Hintergrund
Anzeiger vom Rottal – 29. Dezember 2022 – Nr. 52
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Zum Jahreswechsel und zu dem, was 2023 geschehen soll
Weltuntergang und Jüngstes Gericht
Teuerung, Kriege und Seuchen.
Apokalyptische Vorzeichen. Kein
Zweifel. Das Ende der Welt ist
nahe. Das verkünden die
Schriften des Nostradamus fürs
kommende Jahr. Es soll uns
eine grosse Wirtschaftskrise
und den Weltuntergang bringen. Auch andere Prophezeiungen sagen regelmässig die
Apokalypse voraus.
Kurt Lussi
Ein Szenario des Schreckens. Heuer ein
letztes Mal Silvester feiern, denn im
kommenden 2023 findet der Weltuntergang statt. Diesmal definitiv. Das verkündet uns Nostradamus, der Prophet,
der mit bürgerlichem Namen Michel de
Notredame heisst. In die Welt kam er am
14. Dezember 1503. Vom Allmächtigen
heimgeholt wurde er am 2. Juli 1566.
Der Prophet
Nostradamus war Arzt, Apotheker und
Astrologe. Berühmt wurde er nicht wegen seiner ärztlichen Kunst, sondern aufgrund seiner prophetischen Gedichte.
Und dies schon zu Lebzeiten. Seine heute noch verbreiteten Prophezeiungen bestehen aus Gruppen von je 100 Vierzeilern, die so verschlüsselt abgefasst sind,
dass sich fast alles in sie hineininterpretieren lässt. So auch der Weltuntergang,
der uns im kommenden Jahr bevorstehen
wird. Damit nicht genug. Für 2023 hat
Nostradamus zu allem Übel noch eine
grosse Wirtschaftskrise vorausgesagt
und – es kommt noch schlimmer – den
Ausbruch des Dritten Weltkriegs, der
dem Weltuntergang vorausgehen soll.
Ersteres berührt uns nicht mehr. Wenn
schon die Welt untergeht, ist es eigentlich egal, ob die Wirtschaft zum Zeitpunkt des Endes floriert oder nicht. Und
letzteres? Nimmt die Welt durch den Einschlag eines Asteroiden ein schnelles
Ende oder durch einen schrecklichen
Krieg? Wir wissen es nicht. Nostradamus
lässt uns im Unklaren.
Was die Sterne sagen
Und was prophezeien die Astrologinnen
und Astrologen für das kommende Jahr,
dessen Regent der kriegerische Planet
Mars ist? «Für Widder, Stier und Co.»,
heisst es in einer auf astrologische Vorhersagen spezialisierten Internetseite, sei
jetzt die Zeit gekommen, «Träume und
Wünsche wirklich in die Tat umzusetzen». Sofern dafür überhaupt noch Zeit
bleibt, möchte man ergänzen, und weiter: «Wenn Ihnen bisher der Antrieb gefehlt hat, so ist es jetzt keine Option
mehr, sich einfach zurückzulehnen und
nur über Ihre Ziele nachzudenken. Mars
spornt uns dazu an, wirklich etwas zu
verändern und fordert uns heraus, über
persönliche Grenzen zu springen.» Springen? Verständlich, kann da der Aussenstehende, der mit den Sternen nur via
Nachthimmel vertraut ist, sagen. Gemäss
Nostradamus kommt das Weltende. Und
mit diesem das Jüngste Gericht. Da werden wir wohl oder übel springen müssen.
Den in den Sternzeichen Widder und
Stier Geborenen, die sich gemäss obigem
Horoskop auf einen «Extraschub Energie
und Kraft» freuen dürfen, wird der
Sprung vielleicht etwas leichter fallen,
als den von den Sternzeichen minder Begünstigten.
Soweit zu den Astrologen und anderen
Propheten, Frauen wie Männern. Und
nun zu den Fakten.
