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Rezension über:

Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949-1994, München: C.H.Beck 2023, 377 S., 24 Farb-Abb., ISBN 978-3-406-80848-7, EUR 28,00
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Rezension von:
Frieder Günther
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Frieder Günther: Rezension von: Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit 1949-1994, München: C.H.Beck 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 2 [15.02.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/02/38242.html


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Norbert Frei: Im Namen der Deutschen

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Nun also auch das Bundespräsidialamt. Nach einer öffentlichen Ausschreibung erhielt ein Forschungsteam um den Jenaer Historiker Norbert Frei von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zuschlag, um das Thema "Das Bundespräsidialamt und der Nationalsozialismus" für die Zeit der ersten sechs Amtsträger aufzuarbeiten. Nach drei Jahren liegt jetzt mit einer Monographie von Frei das Ergebnis der Recherchen vor. Der Band bietet aus vergangenheitspolitischer Perspektive einen souveränen Überblick über viereinhalb Jahrzehnte bundesdeutscher Geschichte, aus geschichtswissenschaftlicher Sicht treten bei der Lektüre aber auch einzelne Unzulänglichkeiten hervor.

Um das große Thema für den Zeitraum von immerhin 45 Jahren einzugrenzen, konzentriert sich Norbert Frei auf vier Untersuchungsfelder: erstens auf die Reden der Bundespräsidenten an historisch-politischen Gedenktagen, zweitens auf die Staatsbesuche in Länder, die im Zweiten Weltkrieg Gegner des Deutschen Reiches waren, drittens auf die Praxis der Ordensvergabe und viertens auf das Engagement für die Begnadigung von verurteilten Kriegsverbrechern. Dies leuchtet aus pragmatischen Gründen ein, wichtige Aspekte der Geschichtspolitik der Bundespräsidenten kommen damit aber nicht in den Blick. Dazu zählt etwa die Debatte über die Nationalhymne. Obwohl die Nationalsozialisten das "Lied der Deutschen" verwendet hatten und Theodor Heuss folglich eine Alternative bevorzugt hätte, legte er nach langem Zögern die dritte Strophe als Nationalhymne für den westdeutschen Teilstaat fest. Richard von Weizsäcker bestätigte dies 40 Jahre später für das wiedervereinigte Deutschland und hielt auf diese Weise an dem vorgezeichneten Brückenschlag zur Zeit vor 1945 fest.

Insgesamt wird deutlich, welchen starken Einfluss das jeweilige vergangenheitspolitische Klima auf die Bundespräsidenten hatte und wie ihr Reden und Handeln zugleich von ausgeprägten Kontinuitäten geprägt war. In vielerlei Hinsicht stilbildend wirkte der erste Bundespräsident Theodor Heuss. Er lehnte den Begriff der Kollektivschuld ab und sprach stattdessen von Kollektivscham - einem Begriff, der sogar noch in einer Rede von Karl Carstens auftauchte. Zugleich ließ Heuss keinen Zweifel daran, dass die Deutschen schon vor Kriegsende von der Judenverfolgung wussten. Auf Auslandsreisen war er zu spektakulären Versöhnungsgesten bereit, zeigte während seiner Amtszeit aber wenig Skrupel, als Teil seiner Integrationspolitik das Bundesverdienstkreuz an frühere Nationalsozialisten zu vergeben, sofern ihre Belastung wie bei dem verurteilten Unternehmer Friedrich Flick nicht zu sehr hervorstach. Genauso wie Heuss war seinem Nachfolger Heinrich Lübke die Aussöhnung mit den Juden ein zentrales Anliegen. Trotz der damaligen breiten öffentlichen Diskussion über Lübkes zunächst verschwiegene Tätigkeit in der Rüstungswirtschaft des NS-Staats betont Frei im Hinblick auf die Vergangenheitspolitik die Nähe zu seinem Vorgänger. Unter Gustav Heinemann schien ein neuer demokratischer und eigensinniger Geist ins Bundespräsidialamt Einzug zu halten, Heinemanns Thematisierung der Zeit des Nationalsozialismus war aber laut Frei eher konventionell. So kamen ihm Worte der Entschuldigung bei Reisen zu früheren Kriegsgegnern nicht über die Lippen. Ambivalent fällt auch die Beurteilung von Walter Scheel und Karl Carstens aus. Scheel sprach erstmals von der "Befreiung" 1945, Carstens von der "Schuld" der Deutschen, aber beide wollten zugleich die NS-Zeit ein Stück weit hinter sich lassen und die Geschichte nutzen, um das Selbstbewusstsein ihrer Landsleute zu stärken. Genauso ist Richard von Weizsäckers berühmte Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes laut Frei im Spannungsfeld von Konventionalität und geschichtspolitischem Einschnitt anzusiedeln. Von Weizsäckers besondere Wirkung als moralische Instanz beruhte darauf, dass er dem Reden über Schuld und Verbrechen einen persönlichen Charakter zu geben wusste, dabei aber - ähnlich wie vor ihm Scheel und Carstens - die eigenen persönlichen Erfahrungen aktiv beschwieg. Alle sechs Bundespräsidenten engagierten sich für die Begnadigung von aus ihrer Sicht vom Ausland zu hart bestraften deutschen Kriegsverbrechern - beispielsweise Theodor Heuss für den direkt am Völkermord im Baltikum beteiligten Martin Sandberger oder Richard von Weizsäcker für Rudolf Heß -, was ein weiteres wichtiges Kontinuitätselement darstellte.

