Die Industrie ist die Königin der Welt, die mit einer unwiderstehbaren Allgewalt, wenn auch langsam und nach und nach, aber dafür um so sicherer und fester den ganzen Erdkreis unter ihren Scepter beugt. Sie regt alle geistigen Kräfte auf, weckt den schlummernden Funken und facht ihn an zu einem Weltbrande, der nicht etwa das Bestehende zerstört und vernichtet, sondern – vielmehr dem Phönix gleich, der sich in die Flammen stürzt, um daraus neugeboren, geläutert und in größerer Reinheit hervorzugehen und mit kühnem Fluge sich zum Himmel empor zu schwingen – um das Höchste und Großartigste zu erschaffen, das schon Bestehende zu vervollkommnen und zur möglichst größten Vollendung auszubilden.
Hiervon geben die Eisenbahnen, Dampfschiffe, Kanäle und elektrischen Telegraphen – alles Schöpfungen und Erfindungen der Industrie und die beredtesten Wunderwerke und Zeugnisse der Größe des menschlichen Geistes – den besten und eindringlichsten Beweis. Durch sie rückt sie die entferntesten Nationen einander näher und zieht sie alle in den Kreis der Cultur und Weltbildung, welche stets und in allen Zeiten – trotzdem, daß es den Anschein hat, als ob nur allein der höchste Materialismus ihr alleiniger Zweck sei – auch vornehmlich ihr Gefolge gebildet haben, wie die Geschichte lehrt.
Vor ihr verschwindet jede Entfernung, jedes Hinderniß und Hemmniß muß am Ende weichen; sie durchsticht Landengen und Gebirge, gräbt Canäle und weist Flüssen und Strömen andere Bahnen an, sie baut Eisenbahnen und Dampfschiffe, errichtet elektrische Telegraphen, und auf diese Weise, indem sie jede menschliche und Natur-Kraft ihren Zwecken und Bestrebungen dienstbar macht, umarmt sie gleichsam mit ihren beschwingten Sendboten die ganze Erde. Die Thatsachen für die Macht der Industrie sind unleugbar; vor ihr ist die Zerstückelung Deutschland’s verschwunden, sie kennt keine getrennten deutschen Länder, sondern nur deutsche Provinzen, und befestigt mit jedem Tage immer mehr das Band, welches 40 Millionen Deutsche umschlingt. – In Indien hat sie sich eine der großartigsten Schöpfungen gegründet, wie die Weltgeschichte keine ähnliche kennt; die britischen Colonien daselbst, ein Reich, größer als das Alexanders des Großen, sind das Resultat und die Eroberung einer einfachen Handelscompagnie.
Deshalb hat auch die Industrie nicht mehr nöthig, ihre Anerkennung als eine der ersten Mächte der Erde zu verlangen, da sie dies ja in der That schon ist; sie ist, wie ein großer Staatsmann sagt, eine Großmacht in Europa geworden und greift nach der Herrschaft über die Welt. Ihre Riesenschritte sind unaufhaltbar, und sind gleich große und gleich sichere Anbahnungen zu ähnlichen Schritten im Gebiete des Geistes, unerläßliche Grundlagen, auf denen die Vorsehung den höheren Ausbau errichtet.
Aber dieser hohe Preis, den die Industrie am Ziele bietet, will im Schweiße des Angesichts verdient sein, er ist nicht ein Preis der Unthätigkeit, sondern der Anstrengung, des Kämpfens und Ringens. Hier ist kein Stillstand möglich, es gilt einen unaufhörlichen Kampf, der ewig lebendig bleibt, einen Kampf, der alle Kräfte bewegt, alle Kräfte der Gesellschaft herbeizieht und doch kein Schlachtfeld röthet. Durch alle Länder gehet dadurch eine Gährung oder Bewegung, die keine zerstörende Revolution, sondern neue Kräftigung und Sicherung alles Bestehenden, die nicht zerstören, sondern aufbauen und erhalten, nur Glück und Segen verbreiten will.
Diverse: Album der Sächsischen Industrie Band 1. Louis Oeser, Neusalza 1856, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_S%C3%A4chsischen_Industrie_Band_1.pdf/9&oldid=- (Version vom 24.3.2018)