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Seite:Die Gartenlaube (1891) 343.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihr Haar auf eine besondere Weise geordnet und dachte, wie ein Diadem sich darin ausnehmen würde.

„Ich soll Deine Meinung hören über …“

„Ach was! Mama ist sich gewiß im unklaren, ob sie einen schwarzen oder rothen Seidenflicken auf ihren Teppich nähen soll. Laßt mich doch zufrieden!“ rief Lea.

„Nicht gerade das …“

„Einerlei was. Thut, wie Ihr wollt, mir ist alles recht, oder besser, alles gleichgültig!“

Rahel schwieg ein Weilchen. Dann sagte sie noch:

„Beeile Dich doch mit Deinem Anzug! Lüdinghausen wundert sich gewiß, wo Du so lange bleibst.“

Unten trat Rahel ganz sicher ein, als habe sie den ausführlichsten Bescheid bekommen.

„Ich habe mit Lea gesprochen. Wie werden es also folgendermaßen machen: die Schulden werden bezahlt, aber die Gütergemeinschaft zwischen den Eheleuten wird aufgehoben, das Gewese der Frau zugeschrieben und im Kreisblatt bekannt gemacht, daß der Mann weder das Recht hat, zu kaufen noch zu verkaufen. So ist er völlig abhängig von ihr, hat kein Geld zum Trinken mehr und kann Frau und Kinder nicht abermals ins Elend bringen. Giebt er dann durch Mißhandlung der Seinen oder dergleichen Grund zur Klage, so wendet man sich endlich an die Behörde. Lea ist es so recht,“ schloß das Mädchen.

Das schelmische Lächeln war wieder auf ihren Lippen und Lüdinghausen vergaß den herben Eindruck von vorhin. Wie gut sie wiederzugeben wußte, was Lea ihr gesagt! Und welche verständige Klarheit Lea in solchen Dingen hatte! Das nannte er zugleich barmherzig und gerecht entscheiden. Abermals fühlte er, daß seine Wahl die rechte sei.

Frau von Römpker lächelte Fräulein Malchen zu. Sie war sehr stolz auf ihre kluge und willensstarke Tochter Lea und begriff nur dies eine nicht, wie sie, Alide von Römpker, gerade zu solchem Kinde kam.

„Wenn Lea so entschieden hat, wird Papa gewiß derselben Meinung sein. Glaubst Du, daß wir ohne Bedenken Löhnert diesen Bescheid geben können?“ fragte sie.

„Gewiß! Um so mehr, als ich das Geld gerade liegen habe,“ sagte Rahel munter. Sie fühlte sich sehr glücklich und voll heimlichen Stolzes, hier die ersten guten Früchte ihrer Sparsamkeit zu ernten. Sie konnte ohne Besinnen und Zögern die Existenz einer Frau und mehrerer Kinder retten, während sonst lange Verhandlungen mit dem Papa nothwendig gewesen wären, der vielleicht bei seiner stets knappen Kasse noch obendrein diese Hilfe verweigert hätte.

Frau von Römpker sah ihre Tochter fassungslos an.

„Geld? Du? So viel? Woher?“ fragte sie.

Rahel lachte.

„Gespart,“ sagte sie geheimnißvoll und heiter. „Also, ich gehe hinaus zu dem Löhnert.“

„Darf ich mitgehen?“ fragte Lüdinghausen. „Dieser Löhnert – ich kenne ihn wohl – ist ein roher Mensch.“

„Stehen Sie mir immerhin mit Ihrer landräthlichen Würde zur Seite,“ sprach sie, „wenn ich auch gewiß bin, keines Schutzes zu bedürfen.“

Sie ging voran. Auf dem großen Flur, welcher sein Licht durch die beiden Fenster rechts und links vom Portal erhielt, saß auf einem der rings an den Wänden gereihten Rohrstühle ein Mann, der sich unsicher erhob, als Rahel erschien.

Der Mann war groß, trug sich etwas gebückt, hatte ein braunrothes Gesicht, bartlos und voll tiefer Falten. Unter seiner vorgeneigten Stirn schimmerten die Augen in schwimmendem Glanz. Er drehte eine schlechte Mütze in den Fäusten, seine blaue gestrickte Jacke war an den Ellbogen zerrissen. Er sah scheu auf das Fräulein und den neben ihr stehenden Landrath.

Er hatte keine Hilfe für sein Elend mehr erwartet. Er war nur gekommen, weil seine Frau ihn hergetrieben hatte. Die Herrschaft hatte ja schon so viel gegeben, es war undenkbar, daß sie noch mehr that. Und ihm war’s auch ganz egal. Bankerott oder nicht. Käthner oder Tagelöhner – der Schnaps schmeckt so oder so gleich gut.

Daß der Herr Landrath mit dabei stand, war sehr widerwärtig. Der predigte ihm sicherlich noch etwas Moralisches vor. Und Geld gaben sie doch nicht.

