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ADB:Basedow, Johann Bernhard

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Artikel „Basedow, Johann Bernhard“ von Max Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 113–124, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Basedow,_Johann_Bernhard&oldid=- (Version vom 2. Dezember 2024, 13:49 Uhr UTC)
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Basedow: Johann Bernhard B., geb. 11. Sept. 1723 in Hamburg, † 25. Juli 1790 in Magdeburg, berühmt als freisinniger Schriftsteller auf dem Gebiete der Theologie, und als ein unermüdlicher Arbeiter an der Verbesserung des deutschen Erziehungs- und Unterrichtswesens; ein Mann der durch sein unerschrockenes [114] und oft rücksichtsloses Auftreten sich viele Feinde, durch seine großen Erfolge sich viele Neider machte, der in den letzten Jahren seines Lebens und unmittelbar nach seinem Tode, wegen seiner Zerwürfnisse mit frühern Mitarbeitern, auch wegen des Fehlschlagens der übertriebenen Erwartungen, die man von seiner Erziehungsanstalt, dem Philanthropin in Dessau gehegt hatte, von Vielen hart und ungerecht beurtheilt worden ist, dessen wahres Verdienst aber, als einer der kühnsten Vorkämpfer im Kampfe für Menschenrechte und Menschenwürde, für Wahrheitstreue und Geistesfreiheit, sowol durch die Stimme der Besten seiner Zeit als durch das unparteiische Urtheil der Nachwelt bekräftigt worden ist.

Von seinen Vorfahren ist nur Wenig bekannt, und auch das Wenige ist nicht sehr zuverlässig. Sein Vater war ein armer Bürger in Hamburg, sein Großvater ein Ostindienfahrer, von dem man sagte, daß er dreimal reich und dreimal arm geworden. Sein Urgroßvater soll Baron gewesen sein und großer Verluste wegen sein Gut Basedow verkauft haben. Basedow’s eigene Erziehung war eine sehr unvollkommene. Die Heftigkeit und Strenge seines Vaters und die fast krankhafte Schwermuth seiner Mutter übten schon in den ersten Jahren seiner Kindheit einen schädlichen Einfluß auf das feurige Gemüth des Knaben. Sein Vater verschaffte sich einen kümmerlichen Unterhalt als Perückenhändler in Hamburg. Im väterlichen Hause mangelte es dem Herzen des Knaben an liebender Theilnahme, und auf der Schule fand weder sein ungestümes Wesen die nöthige Leitung, noch sein erregsamer Geist die befriedigende Beschäftigung, so daß B., als er zum Jüngling heranwuchs, sich durch einen Fluchtversuch dem Drucke seiner Lage zu entziehen suchte. Fast ein Jahr blieb er unbekannt im Dienste eines Landphysikus, und noch in seinem Alter pflegte er zu sagen, daß er damals zuerst gelernt habe, was Menschenliebe sei. Auf Zureden des Vaters kehrte er jedoch nach Hamburg zurück, um auf dem dortigen Johanneum seine Schulstudien fortzusetzen. Er blieb auf dem Johanneum bis zum 18. Jahre, und sobald als in den oberen Classen der Unterricht seinem Geiste die nöthige Spannung und Beschäftigung gab, fing er an sich durch Fleiß und Kenntnisse auszuzeichnen. Er selbst gedenkt oft in Dankbarkeit des Rectors des Johanneums, Müller, des Uebersetzers des Tacitus, und des Lehrers Hake. Aber viel mächtiger noch wirkte auf B. der Unterricht, den er von 1741–44 auf dem Gymnasium erhielt, und sein persönlicher Verkehr mit Richey und Reimarus. Dem Letzteren verdankt er wol den ersten Anstoß zu seinen für die damalige Zeit sehr freisinnigen Ideen in Bezug auf die christliche Religion, obwol er in späteren Jahren, nach dem Erscheinen der „Wolfenbüttler Fragmente“ es für seine Pflicht hielt, den weitgreifenden Folgerungen seines alten Lehrers mit Entschiedenheit entgegen zu treten. Als Gymnasiast machte B. zahlreiche Gedichte, ließ sogar eines „Von der Geschichtskunde“ veröffentlichen, und erwarb sich seinen Unterhalt durch Verfassung von Gelegenheitsgedichten, sowie durch Privatstunden. Er rühmt sich, daß er seit seinem 16. Jahre seinem Vater nichts gekostet habe, aber freilich litt auch dadurch die Regelmäßigkeit seines Privatfleißes und die Sicherheit der Grundlage seines ganzen Wissens. Er selbst war sich dessen vollkommen bewußt, und schrieb manche seiner Schwächen dem Mangel der Schulzucht und seiner häuslichen Erziehung zu. Aber auch sein Entschluß, sein ganzes Leben der Verbesserung der häuslichen Erziehung und des öffentlichen Schulunterrichts zu widmen, entsprang aus demselben Grunde, und machte ihn schließlich zu dem, was er geworden ist.

Nach langer Ungewißheit entschloß sich B. auf Zureden seines Vaters, im J. 1744 nach Leipzig zu gehen, um Theologie zu studiren. Er blieb dort zwei Jahre 1744–46, besuchte aber nur wenig Vorlesungen, sondern setzte seine [115] Studien hauptsächlich durch Privatlectüre fort. Er scheint sich ernstlich mit der Philosophie von Crusius beschäftigt zu haben, die damals auf der Universität viel Anhänger hatte, und deren Zweck es war, eine Vereinbarung zwischen Theologie und Philosophie anzubahnen. Auch die Wolf’sche Philosophie beschäftigte ihn zu damaliger Zeit, und nachdem er manche schwere Kämpfe zwischen seinen religiösen und philosophischen Ueberzeugungen durchgekämpft hatte, beruhigte er sich mit der Ansicht, daß die christliche Religion, sowie sie ursprünglich im Neuen Testamente enthalten ist, ja auch die patriarchalische oder mosaische Religion des Alten Testaments auf göttlicher Offenbarung beruhe.