Weltuntergänge
Weltuntergänge sind nichts Neues. Die
meisten von uns haben schon mehrere
überlebt. Weltweit führend in Sachen
Weltuntergang sind die Zeugen Jehovas,
eine aus den Vereinigten Staaten zu uns
gekommene Religionsgemeinschaft. Ihre
Mitglieder fallen durch eine ausgesprochene Missionstätigkeit auf. Die Zeugen
bieten Bibelkurse an und verteilen reli-
vor dessen Hintergrund Martin Luther
seine Schriften wider die Türken verfasste. Wir können gut nachvollziehen,
dass Luther in der Übermacht der türkischen Heere eine weitere Geissel sah,
mit der Gott die sündige Christenheit
züchtigte. In seiner 1547 erschienenen
«Vermanung zur Busse und Gebet wider
den Türcken» schreibt er: «Er [der Türke] ist Gottes rute und des Teueffels diener, das hat keinen zweifel».
giöse Traktate. Rüttelt auf, bekehrt, wen
ihr könnt, ist ihr Motto. «Erwachet!» ist
denn auch der Titel eines der Traktätchen, welche die Zeugen an Strassenecken den Vorübergehenden entgegenstrecken.
Erwachet, die Wiederkehr des Messias
ist nahe. 1914 hätte es eigentlich soweit
sein sollen. Wegen des Ausbruchs des
Ersten Weltkriegs und den damit zu erwartenden Schrecken hatten die Zeugen
den Zeitpunkt sogar äusserst günstig
gewählt. Als der Krieg zwar wütete, der
Weltuntergang jedoch ausblieb, verlegten sie ihn auf 1918 um ihn, eine göttliche Gnadenfrist vorgebend, auf 1925
zu verschieben. Endlich, 1975, hätten
sich für sie die Pforten zum Himmelreich öffnen sollen. Als dann am 1. Januar 1976 die Welt nicht unter, sondern
die Sonne wie tags zuvor über Gläubigen wie Ungläubigen wieder aufging,
kam die Ernüchterung. Von «Missverständnissen» und «Fehlinterpretationen»
durch das Fussvolk war da die Rede.
Nun, wie dem auch sei. Die Zeugen haben dazu gelernt. Jahreszahlen werden
keine mehr genannt. Es bleibt bei allgemeinen Drohungen von Weltende und
Jüngstem Gericht.
Fazit
Harold Camping der Prediger
Aus den Fehlprognosen nichts gelernt
hat der amerikanische Prediger Harold
Camping. Der inzwischen verstorbene
Besitzer des Family Radio prognostizierte aufgrund seiner Berechnungen mit
biblischen Zahlen den Weltuntergang
für den 21. Mai 2011. Millionen in aller
Welt fieberten nach Campings Ankündigungen dem «Judgement Day» entgegen.
Hunderttausende verschenkten ihr Erspartes, kündigten ihre Jobs, verkauften
ihre Häuser und gaben das Geld Camping, damit dieser seine aufwendigen
Bekehrungskampagnen
finanzieren
konnte. Als der 21. Mai 2011 ohne besondere Vorkommnisse verstrichen war,
verlegte er den Weltuntergang «aufgrund neuer Berechnungen und der Korrektur eines Fehlers» kurzerhand auf den
21. Oktober. Eine letzte Frist für alle, die
sich in letzter Minute doch noch in globo von ihren irdischen Gütern trennen
und sich durch Spenden einen Platz im
Himmel sichern wollten. Nun, wir wissen es. Es geschah wieder nichts.
Für die Menschheit ging das Leben weiter wie bis anhin. Für jene aber, die
Camping auf den Leim gegangen waren
und ihm den letzten Cent gespendet hatten, kam jetzt das böse Erwachen. Tausende waren von einem Tag auf den andern mittellos. Jene, die ihre Häuser
verkauft oder verschenkt hatten, standen mitsamt ihren Kids auf der Strasse.
Nach Berichten in den Medien kam es
deswegen vielerorts zu Suiziden, Suizidversuchen und sogar zu Mord.
