Sarah Czirr: "Arbeitende Bilder". Die Skulptur im Deutschen Kaiserreich zwischen künstlerischer Aneignung und sozialer Wirklichkeit (= Image; Bd. 135), Bielefeld: transcript 2018, 485 S., 82 s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-4373-2, EUR 49,99
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In ihrem Buch untersucht Sarah Czirr Skulpturen im Deutschen Kaiserreich und setzt dabei den Fokus auf - wie sie es selbst bezeichnet - Skulpturen, die arbeiten bzw. "arbeitende Bilder". Dabei geht die Autorin der Frage nach, wie der Begriff der Arbeit und somit auch die durch die Industrialisierung hervorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen in der Kunst reflektiert werden.
Um die Grundlagen für ihre Untersuchung zur Skulptur im Deutschen Kaiserreich zu schaffen, erläutert die Autorin in den ersten drei Kapiteln zunächst ihr methodisches Vorgehen und liefert dann einen ausführlichen Überblick über die Entwicklung des Kunstverständnisses von Skulptur und den Stilpluralismus im Deutschen Kaiserreich. In diesem Zusammenhang betrachtet Sarah Czirr die sozialgeschichtlichen Entwicklungen im Deutschen Kaiserreich, die unterschiedlichen Akteure des Kunstsystems sowie die zeitgenössisch relevanten Diskurse. Dabei stellt sie immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit sowie der damit verbundenen vermeintlich freien Stilwahl des Künstlers. Im Rahmen der gattungsimmanenten Diskurse zur Skulptur verweist die Autorin auch auf die Rolle der Skulptur im europäischen Ausland.
Bei der Betrachtung der Skulptur im Deutschen Kaiserreich im vierten Kapitel werden verschiedene Fallbeispiele, nämlich das einer Bauskulptur, eines Grabdenkmals, eines Bronzereliefs und eines Nationaldenkmals von Bismarck vorgestellt und analysiert. Dabei betrachtet die Autorin Stil, Material und Produktion, Ikonografie sowie Aufgabe der Skulptur als Kriterien ihrer werkanalytischen Untersuchung. In diesem Zusammenhang gibt Sarah Czirr einen Überblick über die Vielfalt der damals von Künstlern bevorzugten Stilrichtungen und untersucht die Verbindung von Material und Ideologie. Bei der Betrachtung des Arbeitermotivs in den bildenden Künsten Europas geht die Autorin vor allem auf die Bedeutung des belgischen Bildhauers Constantin Meunier für die Ikonografie der Arbeit und die europäische Skulptur ein. Das Denkmal wird als die wichtigste Aufgabe der Skulptur im Deutschen Kaiserreich identifiziert und die Platzierung der Arbeiter am Denkmalsockel als Hinweis auf ihre Rolle in der gesellschaftlichen Ordnung. Im Ergebnis stellt die Autorin fest, dass die Präsentation von Arbeit im Denkmal der deutschen Kaiserzeit mit abstrakten Formen wie Personifikationen oder Allegorien verbunden wird, so dass der Arbeiter selbst zum "Ornament, Teil einer allegorischen Wirklichkeit" (415) wird.
"Kunst als Akteur, Skulptur als arbeitendes Bild" beschreibt die Autorin im fünften Kapitel als Folge von Kunst, die eine eigene Wirklichkeit produziert. Arbeit wird dabei als das repräsentiert, was sie sein soll, nicht als das, was sie ist. Das Denkmal wird zum Symbol und Instrument staatlicher und bürgerlicher Macht, der Arbeiter selbst marginalisiert. Hervorgehoben wird ein symbolischer Wert von Arbeit, der die realen Arbeitsbedingungen ausblendet. Durch ihre Omnipräsenz im öffentlichen Raum werden Skulpturen zu "arbeitenden Bildern" und prägen mit ihren Darstellungen von Arbeit gleichzeitig einen zeitgenössischen Begriff von Arbeit, der nicht nur mit einer klaren Rollenzuweisung verbunden ist, sondern eine Abstraktion des Arbeitsbegriffs impliziert.
In ihrer methodisch fundierten Analyse der Skulptur als "arbeitendes Bild" liefert die Autorin einen neuen Blick auf das Arbeitersujet um 1900, das in der Fachliteratur bisher vor allem für die Gattungen der Malerei, Grafik und Fotografie untersucht wurde. Die umfassende ikonografische Anthologie von Klaus Türk zur Darstellung von Arbeit in der Kunst bildet hierbei auch für Sarah Czirr einen wichtigen Referenzpunkt. [1] Nach Sarah Czirr ist es nicht zuletzt die vermeintlich "kategoriale affirmative Natur" (441) von Skulptur, die Künstler von einer sozialkritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit in der Skulptur abhält.