Nachdem B. Leipzig verlassen, lebte er wenige Jahre in Hamburg als Candidat, mußte aber schließlich 1749 die Stelle eines Privaterziehers bei dem siebenjährigen Sohn des Geheimraths von Quaalen in Holstein übernehmen. Hier, wo er bis 1753 blieb, machte er die ersten praktischen Versuche zur Verbesserung des Unterrichts, namentlich des Sprachunterrichts. Er versuchte nämlich das Lateinische durch stete Uebung im Umgang und Gesprächen zu lehren und erreichte bei seinem Zögling sehr befriedigende Erfolge. Seine neue Methode des Unterrichts erregte bald weitere Aufmerksamkeit, und auf Grund seiner hierauf Bezug nehmenden Dissertation „Inusitata et optima honestioris juventutis erudiendae methodus“ (Kiel 1752) ertheilte ihm die Universität von Kiel im J. 1752 die Magisterwürde. Noch in demselben Jahre erschien von ihm in Hamburg „Nachricht, in wie fern besagte Methode wirklich ausgeübt sei und was sie gewirkt“.

Schon im nächsten Jahre wurde B. als Professor der Moral und schönen Wissenschaften nach der Ritterakademie in Soroe berufen. Neue Fragen und Interessen traten hier an ihn heran, nicht nur pädagogische, im engern Sinne des Wortes, sondern auch philosophische und theologische. B. wollte nur das lehren, was er wirklich glaubte, und war sich doch vollkommen der Gefahren bewußt, welche jeder Zweifel am hergebrachten Glauben bei der Erziehung der Jugend herbeiführt. Die Gedanken, die ihn damals beschäftigten, fanden ihren Ausdruck in einer Abhandlung, die er beim Antritt seines neuen Amtes verfaßte: „Ob die Philosophie zur Freigeisterei führe“. Bald erschien auch seine lateinische Schrift: „De philosophiae studio a procerum filiis prudenter moderando“, 1753. Sein erstes bedeutendes Werk, in dem er seine damaligen Ansichten über Religion, Philosophie und allgemeine Bildung niederlegte, war die im J. 1758 erschienene, später im J. 1777 vermehrte und verbesserte „Practische Philosophie für alle Stände“. Dieses Werk enthält schon den Kern seiner späteren Entwürfe zur Verbesserung des Schulunterrichts und wurde von vielen Seiten, namentlich auch von dem damals hochgeachteten und einflußreichen Gellert, mit Beifall aufgenommen. Im J. 1759 dedicirte B. Gellert seine „Neue Lehrart und Uebung in der Regelmäßigkeit der deutschen Sprache“. In Soroe verfaßte er auch noch sein „Lehrbuch prosaischer und poetischer Wohlredenheit“, 1756, sowie seine „Politischen und moralischen Reden“, die erst 1771 erschienen. Seine Thätigkeit als Lehrer an der Ritterakademie, die sich auf 8 Stunden des Tages belief, war erfolgreich. Seine Schüler, bei denen er vor allem Wahrheitsliebe und ein unabhängiges Urtheil über alle Dinge zu befördern suchte, hatten ihn gern. Der Oberhofmeister der Ritterakademie, Graf von Danneskiold, war aber mit der Richtung von Basedow’s Unterricht nicht zufrieden, und setzte es im J. 1761 durch, daß B. von der Ritterakademie entfernt und als Professor nach Altona versetzt wurde.

Zu dieser Zeit war B. schon ein Mann von Bedeutung geworden: er stand in litterarischem Verkehr mit Männern wie Gellert, Klopstock, Schlegel. Der einsichtsvolle und aufgeklärte dänische Staatsminister, Graf von Bernstorff, war ihm [116] günstig, ja selbst der Bischof Harboe von Seeland, obgleich ein Mann von strenger Orthodoxie, beschützte ihn gegen gehässige Anklagen und Verfolgungen. Seine neue Stellung in Altona war in mancher Beziehung vortheilhafter als seine Professur in Soroe. B. hatte mehr Muße für seine eigenen Arbeiten, und während der zehn Jahre, die er in Altona als Professor verbrachte, 1761 bis 1771, sammelte er die meisten Materialien für sein späteres litterarisches Wirken. Sein Unwille gegen die herrschende Theologie wurde immer stärker, und trotz der Gefahren, die damals jedem drohten, der es wagte, dem hergebrachten Formelwesen der landesherrlichen Pastoren-Theologie entgegen zu treten, trat B. mit seinen Bedenken gegen dieselbe kühn vor die Schranken der Oeffentlichkeit. Das Eigenthümliche seiner Stellung war, daß er durchaus nicht, wie die englischen Deisten und Naturalisten, der christlichen Offenbarung feindlich entgegen trat, sondern daß er im Gegentheil, um die christliche Religion gegen die Angriffe dieser Partei zu vertheidigen, es für nöthig hielt, dieselbe vor allen Dingen von manchen unbiblischen Auswüchsen zu befreien. Zu diesem Zwecke gab er 1763 den ersten Theil seiner „Philalethie“ heraus. Schon dieses Buch erregte Aufsehen, namentlich seine Bestreitung der Ewigkeit der Höllenstrafen. Noch weit bedeutender wirkte sein im nächsten Jahre veröffentlichter „Methodischer Unterricht sowohl in der natürlichen als biblischen Religion“, worin er sich über die Lehre vom heiligen Geist, über Inspiration, Taufe und Abendmahl mit solcher Freimüthigkeit erklärte, daß er bald von allen Seiten als Ketzer verschrien wurde. Die Pastoren, namentlich der Hauptpastor Götze, berühmt durch Lessing’s zermalmende Kritik, fielen über B. her. Wie gewöhnlich, griff man nicht nur seine Lehre an, sondern suchte ihn auch moralisch zu verdächtigen. Man bedrängte die Obrigkeit, gegen ihn einzuschreiten, man reizte sogar das niedere Volk gegen ihn auf. Der Magistrat von Hamburg ließ sich bewegen, ein Verbot gegen alle sogenannten paradoxen Streitschriften zu erlassen, was hauptsächlich gegen B. gerichtet war; ja schließlich wurden seine Schriften confiscirt und ihm verboten, irgend etwas in Hamburg drucken zu lassen. Auch in der freien Stadt Lübeck war es bei 50 Thlr. Strafe verboten, Basedow’s Schriften einzuführen und zu verkaufen. Die Pastoren in Altona und der Umgegend gingen so weit, nicht nur B., sondern sogar seine Familie vom Abendmahl auszuschließen. Dies traf B. besonders hart, da seine Frau, die Tochter eines Predigers, und noch mehr ihre Mutter, die mit ihm lebte und von ihm innig verehrt wurde, diese Maßregel nicht als den Ausbruch theologischen Hasses, sondern als eine Strafe des Himmels betrachtete. Seine Frau, Gertrud Elisabeth, war die Tochter des Landpredigers Hammer in Flalille bei Kopenhagen, die er, als er noch Professor in Soroe war, geheirathet hatte. Es war seine zweite Frau. Die erste Frau war eine Französin, Namens Dumas, gewesen, die er in Hamburg kennen gelernt, die aber bald gestorben. Die Mutter seiner zweiten Frau, die sein ganzes leben hindurch eine zweite Mutter für B. geworden, hieß Anna Susanna Katharina geb. Nygard, geb. 23. März 1703, die unter ihren Vorfahren den berühmten Bischof Egede zählte, den Bekehrer der Grönländer.

