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Rezension über:

Kai-Achim Klare: Imperium ante portas. Die deutsche Expansion in Mittel- und Osteuropa zwischen Weltpolitik und Lebensraum (1914-1918) (= Veröffentlichungen des Nordost-Instituts; Bd. 27), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, 590 S., ISBN 978-3-447-11355-7, EUR 68,00
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Rezension von:
Ralph Schattkowsky
Historisches Institut, Universität Rostock / Toruń
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Ralph Schattkowsky: Rezension von: Kai-Achim Klare: Imperium ante portas. Die deutsche Expansion in Mittel- und Osteuropa zwischen Weltpolitik und Lebensraum (1914-1918), Wiesbaden: Harrassowitz 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 5 [15.05.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/05/35823.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Kai-Achim Klare: Imperium ante portas

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Unter dem etwas kryptischen Titel 'Imperium ante portas' versucht Kai-Achim Klare in seinem Buch über deutsche Kriegs- und Besatzungspolitik im Ersten Weltkrieg, die deutsche Expansion in Mittel- und Osteuropa "zwischen Weltpolitik und Lebensraum", wie es im Untertitel heißt, zu fassen. Allein schon Umfang und Konzeption dieser Dissertationsschrift sowie die Quellen- und Literaturbasis lassen eine anerkennenswerte Abhandlung erwarten.

Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen und gleichzeitig als methodische Leitlinie wählt der Autor den Konflikt zwischen dem Konservativen Alfred Goßler, der für eine halbkoloniale Angliederung der eroberten Gebiete eintrat, und dem Sozialdemokraten Eduard David, der eine Angliederung ablehnte und sich für eine wirtschaftliche Durchdringung der östlichen Gebiete aussprach. Hier sieht Klare die Antipoden der außenpolitischen Orientierung in diesem Zeitraum, räumt aber gleichzeitig ein, dass beiden eine "klare imperialistische Haltung zugrunde lag, der gemäß Deutschland nicht nur defensiv um sein Überleben kämpfte, sondern in Zukunft expandieren müsse" (10). Gleichzeitig sollten diese Grundpositionen allerdings "nur symbolisch für eine ganze Reihe unterschiedlicher Vorstellungen in ganz unterschiedlichen Schattierungen" stehen (13,72), was für sich dann die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Orientierung an diesen Grundpositionen aufwirft, wenn gleichzeitig ihre Eindeutigkeit in Frage gestellt wird. Sich auf Andreas Hillgruber berufend, geht der Autor bei der Expansionspolitik im Osten von der "Kontinuität einer aggressiven deutschen Außenpolitik seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus" (10).

Ziel der Untersuchung ist es, diesen Konflikt "und die ihm zugrunde liegenden Politik und Gesellschaftsentwürfe [...] nicht nur auf der politischen Makroebene im Berliner Zentrum (Ostpolitik)", sondern auch auf der "Mikroebene der deutschen Besatzungspolitik und damit bis an die Peripherie Mittel- und Osteuropas" zu untersuchen. "In einem asymmetrischen Vergleich beider Ebenen soll die Frage beantwortet werden, wie die politischen Konzeptionen in der Heimat entwickelt, durch die Erfahrungen vor Ort katalysiert und zuletzt in die Heimat zurück transportiert werden" (13). Der Realisierung dieses ambitionierten Programms dienen zwei theoretische Konzepte: zum einen nach Dirk von Laak die Behandlung der eroberten Gebiete "als Laboratorium der Moderne", zum anderen die "Unterteilung deutscher Imperialismuskonzeptionen in 'Weltpolitik und Lebensraum'" (13). Hier wie im Weiteren bezieht sich der Autor stark auf die Forschungsliteratur und setzt sich mit ihr auseinander. Die Historiografie zum Ostkrieg ist für ihn eine blackbox: "Die Outpunkt-Funktion der Territorien ist bekannt, ihre inneren Abläufe dagegen weniger" (14). Der Forschungsbedarf, vor allem in Gestalt einer synthetischen Abhandlung, ist sicher evident, relevante Forschungen allerdings generell zu bezweifeln erscheint mehr als gewagt. Das umfangreiche Literaturverzeichnis selbst gibt Auskunft über den Stellenwert, den der Krieg im Osten nicht erst im Zusammenhang mit runden Jahrestagen oder Kriegsschuld- beziehungsweise Kriegszieldebatten in der historischen Literatur besitzt.

