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Seite:Die Gartenlaube (1891) 432.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Rath schaffen lassen. Denn die arme Lea müsse andere Menschen und andere Gegenden sehen, um sich zu zerstreuen.

„Und Clairon?“ fragte Rahel, die sich mit Gewalt in ihrem Schmerz bezwang. So ganz nebensächlich war sie den Ihrigen, man schob sie einfach bei Seite und reiste in die Welt hinaus.

„Hat vollständig mit Lea gebrochen,“ sagte Römpker kurz.

Raimar dachte an Lüdinghausen und konnte eine Art von Genugthuung nicht unterdrücken, daß dieser Recht behalten hatte.

„Bleibe noch hier bis morgen, Kind,“ bat Römpker; aber die Bitte klang wie ein Befehl. „Lea ist sehr nervös und möchte zur Zeit nicht gern viel mit Dir zusammen sein. Es muß erst ein bißchen Gras darüber wachsen. Das verstehst Du doch.“

Ja, das verstand Rahel. Aber ob sie denn nicht einmal Abschied nehmen dürfe von der Mutter?

Gewiß, gewiß. Morgen reise man, und wenn Rahel eine Stunde vor der Abreise eintreffen wolle, habe man zum Abschied genügend Zeit.

Es war offenkundig, daß Römpker sich alle Mühe gab, seine Freude an dieser Reise zu verbergen, die finanziell doch eine Thorheit für ihn war. Aber er hatte vor seinem Verstand einen Vorwand. Für die tief gekränkte und um ihr ganzes Lebensglück gebrachte Tochter hieß es eben kein Opfer scheuen.

Als er wieder davonjagte, schaute ihm Rahel mit einem schmerzvollen Lächeln nach.

„Nur den Kopf hoch, mein Kind,“ tröstete Raimar, den sie dauerte. „Heute kommst Du Dir arm vor und verlassen von Liebe. Wer kann aber wissen, wie die Zukunft noch zwischen Dir und Lea theilt!“

„O, ich gönne ihr die Liebe der Eltern,“ schluchzte Rahel, „allein warum muß ich denn ausgeschlossen sein?“

Der alte Lüdinghausen blieb diesen ganzen Tag im Städtchen und erschien erst abends wieder, und zwar mit seinem Sohn.

Beide machten große Augen zu den Neuigkeiten von Römpkerhof. Der alte Herr hatte doch so viel Interesse an der Familie, daß er sie wenigstens im Bilde kennenlernen wollte. Raimar besaß ein Gruppenbild, welches schon an die fünfzehn Jahre alt war und wie alle alten Photographien eher komisch als unterrichtend wirkte.

„Von Rahel allein habe ich das neueste Porträt,“ sagte Raimar, während sein Gesicht vor Vergnügen strahlte, denn er hatte einen kostbaren Einfall. „Ich will es holen.“

Er ging hinauf.

„Du mußt schnell mitkommen,“ bat er hastig. „Der alte Herr will Dich sehen.“

Rahel sträubte sich, während doch ihr eigenes Herz vor Verlangen brannte, den Vater des Landraths begrüßen zu dürfen. Raimar ließ indessen kein Zögern gelten und führte sie mit sich.

Er stieß die Stubenthür auf und die beiden Männer staunten dieses lebende „Bild“ sprachlos an.

Der Vater blickte erst fragend zum Sohn hinüber und sah dessen Gesicht wie verklärt. Vor Verwunderung über diese Wahrnehmung vergaß er fast, aufzustehen und das Fräulein zu bewillkommnen.

Er that es endlich mit etwas umständlicher und altfränkischer Höflichkeit, aber Rahel fühlte doch eine besondere Wärme heraus und lächelte unwillkürlich den alten Herrn sonnig an.

Dies Lächeln gefiel ihm und erquickte sein Herz. Er war sofort im höchsten Grade von ihr eingenommen und beklagte sich, daß sie so lange unsichtbar geblieben sei. Sie mußte neben ihm sitzen, und er machte ihr förmlich den Hof, wobei er schelmisch zu seinem Sohne hinüberblinzelte, als wollte er fragen: „He, das hast Du wohl nicht von mir gedacht, daß ich mit liebreizenden jungen Damen so umgehen kann?“

Rahel sah dabei sehr glücklich aus, ebenso der junge Lüdinghausen, aber wenn ihre Augen sich trafen, flohen sie scheu wieder auseinander.

Als Vater und Sohn allein waren, sagte der Alte in seiner naturwüchsigen Art:

Hör’ mal, Erasmus, Du scheinst mir von allen guten Geistern verlassen gewesen zu sein, als Du aus Römpkerhof um eine andere als diese warbest. Wie kann man so seinem Glück aus dem Wege gehen! Denn jetzt ist ja wohl Deine Stellung zu den Römpkers eine so schiefe, daß da nichts mehr zu machen ist. Außerdem: man muß nicht aus Vernunft, sondern nur aus unbezwinglicher Liebe heirathen. So mit ’nem Blitzschlag muß es kommen. Unbegreiflich, daß die Rahel Dir nicht dieser Blitzschlag geworden ist.“

Der alte Herr ahnte nicht, daß er mit seiner derben Rede alle die kleinen, noch ärmlichen Hoffnungskeime in der Brust des Sohnes erstickte.