B. obgleich von Außen so hart bedrängt und auch in seinem Familienleben oft bekümmert, war nicht zu entmuthigen. Von seinen Freunden gemieden, selbst mit dem Verluste seines Amtes, seines Einkommens bedroht, vertheidigte er sich nach allen Seiten hin durch Wort und Schrift. Als man es ihm unmöglich gemacht, seine Schriften in Altona zu drucken, mußte er sie heimlich und mit großen Unkosten an anderen Orten zum Druck befördern. 1765 erschien sein „Theoretisches System der gesunden Vernunft“, 1766 seine Schrift „Ueber die wahre Rechtgläubigkeit und die im Staat und in der Kirche nothwendige Toleranz“. Bald darauf folgte sein „Versuch für die Wahrheit des Christenthums [117] als der besten Religion“, die „Vorbereitung der Jugend zur Moralität und natürlichen Religion“ sowie sein „Auszug aus der Bibel“. 1767 erschien seine „Hauptprobe der Zeiten“, eine Art von Glaubensbekenntniß, mit einem Anhang, „Neuer Antihobbesius, oder Recht und Klugheit im Kirchenwesen für die bürgerliche Gleichheit der Dissidenten an allen Orten“, bald darauf seine „Privatdogmatik“ und sein „Privatgesangbuch“. Manche dieser Schriften, die so schnell auf einander folgten, mangelten der sorgfältigen Prüfung, enthielten viele Wiederholungen, und waren mehr für den Augenblick berechnet. Dem jetzigen Leser, der nicht mit der Geschichte des vorigen Jahrhunderts vertraut ist, kommen sie oft matt und unbedeutend vor, aber der Kampf, den B. in diesen Werken gegen theologischen Uebermuth und politische Intoleranz kämpfte, mußte zu der Zeit in Deutschland gekämpft werden, und so wie er allein die Gefahren des Kampfes trug, so gebührt ihm auch sein Ehrenplatz unter den Vorkämpfern der geistigen Freiheit im 18. Jahrhundert. Viele Denker und Forscher waren zu jener Zeit in Deutschland schon weiter fortgeschritten als B., aber sie behielten ihre Ueberzeugungen für sich, oder sprachen sie nur im vertrauten Umgang oder Briefwechsel mit Freunden aus. Theologen wie Spalding, Sack, Niemeyer, Knapp u. A. galten ihm für Leisetreter, denen er zum Vorwurf machte, auf das Nicäische Glaubensbekenntniß und auf die symbolischen Bücher geschworen zu haben, und nicht lieber ihre Stellen aufgegeben und zur Reinigung der christlichen Lehre und dadurch zur Verminderung der vielen Feinde des ganzen Christenthums durch das Lehren eines gereinigten beigetragen zu haben. „Wenn das Recht“, schrieb B., „ungestraft heimlich zu glauben, was das Gewissen lehrt, aber nicht ungestraft durch Zung und Feder die Meinung zu zeigen, die der Tugend nicht feind ist; – wenn dies Gewissensfreiheit heißen soll: so nennt in der Barbarei oder in Japan den Ort, wo sie nicht ist.“