Anstatt dem Fantasten blind zu vertrauen hätten seine Anhänger besser jene
Stelle in der Bibel aufgeschlagen, die ihnen Harold Camping aus verständlichen
Gründen wohl kaum zu lesen empfohlen hatte. Im 1. Brief des Johannes
heisst es: «Liebe Brüder, traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob
sie aus Gott sind; denn viele falsche
Propheten sind in die Welt hinausgezogen.» (1 Joh 4, 1-6) Abgesehen davon:
Wie sollte ein Sterblicher das Datum des
Weltuntergangs kennen, wenn dies
nicht einmal Jesus tut? Im Evangelium
des Matthäus lesen wird: «Doch jenen
Tag und jene Stunde kennt niemand,
auch nicht die Engel im Himmel, nicht
einmal der Sohn, sondern nur der Vater.» (Mt 24, 36)
Nostradamus
Zurück zu Nostradamus. In Sachen Popularität kommt Harold Camping trotz
der Nutzung moderner Massenmedien
nicht an den französischen Propheten
heran, wird es auch nie. Anders als Camping nannte Nostradamus, der 1555 den
Nostradamus, Arzt, Apotheker, Astrologe und Prophet (1503-1566). Kupferstich
von Jean Boulanger (1608-1680). Paris, um 1680. Archiv Kurt Lussi
ersten Teil seiner Prophezeiungen veröffentlichte, nämlich weder Namen noch
Daten. Zudem verfasste er seine Verse in
einer schwer verständlichen Sprache, die
aus einem Gemisch von Altfranzösisch,
Latein und eigenen Wortschöpfungen
bestand. Seine Prophezeiungen sind daher nebelhaft verschwommen. Das, so
dürfen wir annehmen, war von ihm so
gewollt. Durch das Unklare lag er nie
falsch, aber auch nie richtig, denn dank
der verworrenen Sprache liessen die einzelnen Verse verschiedene Deutungen
und Spekulationen zu. Das schützte ihn
vor der Rache der Enttäuschten, die gestützt auf seine Verse unumkehrbare
Dispositionen getroffen hatten. Diese
Schlauheit ging Harold Camping ab.
Dass das Rätselhafte und Verschleierte
der Prophezeiungen von Nostradamus
womöglich so gewollt war und er seinen
eigenen aus den Sternen und der Offenbarung des Johannes gewonnenen Erkenntnissen selbst nicht recht zu trauen
schien, zeigt das nachfolgende Zitat aus
einem Brief an seinen Sohn. Darin heisst
es: «Man muss auch in Betracht ziehen,
dass die Ereignisse letztlich ungewiss
sind und dass alles regiert und verwaltet wird von der unbegreiflichen Macht
Gottes.»
Die Hintergründe
Nostradamus lebte in einer Zeit, die von
Umbrüchen, Naturkatastrophen und gesellschaftlichen und religiösen Umwälzungen geprägt war. Und dies in apokalyptischen Dimensionen. 1540 wurde
Mitteleuropa von einer noch nie dagewesenen Dürre heimgesucht. Sie begann
in Norditalien, wo von Oktober 1539 bis
April 1540 nicht ein einziger Tropfen
Regen fiel. Danach weitete sie sich nach
Norden aus, wo es während elf Monaten
nicht oder nur ganz spärlich regnete.
Flüsse verkamen zu Rinnsalen. Der
Rhein konnte trockenen Fusses durchquert werden, Brunnen versiegten und
der durch grossflächige Waldbrände verursachte beissende Rauch trübte das
Sonnenlicht. Zur Dürre kam die Hitze.
Gemäss dem Schweizer Historiker Christian Pfister, der auf Umweltgeschichte
und Historische Klimatologie spezialisiert ist, lagen die Temperaturen damals
fünf bis sieben Grad über den Normalwerten des 20. Jahrhunderts.
Kirchenspaltung
Etwa zeitgleich führte die von Zürich
und Wittenberg ausgehende Reformation zu einer Spaltung des westlichen
Christentums. Sie nahm ihren Anfang
1517, dem Jahr, in dem Martin Luther
seine 95 Thesen an die Pforte der
Schlosskirche zu Wittenberg schlug. Im
Dürrejahr 1540 entwickelte sich zudem
in Genf ein drittes Zentrum der Reformation. Als ab Herbst 1542 die Stadt in
mehreren Wellen von der Pest heimgesucht wurde, sorgte dies für Unruhe.
Dass kurz nach der Reformation die Seuche grassierte konnte nur bedeuten, dass
Gott die Umgestaltung des kirchlichen
Lebens missfiel. War die Pest womöglich
eine Strafe, weil man die Heiligen, die
Heiligenverehrung und die alten Riten
aus der Kirche verbannt hatte? Man behalf sich, indem man dreissig Männer
und Frauen aus dem Umfeld des Pestspitals verhaftete und als angebliche Pestverbreiter hinrichtete. Damit wurde aus
der vermuteten göttlichen Strafe eine irdische Angelegenheit, die man mit der
Beseitigung der angeblichen Schuldigen
aus der Welt schaffte.
