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Barnes’ Vorstellung einer ernsthaften Konfrontation zwischen Constantin und den Vertretern einer paganen résistance übersieht, dass sich nach wie vor nirgends politisch relevanter Widerstand von paganer Seite gegen Constantins religionspolitische Maßnahmen greifen lässt – im Gegensatz zur überaus scharfen christlichen Kritik an Constantin, die sich vereinzelt sogar im Sturz der kaiserlichen Statuen entladen konnte (Euseb. Vit. Const. 3.4). Barnes zufolge könne die wahre Geschichte, die hinter dem „smokescreen“ der constantinischen „propaganda“ verborgen sei, mit der nötigen Akribie im Umgang mit den Quellen freigelegt werden – „provided that we allow ourselves to be guided by the ancient evidence and do not seek to impose our own antecedent assumptions on its interpretation“ (S.2). Die Annahme, die antiken Zeugnisse könnten für sich selbst sprechen, ist freilich ebenso problematisch wie der Umstand, dass Barnes mit „ancient evidence“ fast ausschließlich die literarischen Quellen meint und diese, wie gezeigt, durchaus nicht vorurteilsfrei interpretiert. Seine „second thoughts on Constantine“ liegen zudem in konzeptioneller und methodischer Hinsicht erstaunlich nah an seinen „first thoughts“, obgleich inzwischen drei Jahrzehnte intensiver Forschungstätigkeit vergangen sind. Mit seinen wertvollen Beiträgen zur Prosopographie und Chronologie der tetrarchisch-constantinischen Zeit konnte Barnes der Constantinforschung einst neuen Schwung verleihen – wohin der Impetus seiner Arbeit heute noch führen kann, ist weniger klar. Der Schlüssel zu einem überzeugenden Verständnis der constantinischen Wende kann jedenfalls kaum mehr in der punktuellen Modifikation eines Gesamtbildes liegen, das um die nebulösen „personal beliefs“ des Kaisers kreist, während dessen konkret greifbare Kommunikationsangebote als „lies“, „official untruth“, „deliberate falsehood“ etc. (S.3f. u.Ö.) verkannt werden. Joachim Szidat, Usurpator tanti nominis. Kaiser und Usurpator in der Spätantike (337–476 n.Chr.). (Historia, Einzelschriften, H.210.) Stuttgart, Steiner 2010. 458 S., € 76,–. // oldenbourg doi 10.1524/hzhz.2013.0331 Johannes Wienand, Düsseldorf Die auffälligste Differenz zwischen einem römischen Kaiser und einem illegitimen Prätendenten besteht darin, „dass der Usurpator zu spät kommt. Der Thron ist schon NEUE HISTORISCHE LITERATUR / BUCHBESPRECHUNGEN ALTERTUM © Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2013 163 vergeben“ (S.206), wie Joachim Szidat in seiner neuen Monographie prägnant formuliert. Dass den Herrscher ansonsten nicht viel von einem beliebigen Empörer unterscheidet, ist ein faszinierendes Strukturmerkmal der römischen Monarchie, dem Szidat nun speziell für die Spätantike auf den Grund gegangen ist. Die Studie ist damit in einem Forschungsfeld situiert, das sich den in stetem Wandel begriffenen Ausprägungen der Desintegrationspotenziale widmet, die dem römischen Kaisertum über die Jahrhunderte hinweg inhärent geblieben sind und die einen wesentlichen Teil der politisch-militärischen Dynamik in Prinzipat und Spätantike hervorgebracht haben. Eine vergleichbar umfassende Untersuchung des Phänomens wurde für die spätrömische Zeit bislang nicht vorgenommen. Szidats Unterfangen ist also berechtigt und behebt zugleich ein dringendes Desiderat. Die Studie zielt weniger darauf ab, für den Untersuchungszeitraum (337 bis 476 n.Chr.) die Ereigniszusammenhänge der bekannten Usurpationsversuche (etwa 26 Usurpationen bei regulären Herrschaftsantritten von 21 Kaisern) zu rekonstruieren oder die Entwicklung der subversiven und affirmativen Herrscherdiskurse zu untersuchen, die zur Erosion kaiserlicher Handlungsspielräume beigetragen haben bzw. den Desintegrationsprozessen entgegenwirken sollten; sie stellt vielmehr eine am Phänomen der Usurpation vorgenommene Struktur- und Funktionsanalyse der spätrömischen Monarchie dar. