, im Gegensatz zu früheren Nachfahrmessungen mit geeichtem Tacho, auf gleichbleibenden Abstand innerhalb der Messstrecke verzichtet werden. Einzig erforderlich ist der Vergleich zwischen Abstand bei Beginn und Ende der Messung. In vielen Entscheidungen wird das (etwas missverständlich) "gleichbleibender Abstand" genannt.
Es findet bei Provida 2000 keine Nachfahrmessung im klassischen Sinn statt. Es wird für den gesamten Messbereich die vom Messfahrzeug zurückgelegte Strecke und die vom Messfahrzeug hierfür benötigte Zeit ermittelt und nach der Formel Weg-durch-Zeit in km/h umgerechnet. Allein ausschlaggebend ist, dass der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen bei Messende nicht geringer als bei Messbeginn ist. Das Abstandsverhalten innerhalb der Messstrecke ist völlig unerheblich. Warum? Es wird die Durchschnittsgeschwindigkeit des Messfahrzeugs ermittelt. Jedes Fahrzeug, das in derselben Zeit eine identisch lange oder längere Strecke zurückgelegt hat, erzielt mindestens die Durchschnittsgeschwindigkeit des Messfahrzeugs. Selbst ein mehrmaliges, gegenseitige Überholen der beiden Fahrzeuge innerhalb des Messbereichs wäre denkbar und zulässig. Befindet sich das gemessene Fahrzeug im Anschluss, also bei Messende, weiter vor dem Messfahrzeug als bei Messbeginn hat es insgesamt eine längere Strecke in derselben Zeit zurückgelegt, war also im Durchschnitt schneller als das Messfahrzeug. Eine zusätzliche Toleranz (neben den 5 %) für weitere Fehler ist also nicht erforderlich.
Mitbewerber
In Hessen wird auch das System VASCAR ("Video Average Speed Computer And Recorder") eingesetzt. [3]
Auswirkungen des Urteils vom 27. März 2007
In einem Beschluss des Amtsgericht Lüdinghausen vom 27. März 2007 (10 Owi 89 Js 18/07-5/07) [4] hat das Gericht festgestellt, dass das in diesem Fall eingesetzte Provida-System die Voraussetzungen für eine korrekte Eichung nicht erfüllte. Das Messgerät des Polizeifahrzeugs war zwar geeicht. Das zuständige Eichamt eicht derartige Fahrzeuge aber derzeit nicht nach, weil eine technische Änderung stattgefunden hat, für die keine Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vorliegt. Wegen eines unverhältnismäßigen Aufwandes im Vergleich zur zu erwartenden Geldbuße, hat das Gericht das Verfahren eingestellt.
Wegen einer nicht bauartzugelassenen System-Komponente (CAN-Bus) könnten bundesweit zahlreiche ProViDa-Messgeräte der Polizei fehlerhaft geeicht sein.
Der Zeitschrift „Verkehrsrecht aktuell“, Heft 6/2007, S. 106, zufolge, hat das Innenministerium Nordrhein-Westfalen inzwischen 13 der 38 Provida-Fahrzeuge stillgelegt.
Mittlerweile ist jedoch der von BMW hergestellte CAN-BUS durch die PTB zugelassen und stellt damit keinen Grund mehr für eine Verfahrenseinstellung dar.
Abstandsmessungen mit ProViDa 2000 Modular
Das OLG Hamm hat am 26. Februar 2009, Az. 3 Ss OWi 871/08, festgestellt, dass ProVida 2000 Modular kein standardisiertes Messverfahren für Abstandsmessungen darstellt. [5]
Einzelnachweise
- ↑ http://www.jai.com/EN/About/JaiInBrief/Pages/History.aspx
- ↑ http://www.blitzerkanzlei.de/blog-1/ag-duisburg-fehlendes-messvideo-führt-zu-erheblichen-abzügen/ AG Duisburg (Urteil vom 1. Oktober 2010, 36 OWi-313 Js 1187/10-384/10
- ↑ http://www.polizei.hessen.de/internetzentral/nav/f56/f56109cd-fa55-9f03-e07e-611142c388eb&uCon=17e3e692-3b97-9f33-62d6-1611142c388e&uTem=bff71055-bb1d-50f1-2860-72700266cb59.htm
- ↑ http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php NRW Rechtsprechung
- ↑ http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2008/3_Ss_OWi_871_08beschluss20081204.html
Literatur
- Löhle/Beck, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 9.Auflage, Bonn 2008, Anwalt-Verlag, ISBN 3-8240-0983-8
- Burhoff/Neidel/Grün, Messungen im Straßenverkehr (mit CD-Rom), 2.Auflage, Münster 2010, ZAP-Verlag (LexisNexis), ISBN 978-3-89655-519-9
(Titel der 1.Auflage noch: Geschwindigkeits- und Abstandsmessungen im Straßenverkehr)
- Becker, Geschwindigkeitsüberschreitung im Straßenverkehr, 7.Auflage, 2010, Verlag Luchterhand, ISBN 978-3-472-07832-6
- Joachim Schrey / Thomas Walter Haug, Der Umfang richterlicher Kontrolle bei Entscheidungen über Geschwindigkeitsverstösse, NJW 40/2010, 2917