Verschiedene: Die Gartenlaube (1889) | |
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„Beppo, ich habe Dir großes Unrecht gethan und mich an Eurem Glück, an dem Leben Eures armen Kindes versündigt. Ich habe es gebüßt, schwer und hart gebüßt und hoffe, Gott hat mir verziehen. Willst Du mir auch verzeihen?“
Von Beppos Herzen wich, als der Cavig so zu ihm sprach und ihm tiefbewegt die Rechte bot, eine Bergeslast. Er hatte ein Gefühl, als öffne sich über ihm der Himmel, alles Blut drang ihm zu Kopfe und stammelnd, unfähig, ein klares Wort herauszubringen, bewegten sich seine zitternden Lippen. Da rief plötzlich vom Hause her eine nur zu wohl bekannte Frauenstimme:
„Beppo! – Beppo!“
Jetzt hielt sich der arme, der glückliche Beppo nicht mehr, denn wie er aufschaute, sah er Aninia mit strahlendem Angesichte und offenen Armen auf ihn zufliegen. Nur ihren Namen vermochte er auszusprechen, da umfingen ihn die Arme Aninias und Freudenthränen weinend barg sein Weib ihr Antlitz an seiner Brust.
„Aninia!“ stammelte er ganz verwirrt von all dem Glück, das da so plötzlich auf ihn einstürmte. „Ich soll Dich noch in meinen Armen halten – ich, der …“
„Still, still!“ raunte sie ihm hastig und nur ihm hörbar zu. „Kein Wort mehr über das, was geschehen; es ist vergeben – vergessen und gesühnt durch das, was Du jetzt für unsere neue Heimath und für uns gethan hast. – Und ich,“ rief sie jetzt wieder mit lauter Stimme – „ich habe Dich nie vergessen!“
Jetzt erst lebte Beppo auf und, sein wiedergewonnenes glückliches Weib fest an seine Brust pressend, fühlte er in einer langen seligen Umarmung alles Glück wieder neu in seinem Herzen aufblühen, das er schon so lange todt und begraben geglaubt hatte.
„Die alte Mutter Barbla scheint der Herr Soldat vergessen zu haben!“ sprach da plötzlich eine tiefe Frauenstimme.
„Mutter!“ schrie Beppo in hellem Jubel auf. Von Aninia riß er sich los und umarmte in inniger Liebe und Dankbarkeit die alte Frau, ihr die Thränen von den gefurchten Wangen, von den guten, treuen Augen küssend.
Da wurden in der Ferne kriegerische Töne, Trommelwirbel und einzelne Trompetenrufe laut, vom Ausgang des Dorfes nach Campfèr zu tönten sie her. Doch die Silvaplaner brauchten nicht mehr zu bangen, es waren österreichische Truppen, welche gekommen waren, die fliehenden Franzosen zu verfolgen und das Engadin abermals zu besetzen. Und von Stunde an hatten dessen Bewohner nichts mehr von ihren Feinden zu befürchten, friedliche Ruhe war für lange Jahre in dem stillen Hochalpenthale und bei denen eingekehrt, deren wechselvolle Schicksale, deren Freuden und Leiden wir kennengelernt haben.
Unsere Erzählung ist zu Ende, nur noch weniges bleibt zu sagen übrig.
Das arme Surley erholte sich nicht mehr, die dort Zurückgebliebenen fristeten nur mühsam ihr Leben und verarmten vollends. 1834 wurden sie noch einmal durch eine gewaltige Ueberschwemmung heimgesucht, und nun erbarmte sich endlich die Kanton-Regierung ihrer. Hoch oben auf der Alp Surley – dort, wo 1791 der Bergamasker die Wasser staute – wurde dem zeitweilig so wilden Surleybach ein neuer Weg nach dem Silvaplaner See gebahnt, und nun hätte das Dorf eine Ueberschwemmung nicht mehr zu befürchten brauchen. Doch es war zu spät! Nach einem neuen Unglücksjahr, 1834, kehrten fast alle bisher noch dort gebliebenen Leute dem gänzlicher Vernichtung geweihten Orte den Rücken und siedelten sich ebenfalls in Silvaplana an. Nur noch vier Familien blieben als die letzten zurück, und nur noch einmal im Monat kam der Pfarrer von Silvaplana, um Gottesdienst in dem ärmlichen Kirchlein zu halten, das endlich auch verfiel und zur Ruine wurde.
Das arme Surley war und blieb verödet. –
Zu den wenigen, die zwischen den Ruinen ausgehalten hatten, gehörten die Nachkommen des Clo und seines Weibes Staschia, und eine Tochter von ihnen, nach der Großmutter Maria genannt, lebte noch vor wenigen Jahren in dem alten Steinhause, welches alle Ueberschwemmungen überdauerte.
Und der Franzosen-Peider, der erste der schweizer Konditoren?
