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Die Todteninsel

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Textdaten
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Autor: Richard Voß
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Titel: Die Todteninsel.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2-4, S. 12-15, 29-32, 46-48, 62-64
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Historischer Roman aus der Zeit der Christenverfolgung im alten Rom.
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Die Todteninsel.
Von Richard Voß.


Es war in Roms goldener Zeit. Die Kaiserstadt am Tiber war in Flammen aufgegangen und soeben aus der Asche neu erstanden. Was der menschliche Geist an Herrlichkeit, an Ueppigkeit und Vergeudung, an ungeheuerlichster Verworfenheit und schändlichem Laster hervorbringen konnte, ward ausgesprochen, wenn man Rom nannte. Mit dem Wahnwitze Nero’s war die schreckliche und scheußliche Kaiserkrankheit bereits typisch geworden: es gab Nichts, was in der Welt, die jener Grimasse eines großen Herrschers unterthan war, unmöglich gewesen wäre.

Noch lebten die Götter Griechenlands. In Rom befand sich eine Stadt von Tempeln, welche ein Volk von göttlichen Bildnissen aus Marmor, aus Gold und Elfenbein bewohnte. Ueberall standen die Altäre der Olympier. Aber bereits schwebte über der Glorie dieser Götterwelt der Schatten des Kreuzes, unter dessen triumphirendem Zeichen der Glanz der goldenen Roma erblassen, die Tempel zerbrechen, die Altäre stürzen, die Götter vergehen sollten; bereits stieg von Golgatha der Dunst vergossenen göttlichen Blutes auf, den alle Wohlgerüche Arabiens nicht zu überduften vermochten, und das bacchantische Evoë des Heidenthums durchzitterte der letzte Seufzer des sterbenden Gottessohnes: in der von Lust und Genuß übersättigten Menschheit erwachte die Sehnsucht nach einem erlösenden Tode.

Rom war das Meer brausender Lebensfreuden, schäumender Daseinswonnen und schimmernder Herrlichkeiten, von dem nach allen Himmelsgegenden Ströme ausgingen, die Welt mit Wogen römischen Glanzes und römischer Verderbniß überfluthend. Einer dieser zahllosen Kanäle, welche römische Kultur, Sitte und Fäulniß über die Erde verbreiteten, lief durch Latinum dem Meere zu, die ganze Küste von Centumcellae bis zu dem wollüstigen Bajä mit einem strahlenden Bande von ländlichen Lusthäusern und Prachtbauten säumend, daß der Strand weit hinausleuchtete in die blauenden Fernen des herrlichen, von Göttern und Menschen geliebten tyrrhenischen Meeres.

Und die römische Herrlichkeit schimmerte gleich einem Nebelstreif zu einem winzigen Klippeneilande hinüber, welches weltfern in der erhabenen Einsamkeit der Meeresfluthen ruhte.

Die Insel war der Gipfel eines todten Vulkans, fast bis zur Spitze lag der gewaltige Berg in den Wellen versenkt. Nach dem Festlande zu hatte die Gewalt des unterirdischen Elementes den Kraterrand gesprengt, aus einander gerissen und theils in die Tiefe des Kraters selbst, theils in den Abgrund der Wellen geschleudert. Als ein Halbkreis von mächtigen Wänden, an denen kein Pflänzlein Wurzel zu fassen vermochte, entstieg der braune Tufffels dem Meere; gleich dem Thron des Neptun erhob sich der geborstene Gipfel über der leuchtenden Wogendecke. Möven umkreisten die Klippen, der Seeadler ruhte darauf, die Wellen schlugen beim Sturme schäumend und donnernd daran; aber keines Menschen Fuß berührte das öde Gestein. In langer Kette zogen die Jahrhunderte an dem einsamen Felsen vorüber, langsam die Wandlung vollziehend.

Der vulkanische Stein verwitterte, und wo der Krater in sich zusammengestürzt war, deckte eine dichte Erdschicht die Trümmer. Winde und Vögel trugen geschäftig aus beiden Welttheilen Samen von Bäumen und Blumen nach dem Eiland hinüber. Im Halbkreis der Felsenmauern blühte es auf; ein tiefschattiger Hain entstand, ein paradiesisches Gefilde, die köstlichste Wildniß von Blumen und Blüthen, in denen Scharen buntgefiederter Vögel nisteten, ringsum die Luft mit Gesang erfüllend, so daß Vogellied das Rauschen der Meeresfluth übertönte.

Dann entdeckte der Mensch das glückselige Eiland. Von der Küste her kamen die Römer, und da die winzige Klippe zu wenig Raum bot, als daß ein Volk von Lebendigen darauf hätte Fuß fassen können, wurde die Insel zu einer Wohnstätte der Todten bestimmt. Man sprengte Galerien in das Gestein, wölbte Grotten und Grabkammern, rodete den Hain aus, die Platanen und Steineichen, die Palmen und Pinien, und pflanzte den Todten schwarze Cypressen, in deren Mitte sich leuchtend der Altar erhob, darauf den Unsterblichen das Opferfeuer angebrannt wurde. Was die tiefen Schatten der Bäume durchstrahlte, weit bis ins Meer hinaus, das waren die Rosen, deren Heimath der meerumbrandete Felsen zu sein schien: Rosen umblühten die Stufen des Altares, Rosen umrankten die Stämme der Cypressen, durchwanden die starren Zweige, kletterten hinauf in den Gipfel, stürzten sich von droben in schimmerndem Blüthenfall zur Erde nieder.

Und Rosen bedeckten ringsum die braunen Klippen! Gleich einem strahlenden Vorhang hing es von den jähen Wänden, in deren Tiefen die Todten schliefen, bis herab in die Fluthen. Die rosigen Blumenwellen trieben auf den Meereswogen.

Generationen von Menschengeschlechtern ruhten in den engen, dunklen Kammern vom Leben aus; ein ganzes Volk von Todten bewohnte das liebliche Eiland, schon war es mit Sarkophagen und modernden Leichnamen angefüllt, aber das Blühen der Rosen nahm kein Ende. Mancher, der aus der blauen Fluth das schimmernde Eiland auftauchen sah, rief, ernsten Auges hinüberspähend, mit gedämpfter Stimme aus:

„Seht dort – die Insel der Seligen!“

* *
*

Die Insel der Seligen, wie das Eiland von den Küstenbewohnern bald allgemein genannt wurde, ward zur neronischen Zeit außer von der Heerschar seliger Todten nur noch von einem Priester und einem Hüter der Gräber nebst ihren Familien bewohnt. Der Priester, welcher dem Dienste der Todtenopfer oblag, hieß Atinas und war ein überaus gottesfürchtiger, in seinem Glauben strenger und eifriger Mann. Sein Weib führte den göttlichen Namen Trivia. Leider starb die Frau in jungen Jahren, nachdem sie ihrem Gatten, der sie heiß liebte, einen Sohn geboren hatte. Die Götter mögen wissen, was aus dem kleinen Tullus geworden wäre, hätte das Weib des Grabhüters Daunus nicht mütterlich des Knäbleins sich angenommen. Zur selben Zeit, als Trivia einem Kinde das Leben gab und daran starb, ward auch die wackere Larina Mutter eines Mädchens, so daß sie die Quelle ihrer Brust zwischen dem mutterlosen Knaben und ihrem eigenen Kinde theilen konnte. Der arme Atinas hüllte sein todtes Weib in ein Linnen, opferte für ihren Schatten den finsteren Gottheiten und half Daunus den Leichnam in eine Grabkammer tragen. Da fast alle Höhlungen der Felsen ihre Sarkophage oder Aschenurnen bereits empfangen hatten, mußten die Männer mit der Gestorbenen bis in das höchste Stockwerk des großen Todtenhauses hinauf, woselbst sich noch einige leere Zellen [14] befanden: eine mühselige Wanderung beim Scheine einer Fackel durch die Nacht des engen Felsenganges. Als das Grab seine ewige Bewohnerin aufgenommen hatte, meinte Daunus:

„Nun ist unser Tagewerk hier bald gethan. Wenn unsere Kinder groß geworden sind, schiffen wir uns Alle ein, fahren nach Antium hinüber und wandern mit einander nach Rom. Dort soll es uns gut gehen! Die Todten hier werden wohl von den Wellen bewacht werden und auf Deinem Altare, mein guter Atinas, mögen die Cypressen und Rosen den Göttern opfern.“

Atinas erwiederte Nichts. Er gedachte seiner Todten und daß sein Weib ihren Knaben nicht sehen sollte, wenn er groß geworden war und mit der jungen Acca nach Rom zog.

Anderen Tages wurde der Eingang zur Grotte, darin sich nur noch Platz für einen Todten befand, vermauert, und Larina flocht aus Cypressenzweigen und bunten Bändern eine Tänie[1], die Atinas trauernd über die Grabthür hängte.

Einträchtig lebten die Inselleute weiter. Atinas, dessen von Natur finsteres Gemüth sich mehr und mehr verdüsterte, wohnte auf der einen Seite der Insel, wo neben dem eingestürzten Kraterrand der Fels als mächtige und unzugängliche Wand ins Meer abfiel, seinen treuen Gefährten in der Einsamkeit gerade gegenüber. Zwischen beiden Behausungen lag der Cypressenhain mit der Blumenwildniß und dem Altar in seiner Mitte. Beide Hütten waren ehemalige Grabkammern, in welche man nach dem Meere zu Fenster eingebrochen hatte. Aber weder bei Atinas noch bei Daunus war es den Räumen anzumerken, daß sie während vieler Jahrhunderte von Todten bewohnt gewesen. Die Wände waren mit hellem Stuck überzogen, darauf heitere Gemälde: Landschaften, Genien und anmuthige Menschengestalten, Bilder des Lebens, der Schönheit und der Freude erglänzten; ein bunter Fries, an dem Gewinde von Blumen und Früchten niederhingen, umrandete die mit lichten Stuckaturen geschmückte Decke. Der Fußboden trug eine schöne Mosaik und wurde an festlichen Tagen mit wohlriechenden Kräutern bestreut.

Die Geräthe beider Wohnungen waren überaus schlicht und ihrer nur sehr wenige; sie genügten indessen den Bedürfnissen der Bewohner. In der einen Kammer stand neben dem Ehebette der Webstuhl; in einem andern Gelasse befand sich der Stein, darauf das Brot gebacken und die Fische gebraten wurden, befanden sich auch die verschiedenen Amphoren, Gefäße von nicht allzu mäßigem Umfange, und der Platz, um den Mischkrug zu bewahren.

In dem kleinen Nachen, für den die sorgende Natur an dem sanften Gestade der einen Inselseite einen winzigen Hafen geschaffen, trat der biedere Daunus einmal in jedem Monat die Meerfahrt nach Antium an. In dieser herrlichen Stadt, in deren Mauern der Kaiser geboren worden, beschaffte er für sich und seinen priesterlichen Freund Alles, dessen das Haus und der Grabkultus bedurfte: Mehl und Salz, Oel, Wein und Flachs, buntes Bandwerk, um Tänien zu flechten, und allerlei Spezereien für den heiligen Opferdienst.

Nach glücklich abgeschlossenem Handel und nachdem er sich beim Oberpriester des Apollotempels gemeldet, unter welchem hohen Heiligthum die Gräberinsel stand, schiffte Daunus so eilig wie möglich wieder zurück. Die reiche, lärmende Hafenstadt mit ihrer Menge von prangenden Tempeln, Basiliken und Hallen war für sein ehrliches, weltfremdes und weltscheues Gemüth voller Schrecknisse, Gefahren und Nöthe, denen er sich erst dann glücklich entronnen fühlte, wenn er sich weit entfernt von dem sirenischen Gestade auf offenem Meere befand. Segelte er seiner lieben Gräberinsel zu, so war ihm, als ob die Wellen ihn einem seligen Gestade entgegentrügen, und das Herz bebte ihm bei der Vorstellung, daß sie, sobald die Kinder groß geworden, ihr friedliches Eiland verlassen und nach Rom ziehen würden, um sich in dieser ungeheuren Stadt ihres Lebens zu erfreuen. Der gute Daunus zerbrach sich bereits jetzt den Kopf, wie sie es dereinst anfangen sollten, in dem Gedränge der Gassen nicht erstickt und zerdrückt zu werden. Wenn schon das kleine Antium als ein Rom erschien, wie mußte dann erst die Stadt des Kaisers sein!