Als er am nächsten Tag abreiste, war er in Rahel fast verliebt und mit seinem Sohne böse. Was er erst für eine „heilsame Lehre“ angesehen hatte, darin fand er nun schon die gerechte Strafe für eine unglaubliche Dummheit.

Rahel kehrte in ihr Vaterhaus zurück. Der Abschied von den Ihrigen war flüchtig, vielleicht auch etwas befangen von der einen, sehr gedrückt von der andern Seite. Im letzten Augenblick erfuhr Rahel noch eine neue Kränkung: ohne sie zu fragen, ob ihr gerade diese Gesellschaft willkommen sei, hatte man ihr Fräulein Malchen als Ehrendame ins Schloß geladen für die ganze Dauer der elterlichen Abwesenheit.

Und so konnte denn das neue einsame, hoffnungsleere Leben anfangen. Es gab nichts darin als Pflichten, die sich in täglich genau wiederholter Reihenfolge gewohnheitsmäßig erfüllen ließen.

Die stete Gegenwart von Fräulein Malchen wirkte dabei so niederdrückend; es war Rahel, als habe sie ein wandelndes Bild ihrer eigenen Zukunft vor sich.

Die Tage waren endlos lang, und wenn Onkel Raimar nicht jede Woche einige Male gekommen wäre, hätte Rahel diese Oede nicht ertragen.




11.

Der Monat September ging schon zu Ende, und damit stellte sich für Rahel eine neue Sorge ein. So lange die Husaren sich im Manöver befanden, ruhte in der Gegend stets fast alle Geselligkeit. Die Baronin Ehrhausen begab sich während dieser Zeit auf Reisen, Römpker pflegte sonst in Karlsbad zu sein, die Offiziersdamen meist zum Besuch bei Verwandten. Nun aber, wenn alle zurückkehrten, begann das lustige Leben von neuem, und so unerträglich Rahel oft die Einsamkeit mit Fräulein Malchen war, jetzt dünkte es ihr noch unerträglicher, in Gesellschaften zu gehen, wo sie unter Fremden „ihm“ begegnen würde.

Sie hatte ihn nicht wiedergesehen; denn einmal, als Onkel Raimar sie und mit ihr pflichtschuldigst Fräulein Malchen eingeladen hatte – es war gleich in der ersten Woche gewesen – gab es eine alberne Scene. Fräulein Malchen sträubte sich, das Haus eines Junggesellen zu betreten. Rahel mochte ihr vorstellen, daß sie ja auf Kohlhütte sogar schon gewohnt habe, und daß Raimar ihr Vater sein könnte, es half alles nichts. Fräulein Malchen blieb dabei, daß Raimar eben ihr Vater nicht sein könnte, sondern nur ein Jahr älter sei als sie, daß er ihr überdies früher den Hof gemacht habe und sie deshalb um jeden Preis üblen Schein vermeiden wolle.

Hieraus schloß Rahel zu ihrem Erstaunen, daß Raimar offenbar der Gegenstand zarter Hoffnungen für Fräulein Malchen gewesen war.

Junge Leute denken nie, daß ein so verkümmertes ältliches Wesen auch einmal das Herzensrecht ausgeübt haben könne, still zu lieben und zu hoffen.

Rahel hatte nun weder gefühlsseliges Mitleid dafür, noch verständnißlosen Spott; sie fand nur, daß es ihre Pflicht sei, Malchen das Opfer „Kohlhütte“ zu bringen.

Eines Tages kam Raimar mit einer Neuigkeit, welche sehr erschütternd wirkte.

Graf Robert Clairon war aus dem Manöver nicht mehr zu seinem Regiment zurückgekehrt. Die Nachricht, daß sein Bruder und dessen Frau mit einem Jagdwagen verunglückt seien, habe ihn nach Westernburg, seinem Familiengut, gerufen. Die Frau solle nur ganz gering verletzt sein. der Bruder dagegen schwer, fast hoffnungslos. Raimar wußte es von Ehrhausen, der noch in Urlaub war, aber ihm ausführlich geschrieben hatte. Ob der Majoratsherr Kinder habe, wußte Raimar nicht.

Fräulein Malchen glaubte sich gewiß zu erinnern, daß nie von solchen die Rede war. Sie erging sich in großen Klagen, daß eine solche Schicksalsverkettung offenbar eine ersichtliche Fügung Gottes sei und als eine vorbedachte Strafe gegen Lea erscheinen müsse.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_432.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)