„Löhner,“ begann Rahel, „wir wollen Ihnen, Ihrer armen Frau wegen, noch einmal helfen.“

Er schrak zusammen, richtete sich etwas auf und starrte Rahel blöde an. Auf seinem Gesicht begann aber, als er zu verstehen anfing, allerlei zu wetterleuchten: böse Gedanken, Trotz, Wuth über die Abhängigkeit, zu welcher er verdammt sein sollte, die Unfähigkeit, das Gute in dieser Maßregel einzusehen, das Tasten nach einem ihm begreiflichen Grund dafür und endlich das Aufblitzen einer ganz niedrigen, häßlichen Erklärung.

Als Rahel endete: „Also schicken Sie Ihre Frau nur her, damit wir mit ihr alles abmachen,“ brach der Mann in ein Lachen aus.

„Wir sollen noch ’mal aus der Patsche kommen,“ sagte er höhnisch, „das ist ja über Erwarten. Und wegen meiner Frau? Na, wenn der Herr soviel für meine Frau thut, wird der Herr auch wohl seine guten Gründe dafür haben und ich bin am Ende dazumal bloß der Dumme gewesen. Aber jetzt will ich der Kluge sein, und entweder ich krieg’ das Geld oder die Karre kann im Schmutz stecken bleiben.“

Lüdinghausen stand wie auf Kohlen. Er fühlte, daß sein Gesicht sich mit dunkler Röthe bedeckte, weil man in seiner Gegenwart das Zartgefühl eines jungen Mädchens beleidigte. Er wagte nicht, Rahel anzusehen. Aber als er ihre klare, ruhige Stimme hörte, sah er doch in ihr Angesicht und erkannte, daß es völlig unbefangen und verständnißlos rein geblieben war.

„Mir scheint, Sie haben wieder getrunken,“ sagte Rahel und schüttelte den Kopf zu den sinnlosen Reden, die er führte.

„Man wird Sie gar nicht fragen, ob Sie wollen oder nicht,“ rief Lüdinghausen streng. „Ich werde die Sache in die Hand nehmen und nach dem Wunsch der gütigen Damen ordnen. Gehen Sie jetzt und hüten Sie sich, daß man Sie im trunkenen Zustand irgendwo betrifft.“

„Mir hat keiner was zu verbieten – und den Landrath geht es nichts an, wenn ich mal einen kippe,“ knurrte Löhnert und ging mit schlürfenden Schritten der Thür zu. „Und Herr von Römpker muß zahlen. Ja, das muß er. Ja, das muß er!“

Er wiederholte das Wort noch mehrmals, und noch als die Thür von draußen wieder zufiel, hörte man sein murrend schwerfälliges: „Ja – das muß er!“

„Man lernt doch auf dem Lande allerlei kennen, wovon die jungen Damen in der Stadt keine Ahnung haben,“ sagte Rahel und schaute ernst auf die wieder geschlossenen Thür. „So viel von den Rohheiten und Unbarmherzigkeiten des Lebens. Dieser Mann wird nun heimgehen und seine Frau in Gegenwart seiner Kinder schlagen. Und er wird faul auf der Ofenbank sitzen, während seine zarten Kinder graben, Wasser tragen, Kühe melken und alle möglichen anderen Arbeiten thun, welche ihr Wachsthum verhindern und ihnen die Freude der Jugend rauben. Es wird immer so viel von der Kinderarbeit in den Fabriken geredet, warum denn nie von den Kindern auf dem Lande? Aber den kleinen Löhnert, der mein Pathe ist, nehme ich mir ins Schloß, der soll mir nicht verkümmern. Das ist doch meine Pflicht und zum Glück hier mein Recht, für dies eine Kind einzutreten.“

So kam sie, ganz weiblich, von ihrer allgemeinen Bemerkung auf ihren besonderen Einzelfall zurück.

Lüdinghausen fühlte sich von ihrer Rede unbeschreiblich angenehm berührt. Gerade so war seine Mutter gewesen. Das Allgemeine, Große war ihr nicht entgangen, sie hatte sich auf ihre Art und nach dem Maß ihres weiblichen Verständnisses für alle Fragen der Volkswirthschaft interessirt, sich gern und begierig darüber belehren lassen, aber hatte alles in ihrem kleineren Pflichtenkreis zur Nutzanwendung gebracht, ohne sich in Erörterungen einzulassen.

„Wie gut,“ dachte er, „daß mir die Schwester meiner Zukünftigen so sehr zusagt! Das ist nicht gleichgültig – o, gar nicht, denn die Familie meiner Frau ist auch meine Familie.“

Er begann, als Antwort auf Rahels Bemerkung, von seiner Heimath zu sprechen und ihr von all den Maßnahmen zu erzählen, welche seine Eltern in Laufe der Jahre für die Kinder der Bergleute und Tagelöhner getroffen hätten. Er schilderte sehr beredt die Wirksamkeit seiner Mutter, und sein ernstes, kaltes Gesicht bekam dabei einen Schimmer von Wärme, der seine Züge sehr schön machte. — —

Unterdessen fing Lea oben an, sich ein wenig zu beeilen. Ihr war natürlich völlig klar, weshalb Lüdinghausen heute einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_343.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2023)