Die glückliche Rückkehr des Daunus aus der weiten, weiten Welt war auf der Insel jedes Mal ein Ereigniß. Der Weitgereiste sollte erzählen. Larina erkundigte sich eifrigst nach allerlei Frauenangelegenheiten: ob die vornehmen Antiatinnen sich immer noch das Haar aufthürmten, des Nachts frisches Hühnerfleisch auf die Gesichter legten und Belladonna in die Augen gössen? Ob die Frau des Cäsars wirklich goldenes Haar hätte, ein Hemd aus Byssus[2] trüge, wie Spinnweb so fein, und eine Freigelassene wäre? Ob Daunus einen Gladiator gesehen und ob in Antium nicht bald wieder ein Fest gefeiert würde, bei dem wilde Thiere gefangene Uebelthäter zerrissen?

Der schweigsame Atinas fragte nur nach Einem: aber er fragte es jedes Mal:

„Sage, o Daunus: werden in Antium die Götter geehrt?“

Dann wurde Daunus redselig:

„Das will ich meinen! Welche Tempel, welche Bildnisse, welche Weihgeschenke! Es ist nicht zu glauben!“

„Und in Rom? Hörtest Du in Antium sagen, daß auch in Rom den Unsterblichen eifrig gedient würde?“

„Je nun, in Rom – freilich, auch in Rom; ganz sicher auch in Rom! Es soll nicht zu glauben sein!“

„Aber der Kaiser?“

„Nun, das ist Einer! Der versteht’s! Das ist ein Anderer als der Caligula. Und wie er die Götter ehrt! Er soll sogar daran denken, selber einer zu werden, ein ganz anderer, als der Caligula war: ein wirklicher Gott. Gar nicht zu glauben ist’s! – Sagtest Du Etwas?“

Doch Atinas hatte Nichts gesagt; nur tief aufgeseufzt hatte der Priester.




Unter Todten, die in ihrem ewigen Frieden selig waren, und unter Blumen, welche das ganze Jahr hindurch blühten, wuchs das Kinderpaar auf; an Lebensfülle, Heiterkeit und Schönheit jungen Göttern gleich. Die kleine Acca mit ihren zarten Gliedern, dem schlanken Hals und blassen Gesichtchen glich einem Marmorbilde der Psyche, welches in einem laurentinischen Heiligthum verehrt wurde. Sie hatte lichtes, welliges Haar und in ihrem lieblichen Antlitz erstrahlten die Augen in dem tiefen Blau der von Sonne durchleuchteten Meereswogen. Wenn sie lächelte, was sie that, so oft sie ihres Spielgefährten ansichtig ward, erschien sie so reizend, daß selbst Atinas glaubte, es könnte auf der Welt nichts Holdseligeres geben. Ihre Stimme war voll Wohllauts, und sie hatte eine eigentümlich anmuthige Art zu gehen und sich zu bewegen. Im Spiel mit dem Knaben huschte und schlüpfte sie wie eine Eidechse durch die Büsche; dann hörte man durch die Zweige ihr Lachen, lieblich wie Sirenengesang.

Sie war heiteren Gemüthes, von einem stillen Frohsinn, gleichmäßig sonnig, einem schönen Frühlingsmorgen ähnlich. Wenn sie in die Kammer ihrer Eltern oder in die Wohnung des Atinas trat, so schien der trübste Tag plötzlich weniger trübe, ein sonniger noch strahlender zu werden. Frühzeitig lernte sie, ihrer Mutter Larina beim Flechten der Tänien behilflich zu sein, welche das Weib des Grabhüters an bestimmten Tagen vor den Grabkammern aufzuhängen hatte; sie goß für Vater Atinas den Wein in die Opferschale, häufte die Spezereien auf dem Altar, den sie jeden Tag mit frischen Blüthen kränzte, und schaffte bereits als halbwüchsiges Mädchen eifrig mit der Spindel und am Webstuhl. Da nun seit dem Tode der armen Trivia in des Atinas Kammer der Webstuhl verlassen stand, so war Nichts natürlicher, als daß der leere Platz von Acca eingenommen wurde, welche auch sonst im Hause des Priesters geschäftig als kleine Domina waltete.

Auch der junge Tullus war von besonderer Art, ein prächtiger Bursche, um dessen braunes Antlitz düstere Locken sich ringelten, mit schwarzen, blitzenden Augen, die bald in überquellender Lebenslust und Jugendfreude aufleuchteten, bald voll unsäglicher Schwermuth still vor sich hinblickten. In solchen Stunden schien des Knaben Seele eine Flamme zu sein und er sich bei diesem innern Feuer zu verzehren.

Schneller als Tullus selbst empfand Acca die Wandlung, die so häufig mit ihrem Freunde vorging. War sie bei ihm, so wich sie nicht von seiner Seite. Nie war ihr Lächeln so lieblich, ihr Antlitz so sonnig, ihre Stimme so voll süßen Wohlklangs, als wenn Tullus’ Geist von der dunkeln Wolke beschattet ward, von der auch das Mädchen nicht wußte, woher sie kam und was sie barg. Sie steckte dann voller unschuldiger List und Künste, denen nicht zu widerstehen war. Tausend Einfälle flogen ihr zu, immerfort neue, mit denen sie den Freund fortzulocken wußte; allerlei [15] anmuthige Possen kamen ihr in den Sinn. Sie summte schelmische Lieder, die Niemand sie gelehrt, erzählte wunderschöne Geschichten, die sie von Niemand gehört hatte. Aus der engen Kammer trieb sie den schwermüthigen Gespielen heraus in den von Sonnenglanz durchflutheten Tag. Sie selbst versteckte sich im Hain; Tullus mußte sie suchen, und fand er sie endlich, so schleuderte sie ihm eine Fülle von Rosen ins Gesicht. Dann riß auch Tullus Blüthen ab; es entbrannte zwischen Beiden der Kampf, bei dem der Jüngling Heldenthaten beging und seine reizende Feindin glorreich besiegte. Oder sie lockte die Vögel, die Nachtigallen, die Amseln und die Tauben, welche alle Acca als Herrin und Königin des Eilandes kannten und ihr unterthan waren. Die kleine Zauberin stand auf den Stufen des Altars und von allen Seiten kam das Gevögel herangeflattert. Zwitschernd und gurrend schwirrte es aus den Blumendickichten und den Wipfeln der Cypressen nieder; von den Felsenwänden kamen sie geflogen, ein schimmerndes Gewölk, das sich, Acca’s Haupt umrauschend, zu ihren Füßen niedersenkte. Auf Schultern und Armen saß das kecke Vogelvolk, die Brosamen aus den geöffneten, rosigen Lippen naschend. Dann wurde Tullus eifersüchtig, dann lachte Acca.

Zuweilen zog das Mädchen den Träumer mit sich fort, tief in das Innere des Todtenberges hinein. Die düsteren Gänge entlang, die engen Felsenstiegen empor, die sie kannten wie die Gänge und Wege draußen im Hain, an allen den Gräbern und Grüften vorüber, klommen sie hoch und höher, bis sie wieder hinauf an den Tag und auf den Gipfel gelangten. Auf seinem schmalen Rand dahinschreitend, schienen sie zwischen Himmel und Erde zu schweben. Zu ihren Füßen ruhte das herrliche Meer, so weit sie blickten in dunklem Purpur erstrahlend, oder in hellem Silberglanz aufleuchtend, unübersehbar, unendlich, aus seinem heiligen Schoß die schöne Erde zur Sonne emporsendend und in seinen Abgrund den Himmel herabziehend mit aller seiner Wolkenpracht. Dann stand Acca auf der Klippe; ihr weißes Kleid wehte um ihre winzigen bloßen Füße, es wehte um Stirn und Wangen ihr glänzendes Haar. Sie hob die Arme. Es war, als ob ihren Schultern Flügel entwachsen müßten und die kleine lichte Gestalt sich aufschwingen würde in den Himmel hinein. Waren die Beiden in die blühende Tiefe zurückgekehrt, so war Tullus’ Blick wieder beruhigt, dann wand ihm die Freundin zum Lohn für seine freundliche Miene von ihren schönsten Blumen einen Kranz. Diesen setzte sie ihm auf, und wenn er sie zum Dank küssen wollte, entwand sie sich ihm; er mußte sie jagen und fangen und halten. Dann tönten die Stimmen der beiden Unschuldigen und Reinen fröhlich durch die wonnige Wildniß, mit den Vogelstimmen und dem Rauschen der Wogen sich mischend.

Aber nicht immer gelang der jungen Sirene ihre Bestrickung; zuweilen enteilte Tullus, wohin sie ihm nicht zu folgen vermochte. Er sprang in den Nachen und trieb mit raschen Schlägen vom Lande ab; taub für die süße, flehende Stimme, die vom Ufer her zu ihm drang, blind für die kleine, einsame Gestalt, für die ihm zuwinkende Hand, ihren bittend erhobenen Arm. Oft geschah es dann, daß Tullus im Nachen sich hinwarf und, vollständig unbekümmert um Wind und Wellen, dalag, zum Himmel aufblickend, der wie ein zweiter, blauender, strahlender Ocean über ihm fluthete; die junge Seele krank vor Sehnsucht nach einem unbekannten, aber göttlichen Glück, träumte der Knabe.

Einmal war es ihm, als sähe er den Himmel offen. Alles war Glanz und Glorie. Zwei leuchtende Gestalten schwebten empor. Acca und er! Es waren aber nur zwei zarte Wölkchen, die dem Abendroth zuwallten. Da sie in das goldene Licht eintauchten, lösten sie sich auf und zerrannen.




Weil auf der Todteninsel beinahe alle Grabstätten gefüllt waren, kam von der Küste selten noch Jemand herübergeschifft. Nur bisweilen erschien im Morgengrauen dieser und jener Trauernde, um an irgend einem Gedächtnißtage seinen Gestorbenen eine Tänie zu bringen und nach kurzem Aufenthalt wieder zu scheiden. Niemals kam Jemand von den Ponza-Inseln herüber, deren Bewohner die nächsten Nachbarn der Leute auf dem Gräbereiland waren; denn dort lebten Verbannte, Feinde und Widersacher des Kaisers, welche der Herr der Welt nicht hatte tödten lassen wollen und daher auf diese öden Klippen sandte, wo ihr Leben ein langsames Sterben war. So kam es, daß von der Sturmfluth der Ereignisse und Dinge selten der Schall einer verrauschenden Woge zu den fünf Einsamen drang; aber es befand sich unter ihnen Keiner, der sich nach den brausenden Tönen des Lebens gesehnt hätte; jeder Laut, der nicht von dem altgewohnten Liede der Wellen und Winde herrührte, gellte als Mißklang in diese von den Vogelstimmen und dem Lachen Acca’s durchtönte reine und schöne Welt.

Friedlich spannen sich die Tage ab. Mutter Larina und Acca walteten sorgsam in den beiden Häusern; der fromme Atinas diente mit alter Strenge den Göttern, von Jahr zu Jahr mehr in seinem Gemüth verdüstert, während der derbere und gutmüthigere Daunus für Herd und Tisch bedacht war, wobei ihm Tullus zur Hand gehen mußte; er that es nicht allzufreudig.