Über das Bundespräsidialamt erfährt man in der Studie leider weniger. In der Amtszeit von Heuss war laut Frei der Anteil früherer Mitglieder in NS-Organisationen mit dem in bundesdeutschen Ministerien durchaus vergleichbar, später war er eher unterdurchschnittlich. Aufschlussreich wäre es gewesen, das Zusammenspiel zwischen dem Bundespräsidenten und seinen leitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwa bei der Formulierung von Reden genauer zu beleuchten, um so einen Eindruck zu gewinnen, inwieweit sich hierbei NS-Belastungen auswirkten.

Eine Stärke der Studie liegt in der Interpretation und Kontextualisierung der Reden mit Vergangenheitsbezug. Frei kann den engen Zusammenhang zwischen den Bundespräsidenten und dem jeweiligen vergangenheitspolitischen Diskurs sowie das notwendige Zusammenspiel von erzieherischem Vorangehen und exkulpatorischem Impetus immer wieder auf überzeugende Weise aufzeigen. Zugleich weist die Studie aber auch Defizite auf. Vieles ist bereits bekannt, die Forschungsliteratur wird unzureichend nachgewiesen, und der überaus schillernde Begriff der Deutschen, auf den Frei immer wieder zurückkommt, wird nicht kritisch hinterfragt. Zählten auch die NS-Opfer, die DDR-Bürgerinnen und -Bürger und später die eingewanderten Ausländerinnen und Ausländer dazu? Darüber hinaus tendiert Frei dazu, das Reden und Handeln der Bundespräsidenten an einem Ideal der Gegenwart zu messen, und neigt somit wiederholt zu einer letztlich unhistorischen Besserwisserei. Über polemische Unterstellungen wie: "[...] sie [die Fürsprecher eines mit dem Bundesverdienstkreuz Ausgezeichneten] genossen schon einmal im Stillen das in der kommenden Ehrung sichtbar werdende große Vergessen und die Aussicht auf weitere Orden für kompromittierte Kollegen" (139), kann man sich nur wundern.

Nicht zuletzt legt es das Nachwort nahe, dass den vier teilweise im Fach etablierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projektes eine gewichtigere Rolle bei den Forschungsarbeiten zukam, als es die Titelei des Bandes zum Ausdruck bringt. Es ist zu betonen, dass laut den Leitlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft sich die Autorschaft nicht im Formulieren eines Manuskriptes erschöpft, sondern etwa auch die Recherche von Quellen oder die Analyse von Daten umfasst. Aus Solidarität und wissenschaftlichem Anstand seien die neben dem Allein-Autor Frei im Projekt tätigen Kolleginnen und Kollegen hier also ausdrücklich genannt: Claudia Moisel, Marcel vom Lehn, Markus Wegewitz und Carmen Behrendt.

Frieder Günther