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Mechanismen der regulären Herrschaftsübertragung und Herrschaftssicherung untersucht, um dann ebenso detailliert usurpatorische Herrschaftsübernahmen in den Blick zu nehmen. Szidat zerlegt dabei die in den verfügbaren Zeugnissen greifbaren Ereigniszusammenhänge in überschaubare Analyseeinheiten, um den Phänomenkomplex von der Planung einer Usurpation über die politisch-militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Prätendent sowie die Etablierung der Herrschaft bis hin zu Absetzung, Bestrafung und Tod des Usurpators untersuchen und bewerten zu können. Die Handlungsspielräume und Interessen der beteiligten Akteure (Kaiser, Mitglieder der Herrscherdynastie, der zivilen und militärischen Führungsschicht, des Senats und der Kirche, die Soldaten sowie sonstige Bevölkerungsgruppen) werden dabei eingehend diskutiert. Da Usurpationsversuche im Untersuchungszeitraum meist auf eine Beteiligung an der Herrschaft, nicht auf den Sturz des Kaisers abzielten, liefert Szidat mit seiner Studie zugleich eine wertvolle Funktionsanalyse der spätrömischen Mehrkaiserherrschaft. Von besonderem Interesse für die althistorische Forschung ist auch die umfassende prosopographische Untersuchung der Füh- 164 Historische Zeitschrift // BAND 297 / 2013 © Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2013 rungsschicht im 4. und 5.Jahrhundert, aus der etwa hervorgeht, dass das spätrömische Kaisertum unter schwachen Kaisern oft besonders usurpationsresistent war, da die zivile Führungselite durch deren Unterstützung effizient auf die Wahrung ihrer eigenen Interessen hinarbeiten konnte. Über einige Details der Argumentation ließe sich diskutieren. Dass etwa die Formen von Herrschaftsteilung im 5.Jahrhundert mit dem konzeptionellen Instrumentarium beschrieben werden, das Szidat primär am Phänomen der Samtherrschaft des 4.Jahrhunderts gewonnen hat, erscheint in Teilen problematisch. Auch ob „die Kirche“ bzw. „die Christen“ durchgehend als akzeptanzrelevante Statusgruppe angesprochen werden können, ist fraglich, da sie nur selten in der Lage waren, mit einer Stimme zu sprechen. Grundsätzlich stellt sich zudem die Frage, ob mit dem Jahr 337 eine vergleichbar klare Zäsur wie 476 (Ende der Mehrkaiserherrschaften) gefunden wurde, um den Untersuchungszeitraum einzugrenzen: Auf der Ebene der Strukturentwicklung zeigen sich die Diskontinuitäten deutlicher in den Jahren 285, 293 oder 305/06. Solch begrenzte Vorbehalte ändern indes insgesamt nichts daran, dass Szidats Studie ein wichtiges Referenzwerk der spätantiken Monarchiegeschichte ist und dies wohl auf absehbare Zeit zu Recht auch bleiben wird. Robert M. Frakes, Compiling the Collatio Legum Mosaicarum et Romanarum in Late Antiquity. Oxford/New York/Auckland, Oxford University Press 2011. XIV, 368 S., £ 80,–. // oldenbourg doi 10.1524/hzhz.2013.0332 Detlef Liebs, Freiburg im Breisgau Ein ungefähr 40 heutige Druckseiten umfassender Text des 4.Jh.s n.Chr. ist noch immer heftig umstritten. Er ist anonym in drei Handschriften aus dem 9. bis frühen 11.Jh. (Frakes, S.36f.) überliefert. Strittig sind Datierung, Autor und Kontext: ob im frühen 4.Jh. abgefasst und im späten ergänzt oder im späten 4.Jh. in einem verfasst; ob von einem Juden oder Christen; und Anliegen des Werks. Der vom Vf. gewählte Titel ‚Collatio ...‘ ist seit dem 16.Jh. gebräuchlich, während er in den Handschriften mit leichten Schwankungen Lex Dei quam Dominus (oder Deus) praecepit ad Moysen o. ä. lautet, was jedoch nicht mit dem Inhalt übereinstimmt. Ihn deshalb kurzerhand zu verwerfen (S.3), lehnen die meisten jedoch ab, mit Recht. Frakes datiert das Werk (S.35–65) einheitlich ans Ende des 4.Jh.s, wenn auch NEUE HISTORISCHE LITERATUR / BUCHBESPRECHUNGEN ALTERTUM © Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2013 165