Manchen Tag befanden sich die Beiden schon beim Morgengrauen auf dem Meere; aber anstatt dem Daunus zu helfen, das schwere Netz zu werfen, hockte Tullus im Nachen und schaute der Sonne zu, wie der große, goldige Flammenball aus dem Purpurgewölk langsam und feierlich aufschwebte und die ersten Strahlen sich über die noch dunklen Wellen ergossen. Dann murrte der wackere Daunus: „Aus Dir wird Dein Lebtage Nichts. Wozu Du wohl auf der Welt bist?“

Das hätte Tullus selbst gern gewußt; da er es aber nicht wußte, überließ er diese Sorge den Göttern.

Eine noch unliebsamere Beschäftigung war dem Jüngling, zu den Zeiten, wo der Thunfisch die Küsten entlang strich, mit Daunus des Nachts auf den Fischfang auszuziehen. Alsdann flammte am Bug des Schiffes die Harzfackel; Daunus lehnte mit dem spitzigen Dreizack über den Rand und traf mit sicherem Stoß den Thun in den fleischigen Rücken, worauf es zwischen Fischer und dem mächtigen verwundeten Thier häufig zu einem Kampf kam, bei dem in dem schwankenden Kahn auch der Mensch seines Lebens sich wehren mußte. Bessere Zeit war im Frühling, wenn der Jüngling mit dem Alten die Klippen erstieg, um den von Afrika wiederkehrenden Wachteln Netze zu stellen. Von dem weiten Flug übers Meer zu Tode ermattet, ließen sich die heimkehrenden Vögel in Scharen auf den Felsen nieder: eine leicht erjagte Beute, welche Larina’s Vorrathskammer füllte.

War des Tages Arbeit vorüber, fand man sich beim Altar zusammen. An schönen Abenden, deren es auf diesem seligen Eilande gar viele gab, ruhte man nach vollbrachtem Opfer am Ufer, angesichts der lang sich hinziehenden lateinischen Küste. Dann erzählte Atinas von dem göttlichen Helden Odysseus. – Dort, wo jener Felsenthron dem Meere entstieg, waren die Gärten der argen und holdseligen Zauberin Kirke! Und Atinas erzählte von dem unsterblichen Aeneas. An jenem Gestade, der Insel gerade gegenüber, war der Held mit den Seinen nach langer Irrfahrt gelandet; damals war die Gegend dort drüben dunkle Waldung und schauervolle Wildniß, grenzenlose Steppe und Sumpf. Gen Antium zu erhob sich unweit des Meeres die Stadt des schönen Rutulerfürsten Turnus; mächtig ragten, von hochstämmigem Lorbeer beschattet, die Mauern der Stadt des greisen Königs Latinus, der den stammverwandten griechischen Fremdling gastlich empfing, diesem die Tochter, die liebliche Lavinia, zur Ehe gelobend. Heiß entbrannte zwischen Rutulern und Latinern der Kampf, dem von des Albanus Höhen die zornige Juno zuschaute: dort ragte der Gipfel des heiligen Berges! – In jenen Wäldern starb das herrliche Jünglingspaar Nisus und Euryalus den Heldentod, sank der wonnige Pallas aus Todeswunden blutend auf die Blumen der Flur, beweint von Göttern und Menschen.

Starren Auges schaute Tullus hinüber, wo so hehre Dinge geschehen waren. Ein Nebelstreif, versilbert durch Mondesglanz, säumte das Land. Aus dem Haupt des Albanus, der des Landes höchstes Heiligthum trug, stieg das sanft glühende Himmelslicht empor; eine breite Strahlenbrücke führte von der Insel zur Küste hinüber: hätte Tullus sie beschreiten können!

Leise erhob er sich und schlich davon in die Finsternisse des heiligen Haines. Hier, auf den Stufen des Altars, darauf das Opferfeuer verglühte, warf er sich nieder, seufzte, schluchzte, weinte. Schön war das Leben, denn Acca athmete es! Aber noch schöner mußte es sein, das Leben dahingeben zu können, zu sterben – ganz gleich um was; starb man nur den Tod eines Helden. Acca war dem Freunde nachgeschlichen. Sie kauerte neben ihm nieder, raunte ihm zu, tröstete ihn. Aber selbst Acca konnte nicht trösten. So geschah es manche Nacht. [29] Daunus befand sich auf einer seiner gewöhnlichen Ausfahrten nach Antium, mußte indessen jede Stunde zurückkehren. Es war Abend geworden, das Meer bewegt, der Himmel bewölkt; aber der Wind erwies sich dem Heimkehrenden günstig, so daß die Seinen sich um den einsamen Schiffer nicht zu sorgen brauchten. Da der Herbstabend kühl war, hatten sie sich in der Kammer des Atinas versammelt. Die dreiarmige Lampe brannte; auf dem Herde knisterte das Feuer; vor dem Fenster hing der bunte Teppich herab. Man hörte von fern das Rauschen des Windes in den Cypressen und das Meer an die Felsen rollen. [30] Atinas erzählte von den Göttern, in deren urewiges Sein und Wesen sich der Priester mit immer mehr sich steigernder Inbrunst versenkte, eifrig bestrebt, in seinem Sohn den Göttern einen wahrhaft frommen Diener zu erziehen. Und das schien dem Vater zu gelingen, denn so wenig der junge Tullus von der Welt und dem Leben kannte, so gut Bescheid wußte er mit den Himmlischen, die er liebte, ehrte und fürchtete und die ihm überaus hehr und herrlich zu sein schienen.

Dann vernahmen sie den lauten Ruf des heimgekehrten Daunus. Larina und Tullus standen auf und gingen hinaus; der Nachen mußte ans Land gezogen und die Ladung in den Kammern geborgen werden. Das war bald geschehen. Nach einer Stunde saßen Alle beim Herdfeuer; Daunus labte sich am Wein und sprach kräftig den warmen Oelkuchen und den gebratenen Fischen zu, die seine Hausfrau ihm bereitet hatte. Gegen alle Gewohnheit war der Gute, der sich sonst seiner Rettung aus den Gefahren der Welt und der Bergung im sicheren Hafen mit lautem Behagen erfreute, dieses Mal seltsam verdüstert und in sich gekehrt.

Man bestürmte ihn mit Fragen: Wie war es in Antium gewesen? Was hatte er vom Kaiser gehört? Welche Neuigkeiten über den Brand von Rom, der immer noch in den Gemüthern lebte? Hat es sich bestätigt, daß der Kaiser, purpurbekleidet, lorbeergekrönt, in einem von zwölf weißen Rossen gezogenen goldenen Wagen nach seiner Vaterstadt gekommen war, um im Theater vor dem Volk der Antiaten zu singen und sich am nächsten Tag auf dem Forum als höchsten Gott ausrufen und anbeten zu lassen?

Nun ja, bestätigt hatte sich die Kunde. Atinas fuhr wild in die Höhe: aber Daunus blieb wortkarg. Endlich schmeichelte es Acca aus ihrem Vater heraus.

„Was soll mir geschehen sein? Geärgert habe ich mich! Denkt Euch: da giebt es jetzt Menschen, die behaupten, unsere Götter wären nicht Götter, es gebe überhaupt keine Götter, es habe niemals Götter gegeben. Solche Bestien! Sie verkünden einen andern Gott, den sie Jesus nennen und der aus der asiatischen Stadt Nazareth ist. Kann man sich Solches vorstellen? Diesen Jesus von Nazareth haben die Juden, als Tiberius Kaiser war, unter dem Statthalter Pilatus in unserer Provinz Judäa gekreuzigt. Der soll nun ein Gott sein.“

Atinas war aufgesprungen. Mit heiserer Stimme stieß er hervor:

„Wie sagtest Du, Daunus? Unsere Götter wären nicht Götter? Es giebt Leute, die Solches auf der Straße ausrufen und die von dem Grimm der Götter nicht zermalmt werden? Sie leugnen Jupiter und predigen von einem Gott Jesus, der unter Kaiser Tiberius gekreuzigt ward? Ei, Daunus, ein Todter soll ein Gott sein und unsere Unsterblichen sollen niemals gelebt haben? Mein wackerer Daunus, welcher laurentinische Aesop hat Dir in Antium Fabeln erzählt?“

Auch Larina schüttelte den Kopf über ihren Hausherrn, der solche Geschichten mitbrachte. Die Götter wären nicht Götter! Hatte man jemals so Etwas gehört? Besorgt beobachtete die verständige Frau den Gatten, ob nicht etwa der Trank des Bacchus aus ihm rede. Doch schien jener gütige Himmlische dem wackern Mann gänzlich fern geblieben zu sein.

Mit stummem Schrecken blickten Acca und Tullus einander an; es sollte keine Götter geben! Der Jüngling war erblaßt; er mußte an den neuen Gott denken, der wie ein Mensch gestorben war. Die Götter Roms starben nicht!

Nun erzählte Daunus. Und wenn er Nichts mehr wußte, wiederholte er das Gesagte. Athemlos lauschten sie auf seine verworrenen Reden, Atinas mit einem Ausdruck in seinem mächtigen Antlitz, daß sein Sohn voller Scheu zu ihm hinübersah. Daunus berichtete, wie die Nazarener – so nannten sie sich nach ihrem Herrn – den neuen Gott begeistert verkündeten, wie sie die älten Götter lästerten, wie sie von den ergrimmten Römern sich tödten ließen, wie sie sterbend voller Glückseligkeit waren; denn ihr Tod vereinigte sie mit ihrem gestorbenen Unsterblichen. Mit eigenen Augen hatte Daunus in Antium solche Nazarener erblickt. Sie sahen ganz aus wie andere Menschen, kleideten sich auch so, hielten sich still und grüßten sich mit einem besonderen feierlichen Gruße.

Daunus schloß seine Rede:

„Und das Aergste ist, daß dieser Gott Jesus eines Zimmerers Sohn gewesen sein soll. Wäre er noch Kaiser gewesen!“

Aber da stieß Atinas, der in düsterem Schweigen und halber Entgeisterung dagesessen hatte, einen Seufzer aus, so laut und schmerzlich, daß es wie ein Stöhnen klang. Und der Priester gedachte des Kaisers, der, nachdem er öffentlich vor allem Volke als Schauspieler, Sänger und Rosselenker aufgetreten war, sich als höchste Gottheit hatte ausrufen lassen. Und auch das hatten die Götter geduldet! Dies bedenkend, schämte sich Atinas über die Schmach, welche die Unsterblichen sich selber zugefügt hatten.

Bis spät in die Nacht hinein blieben die Freunde beisammen. Der Wind legte sich, die Wolken verzogen sich, der Insel gegenüber stand am Himmel ein kleiner leuchtender Streifen: der junge Mond. Es war, als wäre das Firmament aufgeritzt und Glanz quölle hervor.

Atinas erhob sich und sprach feierlich:

„Laßt uns den Göttern ein Opfer bringen.“

Er verließ die Kammer. Acca füllte die Opferschale. Tullus hoste die Specereien und Alle begaben sich zum Altar. Als die Flammen stiegen, hob Atinas die Schale.

„Euch, die Ihr ewig seid!“

Und er sprengte den heiligen Wein.

Trübe Tage folgten jener Nacht. Das Gemüth des Atinas blieb verdüstert und es stürmte in der Seele des festen und sicheren Mannes. Er trug sich mit schweren Gedanken, verbrachte die Tage in der Tiefe des Haines, sogar den geliebten Sohn meidend, dessen Geist er nach seinem Geist gebildet und mit dessen Leben sich dereinst das seines Vaters erfüllen sollte. So oft er jetzt seines priesterlichen Amtes waltete, spendete er das Opfer den „ewigen“ Göttern, jenen Herrlichen und Hehren, die da waren, die da sind, die da sein werden.

Wochen verstrichen. Der Herbst brachte die Regenzeit. Unaufhörlich strömte es hernieder, dichte, graue Wolkenschleier umhüllten das Eiland, weder Sonne noch Mond waren zu erblicken; die ganze Welt schien in Dunst und Geriesel sich auflösen zu wöllen.