Nachdem B. diese theologischen Streitigkeiten durchgekämpft, schloß er ab und kehrte mit ungeschwächtem Muthe zur Hauptaufgabe seines Lebens, der Verbesserung des Jugendunterrichts zurück. In den höchsten Ständen, unter Fürsten und Staatsmännern, herrschten damals freisinnigere Ansichten als im Volke selbst, und so erklärt es sich, daß die dänische Regierung den hart angefeindeten B. allerdings aus dem Staatsdienste entfernen mußte, ihm aber seinen frühern Gehalt von 800 Thlrn. als lebenslängliche Pension überließ. B. versuchte nun die öffentliche Meinung zu einer gründlichen Reform des Unterrichtswesens zu gewinnen. Schon zu Ostern 1766 erschien seine „Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in die öffentliche Wohlfahrt, mit einem Plane eines Elementarbuchs der menschlichen Erkenntniß“, und bald nachher in abgekürzter Fassung, „Das Nöthigste aus der Vorstellung an Menschenfreunde“. Für B. galt es hierbei, nicht sowol neue Theorien über Erziehung und Unterricht zu entwickeln, als vielmehr eine wirkliche Reform des ganzen Unterrichtswesens ohne Weiteres thatsächlich ins Werk zu setzen. Getragen von der Ueberzeugung, daß er selbst hierbei nicht für sich, sondern rein zum Wohle der Menschheit arbeite, wandte er sich ohne Rückhalt an alle Menschenfreunde und verlangte von ihnen die Mittel, um seine Pläne ausführen zu können. Leute, die ihn nicht verstanden, legten ihm dies als eine unverschämte Bettelei aus, während er selbst sprach und handelte, als ob er ein gutes Recht auf Unterstützung habe, und als ob nicht er der Welt, sondern die Welt ihm für die Verwendung der ihm gebotenen Geldmittel Dank schuldig sei. Um Bücher für den Unterricht zu schaffen, um namentlich sein Elementarwerk alles menschlichen Wissens herausgeben zu können, förderte er anfangs 2000–2500 Thlr. Als diese Summe allein durch die zum Elementarwerk nöthigen Kupferstiche absorbirt war, verlangte er 5000 Thlr. mehr. Das Merkwürdige war, daß er Alles erhielt, was [118] er verlangte, und noch mehr. In den „Vierteljährigen Unterhandlungen mit Menschenfreunden“ legte er seit 1768 regelmäßig Bericht über die ihm zufließenden Unterstützungen ab. Unter seinen Gönnern finden sich die Namen der Kaiserin von Rußland, des Königs von Dänemark, des Fürsten von Dessau, des Fürsten Adam Czartoryski, des Kantons Basel, sogar mehrerer katholischen Aebte und vieler Edelleute. Die zusammenschaffte Summe belief sich im Mai 1771 auf 15000 Thlr. Ein von ihm zu damaliger Zeit herausgegebenes Buch „Die ganze natürliche Weisheit im Privatstande der gesitteten Bürger“ sollte eine Idee geben von dem, was er in der Erziehung zu erreichen hoffte, und trug viel dazu bei, das Interesse und Zutrauen des Publicums für sein Unternehmen zu befestigen. Männer wie Mendelssohn, Kant, Lavater und Iselin in der Schweiz bevorworteten seine Pläne. Er selbst arbeitete seit 1769 mit eisernem Fleiße an seinem Elementarbuch, zuerst allein, dann seit 1770 mit Wolke. Ostern 1770 erschien der erste Band des „Methodenbuchs für Väter und Mütter der Familien und Völker“, bald darauf der zweite und noch in demselben Jahre die drei ersten Bände des „Elementarbuchs“ mit 53 Kupfertafeln. Alle diese Bücher erregten großes Aufsehen und erlebten mehrere Auflagen, wurden auch in das Lateinische und Französische übersetzt. Im J. 1771 folgte das „Kleinere Buch für Eltern und Lehrer“, das „Kleine Buch für Kinder“, sowie sein Werk über Erziehung künftiger Regenten, unter dem Titel „Agathokrator“. Von vielen Seiten erhielt er nicht nur lobende Anerkennung, sondern auch fortlaufende Unterstützung an Geld. Beides erregte den Neid seiner Zeitgenossen, denen es leichter war, die Schwächen Basedow’s zu entdecken, als seinem Feuereifer für die gute Sache die verdiente Anerkennung zu zollen. Man ging so weit, seinen Trieb, seine Geschicklichkeit, seinen Enthusiasmus als bloße affaire de finance hinzustellen. B. antwortete seinen Gegnern mit schonungsloser Bitterkeit. Um jeden Verdacht der Gewinnsucht von sich abzuweisen, erbot er sich, Jedem, der mit seinem Werke unzufrieden sei, seine Pränumeration zurückzuzahlen. Ein Mann, ein Schweizer, verlangte sein Geld zurück und erhielt es. Basedow’s Arbeit an dem Elementarbuch wurde damals durch seine Uebersiedelung von Altona nach Dessau zeitweilig unterbrochen. Der hochgebildete und edelmüthige Fürst von Dessau, Leopold Friedrich Franz, der die Erziehung der Jugend und die Bildung des Volkes als die erste Pflicht eines Regenten anerkannte, berief B. mit einem Gehalte von 1100 Thlrn. nach Dessau, um ihm bei seinen Plänen zur Gründung oder Verbesserung der Landesschulen und Seminare mit Rath und That beizustehen. Mit Erlaubniß des Königs von Dänemark und mit Beibehaltung seiner dänischen Pension ging B. 1771 nach Dessau, was bis zu seinem Lebensende sein Aufenthalt blieb und wo seine Familie und Nachkommen nun schon in fünf Generationen ihre neue Heimath gefunden haben. Der Fürst legte ihm keine amtlichen Pflichten auf, sondern gewährte ihm vollkommene Muße zur Vollendung seines Werkes. Unter diesen Verhältnissen faßte B. den Entschluß, das ganze Material, was er im Methodenbuch und in den drei Theilen des Elementarbuches behandelt hatte, von neuem vollständiger und gründlicher zu bearbeiten. Diese neue Werk erschien Ostern 1774 unter dem Titel „Elementarwerk“ in vier Theilen mit 100 Kupfertafeln, wurde wiederum ins Französische und Lateinische übersetzt und mit großem Beifall aufgenommen. Basedow’s Zweck war, ein Buch mit den nöthigen Abbildungen zu geben, a) für den elementarischen Unterricht in Sach- und Worterkenntniß; b) für eine unvergleichbare und durch die Erfahrung bestätigte Methode, die Kinder ohne Verdruß und Zeitverlust lesen zu lehren; c) für Naturkenntniß; d) für Sittenlehre, Seelenerkenntniß und Vernunftlehre; e) für einen sowol gründlichen als ins Herz dringenden Unterricht in der natürlichen Religion und [119] für eine solche unparteiische Beschreibung der übrigen Religionen, daß sie schlechterdings nicht anzeigt, von welcher Religion der Verfasser selbst sei; f) für Kenntniß der bürgerlichen Gesellschaft, des Commerzwesens etc. Mit der Herausgabe dieses Werkes und den im J. 1773 erschienenen Hülfsbüchern „Der Arithmetik zum Vergnügen und Nachdenken“, „Der theoretischen Mathematik“ und den „Bewiesenen Grundsätzen der reinen Mathematik“ waren Basedow’s pädagogische Arbeiten zunächst abgeschlossen. Er hatte geliefert, was er versprochen hatte, aber die übergroße Arbeit, die erdrückende Correspondenz, und die vielfachen geschäftlichen Verdrießlichkeiten hatten auch seine von Natur starke Gesundheit tief erschüttert. Nichtsdestoweniger gönnte sich B. keine Ruhe, sondern kehrte unmittelbar zu seinen theologischen Studien zurück. Unter dem Einfluß gemüthlicher Ueberreiztheit, auch fortwährend mit dem Gedanken an sein eigenes Lebensende beschäftigt, schrieb er damals sein „Vermächtniß für die Gewissen, ein Lehrbuch der natürlichen und christlichen Religion“. Es sollte in Basedow’s Sinne eine Vertheidigung des Christenthums sein, aber durch seine vermittelnde Stellung, die er zwischen Freigeisterei auf der einen und gedankenlosem Pastorenglauben auf der andern Seite einzunehmen suchte, machte er sich, wie früher, sowol die Orthodoxen als die Heterodoxen zu Feinden.