Er hat Wort gehalten und viele seiner Graubündner Landsleute sich nachgezogen, sie in seiner süßen Kunst unterwiesen und ihnen weiter vorangeholfen. Und wie er gethan, so thaten sie, und ihre Nachkommen halten es getreulich ebenso. Wer heute durch das Bergell und das Engadin reist, findet in jeder Ortschaft mehrere, oftmals eine ganze Gesellschaft ehemaliger schweizer Konditoren und Cafetiers, die in aller Herren Ländern in der ganzen civilisirten Welt fleißig gearbeitet, sparsam gelebt haben und dann in ihre Heimath zurückgekehrt sind, um hier den Abend ihres Lebens in friedlicher Ruhe zu verbringen, hier den eigentlichen Lohn ihrer Arbeit zu finden. Es ist ein schöner Beweis für die Liebe, welche die Engadiner – wie überhaupt alle Schweizer – ihrer Heimath bewahren, daß das ganze Leben und Streben, die volle angestrengte Thätigkeit eines Menschen in der glänzendsten Stadt draußen in der Welt einzig und allein darauf gerichtet ist – einstens sorgenlos in seinen abgelegenen Bergen leben und sterben zu können. Und das herrliche Engadin verdient eine solche Liebe, solch freundliches Gedenken, nicht allein von seinen eigenen Kindern, sondern von einem jeden, der es geschaut hat. Wer einmal durch seine Thäler, über seine Höhen, in seiner milden Sonne gewandert ist, vergißt es nie! – –
Soweit die Gesittung ihre Arme ausgestreckt – nein, weit darüber hinaus noch! – soweit die meerbefahrenden Träger der Kultur vordringen, bis an die äußersten Grenzen unseres Erdenrundes ist das Wort „Lloyd“ bekannt und hat sich trotz seiner befremdenden Form überall rasch eingebürgert. Und nicht nur das Wort ist bekannt, nicht nur die Anstalt, die zuerst unter dieser Bezeichnung ins Leben trat, sondern es giebt auch nur wenige schiffahrttreibende Völker, die nicht längst ihren eignen nationalen Lloyd sich begründet hätten. Deutschland selbst hat seinen „Norddeutschen Lloyd“, Oesterreich seinen „Oesterreich-Ungarischen Lloyd“ etc.
Was aber bedeutet das Wort ursprünglich? Es ist der noch heute im Englischen keineswegs ungewöhnliche Name eines Mannes. Und was war derselbe? Besitzer eines Kaffeehauses. Es war um das Jahr 1652, daß das erste „Coffee-house“ in London eröffnet wurde zum Verkauf des neuen Tranks, gewöhnlich genannt „Kauphy“, wie die damalige Schreibweise war. Diese „Kaffeehäuser“ erfreuten sich bald eines so erheblichen Zuspruchs, daß Karl II. darob besorgt wurde und sie sammt und sonders schließen ließ, nicht sowohl weil er den neuen Trank an sich für staatsgefährlich hielt, sondern weil dieser „Veranlassung gab zur Ansammlung von Männern, die, mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden, allerorten falsche, böswillige und schändliche Gerüchte ersannen und verbreiteten zur Schmähung Seiner Majestät Regierung und zur Störung von Ruhe und Frieden im Reiche.“
Die strengen Maßregeln dieses mit äußerster Willkür herrschenden Monarchen scheinen aber seine Regierung nicht überlebt zu haben. Es thaten sich bald wieder andere Räume auf, in denen dieser gefährliche Bohnentrank dargeboten wurde; und ein solches „Kaffeehaus“ wurde auch von einem Mr. Edward Lloyd gegründet, das wir zuerst im Jahre 1688 erwähnt finden und das, in Lombard Street, in unmittelbarer Nähe des Hafens gelegen, alsbald ein beliebter Sammelpunkt für Schiffskapitäne und Reeder wurde.
Für diese seine Gäste gab der unternehmende Mr. Lloyd bald ein besonderes Blatt heraus, „Lloyds News“, das nächst der amtlichen „London Gazette“ die älteste Zeitung Englands ist und natürlich in erster Reihe Schiffahrtsangelegenheiten zur Sprache brachte. Eine weite Verbreitung ist dem Blatte kaum nachzurühmen, da es fast ausschließlich in Lloyds Kaffeehaus selbst auslag. Hier stellten sich denn alle Leute, die mit überseeischem Handel und Schiffahrt zu thun hatten, aufs zahlreichste ein, ähnlich wie die alten Athener auf den Marktplatz strömten, um etwas Neues zu erfahren. Das Kaffeehaus wurde alsbald auch der anerkannte Mittelpunkt für Versicherungen von Schiffen und Schiffsladungen; und das ist noch bis auf diesen Tag die Thätigkeit, die sich zunächst an den Namen „Lloyds“ knüpft. Die Genitivform ist noch immer beibehalten, da eigentlich das Wort „Coffee-house“ zu ergänzen ist, obschon die großartige Anstalt, die sich unter dem Namen „Lloyds“ im Laufe der Zeit entwickelt hat,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_663.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)