In den Cypressen stöhnte der Wind; er beugte die Wipfel, brach die Blüthenzweige der Büsche und trieb Schwärme bunter Blätter in die Luft. Die aufgewühlten Wogen peitschten die Klippen, der Fels erbebte vom Anprall der wilden Fluth, die Brandung stritt mit dem Sturm, wessen Stimme am grimmigsten zu tosen vermöchte.

Auf den Seelen der Inselbewohner lastete der graue Himmel, als wäre er der Deckel eines Sarges, der über ihnen, den Lebendigen und Athmenden, geschlossen würde. Tullus schlich blaß und stumm umher, als wandle er im Schlafe, aus dem selbst Acca’s Zauberstimme ihn nicht zu wecken vermochte. Zuweilen konnte man ihn starr vor sich hinschauen sehen und dabei die Worte murmeln hören. „Euch, Ihr ewigen Götter!“

Eines Abends trat Atinas in die Kammer der Freunde. Indem er es vermied, seinen Sohn, der sich gerade bei Daunus und Larina befand, anzusehen, sprach der Priester mit rauher Stimme zu dem Gefährten:

„Morgen giebt es einen freundlichen Tag. Der Regen hat aufgehört und der Wind ist umgeschlagen; das Meer beruhigt sich über Nacht. Getrautest Du Dir wohl, morgen nach Antium hinüber zu schiffen?“

„Wir haben noch Mehl genug; Wein und Oel reichen auch wohl für eine Woche.“

„Es ist dieses Mal nicht, um Mehl und Wein zu holen, daß Du nach Antium sollst.“

Verwundert blickte Daunus auf.

„Weßhalb sonst?“

„Du sollst mich hinüberbringen.“

„Dich, Atinas? Du willst nach Antium?“

„So sagt’ ich.“

„Aber was willst Du dort?“

Tullus stand leise auf und trat zu seinem Vater.

„Ja, was willst Du eigentlich in der Stadt?“ fragte mit besorgtem Gesicht jetzt auch Larina. „Du gehst ja niemals hinüber. Es werden zehn Jahre und länger her sein, daß Du zuletzt in Antium gewesen bist. Was willst Du dort?“

„In Antium Nichts.“

[31] „Wie?“

„Ich will nach Rom.“

„Nach Rom!“

Alle Vier riefen es. Die beiden Alten erschraken; Acca that einen leisen Schrei; denn Tullus’ schwermütiges Gesicht erhellte sich und er hatte den Ausruf mit ersticktem Jubel gethan.

Atinas runzelte die Stirn.

„Nun ja, ich will nach Rom. Was ist da weiter? Ich muß selbst sehen, selbst hören – das von den Nazarenern. Es läßt mir keine Ruhe; ich halte es hier nicht länger aus. Genug, ich gehe morgen fort. Bis zum Frühling bin ich wieder zurück. – Was willst Du, Tullus?“

Atinas wußte sehr wohl, was der Jüngling wollte. Bevor dieser indessen seine Bitte stammeln konnte, vernichtete er ihm jede Hoffnung auf Erfüllung derselben.

„Du bleibst hier,“ gebot Atinas. „Was wolltest Du in Rom? Das ist Nichts für einen Knaben wie Du. Das ist eine Stadt, die den Menschen vergiftet und verdirbt an Leib und Seele. Still! Bitte mich nicht! Genug, Du bleibst bei Daunus und Larina und – und bei Acca.“

Atinas sah sie an. Sie stand da, immer noch zitternd von dem gewaltigen Schrecken, aber mit einem Antlitz, das von der holdesten Freude verklärt ward: Tullus mußte dableiben, bei ihr! Atinas nickte ihr zu und lächelte; bei den ewigen Göttern: der finstere Atinas lächelte! Da erglühte Acca über und über.

Am nächsten Morgen vor Aufgang der Sonne war der Nachen zur Abfahrt gerüstet. In tiefer Bewegung schloß Atinas seinen Sohn in die Arme, den Jüngling mit feierlichem Segen unter den Schutz der Ewigen stellend, denen er vorher zum letzten Male am Altare geopfert hatte. Noch lange sahen die Zurückbleibenden die hohe Gestalt im Nachen aufrecht stehen und ihnen zuwinken. Dann tauchte das Fahrzeug in den Glanz des jungen Tages, in dessen Strahlen es ihren Blicken entschwand.

Tullus war zu Muthe, als konnte keine Woge ihm den Vater zurückbringen.




Keine Kunde drang von Atinas nach dem Eilande hin. Aber obgleich der opfernde Priester fehlte, wurde nach gewohnter Weise jeden Morgen und jeden Abend am Altar den Himmlischen gespendet.

„Euch, Ihr ewigen Götter!“

Es war Tullus, der, während Daunus das Opfer darbrachte, diese feierlichen Worte sprach.

Auf der Insel befand sich eine Bildsäule des Jupiter. Die herrliche Marmorgestalt, von einem griechischen Künstler gebildet, stand unweit des Altars, an einem Ort, wo das ganze Jahr über Rosen in solcher Fülle blühten, daß es aussah, als lägen zwischen den dunklen Cypressen scharlachrote Teppiche gebreitet und rosige Schleier gehäuft. Die schönste Ranke, daran vor Blüthen keine Blätter zu sehen waren, hatte sich um den Sockel der Bildsäule geschlungen und höher um den in unsterblicher Schönheit strahlenden Leib, bis zum Haupte des Donnerers empor, im einen Kranz von Rosen auf die Stirn drückend.

Der heimliche Winkel war von Kinderzeiten an der Lieblingsaufenthalt des jungen Paares gewesen; zu Füßen des Gottes hatten die Beiden ihre ersten Spiele gespielt und es war dabei das schöne Marmorbild, das mit göttlichem Lächeln auf die Kleinen niederblickte, der Dritte im Bunde gewesen. In späteren Zeiten hatte Tullus manchen halben Tag vor der Jupiterstatue verträumt, glühende Sehnsucht nach einem zukünftigen Leben voll großer Thaten in der Seele. Jetzt nun, nach der Abreise des Atinas, brachte er von Neuem die Stunden unter dem Bildwerk zu; während er in den Anblick des hellenischen Gottes versunken war, kam dem Jüngling die Absicht jener Nazarener, so viel Majestät und Größe zu leugnen, mehr und mehr als ein Frevel vor, für den alle Qualen des Todes nicht Strafe genug waren. Pochenden Herzens gedachte er in solchen Stunden seines herrlichen Vaters, der sich in Rom sicher an der Verfolgung der Nazarener betheiligte, für die alten, die unsterblichen und ewigen Götter Großes vollbringend. Mit Thränen heißen Schmerzes in den Augen fühlte er seine Nichtigkeit und daß er hatte zurückbleiben müssen, anstatt an seines Vaters Seite dessen glorreiche Thaten zu theilen. Als der Jüngling das hehre Bild des höchsten Gottes anschaute, stieg in seiner Seele eine andere Gestalt auf, die eines Menschen, dessen gemarterter Leib an einem Kreuze hing. Jesus von Nazareth, der neue Gott. Ein gekreuzigter Mensch ein Gott – ein Todter ein Unsterblicher!

Tullus haßte und verabscheute den Leichnam, der ewig sein sollte.

Wieder einmal war Daunus nach Antium hinübergeschifft. Tullus hatte ihn durchaus begleiten wollen, hatte beinahe mit Gewalt verhindert werden müssen; denn Daunus hatte dem Atinas gelobt, seinen Sohn der Küste fern zu halten. Die Nachrichten, welche er über die Nazarener zurückbrachte, waren nicht darnach angethan, die Gemüther zu beruhigen: laut und lauter erhoben die Jünger des neuen Gottes ihre Stimmen; offen schmähten sie die Ewigen als ungöttlich und gar nicht seiend; triumphirend erlitten sie Verfolgung, Marter und Tod. Ihre Zahl wuchs und wuchs.

Dann war lange Zeit der Verkehr mit dem Festlande unterbrochen. Winterstürme umbrausten die Insel. Endlich kam der Frühling: es war, als ob die Schwingen einer Gottheit im Vorüberrauschen den Felsen im Meere berührt hätten. Unter den Cypressen erblühte über Nacht ein Teppich von weißen und gelben Crocus; in den Gebüschen dufteten die Veilchen; die öden Klippen bedeckten sich mit Anemonen und Tazetten, und neben den Myrthensträuchern öffneten die Blumen des schönen Narcissus ihre duftenden Kelche.

In Schwärmen kamen Amseln und Nachtigallen und erfüllten den Hain mit Gesang. Es war ein Getön, als hätten die Zweige Stimmen und Wohllaut empfangen. Gleich Strahlen durchschossen die Blaudrosseln die sonnigen Lüfte; in den von Schmetterlingen umschwärmten Blumendickichten nisteten zahllose Ringeltauben und um die Wipfel der Cypressen schwirrten die Turteltauben.

Halbe Tage lang lag Tullus am Strande, hörte die Wogen rauschen, sah die Wolken über sich ziehen und starrte in die glanzvolle Meeresweite hinaus, hinüber zu dem langen leuchtenden Streifen der lateinischen Küste. Es war in diesen Tagen, daß der Jüngling sich wie sterbend fühlte vor Sehnsucht.

Acca saß am mütterlichen Webstuhl, das Schifflein weniger eifrig als sonst durch die Fäden werfend. Sorgend gedachte sie des dunklen Wesens ihres lieben Freundes und fühlte sich so kummerbelastet, daß ihr häufig beide Arme wie in tiefer Ermattung am Leibe herabsanken. Die Sonne ging unter in den purpurnen Fluthen, und die Glorie des Abendrothes verklärte den Webstuhl, die junge Gestalt des einsam in Trauer dasitzenden reizenden Kindes.

Was war’s nur mit ihm?

Er wollte fort!

Und fort mußte er, sonst verkam er. Sie kannte ihn! Lange ertrug er’s nicht mehr, dann ging er fort: in aller Heimlichkeit, ohne ihr Lebewohl zu sagen. Er folgte seinem Vater; er ging nach Rom, in die ungeheure Stadt, wo Gefahren ihm drohten, wo Niemand bei ihm war, ihn vor dem Verderben zu schützen.

Denn sie kannte ihn!

Was wollte er in Rom?

Seinem Vater helfen, die Nazarener zu verfolgen. Er haßte sie.

Acca verstand nicht, wie der Mensch hassen konnte.

Leise trat Tullus in die Kammer und sah zu der verklärten lieben Gestalt hinüber, lange und unverwandt. Aufschauend begegneten sich ihre Blicke. Da wußte sie es; sie wußte es gleich.

Er ging fort, diese Nacht noch – ohne von ihr Abschied zu nehmen.

Sie erhob sich, ging langsam auf ihn zu, stand und sah ihm tief in die Augen.

„Ich gehe mit Dir.“

Tullus erbebte.

„Ich gehe nicht fort.“

„Du gehst nach Antium und weiter: bis nach Rom – diese Nacht noch.“

„Acca!“

„Es wird meine Eltern sehr bekümmern, aber ich kann ihnen nicht helfen.“

[32] Noch einmal versicherte Tullus:

„Was fällt Dir ein? Ich bleibe hier.“

Ihren leuchtenden Blick von seinem bleichen Gesicht nicht abwendend, lächelte sie ihn an, ohne ein Wort zu sagen; da stürzten ihm die Thränen aus den Augen, laut schluchzte er auf.

