verschiedene: Die Gartenlaube (1854) | |
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No. 22. | 1854. |
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(Fortsetzung.)
„Ist der Freiherr so schlimm, Vater?“ rief Katharina, als sie mit ihrem Vater wieder allein war. „Ein stattlicher Mann und gar nicht so böse, wie Ihr immer ausschreit. Es ist dies das erste Mal, daß ich ihn gesprochen.“
„Eben weil es das erste Mal ist,“ erwiederte dieser mürrisch, „kennst Du ihn nicht. Laß Dir nur einfallen, öfter auf’s Schloß zu gehen, dann wirst Du schon andere Glocken läuten hören. Du bist eine unwissende Dirne, damit gut!“ – Er legte sich auf eine Bank, streckte sich aus und that, als ob er schliefe. –
Es war Abend geworden. Wie der Sturm, so hatte auch der Regen aufgehört, die schwarzen Wolken waren verflogen. Klar und heiter blickte der Himmel herab, ein Purpurstreif umsäumte den Horizont, die letzten Strahlen der glührothen Sonne zitterten über das Meer. Dieses lag ruhig, in Spiegelglätte, still, als lausche es der werdenden Nacht. Hie und da nur zitterte es auf, von dem leisen Schlag eines Fisches getroffen. Die hohen Tannen am Ufer regten sich nicht. Sie hatten die Schauer des Sturmes abgeschüttelt und harrten ermüdet des Schlummers. … Es war wie eine Feier in der Natur, lebendig Alles und doch ohne Leben. Der laute Hall der Luft, des Waldes und des Wassers war verstummt, wie verzaubert durch Verklärung lag Alles in träumerischer Stille. –
Katharina trat hinaus vor die Hütte. Ihr Blick schweifte durch das Dunkel des Waldes, über das Meer, sie suchte den Horizont. Es sehnte sie nach etwas Unnennbarem, nach etwas, wofür sie keine Worte finden konnte. Lange stand sie so in sinnender Betrachtung, ohne doch, in Folge ihrer dürftigen Erziehung, auch nur eine Auflösung zu finden für die vielen Räthsel, die sich in ihrer Seele drängten …
Sie war in diesem Augenblick vollendet schön. Die frische Seeluft färbte ihre Wangen mit einem höheren Roth, das Auge glänzte, als faßte es all’ die Verklärung auf, die sich über die Natur ausgebreitet hatte …
Ein junger, schwarzgekleideter Mann, der von dem Walde herüberkam, bemerkte sie und blieb am Saume desselben stehen. So schön hatte er sie nie gefunden. Langsam, immer das Auge auf sie geheftet, kam er näher. Sie hörte ihn nicht, ganz im Anschauen des Meeres versunken, bis er sie anredete:
„Woran denkst Du, Katharina?“
Sie wandte sich rasch um. „An Dich denke ich, Rudolf,“ sprach sie lebhaft, „überall sah ich Deinen Namen. Tausendfach auf dem Meere, an dem Himmel, aus den Sternen strahlte er. Ich weiß mir das nicht zu erklären. Es ist traurig, daß ich so wenig gelernt habe, nur eine Dirne bin, die Tochter eines armen Soldaten, der auf seine alten Tage Fischer geworden ist –, ich würde Dir dann in andern Worten sagen können, was ich Alles gedacht habe. Es war so viel und doch weiß ich nichts Rechtes. Mein bischen Wissen ist doch auch gar zu armselig; ich dürfte Dir nicht einmal einen Brief schreiben, ich habe das Schreiben nur eben gelernt, wie es der Schulmeister im Dorfe wußte und wie der Vater nachgeholfen. Meine Mutter hat es besser verstanden. Das soll eine kluge Frau gewesen sein. Nun, ich meine immer – sie sah ihm dabei mit treuherziger Besorgniß in die Augen – wenn Du erst in der Stadt bist, dann hast Du auch die arme Katharina vergessen, und es ist unnütz, daß ich mich mit Gedanken abquäle, die einer Bauerndirne nicht ziemen.“ –
„Aber Käthchen,“ entgegnete der junge Mann, indem er ihre Hand erfaßte, „hab’ ich Dir denn nicht oft genug gesagt, daß Du ein thörichtes Kind bist mit Deinen Befürchtungen? In Dir steckt Verstand gerade so viel, als Du brauchst, um in einem Jahre alle Frauen der Residenz in der Bildung zu erreichen. Dir Fleiß einzupredigen, werde ich nie nöthig haben, das weiß ich.“
„Ist es denn wirklich Dein Wille, Rudolf, mich nach Berlin mitzunehmen? Ich kann es immer noch nicht recht glauben. Wenn ich so manchmal an die Möglichkeit dieses Glückes denke, dann ist mir immer, als empfände ich einen Druck auf das Herz, der mir alles Blut stocken macht; als käme irgend etwas dazwischen, daß es nicht werde. Ich bin deshalb auch so still, und sonst war ich wild und ausgelassen, so wild zuweilen, Rudolf, daß der Vater lachte und ausrief: „das Mädel ist ein Junge! Jetzt ärgert mich das fast, wie ich mich mit mir überhaupt nicht zurecht finden kann. Sieh’, Rudolf, ich will Dir nichts verhehlen. Komm, dort auf die Bank wollen wir uns setzen. So. Ja, sieh, Rudolf, manchmal hab’ ich Dich so lieb, ach, daß ich es gar nicht sagen kann! Ich möchte durch den Wald jagen, hinein in’s Dorf, bis ich Dich finde. Das andere Mal – Du mußt aber nicht böse sein, Rudolf – das andre Mal, da fürcht’ ich mich vor Dir, da möcht’ ich es nicht gern haben, daß Du mir begegnest. Ich habe darüber schon manche Nacht gewacht und mir den Kopf zerbrochen, wie das wohl kommen mag. Ich find’s nicht heraus. Mag’s nun wohl sein, daß Du ein Stadtherr bist und Ich eine ungelehrige Dirne, ich weiß halt nicht, und nimmer werd’ ich’s halt wissen!“ –
Sie hatte die rechte Hand auf seine Schulter gelegt und blickte ihm fragend in’s Auge. Er war während ihrer Rede ernster geworden, es zuckte um seinen Mund, und fast schmerzlich
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_249.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)