Als B. sich wieder geistig und körperlich gekräftigt fühlte, faßte er den Entschluß, den Rest seines Lebens der praktischen Ausführung seiner pädagogischen Ansichten zu widmen, und zu diesem Ende ein Institut im großartigsten Maßstabe zu errichten. Ermuthigt durch den unerwartet großen Erfolg, den seine Bitte um Unterstützung bei der Herausgabe des Elementarwerkes gefunden hatte, wandte er sich von neuem an das Publicum, und verlangte von allen Menschenfreunden die Mittel, um sein großes Unternehmen ins Werk setzen zu können. Er unternahm zu jener Zeit verschiedene Reisen, um von Fürsten und einflußreichen Männern Unterstützung zu erhalten. Damals (1774) fällt auch sein Zusammentreffen mit Goethe in Frankfurt und Ems. Goethe beschreibt B. vortrefflich, sowol in seiner äußeren Erscheinung, als in seinem innersten Wesen. Indem er sich darin gefällt, den Gegensatz zwischen Lavater und B. in allen Einzelheiten hervorzuheben, schreibt er: „Lavater’s Auge klar und fromm unter sehr breiten Augenlidern, Basedow’s aber tief im Kopfe, klein, schwarz, tief, unter struppigen Augenbrauen hervorblickend, dahingegen Lavater’s Stirnknochen von dem sanftesten braunen Haarbogen eingefaßt schien. Basedow’s heftige, rauhe Stimme, seine schnellen und scharfen Aeußerungen, ein gewisses höhnisches Lachen, ein schnelles Herumwerfen des Gesprächs, und was ihn sonst noch bezeichnen mochte, Alles war den Eigenschaften und dem Betragen entgegengesetzt, durch die uns Lavater verwöhnt hatte. Auch B. ward in Frankfurt sehr gesucht, und seine großen Geistesgaben bewundert; allein er war nicht der Mann, weder die Gemüther zu erbauen, noch zu lenken. Ihm war einzig darum zu thun, jenes große Feld, das er sich bezeichnet hatte, besser anzubauen, damit die Menschheit künftig bequemer und naturgemäßer darin ihre Wohnung nehmen sollte; und auf diesen Zweck eilte er nur allzu gerade los. Mit seinen Planen konnte ich mich nicht befreunden, ja mir nicht einmal seine Absichten deutlich machen. Daß er allen Unterricht lebendig und naturgemäß verlangte, konnte mir wol gefallen, daß die alten Sprachen an der Gegenwart geübt werden sollten, schien mir lobenswürdig, und gern erkannte ich an, was in seinem Vorhaben zur Beförderung der Thätigkeit und einer frischen Weltanschauung lag: allein mir misfiel, daß die Zeichnungen seines Elementarwerkes noch mehr als die Gegenstände selbst zerstreuten, da in der wirklichen Welt nur das Mögliche beisammen steht, und sie deßhalb, ungeachtet aller Mannigfaltigkeit und scheinbaren Verwirrung immer noch in allen ihren Theilen etwas Geregeltes hat. Jenes Elementarwerk [120] zersplittert sie ganz und gar, indem das, was in der Weltanschauung keineswegs zusammentrifft, nur der Verwandtschaft der Begriffe willen neben einander steht, weswegen es auch jener sinnlich methodischen Vorzüge ermangelt, die wir ähnlichen Arbeiten des Amos Comenius zuerkennen müssen. – Viel wunderbarer jedoch und schwerer zu begreifen als seine Lehre, war Basedow’s Betragen. Er hatte bei dieser Reise die Absicht, das Publikum durch seine Persönlichkeit für sein philanthropisches Wesen zu gewinnen, und zwar nicht etwa die Gemüther, sondern geradezu die Beutel aufzuschließen. Er wußte von seinem Vorhaben groß und überzeugend zu sprechen, und jedermann gab ihm gern zu, was er behauptete. Aber auf die unbegreiflichste Weise verletzte er die Gemüther.“