„Ich weiß ja auch nicht, was es ist,“ stammelte er. „aber ich sehne mich so – – ach, Acca, Acca, wie ich mich sehne!“

Sie umschlang ihn mit beiden Armen, drückte sein Haupt an ihre Brust und flüsterte ihm zu:

„Wo Du bist, muß ich sein. Kannst Du Dir denken, daß es anders geschehen könnte?“

Er konnte es sich nicht denken; so gestand er ihr denn Alles und sie tröstete ihn. Darauf küßten sie sich, unschuldig wie Kinder, die sich gezankt haben und sich wieder versöhnen. [46] Heilige Frühe wehte um die Stirnen der beiden Flüchtlinge. Die ganze Nacht hatten sie mit günstigem Winde gesegelt und trieben nun beim aufglühenden Tageslicht der Küste zu, deren Herrlichkeiten ihnen bereits dicht vor Augen lagen. Voller Entzücken sah Tullus die Menge der Paläste, der Basiliken, Thermen und Amphitheater; er sah den Strand, so weit seine Blicke schweiften, dicht besetzt mit Landhäusern, Portiken und Heiligthümern.

Acca schaute nicht vorwärts, sondern zurück, wo an dem lichten Horizont ein Wölklein zu schwimmen schien: die verlassene Heimath. Doch so oft Tullus mit einem Ausbruch des Jubels sich nach ihr umwendete, bog sie hastig das Köpfchen und theilte sein Staunen über alles, was er erblickte.

„Das ist die Welt, Acca! Sieh, wie groß, wie schön! Hier sind die Götter, die sie leugnen wollen.“

Und nach einer Weile leise, mit bebender Stimme:

„Bist Du glücklich, Acca?“

Sie nickte ihm zu:

„Ich bin glücklich, Tullus.“

Trotz dieser Versicherung glaubte er sie trösten zu müssen: „Sie werden nicht allzusehr um Dich besorgt sein; wissen sie doch, daß Du mit mir bist! Was sollte Dir da geschehen können? Siehst Du nun ein, wie unnütz Du Dich quälst? Mutter Larina wird jammern und Vater Daunus schelten, nicht allzusehr! Sie werden sich gewiß denken können, wie alles gekommen ist; daß ich fortwollte, daß Du mich nicht zurückhalten konntest und daß Du dann natürlich mit mir fort bist. Es war wirklich ganz natürlich, daß Du mich nicht allein gehen ließest. Sicher werden sie das einsehen! Sie haben uns wie Gefangene gehalten, ich wäre beinahe gestorben. Wenn man jung ist und auf einer Klippe lebt und die Welt jeden Tag vor Augen hat und doch nicht hin kann – – und wenn man fühlt, wie man zu etwas Besserem taugt, zu etwas Größerem; wenn man etwas thun will, etwas thun muß – ach, Acca, Acca, mir ist so wohl, ich fühle mich so frei, so stark, so – – ich kann es nicht sagen, aber die Götter wissen es. Sieh nur die Herrlichkeit! Ist es denn möglich, daß die Welt so groß, daß sie so schön ist? Sei glücklich! Wir wollen glücklich sein!“

Sie nickte ihm wieder zu.

„Das wollen wir.“

Eine Weile schwiegen sie; dann flüsterte Tullus, die zarte Gestalt seiner Gefährten mit scheuem Blicke streifend:

„Acca!“

„Ja.“

„Dir ist doch nicht bang?“

„Wovor sollte mir bang sein?“

„Vor der Stadt, vor den Menschen, vor Rom, vor der Welt. Aber Du hast ganz Recht; wovor sollte Dir bang sein? Sind doch die Götter bei uns.“

Acca wendete sich ab.

„Ob wir wohl einen Nazarener zu sehen bekommen?“

Sogleich verfinsterte sich des Jünglings Gesicht. Er preßte die Lippen zusammen und murmelte.

„Ich hasse sie.“

Acca wollte ihn bitten, das nicht zu thun; Tullus schaute aber so finster drein und hatte eine so feindselige Miene, daß sie schwieg.

Bereits befand sich das Boot mitten im Gewühl des Hafens, doch achtete Niemand der Beiden. Tullus ermahnte:

„Du darfst Dich nicht fürchten. Ich beschütze Dich. Es soll Niemand wagen, Dich anzurühren, sieh nur recht muthig drein und kehre Dich nicht an das Geschrei! Ich habe es mir viel schlimmer gedacht. Sobald wir gelandet sind, suche ich einen Schiffer, der mit dem Nachen zur Insel zurückrudert. Dein Vater wird froh sein, das Boot wieder zu haben und den Mann gewiß für die Fahrt bezahlen. Das müssen wir ihm sagen, verstehst Du. Ich werde schon alles besorgen, fürchte Dich nur nicht! Du bist ganz bleich. Gewiß hungert Dich. Wie gut, daß wir Geld haben! Dafür können wir uns kaufen, was wir wollen. Es wird herrlich sein. – – Nun sind wir da. Die Götter werden mit uns sein.“

Es währte einige Zeit, bis sie ans Ufer kamen. Der Nachen erhielt von allen Seiten Stöße, von allen Seiten wurde der junge Fährmann angeschrieen. Doch schließlich gewannen sie festen Boden unter den Füßen. Schwindlig von der langen Fahrt stieg Acca ans Land; Tullus faßte sie bei der Hand und schickte sich an, einen Schiffer zu suchen, dem er das Boot für die Insel übergeben konnte. Die Sache war bald erledigt. Der Mann, den Tullus deswegen ansprach, zeigte sich sofort geneigt; gleich am Abend wollte er aufbrechen. Mit stockender Stimme bat Acca den Boten, an die Eltern Grüße auszurichten und ihnen zu sagen, daß – – nein, nur grüßen sollte er Vater und Mutter, vielmals grüßen. Der Mann versprach es zu thun. Die Menschen waren doch viel freundlicher und hilfreicher, als die jungen Leute geglaubt hatten, und beide fühlten sich von froher Hoffnung beseelt.

Wie von einer Last befreit, nahmen sie von dem gefälligen Antiaten Abschied, sich Hand in Hand in das Gewühl der großen und prächtigen Stadt begebend; zunächst um bei anderen freundlichen Menschen ihren Hunger zu stillen. Es schmeckte prächtig! Sie genossen weißes Brot und heißen, mit Gewürzen bereiteten, mit Honig versüßten Wein. Auch für ihre Wanderschaft kauften sie ein. Neugestärkt fragten sie nach dem nächsten Wege nach Rom. Zuerst sollten sie die Via Severiana gehen, welche längs der Küste hinführte, und sodann die Straße nach Ardea einschlagen. Tullus wollte, ehe sie Antium verließen, die Tempel der höchsten Götter besuchen; aber Acca bat ihn inständigst, sogleich aufzubrechen, damit sie bald nach Rom und zu Vater Atinas gelangten. Seiner Gefährtin zu Liebe zügelte der Jüngling sein ungestümes Verlangen; doch waren sie bereits müde vom Schauen und Staunen, als sie sich noch in den Straßen Antiums befanden.

Schon seit Stunden wanderten sie und immer noch schien die Stadt kein Ende zu nehmen; denn immer noch schritten sie zwischen herrlichen Bauwerken dahin und hatten Mühe, den Wagen und Fußgängern auszuweichen. Aber als Tullus sich erkundigte, ob Antium noch nicht bald ein Ende nehme, hörten sie, daß sie die Stadt bereits gute fünf Miglien hinter sich hatten.

Sie sprachen unterwegs nicht viel. Von Zeit zu Zeit fragte Tullus seine Gefährtin mit leiser Stimme:

„Bist Du glücklich?“

[47] Diese erwiederte jedesmal eben so leise:

„Ich bin glücklich.“

Ihre Hände behielten sie fest in einander geschlossen.

Tullus kam vor Aufregung nicht dazu, seine Müdigkeit zu fühlen; er drängte vorwärts und vorwärts. Plötzlich wankte Acca, und sie wäre hingesunken, hätte Tullus sie nicht schnell mit beiden Armen umfaßt und gehalten. Er führte sie vom Wege ab, in einen Pinienwald, wo sie sich rasch erholte und nun gleich weiter wollte. Besorgt spähte Tullus in ihr bleiches Gesichtchen; doch sie plauderte und scherzte, so daß er sich überreden ließ, sie fühle sich ganz kräftig und wohl. Bis Ardea, der uralten, einst mächtigen Stadt des Rutulerfürsten Turnus, setzten sie ihre Wanderung fort; dann bat Tullus einen Landmann, der in seinem Karren nach Rom fuhr, sie Beide mitzuehmen. Ja, wenn sie ihn bezahlen könnten, meinte der Mann. Er ließ sie erst aufsteigen, nachdem Tullus ihm das Geld, fast den ganzen Rest seiner Baarschaft, eingehändigt hatte.

Jetzt ward es herrlich. Der Bauer bereitete aus seinem Mantel einen bequemen Sitz für Acca, von dem sie über die niedrige Brüstung des Karrens nach beiden Seiten hin frei ausschauen konnte; Tullus stand neben ihr, ließ sich von ihrem Wagenlenker alles zeigen und nennen, so viel der Mann wußte, und berichtete das Erfahrene der Freundin. Jener langgestreckte, ganz mit Landhäusern bedeckte Bergrücken war Tusculum, die Stadt des Sohnes des Odysseus, welchen die goldlockige Zauberin Kirke dem Helden geboren hatte. Weiterhin, unterhalb des Tempels des Jupiter, auf dem Gipfel des Albanus, dunkelte der Hain der Ferentina, dieser herrliche, hochheilige Wald, in dem vor Zeiten die Städte des lateinischen Bundes an der Quelle der Göttin zum großen Völkerrathe sich zusammenfanden und die höchsten Feste des Landes begingen. Dort drüben die Stätte, an welcher, hoch über dem blauenden See, einst Albalonga gelegen, die Wiege Roms, das seine Mutterstadt dem Erdboden gleich gemacht hatte. Seht! Das Landhaus des Helden Pompejus leuchtete herüber, nicht als Palast erscheinend, sondern als eine Stadt von Palästen. Dann Ariccia, an der Stelle erbaut, wo des Theseus Sohn, der herrliche Hippolyt, von Rossen zu Tode geschleift ward. Jetzt die Waldung, die den strahlenden Spiegel Diana’s umschattet, in deren Heiligthnm der von den Furien verfolgte Orest das auf Tauris geraubte Götterbild barg. Tibur müßt Ihr noch sehen, das hochragende, herrliche! Von den elyseischen Höhen der Sabina glänzt es herüber. Dort die Felsenberge des hehren Praeneste und dort – – nichts mehr! Nichts mehr!

Der Bauer erzählte.

„Der Cäsar ist jetzt in Rom. Das ist Einer! Ein Gott ist’s: Gott Nero. Solch ein Gott! Nun, was geht’s mich an? Ich habe meine Hütte, mein Feld, mein Weib und meine Kinder in Laurentum drüben. Warum soll der Kaiser kein Gott sein? Der Caligula war auch einer und das Pferd des Caligula war auch einer; und ein Gott könnte des Nero Hund und des Nero Pfau und des Nero Katze sein. Warum nicht? Gott Nero behüte uns! Ich sage: das ist Einer! So Einer, wie der, der bringt Geld unter die Leute. Sein neues Haus geht vom Palatin über den Quirinal und Viminal. Warum soll’s nicht? Wenn so ein Gott ein neues Haus haben will, so baut er sich’s eben. Es heißt: sogar die Straßen in dem römischen Haus wären mit Gold und Perlen gepflastert. Was geht’s mich an? Wenn dabei nur Geld unter die Leute kommt. Es lebe Gott Nero! – – Habt Ihr schon gehört: sie wissen jetzt, wer damals die Stadt angesteckt hat.“

„Wer war’s?“

„Die Nazarener.“

„Jupiter vernichte sie!“

„Nun ja; sie sollen nichts auf die alten Götter geben, sie sollen einen neuen Gott gefunden haben. Was geht’s mich an? Wenn der Cäsar stirbt, bekommen wir auch wieder einen neuen Gott. Ein neuer Gott bringt Geld unter die Leute; die Nazarener sind arme Schlucker. Das mag ein rechter Gott sein, den die haben! Nun, was geht’s mich an? Ich habe mein Feld, meine Hütte, mein Weib und meine Kinder in Laurentum drüben. – Da ist die Stadt.“

„Acca, da ist Rom! Acca! Acca!“

Sie stand auf, hielt sich an ihm fest und schaute mit ihm hinüber – ein Häusermeer, unabsehbar, unendlich. Auf den Tempeln und Palästen, welche die Hügel krönten, lag die Gluth der Abendsonne. Es leuchtete und lohte, als ob Rom zum zweiten Mal in Flammen stünde, als ob goldige Strahlen über die Stadt hinflutheten. Dort ragte der Kaiserpalast – ein Olymp! Jenseit des Stroms, auf dem Janiculus, die Kaisergärten – ein Elysium! Ein zarter schimmernder Dunst schwebte über der ungeheuren Stadt, als würde auf tausend Altären tausend Gottheiten geopfert.