"Um ein umfassendes Bild der deutschen Besatzungspolitik in Mittel- und Osteuropa nachzeichnen zu können" (22), entwirft der Autor ein breites Spektrum von Themen. Es erstreckt sich vom deutschen Bild des Ostens in historischer Perspektive, das an den gängigen Stereotypen vom "Drang nach Osten" und "Polnischer Wirtschaft" festgemacht wird, über die Darstellung des Kriegsverlaufs im Osten, den Ostkonzeptionen, wie sie in Berlin erörtert wurden, bis hin zur Ostpolitik. In diesem längsten und sehr informativen Kapitel werden im Prozess der Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie die Aushandlung der Politik im besetzten Osten nachgezeichnet und die unterschiedlichen Interessen sowie letztlich die Planlosigkeit verdeutlicht. Hier kommt der Autor seinen hochgesteckten Zielen zur Bewältigung des Themas am nächsten. Gerade durch die Dichotomie von Zentrum und Peripherie erlangt er neue Erkenntnisse über die Spannung von Politik und Militär und schließlich über die Verlagerung von Entscheidungsprozessen, die zumindest temporär der Peripherie zentrale Bedeutung beimessen. Dieser Zugang lässt Rückschlüsse auf die Wirkung von Erfahrungswerten aus der Besatzung auf das Zentrum und damit auf die Praxis der Kommunikation genauso wie auf die gegenseitige Akzeptanz zu. Das nachgestellte Kapitel über Ober Ost wirkt dann etwas isoliert und erschöpft sich in der Schilderung praktizierter Besatzungspolitik. Als Ergebnis bleibt dem Autor festzustellen, "dass sich vor Ort die unterschiedlichen Konzeptionen in der praktischen Umsetzung überschnitten [...] und die Entwicklungsperspektiven des Ober Ost-Gebietes [...] im Sommer 1918 offen (waren)" (488).

Im letzten Kapitel rekurriert Klare nochmals stringent auf das Raumparadigma und versucht in den Unterkapiteln "Spielräume", "Ergänzungsräume" und "Nahräume" die Ostpolitik beziehungsweise die Ostkonzeptionen im "Aushandlungsprozess im Dreieck zwischen Reichsleitung, Reichstag und OHL" (507) zusammenzufassen und zu bewerten. Er kommt zu dem Schluss: "Das deutsche Imperium ante portas zwischen 1915 und 1918 war ein Produkt aus Zufällen, persönlichen Wunschvorstellungen und natürlich auch aus zum Teil langfristigen politischen Strategien", wobei er sich strikt gegen die These eines deutschen Sonderwegs in Mittel-und Osteuropa wendet (517).

Der Autor hat eine sehr materialreiche und komplexe Monografie vorgelegt und kann interessante Perspektiven entwickeln. Das Buch ist lesenswert und aufgrund seiner Darstellungsform in der Lage, einen breiteren Leserkreis zu erreichen. Zielstellung und methodisch-theoretische Ansätze wirken jedoch überladen und werden nicht konsequent erkenntnisfördernd umgesetzt. Das lässt zwar den Leser in einigen Fragen unbefriedigt zurück, ist dem gesamten Aussagewert der Studie aber nicht substanziell abträglich.

Das Buch enthält in den inneren Umschlagseiten vorn und hinten die Karte "Ostfront 1917/18" und ist mit einem Sach- und Ortsregister sowie einem Personenverzeichnis versehen.

Ralph Schattkowsky