Man hat diese Aeußerungen Goethe’s zuweilen als ein Verdammungsurtheil gegen B. angeführt, was sie genauer betrachtet, durchaus nicht sind. Erstens ist es klar, daß Goethe das Bedeutende und Naturwüchsige in B. schnell erkannte, denn ohne sich von ihm angezogen zu fühlen, würde er sich nicht von seinen Frankfurter Geschäften losgerissen haben, würde das frohe Weltkind nicht nach jedem Tanz in das dampf-erfüllte Zimmer des störrigen Philosophen gelaufen sein. Daß B., obgleich er, wie Goethe sagt, nicht nur die Gemüther, sondern die Beutel für sein philanthropisches Unternehmen aufzuschließen suchte, nichtsdestoweniger seine Ueberzeugungen, die den Meisten, namentlich auf theologischem Gebiete, anstößig erscheinen mußten, mit aller Offenheit dem Publicum vortrug, von dem er Unterstützung verlangte, zeigt uns die gerade, nach Goethe allzugerade Natur des Mannes, der nie daran dachte, die Unterstützung, die er für seine Pläne verlangte, als eine Gunst zu betrachten, und der sich bei einem solchen Zwecke der gewöhnlichen Kunst der Lebensklugheit geschämt haben würde. Daß ein Goethe die Dreieinigkeit als ein allgemein zugestandenes Geheimniß betrachtete, ist bei seiner ganzen geistigen Richtung begreiflich; B. gehörte aber zu den treuherzigen, schwerfälligen Naturen, die gewisse Dinge nicht verschlucken können, und denen die Nachwelt es schließlich dankt, daß sie das Allgemeinzugestandene nicht schweigend zugestanden haben. Insofern aber hatte Goethe allerdings Recht, daß trotz aller Anstrengung von Seiten Basedow’s, die Theilnahme des Publicums für sein neues Unternehmen nur sehr gering blieb. B. gab zuvörderst 1774 seine „Vorschläge an das kundige Publikum zu einer pädagogischen Privatakademie in Dessau“ heraus und faßte am 11. Sept., an seinem 51. Geburtstag den Entschluß, frisch die Hand ans Werk zu legen, und sein Institut unter dem Namen eines Philanthropins in Dessau zu gründen. Schon im Dec. 1774 erschien seine Ankündigungsschrift, „Das in Dessau errichtete Philanthropinum, eine Schule der Menschenfreundschaft für Lernende und junge Lehrer“. Er setzte darin auseinander, wie man bisher noch kein praktisches Lehrer-Seminar zum Unterrichte, zur Bildung, zur zweckmäßigen Uebung und Vorbereitung brauchbarer Lehrer und Erzieher habe; – daß es noch an einer plan- und zweckmäßigen Folge guter Schulbücher fehle, wozu mit dem Elementarwerke erst der Anfang gemacht sei; – daß man zuviel auf Auswendiglernen und Uebersetzen nicht verstandener Worte halte; – daß man den bürgerlichen und kirchlichen Unterricht, – oder den Unterricht in Dingen, die das menschliche und bürgerliche Leben überhaupt, und die den Unterschied der mancherlei Religionsparteien betreffen – nicht genug von einander absondere, – daß man das Lateinlernen durch die bisherige Methode so sehr erschwere, und so viele Zeit darauf verwende; – und daß noch keine Anstalt vorhanden sei, worin taugliche, und besonders für die häusliche Erziehung brauchbare, oder nur unschädliche Bediente gebildet werden können. Diesen Mängeln sollte abgeholfen werden durch ein Philanthropin, welches 1) ein Seminar zur Bildung künftiger Lehrer sein sollte, 2) ein Erziehungsinstitut für Kinder begüterter Eltern oder für [121] Pensionisten von 6 bis 18 Jahren, 3) eine Erziehungsanstalt für 11 bis 15-jährige arme Kinder, welche nach ihren Fähigkeiten entweder zu Pädagogen oder zu Schulhaltern in niedern Schulen, oder zu guten Bedienten gebildet werden könnten.