Die Beiden schauten und wußten nicht, wie ihnen geschah. Sie glaubten zu träumen. Die Stimme ihres Wagenlenkers rief sie wieder ins Leben zurück.

„He Ihr! Was wollt Ihr eigentlich in der Stadt? Zwei solche Vögelchen!“

Tullus fand auf diese Frage nicht gleich eine Autwort. Der Bauer murmelte verdrießlich.

„Nun, was geht’s mich an? Ich meine nur. Nehmt Euch vor der Stadt in Acht! Das meine ich, obgleich es mich nichts angeht. Ihr seid ein hübsches Paar. Noch blutjung! Hättet auch noch ein Jährchen warten können, ehe Ihr Mann und Frau wurdet. Juno, die reinen Kinder! Seht nur zu, daß Ihr bald zu einem Stücklein Feld kommt, mit einer Hütte darauf und Kindern darin. Das ist am besten. Und je weiter entfernt von der Stadt, um so besser; recht weit fort von der Stadt, das ist am allerbesten. Nun, was geht’s mich an? Hier ist das Haus meines Herrn, hier müßt Ihr absteigen. Die Götter seien mit Euch: die alten und die neuen; man muß es mit allen halten.“

Der Karren hielt; die Beiden stiegen herab, schweigend, ohne ihrem freundlichen Lenker ein Wort des Dankes und des Lebewohls zu sagen. Sie gingen fort, immer noch stumm, mit gesenkten Augen und sich nicht mehr bei der Hand haltend.

Sie wußten selbst nicht, wie sie dazu gekommen waren; auf einmal merkten sie, daß sie von der Landstraße abgewichen und sich auf einem einsamen mit Gras und Blumen überwachsenen Wege befanden. Zwischen silbergrauem gelbblüthigen Fenchel und dunklem Akanthus wucherten üppig Asphodelen und die blassen schönen Blumen der Aronswurzel; den Eppichüberhang der Hecken durchrankte buntes Caprifolium; Schlehen und Goldregen blühten. Die stumme Acca pflückte sich den Mantel voller Blumen, daß sie mit ihrem lichten Haar und den strahlenden Augen der Tochter der Ceres glich, welche Blüthen spendend über die Flur schreitet. Kein Auge wandte Tullus von der schlanken, ihm vorausschreitenden Gestalt, die ihm plötzlich wundersam verwandelt däuchte. Zum ersten Mal gewahrte er ihren schwebenden Gang, gewahrte, mit welcher Anmuth sie das Köpfchen trug und die Arme bewegte, wie strahlend ihr Blick, wie lieblich ihr junger Mund. Aber zugleich erschien ihm die Gefährtin geweiht und heilig, ein göttliches Wesen, das keine irdische Hand berühren durfte. Wenn ihr Gewand ihn streifte, überliefen Schauer den Jüngling.

Auch er fühlte sich wie durch Zauber ein Anderer geworden. Ein wüthender Schmerz bebte in ihm auf, eine unsägliche Wonne; ihm war’s, als zersprengte es seine Brust, als müßte er ersticken; er dachte nicht daran, daß er in Rom war, sondern, daß er bei Acca weilte; er sehnte sich nicht mehr nach Heldenthaten; sein einziges Verlangen war, immerfort bei Acca sein zu dürfen, an ihrer Seite, so wie heute in den Glanz des Sonnenuntergangs hineinzuwallen, weiter und weiter.

Ueber ihnen war der Himmel Glanz und Glorie; durch die Blüthenmauern schritten sie hinein in die flammende Abendröthe.

Es begann zu dämmern. Schleier woben sich um den Glanz, verhüllten die himmlischen Flammen, erstickten sie. Schatten stiegen auf; sie wuchsen und wuchsen. Aber schon erglänzten die Sterne. Es war wie in einem Mysterium.

Die Nacht brach an, eine Frühlingsnacht voll balsamischen Wohlgeruches, voll Sternenglanz und geheimnisvoller Stimmen.

Sie gelangten auf eine weite Wiese, weiß von Narcissen. Ein Bach durchfloß die Flur, die Ufer mit einem dichten Kranz heller Lilien besäumt. Nirgends war ein Haus, nirgends ein Mensch zu sehen. Inmitten der lichten Weite ruhte ein großer schwarzer Schatten, gleich einer dunklen Insel in diesem Blumenmeer. Eine breite Spur von zerknickten Stengeln, zertretenen Blüthen hinter sich lassend, schritten sie darauf zu.

Ueber Rom schwebte ein fahler Schein; einem düstern Gewölke ähnlich lagerte das nächtliche Gebirg über dem Lande.

[48] „Wohin gehen wir?“

„Wohin die Götter uns führen. Fürchtest Du Dich?“

„Nein, nein.“

„Morgen sind wir in Rom, morgen finden wir meinen Vater, morgen, Acca –“

Was mochte es sein, das der nächste Tag bringen würde? Es war Tullus, als müßte etwas Großes, Ungeheures geschehen, etwas, danach sie Beide nicht länger würden leben können. Doch was es auch sein mochte, es wurde ihnen von den Göttern gesendet.

Der mächtige Schatten erwies sich als eine Waldung hoher, dichtbelaubter Steineichen; am Rande des Haines stehend, schauten sie vor sich in eine weitklaffende Höhle. Tullus sagte:

„Bleibe hier! Ich will hinein und sehen, was drinnen ist.“

Aber Acca faßte seinen Arm und drängte sich an ihn. So schritten sie denn zusammen in das Dunkel.

Als ihre Augen sich an die Finsterniß gewöhnt hatten, fanden sie, daß der Hain voller Grotten und Höhlen war, die tief in das Innere der Erde hinab zu führen schienen. Tullus wollte an der unheimlichen Stätte nicht bleiben, aber Acca war zu sehr ermattet. So riefen sie denn die Ewigen zu ihrem Schutze an, Acca begab sich in eine der natürlichen Felsenhallen und Tullus lagerte sich am Eingange nieder, entschlossen, kein Auge zuzuthun und den Schlaf der Geliebten zu bewachen. Um noch einmal ihre liebe Stimme zu hören, rief er leise in die Grotte hinein:

„Acca, bist Du glücklich?“

„Glücklich,“ tönte es zurück wie der zitternde Wiederhall seiner eigenen Stimme.




Trotz seiner guten Vorsätze schlief Tullus bald ein. Ihm träumte:

Ein Kreuz ragte auf. An dem Kreuzesstamm hing, mit eisernen Banden festgeschmiedet, ein sterbender Mensch, von dessen Haupt heller Schein ausging. Unter dem Kreuz stand Acca, mit einem Antlitz, darauf von den Strahlen, die um des Sterbenden Antlitz flossen, ein heller Glanz fiel. Acca winkte ihm, näher zu treten.

Tullus aber sprach.

„Das ist ja der Gott aus Nazareth.“

Doch Acca fuhr fort zu winken und das Licht, welches sie verklärte, wurde immer leuchtender, daß schließlich ihre ganze Gestalt erstrahlte. Sie winkte, lockte und lächelte so lange, bis Tullus zu ihr kam und mit ihr zusammen unter dem Kreuze stand, dessen Schein nun auch ihn überfluthete. Da hörte er Acca flüstern:

„Bist Du glücklich, Tullus?“

Und Tullus hörte sich antworten:

„Ich bin glücklich.“

Auf einmal war ihm, als klänge der Donner einer göttlichen Stimme in seine Ohren:

„So empfanget das ewige Leben.“

Tullus erwachte; aber er glaubte, immer noch zu träumen. Von dem Platz aus, wo er sich zur Ruhe niedergelegt hatte, sah er in das Innere der Grotte hinein, in der Acca schlief; der glühende Schein mehrerer Fackeln, die in eisernen Ringen an den Wänden steckten, erleuchtete die Höhle. Durch die vielen natürlichen Säulen, welche die Decke stützten, erhielt der Raum das Aussehen eines Felsensaales; der Helle des vorderen Gelasses folgte geheimnisvolle Dämmerung, hinter der die Finsterniß wie eine mächtige schwarze Woge zusammenschlug.

Gestalten füllten die Grotte: Greise und Matronen, Jungfrauen und Jünglinge, wehrhafte Männer. Alle trugen die weiße Festtoga und auf Aller Gesichtern lag ein heller Schimmer, Abglanz eines anderen Lichtes, als es von den Fackeln ausging.

Sie befanden sich in feierlicher Versammlung bei einander, einen hehren Greis umstehend, der soeben zu ihnen geredet haben mußte, und es schienen Alle noch immer andachtsvoll zu lauschen. Eine tiefe Stille herrschte.

Wie aber ward Tullus, als er Acca erblickte, mitten unter den Jungfrauen stehend, ohne jedes Zeichen von Angst und Befangenheit, zutraulich, als befinde sie sich in einem Kreise von Gespielinnen! Zwei schöne Mädchen hielten sie zärtlich umfaßt und begannen jetzt leise zu ihr zu sprechen. Da schaute Acca herüber und gewahrte, daß Tullus erwacht war; sie schien es den Anderen mitzutheilen, denn der Jungfrauen Blicke richteten sich auf ihn. Acca löste sich aus den Armen ihrer neuen Freundinnen und kam auf Tullus zu.

„Wer sind diese und was wollen sie von Dir?“

Acca erwiederte:

„Als ich erwachte, waren sie da; sie kamen jedoch von einer andern Seite in die Höhle als wir. Zuerst erschrak ich heftig, fürchtete mich sehr und regte mich nicht, so daß sie meiner nicht gewahr wurden. Da hörte ich, was sie mit einander sprachen, ganz herrliche Dinge, so daß ich jede Angst verlor. Als dann jener schöne alte Mann zu reden begann, erhob ich mich und schlich zu Dir, um Dich zu wecken. Aber Du schliefst so fest. Da sahen mich jene guten Jungfrauen, traten zu mir, grüßten mich freundlich und forschten, wer wir seien und wie wir hierher gekommen. Ich sagte ihnen, Du seiest des Atinas Sohn, der nach Rom gezogen, um dem Cäsar zu helfen, die Nazarener zu verderben, und daß ich mit Dir zusammen die Insel verlassen und wir keine andere Stätte für die Nacht gefunden hätten. Da führten sie mich zu jenem ehrwürdigen Greise, und Alle erwiesen mir Gutes. Dann sprach der alte Mann, und sie weinten bei seinen Worten, die groß und gewaltig klangen, wie ich niemals Worte gehört habe, selbst nicht aus dem Munde Deines Vaters.“

„Aber wer sind sie?“

„Gute Menschen.     Komm!“

[62] Tullus blickte finster auf die Versammelten; da näherten sich ihm die Jünglinge und luden ihn ein, zu ihnen zu treten. Sie führten auch ihn vor jenen ehrwürdigen Greis, der ihn mit milden Worten anredete und willkommen hieß. Zu den Anderen gewendet sprach er.