Kriege
Im selben Zeitabschnitt tobten in Europa Kriege. In der Schweiz erhoben sich
1489 die Untertanen gegen die Städte
Zürich und St. Gallen; 1513 und 1514
gegen Luzern, Bern und Solothurn. Ab
1500 suchten die Unruhen die deutschen Territorien heim. Zu alledem
rückten die Türken über den Balkan gegen Mitteleuropa vor. Als Folge der
Schlacht bei Mohács (1526) geriet das
christliche Ungarn unter türkische Herrschaft. Drei Jahre später, 1529, standen
die Heere des Sultans bereits vor den
Toren Wiens. Ein kollektives Trauma,
Angesichts der apokalyptischen Ereignisse dieser Zeit, der Dürren, der Hungersnöte, Seuchen, Kriege und der Kirchenspaltung schienen Weltende und
Jüngstes Gericht nahe. Andererseits
lehrt uns die Geschichte, dass alles schon
mal dagewesen ist und ständig wiederkehrt. Die Chroniken sind voll von Schilderungen historischer Ereignisse, die
Verderben und Tod über die Menschen
brachten. Auch im kommenden Jahr
wird es Kriege geben, Naturkatastrophen
und Epidemien. Aber niemand kann voraussehen, was 2023 wirklich geschehen
wird. Das Kommende steht weder in den
Sternen geschrieben, noch in den Weissagungen des Nostradamus. Und auch
nicht in der Bibel, selbst wenn auf verschiedenen christlichen Internetseiten zu
lesen ist, die fünf biblischen Prophezeiungen von der Wiederkunft Christi seien jetzt erfüllt und die Menschheit am
Ende der letzten Tage angelangt. Das ist
pure Anmassung, wenn nicht gar Frevel,
denn dies hat mit Zeichendeuterei zu
tun, die mit den biblischen Texten nicht
vereinbar ist. Im Alten Testament belehrt
uns Moses: «Diese (…) hören auf Zeichendeuter und Wahrsager; dir aber gestattet Jahwe, dein Gott, derartiges
nicht.» (5 Mose 18, 14)
Und die prognostizierte Energiekrise?
Sie wird wohl eher eine Luxuskrise sein.
Eine bleibende allerdings. Unsere verwöhnte Überfluss- und Wegwerfgesellschaft wird in Zukunft nicht darum herumkommen, mit den Ressourcen
sorgsamer umzugehen, als dies in der
Vergangenheit der Fall war: vermehrt
auf heimische Produkte setzen, anstatt
auf importierte Billigstware, Qualität vor
Quantität, Behutsamkeit vor Gleichgültigkeit, Selbstversorgung vor Abhängigkeit und vor allem Nachhaltigkeit vor
Profit. Diesbezüglich sind wir, das darf
gesagt sein, auf gutem Weg.
Im Besonderen aber sollten wir uns vor
den Endzeitprophezeiungen religiöser
Fanatiker und dem wirren Geschwätz
von Verschwörungstheoretikern hüten,
die ihre seltsamen Konstrukte vorzugsweise über das Internet verbreiten. Drohungen von Weltende und göttlichem
Gericht, Verschwörung und angebliche
Manipulation der Menschen durch
dunkle Mächte: All das wuchert immer
dann, wenn der Mensch durch aussergewöhnliche Ereignisse und Umwälzungen vor neue Herausforderungen gestellt wird.
Weltuntergänge
Rund 180mal hätte die Welt seit der
Antike untergehen sollen. Hier die kuriosesten Prophezeiungen:
1958
Die UFO-Sekte Aetherius Society des ehemaligen Taxifahrers George King prognostiziert
den Weltuntergang auf den 23. November.
Der Ausserirdische, der mit der Menschheit
abrechnen soll, lässt sich nicht blicken.
2000
Wegen des Datumswechsels sollen Computersysteme ausfallen und Atomwaffen und
Kernkraftwerke fehlgeschaltet oder lahmgelegt werden. Es bleibt bei der Vorhersage.
2012
Dieses Jahr soll das letzte Jahr des Maya-Kalenders sein. Danach soll die Welt untergehen.