In ihrer Untersuchung betrachtet Sarah Czirr vor allem Skulpturen, die für den öffentlichen Raum geschaffen wurden und kommt daher - nicht ganz überraschend - zu dem Ergebnis, dass diese "im Dienste einer Rhetorik staatlicher und bürgerlicher Macht" (437) stehen. Als charakteristisch für die betrachteten Arbeiterskulpturen werden nicht nur die Tendenz zur Abstraktion des Arbeitsbegriffs, sondern die damit einhergehende Regungslosigkeit der Figuren konstatiert. Ein Fazit der Analyse ist die Feststellung der "Aneignung des Schmiedes mit seinem ikonografischen Verweissystem auf Nation, Volk, Männlichkeit, Mythos, Kraft, Krieg, Industrie und letztlich auch Arbeit" (449/450) für die Skulptur im Deutschen Kaiserreich. Dabei stellt die Autorin zu Recht fest, dass "der Körper (...) zu einem der wichtigsten Erzähl- und Stilmittel wird" (450). In diesem Zusammenhang verwundert jedoch, dass ein wichtiger Aspekt der Kunst um 1900 in der Analyse vernachlässigt wird: Die Apotheose von Männlichkeit und Virilität geht nicht nur in der Malerei der Zeit einher mit der Betonung von Dynamik und Kraft, sondern lässt sich auch in der Skulptur beobachten. Ein Beispiel stellt "der Steinwälzer" von Wilhelm Lehmbruck dar, den die Autorin in der Abbildung 57 (340) auch zeigt, jedoch in ihren Ausführungen unberücksichtigt lässt. Bei der Behandlung von Bernhard Hoetgers "Menschlicher Maschine" (355ff) konzentriert sich die Autorin in ihrer Beschreibung auf den verwandten Grafikzyklus "Harte Arbeit". Zwar nennt sie Beispiele weiterer Plastiken und verweist auf die Außenseiterstellung Hoetgers, bleibt dem Leser aber weitere Bildbeispiele und Erläuterungen schuldig. Insgesamt ist die Auswahl der Abbildungen (ohne Referenz im Text sowie ohne Abbildungsverzeichnis) nicht immer glücklich und erschwert die Lektüre des Textes in einigen Teilen. So fehlen Abbildungen zu behandelten Werken wie beispielsweise "Die Arbeit" oder "Schlagende Wetter" (341) von Lehmbruck, während die ganzseitige Abbildung von Constantin Meuniers "Schiffslöscher" (324) im Text keine Erwähnung findet. Bedauerlich ist, dass zwar ein Zusammenhang zwischen dem Werk Meuniers und seinem Einfluss auf Künstler wie Lehmbruck und Hoetger festgestellt wird, die Hintergründe jedoch nicht weiter beleuchtet werden. Die Gewichtung der Gesamtbetrachtung zugunsten monumentaler Skulpturen im öffentlichen Raum ist insofern nachvollziehbar, als dass gerade die Materialität von Skulptur und ihre dadurch mögliche "Omnipräsenz durch Maße und Masse" (439) ihre Wahrnehmung fördert und somit auch den Begriff des "arbeitenden Bildes" rechtfertigt.
Insgesamt kommt der Autorin der Verdienst zu Gute, eine fundierte Analyse der öffentlichen Skulptur im Deutschen Kaiserreich im Hinblick auf das Thema Arbeit und Arbeiter geleistet und dabei den Unterschied zwischen künstlerischer Aneignung und sozialer Wirklichkeit offengelegt zu haben. Neben den bereits angesprochenen Kritikpunkten ist die vielschichtig strukturierte Gliederung der Arbeit nicht ganz stringent, so dass der Leser immer wieder herausgefordert wird, die Argumentationslinien der Autorin nachzuvollziehen. Auch bleibt dem Leser überlassen, den Titel "Arbeitende Bilder" als genial oder doch als etwas verwirrend zu beurteilen.
Anmerkung:
[1] Klaus Türk: Bilder der Arbeit. Eine ikonographische Anthologie, Wiesbaden 2000.
Sabine Friese-Oertmann