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Seite:Die Gartenlaube (1884) 299.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884)

betrachten und ihren Lebenszweck nur darin finden, zu prunken, zu genießen und „bedient im Hause zu ruhen“! Sind die vielen Klagen über die zunehmende Genußsucht, die arbeitsscheue Anmaßung gerade unter Töchtern gebildeter Stände ohne Grund? Steht die statistisch nachgewiesene Verminderung der Procentsätze der Eheschließungen in keinem Zusammenhange mit der weitgehenden Abneigung „gebildeter“ junger Mädchen gegen häusliche Geschäfte? Arbeiten nicht gerade unsere höheren Mädchenschulen in ihrer jetzigen Gestalt auf’s Wirksamste darauf hin, diese Abneigung systematisch großzuziehen?

Es soll hier keineswegs die Ansicht moderner Dunkelmänner vertreten werden, daß Mädchen „nichts zu lernen brauchten“; es soll vielmehr mit besonderem Nachdrucke hier die Forderung gestellt werden, daß die Frau sich als ebenbürtige, verständnißvolle geistige Genossin des Mannes zeige; aber eben deshalb soll hier mit nicht geringerem Nachdrucke darauf hingewiesen werden, daß ein aufgehäufter Vorrath von Regeln, Vocabeln, Geschichtszahlen und technischen Ausdrücken nicht die Bildung ausmacht. Bei Mädchen führt diese Ueberfülle lediglich zur Oberflächlichkeit, die einseitige Verstandesbildung wird nur auf Kosten der Herzensbildung erreicht, und wenn nicht gerade der deutschen Frau eine so reiche Fülle der schönsten Eigenschaften des Gemüthes zu Theil geworden wäre, so würden unsere häuslichen Verhältnisse schon längst eine schlimmere Gestalt zeigen.

„Das Beste und Schönste leistet das Weib stets als freundlicher Schutzgeist gesegneter Häuslichkeit. Wo in dieses größte Glück des Menschen zerstörend eingegriffen wird, da sehen wir Aerzte leiblichen und seelischen Verfall als unausbleibliche Folge. Aus den Häusern, in denen die Hausfrau gemein und lieblos waltet, flüchten Mann und Kinder, Vergessen und Zerstreuung suchend in Leib und Seele verderblichen Genüssen“ – so warnt der Straßburger Bericht.

Der Weg, auf dem wir heute weiterdrängen, kann uns nur zum Unheil führen, wir müssen in eine andere Bahn einlenken.

(Schluß folgt.)

Ein Straßenbau und die Anlage einer deutschen Colonie in Brasilien.
Von F. Keller-Leuzinger.
II.

Hütte eines deutschen Colonisten in Brasilien.

Zum Bau der neuen Straße, deren Bedeutung wir im vorigen Artikel besprachen, wurden Ingenieure berufen – zuerst französische, und als binnen Kurzem deren Untauglichkeit sich herausstellte, deutsche, welche, nachdem sich späterhin auch noch ein Brasilianer vorgefunden, die große Arbeit im Laufe von sieben Jahren glücklich zu Ende führten.

Für den Techniker und selbst für den Laien dürfte eine kurze Beschreibung der Procedur, welche bei den Vorarbeiten, den Aufnahmen und Nivellements befolgt wurde, von Interesse sein, da dieselbe von der in Europa üblichen doch in mancher Hinsicht abweicht.

In den Ländern alter Cultur bestehen ja Verkehrswege nach jeder Richtung hin, die in die vorhandenen topographischen Karten mit wünschenswerther Genauigkeit eingetragen sind.

Wir können also hier, wenn es sich um den Entwurf einer neuen Straße handelt, im Studir- und Arbeitszimmer mit Zirkel und Bleifeder die projectirte Straßen- oder Eisenbahntrace in aller Gemächlichkeit wenigstens annähernd auf der Karte einzeichnen, um sie dann draußen in der Natur mit einigen Correcturen endgültig festzulegen.

Es wird im Allgemeinen nicht der geringste Zweifel obwalten, welche Flußthäler zu verfolgen und welches die niedrigsten und günstigsten Uebergänge oder Pässe seien, um von einem in’s andere zu gelangen.

In der neuen Welt aber, und besonders in deren südlicher Hälfte, ist dies anders: der Ingenieur muß sich dort, da genauere, irgendwie umfassende topographische Aufnahmen durchaus nicht vorhanden sind, zuerst selbst seine Karte construiren und sich die nöthige Terrainübersicht durch Kreuz- und Querzüge, flüchtige Croquis, Höhenmessungen etc. auf die mühseligste Art verschaffen, ehe er überhaupt nur daran gehen kann, seine Straßenlinie zu ziehen und zu sagen: hier muß es durchgehen. Erst dann, wenn er darüber möglichst im Klaren ist, wird er, ohne befürchten zu müssen, eine vergebliche Arbeit zu schaffen, zur eigentlichen Vermessung der Linie mit Theodolit (Höhenmesser) und Nivellirinstrument schreiten können.

Es hat dies ohne Zweifel seinen eigenen Reiz; die damit verbundene körperliche und geistige Anstrengung ist jedoch keine geringe.

Im alten Europa und in cultivirter Gegend liegt außerdem die Bodengestaltung in den meisten Fällen klar zu Tage; in den pfadlosen Urwäldern des neuen Continentes aber müssen wir gleichsam mit verbundenen Augen herumtasten, bis es uns gelingt das Richtige zu finden.

Eine Arbeiterschaar von 20 bis 30 Mann, Neger- und Mestizenvolk, begleitet uns, um mit Axt und Machete nach unserer Angabe den Wald zu lichten und einen Durchblick in der gewünschten Richtung zu ermöglichen; es drängt uns die Vermessung in der kürzesten Zeit und mit dem kleinsten Aufwand an Mühe zu vollenden, und doch möchten wir uns nicht das geringste topographische Detail entgehen lassen, um bei der endgültigen Festlegung der Zugslinie Rücksicht darauf nehmen zu können.

Mühsam klettern wir an dem steilen Hange entlang, bei jeder Station befürchtend, der braune Bursche, der unser Instrument trägt, werde das Gleichgewicht verlieren und kopfüber in die Tiefe stürzen. Wir berechnen annähernd das Gefälle aus der uns zur Verfügung stehenden Länge und der schon früher gemessenen Höhe der zu übersteigenden Wasserscheide, um zu sehen, ob wir mit dem zulässigen Steigungsmaximum ausreichen, und siehe da: es geht! wenn wir auch im Geiste schon die Minen krachen hören, die im harten Doleritgestein Platz schaffen sollen für unser Werk – und dem Handel eine Gasse. Aber wir möchten auch die gegenüber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1884). Leipzig: Ernst Keil, 1884, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1884)_299.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)