Im December 1774 wurde das Philanthropin, obgleich es noch an den allernöthigsten Mitteln fehlte, feierlich eröffnet. Es fehlte an passenden Baulichkeiten, an Lehrern, an Büchern, und namentlich an Geld. B. übertrug die Verwaltung dem Lehrer Wolke. Er selbst wollte nur als Curator thätig sein, und arbeitete zu gleicher Zeit fleißig an Herstellung guter Schulbücher, welche die Schulbibliothek des Philanthropins bilden sollten. Er schrieb eine „Chrestomathie“ aus Ovid, aus Erasmi Colloquia, aus Horaz, auch eine „Chrestomathie“ der alten Geschichte aus lateinischen Historikern. Er arbeitete an dem, später von Mangelsdorf fortgesetzten „Provocabularium Cellarianum“, mit einer vorgedruckten lateinischen Grammatik und Rhetorik, und veröffentlichte auch noch „Die durch die Wahl des Nützlichsten elementarische Deutsche Grammatik“. Als die Theilnahme des Publicums immer noch ausblieb, verschickte er im J. 1775 einen neuen Aufruf „Für Cosmopoliten, etwas zu denken, zu lesen und zu thun“, deutsch und lateinisch. In diesem Aufruf zeigt sich schon die tiefe Enttäuschung Basedow’s, und der dringende Ton, in dem er schnelle Hülfe forderte, sowie die großen Versprechungen, die er von seinem Philanthropin machte, mußten wol vielfach Mißtrauen und Anstoß erregen. Jedenfalls blieb die erwartete Unterstützung, wie er sie bei der Herausgabe seines Elementarwerkes genossen, aus, und so entschloß sich B. endlich, durch ein öffentliches Examen der bis dahin im Philanthropinum unterrichteten kleinen Anzahl von Zöglingen, der Welt zu zeigen, was sein System zu leisten vermöge. Viele Männer aus der Nähe und Ferne erschienen, und nach den Aussagen unparteiischer Zeugen, war der Erfolg ein überraschend günstiger. In Folge dessen wuchs nun nicht nur die Zahl der ihm anvertrauten Zöglinge, sondern es öffneten sich auch die Quellen von freiwillig beigesteuerten Geldbeiträgen. Der Fürst von Dessau, der trotz aller Anfeindungen, denen B. persönlich ausgesetzt war, sein lebendiges Interesse für die Reform der Volkserziehung nie verloren hatte, bot B. eine nach den Verhältnissen des kleinen Landes sehr liberale Unterstützung an. Auch andere Fürsten folgten seinem Beispiele, und mit bedächtiger Leitung hätte die neue Schöpfung Basedow’s sich auf das herrlichste entwickeln können. B. selbst aber war entmuthigt. Er wollte das ganze Philanthropin nach seiner ersten großartigen Fassung ausgeführt sehen, und dazu fehlten, für jetzt wenigstens, die Mittel. Da B. der Geschäfte überdrüssig war, so wurde 1776 Campe zum Mit-Curator gewählt, und am Ende des Jahres legte B. seine Curatur ganz nieder. Dennoch konnte er von seinem Werke nicht lassen. Auch bei dem, an die Stelle Philanthropins getretenen „Philanthropinischen Erziehungsinstitut“ behielt er sich stets einen persönlichen Einfluß vor. Diese unbestimmte Stellung führte aber natürlich zu steten Collisionen mit den andern Beamten, und verleidete sowol ihm als Anderen das Leben. Er hatte wol auch seinen früheren Mitarbeitern größere Versprechungen gemacht, als er später zu erfüllen vermochte. Einer von ihnen, Mangelsdorf, klagte ihn öffentlich an, und B. mußte sich einer Schrift, „An das Publicum, die Mangelsdorf’sche Schmähschrift betreffend“, vertheidigen. Dabei hatten seine litterarischen Arbeiten ihren ununterbrochenen Fortgang. Im J. 1777 erschien eine neue Ausgabe seiner „Practischen Philosophie für alle Stände“, sowie die „Pädagogischen Unterhandlungen“, ein philanthropisches Journal, das er mit Campe zusammen herausgab. Es hörte im J. 1784 zu erscheinen auf, B. selbst hatte schon beim zweiten Jahrgang seine Theilnahme eingestellt. Noch einmal, 1777, trat B. als Curator des Instituts ein, legte aber zu Ostern [122] 1778, seine Stelle von neuem nieder, da er durchaus nicht verstand, in ein angenehmes Verhältniß zu seinen Collegen zu treten. Er arbeitete noch als Schriftsteller für das Institut, gab 1781 eine „Chrestomathie“ aus Corderii et Ludov. Vivis colloquiis scholasticis, sodann „Die philanthropische Grundlage der Sittenlehre und des christlichen Glaubens“ und sein verbessertes „Philanthropisches Gesangbuch“ heraus, hielt sich aber sonst vom Institute fern. Dasselbe war aber nicht das geworden, was er gehofft und gewünscht hatte; er selbst war nicht mehr, was er früher gewesen, und eine durch große Anstrengungen herbeigeführte frühe Altersschwäche, die sich nicht nur in körperlichen Leiden, sondern in großer gemüthlicher Reizbarkeit zeigte, hätte ihn mahnen sollen, daß für ihn die Zeit der Ruhe und der Betrachtung gekommen sei. Um ein Unternehmen, wie das Philanthropin es sein sollte, erfolgreich durchzuführen, waren Jugendkraft und Lebensmuth nöthig, die B. nach seinem 50. Jahre nicht mehr besaß. Dabei fehlte es ihm auch an der Würde und Ruhe des Alters, und er selbst beklagt oft mit rührender Ehrlichkeit die Ausbrüche seines Zornes und seiner rohen Natur. Vielfache Streitigkeiten mit früheren Freunden und Collegen, namentlich mit Wolke, verbitterten ihm sein äußeres, Mangel an Theilnahme und Verständniß in seiner Familie sein häusliches Leben. Seine Freigebigkeit schien seiner Frau an Verschwendung zu grenzen; die künstlich übertriebene Erziehung seiner Tochter Emilie (geb. 18. März 1769) setzte zwar die Welt in Erstaunen, führte aber zu traurigen Erfolgen in ihrem spätern Leben. Die Einzige, die den wahren Werth des Mannes erkannte, war seine Schwiegermutter, die auch nach dem Tode seiner Frau (23. Mai 1788) seinem Hauswesen vorstand. Dazu kamen die Leiden einer kleinen Stadt und eines kleinen Hofes. Unter den Fürsten der damaligen Zeit war der regierende Fürst von Dessau, Leopold Friedrich Franz, ein Stern erster Größe; aber große Sterne umgeben sich gern mit kleinen Trabanten. Neid und Unverstand brachten täglich neue Beschuldigungen gegen B.; manche davon waren auch wol nur zu sehr begründet. Der Fürst selbst blieb sich und B. treu. Er wußte den edeln, oft nur unter rauher Hülle versteckten Charakter Basedow’s zu schätzen. Auch vergaß er nie die früheren Verdienste des Mannes, und als dieser, um dem Neid der Beamtenwelt zu entgehen, sich erbot, sein ihm vom Fürsten ertheiltes Gehalt aufzugeben, nahm Leopold Friedrich Franz dieses Opfer nicht an. Die Feinde Basedow’s verbreiteten das Gerücht, daß er sich viel Geld verdient habe, während es sich bei seinem Tode herausstellte, daß er selbst das Wenige, was er sich erspart hatte, freigebig für seine Freunde und zu gemeinnützigen Zwecken geopfert hatte. Ueber alle diese Dinge findet man ausführliche Nachricht in Basedow’s „Etwas aus dem Archiv seiner Lebensbeschreibung“, 1783 und in „Basedow’s und Wolken’s gemeinschaftlichen Erklärung ihrer geendigten Streitigkeiten“, 1783. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er wieder denselben theologischen Studien, die seine Jugend und sein Mannesalter so stürmisch gemacht hatten. Er hatte seine eigenen Ideen von dem wahren Wesen des Christenthums, die er, unbekümmert um die Meinung der Mitwelt, mit rücksichtsloser Offenheit vertheidigte. Dabei fehlte es ihm aber an ausreichendem Wissen, namentlich an Kenntniß der neutestamentlichen Kritik. Was über ihn hinausging, war ihm ebenso zuwider als was hinter ihm zurückblieb, so daß z. B. das Erscheinen der „Wolfenbüttler Fragmente“ ihn zu lebhafter Opposition reizte. Er trat gegen dieselben mit einem im J. 1780 geschriebenen „Vorschlag an die Selbstdenker des Jahrhunderts zum Frieden zwischen dem wohlverstandenen Urchristenthum und der wohlgesinnten Vernunft“ hervor, und vertheidigte darin von neuem die auf Offenbarung gegründete christliche Religion. Bald darauf erschien ein neues Werk in zwei Theilen, „Lehren der christlichen Weisheit und Zufriedenheit für forschende Selbstdenker“, die in demselben [123] Sinne das, was er für den Kern des wahren Christenthums hielt, der Mit- und Nachwelt sichern sollten. Doch wandte sich B. ebenso entschieden gegen die andere Partei der Schriftgläubigen. Als Semler von seinem Standpunkt aus eine Widerlegung der Wolfenbütteler Fragmente versucht hatte, schrieb B. als Entgegnung seine „Urkunde von der neuen Gefahr des Christenthums durch die scheinbare Semler’sche Vertheidigung desselben wider den ungenannten Fragmentisten“. Es ist schwer, die Stellung eines freisinnigen Theologen aus damaliger Zeit zu begreifen. B. wollte entschieden Christ sein. Er erklärte seinen Glauben an die göttliche Sendung Christi, ja auch an seine Wunder, aber er verwarf die Lehre von der Dreieinigkeit, von der Ewigkeit der Höllenstrafen, von der blutigen Genugthuung Christi, von der Erbsünde etc. Er nannte dasjenige was ihm Christenthum war, im Gegensatz zur natürlichen Religion, die allernatürlichste Religion. In ähnlichem Sinne beschäftigte sich B. während der letzten Jahre seines Lebens fast ausschließlich mit theologischen Fragen. Im J. 1781 gab er sein „Allgemeines christliches Gesangbuch für alle Kirchen und Secten“ heraus, was mehrere Auflagen erlebte und im J. 1784 als „Einer philadelphischen Gesellschaft Gesangbuch für Christen und philosophische Christengenossen“ erschien. In demselben Jahre, 1781, wurde auch sein „Paraphrastischer Auszug des Neuen Testamentes nach den Bedürfnissen unserer Zeit“ fertig. Im J. 1782 folgte sein Werk „Zur christlichen Besserung und Zufriedenheit in vornehmen Ständen“, eine Umarbeitung des englischen Werkes von Law, „Vom gottseligen Leben“. Im J. 1784 schrieb er sein „Examen in der allernatürlichsten Religion“; sodann „Jesus Christus, die große Christenwelt und die kleine Auswahl“. 1785 führte ihn die nöthig gewordene neue Auflage seines Elementarwerkes noch einmal zu seinen pädagogischen Arbeiten zurück, namentlich versuchte er noch einmal seiner Lehrmethode der lateinischen Sprache allgemeinen Eingang zu verschaffen. Zu dem Ende schrieb er um 1785 „Zum Nachdenken und Nachforschen. Von der Lehrform der Latinität durch Sachkenntniß. Mit Beschreibung und Anleitung einer Vorakademie der lateinischen Studien für solche, die spät anfangen und bald endigen wollen“. In demselben Jahre erschien auch seine „Unerwartlich große Verbesserung der Kunst lesen zu lehren, nebst einem Buchstabierbüchlein“, und im J. 1786 in neuer Ausgabe, unter dem Titel, „Neues Werkzeug zum Lesenlehren, zur Gotteserkenntniß und zur nothwendigsten Sprachrichtigkeit von J. B. B. und einer (ungenannten) für die Aufklärung wirkenden Gesellschaft“; und bald darauf „Neues Werkzeug zur gemäßigten Aufklärung der Schulen durch die Lehrer des Mittelstandes“, 1786. Trotz seines Alters und seiner Kränklichkeit widmete er sogar einen Theil seiner Zeit der praktischen Anwendung seiner Lehren, indem er sich in Magdeburg aus freiem Antrieb beim Unterricht an einer Schule betheiligte. In dieser Stadt verlebte er alljährlich mehrere Monate, theils weil ihm seine Theilnahme am Unterrichte der Kinder die größte Freude machte, theils weil er sich dadurch der drückenden Atmosphäre des Dessauer Lebens entziehen konnte. Seit dem Jahre 1788, namentlich nach dem Tode seiner Frau, widmete er sich auch mit wahrer Aufopferung dem Unterricht seines Sohnes, um ihn für die Universität vorzubereiten. Dies geschah meistens auf Reisen nach Magdeburg, Halberstadt, Halle, Leipzig, Hamburg, Altona, wobei aber stets dieselbe Tagesordnung eingehalten und stets lateinisch gesprochen, gelehrt und gelernt wurde. Auf einer dieser Reisen fand er in Magdeburg seinen Tod und seine letzte Ruhestätte. Mit dem Gedanken beschäftigt ganz nach Magdeburg überzusiedeln, war er am 20. Juli 1790 dorthin gereist, und starb daselbst am 25. Juli an einer Hämorrhagie. Auf seinem Sterbelager sagte er seinem Sohne, daß er bei seinen Grundsätzen in der Religion getrost und freudig sterben könne, und wie er sein ganzes Leben hindurch [124] von dem Gedanken geleitet war, seinen Mitmenschen nützlich zu sein, so starb er mit den Worten: „Ich will seciret sein zum Besten meiner Mitmenschen“.