„Rüstet das heilige Liebesmahl. Wenn diese Beiden, die der Herr uns gesendet hat, auch nicht unseres Glaubens sind, so sind sie doch unseres Geistes; denn sehet, wie Beiden die himmlische Liebe aus den Augen leuchtet. Deßhalb mögen sie von ferne an unserem Feste theilnehmen und in Frieden unter uns weilen.“

Sogleich brachte man einen Korb herbei, darin befand sich ein Krug voll Weins, ein Becher und ein Laib Brotes; langsam und feierlich, als wären es heilige Dinge, wurden sie herausgenommen. Der Alte stellte sich hinter einen altarähnlichen Stein, alle Anderen ordneten sich vor ihm. Die beiden Jünglinge aber traten dem Greis an die Seite.

Dieser sprach inmitten einer großen Stille:

„Zwar des Menschen Sohn gehet hin, wie von ihm geschrieben stehet; wehe aber dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verrathen wird! Es wäre demselben Menschen besser, daß er nie geboren wäre.

Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach es und gab es ihnen und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib.

Und nahm den Kelch und dankte und gab ihnen den; und sie tranken Alle daraus.

Und er sprach zu ihnen: das ist mein Blut des neuen Testamentes, das für Viele vergossen ist.“

Also der Greis.

Und er nahm von dem einen der Jünglinge Krug und Becher und schenkte ein. Alle traten hinzu, Einer nach dem Andern, und tranken von dem Wein. Dann nahm der Greis von dem andern Knaben das Brot, brach es und die Gemeinde trat von neuem herzu, auch das Brot zu empfangen. Nur Tullus und Acca standen von ferne, Beide von dem feierlichen und geheimnißvollen Vorgang auf das Tiefste ergriffen, sich nicht zu dem hehren Mann heranwagend. Da blickte dieser zu den Beiden hinüber, winkte sie mit einem gütigen Lächeln zu sich und sprach:

„Auch Euch kann der Heiland und Erlöser geboren werden, welcher ist Jesus Christus, der Sohn Gottes.“

Tullus schrie auf.

„Acca, es sind Nazarener!“

Und er wollte sie fortreißen, wollte mit ihr voller Grausen entfliehen.

In demselben Augenblick stürzte vom Hain her ein Jüngling in die Grotte.

„Löscht die Fackeln, flieht in die Tiefe! Der Priester Atinas kommt mit Leuten von der Leibwache des Cäsars, uns gefangen zu nehmen. Rettet Euch!“

Niemand zeigte Schrecken oder Furcht; Alle waren vorbereitet, den Feinden ihres Gottes in die Hände zu fallen und den Märtyrertod zu erleiden. Ihr Bischof mußte ihnen befehlen, die Fackeln bis auf eine zu löschen. Dann wendete er sich zu den Beiden, die nicht seines Glaubens waren:

„Verlaßt uns! Es könnte der Wille des Herrn sein, daß die Heiden uns hier finden; der Priester Atinas ist es, der nach uns sucht, unser und des Herrn, unseres Gottes, grimmigster Feind. Weiche von uns, Sohn des Atinas, damit Dein Vater, sollte Gott uns in seine Hand geben, nicht wähne, Du seiest Einer der Unseren. Denn wenn Du uns auch hassest, so möchte es Deinen Vater doch kränken, daß Du eine Stunde als unser Freund bei uns weiltest. Geh, Jüngling, und nimm diese holdselige Jungfrau mit Dir. Aber das wisse: wen der Herr suchet, den findet er. Auch Deine Stunde wird kommen, ehe Du es denkst. Und so ziehet hin in Frieden!“

Nach diesen feierlichen, mit lauter Stimme gesprochenen Worten winkte der Bischof den Beiden gebieterisch, die Grotte zu verlassen. Tullus schlich mit der weinenden Acca hinaus.

Als sie draußen am Eingang standen, im Dunkel des Haines, rannte der Jüngling dem Mädchen zu.

„Warte hier auf mich!“

„Was soll ich?“

„Ich komme gleich zurück.“

„Wo willst Du hin?“

„Still!“

„Tullus!“

Aber er war schon fort.

„Tullus, was willst Du thun?“

Aber auf ihre angstvolle Frage kam keine Antwort.

Sobald Tullus der finsteren Waldung entronnen war, stürmte er vorwärts. Dann besann er sich, blieb stehen, spähte um sich; doch er entdeckte nichts. Nun stand er und lauschte. Er hörte keinen Laut. Aber jetzt – – es klang wie gedämpfte Stimmen, wie Geräusch von Waffen, ihm ganz nahe. Da rief er.

„Vater, Vater! Ich bin’s! Dein Sohn Tullus!“

Ein erstickter Aufschrei. Aus dem Dunkel der Nacht löste sich die Gestalt eines Mannes und stürzte auf Tullus zu.

„Ich bin es, Vater.“

„Du fort von der Insel, Du hier?!“

„Dir nach. Verzeih’ mir! Acca ist auch da. Ich will Dir helfen, die Nazarener zu verderben. Wir sind diese Nacht mit ihnen zusammengekommen.“

„Mit den Nazarenern? Wo sind sie?“

„In einer Grotte, dort beim Hain.“

„Tullus!“

„Ihr Priester ist bei ihnen. Ich führe Dich. Kommt, kommt schnell!“

Die Leute von der Leibwache des Cäsars und ein Hauptmann waren zu den Beiden getreten. Tullus eilte den Männern voraus. Athemlos erreichte er den Hain, tastete sich bis zum Eingang der Grotte. Aber hier war keine Acca. Sie war auch nicht im Walde, welchen Tullus, den Namen der Geliebten rufend, durchsuchte.

Atinas erschien mit dem Hauptmann und der Wache; Tullus mußte vom Suchen ablassen und den Leuten die Höhle zeigen. Plötzlich kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. Er stürzte seinem Vater und den Römern voraus in die Grotte hinein. Drinnen fand er sie.

Acca stand mitten unter den Jungfrauen, bei den Christen, die Tullus an die Römer verrathen hatte. Atinas rief seinem Sohne zu:

„Sie bekennt sich als zu Diesen gehörend.“

Die gefangenen Nazarener wurden herausgeführt; sie gingen festen Ganges, erhobenen Hauptes, sich einander Trost und Muth [63] zusprechend. Acca schritt in der Reihe der Jungfrauen, welche liebevoll um die neue Christin besorgt waren.

In einiger Entfernung folgte Tullus den Gefangenen. Sein Gesicht war fahl, seine Mienen waren verzerrt; er taumelte wie ein Trunkener und ließ von Zeit zu Zeit ein jammervolles Aechzen hören. Und von Zeit zu Zeit rief er sie an, die er mit den Anderen verrathen hatte.

„Acca! Acca! Acca!“

Doch Acca hörte nicht auf ihn.

Der Morgenwind wehte, die Sterne erblaßten; ein todtenfarbenes Zwielicht erhellte die Welt. Aber schon regten sich die Vögel und aus den Lüften drang Lerchenjubel durch die Dämmerung.

Als die Römer mit ihrer menschlichen Beute durch die Porta Capena in die Stadt zogen, ward es Tag. Ein blutiger Glanz flammte über dem Albanus und dem Heiligthum des höchsten Gottes auf; schnell griff der Brand der Morgenröthe um sich, entzündete Himmel und Erde, schien Rom mit allen Tempeln und Göttern verzehren zu wollen

Beim Coelius, in der Nähe des großen Cirkus, wurden die Christen in den Kerker geführt. Acca war die Letzte. Bevor der finstere Eingang sie aufnahm, blieb sie stehen, wendete sich zurück, mit feierlicher Gebärde Tullus winkend. Dann schlug die Thür zu hinter der lichten Gestalt.

Mit einem dumpfen Wehlaut warf sich der Zurückbleibende auf den Boden, das Antlitz gegen die Erde pressend. Von göttlicher Sehnsucht getrieben, war er ausgezogen, Heldenthaten zu begehen, und seine erste That war Verrath gewesen, ein Verrath gegen die, welche ihm Gutes erwiesen; seine erste That war Mord gewesen, ein Mord, verübt an der Schwester, an der Geliebten.

Jene Anderen, die Verrathenen, die sich erhobenen Hauptes zum Tode führen ließen, sie, die Verabscheuten und Gehaßten – sie waren Helden!

Und der unglückselige Jüngling stöhnte auf, als wäre er ein Sterbender.




Der Cäsar gab den Römern in seinem neuen Hause ein Fest.

„Endlich wohne ich wie ein Mensch,“ hatte der Gott gesprochen, als aus dem Schutt und den Trümmern des abgebrannten Roms des Kaisers Haus sich erhob. Von Gold erstrahlten Wände und Decken, von Gold funkelte der Estrich. Juwelen waren in des Kaisers Haus den Steinen gleich geachtet, und das schlechteste Material, daraus man es aufgeführt hatte, bestand in dem kostbarsten Marmor aller drei Welttheile. Wo der Gott menschliche Nahrung zu sich nahm, wölbte sich über der glanzvollen Halle ein sonniger Himmel, von dem Narben herabthauten, der sich öffnete, um auf den Gott und seine Gäste Veilchen und Rosen herabrieseln zu lassen. Dieser Saal drehte sich um eine goldene Achse, Gestirne kreisten und die Musik der Sphären ertönte.

Wenn Nero schwelgte, stiegen die Himmlischen selber von ihren seligen Höhen hernieder, um die Freuden ihres Brudergottes zu theilen, die göttlicher waren als die ihren; wo Nero wandelte, erblühten Blumen, sangen Vögel, freuten sich Menschen und Götter; wo Nero weilte, verwandelte sich die Welt in den Olymp, Rom ins Elysium. Nur die Römer blieben, was sie seit den Zeiten des großen Augustus geworden waren: ein Volk von Knechten, Speichelleckern, Kreaturen und hündischen Kriechern.

Heute nun wollte der Gott mit seinen Geschöpfen sich auf menschliche Weise ergötzen.

Rings um den Palast, die Tiefen zwischen vier Hügeln füllend, erstreckten sich weite Fluren mit umfangreichen Seen, köstliche Haine, welche die Thiere der Wildniß bewohnten. Durch diese wundersamen Gefilde sollte heute Nacht des Cäsars Weg führen, wenn sich der Herr von seinem Hause zum Cirkus begab. Denn hier ließ der Kaiser dem römischen Volke olympische Spiele veranstalten, bei denen er seinen Römern als Apollon-Helios erscheinen wollte, ein Sechsgespann weißer Rosse lenkend.

Den Weg vom Kaiserpalast bis zur Arena sollten diese Nacht Fackeln erhellen, wie sie noch keinem Unsterblichen geleuchtet hatten.

Schon früh am Tage begannen die Vorbereitungen, zu denen die Römer sich drängten, welchen sie voll Entzücken zuschauten. Aus den Kerkern und Grüften des Coelius wurden die Christen herbeigetrieben: sie, welche, den ewigen Göttern zum Hohn, Rom in Brand gesteckt hatten, – denn so wollte Gott Nero, daß es geschehen sein sollte – sie mochten den ewigen Göttern zum Ruhm in Flammen auflodern. In Scharen brachte man sie herbei: Greis und Jüngling, Matrone und Jungfrau, Mann und Kind. Das römische Volk heulte auf vor Mordgier. Und es würde diese unersättliche, nach Blut lechzende Menge, welcher Todesschreie und Sterberöcheln Musik war, entzückt haben, wenn ihr „göttlicher“ Kaiser seine Römer hätte die wilden Thiere sein lassen, denen man in der Arena menschliche Leiber zum Zerreißen vorwarf. Wie die Bestien ihre Opfer zerfleischt haben würden!

Unter dem Gebrüll und Geheul der Plebs, darunter sich „edle“ Römer, Senatoren und Ritter befanden, wurden die Christen nach dem Hause des Kaisers geschleppt. Hier vor dem Palast, dem palatinischen Berg gegenüber, wonelbst die eherne Kolossalstatue des Gottes aufgestellt war, Angesichts des Forums, dieser hochehrwürdigen Stätte, welche die Größe Roms geschaut hatte, nahm das Fest seinen Anfang.

Pfähle bedeckten den Platz, lagen hoch aufgeschichtet, an dem einen Ende zugespitzt, um in die Erde gesenkt werden zu können. Nun kamen die Christen. Ihre Wächter überlieferten sie ihren Henkern.

Diese rissen ihnen die Kleiber herab, schnürten sie an die Pfähle, in solcher Weise, daß ihr nackter Leib hoch über den Pflock hinausragte, wickelten sie bis zur Brust in Werg, das mit Oel und Pech getränkt wurde. Darauf schleppte man die menschlichen Fackeln hinweg, dahin, wo sie in den Boden gegraben werden sollten. Zu beiden Seiten des Weges wurden die Pfähle aufgerichtet; vor dem Palast des Kaisers und dessen Bildsäule sollten die schönsten Flammen lodern: die Jungfrauen, die Jünglinge, die Kinder.

Nachdem die Körper der Christen in die sonnigen Lüfte ragten, schickte man sich an, die kaiserlichen Fackeln kaiserlich zu schmücken. Mit sidonischer Seide und phönicischem Purpur wurden die Pfähle verziert, um die Leiber Blumen geschlungen, daß bis zur Brust Krokus und Tazetten, Lilien und Narcissen sie umhüllten; die Häupter erhielten Kränze von Lotosblumen. Von Pfahl zu Pfahl, von Fackel zu Fackel wurden mächtige Rosengewinde gezogen, die Wege mit Myrthen- und Cypressenzweigen bestreut, zu beiden Seiten der Straße Dreifüße aufgestellt, die in herrlichen Gefäßen Specereien und Sandelholz trugen.

An manchen Stellen wurden Triumphbögen erbaut.

Hier sollten die Senatoren und Ritter, die Flötenspieler und Sänger den Kaiser erwarten.

Endlich war alles vorbereitet. Ein leuchtender Himmel wölbte sich über dem Festplatz; ringsum strahlten die Paläste, die Tempel, die Götterbilder. Frühlingslüfte erwachten; in den Gärten der Kaiserpaläste schlugen die Nachtigallen; und die Menschen freuten sich ihres Lebens und des Sterbens der Hunderte.

Unter der Menge, welche die Straße auf- und niederwogte, befand sich auch Tullus. Vor einer jeden der vielen lebenden Fackeln blieb er stehen und schaute hinauf, immer von Neuem in der Erwartung, unter den Blüthen ein geliebtes, holdseliges Antlitz zu erblicken. Und wenn er die fand, die er suchte, was sollte er dann beginnen, was würde ihm dann geschehen? Bei Acca’s Anblick entseelt hinsinken, bevor der liebliche Leib in Flammen aufging!

Aber Acca war nicht unter den Vielen, und Tullus blieb leben.

Er gewahrte alles, was geschah; er sah die Römer in bestialischer Wuth, sah die Christen voll heldenhafter Ergebung; er hörte Jene die Götter preisen, hörte Diese ihren Gott anrufen. Unter manchem Pfahl blieb Tullus stehen und schaute hinauf; er sah das bleiche ruhige Antlitz der Sterbenden; er vernahm, was diese von Göttern und Menschen Verlassenen in der letzten Stunde ihres Lebens, kurz vor einem martervollen Tode sich sagten: Mütter ihren Söhnen und Töchtern, Gatte der Gattin, Freund dem Freunde. Sie trösteten einander, sie sprachen sich Muth zu; sie sagten sich große erhabene Worte, die gleich Flammen in des Jünglings Seele drangen.

„Unser Herr, der erleiden mußte, was wir erleiden, sprach: Vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Laßt uns diese Worte unserm Herrn und Heiland nachsprechen.“

Das thaten sie, das thaten Alle.

[64] Ein Greis ermahnte:

„Auch Dessen gedenket in dieser Stunde: daß uns geboten ward zu lieben, die uns hassen und verfolgen, und zu segnen, die uns fluchen. Erfüllet den Willen des Herrn, der für uns gestorben ist.“

Wiederum ein Anderer:

„Harret aus! Bald ist’s überwunden.“

„Ja, bald werden wir bei unserm lieben Herrn im Paradiese sein.“

Tullus hörte diese Reden, und als er über einer der Triumphpforten, die heute Nacht der siegreiche Cäsar durchschreiten sollte, in goldener Inschrift die Worte las: „Euch, Ihr ewigen Götter!“ zuckte der Jüngling zusammen und wendete sich jählings ab.

Es dämmerte. Vor dem Palast des Cäsars zog die Leibwache auf, drängte die Menge zurück und besetzte die Straße. Die Senatoren und Ritter, die Sänger und Flötenspieler erschienen. Im Volke ward es still, nach dem wilden Getöse ein Todesschweigen.

Schnell nahm die Finsterniß zu. Plötzlich erschallten feierliche Stimmen. Wie aus den Lüften herab schwebten die Töne über die sich verdunkelnde Erde – der Sterbegesang der Christen.

„Hosiannah! Hosiannah!“

Es ward Nacht.


* *
*


Durch die Hallen und Säle des Palastes wälzte sich der kaiserliche Zug: Nero, in schleppenden goldenen Gewändern, in den duftenden Locken einen Rosenkranz, den der Gott, wenn er im Cirkus der Welt als glanzvolles Tagesgestirn aufging, mit einer Strahlenkrone vertauschen würde. Eine Schar von Korybanten und Bacchantinnen umschwärmte den Unsterblichen; junge Weiber ließen aus krystallenen Gefäßen Wohlgerüche auf den Boden rieseln, schöne Knaben spielten Cither und schlugen silberne Becken, brachten dem auf Erden wandelnden Gott in goldenen Schalen Brandopfer dar, daß dichtes Gewölk den Himmlischen und sein Gefolge umwallte.

Jetzt trat Nero aus seinem strahlenden Hause in die Finsterniß. Vor dem Gott erhellte sich die Nacht – aufflammten die Fackeln!


* *
*


Der Zug des Cäsars ward gestört. Tumult erhob sich, ein Gedränge entstand.

Was geschah?

Angstvoll fragte es der erblaßte Gott, für sein unsterbliches Leben zitternd. Auch seinen Vorgänger auf dem römischen Gottesthron hatten bei ähnlichem, festlichem Nachtgange die Dolche der Meuchelmörder getroffen.

Senatoren und Ritter beeilten sich, den Cäsar zu beruhigen.

Nichts war geschehen! Ein Schwärmer, ein Phantast, ein Verrückter hatte die Reihen der kaiserlichen Leibwache durchbrochen und dem Zug des Göttlichen sich in den Weg gestellt und gerufen, auch er sei ein Christ.

„Wer ist’s?“

Man lief, man forschte, man brachte dem Kaiser Bescheid: „Ein fremder Jüngling. Er nennt sich Tullus, Sohn des Priesters Atinas.“

„Des Priesters Atinas – –“

Und es zuckte um des Göttlichen Mund.

„Was soll mit dem Nazarener geschehen?“

Und der Unsterbliche bedachte sich. Darauf gebot er:

„Des Atinas Sohn für die Bestien!“

Und Nero lächelte.

Weiter ging der Zug.




Tullus war glücklich; was er begangen hatte, war keine Heldenthat gewesen – wenigstens hielt er es nicht für eine solche – aber glücklich war er doch. Nicht Acca’s hatte er gedacht, auch nicht des Gottes dieser Nazarener; er sah Jene den Heldentod sterben und mochte nicht länger leben.

Und jetzt bereitete er sich auf das Christenthum vor.

Unter den Gefangenen, die für den Kampf im Cirkus aufgehoben worden, befand sich der Bischof, jener von Tullus an die Römer verrathene ehrwürdige Greis. Es war dieser beredte Mund, der dem jungen Heiden das Evangelium verkündete, und da es das Evangelium der Liebe war, so ward es von Tullus vernommen. Der Jüngling erfuhr, daß Jesus Christus auch für ihn gestorben sei, daß seine Schuld ihm vergeben wurde, daß seiner die Seligkeit harrte, das Auferstehen und das ewige Leben.

Mit Acca zusammen würde er vom Tode auferstehen, mit Acca zusammen das ewige Leben erhalten – –

Und er würde zusammen mit ihr sterben.

Denn noch lebte Acca, für denselben Tod aufbewahrt, zu dem Tullus verdammt war; dem es verheißen worden, sie am Tage seines Sterbens wiederzusehen. Dann wollte der Bischof die Beiden vermählen. Nun ersehnte Tullus den Tod, wie er sich einstmals nach dem vollen Strome des Lebens gesehnt hatte.

Der letzte Tag kam und die beiden Getrennten sahen sich wieder; mit strahlendem Antlitz eilte Acca dem Freunde entgegen; sie flüsterte ihm zu:

„Wohin ich gehe, dahin mußt Du gehen, und wo ich bin, da mußt Du sein.“ Darauf laut und freudig. „Wie ich Dir von unserer Insel ins Leben folgte, so begleitest Du mich aus dem Leben in den Tod. Deine Liebe ist die größere.“

Tullus preßte die Geliebte an seine Brust, mit ersticktem Jubel sie fragend.

„Bist Du glücklich, Acca?“

„Glückselig in der Ewigkeit – mit Dir,“ lautete Acca’s feierliche Erwiederung.

Dann wurden sie vermählt.

Eben sollten sie mit den Anderen ihren Todesgang antreten, als Beide vor den Priester Atinas gerufen wurden. In einem besonderen Raume des Kerkers empfing dieser eifrigste Verfolger der römischen Christengemeinde das Paar. Todtblassen Gesichtes, aber erhobenen Hauptes trat Tullus vor seinen Vater, seine junge Gattin an der Hand.

„Vergieb mir!“

Atinas winkte ihm heftig zu schweigen. Dann reichte er seinem Sohn einen Becher Weins, der auf dem Tische stand.

„Trinke.“

Tullus zauderte.

Mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete, gebot Atinas nochmals.

„Trinke!“

Da nahm Tullus aus seines Vaters Hand den Becher; ihm mit den Augen dankend, trank er.

Und nach ihm trank Acca.

Den ewigen Göttern mußte das Leben der beiden Christen geopfert werden; aber Atinas wollte barmherzig sein.

Mit verhülltem Antlitz stand er, bis es zu seinen Füßen still geworden ward; dann hob er den Mantel von seinem Haupt und schaute starren Blickes auf die beiden Todten herab. Ihre Mienen waren still und friedlich; Acca trug auch noch im Tode ihr holdes Lächeln, und Tullus’ trotziges Gesicht hatte einen Ausdruck tiefsten Friedens. Da mußte der Priester denken:

Wenn sie dennoch für eine heilige Sache gestorben wären – In Athen soll ein Altar stehen, dem unbekannten Gotte geweiht – wie, wenn jener unbekannte Gott Jesus hieße? Und wenn dieser Jesus ein wahrer Gott wäre, ein ewiger Gott? Was wären dann die ewigen Götter?

Und Atinas stöhnte auf wie Einer, der eine Todeswunde empfangen. Er wankte. Es war, als ob er über den beiden Leichen zusammenbrechen würde; dann aber raffte er sich mächtig auf und schritt von seinen todten Kindern hinweg festen Ganges hinaus, um die Schar der Nazarener in die Arena zu führen.

So war der Wille des Cäsars. – –

Purpurfarbige Frühe lag über Himmel und Meer; Gluth des aufsteigenden Tages bestrahlte ein mächtiges Gewölk, das langsam und feierlich dahinschwebte; Morgenluft wehte, über das ewige Antlitz des Meeres glitt es wie ein Erzittern und Schauern.

In der weiten Einsamkeit der Wellen lenkt Atinas den Nachen, gegen dessen Planken die Wogen rauschen und raunen. Zwei Todte schiffen dahin, zwei Vereinigte, der Heimath zu.

Requiescat in Pace, Tullus – Acca, requiescat in Pace! (Ruhe in Frieden, Tullus – Acca, ruhe in Frieden!)




  1. Binden, die man Todten weihte.
  2. Batist