Sein Sohn (geb. 2. Oct. 1774, † 5. Dec. 1835), Regierungs-Präsident in Dessau, und wieder in den Adelsstand erhoben, beschrieb den Tod des Vaters in folgenden Worten:

Als Du Geliebter, mir reichest die Hand zum letzten Male,
Als schon die fröhlich erweckete Seligkeit aus den gebroch’nen
Augen hervorblickt, als Du mir sprachest nur heilige Worte:
Siehe, mein Sohn, wer mit so frohem leichtem Gemüthe
Schrecken des Todes bekämpft, der traut der Güte des Ew’gen,
Freut sich seines Glaubens an ihn, das höchste der Wesen.
Länger ertrug ich da nicht den Anblick des leidenden Vaters,
Als er tröstet die Trauernden; dankt dem allgnädigen Herrscher.
Wenn dieß die Leiden des Todes mir sind! O himmlische Worte!
Heil Dir, Heil Dir schon Sel’ger, sei Du mein Vorbild, mein Muster.
Ewiger! Höre mein kindliches Flehen, gewähre die Bitte!
Leb’ ich, wie er Dir gelebt, so laß mich ihm gleich einst verbleichen! –

Eine Tochter des Präsidenten Basedow, Adelheid, geb. 12. Oct. 1800, heirathete den Dichter Wilhelm Müller (s. d.). Der Schreiber dieser Biographie ist ihr Sohn.

Ein Beitrag zur Basedow’schen Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgesetzt 1783, findet sich in Schlözer’s Staatsanz. II. 482 ff. Joh. Chr. Meyer, Leben, Charakter u. Schriften Basedow’s; 2 Bde. 8. Hamb. 1791–92. (Rathmann): Beyträge zur Lebensgeschichte Basedow’s. Magdeb. 1791. Ueber das Philanthropin vgl. besonders Raumer’s Gesch. d. Pädagogik II. 260 ff. u. Beil. III.